Ebrard, Johannes Heinrich August - Der Glaube an die heilige Schrift und die Ergebnisse der Naturforschung - Erste Folge. Der Planet Tellus und die Erlösung der Welt.

Ebrard, Johannes Heinrich August - Der Glaube an die heilige Schrift und die Ergebnisse der Naturforschung - Erste Folge. Der Planet Tellus und die Erlösung der Welt.

Stäfa bei Zürich, den 23. Juli 1855.

Ja, lieber Freund, die Planeten beunruhigen mich! Verwirrend fahren mir diese „Irrsterne“ mit ihren Bahnen in meinen Christenglauben, und ich weiß mir das Räthsel nicht zu lösen, während in der heiligen Schrift die Erde als Centralpunkt des Weltalls dasteht, sie in der Astronomie unter einem Haufen größerer Planeten, und zusammt ihrem ganzen Planetensystem unter Myriaden Planetensystemen, wie ein Tropfen im Meere verschwindet. Glaube nicht, daß ich nun darauf und daran wäre, meinen Glauben über Bord zu werfen. Ich denke, dazu kennst Du mich zu gut. Dem Herrn sei Preis, die Erfahrungen der Gnade, die ich in meinem Herzen gemacht, die mächtigen und kräftigen Bezeugungen des Herrn in meinem innern und äußern Leben, vor allem im Gebetsumgang mit meinem Herrn, sind so real, so gewaltig, daß ich mit Petrus sprechen muß: „Herr, wohin soll ich gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“, und daß ich weit eher mich entschließen würde, die ganze sichtbare Welt für Trug und Täuschung und alle Fernröhre für falsch und alle Astronomen für Thoren zu halten, ehe ich den Herrn, welcher mich durch seine Gnade aus einem haltlosen, in Sünden und Eitelkeit gefangenen, ruhelosen und armseligen Menschen in sein Kind verwandelt und zu einem neuen Wandel mir die Kraft verliehen hat, ja Kräfte des ewigen Lebens mich hat schmecken lassen, - ehe ich ihn und sein heiliges Wort über Bord würfe! Ein Blick in dieses theure Gotteswort, und es strömt mir wieder ein solcher Hauch des Lebens entgegen, daß ich mir sagen muß: Ja Himmel und Erde werden vergehen, aber dies Wort wird bestehen. Und doch - ist denn nach einem solchen Bekenntnis; ein „Und doch“ überhaupt noch möglich? Ja, lieber Heinrich! Es ist kein „Und doch“ des Zweifels, aber ein „Und doch“ des Räthsels und der Frage. Und doch macht es mir Unruhe, daß ich nur um den Preis an meinem Glauben soll festhalten dürfen, daß ich die gesammten Ergebnisse der Astronomie und sonstigen Naturwissenschaft - Ergebnisse, woran die scharfsinnigsten Geister und unter ihnen sehr christliche Männer gearbeitet haben, für eitel Trug und Thorheit halten soll. Verlangt denn Gott dieses Opfer? „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“, sagt die heilige Schrift, und nun sollen diese Himmel vielmehr mit der Stimme des Versuchers reden, als hätte nicht Gott, sondern der Arge, sie ausgespannt wie ein Netz, um die Seelen der Menschen zu verstricken! Kann ich denn leugnen, daß es Planeten giebt? Sehe ich sie nicht mit meinen Augen? Sehe ich nicht, wie sie auf ihren Bahnen unter den Fixsternen vorwärts schreiten; muß ich nicht anerkennen, daß es mit den Kepler'schen Gesetzen, wonach ihre Bewegung berechnet wird, und mit dem Newton'schen, woraus sie erklärt wird, seine Richtigkeit hat? Und wenn ich selbst das bezweifeln wollte: treffen denn nicht die Vorausberechnungen der Astronomen zu? tritt nicht die Mondfinsterniß, der Planetendurchgang, die Konjunktion u. dgl. auf die Sekunde ein, auf welche der Astronom sie berechnet hat, und dient somit seiner Wissenschaft zur glänzenden Bestätigung, so daß er sogar in seiner Weise sagen könnte: „Ich verkündige zuvor, was hernach kommen soll, und vorhin, ehe denn es geschieht?“ - Du wirst mir doch zugeben, daß es eine Beruhigung für mich wäre, wenn ich die Ergebnisse der Sternkunde mit dem, was die heilige Schrift mir sagt, vereinigen könnte, und daß es mich also nothwendig beunruhigen muß, dies nicht zu können. Und in der That, ich kann es nicht! Die Kluft zwischen der biblischen „Erde“ und dem astronomischen Planeten, den sie Tellus nennen, ist unausfüllbar!

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und war Gott. Alle Dinge sind durch dasselbige gemacht“ (Joh. 1, 1 ff.). Heinrich, es kann doch nur Ein solches „Wort“ sein! „Und das Wort ward Fleisch, und wohnete unter uns“ (Joh. 1, 14). „Er ist durch sein eignes Blut einmal in das Heilige eingegangen, und hat eine ewige Erlösung erfunden“ (Hebr. 9, 12); auch nicht, daß er sich oftmals opfere; sonst hätte er oft müssen leiden vom Anfang der Welt her. Nun aber am Ende der Welt „ist er einmal erschienen“ (Hebr. 9, 25), „auf daß alle Dinge zusammen unter Ein Haupt verfasset würden, beides das im Himmel und auf Erden ist, durch ihn selbst“ (Eph. 1, 10), „und der hinuntergefahren ist, das ist derselbe, der aufgefahren ist über alle Himmel, auf daß er alles erfülle“ (Eph. 4, 10) und hat einen Namen empfangen, „daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind“ (Phil. 2, 10). Heinrich, ist da ein Raum gelassen für eine zweite Thatsache, die der auf Erden geschehenen Erlösung gleichartig wäre? Ist mit diesen Schriftstellen nicht der gnostische Traum des guten alten Kirchenvaters Origenes, daß es nach einander in verschiedenen Weltgebieten verschiedene Erlösungen gebe, zu nichte gemacht? Es giebt nur Einen, welcher Erlöser sein kann, und dieser Eine ist es nur einmal geworden; auf unserem Erdkörper hat er Fleisch und Blut angenommen und gelitten und den Tod überwunden, und durch das, was er auf unserem Erdkörper vollbracht hat, ist er das Haupt geworden über alles, was im Himmel und auf Erden ist, und alles, einzig den Vater ausgenommen (Hebr. 2, 8; 1 Cor. 15, 27), ist ihm unter die Füße gethan. Er ist „vollendet“ (Hebr. 2, 9; 5, 9; Offenb. 5, 13) und kann nicht aus dieser Vollendung zurückkehren, um auf irgend einem andern Stern wieder, sei es in welcher Weise es wolle, ein Erlösungswerk zu vollbringen. Das, was er auf unserer kleinen Erde gethan hat, ist für ihn, den ewigen Sohn, und für das ganze Weltall von ewig entscheidender Bedeutung.

Wird denn damit die Erde nicht offenbar für den Centralpunkt des Weltalls erklärt? Nun kommen die Astronomen, und sagen mir - und ich muß es glauben: - diese Erde ist einer der kleinsten Planeten unseres Sonnensystems; nicht einmal in diesem Sonnensystem bildet sie den Mittelpunkt; und was ist nun vollends dies Sonnensystem? Ein Stäubchen unter Millionen und Billionen Sonnensystemen, die, eins um das ändere kreisen. - Freund, hier steht mir der Verstand still. Diese Stellung der Erde, diese allerarmseligste Kleinheit, paßt einmal schlechterdings nicht zu jener ausgezeichnet einzigen Stellung, welche die Erde in der Bibel einnimmt. Und wenn nun die Spötter und Feinde des Evangeliums kommen, und sagen: „Ja mit dem alten ptolemäischen System, wo man die Erde für den Mittelpunkt hielt, da vertrug sich freilich diese Anschauung der Bibel, aber mit dem copernicanischen verträgt sie sich nicht, und daraus sieht man, daß die ganze biblische Anschauung von der Erde und von der Erlösung, die da geschehen sein soll, nicht ewige Wahrheit, sondern die Tochter einer kindlich veralteten, wissenschaftlich überwundenen Weltanschauung ist.“ - Heinrich! da überläuft es mich siedeheiß; da könnte ich weinen; ich möchte mit den Füßen stampfen und die superklugen Herren widerlegen, und - ich kann nicht! O Heinrich, hilf mir, wenn Du kannst!

Mit meinem Mariechen geht es, Gott sei Dank, wieder besser; das Fieber ist gewichen, das treue Auge wieder hell! sie liegt noch zu Bette, aber sie spielt wieder mit ihren Schüsselchen und ihrer Puppe. O welch eine Zeit habe ich durchlebt! Haus und Hof und den Zürichsee und die Alpenkette hätte ich hingegeben, wenn ichs gekonnt hätte, dies süße liebliche Kind zu retten. Aber der Herr hat es gnädig gemacht. Er hat nichts verlangt, als Flehen und Gebet, und das hat er erhört.

Grüße Deine Frau und den Conrad herzlich von mir. In treuer Liebe

Dein Georg.


Winterthur, den 25. Juli 1855.

Wie herzlich freue ich mich. Du lieber Freund und Bruder, daß Dein Mariechen wieder auf dem Wege der Genesung ist. Daß Du aber Haus und Hof und den Zürichsee und die Alpen für das Kind hättest geben wollen, begreife ich nach dem, was Du zuvor mir geschrieben, denn doch nicht. Ich will nichts sagen von Deinem herrlichen, freundlich gelegenen Haus, nichts von dem prächtigen Hof, den Stallungen, dem Garten, den Aeckern, Wiesen und Weinbergen. Aber der Zürichsee, diese Wassermasse von 8 Stunden Länge, 1 - 2 Stunden Breite und durchschnittlich 300 Klaftern Tiefe, diese Millionen Cubikfuße Wasser, und dazu die Alpen - der einzige Tödi ist 10,000 Fuß hoch, und mag wohl 30,000,000,000, sage dreißigtausend Millionen Cubikfuß enthalten - muß denn dagegen Dein Mariechen, das dritthalb Fuß lang und 1 1/2 Fuß breit ist, nicht völlig zur verschwindenden Größe werden?

Lachst Du? Bist Du mir böse? Sei mir nicht böse; Du selbst hast mich ja angeleitet, die Dinge mit der Elle zu messen! Du kannst es nicht reimen, daß die Erde der Schauplatz der für Himmel und Erde einzigen unaussprechlichen Erlösungsthat gewesen - und daß diese Erde doch ein so kleiner Bruchtheil des Weltganzen sein soll. Guter Junge, laß doch einmal das Weltganze mit seinen „Millionen und Billionen Sonnensystemen“ und seinen „beunruhigenden Planeten“ hinweg; bleibe auf dem Boden der Mutter Erde stehen, und siehe zu, ob Dir da nicht derselbe Zweifel oder dieselbe Schwierigkeit wieder begegnet!

Ich will versuchen, es Dir mittelst einer Parabel klar zu machen.

Als der Herr auf Erden wandelte, verlangte ein Engelein auf einem der fernsten Sterne sehnlich darnach, ihn, den Weltheiland, mit Augen schauen zu dürfen. Sein Wunsch ward ihm gewährt. Ein höherer Engel trug ihn unter seinen Fittigen nach der Erde zu. Als er noch 10,000 Meilen von ihr entfernt war, sah er sie wie einen ungeheuren rosenroth glühenden Ball aus dem Weltocean leuchten. „Ist das der Sohn Gottes?“ fragte er. „Nein“, war die Antwort, „das ist die Erde, auf der er jetzt weilt.“ Sie flogen näher. Der rosenrothe Ball ward immer größer; lichte und schattige Theile traten klarer auseinander. Das Engelein sah ein großes hellstrahlendes Etwas über die Erde hingebreitet; es spielte in tausend herrlichen Farben, und blitzte in den Strahlen der Sonne. „Ha, das ist er! das ist Gottes Sohn!“ rief es aus. „Nein, das ist das Weltmeer“, antwortete sein Begleiter. Sie flogen näher. Ueber dem Rande der Erdkugel erhob sich eine silberne, zackige Erscheinung, wie hingehaucht, wie von Duft und Licht gewoben. „O“, rief das Engelein, „sieh dort! das ist er gewiß!“ „Nein“, erwiderte der höhere Engel, „was Du so glänzen siehst, ist nichts als eine Alpenkette, die über einen noch unentdeckten Welttheil sich hinbreitet.“ Sie schwebten herab; sie sahen Gebirge, Seen, sie unterschieden Wälder und Städte; endlich ließen sie sich auf ein Wölkchen nieder, und glitten mit ihm in geringer Höhe über der Erdoberfläche dahin. Eine Schaar riesiger Elephanten weidete an einem Strom unter Palmen- und Lotosblumen. „Ach das sind wohl Menschen?“ fragte das Engelein. „O nein, „das sind Thiere. Sieh, dort sind Menschen!“ „Wie, diese kleinwinzigen Geschöpfe sind die Menschen, um deren willen Gott die Erde geschaffen und seinen eingeborenen Sohn gesandt hat? Sie sind ja kleiner, als die Bäume und Gebüsche! Aber der Sohn des Höchsten ist doch kein solcher Mensch geworden? Er ist doch wohl riesengroß?“ „Du wirst ihn sehen.“ Die Wolke schwebte über das Gebirge Seir und über den Jordan dahin, und stand über einem Oleandergebüsch am Ufer eines kleinen Sees stille. „Siehe, dort steht er am Ufer, und heilt Kranke.“ Dort stand er, der Eingeborene vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. „Wie?“ rief das Engelein, „dieser ist's? Kann ich das glauben, daß in diesem kleinen Leibe die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt? Dieses kleine Haupt - das Blatt einer Bignonie vermöchte es zu bedecken! - ist das Haupt, dem aller Himmel Himmel jauchzen, von dem der Welt das Leben kommt?“ -

Lieber Georg, ich glaube nicht, daß es im Himmel solche Engel giebt; aber auf Erden giebt es deren, und kenne ich einen. Freund, wirf die Elle weg! Nimm den Atlas zur Hand, schlage die beiden Planigloben auf! Wie viel des gemeinen Seewassers mit seinen kaltblütigen rohen Fischen, und wie wenig Erdfläche! Und auf dieser wie viel Wüsten, wie viel sonnverbrannte oder eiserstarrte Strecken, uud wie wenig gemäßigte Zone! Wie klein ist doch das Seebecken, an dessen Ufern jener entscheidende Theil der Weltgeschichte gespielt hat, welcher der Menschheit ihre Bildung und ihre Gestalt gab! Oder nimm Deine Naturgeschichte zur Hand! Giebt es nicht millionen- und billionenfach mehr Thiere als Menschen? und unter den Thieren nicht unendlich mehr Spatzen als Adler? unendlich mehr Seequallen als Wallfische? unendlich mehr Läuse als Löwen? Wo in der ganzen Natur gehen Qualität und Quantität Hand in Hand? Was ist feiner und herrlicher von Gott gebildet, die rohe Gesteinmasse, die 10,000 Fuß hoch gen Himmel ragt, oder der kleine zolllange Bergkrystall, der sich in einer ihrer Drusen verbirgt? Der plumpe Kalkfels, an dessen schwindelnden Abhang Du hinaufschaust, oder das wunderliebliche Edelweiß, welches diesem Abhang entsproßt? Gott ist im Kleinen groß, im Kleinen am allergrößten. Laß diese Erde -

Eben werde ich unterbrochen. Da ich sobald nicht zum Weiterschreiben komme - Carl mit den Seinen ist da zum Besuch auf einige Tage - so schicke ich Dir den Brief, wie er ist. Sobald ich kann, sollst Du die Fortsetzung erhalten. Mit den herzlichsten Grüßen

Dein Heinrich.


Stäfa, den 27. Juli 1855. Mein Dank, Freund, will sich nicht bis zum Eintreffen Deiner Fortsetzung gedulden. Du bist ein lieber wunderlicher Mensch! Deine Entgegnung ist frappant, aber nicht schlagend (wie doch ein französisches Wort weniger besagt, als ein gleichbedeutendes deutsches!). Du hast mir einen tröstlichen Gesichtspunkt eröffnet, aber meine Bedenken noch keineswegs beseitigt. Ich will sie Dir nicht noch einmal wiederholen; lies meinen vorigen Brief noch einmal durch. Nicht der Contrast zwischen der biblischen Wichtigkeit und mathematischen Kleinheit der Erde macht mir Mühe, sondern der Widerspruch zwischen ihrer biblischen Centralstellung und ihrer astronomischen Verlorenheit. „Himmel und Erde“ (1 Mos. 1, 1; Matth. 6, 10 u. a.) - wo findest Du diese Zweitheilung in der Astronomie wieder?

Ich dränge Dich nicht; genieße unsern Carl, und schreibe mir erst, wenn Du volle Muße hast, aber dann desto ausführlicher. Mariechen ist wieder auf den Beinen. O wie danke ich dem Herrn! - In Eile

Dein Georg.


Winterthur, den 30. Juli 1855.

Du reitest schnell. Ich finde kaum Athem Dir nachzukommen. Und doch ist die Reise, die wir heute mit einander zu machen haben, weit, geht über Sterne!

Daß ich von Deinen Bedenken erst ein einziges gelöst hatte, wußte ich, darum kündigte ich Dir eine Fortsetzung an. Nicht bloß die Frage nach der Centralstellung der Erde, sondern auch den Contrast zwischen ihrer Wichtigkeit und ihrer Kleinheit hattest Du berührt, indem Du geschrieben: „Das was er auf unserer kleinen Erde gethan hat, ist für ihn und für das ganze Weltall von ewig entscheidender Bedeutung.“ Dies Bedenken mußte ich zuerst aus dem Wege räumen; es ist mir so gut gelungen, daß Dir selbst nicht nur der Unterschied zwischen der Kleinheit und der nicht-centralen Stellung zum Bewußtsein gekommen ist, sondern Du Dein erstes Bedenken nun selber desavouirst.

Jetzt kann ich also unbesorgt zum zweiten gehen. „Während in der heiligen Schrift die Erde als der Centralpunkt des Weltalls dasteht, verschwindet sie in der Astronomie unter einem Haufen größerer Planeten und zusammt ihrem ganzen Planetensystem unter Myriaden Planetensystemen, wie ein Tropfen im Meer.“ Du mußt mir erlauben, etwas krittlich zu sein! Nicht als Centralpunkt des Weltalls steht die Erde in der heiligen Schrift da, sondern als Centralpunkt der einen Hälfte des Weltalls. Du selbst redest ja vom biblischen Gegensatze zwischen „Himmel und Erde.“ Damit kommst Du aber auf ein drittes Bedenken, das ich mit dem zweiten nicht vermischt haben will. Ich möchte gerne Schritt für Schritt gehen. Auch die „Myriaden von Planetensystemen“ lasse ich vor der Hand bei Seite, und formuliere Dein Bedenken so: „In der Bibel erscheint die Erde als der Centralpunkt des sie umgebenden und zu ihr gehörigen Schöpfungsgebietes; die Astronomie dagegen lehrt uns, daß nicht sie, sondern die Sonne in der Mitte steht, und daß die Erde unter einer Anzahl von anderen Planeten sich um die Sonne bewegt.“

Gut, Freund. Wo sitzt denn nun eigentlich der Widerspruch? Ich vermag ihn schon nicht mehr recht aufzufinden. Lehrt uns denn die heilige Schrift, daß die Erde der mathematische Mittelpunkt des Planetensystems sei? Wo stünde das geschrieben? Belehrungen über die mathematische Stellung des Erdkörpers giebt uns die heilige Schrift überhaupt nicht. Daß die heilige Schrift zu den Menschen in der Sprache der unmittelbaren menschlichen Anschauung redet, wirst Du wohl nicht auffallend finden. Unserm Blick scheinen Sonne, Mond und Sterne auf- und unterzugehen; im alltäglichen Leben sagen wir heute noch: Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter, obwohl wir von der Schule her wissen, daß die Sonne still steht und die Erde sich dreht. Wenn Du in einem gelegentlichen Gespräche sagen wolltest: „Als die Erde sich so weit von West nach Ost gedreht hatte, daß von dem Orte aus, wo ich gerade stand, die Sonne gerade über den Horizont weg gesehen werden konnte, so fing ein kühler Luftzug an zu wehen“ - würde Dich nicht jedermann für einen Thoren und Pedanten halten? Und wenn vollends ein Missionar in solcher Weise zu einem Indianer reden wollte, welcher vom copernicanischen System noch nichts weiß - würdest Du nicht sagen, er handle wie ein Narr? Können wir nun von der heiligen Schrift vernünftigerweise verlangen, sie solle das thun, was wir selbst für thöricht erklären? Dazu hat Gott seine Offenbarung nicht gegeben, um dem Copernicus das Nachdenken zu ersparen! Solange die Menschheit noch nicht durch wissenschaftliches Forschen die Axendrehung der Erde entdeckt hatte, sondern noch auf dem Standpunkte der unmittelbaren Wahrnehmung stand, redete Gott, weil er ein weiser Gott ist, mit ihr in ihrer Sprache. Er redete ja mit ihr nicht über Astronomie, sondern über den Weg zum ewigen Seelenheil. Wo Gottes Wort von den Gestirnen redet, geschieht dies gelegentlich, und da wird dann von einem Aufgang und Untergang derselben gesprochen, wie wir heute noch davon sprechen, sofern wir gelegentlich die Sache berühren und keine astronomischen Gespräche führen.

„Aber“ - ich höre schon, Georg; ich höre Dein Aber. Daß die heilige Schrift von einem Aufgehen, Untergehen, Stillestehen der Sonne, spricht, dies macht Dir in der That keine Schwierigkeit. Aber weist sie denn nicht auch in der Schöpfungsgeschichte der Erde eine einzige Stellung unter den Planeten an? Die chaotischen Wasser werden in untere und obere getheilt; aus den unteren wird die Erde geformt; Sonne, Mond und Planeten werden erst später - wie es scheint, aus den oberen Wassern - geschaffen.

Inwieweit auch hier zu den Menschen in ihrer Anschauung geredet werde, will ich dahingestellt sein lassen. Zugegeben, daß die Erde vor den andern Körpern des Planetensystems geschaffen worden - was hat dies zeitliche Vor mit der räumlich mathematischen Stellung zu schaffen? Es beweist uns nur, daß die Erde eine qualitative Einzigkeit vor allen ihren Nachbarkörpern, selbst vor der Sonne, voraus hat. Daß sie ihren Platz in der Mitte der andern erhalten habe, wird 1 Mos. 1, 16 ff. ebensowenig gelehrt als in Abrede gestellt, und wir wollen, denke ich, von der Schöpfungsgeschichte und ihrem Zweck und Sinn später noch einmal ausführlicher mit einander verhandeln. Aber soviel folgt aus 1 Mos. 1, 16 ff. allerdings mit zweifelloser Sicherheit, daß die Erde, wenn sie in ihrem Gewordensein eine so qualitativ einzige Stellung einnimmt, daß die andern Planeten sammt der Sonne um ihretwillen geschaffen worden sind, sie auch in ihrem Sein und in ihrer Beschaffenheit diesen einzigen Rang einnehmen müsse. Das ist aber nichts Neues! Wenn es sich nicht aus 1 Mos. 1, 16 ff. ergäbe, so würde es sich ja aus der ganzen heiligen Schrift ergeben, daß um der Erde willen die sie umgebende Welt geschaffen worden ist.

Fassen wir das Gewonnene zusammen: Ob die Erde der mathematische Centralpunkt des Planetensystems sei, darüber lehrt die heilige Schrift gar nichts, sondern redet nur zu den Menschen in ihrer Sprache der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung. Hier tritt sie also mit der Astronomie auch in keinen Widerspruch. Daß aber die Erde der teleologische Centralpunkt des sie umgebenden Schöpfungsgebietes sei, daß selbst die Sonne für die Erde und um der Erde willen geschaffen worden, und daß alles, was Gott mit dem Planetensystem erreichen wollte, auf der Erde und durch die Erde erreicht wird, das lehrt die heilige Schrift auf das bestimmteste. Tritt sie etwa hier mit der Astronomie in Widerspruch?

Ueber den Zweck, den Gott bei der Erschaffung der einzelnen Weltkörper gehabt, kann die Astronomie uns begreiflicherweise keinen unmittelbaren Aufschluß geben. Wohl aber einen mittelbaren. Wenn ich sehe, daß der Mensch nicht bloß, wie die Hunde und Katzen, Geier und Schwalben, Fische und Käfer, zum Essen, Trinken und Begatten, sondern auch zum Denken und Selbstbestimmen organisiert ist, so schließe ich daraus mit Recht, daß der Mensch die Krone der irdischen Natur und das Endziel ist, auf welches Gott bei der Erschaffung der Naturwesen hinaus wollte. Wie, wenn nun die Erde unter allen Planeten und uns bekannten Himmelskörpern allein so organisiert wäre, daß ein so edelorganisiertes Wesen, wie der Mensch, auf ihr existieren kann - sollte dann nicht die Erde die Krone und das Endziel des Planetensystems sein? sollte man dann nicht sagen dürfen: Gott hat bei dem ganzen Planetensystem auf die Erde und mit dieser auf den Menschen hinausgewollt? - Würde dann nicht auch auf astronomischem Wege die Erde als der teleologische Centralpunkt des Planetensystems erwiesen sein?

Mach' Dich reisefertig, Georg! Nimm die Flügel der Morgenröthe, und ein helles Auge und fröhliches Herz dazu! Die Fahrt geht durch den Aether!

Vorüber an allen andern Planeten, hinaus zum fernen Uranus! Du mußt eine Sternschnuppe als Fackel mitnehmen, daß sie Dir leuchte. Denn die Stärke des Sonnenlichtes hat hier in der Entfernung von 386 Millionen Meilen so abgenommen, daß Dein Auge wie das einer Nachteule construiert sein müßte, wenn Du in dieser traurigen Dämmerung noch etwas erkennen solltest. Doch wenn Gott hieher Menschen hätte setzen wollen, hätte er ihnen ja immerhin Nachteulenaugen bescheeren können. Aber traurig wäre ihre Existenz da draußen doch immerhin. Ich schweige davon, daß die liebe Sonne, von hier aus gesehen, zu einem kleinen Scheibchen von 100 Secunden Durchmesser zusammenschrumpft und sich förmlich unter den andern Sternen verliert; aber, lieber Georg, damit fällt auch der Unterschied von Tag und Nacht so gut wie hinweg, und wie wichtig ist dieser Unterschied, dieser Gegensatz von Arbeits- und Ruhestunden, für die Entwicklung des Menschen! Dort könnte, um von anderem nicht zu reden, - kein Dichter ein fröhliches Morgen-, ein sanftes Abendlied singen; eine düstere einförmige Prosa würde sich über das Leben ziehen; diese ganze wichtige Seite des menschlichen Geistes, die poetische, würde dort unentfaltet bleiben müssen. Kein merkbarer Wechsel von Tag und Nacht, trotz der schnellen, nur siebenstündigen Axenumdrehung; keine Morgenglocken, die zur Andacht läuten; keine natürlich sich ergebende Zeit des Gottesdienstes, der Schule, des Wachens und Schlafens, Essens und Trinkens. Und in der Natur kein Morgennebel, kein Abendduft, keine Kühle der Nacht! Einförmig alles! Doch nein. Da tritt ein anderer Wechsel, der der Jahreszeiten ein, aber wie grell, wie entsetzlich! Die Axe des Uranus, die Linie, um welche er sich dreht, ist um volle 90 Grade gegen seine Umlaufsbahn um die Sonne geneigt. Heute steht die Sonne senkrecht über seinem Nordpol. Ein volles halbes Jahr (und ein halbes Uranusjahr beträgt 42 Erdenjahre) kreist die Sonne über seiner nördlichen Halbkugel, dann ein volles halbes Jahr über der südlichen. Auch die erwärmende Wirkung der Sonne mag dort gering sein, aber wenn sie noch einen Wechsel der Jahreszeiten hervorzurufen vermag, so ist es ein unerträglich trauriger. Nur in der allernächsten Nachbarschaft des Aequators findet noch eine Art von gemäßigter Zone statt - freilich so, daß heute die Sonne unten am Horizont um den Himmel spaziert, in einem Vierteljahr (10 1/2 Erdenjahren, welche 6569 Uranustage enthalten) senkrecht über Deinem Haupte steht, abermals in einem Vierteljahr wieder am Horizont hingleitet, und endlich wieder senkrecht über Dir steht - so daß Du in einem Uranusjahr (84 Erdenjahren) zweimal den langweiligen und doch schrecklichen Wechsel erlebst zwischen demjenigen Klima, wie es auf Erden am Nordpol und wie es an unserm Aequator ist. Und das ist auf dem Uranus, wie gesagt, noch das gemäßigtste Klima. Wer mehr nach einem der Pole hin wohnt, der bekommt nahe an die 42 Erdenjahre lang von dem Sonnenscheibchen gar nichts zu sehen! Ob unter solchen Verhältnissen eine Vegetation möglich ist? Jedenfalls nur eine höchst unvollkommene. Eine geregelte Bodencultur dürfte sich wohl schwerlich denken lassen, und wie viele Faktoren der Entwicklung des menschlichen Geistes, der Familie, des Staates fallen damit hinweg!

Fort von da zum Saturn! Die Axenneigung ist hier erträglich; sie beträgt nur 30 Grade. Jahreszeiten und Zonen sind hier also gleichmäßiger vertheilt; doch dehnen sich die gemäßigten Zonen nur über 60 Grade aus, während die heiße sammt den beiden kalten sich über 120 Grade ausdehnt. Die gemäßigten Zonen, nach Graden gemessen, umfassen also nur 1/3 des Saturnumfangs, während sie auf der Erde fast genau die Hälfte ausmachen! - Aber ist jene Vertheilung der Zonen auch immer noch eine erträgliche, so ist dagegen das Mißverhältniß zwischen dem langen (über 29 Erdenjahre langen) Saturnsjahr und den äußerst kurzen (nur 10 bis 11 Erdenstunden langen) Saturnstagen immer noch ein sehr grelles. Denke Dir einen kurzen Wintertag in der gemäßigten Zone des Saturn. Kaum drei Stunden dauert derselbe; Du bist kaum aufgestanden, so gehst Du schon wieder zu Bette. Wo bleibt da die Zeit zu einer andauernden Arbeit und geistigen Beschäftigung? Die Sonne erscheint Dir auch dort nur erst als ein Scheibchen von 20 1/2 Secunden; also etwa viermal so groß (dem Durchmesser nach), als uns der Jupiter erscheint. Nun ist aber überdies dieser Saturn von so geringer Dichtigkeit, daß sein spezifisches Gewicht noch nicht einmal so viel beträgt, wie das des Wassers. Die Attraktionskraft ist dort also äußerst gering; Körper, die bei uns sehr schwer sind, würden dort leicht sein, wie Kork; Felsblöcke würden dort auf dem Wasser schwimmen, weil sie von dem Erdkörper selber so wenig angezogen würden. Dazu kommt nun noch, daß der feste Ring (eigentlich Doppelring), der in einer Entfernung von 5700 Meilen den Saturn umkreist, viel dichter ist, als der Saturn selber. Durch ihn werden nun vollends die Körper ihres bisschens Schwere beraubt, und in schräger Richtung in die Höhe gezogen. Schon darum läßt sich nicht recht denken, wie frei bewegliche Körper dort existieren können. Dazu kommt nun noch, daß jener Ring nur den Aequatorialbewohnern, und diesen nur im Sommer und nur am Tage leuchtet, also die Hitze vermehrt, während er auf die winterliche Hälfte des Planeten noch seinen ungeheuren (etliche Millionen Meilen langen) Schatten wirft (und das zwar 15 Erdenjahre lang in einem Stück!) und dort die Kälte bis ins Entsetzliche steigert. Dadurch hebt er aber die gemäßigte Natur der dortigen Zonen wieder völlig auf, und es ist daher auf dem Saturn eine bleibende Vegetation und eine Bodencultur ebensowenig denkbar als auf dem Uranus. Hätte der Saturn Bewohner, so müßten diese, um existieren zu können, jedes halbe Saturnsjahr (d. h. alle 15 Erdenjahre) ihre Wohnsitze verlassen, und als beständige Nomaden auf die entgegengesetzte Halbkugel wandern. Bei der Menge von Wolken und Dünsten, die den Saturn beständig umgeben, ist es aber sehr wahrscheinlich, daß sein Körper aus gar keiner festen, sondern einer flüssigen oder halbflüssigen Masse besteht.

Da wir auch hier uns unmöglich ansiedeln können, so treten wir die Reise nach dem schönen, hellen, großen Jupiter an. Da sehen wir die liebe Sonne doch wieder als eine 369 1/2 Secunden große Scheibe (etwa 1/5 groß, als sie uns auf der Erde erscheint). Die Jupiterstage sind im Vergleich mit den Jupitersjahren immer noch erstaunlich kurz. Denn ein solcher Tag (vom Abend bis zum folgenden Abend) beträgt nur 9 Stunden 56 Minuten, der eigentliche Tag also nur durchschnittlich 5 Stunden, während das Jahr beinahe 12 Erdenjahre dauert. So kommen also auf ein Jupitersjahr 10,476 Jupiterstage, und wenn man das Jahr dort in 12 Monate theilen würde, so würde jeder dieser Monate 873 Tage lang werden, und man würde also einen Brief z. B. vom 870. Januar datieren können. Das würde nun freilich noch nicht viel schaden, wenn man nur von dem Jahreswechsel dort überhaupt etwas merkte! Aber die Axe des Jupiter ist so wenig (nur 3 Minuten) gegen seine Bahn um die Sonne geneigt, daß sein jährlicher Umlauf um die Sonne so gut wie gar keine Veränderungen auf seiner Oberfläche hervorbringt. Der eine Pol steht allezeit stets in die Höhe, der andere fort und fort nach unten. Jupiter mag also auf seiner Bahn stehen, wo er will, so haben die Pole immer gleichen Winter, der Aequator immer dieselbe Hitze. Es ist hier gerade das Umgekehrte wie auf dem Uranus. Auf dem Uranus ist ein furchtbarer Wechsel der Jahreszeiten und gar kein Unterschied der Zonen (der Pol selbst hat einmal die Sonne senkrecht über sich stehen und dann wieder ein halbes Jahr Nacht und Winter dazu); auf dem Jupiter ist ein sehr fester Unterschied der Zonen, aber in den einzelnen Zonen nicht der geringste Wechsel der Jahreszeiten. Siedle Dich auf dem Jupiter an, wo Du willst, so ist das ganze liebe lange Jahr über Tag und Nacht gleich lang. Welch' tödtende Einförmigkeit! Wie würden die Menschen, wenn welche dort wohnen würden, zur Trägheit und Sorglosigkeit verlockt, da sie für keinen Winter, für keinen Wechsel der Jahreszeit zu sorgen hätten, da ihnen vielmehr die Natur das ganze Jahr über die gleichen Erzeugnisse böte! Und welchen lähmenden Einfluß würde dies auf das geistige Leben haben. Es würden auf der gemäßigten Zone Zustände eintreten, wie sie etwa bei den Indianern einzelner Südseeinseln, die einen ewigen Frühling haben, stattfinden; die kalten Zonen aber und die heißen würden völlig unbewohnbar sein. Aber mit der Bewohnbarkeit sieht es auch abgesehen davon schlecht aus. Aus der Bewegung der Wolken, die den Jupiter umgeben, hat man berechnet, daß dort sehr häufig Stürme wehen, welche eine Schnelligkeit von sieben bis eilftausend Fuß in der Secunde haben.1) Ein solcher Sturm würde alles niederreißen und vernichten, was sich auf der Oberfläche des Jupiter befände. Es ist aber aus vielen Gründen den Astronomen als wahrscheinlich erschienen, daß die Oberfläche dieses Planeten ganz oder fast ganz mit Wasser bedeckt sei.

Auf diesem sturmbewegten Meere ist Dir's nicht wohl. Suchen wir also nach einem andern Wohnsitz. Bei den Asteroiden: Vesta, Juno, Ceres, Pallas, Asträa u.s.w., diesen versprengten kleinen Trümmern oder Bausteinen eines zerstörten oder werdenden Planeten wollen wir uns gar nicht aufhalten. Ist doch schon allein die spezifische Schwere, folglich auch die Anziehungskraft dieser cometenartigen kleinen Körperchen so gering, daß eine Bewegung Deiner Muskeln, welche auf der Erde gerade hinreicht, Deinen Fuß emporzuheben, auf einem der Asteroiden Dich schon haushoch in die Luft schnellen würde. Menschen ohne Flügel würden dort kaum existieren können. Und welcher enge Raum wäre dem Menschengeschlecht dort angewiesen; auf einer Gesammtoberfläche von 2111 Meilen, welche denn doch noch zwischen Land und Meer getheilt sein müßte, um eine Völkerentfaltung zu ermöglichen, würden ja nur Stämme, nicht Nationen Platz finden.

Wir eilen also zu Mars. Da ließe sich's zur Noth noch am ersten leben, denn bei seiner Axenneigung, welche 30 Grad beträgt, findet auf ihm eine ähnliche Vertheilung der Zonen und ein ähnlicher Wechsel der Jahreszeiten statt, wie auf unserer Erde, und wirklich ist der Silberglanz des winterlich zunehmenden, sommerlich abnehmenden Schnee's an seinen Polen durch starke Telescope beobachtet worden. Auch tritt bei ihm kein Ring, wie bei Saturn, störend in diesen natürlichen Wechsel der Jahreszeiten herein. Seinen Jahreslauf vollendet er in der Zeit von 686 Erdentagen, seine eignen Tage sind ziemlich ebenso lang, als die Erdentage, nämlich 24 Stunden und 20 Minuten. Aber frage Dich nun: warum wäre der Mars allenfalls für fein und geistig organisierte Wesen bewohnbar? so wirst Du antworten müssen: darum weil - und in dem Maße, als er der Erde ähnlich ist. Du wirst aber auch zugestehen müssen, daß alle die Vorzüge, welche den Mars vor den übrigen Planeten auszeichnen, der Erde noch in weit höherem Grade zukommen, als dem Mars. Die Erdaxe ist gerade um so viel geneigt, daß die Hälfte jedes Meridians gemäßigte Zonen durchschneidet - das günstigste Verhältniß, welches gedacht werden kann! Die trefflichste Vermittlung des Zonenunterschiedes mit der Temperierung des Jahreszeitenwechsels! Auf dem Mars gehört nur ein Drittheil der Grade des Meridians der gemäßigten Zone an.

Von Mercur und Venus laß mich nun kurz sein. Ich will nicht von dem Mißverhältnis; zwischen des ersteren langen (24stündigen) Tagen und kurzem (87 Tage langen) Jahresumlauf reden, sondern nur allein von seiner Kleinheit; beträgt doch sein Halbmesser nur 305, - nach andern Berechnungen gar nur 292 Meilen, so daß seine Oberfläche neunmal kleiner ist, als die der Erde. Venus ist ziemlich ebenso groß als die Erde, hat 23stündige Tage und 224tägige Jahre, theilt aber bei ihrer ungeheuern Axenneigung von 72 Graden alle jene Nachtheile und Mängel, welche wir bei Uranus gefunden haben, nämlich einen so grellen und furchtbaren Wechsel der Jahreszeiten, mit welchem keine höhere Vegetation und kein höheres organisches Leben vereinbar ist. Ueberdies erscheint ihre Atmosphäre so wolkenlos, daß sie aller Wahrscheinlichkeit nach des Wassers entbehrt.

Wir haben unsere Reise vollendet, und Du wirst Dich aus diesen wenigen Beobachtungen hinreichend überzeugt haben, daß die Erde nicht ein Planet, sondern der Planet ist. In ihr und ganz allein in ihr ist der Gedanke und Zweck der Planetennatur, gleichsam die göttliche Idee des Planeten, verwirklicht. Sie, und nur sie, ist die harmonisch geordnete Wohnstätte für Wesen, welche leiblich und geistig so fein organisiert sind, wie die Menschen. Ist die Natur da um des Geistes willen, so sind die andern Planeten da um der Erde willen; sie sind Ansätze zur Planetennatur, und sobald man sie in dieser ihrer göttlichen Bestimmung zu betrachten sich weigert, erscheinen sie als bloße Carrikaturen der Planeten. Natürlich könnte Dir noch weit mehr anführen. Ich könnte Dich darauf aufmerksam machen, daß die untern Planeten: Mercur und Venus, in mehrfacher Beziehung (namentlich wegen der unverhältnißmäßigen Höhe ihrer Gebirge, welche beim Mercur bis zu 3, bei der Venus bis zu 7 Meilen hoch sind!) dem Monde ähneln, welcher ebenso unverhältnißmäßig hohe Gebirge hat, mithin ebenso sehr von der reinen Kugelgestalt abweicht, und daß sie als eine Art von Monden der Sonne betrachtet werden können. Die obern Planeten dagegen haben ein jeder mehrere Monde - ganze Mondsysteme - um sich; während jene die Planetennatur noch nicht recht erreicht haben, sind diese schon darüber hinausgeschritten, und gleichsam zu kleinen Sonnen geworden. Doch das ist mehr eine philosophische Betrachtung, die ich Dir nicht aufdringen will. Hältst Du Dich aber auch uur an das Handgreifliche, was ich oben ausgeführt, so wirst Du gestehen müssen: die Astronomie stellt, genau wie die heilige Schrift, unsern Erdkörper als den teleologischen Centralpunkt des Planetensystems, nämlich als den in sich vollendeten Planeten, als die einzige für höhere Wesen sich eignende Wohnstätte dar.

Und damit gehab' Dich wohl! Ein andermal wollen wir eine Entdeckungsreise nach andern Planetensystemen machen. Wenn nur nicht die „Myriaden“ derselben auf Null zusammenschwinden!

Dein Heinrich.


Stäfa, den 2. August 1855.

Für Deine Planetenrundschau, lieber Heinrich, bin ich Dir denn wirklich tausend Dank schuldig. Größerntheils waren mir die einzelnen astronomischen Thatsachen wohl von der Schule her bekannt; aber nie dachte ich daran, Folgerungen daraus zu ziehen, welche so einfach, so unumstößlich sich ergeben. Entweder muß man sich zu der Annahme entschließen, daß auf jenen Planeten völlig andere Naturgesetze herrschen, als bei uns (aber wer möchte wohl eine so thörichte Hypothese aufstellen, da wir ja die Gesetze der Anziehung, Bewegung, Wolkenbildung u.s.w., des Lichtes, der spezifischen Schwere u. s. f. auf den andern Planeten genau ebenso wie auf unserer Erde herrschend finden) - oder man muß bekennen, daß gemäß eben dieser Naturgesetze auf den andern Planeten ein so vollkommen organisiertes vegetabilisches, und animalisches Naturleben, wie auf der Erde, nicht vorkommen kann, geschweige daß die allertrivialsten Vorbedingungen für die Möglichkeit der Entwicklung geistiger Wesen dort gegeben wären! Ja, Du hast Recht, die Erde ist der Planet; wenn es die heilige Schrift nicht thäte: die Astronomie würde es auf jedem Blatte uns predigen, nämlich, daß das Planetensystem so gewiß um der Erde willen, als auf ihr das Thierreich um des Menschen willen geschaffen worden.

Du hast mir nun noch die Lösung eines dritten Bedenkens versprochen. Du wolltest mir zeigen, daß unser Planetensystem wiederum im ganzen Weltall als einzig in seiner Art dastehe. Lieber Heinrich, ich bin überzeugt. Du werdest mir diesen Beweis so vollständig liefern, wie den vorigen; aber laß Dir sagen, daß an der Existenz der „Myriaden Planetensysteme“ mir selbst bescheidene Zweifel aufgestiegen sind. Ich sprach darüber mit Albert; ich sagte ihm, daß doch noch niemand irgend einen dieser fremden Planeten gesehen habe; er entgegnete mir, daß bei der Ungeheuern Entfernung das Licht dieser nur beleuchteten Himmelskörper für uns auf alle Fälle zu schwach werde, als daß man es, auch mit den besten Telescopen, noch irgendwie wahrnehmen könne. Daraus, daß wir sie nicht sehen können, darf man nicht den Schluß ziehen, daß sie nicht existieren, sagte er. Noch weniger den, daß sie existieren, entgegnete ich. Hierauf, antwortete er, führe das Gesetz der Analogie; habe unsere Sonne Planeten um sich, so müsse man das Gleiche auch von den andern Sonnen muthmaßen. Darauf hatte ich keine Erwiderung.

Nun fiel mir aber recht glücklich und geschickt eine Abhandlung von Struve über die Doppelsterne in die Hände. Da sah ich auf einmal an Tausenden von Fixsternen das Gesetz einer vermeintlichen Analogie mit dem Planetensystem durchbrochen. Dort drehen sich je zwei Fixsterne um einen gemeinsamen Schwerpunkt (wie z. B. beim Castor in den Zwillingen in 360 Jahren, beim Stern Epsilon im großen Bären in 70 Jahren, beim Stern Gamma im Löwen in 700 Jahren u.s.w.). Andere Sterne wie Epsilon in der Leier, Lambda im Orion, sind nicht Doppelsterne, sondern vierfache Sterne, wo ein Paar von Fixsternen sich um das andere Paar, und in jedem Paare wieder der eine Stern um den anderen dreht. Ja der Stern omega im Orion besteht aus sechzehn Sternen, die sich je acht um acht, dann je vier um vier, dann je Paar um Paar, endlich je Stern um Stern drehen. Daß nun hier der einzelne Stern nicht wieder ein Planetensystem um sich haben kann, ist von vorne herein klar, nicht bloß, weil bei dem meist geringen (oft nur der Entfernung des Jupiter von der Sonne gleichkommenden) Abstande dieser Brudersterne von einander für Planetensysteme kein Raum wäre, sondern hauptsächlich, weil zwei solche Planetensysteme, deren Sonnen um einander kreisen, die furchtbarste Verwirrung, nicht trotz, sondern wegen des Gesetzes der Attraktion, unvermeidlich erleiden müßten. In Betreff der Doppelsterne (und ihrer werden fast jeden Tag neue entdeckt, so daß sie unter dem Heer der Sterne schon ein großes Contingent ausmachen) gilt also die Analogie unseres Planetensystems nicht. Wie kann man mich nun nöthigen wollen, aus einem abstrakten Gesetze der Analogie heraus den Schluß zu ziehen: Weil unsere Sonne Planeten um sich hat, müssen die übrigen Fixsterne ebenfalls Planeten um sich haben - da doch von Tausenden derselben bewiesen ist, daß sie keine Planeten um sich haben können, von keinem aber, daß er Planeten habe. Gewiß weit mehr bin ich zu dem Schlusse berechtigt: Weil die Fixsterne zu einem nicht kleinen Theile erwiesener Maßen der Planeten ermangeln, so hat auch in Betreff der übrigen die Hypothese, daß sie ohne Planeten seien, mindestens eben so viel für sich als die umgekehrte. Ja ich möchte mich noch darauf berufen, daß wenn es so viele Millionen Planetensysteme gäbe, doch wenigstens einzelne dieser Planeten dann und wann zwischen ihrer Sonne und unserer Erde durchgehen und ihre Sonne dadurch, wenigstens um etwas, verdunkeln müßten. Davon hat man aber noch nie etwas beobachtet. Haben aber die Fixsterne keine Planeten, so sind sie auch keine „Sonnen“, sondern es muß der spezifische Unterschied festgehalten werden zwischen der Fixsternwelt, wo jeder Körper im eignen wandellosen Lichte strahlt, und dem Planetensystem, wo der Gegensatz zwischen dem leuchtenden Körper und den beleuchteten, und mit ihm die Sphäre des Wechsels und der Entwicklung, auftritt. Damit habe ich aber eben jene beiden Sphären der sichtbaren Schöpfung wiedergewonnen, von welchen die heilige Schrift mir Kunde giebt; dort „den Himmel und sein Heer“ (1 Mos. 1, 1 vergl. mit 5 Mos. 4, 19; 17, 3; 2 Kön. 17, 16), d. i. jene „Morgensterne“, die den Herrn lobten, als er den Grundstein der Erde legte (Hiob 38, 7), und welche zu den lebendigen „Heerschaaren des Himmels“, den Engeln, sicherlich in näherer Beziehung stehen (vergl. Ps. 148, 1-2); und hier „die Erde“ (1 Mos. 1, 1-2) sammt den sie umgebenden Kokabim (1 Mos. 1, 16), welche die Zeiten, Jahr, Tag, Nacht, regieren sollen, d. i. den Planeten. Denn kokabim bezeichnet ja nirgends das Heer der Fixsterne; 1 Mos. 37, 9 neigen sich in Josephs Traum Sonne, Mond und eilf Sterne; es ist hier deutlich genug die Anschauung einzelner ausgezeichneter, mit Sonne und Mond zusammengehöriger Sterne, wenn auch die Zahl derselben dort durch die der Brüder Josephs, und nicht durch eine astronomische Rücksicht bestimmt ist; Ps. 148, 3 werden die kokabim als kokabe or, Sterne des Lichtes (vergl. 1 Mos. 1, 14 ff.), mit Sonne und Mond zusammengestellt, und V. 4 mit den „oberen Wassern“ in eine Verbindung gebracht, welche ebenso wie die Anlage des ganzen Psalms, an 1 Mos. 1 zurückerinnert. Um so merkwürdiger ist, daß V. 1 ff. „die Himmel“ sammt ihrem „Heer“ und „allen Engeln“ vorangehen und dann erst „Sonne und Mond“ mit den „Kokabim“ nachfolgen. Auch Ezech. 32, 7 finden wir die kokabim mit Sonne und Mond als „Lichter“ zusammengestellt. Und 4 Mos. 24, 17 muß kokab als Sinnbild des Messias einen ausgezeichneten und einzigen Stern bezeichnen. An anderen als den genannten Stellen kommt das Wort nicht vor. Die Mengen der Fixsterne werden nirgends kokabim, stets nur „Heere des Himmels“ genannt, und bei diesen „Heeren des Himmels“ kann man natürlich nicht an die Planeten denken, von denen ja nur vier - Venus, Mars, Jupiter, Saturn - dem unbewaffneten Auge augenfällig sichtbar sind, sondern nur an das Heer der Millionen Fixsterne. Die heilige Schrift kennt also - wie das ganze Alterthum - den Unterschied der Fixsterne und der ihre Stellung verändernden und hierdurch die Zeiten regierenden, an Sonne und Mond sich anschließenden Planeten recht gut; sie bezeichnet die letzteren durch kokabim, die ersteren durch „Zebaoth Haschamaim“ (Heere des Himmels); theilt jene der Erde zu, und unterscheidet diese als den Himmel von der Erde und ihren Nachbarkörpern. Auch hier stehen Bibel und Astronomie in völligem Einklang.

Du wirst das hier Gesagte leicht noch ergänzen und vervollständigen können, lieber Heinrich. Uebrigens habe ich noch ein paar andere Fragen auf dem Herzen; doch davon später! Ich darf Dich nicht ermüden. Einstweilen nimm den freundlichen Dank Deines schon wesentlich beruhigten

Georg.

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Die furchtbarsten Stürme auf unserer Erde haben eine Geschwindigkeit auf 60 Fuß in der Secunde!
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