Hagenbach, Karl Rudolf - Daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.

Hagenbach, Karl Rudolf - Daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.

Text: Röm. 8,28.
Wir wissen aber, daß denen die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.

Nichts ist wohl gewöhnlicher unter den Menschen, als die Klage, daß es ihnen so selten nach Wunsch gehe, daß Glück und Unglück überhaupt so seltsam vertheilt, und daß im Durchschnitt der bösen Tage mehr als der guten seyen. An dieses Gefühl des Mißbehagens schließt sich dann bei den Weiterdenkenden von selbst die Frage an, warum es also sey und wie dieß mit der Weisheit, Liebe und Gerechtigkeit Gottes sich reime? - Die Frage nach Ursprung und Zweck des Uebels in der Welt ist so alt, als die Welt selbst, aber die Antwort ist noch immer nicht gefunden, wenn sie als Frucht des menschlichen Nachdenkens und der menschlichen Weisheit erwartet wird. Wohl uns, daß das Wort Gottes eine Antwort auf diese Fragen hat; eine Antwort, die freilich das Räthsel nicht löst, auf die von uns erwartete Weise, die uns aber mit einem Male auf einen Standpunkt versetzt, von dem aus die Frage selbst eine andere Gestalt gewinnt, von dem aus sich uns eine ganz neue Aussicht öffnet in Gottes weites herrliches Reich. - Wenn der menschliche Verstand vergebens in tausend Muthmaßungen sich erschöpft über das „Warum?“ und „Wozu?“ so sagt uns das Wort Gottes mit der ihm eigenthümlichen Zuversicht: Wir wissen (und wissen es mit einer Sicherheit, die alles menschliche Rathen und Meinen übersteigt,) wir wissen, daß denen die Gott lieben alle Dinge zum Besten dienen. Nicht auf das große unübersehbare Weltgebäude und seine viel verschlungenen Gänge und Windungen lenkt es den kurzsichtigen Blick und läßt ihn hineinschauen in das wunderbare Getriebe: nicht au den Thron des Ewigen trägt es den neugierigen Geist hinan, damit er dort zu Rath sitze, das Geschöpf mit dem Schöpfer - sondern in unser Inneres verweist es uns. Da lehrt es uns den Schlüssel suchen in das Geheimniß der göttlichen Führung, da den Prüfstein finden, an dem wir erkennen sollen, ob es der Herr wohl mit uns meine. Die Liebe zu Gott, das ist der Maßstab, an dem wir den Grad unseres Glückes oder Unglückes messen, das die Bedingung, unter der wir allein in das Heiligthum seiner Rathschlüsse geführt werden sollen. Laßt uns daher unter dem Gnadenbeistande Gottes vor allem die Prüfung vorausschicken, ob wir uns zu denen zählen dürfen, die Gott lieben? und dann werden wir uns erst vollkommen der Wahrheit getrösten können, daß denen die Gott lieben alle Dinge zum Besten dienen.

Der du die Liebe selber bist, Gott, Schöpfer und Erhalter unseres Lebens! gieße auch jetzt in uns das Licht und den Trost deines Wortes, damit wir dadurch zu neuer inbrünstiger Liebe gegen dich entzündet, zu neuem Vertrauen gestärkt, zu neuem Gehorsam ermuntert werden mögen. Amen.

1.

Wenn der Apostel sagt, daß denen die Gott lieben alle Dinge zum Besten dienen, so müssen wir vor allem fragen, wer sind denn die, die Gott lieben? und in wiefern dürfen wir uns zu ihnen zählen? O daß wir die Antwort in uns nicht weit zu suchen hätten! o daß wir uns das Zeugniß geben könnten: wir lieben Gott! - Und allerdings, wenn der Herr die Frage uns vorlegte: „liebst du mich?“ wir würden uns schämen, ihm ohne weiters und gerade heraus mit Nein zu antworten: wir würden alle bessern Regungen unseres Gemüthes, alle reinern und edlern Stimmungen, deren wir uns schon bewußt geworden, alle heiligen Erinnerungen an begeisterte Stunden und Augenblicke zusammensuchen, um doch mit einigem Schein von Wahrheit sagen zu können: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, daß ich dich lieb habe.

Gleichwohl aber müssen wir, je ernster wir es mit dieser Prüfung nehmen, gestehen, daß diese Liebe, die wir wohl haben möchten, bisanhin nur eine höchst unvollkommene, stückweise, vielfach getheilte und getrübte gewesen; daß wir außer Gott auch noch anderes, ja mehr liebten, als ihn, und aus eben diesem Grunde werden wir es dann auch natürlich finden, wenn die Worte des Apostels noch nicht ihre volle Anwendung bei uns gefunden, noch nicht ihren vollen reichen Segen an uns bewährt haben. Was die rechte Liebe zu Gott sey, darüber kann nur das Wort Gottes selbst uns belehren, das von der Liebe zeugt. Nun wissen wir schon aus dem Gesetz des alten Bundes, daß Gott uns ganz will, unser Herz, unser Gemüth und alle unsere Kräfte, und nur wenn wir ihn so aus unserm ganzen Herzen, mit ganzer Seele und ganzem Gemüth, mit allen unsern Kräften und Gaben lieben, lieben wir ihn recht und seinem Willen gemäß. Noch viel deutlicher wissen wir dieß aus der Lehre Jesu und seiner Apostel. Ja, was sage ich aus seiner Lehre? Aus seinem Beispiel wissen wir es; aus der Fülle seines Lebens und seiner Liebe, aus der ganzen Erscheinung seines Wesens können wir es entnehmen, was es heißt Gott lieben. Wie er den Vater geliebt, wie er alles in seine Hand gestellt, wie er alles hingegeben und geopfert, so sollen wir den Vater lieben; so durch ihn, den Sohn, zu dieser rechten, uneigennützigen Gottesliebe immer mehr erzogen und herangebildet werden.

Die Liebe zu Gott, wie Christus und seine Apostel sie von uns fordern, ist durchweg entgegengesetzt der Liebe zur Welt, weßhalb auch Johannes lehrt: „habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist. So jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters (1. Joh. 2,15). So lange also noch die Welt mit ihrer Lust oder die Welt mit ihrem Schmerz, einen bestimmenden Einfluß auf uns übt, so lange noch die Dinge außer uns, welche die Welt bilden oder die Regungen in uns, welche von der Welt stammen, die Regungen der Selbstsucht, des Eigennutzes, der Eitelkeit uns beherrschen, so lange die Frage, ob unserm äußern Menschen etwas nütze oder schade, ob es ihm wohl oder weh thue, ob wir dabei den Beifall oder den Tadel der Welt erndten, uns wichtiger ist, als die Frage, ob es Gott so wolle und ob es uns zu unserm ewigen Heil diene, - so lange können wir nicht sagen, wir lieben Gott. Was Wunder also, wenn bei dieser selbst verschuldeten Knechtschaft, bei dieser selbst erwählten Abhängigkeit von den Dingen, die wir beherrschen sollten, wir uns von ihnen beherrschen lassen und die Last zu fühlen bekommen, die an der Welt hängt? Was Wunder, wenn wir dann bei der geringsten Veränderung, die in unserm äußern Leben vorgeht, bei der geringsten Kränkung unserer Eigenliebe, bei der geringsten Verletzung unseres Eigennutzes, auch wieder mit eben der Welt zerfallen, mit der wir leichtsinnig ein ewiges Bündniß eingegangen hatten. Was Wunder, wenn uns dann die Hinweisung auf Gott und die ewigen Güter kalt und unbefriedigt läßt, wenn sie uns wie eine hohle Formel klingt, wie ein todter Buchstabe uns anstarrt, weil wir uns nie mit diesen Dingen vertraut, ihnen nie unser Herz geöffnet hatten?

Doch ihr findet es natürlich und gerecht, daß wer einmal an die Welt sich verkauft oder auch nur in einen Vertrag mit ihr sich eingelassen habe, auch ihren unsichern Dank davon trage, daß wer auf das Fleisch gesäet, auch von dem Fleisch das Verderben erndte. Aber das wendet ihr ein, daß so viele Redliche und Rechtschaffene, die von der Welt und ihrem Dienste sich losgesagt, die zu treuem Dienste Gottes, zum Gehorsam gegen seine Gebote sich verpflichtet haben, dennoch so häufig mit Leiden und Trübsal heimgesucht werden, das scheint euch ungerecht und ihr fraget: ob denn hier nicht die Behauptung des Apostels, daß denen, die Gott lieben alle Dinge zum Besten dienen, eine große Ausnahme leide? Allein ist es euch so gewiß, daß jene Redlichen, die ihr bedauert, und zu denen ihr vielleicht im Stillen euch selbst mit rechnet, wirklich die seyen, die Gott lieben? Ja, fürchten mögen sie Gott wohl, und sie thun recht daran: denn die Furcht Gottes ist der Weisheit Anfang. (Ps. 111,10.) Aber ob sie ihn lieben? ist eine andere Frage. Die Liebe ist nicht nur der Weisheit Anfang, sie ist des Gesetzes Erfüllung. (Röm. 13,10.) Furcht ist nicht in der Liebe; vielmehr treibt die Liebe die Furcht aus. (1. Joh. 4,13.)

O ihr, die ihr euch auf eure Tugend und Gerechtigkeit stützet mit der Forderung, es müsse darum euch besser gehen als Andern, es dürfe euch nun auch nicht mehr fehlen, ihr möget unternehmen, was ihr auch wollet, prüfet euch, ob ihr, wenn ihr diese Stimmung in euch aufkommen lasset, wirklich noch Gott liebet? Oder verräth es nicht eher eine knechtische Gesinnung der Furcht, als eine kindliche Gesinnung der Liebe, bei jeder Pflichtleistung sogleich auf den Lohn zu schielen, der euer wartet und wo derselbe ausbleibt, nach Art jener Tagelöhner mit dem Herrn zu hadern, weil er vielleicht einem Andern, der weniger arbeitete, einige Groschen mehr bezahlte? Ist es nicht eher Neid, als Liebe zu nennen, wenn du scheel siehest zu der Güte deines Gottes? nicht eher Trotz, als Liebe, die Arbeit aufzukünden, wo der Lohn nicht auf der Hand liegt?

Dieses Rechnen und Rechten mit Gott, wie es so oft bei denen vorkommt, die ihrer Liebe zum Herrn sich rühmen, ist der sicherste Beweis, daß es an der rechten Liebe ihnen noch fehle, und was Wunder daher, wenn eine solche kalte, berechnende Gesinnung sich unglücklich fühlt, wo die Rechnung fehlschlägt, ja doppelt unglücklich, weil sie in dem Wahne befangen ist, es gebühre ihr der Lohn von Rechtswegen auch dann, wenn sie nur gethan hat, was sie zu thun schuldig war.

Ihr sehet also, daß weder die Einen Gott lieben, die noch an der Welt hangen, noch die Andern, die nur aus Lohnsucht der Welt abgesaget haben und deren Liebe deßhalb eine eigennützige ist, wie die Liebe jener eine flüchtige und halbe. Und wenn also unsre Liebe zu Gott nicht höher steht, als die eine oder andere, so haben wir unsern Lohn dahin, und können uns nicht rühmen, daß alle Dinge uns zum Besten dienen. Erst dann, wenn wir von allen Schlacken der Selbstsucht uns gereinigt, wenn wir als Jünger und Jüngerinnen Jesu, von der Welt und ihrer Lust uns losgesagt, wenn wir als evangelische Christen auf alle Selbstgerechtigkeit und alles eigene Verdienst verzichtet, wenn wir als Kinder Gottes uns ganz in die Vaterarme der ewigen Liebe geworfen haben, nichts anderes verlangend und erwartend, als was sie uns geben will aus lauter Gnade, erst dann wenn wir als Erben der Gerechtigkeit nichts höheres begehren und von keinem andern Gute, von keiner andern Seligkeit etwas wissen wollen, als selig zu sein in Gott, erst dann dürfen wir uns - und auch da nur in aller Demuth und Bescheidenheit - zu denen rechnen von denen der Apostel sagt, sie lieben Gott, und von diesen allein gilt das Wort, daß ihnen alle Dinge zum Besten dienen: von diesen aber auch ohne Ausnahme und ohne Beschränkung.

2.

Alle Dinge sagt der Apostel, sollen denen, die Gott lieben, zum Besten dienen, durchaus alle. Er hebt somit geradezu jenen Unterschied auf, den die Welt macht zwischen glücklichen und unglücklichen Verhältnissen, zwischen freudigen und traurigen Begebenheiten, zwischen Armuth und Reichthum, zwischen Gesundheit und Krankheit, Ehre und Geringschätzung, Leben und Tod - alle, alle Dinge, sie mögen Namen haben, welche sie wollen, sollen uns zum Besten dienen. Und so ist es in der That bei denen die Gott lieben. Ist einmal Gott wirklich der höchste, ja der einzige wahre Gegenstand unserer Liebe, unseres Nachdenkens, unserer Sehnsucht, unseres Strebens geworden, o so muß ja alles andere diesem höchsten Zwecke sich unterordnen, alles andere ihm nur als Mittel dienen, und das Loos mag dann fallen, wie es will, immer schlägt es wieder aus zu dem Heile, das wir nun einmal in ihm gefunden haben, wie ja auch der Apostel noch an einem andern Orte unseres Briefes von den wahren Christen sagt, daß nichts, gar nichts sie scheiden könne von der Liebe Gottes, die in Christo ist. (Röm. 8,39.)

Wenn wir demnach sagen, alle Dinge müssen denen die Gott lieben, zum Besten dienen, so muß es gelten sowohl von dem, was die Welt Glück, als von dem was sie Unglück zu nennen pflegt. Beide, glückliche wie unglückliche Dinge müssen uns zum Besten dienen.

a. Daß das Glück dem Menschen zu seinem Besten gereiche, das scheint den Meisten so ausgemacht daß es ihnen überflüssig scheinen möchte, zu zeigen, wie dieß besonders von dem Christen gelte, ja thöricht zu behaupten, es gelte von dem Christen allein. Das Glück ist es ja, so werden sie sagen, nach dem Alle ohne Unterschied jagen und haschen; wie soll es also nur denen zum Besten dienen, die Gott lieben? Und doch ist es so. Wer von dem Glück erwartet, daß es ohne weiters zu seinem Besten diene, ohne daß die Liebe zu Gott es erst heiligt und verklärt, der fühlt sich in seiner Erwartung getäuscht. Ach, wie manchem ist schon sein vermeintes Glück zum Unglück zum Verderben geworden! Wie mancher hat durch den guten Erfolg seiner Unternehmungen sich zum Leichtsinn, zum Hochmuth, zur Sicherheit verleiten lassen? Wie viele haben, indem sie dem Glück vertrauten, Schaden genommen an ihrer Seele! Der Reichthum hat ihre Herzen verhärtet, der Wohlstand ihre Sinne verweichlicht, eine andauernde Gesundheit sie unempfindlich gemacht gegen fremdes Leiden, die Achtung und das Ansehen, das sie genossen, den Dünkel und die Anmaßung in ihnen genährt. So sehr ist das Glück verführerisch, daß sogar manche ängstlich fromme Seelen sich vor demselben fürchten und an der Liebe Gottes irre werden, wenn er ihnen zu lange die Sonne desselben scheinen läßt, so daß sie ihn fast um Kreuz und Leiden bitten möchten; damit sie nicht im Glücke sich versündigen. Ferne sei von uns jedoch diese falsche Aengstlichkeit, die selbst noch ein Ueberrest ist von einem noch ungeläuterten Sinne. Nein! das Glück soll dir zum Besten dienen, o Christ! wie alle Dinge. Darum nimm es dankbar an aus der Hand deines Gottes. Ist deine Liebe nur stets wach und frisch, so hast du dich vor dem Glücke nicht zu fürchten. Mit heitern,, stillvergnügtem Kindersinne nimm sie hin, die Gabe des Vaters, als ein Geschenk, womit er dich erfreuen und beglücken, womit er zur Zeit dich üben und prüfen will. Schenkt er dir Gesundheit des Leibes und Munterkeit des Geistes, wie sollten sie dir nicht zum Besten dienen? wie solltest du nicht bei dem Frohgefühl, das mit jedem Erwachen gleich der Morgenluft auf dich einströmt, auch wieder neu dich gestärkt fühlen an Leib und Seele, neu aufgelegt zum Preise dessen, den die Schöpfung lobt in tausend freudigen Chören; wie solltest du nicht gerne diese Kräfte verwenden in dem großen Haushalt der Güte und Liebe, in den du dich durch seine Gnade hineingestellt fühlst? - Sind es andere Güter, Besitzthümer und Schätze dieser Welt, mit denen dich Gott bedacht hat, wie sollten dir nicht auch diese zum Besten dienen? So groß auch die Gefahr des Reichthums für die ist, deren Herzen noch getheilt sind zwischen Gott und dem Mammon, so schön ist der Wirkungskreis des Begüterten, wenn er Gott liebt. Welche Mittel sind in seine Hand gelegt, Großes und Herrliches zu stiften, Thränen zu trocknen, Liebe und Barmherzigkeit zu ueben an vielen Tausenden, und so durch die äußere Gabe sich den Weg zu bahnen zum innern Wohlthun, zum Wohlthun an den Herzen? - Sind es Geistesgaben, durch die du dich vor Andern auszeichnest, ist es ein diesen Gaben angemessener Wirkungskreis, womit das Zutrauen deiner Brüder dich ehrt, wie sollte dir eine ehrenvolle, einflußreiche Stellung im Leben nicht wiederum zum Besten dienen, sobald du dein Amt im Geiste der Liebe zu verwalten verstehst? -Hat Gott der Herr durch Bande des Blutes oder der Freundschaft dich zusammengeknüpft mit deinen Lieben, hat er einen schönen blühenden Familienkreis um dich gezogen, warum soll dir die Liebe, die du von da empfängst und die Liebe, die du erwiderst, dir nicht zu deinem Besten, dir nicht zur würdigsten Unterlage der Gottesliebe dienen, in der du dich übst? - Ja, wie Gott selbst in seinem großen Haushalt alles zu unserm Besten leitet, so können wir, wenn wir in glückliche Verhältnisse uns gestellt sehen, gleichsam mithelfen, mitwirken, mitbeglücken. O welche Seligkeit, welcher reiche Gewinn für uns selbst! Versteht es wohl, meine Brüder! Nicht die Güter selbst sind es, die äußern, die uns beglücken, (denn sie sind wandelbar wie alles Irdische,) aber Gott ist es, der durch sie uns beglückt; der Geist der Liebe ist es, der durch sie thätig ist und der sie uns zum Besten dienen läßt.

b. Eben darum aber fühlen wir uns auch dann nicht verlassen, wenn Gott statt dieser Mittel andere wählt, um uns zum Heil zu führen, wenn die glücklichen Verhältnisse sich ändern, wenn kranke Tage an die Stelle der gesunden, Mangel an die Stelle des Wohlstandes, Verkennung und Mißachtung an die Stelle der Achtung und des Zutrauens treten, wenn der Tod das Leben verdrängt, wenn mit einem Worte das bei uns einkehrt, was die Welt das Unglück nennt. Ist doch dieß nur die Kehrseite des Lebens, die auch mit zum Leben gehört, und die denen, die Gott lieben gleichfalls zum Besten dienen soll! - Davon freilich überzeugen wir uns in der Regel schwerer, und es bedarf allerdings noch eines höhern Grades von Glauben und Vertrauen, noch eines reichern Maaßes von ächter Gottesliebe, wenn dieser Zweck an uns erreicht werden soll. Alle Züchtigung, wenn sie da ist, dünkt sie uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu seyn; aber darnach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit, denen die dadurch geübet sind. (Hebr. 12,11.) Und eben diese Uebung ist es, die wir als den über uns verhängten Gnadenrath Gottes nicht verkennen werden, so anders der Geist der Gottesliebe in uns thätig und lebendig ist. Ja, Gott will dich üben und prüfen durch die Leiden, die er dir bereitet. Wie er gestern noch durch liebliche Gefilde deinem Ziele dich entgegenführte, so verengt sich jetzt der Pfad, und das Gebirge wird steil und die Luft wird scharf; die blumenreichen Thäler liegen hinter dir weit ab, und du wandelst durch Nebel, durch Dornen und Gestrüppe; aber du wandelst gleichwohl an der Hand Gottes demselben einen großen Ziele zu. Er, dein Führer, er kennet das Ziel…

Den Sternen und den Winden
Bestimmt er ihre Bahn,
Sollt' er nicht Wege finden,
Die dein Fuß gehen kann?

Dem Schüler, den der Lehrer auf eine höhere Stufe versetzt, dem er Höheres und Schwierigeres zumuthet als zuvor, dünkt es auch nicht Freude zu seyn, sondern eine Last. Aber wenn er die zarten Kräfte zu üben begonnen, wenn er des Lehrers liebende Nachsicht und Nachhülfe erfahren, wenn er selbst in der Strenge, womit ihn dieser zur Arbeit anhielt, seine Wohlmeinenheit erkannte, dann möchte er auch um keinen Preis wieder zurück auf die Kinderbank, um auf ihr zu tändeln, zu spielen, zu schlummern. Mit Dank wird er auf die durchlaufene Bahn zurückblicken und der gelösten Aufgabe sich freuen.

Das sollen wir aber nicht vergessen, daß auch die Leiden nur denen zum Besten dienen, die Gott lieben. Zwar haben alle Leiden in der Hand Gottes den Zweck, die Menschen zu bessern, zu züchtigen, sie zu heiligen und zu läutern. Auch der Ungerechte soll durch sie aus seinem Sündenschlaf geweckt, der Leichtsinnige durch sie zur Erkenntniß gebracht, der Stolze und Selbstgerechte durch sie gedemüthigt werden. Aber nur langsam und nach hartem Widerstand erreichen sie diesen Zweck an denen, die ihr Herz von der Liebe abgewendet haben, und erst wenn dieses Herz weich und mürbe gemacht, wenn es für die Eindrücke der Liebe wieder gewonnen und empfänglich geworden, erst dann kann die heilende und bessernde Kraft der Leiden sich an ihm bewähren. Dem Ungebesserten, dem Trotzigen dient das Uebel nur zur Verhärtung und zur Verstockung, gleichwie ihm das Glück zum Fallstrick und Verderben geworden. Der Selbstgerechte wird durch die traurigen Erfahrungen, die er macht, nur noch mehr erbittert und in dem Wahn bestärkt, es geschehe ihm Unrecht. Eine Zeitlang wird er vielleicht die Leidensprobe als ein muthiger Tugendheld bestehen wollen, er wird in den Leiden eine Herausforderung an seine Kraft erblicken, sich mit ihnen, ja mit Gott zu messen. Aber wenn dann die natürliche Kraft des Willens verzehrt ist und der gehoffte Lohn noch immer außen bleibt, dann wird es ihn reuen, daß er so lange ausharrte. „Ein Thor ist der“, wird er sagen, oder noch an einen Sieg des Guten, der noch an Vorsehung und Vergeltung, der noch an menschliche Tugend glaubt.“ Zerreißen wird er die Rechnung, die ihm Gott als seinen Schuldner weist und ihm aufkünden den Vertrag, den er mit ihm gemacht hat.

Wie ganz anders bei denen, die schon in guten Tagen Gott geliebt und denen diese guten Tage zum Besten gedient haben. Mit Hiob werden sie sprechen „Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen.“ (Hiob, 2,10.) In dem Wiederschein des bisher genossenen Glückes und Segens wird der Schmerz sich mildern und die Klage sich mäßigen. Wie dort es nicht das äußere Glück an sich war, das sie freudig stimmte, sondern die Liebe Gottes, die in demselben sich offenbarte, so wird ihnen nun auch alles willkommen seyn, was in dieser Liebesgemeinschaft sie fördert, es sey süß oder bitter.

Wie sie in gesunden Tagen den Gott der Liebe erkannten, bei jeder auch der kleinsten Freude, die er ihnen gewährte, seine Güte priesen; so werden sie nun auch auf dem Krankenlager seine Huld erkennen, sey es in der Linderung der Schmerzen, die er ihnen gewährt, sey es in der Liebe der Ihrigen, die ihnen jetzt in doppeltem Maaße zu Theil wird. O fraget alle die, welche hier aus Erfahrung reden können, fraget sie, ob sie nicht auch auf und an dem Krankenbette ihre eigenen Freuden erlebt haben, Freuden, welche die Welt ihnen nicht bieten konnte; Freuden, welche selbst das harmloseste Glück, die heiterste Stunde ihres frühern Lebens nicht aufwägen können. Wer bei den Gütern dieser Welt in der Liebe des Nächsten und durch sie wieder in der Liebe zu Gott sich übte, der wird nun auch in den Tagen des Mangels durch Geduld, durch Vertrauen, durch Arbeit und Genügsamkeit reich seyn lernen in Gott. - War die Ehre und das Ansehen, die du bei der Welt genössest, dir ein Sporn weiser Thätigkeit im Reiche Gottes und eine Ermunterung im Guten, so wird dir nun auch die Verkennung der Welt und die Zurücksetzung, die du erfährst, zum Besten dienen. Du wirst um so eifriger suchen die Ehre bei Gott und in dem Zeugniß eines guten Gewissens den ungeschmälerten Lohn deiner Treue finden. Und wenn denn endlich auch die dir wieder entzogen werden durch den Tod, die dir im Leben das Leben versüßt, wie sollte nicht auch ihr Heimgang, ihr seliges Ende, ihr Fortleben in Gott deinen Glauben stärken, dich mit engern Banden an den Himmel ketten und dich einst den Tod freudig überwinden lassen. Sehet meine Freunde, das ist eben die rechte Freiheit der Kinder Gottes, welche der Apostel so hoch rühmt, jene Freiheit, welche den Christen zu einem Herrn aller Dinge macht, also daß er nicht den Dingen dienstbar wird, sondern daß die Dinge ihm dienen und zwar zu seinem Besten dienen durch die Liebe.

Und so laßt uns denn dieser Freiheit uns würdig machen bei allen Führungen, die Gott auf unserm Lebenswege uns zugedacht hat. - Glück und Unglück laßt uns beide nur als Mittel betrachten, in der Liebe zu Gott, dem einzig wahren Gute, befestigt zu werden. Und wenn wir auf die eine oder andere Weise wahrnehmen, daß die Dinge, die uns begegnen, uns nicht zum Besten dienen, daß das Glück uns sicher, das Unglück uns verzagt oder trotzig machen will, o so sey uns dieß ein Merkzeichen, daß die rechte Liebe in uns noch nicht erwacht oder bereits erkaltet seyn müsse, und indem wir so durch die Erfahrungen, die wir machen, zu dieser Prüfung, zu dieser Nachfrage nach der rechten Liebe veranlaßt werden, wird auch dieß zu unserm Besten dienen. So führt auf der einen Seite die Liebe zu Gott zu der Erkenntniß, daß uns alle Dinge zum Besten dienen, und von der andern Seite leitet diese Erkenntniß uns wieder an zur rechten Liebe und führt in ihre Tiefen zurück. Eines ist gleichsam die Probe des Andern, eines führt zum andern, eines hilft dem andern.

Wie murren denn die Leute noch länger also? Ein jeder murre wider seine Sünde (Klagl. 3, 39), wider den Mangel an Liebe in ihm. Darum lasset uns forschen und suchen unser Wesen und uns zum Herrn bekehren. (Ebendas. V. 40.) Nicht dem zähen, spröden Thone laßt uns gleichen, der sich vergebens sträubt, unter den Händen des Töpfers, indem er zu ihm spricht, was machest du? Einen weichen, bildsamen Stoff laßt uns ihm entgegenbringen in unsern Herzen, und wie er uns dann auch anfasse und bearbeite, wir wollen ihm stille halten, und er wird aus uns bilden Gefässe seiner Ehre nach seinem Wohlgefallen. Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/h/hagenbach_karl_rudolf/hagenbach-gott_lieben.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain