Gessner, Georg - Väterliche Erinnerungen an die reformirten Christengemeinden des Cantons Zürich

Gessner, Georg - Väterliche Erinnerungen an die reformirten Christengemeinden des Cantons Zürich

betreffend die Wiedertäufer

Liebe, theure Christengemeinden!

Schon seit längerer Zeit lag es mir im Herzen, ein Wort ermunternder und warnender Liebe an Euch zu schreiben über die religiösen Bewegungen, die zu Stadt und Land sich äußern. Lange prüfte ich den Gedanken, ob er wohl gut, dem Herrn wohlgefällig, und darum dann auch an manchem frommen, christlichen Gemüthe gesegnet sein möchte, denn nur an solche ist dieses Schreiben gerichtet. Da ermuthigte mich das Wort 2. Petri 1, 12-15, es zu thun, wenn ich mich gleich keineswegs vermesse, mich mit dem Apostel zu vergleichen: „**Ich will nicht nachlässig sein, Euch stets zu erinnern, ob Ihr es gleich schon wisset, und in der Euch mitgetheilten Wahrheit befestigt seid. Ich halte für billig, d. h. meiner Pflicht gemäß, so lang ich in dieser Hütte bin, Euch durch Erinnerung zu erwecken; indem ich weiß, daß ich meine Hülle bald ablegen muß. (Das kann und soll ja ein Greis von meinen Jahren für sicher nehmen.) Ich will daher ernstlich darauf bedacht sein, daß Ihr, auch nach meinem Abscheiden, Euch jederzeit dieser Worte erinnern möget.“

Allerdings ist es mir sehr erfreulich, daß Gott es mich noch erleben ließ, in Vielen einen religiösen Sinn, und ich darf wohl sagen ein religiöses Leben erwachen zu sehen; denn unsere Religion, unser Christenthum soll und darf nicht eine bloße Gewohnheitssache und eine bloß kalte Theilnahme an äußern Religionsgebräuchen sein; sie muß Sache des Herzens und darum dann der That und des Lebens werden; ein heilig ernstes Streben, weiter zu kommen in allem Guten. Wir müssen wachsen in der Gnade und Erkenntniß unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi, 2. Petri 3,18. Wer müßte sich denn nicht von Herzen freuen, etwas von diesem Wachsthum wahrnehmen zu dürfen, und zu sehen, daß in Vielen ein neuer Eifer erwacht, frömmer und besser zu werden? Wer müßte sich nicht freuen, wenn er von Menschen hört, die bisher auf dem Wege des Leichtsinnes, ja selbst des Lasters und der Sünde gewandelt, und nun zu einem bessern Sinne erwacht, den Erlöser von der Sünde, und durch Ihn Gnade und Vergebung, Kraft und Stärkung zu einem neuen Leben zu erlangen streben? und darum wirklich Erkenntniß der evangelischen Wahrheit, Erbauung im Worte Gottes und Evangelium Christi suchen und zum Gebeth ihre Zuflucht nehmen.

Ja, dies ist von Herzen erfreulich; es weckt und belebt die Hoffnung, daß so die Kirche Jesu Christi gebaut und befestigt werde; und dadurch Heil und Segen, Gottseligkeit und Tugend in unserm theuern Vaterlande sich mehre.

Aber so innig erfreulich und herzerhebend dies ist, so betrübend und wehmüthig ist es dann auf der andern Seite, daß sich vieler der neu angeregten Gemüther ein, wenn ich so sagen kann, geistlicher Schwindel bemächtigt, und sie sich Führern hingeben, die zwar wohl es gut meinen mögen, auch selbst die Schriften vielleicht kennen, ehren, sehr viel davon auswendig wissen, aber sie doch nicht verstehen und so in Irrthümer führen, die dem Geist und Herzen oft höchst gefährlich und verderblich werden. Darum ruf ich Euch mit Johannes zu: „Ihr Geliebten, glaubet nicht einem jeden Geiste, sondern prüfet die Geister, ob sie aus Gott seien“, Joh. 4,1., und mit Paulus: „Prüfet Alles, das Gute behaltet!“ 1. Thess. 5,21.

Dies sagen die Apostel ihren, die Wahrheit und den Herrn liebenden Christen allen; (und mit solchen rede ich); da ich kaum denke, daß die, in diesen Irrthümern schon Befangenen und damit umgarnten, diese Blätter lesen werden. Aber Euch möchte ich gerne vor den Gefahren warnen, die in unserer Zeit den zu einem religiösen Leben erwachenden Gemüthern drohen; und vor dem Scheine der Frömmigkeit und Schriftmäßigkeit, mit dem jene Irrthümer blenden.

Prüfet auch das, was ich Euch hier sage, ob es wahr und dem Evangelium Christi gemäß sei, und bittet den Herrn, daß Er Euch leite und bewahre durch seinen Geist, der in alle Wahrheit leitet.

Der erste Irrthum, vor dem ich Euch warne, und vor dem Herrn Euch bitte, daß Ihr Euch davor hütet, ist das Verlassen unserer gemeinschaftlichen, christlichen Versammlungen zum öffentlichen Gottesdienste; das Losreißen von der äußern Kirchengemeinschaft. Auch da sage ich Euch mit dem Apostel: „Lasset uns auf einander achten zum Wetteifer in der Liebe und in guten Werken; und nicht verlassen unsere Versammlungen, wie einige zu thun pflegen, sondern uns einander ermuntern; und das um so mehr, je mehr Ihr sehet, daß der Tag nahet.“ Hebr. 10,24.25.

Jene sich von der Kirche und von unsern gottesdienstlichen Versammlungen absondernden Leute meinen, und wollen auch Euch bereden: Man müsse sich von Versammlungen trennen, an denen ja auch Menschen Theil nehmen, die doch nicht christlich gesinnet seien, und also nicht zu der wahren Kirche gehören. Da könne ja, sagen sie, der gemeinschaftliche Gottesdienst mit solchen Gott nicht wohlgefällig sein. Und wenn man vollends mit solchen das heilige Abendmahl genieße, so mache man sich ihrer Sünde theilhaft. Wie sehr sie darin irren, das lehrt uns unser Evangelium, Christi und seiner Apostel Wort und Beispiel.

Oder könnet Ihr Euch vorstellen, daß der Apostel, als er an die Hebräer schrieb, sie sollen ihre Versammlungen nicht verlassen, sich gedacht habe, daß jene Versammlungen aus lauter erleuchteten, gläubigen und untadelhaften Christen bestehen? Nein, wahrlich, er sagt ja selbst, sie sollen sich gerade durch ihren fleißigen Besuch des Gottesdienstes, einander ermuntern zum Wetteifer in der Liebe und allem Guten. Also gerade die wirklich Bessern sollten sich nicht absondern, sondern durch ihr Beispiel zur Erbauung der Andern mitwirken. Sehet Ihr nicht in der Geschichte der Apostel, wie fleißig dieselben den jüdischen Gottesdienst im Tempel und in Synagogen besuchten, obgleich sie da immer eine Menge nicht nur anders Denkender, sondern gegen sie und die Lehre des Evangeliums sogar feindselig gesinnter Menschen antrafen?

Und was den Genuß des h. Abendmahls betrifft, da erfuhr Paulus, daß in seiner Gemeinde zu Korinth große Unordnungen entstanden. 1. Cor. 11,18-20. Er bedauert aber eben, daß Sekten (solche Absonderungen) unter ihnen entstanden; doch müssen diese dazu dienen, daß die Bewährten offenbar werden. Allein er sagt kein Wort, daß die Bessern, die Bewährten sich absondern sollen. Gerade im Gegentheil, diese sich von der Gemeinde Trennenden nennt er Sekten, und ermahnt dann die ganze Gemeinde zur feierlichen Ordnung beim Abendmahl, und einen jeden zum würdigen, brüderlich gemeinschaftlichen Genusse.

Vorzüglich, meine Geliebten! achtet auf das Beispiel unsers Herrn selbst, der uns ein Vorbild gelassen, daß wir seinen Fußtritten nachfolgen sollen. 1. Petr. 2,21. Hat Er etwa, wenn Er selbst seine göttliche Lehre vortrug, nur die Einen aufgefordert, daß sie sich von den Andern absondern, um allein und nicht in Gemeinschaft mit jenen Ihn zu hören? O nein, keineswegs! Noch mehr: Die Evangelisten erzählen uns: Es war seine Gewohnheit, am Sabbattag in die Versammlung zu gehen.„ Luk. 4,16. Und doch, wie gut wußte Er, daß Er da keineswegs nur Gleichgesinnte antreffe, sondern im Gegentheil sehr böse und feindselig gegen Ihn Gesinnte, und doch ging er allemal hin.

Und wie gehaltlos und nichtig, wie sehr dem Beispiel unsers Herrn widersprechend die Einwendung sei, daß man das heilige Abendmahl nur im abgesonderten Kreise christlich würdiger Menschen würdig genießen könne, das zeigt uns die Geschichte der Einsetzung selbst. Nachdem unser Herr das Brod ausgetheilt und das Trinkgeschirr gegeben hatte, daß sie alle daraus trinken, gleich unmittelbar darauf sagte Jesus: „Siehe, die Hand dessen, der mich verräth, ist mit mir über Tische,“ Luk. 22, 21. Also hatte auch Judas mit den übrigen Jüngern von demselben Brode gegessen, und aus demselben Kelche getrunken, und sie haben doch sicher nicht es unwürdig genossen; und der Herr forderte nicht, daß diese guten Jünger sich zum Genusse seines heiligen Mahles von jenem schrecklichen Verbrecher zuerst absondern sollen. Wer mit einem stolzen, sich selbst fromm dünkenden und Andere verachtenden Sinne das Abendmahl genießt, der gerade genießt es unwürdig und richtet vermessen über das Herz und die Würdigkeit derer, die er nicht kennt.

Es ist freilich wahr, daß leider nicht alle, die sich zu der äußern Kirche bekennen, darum auch zu der innern, der wahren Kirche Christi gehören; aber es ist nicht minder wahr, daß nur der, welcher die Herzen kennt, darüber zu richten befugt ist. Kennen wir denn die Worte unsers Herrn nicht: „Wer sich selbst erhöhet, der wird erniedrigt werden.“ Matth. 23,12. „Richtet nicht, so werdet Ihr nicht gerichtet; verdammet nicht, so werdet Ihr nicht verdammt werden. Was siehest du den Splitter in deines Bruders Auge, des Balkens aber in deinem eigenen Auge achtest du nicht.“ Luk. 6, 37.41.

Daß Einbildung auf eigene Frömmigkeit und ein hartes, liebloses Richten über die Glieder der Kirche, beinahe ausschließend allen denen eigen ist, die sich von der Kirche absondern, das ist schon ein sicherer Beweis, daß die Sache, der sie anhängen, nicht rein ist, denn sie wollen Euch bereden, verpflichten, auch ihren sektischen Grundsätzen beizupflichten, und thut Ihr es nicht, so verdammen sie Euch.

Da muß ich aber Euch alle bitten, mich nicht zu mißverstehen. Jene Wiedertäufer sind wahrlich nicht die einzigen, die sich für besser halten, als sie sind. Die Selbstsucht, die Eigenliebe und die Einbildung auf sich selber klebt uns allen an, und wir müssen täglich dagegen kämpfen; und haben ja wohl auch, wenn wir wirklich ein religiöses Gemüth haben, sorgfältig zu wachen, daß nicht das, was man geistlichen Stolz nennt, uns beschleiche. Darum sage ich nicht: „Sie, die Leute, seien unrein,“ denn das sind wir alle. „Wer will sagen; ich bin rein? Es ist keiner gerecht, auch nicht Einer.“ Röm. 3,10. Darum sagte ich ihre Sache, ihre separatistischen Grundsätze seien nicht rein, weil sie dem Wort und Beispiel Christi und seiner Apostel gerade darin entgegen sind, was sie von der Sonderung von der Kirche lehren; daß sie die bestehende äußere Kirche schelten und verdammen, und sich selbst rühmen, die wahre Kirche zu sein. Sonst gesteh' ich es gern, daß sie manche heilige Wahrheit des Evangeliums mit Nachdruck aussprechen, und ich will es ihnen zutrauen, mit eigener Ueberzeugung und in der Absicht geistliches Leben zu erwecken und zu fördern; will es ihnen zutrauen, daß sie den Glauben besitzen, den sie lehren, und die Buße, die sie fordern, selbst gethan haben. Wir wollen nicht thun, was wir an ihnen tadeln, nicht lieblos richten über ihr Herz. Aber warnen muß ich doch vor ihren Irrthümern und vor dem unzeitigen Eifer, womit sie das Lehramt sich anmaßen, und sogar oft in ihrer Schriftauslegung von dem richtigen Sinn selbst abweichen und Andere ableiten.

Auch das, Ihr fühlet es gewiß selbst, ist höchst unrecht, daß sie Euere christlichen Lehrer verdächtigen und Euch Mißtrauen gegen sie auf alle Weise einzuflößen suchen. Zwar Euere Lehrer sind nur berechtigt auf Euer Zutrauen Anspruch zu machen, wenn sie es verdienen durch lautere Verkündigung des Wortes Gottes und des Evangeliums Jesu Christi, durch treue Seelsorge und gewissenhafte Arbeit an Euerer lieben Jugend. Glaubet es nur, daß je die Besten aus ihnen sich von ganzem Herzen freuen, wenn Ihr wie jene Beroenser, Apostelgesch. 17,11., durch eigenes fleißiges Lesen der heiligen Schriften und durch eigenes Nachdenken darüber Euch selbst dem Geiste der Wahrheit öffnet, um Alles, was wir Euch lehren, mit dem einfachen, vollkommenen, heiteren und wahrhaften Worte Gottes zu vergleichen und zu prüfen, ob unsere Predigt die Lehre des Heils wirklich verkündige, unsere Arbeit unter Euch Arbeit im Herrn und unser Wandel dem Evangelium Christi gemäß sei. Euere Geistlichen können sich des neuen Erwachens eines religiösen Lebens in unserm Volke nur freuen; und je mehr es ihnen anliegt, daß die religiösen Bewegungen nicht einen, das Wohl der Kirche störenden Gang nehmen, desto ernster muß ihre Sorge und ihr Bestreben sein, keine Evangeliums-Wahrheit zurück zu lassen, damit in ihren Vorträgen jeder finde, was sein Herz bedarf.

Und so wollen wir zu Gott hoffen, daß auch das, was oft großes Bedenken und Besorgniß von bedeutender Gefahr für unsere vaterländische Kirche erwecken möchte, dennoch unter der treuen Sorge des großen Oberhirten der Kirche, nur zu ihrem desto größern Heile dienen müsse.

Darum stehet fest im Glauben, und bleibet treu euerer Anhänglichkeit an das einfache, lautere Evangelium, das, so wahr Gott lebt, immer den Sieg behalten wird. Fürchtet Euch nicht! wenn auch jene Menschen auf Störung und Zerstörung der Kirche ausgehen, sie ist auf einen Felsen gegründet, und die Pforten der Hölle werden nichts wider sie vermögen. Matth. 16,18.

Die Gärungen und Unordnungen, welche in unsern Tagen den Frieden und die Ruhe der Kirche zu stören scheinen, kommen mir vor, wie der Schlamm und das steinige Geschiebe, das ein angeschwollenes Waldwasser mit sich bringt. Wenn nach langer Dürre wieder ein Gewitterregen fällt in großer Fülle, dann schwellen freilich die Waldbäche gewaltig an, reißen wohl manches Stück vom Ufer ab, führen Steine, Bäume, Sand und Schlamm mit sich, und wo sie wild aus der Ufern treten, da werden freilich die anliegenden schönen, fruchtbaren Fluren, Felder und Matten sehr beschädigt, und das ist ein recht betrübender Anblick. Mittlerweile hat aber der furchtbare Regen das Land erquickt, neues Leben in alle Gewächse gebracht, und wenn der wilde Bach sein Geschiebe abgelegt hat, so fließt er wieder rein und helle, und hat doch neuerdings lebendiges Wasser, was ihm vor dem Gewittersturm gemangelt hat.

Es ist freilich im Einzelnen bedeutender Schaden entstanden, aber für das Ganze brachte das Gewitter nur Segen. So dürfen wir von der Güte Dessen, der Alles zum Besten leitet, hoffen, daß es auch da gehen und die theure, vaterländische Kirche im Ganzen nur Segen von diesem Sturme haben werde. Jene bedauernswürdigen Verirrten sind es, die den Schaden über sich bringen. Doch auch von ihnen dürften Vielen noch von Gott die Augen geöffnet werden und sie umkehren zur einfachen Evangeliums-Wahrheit, zu der ihr Erwachen sie hinführen sollte; und in der sie allein die gesunde Nahrung des christlichen Lebens finden.

Auch die, von unserer reformirten Kirchenlehre ganz abweichende Lehre von der Wiedertaufe haben jene Leute nicht nur für sich aufgenommen, sondern suchen sie zu verbreiten, und verwirren dadurch und beunruhigen die Gewissen der Menschen, indem sie sagen: die Taufe der unmündigen Kinder sei ganz unrecht und ungültig; und darum bereden sie die Leute, sie müssen, um selig zu werden, sich wieder taufen lassen. Und diese Wiedertaufe soll dann die, welche sie annehmen, verpflichten, alle ihnen vorgetragenen Lehren aufzunehmen und fest zu halten, wenn. sie auch nicht den mindesten Grund in der heiligen Schrift haben, oder ihr geradezu widersprechen, wie jene Forderung, sich von der Kirche zu trennen, worüber ich oben sprach. So geschah es, daß einer der herumziehenden Sektierer, der im vorigen Jahre auch an einigen Orten in unserm Kanton sein Wesen trieb, in den Kanton Bern kam, und da die Wiedergetauften, deren es seit langen Jahren dort ziemlich viele gibt, noch ein Mahl, also zum dritten Mahl taufte. Welch ein unwürdiges Spiel treiben sie so mit einer heiligen, von unserm Herrn gestifteten Handlung!

Der Grund, womit die Wiedertäufer die Rechtmäßigkeit der Kindertaufe bestreiten, ist der, daß sie im Neuen Testament nirgends geboten sei, und daß Jesus bei der Stiftung der Taufe gesprochen: „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker (unterrichtet sie im Christenthum) und taufet sie auf den Nahmen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes,“ Matth. 28,19, und nach Mark. 16.15,16: „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium allen Völkern. Wer glaubt und getauft wird, der wird selig werden.“ Da nun, sagen die, welche die Kindertaufe bestreiten, unser Herr, Jesus Christus nichts von der Kindertaufe spreche, hingegen sage: Man soll im Christenthum unterrichten und dann taufen; und: wer glaube und getauft werde, der werde selig, so könne sich dies ja nicht auf unmündige Kinder beziehen, die noch nicht unterrichtet seien und noch nicht schon glauben können.

Allein so viel ist doch gewiß, daß Jesus die Taufe der Kinder christlicher Aeltern durchaus nicht verbiethet; und wenn die Apostel ganze Familien getauft haben, so werden wohl auch Kinder darunter gewesen sein. 1. Kor. 1,16. Da sagt Paulus: Er habe das Haus d. i. die Familie des Stephanas getauft. Und Apostelgesch. 16,15. wird uns erzählt, daß nicht nur Lydia, sondern auch ihr Haus, Familie, sei getauft worden, und im 33. V. heißt es: Der Kerkermeister zu Philippi sei nicht allein, sondern auch die Seinigen seien getauft worden. Das geschah in derselben Nacht, da das Erdbeben die Thüren des Gefängnisses geöffnet. So war es also unmöglich, daß diese alle schon vor ihrer Laufe den Unterricht im Christenthum konnten erhalten haben.

Das ist freilich gewiß, daß die Aeltern der getauften Kinder heilig verpflichtet waren und sind, sie im Christenthum zu unterrichten und sie zum Glauben an Jesum Christum anzuleiten; denn allerdings könnte ohne diesen die Taufe nicht zur Seligkeit führen. Kinder solcher Aeltern, die Glieder der Gemeinde sind, werden aber zuverlässig mit Recht auch mit dem Zeichen der Aufnahme in die Gemeinschaft der Christen bezeichnet. Wohl möcht' ich da das Wort des Apostels darauf anwenden: „Wenn die Wurzel heilig ist, so sind es auch die Zweige.“ Röm. 11,16.

Liebe, christliche Aeltern, könnet Ihr Euch von dem Wahne irre führen lassen, als ob Eure Kinder schlechtern Rechtes wären, als der Israeliten Kinder, die einst auch im ganz unmündigen Alter, namentlich am achten Tag ihres Lebens schon, mit der Beschneidung mußten bezeichnet werden, als die der Gemeinde Jehovas, und darum Ihm selbst, ihrem Herrn und Gott angehören. Das verstanden ja die unmündigen Israeliten Kinder auch nicht; aber sie sollten es dann in der Folge erkennen lernen, daß sie zum Glauben und zum Gehorsam gegen Jehova verpflichtet seien und dadurch erst wabre Israeliten werden. „Denn es sind nicht alle Israeliten, die von Israel abstammen; so sind sie auch nicht alle Kinder, darum daß sie Abrahams Nachkommen sind das ist, es sind nicht alle, die nach dem Fleische Kinder sind, Kinder Gottes.“ Röm. 11,6-8.

So verhält es sich mit den Kindern der Christer und ihrer in der Kindheit erhaltenen Taufe.

Darum war es auch so natürlich, daß in der Christenheit schon vor mehr als anderthalb tausend Jahren, sobald die Kirche eine Anstalt geworden, in der alle, die in dieselbe aufgenommen waren, einen fortgehenden christlichen Unterricht erhielten, die Kindertaufe in der christlichen Kirche überall eingeführt ward. Solltet Ihr, christliche Aeltern, Euch durch eitle Vorspiegelung von Sektierern, die von der Kirche sich trennen, Euch bereden lassen, Euern Kindern das Zeichen der Aufnahme in die Christengemeinde vorzuenthalten? Solltet Ihr Euch nicht von ganzem Herzen freuen, wenn Euch selbst Eure Religion heilig ist, daß Ihr Eure kleinen unmündigen Lieblinge Gott und Euerm Heiland, der auch ihr Gott und Heiland ist, in der Heiligen Taufe darbringen dürfet, damit auch ihnen schon recht früh das Pfand seiner Gnade gegeben werde? Könnet Ihr auch nur Einen Augenblick anstehen, daß dies dem Herrn wohlgefällig sei, der eben in Hinsicht auf die Unmündigen gesprochen hat: Lasset die Kindlein zu mir kommen, denn solchen ist das Reich Gottes? Müssen nicht Kinder, denen ihre Aeltern die christliche Taufe vorenthalten, nachher, wenn sie zur Erkenntniß des Christenthums gelangen, dieselben darüber anklagen? Vergesset es nicht: Jesus zürnte über die, welche die Kinder nicht wollten zu Ihm kommen lassen, ob es gleich seine eigenen Jünger waren, und obgleich sie keinen andern Grund hatten, als daß sie meinten, mit so kleinen, noch unentwickelten Kindern könne und werde Jesus sich nicht abgeben, das sei für den Herrn zu gering. Nein, nein, die lieben Kleinen nicht wollen taufen lassen, heißt auch es ihnen wehren, zu Ihm zu kommen. Und wenn Er sagt: „Solcher ist Gottes Reich,“ wie würden wir es verantworten können, wenn wir ihnen das äußere Zeichen der Aufnahme nicht wollten geben lassen?

Doch ich trau' es Euch zu, liebe Aeltern, daß Ihr darüber ernstlich und vor Gott nachdenken werdet. Euch verpflichtet die Taufe Euerer Kinder auf eine Weise, wie nichts sonst, Eure Kinder christlich zu erziehen, und gibt Euch und ihnen das Recht und den Anspruch an die Kirche, worein auch sie aufgenommen sind, von ihr zu fordern, daß sie dieselben mit den geistigen Gütern der Religion, durch ihre Unterrichts- und Bildungsanstalten bekannt, und so viel an ihr steht, derselben theilhaft mache; sie zum Glauben an Christum, zu christlicher Gesinnung und Leben, und so zum Heile führe für Gegenwart und Zukunft. Und wenn sie dann, mit der Wahrheit des Christenthums bekannt, selbst ihren Glauben mit Worten und Werken bekennen, dann bedarf es wahrlich keiner Wiedertaufe, um sie all' der segnenden und verheißenden Kraft der in früher Kindheit empfangenen Taufe gewiß zu machen; dann reifen sie durch Glauben und Liebe immer mehr für die Taufe mit heiligem Geiste, die nicht von Menschen, weder von den berufenen Geistlichen, noch von dem unberufenen Wiedertäufer, sondern einzig von dem gegeben wird, der verheißen hat: Ich will den Vater bitten, und Er wird euch einen andern Tröster (Stellvertreter an meiner Stelle) geben, daß er in Ewigkeit bei euch bleibe, den Geist der Wahrheit. Joh. 14,16,17. Die Wiedertäufer verwechseln in ihrer Unklarheit immer die Wassertaufe mit der Geisttaufe und diese mit jener. Die Taufe mit Wasser ist das äußere Zeichen und Pfand der Aufnahme in die Christengemeinde, und diese, schon im unmündigen Alter erhalten, ruft es gleichsam den Aeltern in das Herz: Euer Kind ist feierlich Gott und Christo geweiht, und es hat davon einen großen Segen; ihm ist die Gnade Gottes in Christo zugesagt, und wenn es christlich erzogen und unterrichtet, und so der Glaube in ihm begründet wird, so gelangt es auch zur Taufe mit heiligem Geiste, der immer wirksamer wird, und wozu eine Wiederholung der Wassertaufe nichts beitragen kann.

Was jene gewiß Irrenden mit ihrer Taufe den jungen, nun unterrichteten und von der Wahrheit ergriffenen Christen zu geben wähnen, das wird ihnen durch die Confirmation. Diese ist eben eine feierliche Bestätigung der Taufkinder, der in ihrem Nahmen von Aeltern und Saufzeugen ist geschlossen worden. Da wird ihnen selbst nun die Gnade Gottes in Christo zugesichert, wenn ihr Herz darnach verlangt; da werden sie unter ihrer eigenen Zustimmung zu Gliedern der Kirche Christi in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen; da legen sie selbst vor dem Herrn und seiner Gemeinde das feierliche Gelübde ab, dem Christenglauben treu zu bleiben und ihn durch Leben und Wandel zu bekennen. Wir bitten und ermahnen Euch im Herrn, diese Confirmation recht heilig zu halten; wie wir denn auch wissen, daß Ihr alle, denen die Religion heilig ist es thut. Das aber merket Euch, wie viel, wie gar viel von der Erziehung der Kinder bis zur Zeit der Confirmation, und dann von der treuen Wachsamkeit über sie abhängt, daß die Confirmation selbst eine heilige und gesegnete werde.

Nun hab' ich Euch die Gründe vorgelegt, warum mein Herz mich dringt, Euch zu warnen vor den Irrlehren und der Verführung der Sektierer und Wiedertäufer, die unter dem Scheine von Frömmigkeit und Schriftmäßigkeit Euch von dem einfachen Glauben an das Evangelium weglocken wollen. Zwar will ich ihnen und ihren Versammlungen nicht Sünden und Verbrechen zur Last legen, deren sie sich meines Wissens wirklich nicht schuldig gemacht haben. Die christliche Liebe verbiethet allen falschen Argwohn. Herzlich gerne wollten wir ihnen die freundlichste Bruderhand bieten, wenn sie zur Gemeinschaft mit uns zurückehren wollten; zu Einem Herrn, Einem Glauben, Einer Taufe, Einem Gott und Vater Aller, der da ist über Alles, durch Alles und in uns Allen. Eph. 4.5,6. Wenn ich denken dürfte, daß sie etwas von mir annähmen, so würd ich ihnen mit herzlichem Wohlmeinen sagen: „Liebe Brüder, Ihr habet in Euerm Eifer viel Gutes, aber eifert mit Verstand. Röm. 10,2. Es ist viel christliche Wahrheit in Eurer Lehre, aber vermischet sie doch nicht mit so viel Irrthum. In jener Zeit nach der Reformation traten auch Wiedertäufer auf, die sehr für ihre religiösen Meinungen und ihre Trennung von der Kirche eiferten; sie mochten wohl im Anfang gute Absicht gehabt haben, aber nach und nach ward es sehr böse mit ihnen. Im nördlichen Deutschland kam es gar dahin, daß sie zum Rauben, Plündern, Morden, Rebellion gegen die Obrigkeit und zu allen Lastern, auch unter dem Scheine der Religion sich verleiten ließen; selbst Krieg über ihr eigenes Vaterland brachten. An ihnen erfüllte sich das ernste Wort: Gott wird ihnen kräftigen Irrthum senden, daß sie der Lüge glauben; damit Alle gestraft werden, die der Wahrheit nicht glaubten, sondern Wohlgefallen hatten an der Ungerechtigkeit. 2. Thess. 2,12. Wirklich gingen auch damals jene Elenden alle zu Grund.“

Das würd' ich mit warnender Liebe auch unsern heutigen Wiedertäufern gerne sagen, wenn ich nur könnte, sie nur es hören wollten. Von Euch aber, liebe Glieder unserer vaterländischen Kirche, an welche dieses Schreiben gerichtet ist, von Euch darf ich wohl hoffen, daß Ihr mir einiges zutrauen schenket. Euch bitt ich vor Gott und unserm Heiland: Lasset Euch nicht verführen!

Eine Bitte muß ich Euch noch sehr dringend an's Herz legen, es ist die, daß Ihr doch die verblendeten Leute, jene Wiedertäufer-Sekte nicht hasset; empfehlet sie vielmehr Gott, daß Er sie wieder auf den richtigen Weg leite. Begegnet ihnen mit freundlicher Liebe; aber lasset Euch nicht mit ihnen ein über ihre irrigen Meinungen. Oder saget ihnen nur kurz und einfach, daß ihr bei dem Glauben an das Evangelium bleiben, und von der Kirche Euch nicht trennen, sondern Euch nur fester mit ihr vereinigen wollet. Ihr könnet sie doch nicht belehren, und würdet eher Gefahr laufen, von ihnen verführt zu werden. Spottet nicht über sie, reizet sie nicht, und störet ja nie ihre Zusammenkünfte zur Erbauung, durch unzeitigen Lärm oder Gewaltthat; aber laufet auch nicht ihren recht ungeschickten öffentlichen Versammlungen nach, wozu sie etwa zusammenrufen. Sollten die Sektierer das, was Euch mit Recht heilig ist, schmähen und lästern, so wird der Arm der Gerechtigkeit sie schon finden Ihr aber, schmähet Ihr nicht wieder, sondern seid eingedenk Eures Herrn, der, als Er gescholten wurde nicht wieder schalt, als Er gelitten nicht drohte, sondern alles dem anheim stellte, welcher recht richtet. 1. Pet. 2,23.

Denen aus Euch, welche meinen, und es oft aussprechen: Die Regierung sollte da mit Ernst einschreiten, sollte die separatistischen Versammlungen verbieten, und die, welche ihre Kinder eigensinnig nicht wollen taufen lassen, dazu zwingen, muß ich noch sagen: Das kann die Regierung nicht und soll es auch nicht. Unsere Verfassung sichert die Freiheit des Glaubens und des Gewissens. Und das ist recht. Ein jeder steht oder fällt seinem eigenen Herrn - Gott. Würde man darüber irgend jemanden Gewalt anthun, so würde das Uebel nur ärger gemacht; das sektiererische Wesen würde nur im finstern schleichen und desto weiter sich ausbreiten. Was die Regierung kann, das thut sie; sie machet, daß nichts die öffentliche Ruhe Störendes geschehe. Und darum bitt' ich auch Euch, daß Ihr nie auf ungebührliche Weise irgend etwas Gewaltthätiges gegen jene Leute Euch erlaubet, oder sie durch leichtsinnigen Spott und Neckereien reizet.

Ja, ihr geliebten Glieder unserer vaterländischen Christengemeinden, die Ihr dies leset, nehmet das Wort väterlicher Ermahnung und Warnung mit Liebe auf, wie ich es mit Liebe zu Euch geschrieben, unter herzlichem Gebethe zu Gott, daß Er seinen Segen darauf lege, recht Vielen aus Euch zum Heil und mir zur Freude auf den Tag Jesu Christi.

Und nun, ihr Brüder, lasset mich diese, wohl meine letzten Erinnerungen und Bitten an Euch alle, mit Paulus Worten schließen Apostgesch. 20, 32: „ich befehle euch Gott und dem Worte seiner Gnade, Ihm, der mächtig ist euch zu erbauen, und euch das Erbe unter allen Geheiligten zu geben.“

Zürich, im April 1836.

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