Chemnitz, Martin - Perikope für den ersten Sonntag nach Ostern, oder Quasimodogeniti - Erster Theil.

Chemnitz, Martin - Perikope für den ersten Sonntag nach Ostern, oder Quasimodogeniti - Erster Theil.

Joh. 20,19-31; vergl. Marc. 16,14; Luc. 24,36-48

Erster Theil. Christus erscheint den Aposteln am Osterabend.

Christus war am Tage Seiner Auferstehung erschienen: erstens der Maria Magdalena, sodann den zum Grabe eilenden Weibern, darnach dem Apostel Petrus, hierauf den beiden nach Emmaus gehenden Jüngern; endlich aber wollte Er den gemeinsam versammelten Jüngern erscheinen, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens, weil die frühern Erscheinungen vereinzelte, besondere gewesen waren, wie die der Maria Magdalena, dem einen Petrus, den beiden Emmausjüngern, oder wenn auch mehreren, so doch nur Weibern, geschehenen (weshalb sie auch vom heiligen Paulus 1 Cor. 15,5.6.7. bei der Aufzählung der Offenbarungen übergangen werden, mit Ausnahme der einzigen, die Petro, als dem vornehmsten Apostel und von genugsam erprobter Treu und Glauben, zu Theil wurde), so wollte Christus diesen besondern Erscheinungen eine allgemeine folgen lassen, die den Aposteln, da sie alle mit einander versammelt waren, als „den vorerwählten Zeugen von Gott“, zu Theil wurde, Ap. Gesch. 10,41. Ferner, obwohl die Weiber den Aposteln das Gesicht der Engel und deren Zeugniß von Christi Auferstehung verkündigt hatten, so wollten sie (die Apostel) ihnen (den Weibern) doch nicht glauben, Luc. 24, 11. Als sie von Petrus und den beiden Emmausjüngern die Erscheinung Christi selbst vernahmen, sagen sie zwar: „Der HErr ist wahrhaftig auferstanden und Simoni erschienen“, Luc. 24,34. Allein aus dem 41sten Verse erhellt, daß ihr Glaube noch sehr schwach war, und daß die meisten unter ihnen noch ganz ungläubig waren. Christus wollte sich also den übrigen Jüngern nicht weniger als dem Petrus und den nach Emmaus gehenden lebendig erzeigen, und „durch mancherlei Erweisungen“ Seine Auferstehung bewähren, um sie von ihrem Unglauben zu befreien und im Glauben an diesen Artikel zu stärken und zu befestigen. Endlich, da nicht blos der eine oder andere aus Seinen Jüngern, sondern alle gleichmäßig „Zeugen“ der Auferstehung des HErrn sein sollten, Luc. 24,48., Ap. Gesch. 1,8. Cap. 10,41., darum wollte Er nicht, daß sie ihren Glauben nur auf die Erzählung Anderer stützen, sondern wollte, daß sie wie die Andern dieselbe als Augenzeugen bekräftigen sollten. Deshalb erschien Er ihnen also, da sie alle mit einander versammelt waren, nicht einmal, sondern mehrmals nach Seiner Auferstehung und aß und trank mit ihnen; - unter welchen Erscheinungen diese, welche im ersten Theile dieser Perikope beschrieben wird, die erste ist, deren einzelne Umstände wir nun näher erwägen wollen.

1. Bemerkung der Zeit. Johannes sagt, Christus sei den Jüngern erschienen „am ersten der Sabbather“; und damit kein Zweifel übrig bleibe, daß hier der erste Tag der Woche, d. i. der Sonntag, gemeint sei, fügt er hinzu „an demselben Tage“, an welchem nämlich Christus auferstanden und der Maria Magdalena erschienen war. Damit stimmt Lucas überein; denn er erzählt, die Emmausjünger seien nach Jerusalem zurückgekehrt und hätten den Elisen erzählt, was sie gehört und gesehen, seien von der Erscheinung Christi, welche Petro geschehen, von diesen benachrichtigt worden; und da sie noch davon geredet, sei Er selbst, JEsus, mitten unter sie getreten. Aber warum wollte denn Christus eben am Auferstehungstage selbst Seinen Jüngern erscheinen? Der Engel, welcher den Weibern die Auferstehung Christi verkündigte, hatte befohlen, daß sie nach Galiläa gehen sollten, mit der Verheißung, daß sie Ihn daselbst sehen würden, Matth. 28,7., Marc. 16,7., ja Christus selbst hatte diese Rede und Verheißung des Engels bestätigt, indem Er zu den Weibern sprach: „Gehet und verkündiget meinen Brüdern, daß sie in Galiläa gehen, daselbst werden sie mich sehen“, Matth. 28, 10. Warum wartet also Christus nicht, bis die Apostel nach Galiläa gehen? Antwort: Das ist der brünstigen Liebe Christi zuzuschreiben, die Ihn antreibt, noch am Auferstehungstage Seinen Jüngern zu erscheinen, sie sobald als möglich von ihrem Unglauben zu befreien, indem Er sie von der Gewißheit und Zuverlässigkeit Seiner Weissagungen und von der Wahrheit und Wirklichkeit Seiner Auferstehung versichere. Oefters hatte Er ihnen vorhergesagt, daß Er am dritten Tage wieder auferstehen werde; darum wollte Er sie nicht bis zum vierten oder fünften Tage warten lassen; sondern zeigte sich ihnen eben am dritten Tage wieder lebendig, um nicht nur die Wahrheit Seiner Auferstehung, sondern auch Seiner, die Zeit derselben betreffenden, Vorhersagung zu beweisen. Zu dieser allgemeinen Bemerkung der Zeit kommt die besondere, zu welcher Tageszeit sich nämlich diese Erscheinung zugetragen habe. Johannes sagt, das sei „am Abend“ geschehen; -aus dem Context des Lucas erhellt, daß es spät Abends gewesen sei. Denn als die beiden Jünger nahe bei Emmaus waren, sagen sie: „es will Abend werden und der Tag hat sich geneiget“, Luc. 24,29. Sie kehrten aber von Emmaus nach Jerusalem zu den andern Jüngern zurück, bevor ihnen JEsus erschien. Wenn man also auch nur eine halbe oder Viertelstunde auf die Abendmahlszeit zu Emmaus rechnet und drei Stunden auf den Weg nach Jerusalem, so folgt, daß es wenigstens drei Stunden nach Sonnenuntergang und also spät am Abend gewesen sei, daß Christus in der Mitte der Apostel erschien. Warum aber wollte Christus den Jüngern erst am Abend erscheinen? Er wollte erst ihren Glauben prüfen, ob sie nämlich dem Zeugniß Derer glauben würden, die Ihn wieder lebend gesehen und es ihnen verkündigt hatten; daher Er ihnen auch hernach ihren Unglauben und ihre Herzensträgheit vorhält, „daß sie nicht geglaubt hatten denen, die Ihn gesehen hatten auferstanden“, Marc. 16,14. Wie einst der Sohn Gottes im Paradiese nach dem Fall der ersten Menschen gegen Abend zur Tageskühle zu unsern ersten Eltern gekommen war, mit der Verheißung von des Weibes Samen, welcher der Schlange den Kopf zertreten solle, 1 Mos. 3,8. und 15.: - so kommt Er auch hier gegen Abend zu den Jüngern mit der fröhlichen Botschaft, daß Er durch Sein Leiden und Seine Auferstehung nun der höllischen Schlange den Kopf zertreten, die wahre Ruhe der Seele und alles durch den Sündenfall Verlorne wiedergebracht habe. Wie die Taube zur Abendzeit das Oelblatt zur Arche Noä brachte, 1 Mos. 8,11., so kommt auch hier Christus, über welchen der Heilige Geist in Taubengestalt herabgestiegen, Matth. 3,16., gegen Abend zu den Jüngern, welche die Kirche repräsentieren, und bringt ihnen das liebliche Oelblatt, d. i. den Frieden des Gewissens. Ja, Er wollte durch eben diesen Abendbesuch andeuten, daß Er in aller Widerwärtigkeit, wenn das Licht des zeitlichen Glücks uns untergeht, besonders aber am Abend unsers Lebens, mit Seinem Gnadentrost uns nahe sein und uns Seine Wunden zeigen wolle, damit wir darin, wie in Felslöchern, Ruhe finden mögen, Ps. 23,4., Ps. 91,5., Hohel. 2,14. Die Jünger hatten vom frühen Morgen, wo sie zuerst die Botschaft von der Auferstehung des HErrn erhalten, Christi Ankunft erwartet; allein Er kam erst am späten Abend zu ihnen: - so offenbart sich der HErr denen, die auf Ihn warten, Ps. 130,6., Hab. 2,3. Und wie Er Seinen Jüngern, die sich aus Furcht vor den Juden eingeschlossen hatten, gegen Abend erscheint: so ist Er auch am Abend der Welt uns, die wir im Gefängniß der Menschensatzungen und des antichristischen Reichs eingeschlossen waren, erschienen, und hat die Lehre von der heilsamen Frucht der Auferstehung wieder geläutert, daß nicht in unsern Verdiensten und Genugthuungen, sondern in Christi Leiden und Auferstehung, unsre vor Gott geltende Gerechtigkeit bestehe, Röm. 4,25., und daß der „Bund eines guten Gewissens mit Gott durch die Auferstehung“ aufgerichtet worden sei, 1 Petri 3,21.; damit wir, durch diesen Glauben gerechtfertigt, „Frieden haben mit Gott“, Röm. 5,1. - Zur Bemerkung der Zeit gehört auch noch, daß Christus, wie Lucas sagt, kommt, „da sie davon redeten“, d. h. über die Auferstehung Mancherlei hin- und herredeten, die Erzählung der Emmausjünger anhörten und ihnen dagegen erzählten, wie Christus Petro erschienen sei. Wie Christus sich kurz zuvor jenen, als sie über Alles, was in jenen Tagen geschehen war, redeten, sich gegenseitig befragten und fromm und freundschaftlich besprachen, beigesellte, Luc. 24, 15., so naht Er sich auch hier den Jüngern, als sie sich in frommen Gesprächen über Seine Auferstehung unterredeten; denn „wo zwei oder drei in Seinem Namen versammelt sind, da will Er mitten unter ihnen sein“, Matth. 18, 20. Wenn wir daher wünschen, daß der auferstandene Christus auch mit uns Umgang pflegen möge, so müssen wir uns unter einander mit frommen Gesprächen ermuntern und unterrichten, Col. 3,16. „Wenn wir uns Ihm nahen, so naht Er sich uns“, Jac. 4, 8.

2. Bemerkung der Art und Weise. Johannes bemerkt insonderheit dieses, daß Christus an den Ort gekommen sei, wo die Jünger einmüthig, und zwar bei verschlossenen Thüren, versammelt waren. Daß diese verschlossenen Thüren nicht blos die Zelt, sondern auch den wunderbaren Eintritt Christi andeuten sollen, erhellt aus folgenden Gründen: Denn erstens war die Beschreibung der Zeit schon vorhergegangen: „am Abend“, der Heilige Geist aber tautologirt nicht, d. h. Er sagt dasselbe nicht noch einmal. Zweitens würde der Evangelist, wenn er nur die Zeit bezeichnen wollte, sich anders ausgedrückt haben. Drittens ist es die Absicht des Evangelisten, dies wunderbare und ganz besondere Kommen Christi zu den Aposteln, welches die andern Evangelisten nicht gemeldet, zu beschreiben. Viertens behauptet der Evangelist ausdrücklich, die Thüren seien beim Kommen Christi verschlossen gewesen, und gibt auch nicht den geringsten Schein, als seien Ihm die Thüren von einem der Apostel geöffnet worden; auch heißt es nicht, daß sie von selbst offengestanden; - es bleibt also nur übrig, daß Er durch die verschlossenen Thüren zu ihnen gekommen sei. Fünftens tritt Christus nicht schrittweise, von Ort zu Ort vorschreitend, in ihre Mitte ein, sondern unversehens und plötzlich; Er ging also durch die verschlossenen Thüren, ohne daß es jemand bemerkte. Sechstens, wenn Christus nicht durch die verschlossenen Thüren zu den Jüngern gekommen wäre, woher kam ihnen denn der Gedanke an ein Gespenst? Siebtens, Johannes fügt, V. 30., hinzu: „Christus habe auch viele andere Zeichen vor Seinen Jüngern gethan“, - deutet also damit an, daß dieser Eintritt ein ganz wunderbarer gewesen sei. Achtens, es fehlte Christo nicht am Vermögen, durch verschlossene Thüren einzutreten, sowohl wegen Seiner göttlichen Kraft, nach welcher Er „überschwänglich mehr thun kann, als wir verstehen“, Eph. 3,20., als auch wegen der Seinem Leibe verliehenen Gabe der Feinheit, da derselbe nach der Auferstehung geistlich und verklärt ist, 1 Cor. 15,45., Phil. 3,21. Ja fürwahr, bei der reinsten und genauesten Vereinigung Seiner menschlichen Natur mit dem Logos oder Wort, war es Christo ein gar Leichtes, durch verschlossene Thüren vor Seine Jünger hinzutreten. Neuntens hat Christus mit Seinem Leibe noch mehr gethan, was mit diesem wunderbaren Eintritt ganz derselben Art ist. Er wurde geboren ohne Verletzung der mütterlichen Jungfrauschaft; Er wandelte leiblich auf dem Wasser; stand aus dem verschlossenen Grabe wieder auf; drang bei Seiner Auffahrt durch den Himmel, der fester ist als Eisen. Zehntens, die frommen Altväter behaupten einstimmig, Christus sei durch die verschlossenen Thüren bei den Jüngern eingetreten, als: Hilarius, Chrysostomus, Cyrillus, Hieronymus, Augustinus u. a. m. Elftens, diejenigen, welche leugnen, daß Christus durch die verschlossenen Thüren eingetreten sei, können keinen triftigen und tüchtigen Grund für ihre Meinung beibringen. Was sie aus der Physik anführen, kann aus der Philosophie leicht beantwortet werden. Zwölftens, daher denn auch Calvin selbst, von dessen Schülern einige in diesem Stücke ihren Meister schändlich verlassen, zugibt, daß dieser Eintritt ein ganz wunderbarer gewesen sei, während diese es für falsch erklären, daß Christus durch die verschlossenen Thüren gegangen sei, dagegen behaupten, die Thüren hätten sich vor Ihm aufgethan, oder Er sei gar durch die Fenster, oder durchs Dach eingestiegen. - Wenn sich aber die Thüren vor Christo aufthaten, so waren sie ja nicht mehr geschlossen, wie doch der Evangelist ausdrücklich behauptet. Und warum wollen wir denn lieber in dem dürftigen Geschöpfe, als in dem Leibe des Schöpfers selbst den Grund dieses wunderbaren Eintritts suchen? - Wir bleiben also fest bei den Textesworten, daß nämlich Christus zu Seinen Jüngern gekommen sei, da vor und bei Seinem Eintritt die Thüren verschlossen waren. - Es ist zwar gewiß, daß Christus bei Seiner Auferstehung einen wahren und natürlichen Leib, ja eben denselben Leib, in welchem Er gelitten hatte und gestorben war, aus dem Grabe zurückgebracht habe; daß jedoch Sein Leib nicht mehr ein sterblicher, sondern ein verklärter und geistlicher gewesen sei. Der Apostel sagt, daß unsre Leiber nach der Auferstehung geistlich sein werden, 1 Cor. 15,44., wie viel mehr Christi Leib, dem unsre Leiber ähnlich sein werden, Phil. 3,21. Geistlich aber heißt der Leib, nicht weil er ohne Fleisch und Knochen sei und ganz in Geist verwandelt werde, sondern weil er, während seine leibliche Substanz bleibt, mit den Eigenschaften eines Geistes geziert wird. Ein Geist aber ist unsichtbar, bewegt sich nicht nach Art und Weise dieser Welt allmählich von Ort zu Ort, bedarf nicht Speise und Trank, kann ohne Hinderniß durch feste Körper gehen u. s. w. Diese Eigenschaften werden einst die Leiber der Heiligen erlangen: „wo der Geist sein will, da wird auch sofort der Leib sein.“ Wie viel mehr kommen also diese Eigenschaften dem Leibe Christi nach Seiner Auferstehung zu! - Daher hat Er es hier nicht nöthig, daß Er erst die Thüren öffne und nach menschlicher Weise eintrete, sondern während die Thüren verschlossen bleiben, steht Er unversehens mitten unter den Jüngern da, eben wie Er vor den Augen der beiden Jünger in Emmaus verschwand.

3. Bemerkung des Orts. Johannes sagt, Christus sei dahin gekommen, wo die Jünger versammelt waren und sich aus Furcht vor den Juden hinter verschlossenen Thüren verschanzt hatten. An was für einem Orte sie aber versammelt waren, sagt er nicht. Allein aus Lucas erhellt, daß sie in der Stadt Jerusalem versammelt gewesen seien, weil von den beiden Emmausjüngern gesagt wird, sie seien wieder gen Jerusalem gekehrt, wo sie die Eilfe und die bei ihnen waren, versammelt fanden, in deren Mitte darnach Christus dastand. In was für einem Hause sie aber versammelt waren, berichten die Evangelisten nicht. Wahrscheinlich ists, daß sie entweder in jenem Hause, wo sie vor einigen Tagen Ostern gefeiert hatten, oder im Hause des Evangelisten Johannes, der die Mutter des HErrn zu sich genommen, versammelt waren, wohin sie auch vielleicht nach der Himmelfahrt Christi zurückkehrten. Ap. Gesch. 12,12. waren die Jünger Christi im Hause Mariä, der Mutter Johannis, mit dem Zunamen Marcus, versammelt. Es ist aber zu beachten, daß dies die erste Offenbarung Christi in Jerusalem nach Seiner Auferstehung sei, da Er der Maria Magdalena am Grabe, und den andern Weibern auf dem Wege vom Grabe nach Jerusalem, und den beiden Emmausjüngern auf dem Wege von Jerusalem nach Emmaus, erschienen war. Hier aber offenbart Er sich in der Hauptstadt selbst Seinen Jüngern, was Seine unermeßliche Leutseligkeit und Freundlichkeit beweis't. Vor drei Tagen hatte man Ihm in dieser Stadt die größte Schmach und Schande angethan, so daß es kein Wunder gewesen, wenn Feuer vom Himmel gefallen wäre und sie verbrannt hätte; allein um der Jünger und Gläubigen willen, die darin waren, steht Christus nicht an, dahin zurückzukehren.

4. Bemerkung der Personen, welchen diese Offenbarung geschehen. Johannes nennt sie Jünger, welches ein allgemeiner Name ist, der nicht nur die Apostel, sondern auch alle und jede Gläubige, die sich nach Christo nennen, umfaßt. Es sind also damit vor allen die zehn Apostel gemeint (denn Thomas und Judas waren abwesend), ohne daß jedoch andere Gläubige ausgeschlossen sind, was man aus Lucas vernimmt. Denn die beiden zurückkehrenden Emmausjünger „fanden die Eilfe versammelt, und die bei ihnen waren“, Luc. 24,33., welchen Christus darnach erschien. Gegenwärtig waren also erstens die zehn Apostel Petrus, Andreas, Philippus, Bartholomäus, Jacobus Zebedäi, Johannes (der diese Geschichte später geschrieben), Matthäus, Jacobus Alphäi, Judas Thaddäus und Simon von Cana. Warum sie die Eilfe genannt werden, da doch ihrer nur zehn da waren, ist oben gesagt. Zweitens jene beiden Emmausjünger, und drittens einige andere Jünger, unter welchen ohne Zweifel einige aus jenen Siebzigen, deren Luc. 10,1. Erwähnung geschieht; ingleichen Maria die Mutter des HErrn und andere gläubige Frauen, wie man aus Ap. Gesch. 1,14. schließen kann. - Christus erscheint nicht den Hohenpriestern, nicht Pilato noch Herodi, die Ihn im Stande Seiner Erniedrigung verachtet und verschmäht hatten. So werden diejenigen Christum nicht sehen in Seiner Herrlichkeit, die Ihn hier im Worte des Evangelii, wo Er in niedriger Gestalt zu uns kommt, verschmähen. - Von diesen Jüngern wird nun ferner gesagt, erstens sie seien „versammelt“ gewesen, und zwar, wie Lucas andeutet, in brüderlicher Liebe und Eintracht. Vor drei Tagen hatten sie sich im Oelgarten zerstreut, Marc. 14,50.; hier versammeln sie sich wieder. Zweitens wird berichtet, „sie haben die Thüren verschlossen“, und zwar „aus Furcht vor den Juden“. Es waren am Osterfeste Proselyten aus allen Völkern in Jerusalem versammelt. Doch nicht sowohl diese, als vielmehr die Juden, d. i. die vornehmsten des jüdischen Volks, die Hohenpriester, Aeltesten, Schriftgelehrten und Pharisäer, als geschworne Feinde Christi, fürchteten sie. Sie fürchteten, man möchte sie zwingen, mit ihrem Meister Christo dasselbe Geschick zu theilen; sie wußten, daß ihnen im Oelgarten keine geringe Gefahr gedroht habe; sie wußten, auf welch' einem gefährlichen Punkte Petrus im Palast des Hohenpriesters gestanden; sie wußten, daß Christus im ersten Verhör vor dem hohen Rath nicht nur um Seine Lehre, sondern auch um Seine Jünger befragt worden sei; sie wußten, wie die Hüter des Grabes das Gerücht in der Stadt ausgesprengt hatten, die Jünger hätten Christi Leib gestohlen. Dies alles nun bewegte und erschütterte ihr Gemüth dergestalt, daß einige unter ihnen lieber aus der Stadt geben, als alle Augenblicke dieser Gefahr des Todes ausgesetzt sein wollten, wie aus dem Beispiel der Emmausjünger erhellt; die Uebrigen aber verschanzten sich hinter Riegeln und Thüren vor dem Anfall der Feinde, so viel sie nur konnten. Vor drei Tagen hatten sie versprochen, auch keine Todesgefahr um Christi willen zu scheuen; allein hier verschließen sie sich hinter Thür und Riegel, welches zeigt, wie das menschliche Herz beschaffen sei: im Glück sind wir vermessen und aufgeblasen, im Unglück niedergeschlagen und verzagt, Jer. 17,9, Diese Verdorbenheit unsrer Natur lasset uns erkennen und vor blindem Vertrauen auf unsre eigene Kraft uns hüten. - Wenn es aber auch eine Schwachheit des Glaubens bei den Aposteln war, daß sie sich so sehr vor der Grausamkeit der Juden fürchteten, so war es doch an ihnen zu loben, daß sie ihrer Schwachheit nicht ganz nachgaben, zwar die Verborgenheit suchten und zur Abwendung der Gefahr die Thür verschlossen, jedoch so viel möglich Muth faßten, daß sie beisammen blieben und nicht auseinander liefen. Es dient aber eben dieses dazu, daß man die Kraft und Wirksamkeit des Heiligen Geistes verstehen lerne. Die Jünger, welche hier innerhalb abgesonderter Wände und verschlossener Thüren vor Furcht kaum von Christo zu murmeln und zu mucken wagen, sind hernach, als sie am Pfingsttage mit dem Heiligen Geiste begabt worden, so herzhaft und muthig, daß sie sich nicht länger zu Hause halten, sondern öffentlich mitten auf den Plätzen und Straßen Jerusalems, wo Christus getödtet worden, auftreten und predigen, Ap. Gesch. 2,14. ff., und gar vor Königen und Fürsten unerschrocken Christum verkündigen, Ap. Gesch. 9,15. Dies ist nämlich „das angethan werden mit Kraft aus der Höhe“, Luc. 24,49., um welche Stärke des Geistes auch wir bitten müssen, damit Gott auch uns gegen das Wüthen und Toben der Welt und unsrer Verfolger Muth und Kraft verleihe.

5. Beschreibung der Erscheinung selbst. Dieselbe läßt sich am bequemsten so eintheilen, daß wir betrachten, 1. was Christus bei dieser Erscheinung gethan, und 2. was Er geredet habe.

1. Zu dem, was Er gethan, gehört „daß Er mitten unter sie tritt“, nicht allmählich, örtlich und sichtlich vorschreitet, sondern unversehens in ihre Mitte tritt oder sich hinstellt. Dies beweis't nicht nur den wunderbaren Eintritt, daß Er mit Seinem verklärten Leibe sich ungesehen mitten unter die Jünger stellen konnte, wie Er denn schon früher im Stande Seiner Erniedrigung mitten durch die Leute von Nazareth, die Ihn vom Berge herabstürzen wollten, hindurch gegangen, Luc. 4,30., sowie Er auch in gleicher Weise im Tempel, Joh. 8,59., der Wuth der Juden entgangen war; sondern gibt uns auch zwei sehr schöne Bedeutungen an die Hand, daß Christus nämlich als „der einige Mittler zwischen Gott und den Menschen“, 1 Tim. 2,5., durch Sein Leiden und Auferstehen, sich zwischen den erzürnten Gott und das menschliche Geschlecht mitten hinstellend, uns mit Gott versöhnt hat, Röm. 5,10., und diese durch Sein Sterben und Auferstehen erworbenen Wohlthaten allen wahren Gläubigen gleichmäßig austheilen will. Er verachtet und verwirft nicht die schwachen und furchtsamen Jünger, sondern begibt sich in ihre Mitte, weil Er „das glimmende Docht nicht auslöschen und das zerstoßene Rohr nicht zerbrechen will“, Jes. 42,3. Petrus hatte vor den Andern sehr schwer gesündigt; allein Christus begibt sich, ohne deshalb einen Unterschied zu machen, mitten unter die Jünger und bietet ihnen allen die Wohlthaten Seiner Auferstehung gleichmäßig an. Ja, als Er den Jüngern Seine Auferstehung durch den Engel melden ließ, that Er sogar des Petrus namentlich Erwähnung, Marc. 16,7.: „Saget es meinen Jüngern und auch Petto“, - weil dieser vor Andern des Trostes bedurfte, und erschien ihm auch erst allein, wie aus Luc. 24,34. und 1 Cor. 15,5. erhellt, was zerknirschten und zerschlagenen Herzen zum besondern Trost gereicht. Christus zeigt also durch diesen Eintritt die Beschaffenheit Seines auferweckten Leibes, die Beständigkeit Seiner Liebe, die Gemeinsamkeit Seiner Wohlthaten und die Unverletztheit Seiner Natur.

b. Zudem, was Er gethan, gehört zweitens, daß Er ihnen zeigt, Er sei wirklich auferstanden. Christus ist bei dieser Erscheinung ganz darüber aus, die Jünger von Seiner Auferstehung fest zu überzeugen. Zu diesem Ende a. offenbart Er sich ihnen in Seiner eigenen Gestalt; b. redet Er sie in bekannter Sprache an; c. befiehlt Er ihnen, Seine Seite, Hände und Füße zu fühlen; d. ißt Er vor ihrer aller Augen, um sie auf diese Weise durch den Dienst ihrer Sinne zum Glauben an Seine Auferstehung hinzuführen. Erstens also offenbart Er sich ihnen in Seiner eigenen Gestalt, indem Er ihnen Seine durchbohrte Seite, Hände und Füße zeigte, wie Johannes und Lucas berichten. Christi Seite war am Kreuze mit einem Speer geöffnet, Seine Hände und Füße mit Nägeln durchbohrt worden. Die Maale dieser Wunden behielt Christus an Seinem verklärten Leibe und wies sie hier Seinen Jüngern, damit sie daraus ersehen möchten, daß Er in demselben Leibe, der am Kreuze angenagelt und verwundet worden, auferstanden sei. - Von diesen Wundenmaalen werden wir später bei der Geschichte von Thomas weiter reden. - Christus zeigte sich also hier nicht in einer fremden Gestalt, wie dort der Maria Magdalena als Gärtner und den Emmausjüngern als Wanderer, sondern in Seiner eigenen, mit Seinen Gesichtszügen und Leibesgliedern, ja sogar mit Seinen Wundenmaalen an Händen und Füßen und befahl innen, diese genau zu besehen. Zweitens redet Er sie in bekannter Sprache an, schickt einen vertraulichen Gruß voraus, ruft ihnen ins Gedächtniß zurück, was Er vor Seinem Leiden und Sterben mit ihnen geredet hatte. Wie Er von Maria Magdalena, als Er sie mit bekannter Stimme anredete, sogleich erkannt wurde, Joh. 20,16., so redet Er auch hier die Jünger mit bekannter Stimme an, damit Er von ihnen erkannt werden könnte. Und daß Er ihnen Seine frühern Reden ins Gedächtniß zurückruft, soll zum Beweise dienen, daß Er, Christus selbst, ihr alter Lehrer und Meister, jetzt da sei. - Drittens befiehlt Er ihnen, Seine Hände und Füße zu fühlen. Denn da den Jüngern, wegen Seines plötzlichen und wunderbaren Eintritts, der Argwohn kam, sie sähen ein Gespenst vor sich, so läßt Er sich von ihnen betasten, damit sie, wenn sie ein Blendwerk zu sehen wähnten, doch dem Urtheil ihres Gefühls nicht den Glauben versagen möchten. „Fühlet mich und sehet“, sprach Er, „denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr sehet, daß ich habe.“ - So läßt sich also Christus von Seinen Jüngern, wie vorhin besehen, so jetzt befühlen; nicht als sei es eine wesentliche Eigenschaft eines verklärten Leibes, daß man ihn nothwendig sehen und fühlen müsse, sondern aus freier Verfügung, um die Jünger Seiner Auferstehung zu versichern. Viertens endlich ißt Er vor ihnen allen. Denn da sie noch immer ihren Augen und Händen nicht recht trauen, fragt Er sie: „Habt ihr hier etwas zu essen?“ und da sie Ihm ein Stück von gebratenem Fisch und Honigseim vorsetzen, nimmt Ers und ißt vor ihnen. - Da aber Christi Leib nach Seiner Auferstehung geistlich und verklärt war und also keiner leiblichen Speise bedurfte, wie hat man denn hier das Essen zu verstehen? Die Alten antworten, das sei aus freier Verfügung geschehen. Theophylakt sagt: „Der HErr aß nicht aus natürlichem Bedürfniß, sondern aus freiem Belieben, um die Wahrheit Seiner Auferstehung zu beweisen.“ Aehnlich reden die Andern. Und darin haben sie ganz Recht; denn da unsre verklärten Leiber nach der Auferstehung weder Speise noch Trank bedürfen werden, wie viel weniger ist dem Leibe Christi ein solches Bedürfniß beizumessen! Darum aber aß Christus vor Seinen Jüngern, daß Er sie von der Wahrheit Seiner Auferstehung fest überzeugte, weil Essen der stärkste Beweis des Lebens ist, weshalb Er auch der von den Todten auferweckten Tochter Jairi Speise zu reichen befahl, Luc. 8,55., damit es allen klar sei, daß sie lebe. Daher kommt es, daß Petrus, Ap. Gesch. 10,41., diesen vom Zusammenessen hergenommenen Beweis für die Auferstehung Christi besonders hervorhebt. Ferner, obwohl Christus nicht aus Roth oder Bedürfniß, sondern aus freiem Belieben aß, so muß man doch behaupten, daß Er wirklich gegessen habe. Denn wenn dieses Essen die Wahrheit Seiner Auferstehung beweisen sollte, so mußte es ja auch ein wahres Essen sein. Folglich ist nicht jedes wahre Essen auch sofort ein natürliches, da ein übernatürliches Essen auch ein wahres, nicht ein blos scheinbares, phantastisches Essen ist. Wir zweifeln nicht, daß die Engel an Abrahams Tische, wie sie mit wahren Leibern angethan waren, so auch wirklich gegessen und getrunken haben, 1 Mos. 18,8. Doch sagen wir deswegen nicht, daß sie auf natürliche Weise, aus Schwachheit oder Bedürfniß ihrer Leiber, gegessen, die Speise verdaut und sich daran erlabt haben. Dieses dient zur Beleuchtung des Arguments, womit die Calvinisten das wahre und sacramentale Essen des Leibes Christi im heiligen Abendmahl umzustürzen bemüht sind. „Wenn der Leib Christi“, sagen sie, „im heiligen Abendmahl wirklich und wahrhaftig gegessen wird, so wird er ja auch natürlich gegessen, mit den Zähnen zerbissen und in den Magen hinabgeschluckt u. s. w.“ Aber sie sollten doch unterscheiden zwischen einem natürlichen und übernatürlichen oder geheimnißvollen Essen; beides ist ja ein wahres Essen, aber doch das eine mit dem andern nicht zu vermengen. - Auf diese vierfache Weise also wollte Christus Seine Jünger fest überzeugen, daß Er wahrhaftig auferstanden sei, Ap. Gesch. 1,3. Er erscheint ihnen in Seiner eigenen Gestalt; redet sie an in bekannter Sprache; läßt sich von ihnen befühlen, und ißt vor ihren Augen. Warum aber bemüht sich doch Christus so sehr, die Jünger von Seiner Auferstehung zu überzeugen? Antwort: Sie sollten „Zeugen Seiner Auferstehung an alle Völker sein“, Ap. Gesch. 1,8., darum wollte Er, daß sie ihnen selbst ganz gewiß und fest sei, damit auch wir ihrem Zeugniß glauben möchten. Denn so müssen wir schließen: die Apostel, welche von der Auferstehung Christi zeugen, haben es nicht blos von den Weibern gehört, daß Christus auferstanden sei, sondern sie haben Ihn auch selbst gesehen, mit Ihm geredet, Seine Hände und Füße betastet, mit Ihm gegessen und getrunken. Folglich ist ihr Zeugniß von Christi Auferstehung ganz wahr und gewiß. Daraus erhellt, daß Christus nicht blos um Seiner Jünger, sondern auch um unsertwillen so besorgt gewesen, die Gewißheit Seiner Auferstehung zu befestigen, damit wir nämlich dem Zeugniß der Apostel in dieser Sache nicht den Glauben verweigern möchten,- da wir sehen, daß es sich auf so augenscheinliche und unerschütterliche Beweisgründe stützt. Es ist aber ein Großes daran gelegen, daß man Christi Auferstehung mit unerschütterlichem Glauben umfasse. Denn außer dem, daß dieser Artikel die Grundlage aller andern ist, wie der Apostel 1 Cor. 15, 14.18. lehrt, ist uns überdies auch darin der größte Trost vorgestellt, daß Christus, von den Todten auferweckt und zur Rechten des Vaters erhöht, nach beiden Naturen uns nahe ist und das Gnadenreich hier auf Erden verwaltet.

c. Das Dritte, was Christus bei dieser Erscheinung gethan, ist die Mittheilung des Heiligen Geistes. Denn Johannes berichtet, daß Christus, da Er den Aposteln das Amt des Evangeliums von Seinem Leiden, Sterben und Auferstehen und dessen Wohlthaten, unter welchen die Vergebung der Sünden die vornehmste ist, anbefehlen wollte, sie erst anblies und sprach: „Nehmet hin den Heiligen Geist“; nicht als sei der Heilige Geist ein leiblicher Hauch, sondern weil jenes leibliche Anblasen mit dem Munde ein sichtbares Zeichen und äußeres Symbol war, mit welchem, in welchem und durch waches der Heilige Geist gegeben wurde, wie Er nachher am Pfingsttage den Aposteln in feurigen Zungen gegeben wird. Wie es also von Gott heißt, daß Er bei der ersten Schöpfung dem Menschen die Seele eingeblasen und so sie erschaffen habe, weil Er göttliches Licht, göttliche Weisheit und Gerechtigkeit u. s. w. in sie goß, damit der Mensch ein Bild Gottes sei, so bedient sich auch Christus, da Er durch den Dienst des Worts das Ebenbild im Menschen wieder herstellen will, des Anhauchens, indem Er den Aposteln den Heiligen Geist gibt. Vgl. 1 Kön. 17,21., wo Elias den Sohn seiner Wirthin, und 2 Kön. 4,34., wo Elisa den Sohn der Sunamitin von den Todten auferwecken. Wie nun das Blasen das äußere Zeichen war, dessen sich diese Männer Gottes bei der Auferweckung der todten Knaben bedienten, so verleiht auch Christus hier den Aposteln durch das Anblasen den Heiligen Geist, wodurch Er das geistliche und ewige Leben in ihren Seelen anzündet. Sie waren im Tode der Trauer und Betrübniß; Christus aber gibt ihnen durch das Anblasen den Heiligen Geist, welcher in ihnen die wahre Herzensfreude anzündet, und sie zur Verkündigung des Evangeliums vorbereitet. Es ist hier aber nicht eigentlich die Rede vom Wesen des Heiligen Geistes, nach welchem Er mit dem Vater und dem Sohne Ein Gott ist und so alles erfüllt, sondern von den Gaben des Heiligen Geistes. Auch nicht von den Wundergaben, welche am Pfingsttage den Aposteln verliehen wurden, wird hier gehandelt, da noch keine getheilte oder feurige Zungen an ihnen erscheinen; sondern die Rede ist von den Gaben, welche zum Dienst des Evangeliums nöthig sind. Denn da das Amt des Evangeliums ein Amt des Geistes ist, 2 Cor. 3,8., 1 Joh. 5,6., so werden den Aposteln hier einige zur Uebernahme des Amts nöthige Gaben gegeben, als:, Trost und Friede des Gewissens, die Gewißheit und Ueberzeugung von der Wahrheit des Evangeliums, die Freude über die Auferstehung Christi u. s. w., wodurch sie nach ihrer Flucht und Verleugnung wieder anfingen das Haupt zu erheben und sich dem Predigtamt, zu welchem sie vorher berufen waren, wieder zuzuwenden. Nachher, am Pfingsttage, kam die Gabe, in fremden Sprachen zu reden, zu heilen, Wunder zu thun u. s. w., hinzu. Daraus sieht man leicht, wie auf die Frage zu antworten sei: Da erst am Pfingsttage der Heilige Geist über die Apostel ausgegossen wurde, wie empfingen sie denn hier den Heiligen Geist? Man muß sagen, daß sie den Heiligen Geist schon früher empfingen in Bezug auf die Heiligung; daß sie Ihn hier empfangen in Bezug auf das Predigtamt; und daß sie Ihn am Pfingsttage empfangen in Bezug auf die Wundergaben. Daß nun Christus nach Seiner Auferstehung den Aposteln den Heiligen Geist gibt, eben damit zeigt Er, die Frucht Seiner Auferstehung sei die Gabe des Heiligen Geistes. Denn wären wir nicht durch Christi Leiden, Sterben und Auferstehen mit Gott versöhnt, so würden wir nimmer die Gabe des Heiligen Geistes erlangen. Joh. 16,7.: „So ich nicht hingehe, kommt der Tröster nicht zu euch.“ Daß Er gleich nach wiederholter Berufung zum Predigtamt den Aposteln den Heiligen Geist gibt, eben damit zeigt Er, daß zur ordentlichen und heilsamen Uebernahme des Amts die Gnade und Kraft des Heiligen Geistes erfordert werde. Auf Christo „ruhte der Heilige Geist“, Jes. 11,12. „Er empfing den Geist nicht nach dem Maß“, Joh. 3,34., von diesem Seinem Geist theilte Er den Aposteln aus, und machte sie tüchtig zum Dienst des Evangeliums, welcher „ein Amt des Geistes ist“, 2 Cor. 3,6. Wie von Mose, dem Mittler des Alten Testaments, 4 Mos. 11,25. erwähnt wird, „daß der HErr herniederkam, und des Geistes, der auf ihm war, nahm und Ihn auf die siebenzig Aeltesten legte, damit sie auf diese Weise zur bürgerlichen Verwaltung geschickt würden: so gibt Christus, der Mittler des Neuen Testaments, von Seinem Geiste den Aposteln, ohne jedoch eine Verminderung desselben zu erfahren, damit auch sie auf diese Weise zum Predigtamt geschickt würden. Daß der Heilige Geist mit Anblasen gegeben wird, erinnert uns nicht allein an die Geschichte der Schöpfung, sondern auch an die Natur und persönliche Eigenthümlichkeit des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist wird in und mit Anblasung gegeben, erstens, weil der Heilige Geist in Betreff Seines Wesens unkörperlich, unsichtbar ist u. s. w.; zweitens, weil Er in Betreff Seiner persönlichen Eigenthümlichkeit vom Vater und Sohne aus dem innersten Munde Ihres Wesens gehaucht wird, daher Er 1 Mos. 1,2. „der Geist Gottes“, Hiob 33,4. „der Geist und Odem des Allmächtigen“, Ps. 33, 6. „der Geist Seines Mundes“, Jes. 11,4. „der Geist oder Odem des Mundes Christi“, und 2 Thess. 2,8. „der Geist Seines Mundes“ genannt wird. Daß also Christus mit Seinem Anblasen den Heiligen Geist gibt, zeigt uns, daß der Heilige Geist von Ihm, nicht minder als vom Vater, von Ewigkeit her ausgeht.

Dies sind nun die vornehmsten Ursachen, warum Er den Aposteln mit Anblasen den Heiligen Geist gibt, welchen noch diese hinzugefügt werden kann: weil die Predigt des von ihnen in der ganzen Welt zu offenbarenden Evangeliums mit dem Hauch des Mundes geschehen sollte, so will Christus sie durch Seine mündliche Anhauchung erwecken und ihnen Muth und Vertrauen zur Uebernahme des Predigtamts einflößen. Der menschlichen Vernunft zwar scheint es ungereimt, daß die Gabe des Heiligen Geistes durch ein äußeres Zeichen und Mittel gegeben werde, weshalb auch Piscator hier eine figürliche Redeweise erdichtet, nach welcher er behauptet, der Geist sei nicht mit diesem Anblasen gegeben worden, sondern das sei nur ein Zeichen gewesen, wodurch Christus versprochen, daß Er durch die Predigt der Apostel das Anblasen des Heiligen Geistes in den Herzen der Gläubigen üben wolle; - und dies nachher auf das heilige Abendmahl anwendet, in welchem nach Seiner Meinung das Brod ein Zeichen des abwesenden Leibes Christi sei. Allein dies streitet mit dem einfachen und klaren Texte, in welchem ausdrücklich gesagt wird, Christus habe Seine Jünger angeblasen und bei diesem Anblasen ihnen den Heiligen Geist gegeben. Und diese Weise hält Gott stete und überall, daß Er durch äußere, sichtbare und oft ziemlich verächtliche Mittel den Menschen Geistliches, Himmlisches und Unsichtbares mittheilt, wie Chrysostomus so schön sagt: „Wenn du unleiblich wärest, so hätte Gott dir nackte und unleibliche Gaben gegeben; da aber die Seele eingeleibt ist, so wird dir das Geistige im Sinnlichen dargereicht.“ - So in den Sacramenten: durchs Taufwasser wäscht Er uns ab von Sünden; vermittelst des Brods und Weins im heiligen Abendmahl macht Er uns Seines Leibes und Blutes theilhaftig, weshalb wir in wahrem Gehorsam des Glaubens jene äußern Wahrzeichen gebrauchen sollen. Wie aber das Anblasen der Heilige Geist genannt wird (denn Christus spricht, indem Er sie anbläs't: „Nehmet hin den Heiligen Geist“) nicht von einer Verwandlung des Hauchs in den Heiligen Geist, oder einer Abschattung und Bedeutung desselben, sondern von der Darreichung und Mittheilung der Gabe des Heiligen Geistes an die Apostel: so ist auch das gesegnete Brod im heiligen Abendmahl der Leib Christi (denn Christus spricht, indem Er es Seinen Jüngern gibt: „Nehmet hin, das ist mein Leib“) nicht von einer Verwandlung des Brods in den Leib, oder nur einer Bedeutung, sondern von der gegenwärtigen Darreichung und Mittheilung desselben. - Das sind also die drei Stücke, die Christus bei dieser Offenbarung vor Seinen Jüngern gethan: Er trat in ihre Mitte, Er überzeugte sie von Seiner Auferstehung „durch mancherlei Erweisungen“, und gab ihnen durch Anblasen den Heiligen Geist. Ob Er aber nachher in sichtbarer Weise von ihnen geschieden, oder ob Er unsichtbar verschwunden sei, das melden die Evangelisten nicht. Wahrscheinlich aber ists, daß Er auf einmal unsichtbar geworden sei, wie Er auch vor den beiden Emmausjüngern gethan, damit auf diese Weise dem wunderbaren Eintritt der wunderbare Abgang entspräche. Denn daß Er nicht fortwährend mit ihnen verkehrt habe, erhellt aus den häufigen Erscheinungen, welche die Evangelisten angemerkt haben.

2. Zu den Worten, die Christus bei dieser Offenbarung zu Seinen Jüngern geredet, gehört die vertraute und freundliche Begrüßung. Denn gleich bei Seinem ersten Eintritt spricht Er zu ihnen: „Friede sei mit euch!“ Das hebräische Wort bedeutet: Friede, Ruhe, Eintracht, Gesundheit, Heil, und also lauter Glückseligkeit (wie denn Joseph 1 Mos. 43,27. mit diesem Worte nach dem Wohlsein seines alten Vaters fragt), und war der gewöhnliche Gruß bei den Ebräern, 1 Chron. 13,18., 3 Joh. 15. Wenn nun Christus, als Er nach Seiner Auferstehung zum ersten Male zu Seinen Jüngern trat, ihnen Frieden wünscht, so grüßt Er sie nicht aus bloßer Gewohnheit und wünscht ihnen Glück, wie sich sonst die Leute einander grüßen, sondern Er bezeugt es durch die That, daß Er, der von den Todten wieder lebendig Gewordene, ihnen allerlei himmlische Güter bringe. Denn da Christus wahrhaftiges Gott und die allmächtige Wahrheit ist, so verleiht und bewirkt Er auch mit der That, was Er wünscht. „Gott redet nicht Worte, sondern Sachen“, sagt der selige Luther. Es kommt also nicht aus Unkenntniß der Sprache her, wie Calvin schreibt, daß wir den Frieden, welchen Christus Seinen Jüngern wünscht, zu den Früchten Seiner Auferstehung zählen. Wir wissen wohl, daß dies eine gewöhnliche Grußformel war; allein, wenn Christus, der mit dem Vater und Heiligen Geist wahrer Gott ist, bei Seinem ersten Eintritt nach Seiner Auferstehung den Jüngern Frieden wünscht, so kommt dies keineswegs nur von der gemeinen Gewohnheit zu grüßen her, sondern Er empfiehlt uns auch die köstliche Frucht Seiner Auferstehung; daher Er auch mit besonderm Nachdruck diesen Friedenswunsch wiederholt. Friede bedeutet, wie gesagt, allerlei Glück und Gutes; allein da Christi Reich nicht von dieser Welt ist, und die Frucht der Auferstehung nicht auf dieses zeitliche und hinfällige, sondern auf das geistliche und ewige Leben eigentlich abzielt, so versteht man darunter eine Glückseligkeit, die dem Reiche Christi gemäß ist, nämlich eine geistliche, himmlische und ewige, die da besteht in Vergebung der Sünden, Frieden mit Gott, Erlösung vom Tode, Teufel und der Hölle und der Gabe des ewigen Lebens u. s. w. Diese Güter alle und jede werden unter dem Worte „Friede“ begriffen; weil durch Christi Leiden, Sterben und Auferstehen uns Friede gebracht ist: „über uns“ mit dem himmlischen Vater, da wir Gott versöhnt sind durch den Tod Seines Sohnes, Röm. 5,10., so daß wir durch den Glauben an Christum, der um unserer Sünde willen gestorben und um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt ist, Frieden mit Gott haben, Röm. 5,1., und daß Er selbst „Gedanken des Friedens über uns hat“, Jerem. 29,11. Durch denselben Tod und dieselbe Auferstehung Christi ist uns Friede gebracht „in uns“, mit unserem Herzen, daß es uns nicht mehr verdammt, 1 Joh. 3,21., sondern daß „der Geist Zeugniß gibt unserm Geiste, daß wir Gottes Kinder seien“, Röm. 8,16. Endlich ist uns durch Christi Tod und Auferstehung Friede gebracht „unter uns“, vor dem Teufel und der Hölle, da Christus „uns errettet hat aus der Gewalt der Finsterniß und verseht in das Reich des Lichts“, Col. 1,13.; und obwohl der Satan diesen Frieden durch seine Anfechtungen stört, so wird er doch endlich „unter unsre Füße getreten“, Röm. 16, 20. Dies alles ist unter dem Frieden Christi begriffen; daher Cyprianus mit Recht sagt: „Christus habe mit Seinem Frieden Alles gegeben.“ Daher auch die Apostel zu Anfang ihrer Episteln „Gnade und Frieden“ gewöhnlich zusammenfügen, Röm. 1,7., 1 Cor. 1,3., 2 Cor. 1,2., Gal. 1,3., Eph. 1,2., Phil. 1,2. u. s. w. - Denn wie Christus durch Seinen Tod uns mit Gott versöhnt und dessen Gnade erworben hat, so hat Er uns durch Seine Auferstehung den wahren Frieden des Herzens gebracht; daher er auch Col. 3,15. der Friede Christi heißt, weil ihn nämlich Christus erworben hat und verleiht. Und damit uns kein Zweifel übrig bleibe, so lasset uns mit dieser Friedensbotschaft die Verheißungen Christi vergleichen. Joh. 14,27.: „Meinen Frieden lasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch; nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt“, d. h. keinen weltlichen, irdischen, sondern den geistlichen, meinen Frieden gebe ich euch. Joh. 16,33.: „Solches habe ich zu euch geredet, auf daß ihr in mir Frieden habt; in der Welt habt ihr Angst u. s. w.“ - Was Christus dort Seinen Jüngern verheißt, das erfüllt Er hier, wo Er Seinen Jüngern nach Seiner Auferstehung den Frieden bringt und ankündigt. Dies ist der Friede, „welcher höher ist, denn alle Vernunft“, Phil. 4,7., und in welchem „das Reich Gottes besteht“, Röm. 14,17. Die Apostel wurden von ihrem Gewissen hart angeklagt, daß sie Christum im Garten verlassen und verleugnet hatten. Christus aber wünscht ihnen Frieden, und zeigt, daß Er für diese und alle andern Sünden durch Seinen Tod dem himmlischen Vater genug gethan, daß sie ruhigen Herzens sein könnten: daher heißt Er mit Recht Jes. 9,6. „Friedefürst“. Auch ist dies nicht zu übersehen, daß Christus Seinen Jüngern Frieden wünscht, als Er ihnen das Amt des Evangeliums übergeben wollte, weil das Predigtamt das Mittel ist, wodurch die Menschen mit Gott versöhnt werden. 2 Cor. 5,19.: „Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit Ihm selber; und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu; und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“ Das ist: Christus hat uns durch Seinen Tod und Seine Auferstehung mit Gott versöhnt; damit aber diese Wohlthaten Christi uns ausgetheilt würden, darum hat Er das Predigtamt eingesetzt, in welchem durch die Verkündigung des Evangeliums den betrübten Gewissen jener Friede angekündigt wird; daher das Evangelium selbst das Wort des Friedens heißt Jes. 52,7., Nahum 1,15., Sach. 9,10., Ap. Gesch. 10,36., Eph. 6,15. Daß Christus dies im Auge gehabt, als Er den Aposteln, da Er ihnen das Amt des Evangeliums übergeben wollte, abermal Frieden wünscht, unterliegt keinem Zweifel. Diese Wiederholung ist Bestätigung, sagt Beda.

b. Zweitens gehört zu dem, was Christus bei dieser Erscheinung geredet, die so liebliche Einladung, Ihn zu besehen und zu betasten. Da Er nämlich Seinen Jüngern beweisen wollte, daß Er wahrhaftig auferstanden sei, so erscheint Er ihnen nicht nur in Seiner eigenen Gestalt, sondern ladet sie auch aufs freundlichste ein, daß sie Ihn besehen und betasten sollen. Da Er so plötzlich und unversehens zu ihnen getreten war, so war in ihnen der Argwohn aufgestiegen, sie sähen ein Gespenst. Um ihnen nun diesen gänzlich zu benehmen, befiehlt Er ihnen, Seine Hände und Füße zu besehen und zu betasten. „Was seid ihr so erschrocken?“ spricht Er; „und warum kommen solche Gedanken in eure Herzen?“ Aufregung und Schrecken ziehen gleichsam einen Nebel vor die Augen des Leibes und des Verstandes, daß wir die Dinge auch bei hellem Tage nicht richtig anschauen und betrachten können. Christus befiehlt ihnen daher, sich doch von ihrem Schrecken zu erholen, und mit beruhigtem Herzen die Sache selbst zu erwägen. „Was seid ihr denn so erschrocken?“ spricht Er; „Sehet doch meine Hände und Füße; ich bin es ja selbst. Fühlet mich nur und sehet; denn ein Geist hat nicht Fleisch noch Nein.“ Er gebraucht dies Argument: Was wirklich leibliche Glieder hat, die man sehen und fühlen kann, das ist kein Gespenst. Nun aber habe ich, der ich euch hier erscheine, wirklich leibliche Glieder, die ich euch zum Besehen und Befühlen anbiete. Folglich bin ich kein Gespenst. Er weis't nicht nur den Gedanken an ein Gespenst mit diesen Worten zurück, sondern beweis't auch, daß Er mit eben demselben Körper Seinen Jüngern erscheine, an welchem Er Leiden und Tod erduldet hatte; denn Er befiehlt ihnen, Seine am Kreuz durchbohrten Hände und Füße und Seine am Kreuz geöffnete Seite zu besehen und zu betasten, damit sie erkennen möchten, daß Er selbst wirklich auferstanden und gegenwärtig sei. Es könnte aber jemand Wunder nehmen, warum Christus der Maria Magdalena wehrt, Ihn anzurühren, Joh. 20,17., von den andern Weibern sich anrühren läßt, Matth. 28,9., und hier den Jüngern auch gebietet, daß sie Ihn anrühren sollen. Allein wir wissen, daß Christus auf das Herz und Gemüth derjenigen, mit welchen Er zu thun hatte. Rücksicht nahm. Maria Magdalena glaubte, daß Er wirklich auferstanden sei; aber sie meinte, Er werde nun auch künftighin in derselben Weise auf Erden wandeln, wie Er vor Seinem Tode und Seiner Auferstehung in den Tagen Seines Fleisches gethan; darum suchte sie Ihn so fest zu umfassen, damit Er ihr nicht wieder entschlüpfen und entfliehen möchte. Christus wollte sich also nicht von ihr anrühren lassen, um ihre Seele zu himmlischen Dingen und zum Umfassen im Glauben zu erheben. Die andern Frauen und die Jünger waren erst im Glauben an Seine Auferstehung zu befestigen; daher erlaubt Er ihnen nicht nur, sondern befiehlt ihnen auch, Ihn anzurühren. Lasset uns aber dafür halten, daß Christus auch heute noch im Worte des Evangelii Seine Wundenmaale allen erschrockenen und zerschlagenen Herzen zeige, um sie zum völligen Glauben an Seine Auferstehung und zur Theilnahme an den Wohlthaten derselben hinzuführen, wovon in der Geschichte des Thomas ein Mehreres gesagt werden soll.

c. Das Dritte, was Christus hier zu Seinen Jüngern geredet, ist, daß Er ihnen ihre Ungläubigkeit vorhält. Denn als Er sie durch Seine sichtbare Erscheinung, durch Seine vertraute Anrede, durch die Einladung, Ihn anzusehen und anzufühlen, und durch Sein Essen zum völligen Glauben hindurchgeführt hatte, „schalt Er ihren Unglauben und ihre Herzenshärtigkeit, daß sie nicht geglaubt hätten denen, die Ihn gesehen hatten auferstanden“, als: der Maria Magdalena, den andern vom Grabe zurückkehrenden Weibern, Simon Petro und den beiden Emmausjüngern; sondern daß es erst nöthig gewesen sei, Sich selbst vor sie hinzustellen und durch solche augenscheinliche und handgreifliche Argumente Seine Auferstehung zu beweisen. Denn als sie von Maria Magdalena hörten, Christus sei auferstanden und lebe, und sie habe Ihn gesehen, glaubten sie nicht, Marc. 16,11. Als sie dasselbe von den Weibern, welchen Christus erschienen war, hörten, „da däuchten ihnen deren Worte eben, als wären es Mährlein, und glaubten ihnen nicht“, Luc. 24,11. Als ihnen die Emmausjünger verkündeten, wie Christus sich ihnen offenbart habe, sagten sie zwar: „der HErr ist wahrhaftig auferstanden und Simoni erschienen“, V. 34. Allein daß Einige doch noch nicht glaubten, Andere aber noch zweifelten, erhellt aus der Geschichte dieser Offenbarung selbst; ja Thomas, der hier abwesend war, wollte sogar allen Andern nicht glauben, Joh. 20,25., und bei der letzten Offenbarung Christi auf dem Berge in Galiläa „beteten Ihn etliche an; etliche aber zweifelten“, Matth. 28,17. Diesen ihren Unglauben also klagt Christus an. Vergl. Luc. 24,25. So spricht auch der Vater des Mondsüchtigen Marc. 9,24.: „Ich glaube, HErr, hilf meinem Unglauben.“ Daher sollen wir uns ja nicht mit unserm schwachen Glauben schmeicheln, sondern erkennen, daß, wenn Gott mit uns ins Gericht gehen wollte, Er unsern Kleinglauben wohl des Unglaubens anklagen und verdammen könnte. Lasset uns also bitten, daß Er unsern Glauben stärke und mehre, und uns die Schwachheit desselben um des Mittlers Christi willen vergebe. Mau sieht auch aus dieser Stelle ein, daß der Glaube nicht seinem Verdienste nach rechtfertige, da er sich in diesem Leben nie zur höchsten Stufe der Vollkommenheit erhebt, sondern nur als ein Mittel, insofern er Christum, der uns im Worte des Evangeliums vorgehalten wird, ergreift. - Er schreibt ihnen Herzenshärtigkeit zu, nicht daß sie dem Heiligen Geiste hartnäckig widerstrebten, wie die halsstarrigen Heuchler zu thun pflegen, Ap. Gesch. 7,51., Röm. 2,5., Cap. 9,18., sondern weil sie die angeborne Härte des Herzens noch nicht völlig ausgezogen hatten und so vielen Offenbarungen und Erscheinungen Christi keinen vollen Glauben beimessen wollten. Die Apostel waren durch den Heiligen Geist wiedergeboren und erneuert; doch war die angeborne Härte ihres Herzens noch nicht gänzlich und völlig geheilt; woraus erhellt, daß die Erneuerung in diesem Leben unvollkommen sei und fortwährend zunehmen müsse, 2 Cor. 4,16. - Wie übrigens Christus hier Seine Jünger wegen ihres Unglaubens und ihrer Herzenshärtigkeit straft, so sollen auch die Diener der Kirche den Unglauben und dessen Frucht, d. i. aller Art Sünden, an ihren Zuhörern strafen. Christus wünscht Seinen Jüngern Frieden, tröstet sie, und sucht allen Schrecken aus ihren Herzen zu entfernen; jedoch schmeichelt Er ihnen nicht, noch billigt Er den Unglauben und die Herzenshärtigkeit an ihnen, sondern beschuldigt sie ernstlich. So soll man auch den Geist der Frommen aufrichten und stärken, jedoch die Schwachheit ihres Fleisches und deren Früchte tadeln und strafen, damit der alte Adam in ihnen ausgerottet und gekreuzigt werde und der neue Mensch täglich hervorkomme, zunehme und erstarke u. s. w.

d. Das Vierte, was Christus bei dieser Seiner Erscheinung geredet hat, ist, daß Er die Schrift auslegt. Denn obwohl Christus sich Seinen Jüngern zur Beglaubigung Seiner Auferstehung zu sehen und fühlen gegeben hatte, so wollte Er sich doch mit dieser sichtbaren und handgreiflichen Offenbarung nicht begnügen, weil der Grund des Glaubens nicht das Urtheil der Sinne, welche täuschen können, sondern das Wort Gottes ist, welches von unbeweglicher Wahrheit und daher die einzige Grundlage des Glaubens ist, sondern Er führt sie auf dies eigentliche und unbewegliche Princip und Fundament des Glaubens hin, indem Er ihnen Seine Reden, die Er früher von Seinem Leiden und Seiner Auferstehung gehalten hatte, ins Gedächtniß zurückruft und ihnen die hierauf bezüglichen Weissagungen des Alten Testaments erklärt. Schön sagt Augustinus: Als Christus sich hatte anfühlen lassen, war es Ihm nicht genug, Er machte denn die Herzen der Gläubigen fest und gewiß in der Schrift. Denn Er schaute auf uns, die wir noch kommen sollten. Wir haben nicht, den wir fühlen könnten; was wir aber lesen können, haben wir. Wenn nun jene darum glaubten, weil sie Ihn hielten und fühlten, was sollen denn wir machen? Christus ist jetzt gen Himmel gefahren und kommt nicht eher wieder bis am Ende, zu richten die Lebendigen und die Todten. Woher sollen wir zum Glauben kommen, als eben daraus, woraus Er jene, die Ihn fühlten, im Glauben befestigen wollte?

Er öffnete ihnen die Schrift. „Das sind die Reden“, spricht Er, „die ich zu euch sagte, da ich noch bei euch war“, d. i. erinnert euch meiner Worte, die ich so oft vor meinem Leiden und Sterben zu euch geredet, in welchen ich euch nicht einmal, sondern einigemal auf mein Leiden, Sterben und Auferstehen aufmerksam gemacht habe. Denn aus den Evangelisten erhellt, daß Christus wenigstens fünfmal den Aposteln Sein nahebevorstehendes Leiden und Auferstehen öffentlich vorhergesagt habe; nämlich Matth. 16,21.. Marc. 8,31., Luc. 8,22., Matth. 17.9-12., Marc. 9,9-12., Matth. 17,22., Marc. 9,31., Luc. 9,44., Matth. 20,18., Marc. 10,33., Luc. 18,31., Matth. 26,2. - Aber warum sagt Er: „da ich noch bei euch war“; - war Er denn nicht jetzt bei ihnen? - Antwort: Wohl war Er jetzt bei ihnen, aber auf eine weit andere und verschiedene Weise, als Er früher bei ihnen war. Damals war Er im Stande Seiner Erniedrigung, jetzt im Stande der Erhöhung; damals in einem sterblichen, jetzt aber in einem verklärten Leibe bei ihnen. - Diese Bemerkung diene zur Erklärung der Schriftstellen, welche die Gegner der Gegenwart Christi nach Seinen beiden Naturen entgegenzustellen pflegen. Matth. 26,11. sagt Christus: „Mich habt ihr nicht allezeit.“ Joh. 16,28.: „Ich verlasse die Welt und gehe zum Vater.“ Aus diesen und ähnlichen Sprüchen folgern die Gegner, „Christus sei nach Seiner menschlichen Natur nicht bei uns.“ Sie sollten aber doch unterscheiden zwischen dem, was beziehungsweise, und dem, was schlechthin gesagt wird. Christus leugnet nicht schlechthin, daß Er bei Seinen Jüngern in der Welt sei. da Er Matth. 28,20. das Gegentheil bezeugt: „Siehe, ich bin bei euch bis an der Welt Ende“; sondern in Bezug auf jene bestimmte Weise Seiner Gegenwart, nach welcher Er in den Tagen Seines Fleisches der Weise dieser Welt gemäß bei ihnen war. Weil Er aber bei den Vorhersagungen von Seinem Leiden, Sterben und Auferstehen Seine Jünger auf Weissagungen des Alten Testaments verwiesen hatte. Matth. 26.24., Marc. 9,12.. Luc. 18.31., so wiederholt Er auch hier die Weissagungen von Seinem Tode und Seiner Auferstehung aus Mose, den Propheten und Psalmen. „Denn es muß alles erfüllt werden“, spricht Er, „was von mir geschrieben ist im Gesetz Moses, in den Propheten und Psalmen.“

Man beachte diese Eintheilung der Bücher des Alten Testaments, die uns hier Christus selbst gibt. Unter Mosen versteht man den Pentateuch oder die fünf Bücher Mosis; unter den Propheten: die Bücher Josua, Ruth, der Richter, Samuelis, der Könige, der Chronika, Esra, Esther, Hiob, der vier großen und zwölf kleinen Propheten; unter Psalmen: den Psalter, die Sprüche, den Prediger und das Hohelied Salomonis. Luc. 24,27. werden sie in Mosen und die Propheten eingetheilt, wo denn die Psalmen, die Sprüche, der Prediger oder das Hohelied zu den Propheten gezählt werden. Dieselbe Eintheilung findet sich Matth. 11,13., Luc. 16,29., Joh. 1,45., Ap. Gesch. 26,22., Cap. 28,23., Röm. 3,21. - daher die Apokryphen, da sie zu keiner dieser Classen gezogen werden können, zur heiligen Schrift im eigentlichen Sinne nicht gerechnet werden dürfen. Welches aber diese Weissagungen aus Mose und den Propheten seien, die Christus angeführt und Seinen Jüngern erklärt habe, ist früher gesagt worden. Hier ist das zu bemerken, daß es heißt, Christus habe Seinen Jüngern „das Verständniß geöffnet, daß sie die Schrift verstanden“; was nicht blos durch die äußere Erklärung der Weissagungen, sondern auch durch die innere Erleuchtung ihres Verstandes geschehen ist. Dasselbe war den beiden Emmausjüngern widerfahren, Luc. 24,27., die nachher sagten: „brannte nicht unser Herz in uns, da Er mit uns redete auf dem Wege, als Er uns die Schrift öffnete?“ So öffnete Er nun auch hier den Jüngern das Verständniß, daß sie auf die Schrift Acht hatten und ihren wahren Sinn vernahmen. Nachdem Er diese Erklärung der Weissagungen des Alten Testaments beendet hatte, fügte Er, gleichsam zusammenfassend, hinzu: „Also ists geschrieben, und also mußte Christus leiden und auferstehen von den Todten am dritten Tage“; als wollt' Er sagen: Was mir bei meinem Leiden und Sterben begegnet ist, das ist im Alten Testament vorhergesagt worden; darum mußte es erfüllt werden. Aber auch meine Auferstehung ist in der Schrift verkündigt worden; sie ist also nicht weniger als mein Leiden erfolgt. Endlich ist auch die Predigt von dieser durch mein Leiden, Sterben und Auferstehen erworbenen Wohlthat in der ganzen Welt vorhergekündigt worden; es ist also noch übrig, daß auch dies erfüllt werde. - Diese Verkündigung des Evangeliums faßt Christus in zwei Hauptstücke; indem Er sagt: „und predigen lassen in Seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden.“ Die Etymologie des griechischen Worts gibt eine passende Erklärung des Worts Buße an die Hand. Es bezeichnet nämlich eine Aenderung und Besserung des Sinnes, da man nach der That den Irrthum einsieht und endlich zu Verstande kommt, wünscht, man möchte es nicht gethan haben, und sich inskünftige besser vorsieht. Da aber das Wort Buße erstens im weitern Sinne genommen wird, wo es die ganze Buße in sich begreift, wie Matth. 3,2.8.11., Cap. 9,13., Luc. 15,10., Ap. Gesch 2,38., Cap. 19,4., 2 Petri 3,9., Offenb. 2,5., welche eine heilsame Bekehrung zu Gott ist und in Reue und Glauben besteht, - und zweitens im engeren Sinne für diese Reue allein, als einen Theil der Buße, Marc. 1,15., Ap. Gesch. 21,21.; - so ist die Frage, in welcher Bedeutung es hier genommen werde. Buße und Vergebung der Sünden werden zusammen verbunden; nun aber wird die Vergebung der Sünden nur den wahrhaft und heilsam zu Gott Bekehrten zu Theil; folglich wird die Buße hier nicht blos für einen Theil der Bekehrung, die Reue nämlich, sondern für die ganze heilsame und wahre Bekehrung genommen, welche in Reue und Glauben besteht, und auf welche der neue Gehorsam unmittelbar folgt. Do übrigens das Amt des Evangeliums im Neuen Testament hier als eine Predigt der Buße und Vergebung der Sünden bezeichnet wird, so wollen Einige daraus folgern, das Evangelium sei im eigentlichen Sinne eine Predigt der Buße. Allein man muß unterscheiden zwischen Evangelium im weitern und im engern Sinne. In der weitern Bedeutung, wo es das ganze Amt des Neuen Testaments bezeichnet, sagt man recht, das Evangelium sei eine Predigt der Buße, da die Apostel und die Diener der Kirche im Neuen Testament nicht allein den Glauben und die Vergebung der Sünden, sondern auch die in Reue und Glauben bestehende Buße predigen. Wenn man aber das Wort Evangelium im engern Sinne nimmt, nämlich für die freie unentgeltliche Verheißung von der Vergebung der Sünden, dann kann man nicht sagen, daß das Evangelium eigentlich eine Predigt der Buße sei; sondern da die Buße die Reue und den Glauben in sich schließt, so wird die Reue durch das Amt des Gesetzes, der Glaube aber durch das Amt des Evangeliums gepredigt. - Diese Predigt der Buße und Vergebung der Sünden, will Christus, soll in „Seinem Namen“ geschehen.

Man sagt aber, daß im Namen Christi etwas geschehe, 1. wenn es auf Sein Geheiß und Seinen Befehl geschieht, Joh. 5, 43.; 2. wenn es an Seiner Statt geschieht, 1 Cor. 5,4., 2 Cor. 2,10.; 3. wenn es im Glauben und Vertrauen auf Sein Verdienst geschieht, Joh. 14,13.; 4. wenn es zu dem Ende geschieht, daß Christus als wahrer Gott und Mittler erkannt, angerufen und angebetet werde, Ap. Gesch. 2,38.; 5. wenn es durch die Kraft und Wirkung des gegenwärtigen Christus geschieht, wie die Apostel in Christi Namen Wunder thaten, Marc. 16, 17. Wenn also Christus hier sagt, daß in Seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden soll, so ist Seine Meinung, daß die Apostel und Diener der Kirche auf Sein Geheiß, Gebot und Befehl Buße predigen sollen; und daß Er durch ihre Predigt kräftig sein und genehmigen wolle, was sie an Seiner Statt handeln; und daß durch den Glauben an Sein Verdienst den wahrhaft Bußfertigen Vergebung der Sünden zu Theil werden solle, zu dem Ende, daß sie inskünftige Ihm als dem wahren Sohn Gottes und Mittler gehorchen, Ihn erkennen, anrufen und anbeten. - Christus fügt aber noch hinzu, diese Predigt solle „anheben zu Jerusalem“; wie es denn im Alten Testament verkündigt worden war, Ps. 110,2., Jes. 2,3., Micha 4,2., und wohin alle Weissagungen von der Berufung der Heiden und der Allgemeinheit des Reichs Christi gehören.

Aber warum sollte denn von Jerusalem der Anfang gemacht werden? 1. Damit die soeben angeführten Weissagungen erfüllt würden; 2. Weil der Messias insbesondere den Juden verheißen war, Röm. 15,8., Matth. 15,24., Röm. 9,4., nun aber ist Jerusalem die Hauptstadt von Judäa, wohin aus den andern Städten alle Männer jährlich dreimal zusammenkamen. 3. Damit die in mancherlei Irrthümern und Greuelthaten steckenden Heiden durch diesen so großen Beweis der göttlichen Gnade und Barmherzigkeit, daß auch denen, die den Sohn Gottes gekreuzigt hatten, Vergebung der Sünde zu Theil wurde, zu der Hoffnung gereizt würden, daß Gott auch ihnen verzeihen werde. 4. Lycanus fügt noch diese Ursache hinzu: „Jerusalem liegt in der Mitte der bewohnten Welt; darum sing von dort aus die Predigt des Evangeliums passend an, damit durch die Apostel Christi und andere Jünger, die rings umher durch die Welt zerstreut wurden, ihre Predigt durch alle Lande erschalle.“ Diese Vorschrift Christi befolgten nun die Apostel und predigten vor allen andern zu Jerusalem, wie aus der Apostelgeschichte erhellt. Hernach aber, als die Juden sie von sich stießen, gingen sie zu den Heiden, Ap. Gesch. 13,46. 47. - Endlich fügt Christus noch hinzu: „Ihr aber seid deß alles Zeugen“, dessen nämlich, was Er bisher erwähnt hatte, worunter Seine Auferstehung die Hauptstelle einnimmt, ohne daß jedoch das Uebrige, was Er in den Tagen Seines Fleisches gethan und geredet, ausgeschlossen ist. Diesen Auftrag, von Ihm zu zeugen, ertheilt Er ihnen auch anderswo, Joh. 15,26.27., Ap. Gesch. 1,8., daher auch Petrus Ap. Gesch. 10,39. sagt: „Wir sind Zeugen alles deß, das Er gethan hat im jüdischen Lande und zu Jerusalem“ u. s. w. - Und aus dieser Rede Christi vernehmen wir, daß die Frucht der Auferstehung Christi die allgemeine Berufung der Heiden zum Reiche Christi durch die Predigt des Evangeliums sei, da ja durch das Leiden, den Tod und die Auferstehung Christi die Scheidewand zwischen Juden und Heiden aufgehoben ist, Eph. 2,14.

e. Das fünfte Stück von dem, was Christus hier geredet hat, ist die Einsetzung des Predigtamts. Denn nachdem Er Seinen Jüngern abermal Frieden gewünscht hatte, fügt Er hinzu: „Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Die Jünger waren schon vorher von Christo zum Predigtamt berufen worden, Matth. 10,1. ff., Luc. 9,2., aber bei Seinem Leiden hatten sie Ihn schändlich verlassen. Christus beruft sie also hier aufs neue dazu und befiehlt ihnen das hohe Apostelamt. Diese Berufung merkt Johannes, der dabei war, vor den andern Evangelisten allein an, und sie verdient sorgfältig erwogen zu werden, da uns darin die Würde und Gewalt des Predigtamts vorgestellt wird. Christus spricht also: „Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Der Sohn ist aber vom himmlischen Vater zu zwiefachem Endzweck gesandt worden: 1. zum Werk der Erlösung, von welchem Theil Seines Amtes Er Matth. 20,28. sagt: „Des Menschen Sohn ist nicht kommen, daß Er sich dienen lasse, sondern daß Er diene, und gebe Sein Leben zur Erlösung für Viele.“ In dieser Weise sandte Christus Seine Jünger nicht, weil nur „Ein Mittler ist zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus JEsus“, 1 Tim. 2,5., Jes. 63,3. - 2. ist Christus zum Predigtamt gesandt; Joh. 1,18.: „Niemand hat Gott je gesehen, der eingeborne Sohn, der in des Vaters Schooß ist, der hat es uns verkündigt“, Joh. 18,37. In dieses Amtes Gemeinschaft nahm Christus Seine Apostel auf, so jedoch, daß Er selbst „der Sohn und Herr im Hause“ bleibt, Hebr. 8,6., „der Oberhirt und Bischof der Seelen“, 1 Petri 2,25. Zum Lehren und Predigen sendet Er also hier die Apostel, und will nicht, daß sie ohne Beruf ins Amt laufen, sondern den himmlischen und göttlichen Beruf abwarten, Jerem. 23,32., Ap. Gesch. 20,28., Hebr. 5,4., so wie Er selbst nicht aus eigener Macht kam, sondern vom Vater in diese Welt gesandt wurde. Joh. 5,43.: „Ich bin kommen in meines Vaters Namen.“ Lasset uns aber erwägen, wie und wozu der Sohn in diesem Theile Seines Amts gesandt worden sei, und es wird erhellen, was den Dienern der Kirche in ihrem Amte obliegt. 1. Christus ist nicht dazu gesandt, daß Er ein irdisches Reich anfinge, oder einen Theil davon an sich zöge, sondern daß Er als Prophet und Prediger handle, 5 Mos. 18,18., Jes. 61,1., Luc. 4,18.: so sind denn auch die Apostel und andere Diener der Kirche nicht dazu gesandt, eine weltliche Herrschaft zu üben, sondern das Wort Gottes zu predigen, Luc. 22,25. - 2. Christus ist nicht dazu gesandt, daß Er Seine, sondern Seines himmlischen Vaters Lehre verkündigte, Joh. 8,27., Cap. 14,10.24., Cap. 15,15.: so sollen denn auch die Diener der Kirche nicht menschliche Träume vortragen und neue Lehren erdichten, sondern Gottes Wort lauter und rein lehren, Jer. 23,16., Cap. 1,9. 1 Petri 4,11. - 3. Christus ist nicht dazu gesandt, daß Er neue Gesetze gebe, sondern daß Er durch die Erklärung des alten Gesetzes die Menschen zur Buße rufe, Matth. 5,17., Cap. 9,13.: so werden denn auch die Apostel und ihre Nachfolger, die Diener der Kirche, nicht dazu gesandt, neue Gesetze zu geben, sondern durch die Lehre des göttlichen Gesetzes zur Erkenntniß der Sünde zu bringen, Röm. 3,20. - 4. Christus ist gesandt, „nicht daß Er die Welt richte und verderbe, sondern daß sie durch Ihn selig werde“, Joh. 3,17.: so werden auch die Apostel gesandt, nicht daß sie Könige und Fürsten zusammenlietzen, in Krieg verwickeln und nach Lust und Belieben unterdrücken, sondern daß sie durch die Verkündigung des göttlichen Worts den Menschen die Seligkeit bringen, 2 Cor. 13,10. Aus diesen Hauptpunkten mögen fromme Diener der Kirche erkennen, welches die Stücke des ihnen befohlenen göttlichen Amtes seien. Man kann aber auch daraus erkennen, ob der römische Pabst wirklich der Statthalter Christi und Nachfolger Petri sei, wie er sich immerwährend rühmt, während er doch nicht das Evangelium predigt, sondern eine weltliche Herrschaft übt, nicht Christi Lehre, sondern Menschensatzungen treibt, neue Gesetze erläßt, und die Machthaber gegen die Bekenner Christi anstachelt u. s. w. - Diese Vergleichung zwischen der Sendung Christi und der Apostel kann auch zum Troste dienen. Denn wie 5. Christus so vom Vater gesandt wurde, daß Er Ihn nicht allein ließ, sondern durch Sein Wort wirksam war, Joh. 5,17.19., Cap. 16,32.: so ist Er auch durch den Dienst der Apostel und anderer frommer Lehrer wirksam, 1 Cor. 15,57., Cap. 3,6. - 6. Wie auch Christus nicht gesandt wurde, daß Er hier gute Tage hätte, sondern durchs Kreuz einginge zur Herrlichkeit, Luc. 24,26.: so sollen auch die Diener der Kirche nicht Vergnügungen, Ehre und Reichthum suchen, nicht nach der Gunst der Welt haschen, sondern sich auf Haß, Verleumdung und Verfolgung in dieser Welt gefaßt machen, Joh. 21,17.18. - Die Zuhörer mögen aus diesen Worten Christi lernen, daß ,die Diener der Kirche Gottes Gesandte sind, 1 Cor. 4,1., 2 Cor. 5,20., und daß sie also dieselben an Gottes Statt zu hören und aufzunehmen haben, Joh. 5,38., Cap. 12,48.49., Luc. 10,16., 1 Thess. 4,8. -

f. Das sechste Stück endlich von dem, was Christus bei dieser Seiner Erscheinung geredet hat, ist die Uebertraguug der geistlichen Schlüssel. Denn nachdem Er den Aposteln aufs neue das Predigtamt übergeben und den Heiligen Geist vermittelst des Anblasens verliehen hatte, fügt Er hinzu: „Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Matth. 16,19. hatte Er die Schlüssel des Himmelreichs in der Person Petri allen Aposteln, ja der ganzen Kirche verheißen, daß sie dieselben zum Lösen und Binden d. i. zum Erlassen und Behalten der Sünden gebrauchen sollten; denn so wird diese Verheißung Matth. 18,18. erklärt. Hier aber übergibt Er durch die That selbst die Schlüssel der Kirche den Aposteln durch Verleihung der Macht, Sünden zu erlassen und zu behalten. Man denke sich die Sache so: Die Kirche ist das Haus Gottes, 1 Tim. 3,15., Hebr. 3,6. Der Herr dieses Hauses ist Christus, der Sohn Gottes; der ist auch der Eck- und Grundstein, Ps. 118,22., Matth. 21,42., Marc. 12,10., auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel“, Eph. 2, 21. Die Hausgenossen sind alle Gläubigen, „erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten“, V. 20. In dieses Haus sind alle Schätze der Güter, die Christus durch Sein kostbares Leiden und Sterben erworben hat, zusammengetragen, als da sind: die Gnade Gottes, die Vergebung der Sünden, die Gerechtigkeit, die Gabe des Heiligen Geistes und das ewige Leben. Die Hausmutter ist gleichfalls die Kirche, die geliebte Braut Christi, Ps. 68, 13. Und es komme niemanden ungereimt vor, daß die Kirche das Haus Gottes und die Hausmutter in diesem Hause genannt wird, da dieses in verschiedener Hinsicht geschieht. Das Haus ist sie in Hinsicht der göttlichen Inwohnung. Die Hausmutter in Hinsicht der Verwaltung und göttlichen Liebe. Denn wie der Hausmutter die Schlüssel übergeben werden, womit sie als eine fleißige und treue Haushälterin den Vorrath und andere nöthige Dinge der Familie auf- und verschließen soll, so übergibt auch Christus der Kirche als Seiner Braut die Schlüssel, deren sie sich zur Vergebung und Behaltung der Sünden und demnach zum Oeffnen und Schließen des Himmelreichs bedienen soll. Die Haushalter und Verwalter, die, vom himmlischen Hausvater berufen, im Namen der Kirche oder Hausmutter diese Schlüssel verwalten, sind die Diener der Kirche, die der heilige Apostel deshalb „Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse“ nennt, 1 Cor. 4,1. Sie sollen diese Schlüssel dazu gebrauchen, die Sünden zu erlassen und zu behalten, d. i. die von Christo dem Hausherrn so theuer erworbenen Schätze denjenigen allein öffnen und austheilen, welchen sie auszutheilen der Hausvater befohlen hat; den andern sie aber verschließen, und immer bedenken, daß sie einst über die Verwaltung dieser Schlüssel Rechenschaft geben müssen. - Ferner gab Christus hier die Schlüssel den Aposteln, als Er aus blutiger Schlacht siegreich hervorging und die den überwundenen Feinden abgenommene Beute mit sich brachte, Joh. 20, 22. Denn wie nach der Eroberung einer Festung dem Sieger die Schlüssel zum Zeichen des Sieges und der Herrschaft überreicht zu werden pflegen, so rief auch Christus, als Er nach Besiegung des Satans und Zerstörung der Hölle von den Todten auferstand, aus, Offenb. 1,18.: „Ich war todt, und siehe, ich lebe von Ewigkeit zu Ewigkeit, und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“ Diese Schlüssel übergibt Er den Aposteln und andern Dienern der Kirche, sie in Seinem Namen zu verwalten, indem Er ihnen die Macht verleiht, die Sünden zu erlassen und zu behalten, wodurch Er eben erinnert, daß nicht etwa blos im Allgemeinen die Lehre des Gesetzes und des Evangeliums in der Kirche zu verkündigen und dabei einem Jeden freigelassen sei, ob er ihr durch wahre Bekehrung, Glauben und neuen Gehorsam Raum geben wolle, sondern daß diese Lehre so gehandelt werden müsse, daß es Schlüssel seien, wodurch den Unbußfertigen das Himmelreich verschlossen und die Hölle geöffnet, den Bußfertigen und an Christum Gläubigen aber das Himmelreich geöffnet und die Hölle zugeschlossen werde, d. i.: die Diener der Kirche sollen den Unbußfertigen und in Sünden beharrlich Fortfahrenden aus dem Gesetz den Zorn Gottes und die ewige Verdammniß ankündigen, den Bußfertigen aber aus dem Evangelio die Gnade Gottes und das ewige Leben verheißen, und zwar nicht nur im Allgemeinen, sondern auch insonderheit, woraus man ersieht, zu welchem Zweck die Privatabsolution und die Excommunication in der Kirche beizubehalten sei. Und diese Erlassung und Behaltung der Sünden, welche in der Kirche stattfindet, ist vor Gott ganz kräftig, wie diese Verheißung Christi lehrt: „Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Vergl. Matth. 18,18. Doch sind diese Schlüssel nicht nach eigener Macht und Willkür, sondern nach der Vorschrift des Wortes und nach der Anordnung Christi zu handhaben. Uebertragen sind diese Schlüssel den Dienern der Kirche von Christo selbst, dem sie ursprünglich gehören, „der den Schlüssel Davids hat; der aufthut und niemand zuschließt; der zuschließt und niemand aufthut“, Offenb. 3,7. Seinen Willen also und Seine Vorschrift sollen sie beim Gebrauch dieser Schlüssel im Auge haben. Anvertraut sind ihnen diese Schlüssel als Haushalter über Gottes Geheimnisse; sie müssen also dem Befehl und der Anordnung des himmlischen Hausvaters nachkommen. Die Macht, Sünden zu erlassen und zu behalten, ist ihnen nicht eigenmächtig und eigenthümlich überlassen, sondern nur amtlich oder dienstlich. Sie müssen also denen die Sünden erlassen und behalten, welchen Gott sie zu erlassen und zu behalten befiehlt. Nun aber hat Gott Seinen Willen in Seinem Worte offenbart, daß Er den Bußfertigen und an Christum Gläubigen die Sünden erlassen, den unbußfertlgen, ungläubigen und sichern Sündern aber sie behalten will, wie so viele Schriftstellen bezeugen. Ebenso sollen nun auch die Diener der Kirche Denjenigen die Gnade Gottes verkündigen, welche ihre Sünden aus dem Gesetz erkennen, ein zerknirschtes Herz haben, über ihre begangenen Sünden trauern, den Zorn Gottes und die ewige Verdammniß fürchten, sich aber durch den wahren Glauben an Christum wieder aufrichten, von Sünden ablassen und ihr Leben bessern. Den Andern aber, die sich weder ans Gesetz noch ans Evangelium kehren, sollen sie den Zorn Gottes und die ewige Verdammniß ankündigen. Und diese Ankündigung des Zornes Gottes ist kein blinder Schreckschuß; sondern Gott selbst, dessen Stelle die Diener der Kirche in dieser Erlassung und Behaltung der Sünden vertreten, ist durch ihren Dienst wahrhaft kräftig und wirksam. Daher Augustinus sagt: „Diese Worte sind gewisser, als alle königlichen Edicte und Diplome.“ Luther sagt: „Christus spricht nicht, was ich löse, sollet ihr lösen; sondern was ihr lösen werdet, will ich lösen, d. i. thut ihr nur eure Pflicht auf Erden, so will ich schon die meinige im Himmel thun. Ja, was ihr thut, brauche ich nicht erst zu thun; ich will es schon für gethan halten.“ Wie es aber nicht erlaubt ist, die Schlüssel nach eignem Gutdünken zu handhaben (da der Schlüssel der Gewalt nichts hilft, ohne den Schlüssel der Weisheit, Bescheidenheit und Frömmigkeit), so ist es auch nicht erlaubt, sie zu weltlichen Händeln anzuwenden. Denn Christus nennt sie „Schlüssel des Himmelreichs“, und die den Dienern der Kirche zugestandene Gewalt geht auf die Erlassung oder Behaltung der Sünden. Es ist also für einen Mißbrauch der Schlüssel zu halten, wenn der römische Pabst mit den Schlüsseln die Schätze dieser Welt aufschließt und an sich zieht, indem er Ablaß verkauft, in verbotenen Graden dispensiert, Könige und Fürsten vom Throne stürzt, ihre Unterthanen vom Huldigungseide entbindet u. s. w. und wie eine wahnsinnige Hausmutter das aufschließt, was zugeschlossen, und das zuschließt, was aufgeschlossen werden sollte.

Dies wären also die Stücke, welche Christus bei dieser Seiner Erscheinung gethan und geredet hat; es bleibt uns nun noch übrig zu sehen, wie die Jünger sich dabei verhalten haben. 1. „Sie erschraken und fürchteten sich, meinten, sie sähen einen Geist.“ Sie waren noch nicht versichert von der Auferstehung Christi; darum erschrecken sie und fürchten sich, weil der Unglaube furchtsam macht, daß man „vor einem rauschenden Blatt erschrickt und flieht“, 3 Mos. 26,36. Der Glaube dagegen ist in den größten Gefahren beherzt, Ps. 23,4., Ps. 46,3. Die Jünger aber erschrecken deswegen, weil die plötzliche Ankunft Christi durch die verschlossenen Thüren sie auf die Gedanken von einem Gespenste brachte. Da das Wort Geist in der Schrift für die göttliche Natur Christi gebraucht wird Röm. 1,4., 1 Cor. 15,46., 1 Petri 3,18., so meinen Einige, die Apostel hätten vermuthet, Christus sei nur nach Seiner göttlichen Natur gegenwärtig, nicht aber nach seiner menschlichen, in eben dem Leibe nämlich, welcher von den Todten auferstanden war. Und diese Erklärung gewährt die nützliche Lehre, daß wir den Anblick der göttlichen Majestät in diesem schwachen Fleische nicht zu ertragen vermögen und daß Gott in Seiner Majestät den Sündern ein verzehrendes Feuer ist, 5 Mos. 4,24., Hebr. 12,29. Calvin behauptet zwar, die Apostel seien nicht so einfältig gewesen, sich vor einem Gespenste zu fürchten, sondern sie hätten gedacht, es werde ihnen in einem Gesichte ein Bild der Auferstehung vorgestellt. Allein es ergibt sich aus der Geschichte Matth. 14,26., Marc. 6,49., daß die Vermuthung eines Gespenstes in ihnen aufgestiegen sei. Wie sie dort erschrocken sprechen: Es ist ein Gespenst! und vor Furcht schreien: so meinen sie auch hier, als sie Christum bei verschlossenen Thüren in ihre Mitte treten sahen, es sei ein Geist oder Gespenst; deshalb erschrecken sie und fürchten sich. - Einem Gespenste wird aber die Benennung Geist beigelegt, weil es ein bloßes Gaukelspiel des Satans ist, welcher ein „böser Geist“ ist, Richt. 9,23., 1 Sam. 16,14., Luc. 11,26., Ap. Gesch. 19,15. u. s. w. Man könnte auch hieherziehen Ap. Gesch. 12,15., wo die Christen, als sie hören, Petrus, von dem sie wußten, daß er im Gefängniß in enger Haft sei, stehe vor der Thüre, versehen: „es ist sein Engel“; indem sie entweder dachten, ein böser Geist habe seine äußere Gestalt angenommen, oder daß ein dem Petrus zum Schutz beigegebener Engel da sei und etwas an seiner Statt zu melden habe. So meinten nun die Jünger auch hier, sie sähen einen Geist oder Engel; denn von der göttlichen Natur Christi waren sie noch nicht so überzeugt, daß sie gedacht hätten, sie sei, von der menschlichen getrennt, gegenwärtig. Man sieht aber aus diesen Gedanken der Jünger, wie leicht uns der Vorwand der Wahrhaftigkeit der Menschheit Christi täuscht, so daß wir entweder leugnen oder doch bezweifeln, was Ihm über oder außer den wesentlichen Eigenschaften der menschlichen Natur als Mensch gegeben ist, Matth. 14,26., Marc. 6,49. Die Apostel sahen vor Augen und erkannten, daß es Christi Leib sei, der auf dem Wasser des Meeres wandelte. Aber weil es gegen die Natur eines wahren Leibes ist, auf dem Wasser wie auf dem Lande zu gehen, und weil sie nicht begreifen konnten, wie dies unbeschadet der Wirklichkeit eines Leibes geschehen könne, so dachten sie, Christus sei nicht in Seinem wahren Leibe da, sondern es sei irgend ein Gespenst, was in jener Gestalt erscheine. Allein, Christus ruft mit lauter Stimme: „Fürchtet euch nicht, ich bins.“ Und wenn die Jünger auch dort, nachdem sie Ihn ins Schiff aufgenommen, bekannten: „Du bist wahrlich Gottes Sohn“, und erkannten, daß jenes Wandeln auf dem Wasser unbeschadet der Wahrheit der menschlichen Natur geschehen konnte, so erlitten sie doch jetzt hier einen Rückfall und stießen an denselben Stein. Denn als Christus bei verschlossenen Thüren leibhaftig kam und in ihre Mitte trat, erschraken sie und fürchteten sich, obschon Christus durch Wort und Stimme zeigte, daß Er es selbst sei, indem Er sprach: „Friede sei mit euch!“ - und meinten, es sei nicht der wahre Leib Christi, sondern ein Gespenst, das ihnen der Teufel vor die Augen gaukele; oder es sei ein Engel, der unter angenommener äußerer leiblicher Gestalt ihnen etwas verkündigen wolle. Ehe Christus erschien, sprachen sie: „Der HErr ist wahrhaftig auferstanden und Simoni erschienen“; jetzt aber, da Christus bei verschlossenen Touren zu ihnen kommt und in ihre Mitte tritt, kehren sie zu ihrer früheren Meinung von einem Blendwerk zurück, weil sie nämlich denken, es sei etwas Unmögliches und gegen die Natur eines wahren Leibes, einen andern Körper zu durchdringen und bei verschlossenen Thüren einzutreten. Christus aber heißt sie, an dem Leibe, den Er durch verschlossene Thüren hereingebracht hatte, das Fleisch und die Knochen besehen und betasten, und zeigt beides, daß Er nämlich einen wahren Leib habe und doch auch in und mit diesem Leibe mehr zu leisten vermöge, als unser beschränkter Verstand fassen kann. Allein obwohl die Apostel so viele Beweise sahen und hörten, so sagt Lucas dennoch von ihnen, daß sie „noch vor Freuden nicht geglaubt, sondern sich verwundert hätten“; woraus erhellt, wie zäh und fest die Gedanken und Schlüsse von der wahren menschlichen Natur Christi sie gegen das eingenommen hatten, was Er im Worte Seinem Leibe beilegt, wenn dies über und gegen die Natur ist. Daher ist es denn auch kein Wunder, daß eben dieselben Schlüsse bei der Disputation über die wahre Gegenwart des Leibes und Blute Christi im heiligen Abendmahl so große Unruhen in der Kirche erregt haben. Doch eben diese Beispiele, die uns von den Aposteln selbst aufgezeichnet sind, mögen uns erinnern, daß wir uns nicht durch den Vorwand solcher Schlußfolgerungen über die wahre Menschheit Christi von dem offenbaren und klaren Worte abführen lassen, in welchem uns solche Dinge von dem Leibe Christi verkündigt werden, von denen wir, wie sie mit der wahren menschlichen Natur übereinstimmen, nicht erklären noch begreifen können.

2. Sie sehen und fühlen Christi Glieder. Denn als sie so erschrocken waren und sich in ihrem Herzen mit allerlei Gedanken herumschlugen, ob es wirklich Christi Leib sei, was vor ihnen stand, oder ob es nur irgend ein Gespenst sei, da befahl ihnen Christus, um die Wirklichkeit seines Leibes zu erweisen, zu sehen, d. i. alle Umrisse und Glieder genau anzuschauen, die Nägelmaale an Seinen Händen und Füßen zu betrachten und Sein Fleisch und Seine Knochen zu betasten. Obwohl aber die Evangelisten nicht mit ausdrücklichen Worten melden, daß die Apostel Christi Leib so besehen und betastet haben, so kann es doch keinem Zweifel unterliegen, daß sie diesem Befehl Christi gehorcht haben, was daraus hervorgeht, daß die Evangelisten sagen, Christus habe darauf den Aposteln Seine Hände und Füße gezeigt. Besonders einleuchtend aber wird dies aus 1 Joh. 1,1.: „Das wir gehört haben, das wir gesehen haben mit unsern Augen, das wir beschauet haben, und unsre Hände betastet haben vom Wort des Lebens“; V. 3.: „Was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir euch“; wo Johannes selbst, der bei dieser Erscheinung war, versichert, das er das fleischgewordene Wort des Lebens betastet habe. Dieses Sehen und Fühlen der Apostel soll in uns den Glauben an die Auferstehung Christi stärken und befestigen, daß Er in demselben Leibe, welcher an das Kreuz genagelt war, von den Todten auferstanden und den Jüngern erschienen sei. Wir zwar können Ihn, den zur Rechten des Vaters Erhöhten, nicht mit leiblichen Händen berühren und betasten, aber mit unsrer Glaubenshand berühren wir Ihn zu unserm Heil im Wort des Evangelii, Röm. 10,6. f.

3. Endlich werden die Jünger froh, daß sie den HErrn sehen. Vorher waren sie durch das schmähliche Leiden und Sterben ihres Meisters in die größte Traurigkeit versetzt worden; jetzt aber, da sie von Seiner herrlichen Auferstehung überzeugt sind, geht ihr Herz in Freude über. Vorher hatte der in ihrem Herzen aufgestiegene Wahn, sie sähen ein Gespenst, sie mit Furcht und Schrecken erfüllt. Jetzt aber, da sie von der Gegenwart Christi selbst überzeugt sind, frohlocken sie. Durch diese Freude der Jünger wurde die Weissagung Christi, Joh. 16,22., erfüllt: „Jetzt habt ihr zwar Traurigkeit, aber ich will euch wieder sehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.“ Wenn der Teufel unsern Herzen ein Gespenst anstatt des wahren Christus entgegenhält, d. i. wenn er uns Christum aus dem Gesetz als einen strengen Richter und Rächer vormalt, der die Sünder von sich stoße und zu den Höllenflammen verurtheile, dann überfällt uns Furcht und Schrecken. Wenn aber Christus mit der Stimme des Evangeliums uns anredet und spricht: „Ich bins!“ - uns dann Seine Wundenmaale zeigt und die Wahrheit Seiner menschlichen Natur, nach welcher Er unser Bruder ist, zu betrachten gibt, - dann schwindet der Wahn vom Gespenste: wir schauen den wahren Christum und werden von geistlicher Freude durchströmt. Diese Freude aber ist in diesem Leben noch nicht völlig und vollkommen, weil der Teufel nicht abläßt, uns mit seinen Gespenstern und Gaukeleien zu schrecken; wenn wir aber erst im ewigen Leben „von Angesicht zu Angesicht Ihn schauen, wie Er ist“, 1 Cor. 13,12.: dann wird endlich die Freude unseres Herzens eine feste und beständige sein, die durch keine Beimischung von Traurigkeit und Schrecken mehr verbittert und die in Ewigkeit nicht mehr erkalten wird. Hier in diesem Leben begegnet uns dasselbe, was nach Lucas' Bericht den Aposteln hier begegnete, daß sie nämlich „noch nicht glaubten“, d. i. nicht völlig und vollkommen, fern von allem Zweifel, sondern sich verwunderten. Gleichwie einst der Erzvater Jakob, als er von seinen Söhnen hörte, daß Joseph in Egypten lebe und herrsche, vor Freude nicht glaubte, was ihm verkündigt wurde, 1 Mos. 45,26.: ebenso kann auch unser enges Herz die Größe und Menge der himmlischen Wohlthaten, die uns im Worte des Evangelii angeboten und in Christo umsonst verheißen werden, nicht fassen, weshalb wir auch vor Freude noch nicht völlig und vollkommen glauben, sondern uns verwundern. Der Gedanke an unsere Unwürdigkeit hindert uns, alle Zweifelgespenster aus unserm Herzen gänzlich zu verbannen und fest zu glauben, daß auch uns jene höchsten Wohlthaten, die Christus durch Sein Leiden und Seinen Tod erworben, wahrhaftig zugehören. Daher ist denn auch unsre Freude noch nicht völlig und vollkommen. Wenn wir aber einst ohne die Hülle des Fleisches Christum sehen werden, dann werden wir uns völlig und ungetrübt freuen.

Trauer und Kummer, fahr' hin! Christus bringt Frieden und Freude,
Heil und Leben mit sich aus dem Grabe hervor.

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