Gellert, Christian Fürchtegott - An einen Freund.

Gellert, Christian Fürchtegott - An einen Freund.

Also haben Sie Ihren besten Freund, Ihren L-, verloren? Gott! wer hätte denken sollen, daß dieser so muntre und vor uns allen belebte Freund der erste und nächste zum Tode sein sollte! Vater der Menschen! wie flüchtig ist das Leben, das wir so sehr lieben, und als Dein Geschenk auch lieben müssen! Ich weine mit Ihnen, und wünsche, daß mich niemand diese Stunde in meinen Thränen und menschlichen Empfindungen stören möge. Wie könnte ich die letzten Augenblicke vom Jahre, die noch übrig sind, glücklicher anwenden, als wenn ich sie dem Mitleiden, dem Gedanken des Todes und der Seele des Verstorbenen schenke! - Er ist also in dem Schooße der Ewigkeit und der unaussprechlichsten Ruhe. Was muß ein Geist, von der Erde weggenommen, bei dem ersten Eintritt in das Land der Vollkommenen fühlen, welche göttliche Wollust! Geleitet von der Hand des Allmächtigen überschaut er die Welten der Seligkeiten; entzückt von den Strahlen der Gottheit preist er den Tag der Geburt und des Todes zugleich, und fühlet, daß der Herr Gott ist. Nun sieht er den göttlichen Erlöser, und verliert sich in dem Meere seiner Liebe, und wird trunken von den Geheimnissen der Erlösung. Er fängt die ewigen Loblieder Gottes und der Tugend an. Die kleinste gute That auf Erden stellt sich ihm nunmehr im heiligen Lichte vor, und eine jede edle Absicht wird ihm zur Belohnung vor dem Allwissenden und bleibt ihm ein ewiger Ruhm im Angesichte der Vollkommenen.

Sollte der Selige nicht so glücklich sein, als ich gesagt habe? Er ist es gewiß, und ich preise Gott in diesem Augenblicke, daß er's ist. Wollten Sie ihn wohl, wenn es bei Ihnen stünde, von diesem Glücke auch nur eine Stunde zurückhalten? Heben solche Gedanken die natürliche Empfindung in den Stunden der Wehmuth und das Verlangen nach denen, die wir lieben und lieben müssen, nicht auf, so machen sie unsre Betrübniß doch zur Tugend, indem sie ihr die gehörigen Schranken geben. Und welcher Trost ist stärker und erhabener, als der: der Herr hat ihn gegeben, der Herr hat ihn genommen! Er erhalte Sie in dem Jahre, das wir anfangen, gesund und zufrieden, und schenke Ihnen diese Wohlthat noch in vielen folgenden. ER lasse Sie die Freude der glücklichsten Väter erleben, und Sie in den Sitten und Handlungen Ihrer Söhne das liebenswürdige Herz einer nicht mehr vorhanden Mutter, und stets den Lohn einer sorgfältigen Erziehung erblicken.

Quelle: Renner, C. E. - Auserlesene geistvolle Briefe der Reformatoren

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