Harms, Claus - Am zweiundzwanzigsten Sonntag nach Trinitatis 1846.

Harms, Claus - Am zweiundzwanzigsten Sonntag nach Trinitatis 1846.

Ges. 559, Nach einer Prüfung kurzer Tage rc.

Halten wir mit dem Apostel Paulus Alle dafür, daß dieser Welt Leiden nicht werth seien der Herrlichkeit, die an uns soll offenbar werden, und sprechen wir Alle mit dem Apostel Petrus: Gelobet sei Gott und der Vater unsers Herrn Jesu Christi, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Todten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das behalten wird im Himmel euch, die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahret werdet zur Seligkeit, welche zubereitet ist, daß sie offenbar werde zu der letzten Zeit. Die wir denn, so schreitet die Rede fort, die wir denn durch die Reformationsfeier des letzten Sonntags gleichsam von Neuem gesetzet sind, ihr Geliebten, von Neuem gesetzet sind auf den reinen, unvermengten, ungefärbten Glauben unsrer evangelischen Kirche, in welcher nichts gelehret wird, als was Jesus befohlen hat, dies aber, alles gelehret wird: wir lassen uns denn von dem Texte, welcher heute kommt, auffordern, anleiten in beide, in die Tiefen der Gegenwart und in die Höhen der Zukunft, zu blicken. Es mag gefragt werden von jemand, ob denn die Gegenwart auch Tiefen habe? Darauf sag' ich, sie muß deren wohl haben; denn sie wird ja von so Vielen schlecht gekannt und verstanden, weil sie sich einestheils von ihr bezaubern lassen in solchem Maße, daß sie ganz von ihr umstricket und in sie so hineingezogen, versenkt werden, daß sie nicht aus ihr herauskommen können, anderntheils sich so ungebührlich und unnöthig weit von ihr abschrecken lassen, daß sie sich, so viel es möglich, aus und von ihr zurückziehen und nichts wollen mit ihr zu schaffen haben. Freilich, dieser Letzteren ist in unsern Landen eine kleine Zahl, wenn auch vielleicht doch eine größere, als von den Meisten gemeint wird. Aber die Predigt will, von ihrem Texte geführt, weiter in diese Sache hineingehen mit ihren Hörern; folgt, liebe Hörer, und empfanget zuerst den Text.

2. Corinth. 4, 11-16. Denn wir, die wir leben, werden immerdar in den Tod gegeben um Jesu willen, auf daß auch das Leben Jesu offenbar werde an unserm sterblichen Fleische. Darum, so ist nun der Tod mächtig in uns, aber das Leben in euch. Dieweil wir ober denselbigen Geist des Glaubens haben (nachdem geschrieben stehet: „Ich glaube, darum rede ich“), so glauben mir auch, darum so reden wir auch; und wissen, daß der, so den Herrn Jesum hat auferwecket, wird uns auch auferwecken durch Jesum, und wird uns darstellen sammt euch. Denn es geschieht alles um euretwillen, auf daß die ueberschwängliche Gnade durch vieler Danksagen Gott reichlich preise. Darum werden wir nicht müde; sondern, ob unser äußerlicher Mensch verweset, so wird doch der innerliche von Tage zu Tage verneuert. Denn unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schaffet eine ewige und über alle Maaße wichtige Herrlichkeit uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

Es sind acht Verse aus einem Capitel; lest das ganze Capitel dazu noch heute, und das folgende lehrmächtige, lehrkräftige fünfte Capitel, wer noch mehr in seiner stillen oder in seiner Haus-Andacht lesen kann. Das Verlesene wollen wir gehört haben als eine Ermahnung, die uns heißt: Bringen wir mehr Zukunft in unsre Gegenwart hinein! Der Redeweg aber sei dieser:

  1. Wir halten die Gegenwart ja doch nicht fest,
  2. und wer möchte sie denn auch immer festhalten?
  3. Eine Zukunft haben wir ja auch,
  4. und eine herrliche,
  5. die sich auch in unsre Gegenwart hinein bringen läßt.
  6. Thun wir es, so verklärt sie die Gegenwart, die ja meistens trübe ist;
  7. sie geht aber verloren, wenn wir es nicht thun.
  8. Aber bei ihrem Verlust allein wird es nicht bleiben.

Das sind die Gründe, ihrer acht, warum wir die Zukunft in die Gegenwart hinein bringen sollen.

1.

Wir predigen aus dem Texte. Das Erste und Zweite könnten wir allerdings auch anderswoher predigen, nämlich in dieser Jahreszeit aus der Schöpfung, die uns täglich den Unbestand alles Irdischen und den Vergang, das Ersterben dessen was eine Zeitlang unser Ergötzen war, sehen läßt und predigt. Dazu ist sie auch genommen von Alters her. Zum Propheten Jesaias schon; auf dessen Frage, was soll ich predigen? sprach eine Stimme! „Alles Fleisch ist wie Gras, und seine Güte wie eine Blume auf dem Felde, das Gras verdorret und die Blume verwelkt“. Wie es ja in jedem Herbste vornehmlich gesehen wird. Wie, meine Lieben, lest ihr auch wohl diesen Text zuweilen? und laßt eine Stimme in euch einen Vortrag über diesen Text aus der Schöpfung halten, eine Feld-, Wald-, Gartenpredigt? Eins zum Andern. Naturpredigt und Bibelpredigt wollen beide gehalten und gehört werden; ja, die erstere auch. Wir aber an diesem Ort nehmen unsre Texte aus der Bibel, heute aus dem zweiten Corintherbriefe.

Da steht's auch, daß wir unsre Gegenwart nicht fest halten können. Der äußerliche Mensch verwest, unser Leib heißt ein sterblicher, wir werden immerdar in den Tod gegeben. Von unsern Freuden steht hier nichts, aber von unsrer Trübsal, die wird viel genannt; doch die Freuden sind es eben sowohl, sie und alles Sichtbare, davon hier steht: es ist zeitlich d. h. unbeständig, nur seine Zeit während; dann ist's dahin, gleich der Zeit selber. Wir unterscheiden zwar zwischen Zeit und Zeit und reden von einer natürlichen Zeit, die hat die Blume, hat der Baum, hat der Mensch - seine Zeit währet 70 bis 80 Jahre, die aber auch vergehen, und die Allerwenigsten kommen zu dieser natürlichen Zeit - aber die unnatürliche ist, so zu sagen, ja die gewöhnliche, die natürliche. Das spreche ich in die jüngere, in die junge Welt hinein, die nur in der Gegenwart zu leben pflegt, selten an die Zukunft, die hier gemeinte, denkt: Ihr seid Alle in den Tod gegeben. Der Apostel schreibt von sich, „um Jesu willen;“ alle Menschen sind's, und ihr seid's auch, in den Tod gegeben, aber um eures Lebens willen, das kein unsterbliches, sondern ein sterbliches ist; wir wissen, seit wann und woher. Oder wisset ihr es etwa nicht? so sag ich's euch nach der Schrift: Der Tod ist der Sünde Sold, und gesündigt haben wir Alle. So steht es mit unsrer Gegenwart. Ich spreche, mit unsrer; denn meine Gegenwart ist wie die deinige, und alle Menschen haben Eine d. h. dieselbe.

2.

Wir können sie, die Gegenwart, nicht festhalten. Allein wer möchte sie denn auch immer fest halten? Zwar der Apostel schreibt: Wir werden nicht müde. Er hatte sonst wohl eine Gegenwart, so voller Trübsal und Arbeit, wie nur wenige Menschen; sich mit den andern Aposteln vergleichend, äußert er sich frei: Ich habe mehr gearbeitet, denn sie Alle. Cap. 11., da auch von seinen Trübsalen steht, ist zu lesen, daß er doch nicht müde sei. Das halbe Maß seiner Trübsal könnte doch wohl jeden andern Menschen müde und mürbe machen. Wir unterscheiden zwischen müde und müde. Einmal heißt müde sein: nicht mehr mögen, nicht mehr wollen, nicht mehr können; dann heißt müde sein aber auch: bereit sein, sich schlafen zu legen, sein Werk loszulassen. Wir wissen ja auch von ihm, daß er es war. An die Philipper schreibt er: Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein, welches auch viel besser wäre. Was ist das? Widerspricht sich der Apostel? Nein, hier heißt müde in seinem Munde, bereit sich schlafen zu legen, nicht, nicht länger können, nicht mehr mögen, nicht mehr wollen und aufhören. Nein, das bei ihm nicht! Im Gegentheil, er war in der Arbeit und blieb darin frisch und freudig, wie's auch einem Knechte, der seinem Herrn treu dienet, also gebühret, einem Knechte, der es vor Augen hat, wie nöthig es sei um Andrer willen, daß er bleibet.. Indessen, abgesehen hiervon und gesehen auf dasjenige, was unsre Gegenwart uns bietet. Siehe an reine Schwachheit, die leibliche und geistige, deinen sich schließenden äußern Sinn, deinen Mangel an Nahrung, die Sorgen um dich und die Deinigen, die Kümmernisse deines Herzens, dein vergebliches Arbeiten, deine vereitelten Anstrengungen, verfliegenden Hoffnungen, und was in dieser Art es sonst giebt: wer möchte ein solches Leben denn gern fortsetzen und eine solche Gegenwart endlos ausspinnen! Glaubet mir's, daß nicht so viel Lust am Leben ist, als es sich darnach anläßt; und ich erwarte hier in dem Augenblick, da ich dies sage, eine stille Zustimmung von Manchem, der gar nicht das Aussehn darnach hat und bei welchem man lauter Lebenslust vermuthet. Wenn es nur bei diesen Allen das rechte Genughaben und Sattsein wäre! nämlich, da ein innerlicher Mensch, wie der Text sagt, seine Arme nach einer bessern Zukunft ausstreckt.

3.

Die haben wir, eine Zukunft. Das ist nicht diejenige, höre das, junge Welt hier, welche du noch vor dir siehest, die wir Aeltern hinter uns sehen. Wisse, wir sagen dir's, wohin du gehst, da sind wir gewesen; es ist unsre Gegenwart gewesen einmal, wir geben Erfahrungszeugniß über dieselbe, daß, wie sie nicht festzuhalten ist, sie auch des Festhaltens nicht werth ist, versteht sich, wenn man dagegen etwas Anderes und etwas Besseres zu gewärtigen hat, und zwar mit guter, wohlbegründeter Zuversicht. Einmal hoffen wir also, daß es überhaupt eine Zukunft gebe, zweitens, daß diese besser sei, als alle Gegenwart, und nicht schlimmer. Wo diese Hoffnung fehlt, erträgt man lieber und duldet man alle Last und stöhnt und schwitzt man unter Lebensmüh'. So ist's zu lesen in Hamlets Monolog. - Aber ich stehe hier vor Christen, die eine Hoffnung haben, eine sichere, auf eine Zukunft. Ich will die Hoffnung nicht allen Andern absprechen, aber die Weisen des griechischen und römischen Alterthums hatten sie doch nicht. Und die Väter des alten Testaments, hatten sie eine Unsterblichkeit oder hatten sie keine? Hatten sie eine, was schwiegen sie denn davon ihrer Einige unter Umständen, die ihnen doch müßten den Mund aufgebrochen, die Zunge gelöst haben, um diesen ihren Glauben und Trost auszusprechen? Christen haben eine Zukunft, glauben daran und reden davon, im Text: Ich glaube, darum rede ich. So glauben wir auch, darum, so reden wir auch, und wissen, daß der, so den Herrn Jesum hat auferwecket, wird uns auch auferwecken durch Jesum und wird uns darstellen sammt euch. Sammt euch, den Apostel und die Corinther, sammt euch, den Prediger und seine Gemeinde, sammt euch - ich lege das Wort in eines Vaters Mund - Mich, der ich sterbe, sammt euch, von denen ich scheiden muß, wird Jesus darstellen. Und wem vielleicht eben in dieser Zeit bei Anderen an einem Tröste gelegen ist, demselben auch habe ich ihn wollen hiemit in den Mund legen. Wir sollten doch nicht so fest halten und fest hangen an der doch nicht zu haltenden und nicht haltenswerthen Gegenwart, die wir ja doch eine Zukunft ganz gewiß haben -

4.

die Rede schreitet fort - und eine gar herrliche, genannt im Text: eine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit. Eine wichtige, gewichtige, schwere nach dem Grundtext, und das nicht allein im Vergleiche mit der zeitlichen, leichten Trübsal, sondern wahrlich auch an sich selber schwer. Wir kennen ja Freuden und Freudengefühle in der Gegenwart, in diesem Leben schon, die wir wohl schwere nennen können. Wären nicht hier Etliche unter euch, die zu sagen wüßten von solchen Stunden oder Augenblicken, wo ihnen die Freudengefühle zu mächtig gewesen? Ja, Stunden, wo der Geist sich los fühlte von dem Zeitlichen und Irdischen und vom Gefühl der Nähe seines Herrn und im Umgang mit ihm sich überwältigt fühlte? Einige Verse vor unserm Text steht: Wir tragen solchen Schatz in irdischen Gefäßen. Unsre Herzen sind die Gefäße, sind die Träger. Gewiß, wenn die Freuden unsrer Zukunft da hinein gelegt würden, sie zerbrächen davon; wir werden aber auch statt der irdischen Gefäße himmlische bekommen. Was wird's sein?
Da werd' ich zu dem Throne dringen,
Wo Gott sich ganz mir offenbart,
Ein Heilig, Heilig, Heilig singen
Dem Lamme, das erwürget ward;
Und Cherubim und Seraphim
Und alle Himmel jauchzen ihm.

Und selbst irdische, zeitliche Freuden können schwer, zu schwer werden für das zerbrechliche, irdische Gefäß. Von einem Tonsetzer, Haydn, erzählt man, wie er einmal bei der Aufführung eines seiner eigenen Tonstücke, die Schöpfung genannt, dermaßen von Freude daran überwältigt worden sei, daß man ihn habe wegtragen müssen. Ach, was wird's sein, wenn wir einmal den Schöpfer sehen, sich ganz offenbarend, und vor den Stuhl des Lammes treten, da die Hundertundvierundvierzigtausend singen! Das ist unsre Zukunft, diese schwere, über alle Maßen wichtige Herrlichkeit. Und nicht etwa wird's eine Empfindung sein, die ihre Stunden währt oder Tage, sondern eine ewige.

=====5.===== Diese Zukunft haben wir. Bringen wir sie mehr in unsre Gegenwart herein! Sie läßt sich hereinbringen. Dieses lasset uns erwägen im folgenden fünften Redetheil. Welches Wegs? Durch welche Thür? O, noch nicht also gefragt, sondern zuerst gesagt: Machen wir Raum in uns für diese Zukunft. Bedarf es dessen nicht gar sehr bei Vielen, die so ganz erfüllt sind von der Gegenwart, nur in ihr leben und weben? Wo alles Sinnen, alles Trachten und Denken nur auf Erwerb, Gewinn, Sinnenlust, höhere und niedere gerichtet ist, auf das, was der Eitelkeit schmeichelt und dienet, auf das, was Ruhm und Ehre bringt bei Menschen - da muß erst Raum gemacht werden für die Zukunft, von der wir hier reden; denn die Zukunft, für welche die Meisten, besonders die jüngere Welt, sich mit so viel Mühe und Sorge beschäftigen, gehört mit zur Gegenwart. Dies angerathene Raummachen für die Zukunft geschieht, wenn wir die Macht der Gegenwart dämpfen. Und dies Dämpfen geschieht durch Betrachtungen über die Gegenwart und ihre Trübsale, wie wir sie vorhin machten. Sehen wir sie und alles, was sie beut, darauf an, wie vorübergehend, wie flüchtig es doch Alles ist, da findet sich ja nichts Beständiges als die Unbeständigkeit. „Nur Vergängliches haben wir, selbst vergängliche Menschen, Alles fliehet von uns oder wir fliehen davon“. Und zu dem Uebelstand kommt das Ungenügen; ja, es ist doch etwas in uns, das durch Alles seine Befriedigung nicht erhält, und wenn, so ist's doch für keine Länge, auf keine Dauer; es muß noch ein Andres, ein Neues, ein Nimmergesehenes, Nimmergehörtes, Nimmergehabtes, Nimmergeschmecktes geben. Wo soll's aber herkommen? Soviel ist in der ganzen Welt nicht, wenigstens hat König Salomon es nicht in der Welt finden und sich verschaffen können. Solche Vorstellungen von der Gegenwart machen für die Zukunft Raum in uns. Thun sie das? Ich predige den Text, der giebt einen andern Weg an: Das Sterben Jesu Christi an unserm Leibe tragen, sich immerdar in den Tod geben, den Tod mächtig in uns werden lassen, die Trübsal schaffen lassen. Das heißt mit andern Worten, mit Einem: Christ werden. Sind wir dabei? haben wir angefangen? stehn wir in dieser Arbeit? Das ist ja das Christenthum, sich verloren und Christum gefunden zu haben, von seiner Herrlichkeit, als einer Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater, gesehen zu haben und des Weges aus einem Leben in ein anderes, neues hineinversetzt worden sein, uns vorgehalten, dies andre, neue, durch eine himmlische Berufung, eine neue Creatur geworden sein, davon Cap. 5 stehet, auf welches ich vorhin wies. Das will geschehen sein und es giebt keinen Weg nebenher. Wie Israel Aegypten verließ, so hat die Christenheit, die es ist, nicht nur so heißt, das angeborne, natürliche, sündliche Leben verlassen und ist durch einen geistlichen Tod zu diesem Leben gelangt, das eine solche Zukunft hat, hat und sie in ihre noch währende Gegenwart des Weges hereinbringt. Und es ist die Arbeit ohn' einen Abend, d. h. es wird nicht Abend, ehe der eine, der letzte kommt, der uns in die geglaubte Zukunft selber hineinführt.

6.

Bis dahin denn nur Arbeit? Bis dahin denn nur Trübsal? unsre ganze Gegenwart nur voll davon? O, mit Nichten, es giebt nicht fröhlichere Menschen in der Welt als Christen, die es wirklich sind. Ihre Gegenwart, die meistens trübe ist, wird verklärt, weß Maßes sie die Zukunft dahinein zu bringen beflissen sind. Häusliche Dürftigkeit offenbart das Genügen der Gottseligkeit. Leibliche Schwachheit tröstet sich mit diesen beiden: Ich habe einen Gott, der auch vom Tode erretten kann, oder damit: Sterbe ich, so sterbe ich dem Herrn, einem lieben Herrn. Bin ich von Feindschaft umsponnen, bin ich von wilden Farren umgeben ein Ausdruck in einem Psalm - ich weiß mich in des Allmächtigen Schutz. Wird mir Böses nachgeredet, daran sie lügen, so habe ich den Allwissenden zu meinem Zeugen. Muß ich in geringer Arbeit stehen und in schwerer, ich weiß, daß ich zu Besserem, Höherem berufen bin und trete diesen neuen, schönen Dienst bald an, das empfangene Gottesgeld habe ich in meiner Tasche, ein höheres Amt, meine Bestallung ist schon ausgefertigt. So spricht der Christ, wenn er in Trübsal ist, das hat er von seiner Zukunft, wenn er die in seine trübe Gegenwart bringt. Und doch ist es ja auch nicht immer Trübsal, lauter Trübsal. O, nein, ihm fällt auch zu, was man Glück nennt. Aber auch seine Freuden über solche angenehme Erlebungen, wie sie vorkommen, werden erhöhet, verklärt durch sein Wissen, woher? durch sein Wissen, wozu? Sie kommen vom Vater, deß Kind er ist, und führen weiter auf dem Wege der Dankbarkeit, die, wie sie vom Munde kommt, auch aus den Augen strahlt, in die noch nähere Gottesnähe. Als Moses die vierzig Tage bei Gott auf dem Berge geweilt hatte und darnach herunterkam, da glänzte sein Angesicht; mit dem Christen ist es ebenso, er weilt bei Gott in Bitten und Danken, in frommen Betrachtungen, daran nicht sein Geist allein, sondern sein sterblicher Leib auch Theil hat, wenn selbst über dessen Verwelken und Verwesen sich der Schimmer, der Glanz des sich erneuernden innerlichen Menschen, legt, der den Geist des Glaubens hat, wie der Text sagt, und mit demselben das Hoffen der einstigen Darstellung, die zu keiner Zeit mehr fern ist.

7.

Wieviel die haben, die eine solche Zukunft haben und sie in ihre Gegenwart hereinbringen, das diene Jedermann zu einer Lehre, an seinem Theil dies Hereinbringen nicht zu versäumen, nicht ungethan zu lassen. Ihr seid still gewesen, meine Lieben, bei meiner Beschreibung der Zukunft, der herrlichen, allein, wenn es laut geworden wäre, was still geblieben, dann würden Viele gesprochen haben, gerufen haben: Aber ich bin kein solcher Christ - du nicht, du nicht, ich bin es auch nicht. Wer unter uns wäre wohl derjenige, der zufrieden wäre mit dem Maß seines Glaubens, mit seinem Christenthum? Euch ist's wohl bei dem Gesange gegangen, wie manchmal mir. Wenn es heißt: Da werd' ich - da werd' ich - fragt's in uns: Was bin ich für ein Ich? Ich bin nicht, was ich sein sollte, sein möchte - der Apostel schreibt auch von sich: Nicht, daß ich's schon ergriffen hätte - er streckt sich aber nach dem, was vor ihm ist. - Der Christ ist immer im Werden, ist nimmer fertig, und je mehr Zukunft er in seine Gegenwart hereinbringt, desto mehr fühlt er dies. Wenn wir das nicht thun, so geht uns die Zukunft verloren. Darf ich nicht rechnen auf eure Zustimmung, wenn ich sage: Wer nur für die Gegenwart lebt, erfüllt ist von der, kann der hoffen auf eine Zukunft, wie die vorher von uns beschriebene, herrliche? Wer nur auf das Sichtbare, das Zeitliche sieht, kann für den eine solche Zukunft erfreulich, wünschenswerth sein? Gottes Nähe, Gottes Anschaun ist es, was die Zukunft herrlich, selig macht; wer aber in der Gegenwart verstrickt ist, hat kein Verlangen nach Gott, nach dem beständigen Umgange mit ihm, keine Liebe zu Gott, keinen Glauben, keinen Gehorsam, keine Freudigkeit, Gottes Willen zu thun - also auch kein Recht auf die Verheißung, noch die herrliche Aussicht, die der Christ hat unter der Einen Bedingung, dem Glauben. Bringen wir daher die Zukunft in unsre Gegenwart; wir - sagt der Apostel - sehen auf das Unsichtbare, was aber unsichtbar ist, das ist ewig. Gedenken wir häufig der Ewigkeit, stellen wir uns oft vor den Vergang dieses Lebens und alles dessen, was die Welt bietet, und erinnern uns, daß unsre Tage gezählt sind und was darnach uns bevor steht: Es ist dem Menschen gesetzt einmal zu sterben und darnach das Gericht. Wenn wir nicht die Zukunft in unsre Gegenwart hereinbringen, so geht sie uns verloren, und

8.

bei diesem Verlust allein wird's nicht bleiben. Zwar sagt unser Text nichts von diesem achten Theile, aber andre Blätter der heiligen Schrift enthalten viel Rede davon, viel Lehre darüber, so, mein' ich, darf ich es auch nicht vorenthalten. Giebt es eine herrliche Zukunft, wie unser Text spricht, einen Himmel, so muß es auch eine schreckliche geben, eine Hölle. Ich geb' euch den Rath, euch das Kommen vor Christi Richterstuhl, vor dem Alle und Alles wird offenbar werden, oft vorzustellen. Da wird es entweder heißen: Gehet ein, ihr Gesegneten, zu meines Vaters Freude! oder: Weichet von mir, ihr Verfluchten, ich habe euch nie erkannt! - O, ein schreckliches Oder!
Zwei Ort, o Mensch, hast du vor dir,
So lang du lebst auf Erden,
Die nach dem Tod hier stehen für,
Und Einer muß dir werden.
Dann werden wir erkennen, daß es eine Zukunft, eine über die Maßen wichtige, schwere Zukunft giebt, die hier an solche gar nicht dachten, die nur der Gegenwart, dem Sichtbaren, Zeitlichen lebten, denen der Bauch ihr Gott war, die auf ihr Fleisch säeten und ernten nun das Verderben. Da wird nicht mehr die Rede sein von Glauben und Annehmen-Wollen oder Nichtwollen, da werden den hier Verblendeten die Augen schrecklich aufgehen, sie werden sehen, in welchen sie gestochen, den sie hier verwarfen, an den sie hier nicht glauben wollten oder vorgaben, nicht glauben zu können; sie werden erkennen, anbeten müssen die Herrlichkeit, die Majestät dessen, den sie hier zu ihres Gleichen herabwürdigen wollten, aber zu spät. Ein schreckliches „Zu spät!“ Da werden sie rufen: Ihr Berge, decket uns, ihr Hügel, fallet über uns.

Stellen wir eine solche, diese schreckliche Zukunft uns vor, um, weil es noch Zeit ist, weil noch die Gnadenfrist nicht abgelaufen, zu thun, was uns schützen kann vor solcher Zukunft. Im zweiten Psalm heißt es: Küsset den Sohn, daß er nicht zürne und ihr nicht umkommet auf dem Wege, denn sein Zorn wird bald anbrennen. Aber wohl Allen, die ihm vertrauen, auf ihn bauen. Nach wenigen Wochen feiern wir das Weihnachtsfest, da singen wir ihm Lob und Dank, der Tod und Hölle besieget, wie es heißt in 219: Lob sei dir, o Jesu Christ, Daß du Mensch geboren bist! Behüt uns vor der Hölle! O, wende von uns jeden Wahn, Der unsre Seelen blenden kann, Damit er uns nicht schade. Dies, Erbarmer, bitten wir, Vater, Sohn und Geist, von dir, Erhalt uns deine Gnade! Amen.

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