Goetz, Christoph Wilhelm - Kurze Betrachtungen über die Leidensgeschichte Jesu - Fünfzehnte Betrachtung

Goetz, Christoph Wilhelm - Kurze Betrachtungen über die Leidensgeschichte Jesu - Fünfzehnte Betrachtung

Gelobet seist du Freund der Seelen,
In deiner Huld, wie wohl ist mir,
Du liebtest mich; was kann mir fehlen? -
Ich finde jedes Seil bei dir.
In noch so drückenden Beschwerden
Hab ich den Himmel auf der Erden;
Denn du bist durch den Glauben mein
Weg Welt mit deinen Schmeicheleien!
Du hast nichts mehr mich zu erfreuen;
Mein Freund ist mein, und ich bin sein!

Text: Joh. 18,33-37.
Da ging Pilatus wieder hinein in das Richthaus, und rief Jesum und sprach zu ihm: Bist du der Juden König? - Jesus antwortete: Redest du das von dir selbst, oder haben dir es andere von mir gesagt? - Pilatus antwortete: Bin ich ein Jude? - Dein Volk und die Hohenpriester haben dich mir überantwortet, was hast du getan? - Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darob kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; aber nun ist mein Reich nicht von dannen.

Von Caiphas hatten die Juden Jesum zu dem römischen Landpfleger Pilatus gebracht. Die Frage des Pilatus: Bist du ein König? ließ voraussetzen, dass er den Ausdruck „König“ in einer anderen, als der gewöhnlichen Bedeutung gebrauche, und dass er vielleicht eine Ahnung von der höheren Würde Jesu habe. Man sollte glauben, Pilatus hätte wissen können, dass der Herr nie für einen irdischen König gehalten werden wollte, dass sein Reich nicht von dieser Welt sei, mit sichtbarer, irdischer, vergänglicher Herrlichkeit nichts gemein habe. Deshalb fragte ihn wohl auch der Herr: Redest du das von dir selbst? Doch durch die zweite stolze Frage des Pilatus: Bin ich ein Jude? zeigt sich dieser bald in seiner rechten Gestalt und darum erwiderte ihm nun der Herr: Mein Reich ist nicht von dieser Welt.

Lasst uns diesen Ausspruch Jesu: Mein Reich ist nicht von dieser Welt,

  1. in seiner Wahrheit und
  2. in seiner Wichtigkeit

für uns betrachten.

I.

Nur in den Herzen will der Herr regieren. In seinem ganzen Leben zeigt sich keine Spur eines Verlangens nach äußerer Ehre, nach äußerem Glanz und nach irdischer Macht. Hatte er es doch selbst feierlich erklärt, des Menschensohn sei nicht gekommen, dass er sich dienen lasse; sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele, und erst in der Nacht, die diesem Verhör vor dem römischen Landpfleger vorausging, hatte er Petrus erklärt: Meinst du nicht, dass ich meinen Vater bitten könnte, dass er mir zuschickte mehr denn zwölf Legionen Engel? Wie würde aber die Schrift erfüllt? Es muss also geschehen. Er, der gekommen war, den Armen das Evangelium zu predigen, die erhabene Lehre zu verkündigen, dass dem Menschen der Besitz aller Herrlichkeit der Welt, wenn er nicht damit zugleich inneren Wert, Liebe zu Wahrheit und Recht verbinde, unnütz sei, er wollte den Zustand der Dürftigkeit, der Armut, in welchem er in das Irdische eingetreten war, bis an sein Ende behalten. - Nur an die Herzen seiner Zuhörer war seine Rede gerichtet, nur sie wollte er ergreifen, sie für Wahrheit und Recht gewinnen, sie zu Gott führen. Das Reich Gottes, sagte er, und dies war das Reich, das er zu stiften kam, kommt nicht mit äußerlicher Gebärde - man wird auch nicht sagen: siehe, hie oder da ist es; denn Seht, das Reich Gottes ist inwendig in euch. Nur über die Herzen der Menschen will er mit seinem Geist herrschen und von da aus freilich alles neu gestalten und schaffen. Jede seiner erhabenen Lehren, jedes seiner Gebote hat nur die Gesinnung des Menschen zum Gegenstand. - Sich selbst kennen und, in Demut und Gnade, Vergebung durch ihn bei dem Vater suchen, das sollen die Seinen. Liebe und Vertrauen sollen sie zu dem fassen, der sie geliebt, ehe der Welt Grund gelegt war. Kraft und Mut sollen sie gewinnen, die Begierde und Leidenschaft zu überwinden, und die Sehnsucht nach Vereinigung mit Gott und ihrem Erlöser, das Verlangen nach der Heimat aus der Fremde, nach der besseren Welt soll sie erfüllen. Wiedergeboren im Geist sollen sie durch dies alles werden, damit das ganze Menschengeschlecht sich erneuere und in den Herzen Aller nur Einer regiere - der Heilige und allgewaltige, der Barmherzige und Gerechte.

Jesu Reich ist nicht von dieser Welt, die Welt ist mit demselben im Widerspruch. In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen und das Licht schien in die Finsternis und die Finsternisse haben es nicht begriffen. Das wahrhaftige Licht war in der Welt und die Welt kannte es nicht. Ich, sprach er, habe die Welt überwunden, alles was von Gott geboren ist, überwindet die Welt.

Die Welt, das gewöhnliche Tun und Treiben der Menschen, steht mit ihm im Widerspruch, im Kampf. Sie lebt ja im Licht ihrer eigenen Weisheit und stößt den aus, der sich ihr als Licht anbietet. Sie folgt dem Zug ihrer Gelüste, die nur auf Irdisches gerichtet sind und widerstrebt deshalb dem, der ihr zuruft: Trachtet am ersten nach dem, was droben ist und nicht nach dem, was auf Erden ist. - Sie dient der Lüge und hasst deshalb den, der die Wahrheit verkündete; sie freut sich ihrer Selbstgerechtigkeit und verachtet darum ihn, der demütig, in Knechtsgestalt kommt und für ihre Sünde ein Opfer werden will; sie stößt ihn aus, weil sie Gott und dem Mammon zugleich dienen will und er es für unmöglich erklärt, seine Liebe so zu teilen, und dagegen verlangt, dass alles der Herrschaft des Einzigen unterworfen werde. Die Welt ist nicht mit ihm, darum verhöhnte, darum verschmähte, darum kreuzigte sie ihn; - wäre er von der Welt gewesen, so hätte die Welt ihn lieb gehabt; hätte er die irdischen Erwartungen seiner Zeitgenossen befriedigt, so wäre er ihr verheißener Messias gewesen; stände sein heiliger Sinn nicht in so ernstem, scharfem Gegensatz mit dem bloß irdischen Verlangen der Welt, mit Augenlust, Fleischeslust, hoffärtigem Leben; so wäre die Zahl seiner Freunde heute noch größer, als sie wirklich ist.

Sein Reich ist nicht von dieser Welt; er verheißt denen, die ihm nachfolgen, keinen sichtbaren Lohn. Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken, nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, da werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Seligkeit verheißt er denen, die reines Herzens sind; Seligkeit den Sanftmütigen, den Friedfertigen, den Leidtragenden, den Barmherzigen, den geistlich Armen, denen, die hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denen, die um seinetwillen verfolgt werden; aber allen verheißt er nur einen unsichtbaren Lohn. Wie er im Herzen nur regieren will, so soll der Lohn seiner Getreuen auch nur im Herzen wohnen. Ein beglückendes Bewusstsein, Frieden, wie ihn die Welt nicht gibt, den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch, nicht wie die Welt gibt, das ist der Lohn, den er den Seinigen verheißt. Ernst weist er selbst an seinen Erkorenen jedes Streben nach irdischer Größe zurück, und zeigt die höchste Beseligung nur in der Gemeinschaft mit Gott in dem ewigen Glück, das der Sieg über die Welt den Frommen bereitet. Ja, das Reich des Herrn ist nicht von dieser Welt!

2.

Wichtig ist für uns dieser Ausspruch: Zuerst in Absicht auf das, was das höchste Ziel unseres Strebens ausmacht. Christen nennen wir uns, Bürger seines Reiches wollen wir sein. Ist sein Reich nicht von dieser Welt; so kann auch das höchste Ziel unseres Strebens nicht irdisch, nicht vergänglich, nicht die Welt sein. Wohl sind Tausende von den Banden der Erde gefesselt, und auf Erden scheinen sie die Erfüllung der Bestimmung ihres Daseins zu suchen. Wohl trachten viele nach Genuss und Lust, nach Gut und Gewinn, nach Ehre und Macht, das ist die ewige Triebfeder aller ihrer Taten, - aber der Christ findet in diesem Streben keine Befriedigung, er hat ein anderes erhabeneres Ziel. Das Kleinod, nach dem wir ringen, liegt jenseits; den Bund eines guten Gewissens mit Gott suchen wir herzustellen; das Reich des Allheiligen suchen wir um uns zu verbreiten, nur in seinem Weinberg streben wir zu arbeiten, ihm selbst, dem Wahrhaftigen, ringen wir von Tag zu Tag ähnlicher zu werden. Durch Frömmigkeit und Weisheit vollkommen zu werden, wie der Vater im Himmel vollkommen ist, das ist unseres Lebens höchste Aufgabe.

Ist das Reich des Herrn nicht von dieser Welt und steht es mit der Welt im Widerspruch, so dürfen wir hier keinen Sieg erwarten, sondern nur dort. In der Welt habt ihr Angst, ruft auch uns der Herr zu! Was auch der Leichtsinn uns glauben machen will, das Leben ist ernst, mit Ernst will es erfasst senn, selbst in der Freude darf ich den Ernst des Lebens nicht verlassen. Ein fortgesetzter Kampf ist uns, so lange wir auf Erden wallen, beschieden, und je mehr wir kämpfen mit dem, was aus der Welt ist, desto mehr nähern wir uns dem ewigen Vorbild unseres Strebens. Es darf uns aber auch nicht befremden, wenn die Hitze des Kampfes uns ermattet; denn die Krone des Lebens ist nur eines guten Kampfes Preis. Nur wen der Sohn frei macht, der ist recht frei; nur wer durch ihn in den Kampf mit der Welt eingetreten ist, und durch ihn den Sieg errungen hat, nur der hat den Himmel erfasst, obwohl er auf Erden wandelt. Werde nicht müde zu laufen im Kampf, leide dich als ein guter Streiter Christi, und wenn dir auch immer die Palme des Sieges, die du schon ergriffen zu haben glaubtest, wieder entrissen werden sollte. Hier ist kein vollständiger Sieg. In dem Streit mit äußern Feinden müssen auch wir, gleich ihm, der für uns in die Welt kam, zuweilen erliegen und erst durch den letzten aller Kämpfe können wir siegen.

Ach, dass dies alle bedenken möchten, denen es zu schwer werden will, des Lebens Bürde zu ertragen, die, die Hitze des Kampfes befremdet, und die es doch verlangt, Genossen seines Reichs zu sein; dass sie alle aufschauen möchten zu ihm, dem Gekreuzigten, der erduldete, was keiner erduldet hat - dass sein Zuruf - in der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden, o dass dieser Zuruf mit höherer Kraft sie ausrüsten möchte,: mutig zu kämpfen und des Sieges dort zu hoffen!

Das Reich des Herrn ist nicht von dieser Welt und Bürger seines Reichs können deshalb auch hier nicht auf sichtbaren Lohn rechnen. Wie die Erde selbst vergänglich ist, so lohnt sie auch vergänglich. Wohl ist manches schätzbare Gut in ihr zu erringen, aber für einen Kampfes-Müden hat sie keinen Lohn. Was sie gibt, dauert nicht, genügt nicht; der rechte Lohn ist denen, die im Reiche Jesu leben, erst jenseits verheißen. Was kein Auge gesehen, was kein Ohr gehört und in keines Menschen Herz gekommen ist, das unaussprechlich Beglückende, wird denen zu Teil, die ihn lieben. - Wohl können wir hier schon Vorempfindungen des Lohnes einer besseren Welt haben, nie aber kann er uns selbst hier schon ganz rein zu Teil werden. Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden, wenn wir ihm aber gleich sein werden, dann werden wir ihn sehen, wie er ist. Wir wandeln hier im Glauben, nicht im Schauen; wir sehen wie durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Hier such ichs nur, dort werd ichs finden!

Erst dann, wenn einst auch uns der Zuruf: Kommt her zu mir, ihr Gesegneten des Herrn und ererbet das Reich, das euch bereitet ist vom Anbeginn der Welt, ertönen wird; ach, dass er uns ertönen möchte, erst dann werden wir des Vollgenusses, des himmlischen Lohnes, wie der Herr ihn den treuen Seinen gibt, teilhaftig werden!

Mein Reich ist nicht von dieser Welt, spricht der Herr. Lasst es uns mit tiefem Ernst bedenken. Zur Erde neigen wir uns alle und irdisch nur ist so oft unsere Gesinnung. Lasst uns frei werden von den Banden der Sünde und hier schon als Gottes Kinder in seinem Reich leben.

Segne, Herr, mit deinem Geist unsere Herzen, und weihe sie dir zum Tempel ein! Mache uns himmlisch gesinnt und hilf uns nach dem Ewigen nur trachten! Gib und Freudigkeit im Kampf mit der Welt und ihrer Lust, und wenn wir ermatten wollen, dann lass uns im Geist den Lohn schauen, den du den Deinen verheißen hast, und uns festhalten an deiner Verheißung, die uns leuchtet, wie ein Licht an einem dunkeln Ort, bis der Morgenstern aufgeht in unsern Herzen! Amen.

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