Christoffel, Raget - Erweise christlicher Bruderliebe von Seiten der evangelischen Kirchen Deutschlands, Englands und Hollands gegen die aus ihrer Heimath vertriebenen evangelischen Salzburger.

Christoffel, Raget - Erweise christlicher Bruderliebe von Seiten der evangelischen Kirchen Deutschlands, Englands und Hollands gegen die aus ihrer Heimath vertriebenen evangelischen Salzburger.

1)

Die Reformation hatte ihre belebenden Strahlen auch nach den zum Erzstifte Salzburg gehörigen Gebieten verbreitet, indem die evangelischen Prediger Stephan Agricola, Paul Speratus, Wolfgang Ruß, Urbanus Rhegius und Georg Schärer, der 1528 seine Predigt mit seinem Märtyrertode besiegelte, um Salzburg und in Tyrol die reine evangelische Lehre verkündiget hatten. Zwar suchte der Erzbischof mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln der eindringenden Ketzerei zu wehren und wo dieselbe schon Wurzeln geschlagen, sie auszurotten. Was die Buß- und Bekehrungspredigten der Capuciner, die er ins Land berief, nicht vermochten, das sollten Dragoner mit dem Schwerte in der Hand bewirken. Um diesen Drangsalen zu entgehen, verließen an 600 Evangelische ihre Heimath, um anderswo nach ihrer Ueberzeugung leben und Gott dienen zu können. Andere aber, die ihnen nachfolgen wollten, wurden mit Gewalt in ihre Heimath und in den Schoß der römischen Kirche zurückgedrängt. Gegen Ende des Jahres 1684 ließ dann der Erzbischof Maximilian Gandolf die evangelisch Gesinnten, welche nicht zur römischen Kirche übertreten wollten, mitten im Winter aus dem Lande treiben, indem er jedoch die Eltern zwang, ihre Kinder, die noch nicht das vierzehnte Jahr erreicht, zurückzulassen, damit sie katholisch erzogen würden.

Auch unter den Bergknappen der tyrolischen Bergwerke verbreitete sich durch das Lesen der deutschen Bibel und der Schriften Luthers das Licht der evangelischen Erkenntniß. Die Rechte und Einrichtungen ihrer Innungen schützten längere Zeit die Anhänger der neuen Lehre unter ihnen vor Verfolgungen. Als jedoch die Bergleute in der Gegend von Hallein unter Anführung des erleuchteten und eifrigen Joseph Schaitberger mit dem Bekenntnisse der evangelischen Wahrheit offen auftraten, da ward auch ihnen dafür Kerker und Bande zu Theil. Um solchen Drangsalen zu entgehen und um das Kleinod ihrer evangelischen Ueberzeugung zu retten, entschlossen sich mehr als Tausend nach dem Schwäbischen und Fränkischen auszuwandern. Unter ihnen befand sich auch Schaitberger, der sie mit folgendem „Exulantenliede“ auf dieser Wanderschaft erbaute:

I bin ein armer Exulant,
A so thu i mi schreiba,
Ma thuet mi aus dem Vaterland
Um Gottes Wort vertreiba.

Das waß i wol, Herr Jesu mein,
Es iß dir a so ganga,
Itzt will i dein Nachfolger sein,
Herr! mach nach dei’m Verlanga.

Ei Pilgram bin i halt nunmehr,
Muß rasa fremde Strosa.
Das bitt i di, mein Gott und Herr,
Du wirst mi nit verlosa.

Den Glauba hob i frei bekennt,
Des darf i mi nit schäma,
Wenn mo mi glei ein Kezer nennt,
Und thuet mir’s Leba nehma.

Ketha und Banda wor mi men Ehr,
Um Jesu willa z’dulta,
Un dieses macht die Glaubenslehr‘,
Und nit mein böß Verschulda.

Muß i glei in das Elend fort,
Will i mi do nit wehra,
So hoff i do, Gott wird mir dort
Och gute Fründ beschera.

Herr, wie du wilt, so gib mi drein,
Bei dir wil i verbleiba,
I wil mi gern dem Wille dein
G’dultig unterschreiba.

Müß i glei fort, in Gottes Nom‘!
Un wird mir alles genomma,
So was i wol, die Himmelkron‘
Wer i onmal bekomma.

So müß i heut von meinem Haus,
Die Kinderl müß i losa,
Mein Gott, es treibt mir Zährel aus,
Zu wandern fremde Strosa.

Mein Gott, führ mi in ene Stodt,
Wo i dein Wort kann hoba,
Darin will i di früh und spot
In meinem Herzl loba.

Sol i in diesem Jammerthol
Noch länger in Armuth leba,
So hoff i do, Gott wird mir dort
Ein bess’re Wohnung geba.

An seine zurückgebliebenen Glaubensgenossen entsandte Schaitberger von Nürnberg aus, wo er mit Holzhauen und Drahtziehen sein Brod verdiente, einen „evangelischen Sendbrief“, der ein Hauptbestandtheil der Erbauungsmittel in ihren Bedrängnissen für sie wurde. Dreimal kehrte er selbst aus dem Exil in die Heimath zurück, um seine Brüder im Glauben zu stärken. Diese genossen eine Zeit lang Ruhe, bis Leopold Anton, Freiherr von Firmian, den 3. October 1727 den erzbischöflichen Stuhl von Salzburg bestieg. Dieser, ein dem Geize und dem Trunke ergebener Mann, schwur einmal im Rausche: er wolle die Ketzer aus dem Lande haben, und sollten auch Dornen und Disteln auf den Aeckern wachsen. Diesen Schwur hat er treulich gehalten. Zuerst rief er die Jesuiten ins Land, welche durch Ueberredung und List, die Evangelischen von ihrem Glauben abbringen und sie zur Rückkehr in den Schoß der römischen Kirche vermögen sollten. So wurden Bibel und andere evangelische Erbauungsbücher auf die Seite geschoben und ihnen dagegen Rosenkränze und Scapuliere aufgedrungen. Wer sich diesem Tausche nicht gutwillig unterzog, wurde als Aufrührer behandelt. So wurden Hans Lerchener von Obermais im Radstadter Gerichte und Veit Breme zu Unterschwabock im Landgerichte Werfen in Fesseln gelegt, weil sie sich weigerten, ihre Bibeln auszuliefern und ihren Glauben abzuschwören. Später wurden sie aus dem Lande vertrieben, nachdem man ihnen ihre neun unmündige Kinder entrissen hatte, damit dieselben katholisch erzogen würden. Die beiden Verbannten wandten sich im Januar 1730 klagend an das Corpus Evangelicorum in Regensburg; aber die Verwendungen dieser zum Schutze der Evangelischen aufgestellten Behörde hatte beim Erzbischofe Firmian keinen günstigen Erfolg. Eine Menge Personen, bei denen man Bibeln oder lutherische Bücher fand, wurden als Verbrecher behandelt, mit Geld- und Gefängnißstrafen belegt oder aus dem Lande vertrieben. Als wiederholt beim Corpus Evangelicorum erhobene Klagen beim schwerfälligen Gange der dortigen Verhandlungen ihnen keine Hülfe in ihrer Noth erwirkten, nöthigten sie endlich die fortwährenden Bedrückungen, denen sie ausgesetzt waren zur Selbsthülfe. So versammelten sich mehr als hundert dieser evangelisch gesinnten Männer am Sonntage vor St. Lorenz (5. August) 1731 in Schwarzach um einen Tisch, auf welchem ein Salzfaß stand. Unter heißem Gebete tauchte nun Feder die benetzten drei Finger der rechten Hand in das Salz und hob sie dann gen Himmel zum feierlichen Schwure dem dreieinigen wahren Gotte, von dem evangelischen Glauben nie zu lassen. Zur Bekräftigung dessen ward das Salz dann gleich einer geweihten Hostie verschluckt. Von nun an nannten sie ihren heiligen Bund der Treue am evangelischen Glauben, mit Bezugnahme auf 2. Chron. 13,5, den „Salzbund“.

Als der Erzbischof dunkle Kunde von diesem Bunde erhielt, ersuchte er sofort den Kaiser Carl VI. um Zusendung von Truppen zu seinem Schutze. Demnach erschienen am 22. September über tausend Mann österreichisches Fußvolk und im October drei Reiterregimenter im Salzburgischen. Die Einquartierung dieser Truppen (circa 6000 Mann) fiel großentheils den Protestanten zur Last. Dadurch sollten dieselben zur Aufgebung ihrer evangelischen Ueberzeugung und zur Rückkehr in den Schoß der römischkatholischen Kirche vermocht werden. Zu diesem Zwecke wurden auch um Michaelis mehrere Personen, die man als die Häupter des Salzbundes betrachtete, des Nachts aus ihren Betten geholt und gefesselt nach Salzburg geschleppt, wo scheußliche Kerker ihrer warteten. Unter dieser fortgesetzten Bedrückung erwachte in vielen Evangelischen das Verlangen, durch Auswanderung sich derselben zu entziehen. Aber alle Pässe wurden nun besetzt und der Versuch, das Land zu verlassen, als ein Verbrechen bestraft. Gleichwohl gelang es zweien wackeren, entschlossenen Männern, Peter Heldensteiner und Nicolaus Forstreuter auf Umwegen über die Grenzen zu kommen. Sie wandten sich an Friedrich Wilhelm I., König von Preußen, der sich, wie sein Ahnherr, der große Kurfürst, als einen warmen Freund und Beschützer der verfolgten evangelischen Glaubensgenossen erwies. Nachdem er sich durch seine Theologen, die Pröpste Roloff und Reinbeck, von der Rechtgläubigkeit der evangelischen Salzburger überzeugt und daß ihre Lehre der Augsburger Confession gemäß sei, versprach er ihnen seinen Beistand und eine Zufluchtsstätte, falls sie aus ihrem Vaterlande vertrieben würden.

Die evangelischen Salzburger kamen auch bald in den Fall, von dieser königlichen Zusicherung Gebrauch zu machen. Die Auswanderung, welche ihnen bisher verboten gewesen, ward nun durch das sogenannte Emigrationspatent vom 31. October 1731 vom Erzbischof ihnen unter Androhung von Strafe befohlen. Laut dieser Verordnung sollten alle im Lande nicht angesessenen Einwohner, Beisassen, Taglöhner und Dienstboten, die sich entweder zur augsburgischen Confession oder zur reformirten Lehre bekenneten, innerhalb acht Tagen bei schwerer Strafe das Land räumen; ebenso sollten alle bei Berg, Salz- und Schmelzwerken angestellten Arbeiter, ohne weitere Bezahlung, ihrer Dienste sofort entlassen sein. Den Angesessenen, welche Häuser und Grundstücke besaßen, wurde eine Frist von einem bis drei Monaten zugestanden, innerhalb welcher auch sie verbannt sein sollten, und sie ihres Bürger- und Meisterrechts für verlustig erklärt. Bloß denen, welche binnen fünfzehn Tagen ihren Irrthum bereuen und abschwören, und förmlich in die katholische Kirche zurückehren würden, ward die Aussicht auf Begnadigung eröffnet.

Das Patent, welches die desfallsigen Bestimmungen des westphälischen Friedens gröblich verletzte, erregte allgemeine Bestürzung. Auf die Protestation des Corpus Evangelicorum in Regensburg erwiderte der Erzbischof, die Leute seien Aufrührer, und als solche habe er das Recht, sie zu verweisen. Einzig diese Milderung ließ er eintreten, daß er für die wirklich Ansässigen den Termin der Auswanderung auf den Georgitag des Jahres 1732 verlegte. Die Nichtangesessenen hingegen ließ er bald nach Ablauf des ersten Termins, den 24. November, durch zwei Schwadronen Dragoner auf die roheste Weise zusammentreiben und nach der erzbischöflichen Residenz bringen, wo sie noch lange in den Kerkern schmachten mußten, bevor sie das Land verlassen durften. So wanderten vom December 1731 bis in den November 1732 in mehreren Abtheilungen an 30,000 evangelische Einwohner aus der theuren Heimath in die Fremde unter Absingen des „Exulantenliedes“ von Rupert Schweiger:

In Gottes Namen tret‘ ich an
Den Weg und die Verfolgungsbahn,
Gott geht mit uns und steht uns bei,
Ob es auch finster um uns sei.

Um Gottes Wort war ich betrübt,
Das ich verborgen hab‘ geübt,
Dieß war mein Trost in Sorg und Leid,
In Trübsal und in Traurigkeit.

Mein Gott, ich folg‘ dir willig nach,
Durch Hohn und Spott, durch alle Schmach;
Denn wer da will dein Jünger sein,
Der muß nicht scheuen Schmach und Pein.

Ich nehm‘ den Stab in meine Hand,
Zeuch mit Jacob in fremde Land;
Bin ich schon arm und elend hier,
Bin ich, o Gott! doch reich bei dir.

Bloß um der reinen Glaubenslehr‘
Werd‘ ich verjagt, Gott sei die Ehr‘;
Dem Jünger soll’s nicht besser gehn,
Als selbst dem Meister ist geschehn.

O Gott, du bist mein Wanderstab,
So lang’ ich leb‘, bis in mein Grab,
Du führst mich durch das Todesthal
Zu dir in schönen Himmelsaal.

Du trägest uns auf deiner Hand
Nach unserm rechten Vaterland,
Herr, wer dich hat, ist reich genug
Auf seinem Exulantenzug.

Das zeitlich Gut mag fahren hin,
Wann nur der Himmel mein Gewinn.
Wer Jesum hat, ist reich genug
Auf seinem Exulantenzug.

Kein Acker, Wiesen, Haus noch Geld,
Nimmt man mit sich von dieser Welt;
D’rum mögen sie zurücke stehn,
Weil wir als Pilgrim davon gehn.

Leb‘ wohl, du werthes Vaterland,
Dem ich den Rücken hab‘ gewandt;
Gott sei mit dir und auch mit mir,
Ich reis‘ in Gottes Schutz von dir.

So wanderten diese glaubenstreuen evangelischen Christen im Vertrauen auf Gott aus ihrer alten Heimath einem neuen Vaterlande entgegen, in welchem ihnen vergönnt wäre, ihres Glaubens zu leben. Ein solches stand ihnen von verschiedenen Seiten offen. Der König von Preußen ließ ihnen unterm 2. Februar 1732 schriftlich die gleiche Zusicherung zukommen, die er früher jenen zwei Männern mündlich gegeben: „wie er nämlich aus christ-königlichem Erbarmen und herzlichem Mitleiden ihnen die mildreiche Hand bieten und sie in sein Land aufnehmen wolle“. Frei sollten ihnen alle Pässe des Landes geöffnet und alle Fürsten und Stände des Reiches, deren Land sie berühren würden, ersucht sein, ihnen zur Fortsetzung ihrer Reise das zu leisten, was ein Christ dem andern schuldig ist. Jedem Manne sollten als Zehrgeld täglich vier Groschen von dem königlichen Fiscus gezahlt werden. Ueberdies sollten ihnen, wenn sie sich in den königlichen Ländern niederlassen, alle Freiheiten und Gerechtsame eingeräumt werden, die andere Colonisten genießen, worunter namentlich eine mehrjährige Abgabenfreiheit und andere Erleichterungen verstanden waren. Zugleich schickte Friedrich Wilhelm den Johann Göbel als Commissär nach Regensburg, die Emigranten in Empfang zu nehmen und ihren Zug nach Preußen zu leiten. Daneben wandte sich auch noch der König mit nachdrücklichen Vorstellungen an den Erzbischof und drohte mit Repressalien gegen die in seinen Staaten befindlichen Katholiken. Ein Aehnliches thaten Dänemark, Schweden und die holländische Republik. Der Zug dieser Exulanten durch die protestantischen Gegenden Deutschland's gestaltete sich mehr und mehr zu einem Triumphzuge. Man ehrte in ihnen die Märtyrer der Wahrheit, die Werkzeuge Gottes, die berufen seien, das erstorbene Christenthum wieder zu erwecken; man betrachtete sie als einen Sauerteig, der die träge Masse des evangelischen Protestantismus wieder bewegen und beleben sollte; und je vortheilhafter die Berichte lauteten über die Geduld, womit sie ihr Schicksal trügen, über die schöne ruhige Haltung ihrer Züge, über ihre musterhafte Aufführung in den Städten und Quartieren, über die evangelische Gesinnung, die sie aller Orten an den Tag legten: in dem Maße stieg auch die Begeisterung für sie und die Lust, ihnen wohlzuthun und für sie zu sorgen. Wo sie einer Stadt sich nahten, gingen ihnen die Geistlichkeit, die Schuljugend und Abgeordnete der Bürgerschaft entgegen und führten sie unter Geläut und Gesang in Prozession in die Stadt. Als Beispiel von einer solchen Aufnahme folgt hier der Bericht eines Augenzeugen über die Art und Weise, wie diese Emigrierten in Friedberg in der Wetterau aufgenommen und behandelt wurden: „Diese Woche sind 250 der Salzburgischen Emigranten hier durchgezogen, meistens junges Volk von sechszehn, achtzehn, zwanzig, auch mehr Jahren, und zwar fast lauter Gesinde, ein einfältiges, redliches und Gott von Herzen meynendes und suchendes Völklein, bey denen ein rechter „Christianismus practicus“ zu sehen, hören und spüren war, ohngeachtet die allerwenigsten weder lesen noch schreiben konnten. Wie groß aber die Begierde zum Lesen in ihnen ist, ist nicht auszusprechen, und ist bei ihnen ein A-B-C-Buch weit angenehmer, als bei einem andern eine ganze Bibliothek. Die Einfalt, Redlichkeit und ungeheuchelte Furcht Gottes leuchtet ihnen aus den Augen und in allem ihrem Thun hervor. Sie sind bescheiden, sittsam, dankbar und ungemein mäßig, essen und trinken wenig und nehmen nichts über die Nothdurft; sind dabei fröhlich, zufrieden und still. Ohngeachtet es lauter Ochsen, Pferde- und Viehknechte sind, so führen sie sich doch bescheidener, als die moralisierten Leute auf. Ihre Vorsteher können lesen, welchen sie ungemein parieren, sodaß sie sich keiner ohne deren Erlaubniß versprechen oder zurückbleiben, auch ohne ihren Consens nicht einen Heller behalten oder ausgegeben wird. Der größte General kann sich keines solchen folgsamen Commando's rühmen, und die Vorsteher wissen doch selber nicht, daß ihr Befehl so viel gilt, weilen alles in der Liebe geschiehet. Ihre Kleidung ist sehr schlecht. Die Mannspersonen tragen kurze Wämser vom gröbsten Zeug und leinwandene Pluderhosen, meistentheils grüne oder blaue Strümpfe, die Schuhe mit Nesteln. Die Weibspersonen haben kurze Röcke an, so nur bis an die Kniee gehen, und haben alle grüne Hüte auf. Von Taille sind sie durchgehends mittelmäßiger Statur. Von den Alten hat man angemerkt, daß sie fast durchgehends in einem beständigen Seufzen und Gebet geblieben, und in den Kirchen viel milde Thränen fließen lassen. Sie schätzen sich der vielen Wohlthaten viel zu unwürdig, und preisen Gottes gnädige Vorsorge und Barmherzigkeit ungemein. Sie sagen, wenn ihre Leute wüßten, wie wohl es ihnen heraußen ginge, mehr als das halbe Land stünde auf und folgte ihnen, auch die Katholiken selbst. Man hat ihnen weiß gemacht, die Mannspersonen kämen alle auf die Galeeren, und die Weibspersonen würden ersäuft. Ich sehe die Sache so an, als wann diese Leute noch einmal das erstorbene Christenthum unter uns „practice“ erwecken müßten, ehe der Herr den Garaus machen will: wie sie dann, was Verständige unter ihnen sind, den annum 34 pro anno revolutorio halten. Auch hat sich Gott unter ihnen zum Theil mit Wundern und Kräften groß gemacht, sodaß, da sie zum Theil in der. Irre sind herumgeführt worden und in acht Tagen in der Wildniß nichts zu essen gehabt, ihnen Gott Brod auf den Bäumen gezeigt. Dieses confirmieren sie alle, daß sie vor dem Ausgang vielmalen Zucker an den Bäumen wachsen gefunden. Wundernswürdig ist, daß die Juden aller Orten ihnen recht und ausnehmend große Beysteuer reichen lassen. Mit einer Frau unter ihnen habe ich gesprochen, welche einen solchen reichen Aufschluß eines göttlichen Erkenntnisses von sich spüren lassen, daß ich darüber erstaunt bin, an welcher man auch eine besondere Attention in der Kirche verspüret hat. Es ist Schade, daß Niemand ihre Begebenheiten mit rechter Attention colligiert. Insbesondere habe ich sie versucht, wie sie gegen ihre Landes-Obrigkeit und vorgesetzte Beamte gesonnen, da sie antwortete: Der Fürst wüßte am wenigsten darum; sie beteten fleißig für ihn und für Alle im Lande: Liebet eure Feinde u. s. w. Gott hätte es eben haben wollen, und sie hätten ihnen mehr Liebes als Böses hierunter erwiesen. En fin, es sind lauter Theologi practici. In denen Häusern haben sie fleißig gebetet und gesungen, wie ihnen allen das Zeugniß gegeben wird, und nichts gesprochen, als was sie gefragt worden. Für die Geschenke haben sie herzlich gedankt, Etliche auch dabei Gleichgültigkeit gezeigt. Sonsten ließen sie einen freudigen und muntern Geist an sich blicken. Allhier hat man sie unter Läutung der Glocken, zweyer Deputierten vom Magistrat zu Pferde, und der ganzen Schule, dem Ministerio und Candidatis Ministerii eingeholt und sie mit einer Anrede empfangen, nachdem sie unter sich singend paar- und paarweise in schönster Ordnung, Manns- und Weibspersonen apart, angekommen. Durch die Stadt wurde gesungen: „Ein' feste Burg ist unser Gott“; in der Kirche, welche hora da promeridiana anging: „Es ist das Heil uns kommen her“. Textus war: „Selig seid ihr, die ihr um Gerechtigkeit willen verfolgt werdet“ u. s. w. Alle meine Leute habe ich in die Kirche gehen lassen, und ich habe zu Hause meine Meditation gehalten und sie nachgehends gesprochen. Nach der Predigt wurde gesungen: „Erhalt uns Herr bei deinem Wort.“ Wie die Kirche aus war, wurde eine Collecte für sie gesammelt von 200 Gulden, ohne was ein jedes noch zu Hause apart gegeben. Darauf rissen sich die Bürger um ihre lieben Gäste, und konnten keine Eintheilung erwarten, sondern nahmen sie bei der Hand und führten sie nach Haus und trugen ihnen vor, Gesotten und Gebraten, wiewohl sie sehr wenig sollen gegessen haben, auch ehender nach groben Speisen, Käse und dergleichen, als Braten eine Begierde gezeiget. Die ganze Stadt war so erregt, als wenn sie ein großes Festin hielten … Andern Tags wurde im Rathhaus die Collecte ausgetheilt, da es eine Person über 50 Kreuzer betroffen und die Weibsleute frönten sie alle mit Bouquetten. Darauf kam der Magistrat in schwarzen Kleidern mit dem Ministerio herunter auf die Gassen, und wurde ein Kreis gemacht, mit Wachten besetzt und denen Emigranten Platz gemacht, welche sich dahin versammelten, und zwar ein jedes Geschlecht besonder. Der Anfang wurde mit dem Liede gemacht: „Ach bleib mit deiner Gnade“ rc. Herr Ortspfarr hielt darauf eine Abschiedsrede ex Act. c. 20 v. 32. und gab ihnen den Segen. Darauf wurden sie unter dem Geläute und Begleitung der Schule, Ministerii, Deputatorum wieder paar- und paarweise ausgeführt, und gesungen: „Allein zu dir, Herr Jesu Christ.“ An der Brücke wurde eine Valet-Rede vom jüngsten Pfarrer gehalten, und darauf gesungen: „Nun danket Alle Gott“, worauf die Emigranten unter sich das Lied sangen: „Von Gott will ich nicht lassen.“ Und also zogen sie unter dem Schutz Gottes ihres Weges nach B., allwo ihnen die Bürger mit Brod, Wein und Bier entgegengekommen, und sie vorhero gelabt, auch nachmals in die Kirche geführt. So groß die Liebe und Barmherzigkeit der Lutheraner gegen diese arme Leute gewesen, so groß war das Lästern der Katholiken gegen sie; 2) wie sie denn deren Territoria sehr scheuen. Z. B. sie wären Meineydige, lästerten unsern Heyland, hätten keine Religion, wären schermische Pietisten rc. Es sind der merkwürdigen Umstände so viel, daß sie nicht alle zu beschreiben. Unter anderem erzählte mir obberührte Frau, daß kurz vor dem Ausgang Aller ihre Gemüther so in Liebe wären zusammengeschmolzen und vereinigt worden, daß, wo auch Widrigkeiten gewesen wären, da man geglaubt hätte, sie wären nicht zu heben, alles so wäre abgethan und verschwunden, als wann in denselben Revieren Menschen wohnten, die nicht einmal wüßten, was Neid, Zank und Zwiespalt wäre; ja wer einen Kreuzer unter zehn Schlössern gehabt, der hätte ihn hervorgezogen und mitgetheilt. Keine Solennität in der Welt ist mir noch so merkwürdig vorkommen, als diese. Alle diese gute Leute kommen nach Preußen. Wer weiß, wo die Lilie von Mitternacht hervorbricht? Sie glauben (die Verständigsten unter ihnen), daß Salzburg, Baiern, Oesterreich rc. eine Periodus fatalis bevorstehen möchte. Das ist recht Gottes Finger! Zu Nachts sind sie zusammen kommen, und die lesen haben können, haben denen anderen aus dem neuen Testamente und anderen geistlichen Büchern vorgelesen und gesungen; da dann die Leute eine so brennende Begierde gezeigt. Wo können unsere hochgelehrten Theologi auf hundert Meilwegs einen solchen Segen zeigen? Hier hat der heilige Geist gelehret und geprediget. Die Leute haben von ihrem natürlichen Verderben so einen guten Begriff, daß es zum Verwundern, und sagen allezeit, sie wären recht unnütze Knechte, da unsere Theologanten immer fliegen wollen. O, was ist das vor ein Unterschied zwischen einem gelernten und ex praxi erfahrenen Christenthum! Diese gute Leute scheinen aus der Apostolischen Schutz und Lehre zu kommen“.

Dieser Bericht läßt uns einen tiefen Blick thun sowohl in die Gesinnung und Denkweise der evangelischen Salzburger, als ihrer besseren Zeitgenossen im protestantischen Deutschland.

Um nun auch den Protestanten, durch deren Städte keine Emigranten zogen, sowie den Evangelischen des Auslandes, Gelegenheit zu verschaffen, ihnen wohlzuthun, ward in Regensburg eine Emigrantenkasse errichtet, welche reichliche Zuflüsse aus Deutschland, England, Holland, Dänemark und Schweden erhielt, sodaß der Fond zulegt gegen 900.000 Gulden anstieg. Was die Niederlassungen selbst betrifft, so war Berlin der gemeinsame Sammelplatz, und Preußen das Land, in welchem sich die meisten ansiedelten. Blos Einige ließen sich in Holland nieder, Andere in Schweden, und in den Jahren 1733 und 1734 zogen ihrer neun und neunzig Seelen, mit zweien Predigern aus dem Hallischen Waisenhause, nach Amerika, wo sie zwischen den Flüssen Savannah und Alatamaha sich niederließen und am Wege zwischen Südcarolina und Georgien die Stadt Eben-Ezer erbauten. In Berlin war ihr Empfang besonders freundlich und aufmunternd. Der erste Zug traf am 30. April 1732 an. Der König ging ihnen bis zum Leipziger Thor entgegen, sprach ihnen Muth ein, und hieß sie als seine lieben Landeskinder willkommen. Die Königin bewirthete sie im Schloßgarten Monbijou und beschenkte sie mit Bibeln und Geld. Nach und nach trafen auch andere Züge ein, und auch diese wurden mit Freuden empfangen und im Geistlichen und Leiblichen verpflegt. Besonders machten sich die Berliner Prediger um sie verdient, indem sie nicht nur ihren Glauben prüften, sondern sie weiter in der Religion unterrichteten und das Mangelhafte, das man ihren Religionsbegriffen hie und da anspürte, zu ergänzen und zu berichtigen suchten. So machte namentlich der Propst Reinbeck sie auf die sittlichen Gefahren aufmerksam, denen sie bei der Wankelmüthigkeit und Eitelkeit des menschlichen Herzens entgegengingen. „Bleibet fein im Guten beständig“, rief er ihnen zu. „Werdet ja nicht hochmüthig, weil Ihr etwas um des Namens Christi willen verlassen habt und weil Euch Einige bewundern und loben. Ihr seid nun zwar der Macht Eurer Widerwärtigen entgangen und habt in unsers Königs Landen dergleichen Verfolgungen nicht weiter zu befürchten; aber denket deswegen nicht, daß Ihr in der Welt nur lauter und geruhige Tage haben werdet. Das liebe Kreuz findet sich allenthalben ein; ist es nicht auf eine, so ist es auf andere Weise. Ihr werdet also immer Gelegenheit haben, Glauben, Geduld und Verleugnung zu beweisen. Darum ermüdet nicht, sondern bittet Gott täglich um neuen Beistand seines Geistes, daß ihr Alles wohl ausrichten und den Sieg behalten möget“. Vier preußische Candidaten wurden ihnen nun als ordinierte Prediger, deren sie bisher keine unter sich gehabt, in ihre neuen Wohnsitze mitgegeben. Diese wurden ihnen auf Auftrag des Königs vom Minister von Goerno in Litthauen angewiesen. Hier trafen sie ein schönes, ebnes, fruchtbares Land, fette Weide, genugsames Holz und fischreiche Gewässer. Der König ließ ihnen Häuser, Schulen und Kirchen bauen. Da hier Handwerker der verschiedensten Gewerbe sich mit freiem Bürger- und Meisterrechte niederließen und die frische Saat des Landmannes sich mit einer reichlichen Ernte lohnte, so blühte das Land bald auf unter der fleißigen Thätigkeit dieser Eingewanderten, sodaß Friedrich der Große es als ein „non plus ultra“ der civilisierten Welt bezeichnete.

So begleitete der Herr mit seinem reichen Segen auch diese Erweise christlicher Bruderliebe und ließ das Land aufblühen unter dem treuen Fleiße dieser vielgeprüften evangelischen Christen.

Das Gegenbild zu dieser neuen Schöpfung bot nunmehr das Erzstift Salzburg dar. Leopold Anton hatte durch die Verbannung seiner frömmsten und treuesten Unterthanen seinem Lande die tiefsten Wunden geschlagen und je Verwilderung trat ein, die sich immer als der Fluch für die Verwerfung und Unterdrückung geltend macht. Nur mit Mühe konnte er die Lücken mit allerlei katholischem Volke ausfüllen, das er aus Baiern, Schwaben und Tyrol herbeizog, ohne daß diese neuen Ansiedler die Thätigkeit und Geschicklichkeit der früheren Bewohner entwickelt hätten.

Ja, als ob das einmal gegebene Beispiel ansteckend wirkte, folgten in demselben Jahre noch weitere Auswanderungen. So erklärten 788 Arbeiter in den Salzwerken bei Hallein, daß sie sich zur Augsburgischen Confession bekännten, und verließen das Land; und im September desselben Jahres wanderten aus der benachbarten gefürsteten Probstei Berchtesgaden an 1000 Menschen aus.

Aber dennoch blieben noch viele evangelische Christen, gefesselt durch die Liebe zu den Kindern und Anverwandten, oder zur theuren Heimath, im Lande und erbauten sich in der Stille und im Verborgenen aus der heiligen Schrift und aus den theuren evangelischen Büchern fort. Sie hatten keine anderen Lehrer, als den Geist, der alle, die sich seinem Zuge hingeben, in alle Wahrheit leitet. Dennoch erhielten sich diese stillen und verborgenen Gemeinden bis auf unsere Tage, da es ihnen vergönnt ward, unter dem Schutze der gesetzlich gesicherten Glaubens- und Gewissensfreiheit, ihren Glauben öffentlich zu bekennen und ihren Gottesdienst öffentlich in den würdig geschmückten Gotteshäusern zu üben, die aus Gaben christlicher Bruderliebe erbaut wurden.

1)
Nach Hagenbachs Kirchengeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, Seite 46 ff.
2)
Besonders zeichnete sich der katholische Theil des Stadtmagistrates von Augstburg durch Härte aus, indem er den Emigranten, die sich seinen Thoren nahten, dieselben gleich einem feindlichen Heere verschließen ließ; und doch waren ihrer nicht über 200. Auch der Pöbel von Donauwörth beschimpfte sie.
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