Hagenbach, Karl Rudolf - Die stetige Erneuerung des inwendigen Menschen bei der Hinfälligkeit des äußern.

Hagenbach, Karl Rudolf - Die stetige Erneuerung des inwendigen Menschen bei der Hinfälligkeit des äußern.

(Zwischen Ostern und Pfingsten.)

Text: 2. Cor. 4, 16
Darum werden wir nicht müde, sondern ob unser äußerlicher Mensch verweset, so wird doch der innerliche von Tage zu Tage erneuert.

Nicht müde zu werden auf der beschwerlichen Lebensreise, nicht unterzusinken im Kampfe, das ist's, um was wir, als um eine große Gnade, täglich Gott zu bitten haben. Zwar wenn wir das Leben nur oberflächlich betrachten und unsern Blick mehr nur streifen lassen über den Kampfplatz, als daß wir ihn fest auf einen Punkt richten, so will es uns scheinen, als könne man nicht über große Ermüdung klagen unter den Menschen; vielmehr will es uns vorkommen, als ob ein rastloses Streben und Ringen sich aller Geister bemächtige, als ob in endlosem Wettkampfe einer dem andern den Kranz zu entreißen suche, nach dem sie sich alle außer Athen, laufen, und fast eher möchte man klagen über die allzugroße Thätigkeit und Unruhe des Lebens, als über Ermattung. Aber wenn wir etwas tiefer in den Strom hineinschauen, der Welle an Welle vor unserm Blicke vorübertreibt, so werden wir doch bald gewahr werden, wie eben diese Unruhe, dieses endlose Treiben zu jener Ermüdung hinführt, und wenn wir auch auf den ersten Augenblick lauter rüstige Wettläufer an uns vorüberziehen sehen, so gewahren wir denn doch hie und da einen Müden, der dahinten bleibt, und der unter der Last, die er trägt, beinahe zu Boden sinkt. Und könnten wir auch jene alle, die so lebensmuthig und kampflustig an uns vorübereilen, bis an ihr Ende verfolgen, wir würden einen manchen muthlos umkehren, manchen kraftlos zusammenbrechen sehen auf der Hälfte des Weges. Darum rühme sich keiner seiner Kraft, oder wer je sich rühmen will, der rühme sich des Herrn; keiner sage, daß er der Ermunterung nicht bedürfe, nicht müde zu werden.

Aber diese Ermunterung, würde sie uns nur schlechthin zugerufen, ohne daß uns zugleich der Stab gereicht würde, der uns vor Ermüdung schützt, wir hätten damit nichts gewonnen. Nun aber reicht uns der Apostel in unserm Texte zugleich diesen Stab, wenn er uns auf das hinweist, was allein vor aller Ermüdung bewahrt, auf die stetige Erneuerung unseres inwendigen Menschen, wenn er die Kämpfe, die auch wir zu bestehen haben, in Verbindung bringt mit dem großen Erziehungsplane Gottes, der durch Trübsal uns läutern, der selbst durch Abnahme des äußern Menschen, den inwendigen in uns herausbilden, zur Reife bringen und vollenden will. Es ist daher wohl der Mühe werth, daß wir in diesen Tagen, da die christliche Kirche gleichsam eine ununterbrochene Siegesfeier begeht, uns auch das rechte Siegesgefühl zu verschaffen suchen, welches uns allein eine solche Betrachtungsweise gewährt, wie der Apostel sie in unserm Texte an den Tag legt, und so laßt uns denn nach Anleitung eben dieser Textesworte miteinander reden: von der stetigen Erneuerung des inwendigen Menschen bei der Hinfälligkeit des äußern. Wir werden dabei vor allem zu fragen haben I. was der Apostel unter dem äußern und was er unter dem inwendigen Menschen versteht, sodann II. sehen müssen, in welches Verhältniß er beide zu einander setzt und dann können wir erst recht den Gewinn erwägen, den unser inwendiger Mensch aus diesem Verhältniß zu ziehen hat.

Der du aber unser äußeres Leben nach deiner Weisheit ordnest und auf den Grund unsers inwendigen Lebens schauest mit Augen der Liebe, der du in allen Dingen unser Bestes suchst, himmlischer Vater in Jesu Christo, begleite auch diese Betrachtung mit deinem Segen und laß sie gereichen zur Stärkung unseres inwendigen Menschen. Amen.

I.

Die Frage, was der Apostel unter dem äußern und was er unter dem inwendigen Menschen verstehe, scheint auf den ersten Augenblick keiner weitern Erörterung zu bedürfen. Der äußere Mensch, so werden Viele sagen, ist der Leib und der inwendige Mensch die Seele, und die also sagen, haben auch nicht ganz unrecht, obwohl sie damit zeigen, daß sie es mit ihrer Erklärung nicht allzu genau nehmen; denn wenn wir etwas tiefer in den Sprachgebrauch des Apostels einzudringen suchen, so werden wir bald finden, daß er noch gar vieles von dem zu dem äußern Menschen rechnet, was wir sonst dem Leben der Seele zuschreiben und daß er mithin keineswegs den äußern Menschen bloß und allein auf das Leibliche beschränkt. Der äußere Mensch faßt vielmehr das in sich was der Apostel anderwärts den natürlichen Menschen oder den Seelenmenschen nennt, und was sonst die heilige Schrift auch mit dem Ausdrucke „Fleisch“ bezeichnet, worunter sie nicht bloß das eigentliche Fleisch, sondern alles das versteht, was auf dieses äußere Leben Bezug hat und nach außen gerichtet ist. Wie wir uns nun den Menschen überhaupt denken als bestehend aus Leib und Seele, so hat auch der äußere Mensch seinen Leib und seine Seele. Oder wer möchte behaupten, bloß unser leibliches Leben stehe mit der leiblichen und sinnlichen Welt in Verkehr und unser geistiges Wesen diene nur dem Geiste und sey nur nach innen gerichtet? Wer, der nur einigermaßen schon sich und andere beobachtet hat, wird nicht vielmehr gestehen müssen, daß gerade das, was wir unser Inwendiges nennen, die eigentliche Wurzel unseres Wesens, mit ihren zartesten Fasern, geheimsten und kräftigsten Trieben gar sehr verflochten sey in die Welt und in das äußere Leben, und so weit diese Verflechtung geht, so weit wir uns berührt, gereizt oder gedrückt fühlen von der Welt und bestimmt durch sie, so weit geht unserer äußerer Mensch. Er verzweigt sich also nicht nur in alle Nerven und Adern dieses sichtbaren Leibes, sondern er durchzieht mit seinem Schatten auch die verborgensten Tiefen unsers Geistes und verdunkelt so oft das Licht des inwendigen Menschen in uns. Ueberall begegnen wir seiner Spur, und oft wo wir den inwendigen Menschen schon zu haben und zu besitzen glauben, hat uns nur der äußere getäuscht mit seinem Scheine und wir haben ein Trugbild umfaßt. „Der äußere Mensch“, so werdet ihr nun sagen, „ist also die Sünde, mit all' ihrem Verderben, nach Seele und Leib.“ Allein damit hättet ihr wieder zu viel gesagt, und mehr, als was der Apostel damit sagen will. Allerdings ist, wie wir gleich sehen werden, der äußere Mensch mit dem Menschen der Sünde enge verwandt und nur zu geneigt, mit ihm die innigste Verbindung einzugehen; aber an und für sich ist der äußere Mensch noch nicht der sündige Mensch, so wenig als das Fleisch nach dem Sprachgebrauche der Bibel an und für sich schon die Sünde ist; denn wie hätte sonst Gott sich offenbaren können im Fleisch, wie hätte Christus können im Fleisch geboren werden? Nein, so wenig diese äußere Welt, die Gott geschaffen hat, an und für sich schon eine böse Welt ist, weil sie eine sichtbare ist, eben so wenig ist der äußere Mensch selbst schon darum ein böser, weil er eine äußere und sichtbare Gestalt hat. Wir haben uns also unter dem äußern Menschen einfach den von Gott geschaffenen Menschen zu denken, aber den Menschen, wie er zu dieser sichtbaren Welt in Beziehung tritt und wie ihn Gott selbst zu ihr in Beziehung gesetzt hat.

Und so verstehen wir darunter allerdings zunächst unsern Leib, wie er, von dieser Erde genommen, wieder zu dieser Erde zurückkehrt, und daß dieser äußere, leibliche Mensch ein verweslicher, daß er der Hinfälligkeit unterworfen ist, bedarf keines Beweises. Nicht nur macht der Tod mit den Verwüstungen, die er täglich vor unsern Augen anrichtet, diesen Beweis überflüssig, sondern auch die ganze Einrichtung unseres Leibes zeigt uns, wie der Keim der Verwesung in ihn gelegt ist, und wie diese Verwesung schon bei gesundem und lebendigem Leibe beständig in uns eindringt, so daß auch da, wo wir in der höchsten Lebenskraft uns wähnen, schon der Tod seine Axt an die Wurzel derselben gesetzt hat. Aber, wie gesagt, zum äußern Menschen gehört noch mehr, als der Leib.

Auch die Gaben und Kräfte unserer Seele, die das eine Mal den Leib regieren, das andere Mal ihm dienstbar werden, die auf den Unterhalt, auf den Genuß, die Anordnungen und Einrichtungen dieses Lebens gerichtet sind, Gedächtniß, Verstand, Witz, Einbildungskraft und wie ihr sie alle nennen mögt, auch sie gehören, so fein und geistig sie auch gedacht werden mögen, zu unserm äußern Menschen, und unterliegen seinem Schicksal. Das trefflichste Gedächtniß nimmt mit dem Alter ab, wie unsere Sinne; unser Verstand kann schwach, unser Witz stumpf und blöde, unsere Einbildungskraft matt und kindisch werden. Denn auch hier gibt es, wie im leiblichen Leben einen Höhenpunkt, den die Menschen, freilich in sehr verschiedenen Graden, erreichen, und von dem sie dann wieder herabsinken; die schönsten Talente und Fertigkeiten welken mit des Leibes Kraft und Schönheit wie des Grases Blume dahin.

Zu dem äußern Menschen gehört noch weiter das. Was der Mensch nach außen schafft und wirkt, der Kreis seiner Thätigkeit, den er um sich herumzieht, die Bahn, in der er sich bewegt, der Beruf, den er treibt, das Amt, das er bekleidet, das Vermögen, das er sich sammelt, das Ansehen und der Einfluß, die er gewinnt, die Genüsse, auch die edlern und geistigen Genüsse, die er sich verschafft, das alles, sein ganzer Lebens- und Wirkungskreis, womit er seinen Leib wie mit einem zweiten Leibe umgibt; sein Kleid, sein Haus, sein Hof, sein Wehr und Waffen, sein Schmuck, seine Zierde, das alles gehört zum Gerüste des äußern Menschen, und daß dieses Gerüste einbricht mit ihm, daß alles, wie wir's eben genannt haben, der Vergänglichkeit unterliegt, ist wieder keinem Zweifel unterworfen; denn nicht nur muß der Mensch dieß alles verlassen bei seinem Tode, sondern noch während seines Lebens kann er Zeuge seyn von der Abnahme dieses seines äußern Menschen; er kann sich aus dem ruhigen Besitze seiner Glücksgüter verdrängt, in seinem Amte vielfach gehemmt, in seinem edelsten Bestreben verkannt, in seinen schönsten und unschuldigsten Genüssen gestört und in seinen Hoffnungen auf's Bitterste getäuscht sehen, so daß ihm vorkommen will, als stürbe er bei lebendigem Leibe dahin.

Aber noch mehr. Auch das noch gehört zu deinem äußern Menschen, was freilich schon tief an den innern Menschen hinanreicht, weil es mit deinem Gemüthsmenschen auf's Innigste verwachsen ist, ich meine das Leben derer, die als die Erweiterung deines eigenen Lebens betrachtest, und in denen du dein eigenes Leben wiederfindest und wieder erkennst. Ja der Kreis der Deinigen, dein Familienkreis, das Heiligthum, die edelste Burg deines äußern Menschen, in die er sich so gerne zurückzieht, wenn er sich überall sonst aus dem Felde geschlagen sieht; wisse, auch dieses, dein Schönstes und Herrlichstes, was du auf Erden hast, ist doch nur ein Stück deines äußern Menschen, das auch mit ihm dahinfällt. -

Ein Glied um das andere löst ja auch von diesem Leibe der Familie sich ab, und du siebest eines um das andere von den Deinen dahin gehen den Weg alles Fleisches, und wenn dir dann kein anderes Gefühl bleibt, als das der Trauer über den Verlust, so wisse ferner, daß du auch noch mit deinen Gefühlen, und wären es auch die edelsten und zartesten Gefühle deines Herzens, hineinverwachsen bist in den äußern Menschen, der als bloßer Gefühlsmensch über den Kreis des Sichtbaren sich ebenso wenig zu erheben vermag zum wahren Gedanken der Unsterblichkeit, als der bloße Sinnenmensch und der Mensch des weltlichen Verstandes und des weltlichen Strebens. Siehe, das ist also der äußere Mensch, nach dem ganzen Umfang des apostolischen Wortes. Diesem äußern Menschen nun setzt der Apostel den inwendigen entgegen, und daß er unter diesem nicht nur das verstehen könne, was wir gemeiniglich den Geist nennen, und was die Welt so nennt, das geht aus dem Bisherigen hervor; denn wir haben ja eben gesehen, daß so manches von dem, was die Welt als geistige Vorzüge preist, dennoch zum äußern Menschen gehöre, und wir sagen daher, indem wir bis in die innersten Tiefen unsers Wesens zurückgehen: Der inwendige Mensch ist nichts mehr und nichts weniger, als der Mensch Gottes in uns, das göttliche Ebenbild, wie es ursprünglich unserm Wesen mitgegeben war, ehe die Sünde es entstellte, wie es wieder ist hergestellt worden durch Christus den Gottmenschen, und wie es in uns wiedergeboren werden soll durch den heiligen Geist. Wie nun der äußere Mensch uns alles das heißt, was der Welt zugekehrt ist und mit der Welt in Verbindung steht, mithin auch vergänglich ist wie sie, so heißt der inwendige Mensch das, was sich Gott und dem Göttlichen zugekehrt, ja, was in Gott selber Fuß und Wurzel gefaßt hat und von seinem Wesen ganz und gar durchdrungen ist; was über den Zusammenhang mit diesem äußern Leben uns hinaushebt in einen höhern und uns in das Erbe und Reich der Kinder Gottes versetzt. Wollt ihr's mit dem Apostel Glaube, Liebe, Hoffnung, wollt ihr's mit ihm die neue Creatur, wollt ihr's Christus in uns, wollt ihr's mit Johannes das ewige und das selige Leben nennen, das wir schon hier haben bei uns bleibend, oder wollt ihr's das Geheimniß der Gottseligkeit, den Frieden Gottes nennen und den Himmel in uns, so habt ihr unter verschiedenen Wendungen und mit verschiedenen Nebenbeziehungen, doch in der Hauptsache das getroffen, was der Apostel den inwendigen Menschen nennt, wenn er sagt, daß ob auch unser äußerer Mensch verwese, doch dieser inwendige von Tag zu Tag erneuert werde. Laßt uns nun dem Verhältnisse, in das er den inwendigen Menschen zum äußern stellt, genauer nachdenken.

2.

Man könnte sich leicht dem Gedanken hingeben, als betrachte der Apostel den äußern und den inwendigen Menschen als unversöhnliche Feinde, als rein unverträgliche Dinge, und als müsse nothwendig der äußere Mensch zu Grunde gehen, wenn der innere gedeihen soll, oder als müsse nothwendig der innere unterliegen, so lange der äußere noch sich wohlbefinde. Allein wir müssen uns wohl in Acht nehmen, daß wir dem Wort des Apostels nicht mehr unterlegen, als er gewollt hat. Wir haben schon gesehen, daß der äußere Mensch noch nicht an und für sich die Sünde ist, obwohl er allerdings ein üppiger Boden werden kann für die Sünde, und darum kann es auch nicht der Sinn des Apostels seyn, daß der äußere Mensch nothwendig und unter jeder Bedingung untergehen müsse, damit der inwendige Mensch in uns sich aufthue und erstarke. Dahin lauten auch nicht unsere Textesworte; denn es heißt nicht: es sey denn, daß der äußere Mensch verweset, so kann der innere nicht erneuert werden; sondern es heißt bloß: ob unser äußerer Mensch verweset, auch auf diesen Fall hin, wird doch der innerliche von Tag zu Tag erneuert. Der Apostel läßt also die Möglichkeit offen, daß auch bei dem Gedeihen des äußern Menschen der inwendige sich erneuern, daß er in uns aufkommen und fortschreiten könne. Und wer möchte es denn läugnen, daß Gott sich oft und viel unseres äußern Menschen bedient, um durch ihn den innern zu heben, und ihm zu seiner Entwicklung zu verhelfen? Wir wissen es ja alle, durch wie enge Bande der Schöpfer Leib und Seele verbunden hat, und wie daher eine gleichmäßige Entwicklung beider von jeher zu den Aufgaben einer vernünftigen Erziehung gehört hat, ja, wie wir offenbar Unrecht thun würden, wenn wir in der Meinung, den inwendigen Menschen zu fördern, unser leibliches Leben und das unserer Kinder vernachlässigten und es aus mißverstandner Frömmigkeit verkümmern ließen oder gar gewaltsam unterdrückten. Haben doch nicht nur die Alten der vorchristlichen Welt eine gesunde Seele in einem gesunden Leibe für das Höchste geachtet, sondern auch der Apostel fordert uns auf, daß wir dem Fleisch seine Ehre anthun (Col. 2, 23), und daß wir des Leibes warten sollen, doch nicht zu sündlicher Begierde; daß wir den Herrn preisen sollen am Leib und am Geiste, welche beide sind Gottes (l. Cor. 6, 20). Und was vom Leibe gilt, das gilt von dem ganzen übrigen äußern Menschen. So sollen wir ja auch die vorhin genannten Geisteskräfte zur Ehre Gottes in uns ausbilden und nicht wähnen, daß wir durch Vernachlässigung derselben dem inwendigen Menschen irgend einen Gefallen erweisen; als ob etwa die Unwissenheit und die Dumpfheit des Geistes ein Verdienst wären vor Gott. -

Ebenso wird niemand sagen können, daß unser Beruf (vorausgesetzt, daß er ein ehrlicher Beruf ist), daß unser Amt, unser Stand, unser Wirken und Streben auf dieser Welt uns nothwendig von Gott abziehe; wie könnten wir sonst darum beten, „daß Gott jeden rechtmäßigen Beruf segnen wolle,“ wie könnten wir ihm „alle Stände der Christenheit“ in unserm Gebete empfehlen? Auch Reichthum und Besitz, so sehr sie dem Menschen zum Fallstrick werden können, sind an und für sich kein nothwendiges Hinderniß am innern Menschen; vielmehr können auch sie gerade der christlichen Liebe dienstbar werden durch gewissenhafte und zweckmäßige Verwendung. Und am wenigsten wird euer Herz sich dazu verstehen wollen, die zarten Bande, die uns an die Unsrigen knüpfen, als schmähliche Ketten euch zu denken, die an die Sünde uns fesseln. Ihr werdet vielmehr sagen, daß euer Haus und der Segen eures Hauses euch schon oft ein Anlaß geworden zum Dank gegen den Herrn und zu dem freudigen Entschluß: ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen. Und so kann also der ganze äußere Mensch, nach Leib und Seele und nach allen seinen Kräften und Richtungen ein Gefäß, wenn auch immerhin ein schwaches und zerbrechliches Gefäß werden, in welchem wir den verborgenen Schatz unseres inwendigen Menschen tragen sollen. Ja, weit entfernt das Aeußere und Innere des Menschen uns als Feinde zu denken, preisen wir vielmehr die Naturen als die glücklichsten, in welchen wir diese Uebereinstimmung, diese Harmonie des Aeußern und Innern finden, bei denen die Herrlichkeit des innern Menschen herausleuchtet aus der zerbrechlichen Hütte des äußern und deren äußerer Mensch wieder in würdiger Haltung uns den inwendigen in Erinnerung bringt.

Aber eben dieses schöne Verhältniß zwischen dem äußern und innern Menschen, wie selten ist es vorhanden, wie oft ist das Gleichgewicht gestört! Und hier eben, in dieser Störung des Gleichgewichtes, gedenken wir zuerst der Sünde und ihrer verderblichen Macht. Nicht, daß wir einen äußern Menschen haben und einen äußern Menschen im Leben darstellen, ist Sünde; aber daß wir ihn lassen allein walten, daß wir seiner Herrschaft uns hingeben, daß wir seinem üppigen Wuchse keine Schranken setzen und ihn so allmählig den inwendigen Menschen in uns überschatten und überwuchern lassen, das ist die Sünde und das Verderben. Und wer kann sagen, daß ihm dieß nicht schon begegnet, daß ihm nicht schon sein äußerer Mensch über das Haupt gewachsen, ja daß er ihm nicht zum Fallstrick geworden? Wem ist nicht schon das Wort unseres Erlösers recht schmerzlich auf die Seele gefallen: ärgert dich dein rechtes Auge, so reiß es aus und wirf es von dir (Matth. 5, 29), oder jenes andere: Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Ja, meine Freunde, so sehr wir uns freuen dürfen über die gedeihliche Entwicklung unseres äußern Menschen nach allen Beziehungen hin, so lange er dem innern dienstbar ist, so sehr haben wir vor seinem Wachsthum zu erschrecken, wo er die Oberhand gewinnt, und da haben wir es als Gnade zu betrachten, wenn Gott noch zu rechter Zeit dem Wachsthum Einhalt thun und wenn er selbst das scharfe, wehthuende Messer ergreift, die wilden Schosse abzuschneiden, die nur ins Verderben hineinwachsen. Soll ich noch einmal die Beispiele euch aufführen, um es euch zu verdeutlichen, oder ergebenste sich nicht von selbst? So ist ja schon manchem die Stärke und Gesundheit seines Leibes, auf die er trotzte, die Klippe geworden, an der alle Ermahnungen zur Mäßigkeit scheiterten? So hat schon manchen sein Witz, sein Verstand verleitet, auf Kosten des Herzens und der innern Gemüthsruhe, sein Irrlicht leuchten zu lassen vor der Welt und die Ehre zu suchen bei den Menschen, statt bei Gott; so hat der Reichthum die Einen verführt und die Herrschsucht die Andern; so hat mancher den schönsten Wirkungskreis und die Stellung, die ihm angewiesen war, zu schnöden Zwecken der Selbstsucht mißbraucht; ja, so sind selbst die heiligsten Familienbande uns dennoch zu schmählichen Ketten geworden, die uns mehr an die Menschen, als an Gott gekettet und unsern Hausgottesdienst in einen Hausgötzendienst verwandelt haben, weil wir das Wort vergaßen: „wer Vater oder Mutter oder Bruder und Schwester oder Sohn und Tochter mehr liebet, denn mich, der ist mein nicht werth“. Also seht ihr, daß es unter Umständen dem Menschen doch heilsam werden kann, wenn früher oder später der äußere Mensch an seine Hinfälligkeit ernstlich erinnert wird. Aber wie denn ans allen diesen Erinnerungen und Züchtigungen Gottes, so schmerzlich sie uns dünken, eine heilsame Frucht der Gerechtigkeit hervorwachsen soll, so ist es auch hier, und so sind wir denn auch jetzt erst auf dem Punkte angelangt, wo wir den Gewinn erwägen können, den unser innerer Mensch aus diesem Verhältniß zu ziehen hat.

Ob unser äußerer Mensch verweset, das ist der Gewinn, so wird doch der innerliche von Tag zu Tag erneuert. Von diesem Gewinne läßt sich nur aus Erfahrung reden. Nur wer es selbst schon erfahren hat, wie das Dahinsterben des äußern Menschen auf die eine oder andere Weist seinem inwendigen Menschen Gewinn gebracht, und wer sich dieses Gewinnes schon in dem Herrn gefreut hat, der kann so recht von Herzen in das Wort des Apostels einstimmen. Doch auch da, wo die eigene Erfahrung noch gering ist, mag dafür die Beobachtung einstehen, die wir an Andern machen können, die schon durch diese Erfahrung hindurchgegangen sind. Oder wären die Beispiele so selten von denen, die unter dem Drucke körperlicher Leiden geistig herangereift sind, so daß man recht eigentlich mit der Abnahme der äußern Kräfte die innern Kräfte, wie sie der Herr den Schwachen gibt in seiner Gnade, wachsen und gleichsam durch das dünne Gewebe des äußern Menschen hindurchbrechen sah, bis endlich der unsterbliche Geist, frei und ledig der Bände, die ihn hielten, sich zu seiner Heimath emporrang! Freilich sollen wir uns nicht absichtlich Körperleiden auflegen in der Meinung damit den Geist aufzureizen aus seinem Schlummer; aber wo der Herr solche Leiden schickt, wo er uns selber auf das Schmerzenslager legt, ja, da kann für den inwendigen Menschen ein großer, unberechenbarer Segen erwachsen, der auch noch Andern zum Segen gereicht; da kann die Leidensschule den Einen eine Schule der Geduld, den Andern eine Schule der Demuth und der aufopfernden Liebe werden. Und nicht das körperliche Leiden allein, eine jede Abnahme und Verkürzung des äußern Menschen kann dem Wachsthum des innern förderlich werden. Es ist freilich traurig zu sehen, wie selbst hochbegabte und geistreiche Menschen wieder abnehmen können (im Alter oder in Krankheit) an ihren Geisteskräften, aber doppelt erbaulich ist es dann auch, wenn wir wahrnehmen, wie bei dieser Abnahme das innere Glaubenslicht und die Tiefe und Innigkeit der frommen Empfindung nur um so mächtiger zu Tage tritt, und wie die reine Kindlichkeit des Gemüthes oft da wiederkehrt, wo sie über dem bloßen Forschen und Zweifeln und Grübeln sich verloren hatte. Wie mancher, den bei all seinen geistigen Arbeiten nur die Eitelkeit und die Ruhmsucht leitete, ist gerade zu der Zeit, da er nicht arbeiten, den Schatz seines Wissens nicht vermehren konnte, in sich hineingeführt und veranlaßt worden, auch auf die weitere Wege seiner Seele, auf die Bildung seines Herzens, auf sein ewiges Heil bedacht zu seyn; und wo er erst glaubte, einen unersetzlichen Verlust an Zeit und Kraft gemacht zu haben, da haue er hinterher sich eines Gewinnes zu erfreuen, der ihm mehr galt, als alle Schätze des Wissens. Dasselbe gilt, wo wir durch Krankheit oder äußeres Unglück an der Ausübung unsers Berufs gehindert, oder wo wir durch äußere Umstände und Verhältnisse genöthigt werden, einem Wirkungskreise zu entsagen, der uns bisher lieb geworden. Auch da tonnen solche Schickungen, wo wir sie nicht muthwillig herbeiführen, sondern einfach aus der Hand des Herrn nehmen, uns eine heilsame Prüfung und Läuterung werden; auch da kann mitten unter den Entbehrungen und Entsagungen, zu denen wir genöthigt sind, der innere Mensch zur Reife gedeihen, unsere Tugend erstarken, unser Glaube, unser Vertrauen an Innigkeit und Festigkeit gewinnen. Und hat nicht endlich auch schon der Verlust, den uns die Trennung von den Unsrigen gebracht, unsern oft nur zu sehr an das Sichtbare gehefteten Blick wieder mehr zum Unsichtbaren hingeleitet, uns die Welt des Glaubens, die uns fast eine fremde Welt geworden war, wieder zugänglich gemacht, und den Gedanken der Ewigkeit uns näher gerückt? Ja, gestehen wir es uns nur, mitten aus der Verwesung des äußern Menschen ist uns schon oft die Saat für den inwendigen Menschen aufgegangen, und am heißen Sonnenstrahl der Trübsal ist ihre Frucht gereift. Indessen würden wir uns irren, wenn wir glaubten, der Untergang des äußern Menschen führe schon von selbst den Sieg des innern Menschen mit sich, die leibliche Krankheit führe von selbst schon zur geistigen Gesundheit, und das Unglück und der Verlust überhaupt machen uns schon darum, weil sie uns betreffen, der innern Seligkeit theilhaft. Ach, wie Viele sind durch Leiden, durch Unglück und Entbehrung nur bitterer geworden, wie viele haben sich im Trotze befestigt und so ist mit dem äußern Menschen auch ihr innerer zu Grunde gegangen, dieweil sie am Glauben Schiffbruch gelitten. - Wir dürfen aber nur wieder unsern Text genauer ansehen, um vor einer solchen voreiligen Ansicht bewahrt zu bleiben. Es heißt nicht: wenn der äußere Mensch abstirbt, wird der innere in uns geboren; es ist nur die Rede von einer Erneuerung des inwendigen Menschen. Dieser muß also schon geboren seyn in uns, um sich erneuern zu können; wir müssen schon früher, wenn das Unglück uns heilsam werden soll, den Grund zum Heil gelegt, schon früher den Bund mit Gott eingegangen haben, in welchem das Leiden uns nur befestigen soll. Mitunter und ausnahmsweise mag es freilich geschehen, daß auch erst die rechte Leidensstunde die Geburtsstunde unseres innern Menschen wird, und daß uns erst da der Sinn aufgeht für das Göttliche; daß wir erst da, wo wir am Fleische leiden, aufhören zu sündigen; (1. Petr. 4,1) aber nothwendig ist dieß nicht, und in unserm Texte ist davon nicht zunächst die Rede. Der Apostel Paulus wußte schon aus Erfahrung was der innere Mensch ist, er war schon wiedergeboren zum höhern Leben, als er diese Worte schrieb und darum redet er nur von einem Erneuertwerden. Glauben wir also ja nicht, wir müssen erst warten auf die Abnahme des äußern Menschen in irgend einer Art, ehe wir des inwendigen zu pflegen anfangen; wir müssen, (wie man zu sagen pflegt) unsere Bekehrung auf alte und kranke Tage oder gar auf das Sterbebette versparen, oder überhaupt warten bis Trübsal da ist, ehe wir den Herrn suchen. Nein, jemehr wir schon in den guten, in den gesunden Tagen, in den Tagen unserer Kraft und unseres Wohlstandes zu gewinnen suchen am innern Menschen, desto mehr werden wir auch den rechten Gewinn aus den Leiden zu ziehen wissen, wenn sie über uns kommen, und die Erneuerung wird dann eine ächte, wahre Erneuerung seyn auf dem alten schon bewährten Grunde unsers Gemüths; wir werden nicht überrascht und übernommen werden, sondern nur gemahnt, daß wir nicht einschlafen im Werke der Heiligung, sondern uns wach erhalten, uns von Tag zu Tag erneuern.

Und auch das ist nicht gesagt in den Worten unseres Textes, daß diese Erneuerung unseres inwendigen Menschen plötzlich von Statten gehe, daß wir nun auf einmal so wie der äußere Mensch verwest, versetzt werden in das himmlische Wesen, daß wir nun erhaben seyen über alles Menschliche und Irdische, über allen Schmerz und alle Lust. Ach nein, sehr vorsichtig, sehr bescheiden drückt sich der Apostel aus, wenn er sagt wir werden von Tag zu Tag erneuert. In diesem von Tag zu Tag liegt zweierlei. Es liegt darin einmal das Allmählige, aber auch das Stetige des Wachsthums. Nur allmählig, Schritt für Schritt, geht bei der Abnahme des äußern Menschen das Wachsthum unseres innern Menschen vor sich. Wir werden darum nicht unempfindlich für den Schmerz, nicht unempfänglich für die fernern Eindrücke des äußern Menschen, der noch immer ein Recht an uns hat, so lange wir in diesem Leibe wallen; und dieser Kampf ist uns nöthig weil er uns in der Demuth erhält. Aber allmählig reift die edle Frucht denn doch heran, und auch die kleinsten Fortschritte sind doch eben Schritte, und in diesem stetigen Fortschritt, in diesem Erneuertwerden von Tag zu Tag liegt auch wieder eine große Ermunterung. O daß wir doch nur schon in diesem stetigen Fortschritt begriffen wären, und nicht oft wieder Rückschritte machten! daß wir doch mit dem Apostel in Wahrheit sprechen könnten: „nicht daß ich's schon ergriffen hätte, oder schon vollkommen wäre, aber ich jage ihm nach.“ (Phil. 3, 12.) -

Ja, wenn wir einmal nur zu dieser Verfassung unsers Innern gekommen sind, daß wir uns durch nichts, was unserm äußern Menschen widerfährt, mehr anfechten, daß wir uns dadurch vielmehr nur ermuntern lassen, an unserer innern Veredlung zu arbeiten und dem Zuge des göttlichen Geistes hinzugeben, der uns an das Vaterherz Gottes hinanzieht, so ist schon vieles, unendlich vieles gewonnen. Nur dieß und dieß allein vermag uns dann vor jener Ermüdung zu sichern, vor der der Apostel uns warnet. O darum wer du auch seyest, ob du wirklich schon die Last der Leiden erfahren habest oder ob du sie nur kennest, als etwas, dem auch der Glücklichste nicht entgehen kann, sieh dich doch frühzeitig um nach dem innern Menschen, der auch in dir muß erst geboren werden, wenn er sich seiner Zeit in dir erneuern soll; laß dich nicht täuschen durch den Glanz und die Herrlichkeit des äußern Menschen, wie er dir aus der Gestalt dieser Welt entgegentritt, denn die Gestalt dieser Welt vergeht; verachte ihn aber auch nicht, stoße ihn nicht gewaltsam von dir, damit er nicht mit erneuter Gewalt in unbewachter Stunde auf dich eindringe; halte ihn vielmehr wohl in der Zucht und ordne ihn frühzeitig unter dem höhern Gesetze des Geistes; dann kann er dir dienstbar werden zum Bessern, und mußt du ihn denn auch, nachdem er dir gedient als Werkzeug, wieder verabschieden als einen alten Diener, mußt du ihn abnehmen und verwesen sehen, nun dann hast du auch den Gewinn, daß ob auch dieser äußere Mensch verweset, dennoch der innere in dir erneuert wird von Tag zu Tag.

Ihr besonders, Bewohner dieses Hauses, die ihr wenig Ansprüche mehr an den äußern Menschen zu machen habt, wendet eure Pflege um so sorgfältiger dem inwendigen zu; suchet bei äußerer Armuth reich zu werden in Gott, suchet beim Herannahen des Alters euch in ihm zu verjüngen, und mitten unter den Gebrechlichkeiten des Leibes die Seele in der Gesundheit zu erhalten, die er, der lebendige Arzt, euch geben und erhalten will. Aber wir alle, und auch die unter uns, denen das Leben noch manches darbietet, was dem äußern Menschen schmeichelt, trachten wir vor allem nach dem was droben ist; suchen wir täglich der Gesinnung nach mit Christo zu sterben, damit wir auch dem Geiste nach mit ihm auferwecket und in das himmlische Wesen versetzt werden, das unsere ewige Heimath seyn soll. Amen.

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