Claudius, Matthias - Anfang der "Wandsbecker Romanze"

Claudius, Matthias - Anfang der "Wandsbecker Romanze"

Mein lieber Andres! Was Ihn anlanget, so wird Er sich ja wohl noch wohl befinden. Ich habe das Leichdornpflaster erhalten, aber die Molkenkur habe ich nicht brauchen können, arbeite auch jetzo an einem Werke, das ich dem Druck übergeben will. Er glaubt nicht die herauskommen. Was Er seiner Schrift für einen Titel geben will, das muß Er wissen; die meinige wird den folgenden haben: „Wandsbeck, eine Art von Romanze, mit einer Zuschrift an den Kaiser von Japan“, und ich beschreibe darin den Ort, wo ich wohne. Ich habe ein dankbar Gemüth, weiß Er, Andres! und da dünkt mich, daß ich's dem Ort schuldig bin, wo ich so wohlgemuth bin. Dazu bin ich nun einmal in das Wandsbeck vernarrt und muß mir Luft machen, und das soll der Kaiser von Japan entgelten. Von dem Werk selbst weiß ich Ihm nichts zu sagen, als daß es Anfang und Ende haben wird und bald herauskommen soll. Ich wollt's anfangs in Prosa schreiben, ich ging aber neulich ein Feldweges mit einem Poeten - die Poeten gehen hier zu Lande auch zu Fuß wie unser einer - und der hat mir das Ding mit der Poesie so süß vorgemalt, daß ich eins in Versen wagen will. Geht's nicht, nun so bin ich nicht der erste und werde auch der letzte nicht sein. Das Beste dabei ist, daß mir die Commata und Puncta nicht viel zu thun machen. Ich will ihm den Anfang abschreiben, Andres, denn sieht Er, wenn Er denn das Ende vielleicht nicht sehen sollte, so hat Er doch den Anfang gesehen, wie folget:

Gesetzt, du wärst, dich zu erfreun,
Und ob des Leibes Stärke,
In Hamburg (Fleisch und Fisch und Wein
Sind hier sehr gut, das merke!)

Und hättest Wandsbeck Lust zu sehn,
Und bist nicht etwa Reiter;
So mußt du aus dem Thore gehn,
Und so allmählich weiter.

Zu Wagen kannst du freilich auch,
Das kann dir niemand wehren;
Doch mußt du erst nach altem Brauch
Des Fuhrmanns Meinung hören;

Und wenn der nichts dagegen hat,
So hab' ich nichts zu sagen.
Reit' oder geh', doch in der That
Am besten ist's zu Wagen.

Nur siehe fleißig vor dich hin,
So wirst du schaun und sehen
Da einen Wald, wo mitten d'rin
Lang Thurm und Häuser stehen.

Ad vocem Thurm fällt mir gleich ein,
Daß einst im Pisa-Lande
Mit dreien Kindern, jung und fein!
Ein Mann von hohem Stande

Verriegelt worden jämmerlich;
's ist schrecklich zu erzählen,
Wie da der Alte mußte sich,
Wie sich die Kinder quälen.

Wer nicht versteht Reim und Gedicht
Kann ihre Qual nicht sprechen;
Sie saßen da und hatten nicht
Zu beißen noch zu brechen,

Und hatten Hunger - ach, der Tod
War hier Geschenk und Gabe,
Drei Tage lang bat Gaddo Brod,
Dann starb der arme Knabe.

Um seine kleine Leiche her
Wankt Vater, wanken Brüder,
Und starben alle so wie er
Nur später - aber wieder

Zu kommen auf dem Thurm im Wald,
Den du thust schaun und sehen,
So merke nun auch wasgestalt
Mit dem die Sachen stehen.

Andres, finde Er die Verse gut, ich will auch seine Schrift von den Leichdörnern rühmen. Leb Er wohl.

Sein Diener, Andres.

Asmus, pro tempore Bote in Wandsbeck

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