Claudius, Matthias - Neue Erfindung

Claudius, Matthias - Neue Erfindung

Hab' eine neue Erfindung gemacht, Andres, und soll Dir hier so warm mitgetheilt werden.

Du weißt, daß in jeder gut eingerichteten Haushaltung kein Festtag ungefeiert gelassen wird, und daß ein Hausvater zulangt, wenn er auf eine gute Art und mit einigem Schein des Rechtes einen neuen an sich bringen kann. So haben wir beide, außer den respectiven Geburts- und Namenstagen, schon verschiedene andre Festtage an unsern Höfen eingeführt, als das Knospenfest, den Widderschein, den Maimorgen, den Grünzüngel, wenn die ersten jungen Erbsen und Bohnen gepflückt und zu Tisch gebracht werden sollen, und so weiter.

Nun ist wohl wahr, daß der Sommer und sonderlich das Frühjahr viel schön sind. Gleich wenn der Winterschnee aufthauet und man den bloßen Leib der Erde zum erstenmal wieder sieht, fängt diese Viel-Schönheit an, und geht denn immer mit größern Schritten fort, bis Blumen und Blätter aufgeblühet sind und der Mensch vor dem vollen Frühling steht, wie Gleim's Kind vor einem schönen Blumenkorb. Und gewiß lehret uns der Frühling Gott und seine Güte sonderlich; denn, wie Freund Fritz sagt, was so zu Herzen geht, muß aus irgend einem Herzen kommen. Und also sind die Frühlings- und Sommer-Festtage gar sehr am rechten Ort, ich habe nichts dawider. Es ist mir aber doch immer schon vorgekommen, daß im Herbst und Winter auch was zu machen wäre, nur habe ich die Sache noch nie recht ins Klare bringen können.

Gestern aber - wie das mit den Erfindungen ist: man findet sie nicht, sondern sie finden uns - gestern als ich im Garten gehe und an nichts weniger denke, schießen mir mit einmal zwei neue Festtage aufs Herz, der Herbstling und der Eiszäpfel, beide gar erfreulich und nützlich zu feiern.

Der Herbstling ist nur kurz und wird mit Bratäpfeln gefeiert. Nämlich: wenn im Herbst der erste Schnee fällt, und darauf muß genau achtgegeben werden, nimmt man so viel Aepfel, als Kinder und Personen im Hause sind und noch einige darüber, damit, wenn etwa ein Dritter dazu käme, keiner an seiner quota gekürzt werde, thut sie in den Ofen, wartet, bis sie gebraten sind, und ißt sie denn.

So simpel das Ding anzusehen ist, so gut nimmt sich's aus, wenn's recht gemacht wird. Daß dabei allerhand vernünftige Discurse geführt, auch oft in den Ofen hineingeguckt werden muß rc., versteht sich von selbst.

Und so viel vom Herbstling.

Der Eiszäpfel will nun wieder ganz anders tractirt sein und hat seine ganz besondre Nücken. Mancher denkt wohl: wenn er Eiszapfen am Dach sieht, könne er nur gleich anfangen zu feiern; aber weit gefehlt, es wird mehr dazu erfordert. Der Eiszäpfel kann durchaus ohne einen Schneemann nicht gefeiert werden, und dazu muß erst Schnee sein und Thauwetter kommen, daß der Schneemann gemacht werden kann, und wenn er gemacht ist und vor dem Fenster steht, muß es wieder frieren, daß Eiszapfen am Dach werden, einer halben Elle lang, nicht länger und nicht kürzer u. s. w. Das sind die Präliminar-Artikel und die conditio sine qua non.

Was sagst Du nun? Gelte, das ist 'n intricates Fest! Es geht auch mancher Winter darüber hin, ohne daß eins zu Stande kommen kann. Wenn nun aber obige Umstände alle eingetreten sind und sonst kein merkliches Hinderniß im Wege ist, so kannst Du denn zwischen drei und vier Uhr Nachmittags das Fest angehen lassen, das NB. von Anfang bis zu Ende mit trockenem Munde gefeiert wird. Nach vier, wenn's dunkel worden ist, wird eine Laterne in den hohlen Kopf des Schneemannes gethan, daß das Licht durch die Augen und den Mund herausscheint und dann geht Groß und Klein auf und ab im Zimmer und sieht aus dem Fenster unter den Eiszapfen hin nach dem Schneemann, und denkt dabei an einen andern Schneemann, ein jeder, nach dem ihm der Schnabel gewachsen ist, und das ist der höchste Moment der Feier.

Lebe wohl, lieber Andres, und feire fleißig alle Festtage und heilige Abende, bis der rechte heilige Abend anbricht.

Den 3. October 1782,

Dein rc.

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