Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 19. Psalm.

Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 19. Psalm.

Dieser Psalm ist ein Preis über die göttlichen Offenbarungen, und zwar unterscheidet der Psalm eine zwiefache Offenbarung: Einmal die aus der Natur, oder aus den Werken der Schöpfung und zum andern die aus der heiligen Schrift. Die Offenbarung Gottes in den Werken der Schöpfung hat Gott geschrieben in die Natur, die uns allenthalben umgiebt. Himmel und Erde, Berge und Thäler, Meere, Flüsse und Quellen, Thiere, Pflanzen und Steine, das sind lauter Buchstaben Gottes in dieser Offenbarung; aber sie können nur gelesen werden von den Christen, die die Offenbarung Gottes in der Bibel haben und kennen. Wer die Offenbarung Gottes in der Bibel nicht hat und nicht kennt, der kann auch die Schrift Gottes in den Werken der Schöpfung gar nicht lesen und verstehen. Woher kommt das? Daher: Alle Menschen sind Sünder, und durch die Sünde sind sie geistlich blind geworden. Bor dem Sündenfall, bei Adam und Eva im Paradiese war es anders, die konnten die Offenbarung Gottes in der Natur lesen und verstehen, weil sie noch nicht gesündigt hatten. Wir wissen, daß Gott Himmel und Erde aus Nichts geschaffen hat, daß Er Sonne, Mond und Sterne gemacht hat durch Sein allmächtiges „Es werde“! aber wir wissen das nur aus der Bibel. Die Menschen, welche die Bibel nicht haben, wissen das nicht, ihnen ist die Offenbarung Gottes in der Natur ganz unleserlich; daher kommt es auch, daß die Heiden, die doch die Wunder der Natur immer und oft viel herrlicher als wir, vor Augen haben, Gott aus denselben nicht erkennen können, daher kommt es, daß sie alle den stummen Götzen gedient haben und noch dienen. Darum vergeßt es nie, daß nur die durch Gottes Wort erleuchteten Menschen die Offenbarung Gottes in der Natur verstehen können. Beweise davon finden wir noch jetzt mitten in der Christenheit. Der gläubige Christ betrachtet die Natur mit ganz andern Augen, als der Ungläubige oder Halbgläubige. Geht der Ungläubige an einem Saatfelde vorüber, so denkt er nur daran wie viel Stiege es giebt, und wie viel Himpten1) sich daraus dreschen lassen und wie viel Thaler er daraus lösen kann. Kommt aber ein gläubiger, bekehrter Christ an einem solchen Felde vorbei, so zieht es ihn unwillkührlich auf die Kniee, dem Gott zu danken, der die todten Saatkörner lebendig gemacht hat, der Brot aus der Erde hervorgehen läßt und Saat zum Nutzen der Menschen. Wenn ein gläubiger, frommer Christ die Natur betrachtet, da heißt es: Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste, d. h. das Himmelsgewölbe, verkündigen Seiner Hände Werke. Ein Tag sagt es dem andern, und eine Nacht thut es kund der andern. Es ist keine Sprache noch Rede, da man nicht ihre Stimme höre. Ihre Schnur gehet aus in alle Lande, und ihre Rede an der Welt Ende; der HErr hat der Sonne eine Hütte in denselben gemacht; und dieselbe gehet heraus, wie ein Bräutigam aus seiner Kammer, und freuet sich wie ein Held, zu laufen den Weg. Sie gehet auf an einem Ende des Himmels, und läuft um bis wieder an dasselbe Ende, und bleibet nichts vor ihrer Hitze verborgen. Das sind Worte des gläubigen Christen beim Anblick der ihn umgebenden Natur. Er sieht an den Himmel mit seinen funkelnden Sternen und ruft aus: Die hat mein Gott gemacht! Er betrachtet die leuchtende und wärmende Sonne und spricht: Die hat mein Gott gemacht! In der stillen Nacht beschauet er den silberfarbenen Mond, der dem einsamen Wanderer den Weg zeigt, und bricht aus in die Worte: Den hat mein Gott dort hingestellt! So sieht er bei Tage und bei Nacht die Herrlichkeit des HErrn in den Werken der Schöpfung. Es giebt kein Land, wo man die Wunder Gottes in der Natur nicht findet, und das ist einerlei, ob du dahin gehst, wo der Schnee niemals schmilzt oder dahin, wo die Sonne brennt wie ein heißer Ofen. Daher kommt es, daß die schwarzen Christen unter der Glutsonne Afrikas sowohl ihre Kniee beugen vor dem, der sie gemacht hat und erhält, wie es die Christen am Nordpol und in Grönland thun vor dem, der auch sie weiß zu erhalten und zu versorgen. Am wunderbarsten ist aber das Werk, welches Gott der Sonne aufgetragen hat: Er hat der Sonne eine Hütte in denselben gemacht, sagt David, und dieselbe gehet heraus, wie ein Bräutigam aus seiner Kammer, und freuet sich wie ein Held zu laufen den Weg. Sie gehet auf an einem Ende des Himmels, und läuft um bis wieder an dasselbe Ende; und bleibt nichts vor ihrer Hitze verborgen. Es ist gleichsam die irdische Sonne der belebende Mittelpunkt der ganzen Welt.

Laß einmal die Sonne eine acht Tage nicht scheinen, so starrt Alles dahin in Tod und Finsterniß. Mit ihren Strahlen erleuchtet und erwärmt sie Alles. Darum wird sie mit Recht ein Vorbild auf die Sonne der Gerechtigkeit, Jesum Christum, genannt, der alle Menschen erleuchten und erwärmen soll. Von der Hitze der Sonne werden die Früchte unserer Felder reif, ihr Licht macht bei uns den Tag helle, daß wir sehen können, sie erfreut unser Herz. Und dieses Werk thut sie Tag für Tag, Jahr aus Jahr ein, sie läuft ihren Weg gleichsam als ein Held, um die Menschen zu beglücken und zu erfreuen. Darum kann man sich auch gar nicht darüber wundern, daß so viele Heiden die Sonne anbeten; sie kennen ja den lebendigen Gott nicht und die Sonne giebt ihnen, wie sie meinen, Alles was sie brauchen, deßhalb verehren sie dieselbe als ihren Gott. Ich möchte beinah sagen: Weil sie den lebendigen Gott nicht kennen, so müssen sie die Sonne anbeten und als ihren Gott verehren. Da habt ihr die Bestätigung dessen, was ich vorhin sagte: Wer den lebendigen Gott nicht aus der Bibel kennt, der kann Ihn in der Natur nicht finden. Wenn ihr in der Bibel leset von dem scheußlichen Molochs- und Baalsdienst, bei dem sogar Menschen geopfert wurden, so merket euch, das war eine Verehrung, die der Sonne galt. Wenn z. B. die Sonne die Menschen verschmachten ließ vor Hitze, so wollte man ihr zu Dienst wieder Menschen verschmachten lassen, um sie dadurch zu versöhnen. Wenn es hier im Psalm heißt: Und die Sonne gehet heraus, sie läuft ihren Weg, sie geht auf und geht unter, wie stimmt das mit den Gelehrten, die beweisen, daß die Sonne still steht und daß die Erde um die Sonne läuft? Meine Lieben, der HErr unser Gott spricht mit uns nicht türkisch, sondern deutsch; spräche Er türkisch mit uns, wir würden es nicht verstehen. Es ist wahr, was die Gelehrten sagen: Die Sonne steht still und die Erde läuft um die Sonne; die Beweise dafür sind so klar, daß ein Kind sie einsehen kann. Und doch sagen alle diese gelehrten Leute jeden Morgen: Die Sonne geht auf, und jeden Abend: Die Sonne geht unter. Wer sagt das? Dieselben Leute, die es in Büchern schreiben: Die Sonne geht nicht auf, die Sonne geht nicht unter. Warum sprechen sie denn anders, als sie schreiben? Um den Leuten, mit denen sie umgehen, verständlich zu sein. Für uns geht die Sonne auf, für uns geht sie unter: würden wir sagen: Die Erde geht auf. die Erde geht unter, - das verstände Niemand. Wenn du in einem Wagen sitzest, der pfeilschnell dahin fliegt, so sagst du wohl: Wie fliegen die Bäume an mir vorüber; - und die Bäume haben doch mein Lebe noch nicht geflogen, du fliegst an ihnen vorüber. Ebenso ist es auch mit dem Auf- und Untergang der Sonne. Das ist die Offenbarung Gottes in der Natur, die nur den Gläubigen zugänglich ist. Die rechte, wahre Offenbarung Gottes für den Sünder ist die Offenbarung in der Bibel, und habe ich die erfahren, dann verstehe ich auch die Offenbarung Gottes in der Natur. Und diese Offenbarung Gottes in der Bibel beschreibt David auf die lieblichste und herrlichste Weise: Das Gesetz des HErrn ist ohne Wandel, und erquicket die Seele. Das Zeugniß des HErrn ist gewiß, und macht die Albernen weise. Die Befehle des HErrn sind richtig, und erfreuen das Herz. Die Gebote des HErrn sind lauter, und erleuchten die Augen. Die Furcht des HErrn ist rein, und bleibet ewiglich. Die Rechte des HErrn sind wahrhaftig, allesammt gerecht. In allen diesen Worten wird das Wort des HErrn gepriesen. Es wird genannt: Das Gesetz, das Zeugniß, die Befehle, die Gebote, die Furcht, die Rechte des HErrn; und das sind lauter Bezeichnungen für das Wort Gottes. Es heißt darum das Gesetz des HErrn, weil es von Gott für ewig festgesetzt ist, daß es nicht untergehen kann, weil es unwandelbar ist wie Gott selbst; Zeugniß des HErrn heißt es, denn dadurch bezeugt Er sich als unser Gott, als den allein lebendigen und wahren; Befehle des HErrn wird es genannt, denn darin sagt uns Gott, was wir thun und lassen sollen; Furcht des HErrn heißt es, denn es lehrt uns Gott fürchten, lieben und vertrauen; Rechte des HErrn heißt es endlich, denn was Gott sagt, ist gut und kein Falsches ist an Ihm. Und welche Wirkungen hat es? Es erquickt die Seele und macht die Albernen weise, es erfreut das Herz und erleuchtet die Augen. Wessen Herz wird nicht erquickt, wenn es heißt: Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde? wessen Seele wird nicht erleuchtet, wenn der HErr sagt: Der heilige Geist soll euch in alle Wahrheit leiten? wessen Herz wird nicht weise, wenn es den Himmelsweg kennen lernt? Ja Alles, Alles haben wir durch Gottes Wort! Es bringt uns hindurch durch dieses Jammerthal und führt uns in den Himmelssaal. Darum müssen wir mit David ausrufen: Gottes Wort ist köstlicher, denn Gold und viel feines Gold; es ist süßer, denn Honig und Honigseim! Das Köstlichste und Süßeste auf Erden ist für einen armen Sünder Gottes Wort; alle andern Kostbarkeiten und Süßigkeiten kann ich entbehren, nur Gottes Wort nicht. Das ist das einstimmige Bekenntniß aller wahren Christen, ihr größter Schatz ist ihre theure Bibel, die sie um keinen Preis weggeben möchten. Diese Werthschätzung der Bibel ist so groß, daß sie oft bis ins Kleinste geht. Ich habe wirklich einen Menschen gekannt, dem für seine Bibel, in der er täglich las, hundert Thaler geboten wurden, ich habe es gesehen, daß ihm zwanzig goldene Pistolen auf den Tisch gelegt wurden; aber jener Mann antwortete: Behalte dein Geld, ich will meine Bibel behalten. Du Narr, sagte der Käufer, du kannst ja für das Geld hundert andere Bibeln erhalten. Das mag gern sein, ich gebe meine Bibel nicht weg, in ihr bin ich zu Hause. Sehet so ist die Bibel des Christen höchster Schatz. Jeden Morgen ist es mein erstes: Ich lese in meiner lieben Bibel, jeden Abend ist es mein letztes: Ich lese in meiner lieben Bibel, und wenn ich sonst noch Zeit habe, lese ich darin, ob es auch nur ein paar Verse sind. Und ob ich für meine Bibel zehn andere kriegen kann und noch hundert Thaler dazu, so gebe ich sie doch nicht her. Denn sage mir, wenn du alle Schätze der ganzen Welt hast, kannst du dir dafür die ewige Seligkeit kaufen? Das sollst du wohl bleiben lassen. Aber in der Bibel findest du die Seligkeit, die Bibel giebt dir die Seligkeit. Alle andern Süßigkeiten nehmen bald ein Ende und werden oft in Bitterkeit umgewandelt, alle andern Kostbarkeiten vergehn und können geraubt werden, aber die Süßigkeit und Kostbarkeit des Wortes Gottes bleibt bis in Ewigkeit. David sagt weiter: Auch wird Dein Knecht durch sie erinnert; und wer sie hält, der hat großen Lohn. Das ist's, warum man die Bibel so groß nöthig hat, warum man sie gar nicht entbehren kann: Ich werde alle Tage durch sie erinnert an meine Sünde und Gottes Gnade, an die Vergänglichkeit des Irdischen und an die Herrlichkeit des Himmels, und dadurch bekomme ich Kraft, es auszuhalten auf dieser armen sündigen Erde. Und welch einen köstlichen Lohn soll ich dann haben? Die ewige Seligkeit. Um diesen Lohn soll mir keine Arbeit zu sauer, kein Weg zu weit, kein Kampf zu heiß sein, ich will treu sein bis in den Tod, dann soll ich die Krone des ewigen Lebens haben. Aber bei all' diesen Arbeiten, Kämpfen und Ringen läßt sich täglich der Seufzer hören: Wer kann merken, wie oft er fehlet? Verzeihe mir die verborgenen Fehler. Bei aller Süßigkeit der Bibeln bei aller Freude, die sie mir schenkt, bei aller Gnade, die ich hier schon empfange, bin ich täglich noch ein armer Sünder, ich will nicht sündigen und ich sündige doch immer wieder. Aber ich verzage nicht, denn meine Bibel giebt mir den Trost: Sei nur still, obgleich du gesündigt hast, so hast du doch nicht sündigen wollen, die Sünde hat dich überrumpelt, geh' zu Jesu, der vergiebt sie dir. Nun brauche ich nicht zu verzagen, denn ist auch täglich die Sünde da, so kann ich doch zu jeder Zeit Vergebung, der Sünden erlangen durch Christi Blut. - Bewahre auch Deinen Knecht vor den Stolzen, daß sie nicht über mich herrschen; so werde ich ohne Wandel sein, und unschuldig, bleiben großer Missethat. O nimm dich in Acht vor den Stolzen, haben die dich erst umgarnt, so geht es von einer Missethat und Schande in die andere; nimm dich in Acht vor den Stolzen, die mit ihrem Putz und Staat, Geld und Gut prangen, die mit ihrer Weisheit und Gelehrsamkeit prahlen, begiebst du dich in ihre Gesellschaft, hast du mit ihnen Gemeinschaft, du wirst sicher in die Hölle rennen. O daß du doch immer an den Spruch dächtest: Schlecht und recht, das behüte mich, denn ich harre Deiner, Ps. 25, 21, und an den andern: Hochmuth kommt vor dem Fall. Den Schluß dieses Psalms bildet das köstliche Wort der Zuversicht: Laß Dir wohlgefallen die Rede meines Mundes, und das Gespräch meines Herzens vor Dir, HErr, mein Hort und mein Erlöser. Siehe er hat mit dem Herzen und mit dem Munde gebetet, die Worte seines Mundes sind aus dem innersten Herzen gekommen, und solches Gebet hat die Verheißung der Erhörung, denn Gott hat gesagt: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgethan, Matth. 7, 7. Amen.

1)
Ein Himpten (auch Himten, Himt) war ein bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gebräuchliches Hohlraummaß für Getreide. In Niedersachsen wurde das Maß auch mit Hempe, Hempte und Himpe bezeichnet. Er entsprach meist einem halben Scheffel, also ca. 30 Liter.
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