Calvin, Jean - Der Römerbrief - Kapitel 15

Calvin, Jean - Der Römerbrief - Kapitel 15

1 Wir aber, die wir stark sind, sollen der Schwachen Gebrechlichkeit tragen und nicht Gefallen an uns selber haben. 2 Es stelle sich ein jeglicher unter uns also, dass er seinem Nächsten gefalle zum Guten, zur Besserung. 3 Denn auch Christus hatte nicht an sich selber Gefallen, sondern wie geschrieben steht: „Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen.“

V. 1. Wir aber, die wir stark sind usw. Diejenigen, welche in der Erkenntnis Gottes weiter fortgeschritten sind, sollen die geforderte Nachgiebigkeit nicht als eine gar zu starke Zumutung empfinden. Darum sagt ihnen der Apostel, wozu sie die Kraft verwenden müssen, welche sie vor den andern empfangen haben: zur Stärkung der Schwachen, damit diese nicht fallen. Hat Gott einem Christen eine reifere Erkenntnis verliehen, so soll ein solcher die Unerfahrenen unterweisen. Hat Gott eine besondere Kraft geschenkt, so soll sie dazu dienen, die Schwachen zu stärken. So sollen alle an Christi Gnadengaben Gemeinschaft haben. Je stärker also jemand in Christus ist, desto mehr ist er verpflichtet, der Schwachen Gebrechlichkeit zu tragen. Heißt es, der Christ solle nicht Gefallen an sich selber haben, so will dies besagen: er darf sich nicht damit begnügen, nur seinem eignen Wohlgefallen zu leben. So gehen ja nur zu viele achtlos an den Brüdern vorüber und tun, was ihnen gut dünkt. Diese Erinnerung passt trefflich zu dem gerade verhandelten Gegenstand: nichts hindert und stört unsern Gehorsam gegen Gott mehr, als wenn jeder nur an sich denkt, sich nicht um die andern kümmert und allein sein Stimmungen und Entschlüssen folgt.

V. 2. Es stelle sich ein jeglicher unter uns also usw. Hier empfangen wir die Lehre, dass unsere Pflicht uns an den Nächsten bindet: ihm müssen wir dienen und uns ihm anpassen; ausnahmslos haben wir den Brüdern nachzugeben, wo wir dies nach Gottes Wort zu ihrer Erbauung können. Der Apostel gibt hier also einen zwiefachen Fingerzeig. Erstens dürfen wir nicht mit unserm Urteil zufrieden sein und uns einfach bei unsern Wünschen beruhigen, sondern wir sollen uns mit allem Eifer so stellen, dass unserm Nächsten Genüge geschieht. Zweitens: In dem Bestreben, dem Bruder nachzugeben, sollen wir Gott vor Augen haben und alles auf die Erbauung oder Besserung ziehen lassen. Viele verstehen dem Nächsten ja nur auf die Weise zu gefallen, dass sie seinen Lüsten und Launen schmeicheln. Und bei den meisten Menschen macht man sich freilich am leichtesten angenehm, nicht wenn man ihr Bestes will, sondern wenn man ihre Torheiten gelten lässt, nicht wenn man auf das sieht, was wahrhaft heilsam ist, sondern was sie zu ihrem eignen Verderben wünschen. Nach dem Wohlgefallen solcher Leute sollen wir allerdings nicht haschen, die selbst nur Gefallen am Schlechten haben.

V. 3. Denn auch Christus hatte nicht an sich selber Gefallen. Ist es billig, dass der Knecht nicht zu tun sich weigert, was sein Herr auf sich zu nehmen kein Bedenken trug, so wäre es ja vollends töricht, wenn wir uns zu gut dünkten, der Schwachen Gebrechlichkeit zu tragen, während Christus, unser hoch gelobter Herr und König, zu ihnen sich herabgelassen hat. Er hat gar nicht an sich gedacht, sondern hat sich im Dienst der Brüder verzehrt. Auf ihn trifft es wahrhaft zu, was Psalm 69, 10 prophetisch ausspricht. Zu diesem Bilde gehört auch der Zug, dass der Eifer um des Herrn Haus ihn gefressen, und dass die Schmähungen derer, die Gott schmähen, auf ihn fielen. Das will sagen: ihn beseelte ein solcher Eifer für Gottes Ehre, ihn ergriff eine solche Sehnsucht, Gottes Reich zu mehren, dass er über diesen Anliegen völlig sich selbst vergaß; er hat sich mit solcher Inbrunst dem Herrn geweiht, dass sein Herz zerriss, dass er es wie ihm selbst getan fühlte, wenn er die Schmähungen der Gottlosen Gottes heiligen Namen treffen sah. Herrscht also Christus in uns, wie er in seinen Gläubigen herrschen soll, so muss auch in uns die Gesinnung wirksam sein, dass alles, was Gottes Ehre angreift, uns selbst quält, als wäre es uns geschehen. Wehe also den Menschen, die nichts Besseres kennen, als Ehre vor denen, die Gottes Namen schmähen, Christus mit Füßen treten, sein Evangelium verhöhnen und mit Feuer und Schwert verfolgen!

4 Was aber zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf dass wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben. 5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einerlei gesinnt seid untereinander nach Jesu Christo, 6 auf dass ihr einmütig mit einem Munde lobet Gott und den Vater unsers Herrn Jesu Christi.

V. 4. Was aber zuvor geschrieben ist usw. Jetzt folgt die Anwendung des Beispiels. Niemand soll für zu weit hergeholt halten, was der Apostel über die Nachahmung Christi gesagt hat. Denn es gibt nichts in der ganzen Heiligen Schrift, das nicht uns zur Lehre und zur Unterweisung für unser Leben dienen müsste. Eine wichtige Stelle, die uns einprägt, dass Gottes Wort nichts Unnützes und Unfruchtbares enthält, die uns zugleich mahnt, beim Lesen der Schrift auf den Fortschritt in der Frömmigkeit und Lebensheiligung zu achten. Ist hier nun auch zunächst vom Alten Testament die Rede, so gilt doch das Gleiche von den Schriften der Apostel. Denn wenn Christi Geist überall sich selbst gleich bleibt, so hat er ohne Zweifel die Offenbarung seiner Wahrheit, wie einst durch die Propheten, so jetzt durch die Apostel zu unserer Erbauung eingerichtet. Hier finden auch die Schwärmer ihre Widerlegung, welche behaupten, das Alte Testament sei abgeschafft und gehe die Christen nichts mehr an. Welche Anmaßung, die Christen von den Schriften abzutreiben, von welchen doch Paulus bezeugt, dass sie Gott zu ihrem Heil bestimmt habe! Der Satz übrigens, dass wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben, beschreibt den Nutzen, den wir aus dem Worte Gottes ziehen können, nicht vollständig, sondern bezeichnet nur den Hauptzweck. Dies ist nämlich das Hauptanliegen der Schrift, Menschen zur Geduld zu erziehen, mit Trost zu stärken, zur Hoffnung des ewigen Lebens aufzurichten und in dessen Betrachtung festzuhalten. Das Wort, welches wir mit „Trost“ übersetzen, könnte übrigens auch „Ermahnung“ bedeuten: dass wir durch Geduld und Ermahnung der Schrift Hoffnung haben. Immerhin scheint unsere Auslegung besser zu passen, weil Geduld aus erfahrenem Trost zu erwachsen pflegt. Erst wenn Gottes Trost unsere Last erleichtert, werden wir stark genug sein, sie zu tragen. Denn die Geduld der Gläubigen ist etwas anderes als jener harte, unerschütterliche Sinn, mit welchem nach Vorschrift der Philosophen der Mensch sich wider das Unglück wappnen soll. Sie ist sanftmütig und unterwirft sich gern der Führung Gottes; denn der Geschmack seiner Güte und Vaterliebe macht uns alles süß. Solche Geduld nährt und erhält in uns eine Hoffnung, die uns nie verzagen lässt.

V. 5. Der Gott aber der Geduld. So heißt Gott, weil er die Geduld, welche der vorige Satz aus der Heiligen Schrift ableitete, ins uns schafft. Er ist die alleinige Quelle der Geduld und des Trostes: er wirkt beides in unsern Herzen durch seinen Geist; aber er gebraucht dazu sein Wort als Mittel und Werkzeug. Dieses Wort lehrt nämlich zuerst, worin wahrer Trost und wahre Geduld besteht, dann aber besitzt es auch die Kraft, solche Lehre in unsere Seele hineinzusenken. Übrigens wollen wir darauf achten, dass Paulus an die Lehre und Mahnung, die er bisher vorgetragen, jetzt eine Fürbitte schließt: denn er wusste nur zu gut, dass alle Ermahnungen vergeblich sind, wenn nicht der Gott, der durch Menschenmund uns seine Gebote gibt, diese durch seinen Geist in unsern Herzen erfüllt. Hauptinhalt des Gebets ist, Gott möge die Herzen der Christen zur Eintracht lenken und schaffen, dass sie einerlei gesinnt seien untereinander. Wenn Paulus hinzufügt: nach Jesus Christus, so deutet er damit an, wo das Band der Eintracht zu finden ist. Ein trostloser Bund, der ohne Gott geschlossen wird! Das gilt aber von jedem Bund, der uns von Gottes Wahrheit abführt. Um nun noch mehr zu Einigkeit in Christus zu locken, zeigt der Apostel (V. 6), wie notwendig diese sei. Denn nur dann loben wir Gott in rechter Weise, wenn wir es einmütig und mit einem Munde tun. Niemand darf sich rühmen, dass er Gott auf seine besondere Weise die Ehre geben wolle: denn vor Gott gilt die Einigkeit seiner Knechte soviel, dass er aus dem Geschrei des Zankes und Streites die Lobgesänge, die ihm gelten sollen, gar nicht heraushört. Diese eine Erwägung sollte hinreichen, die krankhafte Lust am Streiten und Disputieren einzudämmen, welche heute so viele Gemüter beherrscht. 7 Darum nehmet euch untereinander auf, gleichwie euch Christus hat aufgenommen zu Gottes Lobe. 8 Ich sage aber, dass Jesus Christus sei ein Diener gewesen der Juden um der Wahrhaftigkeit willen Gottes, zu bestätigen die Verheißungen, den Vätern geschehen; 9 dass die Heiden aber Gott loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht: „Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.“ 10 Und abermals spricht er: „Freuet euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!“ 11 Und abermals: „Lobet den Herrn, alle Heiden, und preiset ihn, alle Völker!“ 12 Und abermals spricht Jesaja: „Es wird sein die Wurzel Jesse´s, und der auferstehen wird, zu herrschen über die Heiden; auf den werden die Heiden hoffen.“

V. 7. Darum nehmet euch untereinander auf. Nunmehr lenkt die Rede zur Ermahnung zurück, wobei sie uns noch immer Christi Beispiel vor Augen stellt. Glieder Christi sind ja nicht bloß diese und jene, sondern alle Christen. In ihm sind sie zur Einheit verbunden. Also müssen sie einander tragen und helfen, sonst können sie nicht in ihm bleiben. Wir werden also unsere Berufung festmachen, wenn wir uns von denen nicht loslösen, an welche der Herr uns gebunden hat. Die Worte zu Gottes Lobe können auf das bezogen werden, was Christus getan hat, oder auf das, was wir tun sollen. Die letztere Auffassung finde ich richtiger: wie Christus, da wir des Erbarmens bedurften, uns zum Lobe der Gnade Gottes mit seiner Liebe umfasst hat, so sollen wir zum Lobe desselben Gottes jene Gemeinschaft, die wir in Christus haben, durch unser Verhalten bekräftigen und stärken.

V. 8. Ich sage aber, dass Jesus Christus usw. Jetzt beweist uns der Apostel, wie Christus tatsächlich zu uns allen sich herabgelassen hat. Dabei schwindet jeder Unterschied zwischen Juden und Heiden. Nur wurde der Erlöser zuerst dem jüdischen Volk versprochen und zu besonderem Eigentum bestimmt, ehe er auch den Heiden geschenkt ward. Nun aber ist jeder angebliche Vorzug, welcher die Quelle aller Streitigkeiten bildete, dahin gefallen. Denn Christus hat beide Teile aus elender Zerstreuung gesammelt und in das Reich des Vaters geführt, damit in einer Hürde eine Herde unter einem Hirten werde. Deshalb gibt Paulus zu verstehen, dass man die gegenseitige Eintracht pflegen und kein Teil den andern verachten solle: denn auch Christus hat keinen verachtet. Zuerst nun redet der Apostel von den Juden und sagt, Christus sei zu ihnen gesandt um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, d. h. um wahr zu machen, was Gott ihnen versprochen hat, zu bestätigen die Verheißungen, den Vätern geschehen. Welche Ehre tut Christus, der Herr Himmels und der Erde, diesem Volke an, dass er zu seinem Heil ins Fleisch kommt! Und umso höher war die Ehre für die Israeliten, je tiefer er sich um ihretwillen herabgelassen hat.

V. 9. Dass die Heiden aber Gott loben usw. Bei dem zweiten Gliede seines Beweises verweilt Paulus etwas ausführlicher, weil ja die Tatsache, dass Christus auch die Heiden angenommen habe, nicht so allgemein anerkannt war. Das erste Zeugnis, welches der Apostel beibringt, stammt aus Ps. 18, 50 (vgl. 2. Sam. 22, 50). Dieser Psalm birgt ohne Zweifel eine Weissagung auf das Königreich Christi in sich. Dass dazu nun auch die Berufung der Heiden gehören werde, beweist Paulus, indem er an V. 50 erinnert, wo es heißt, dass auch unter den Heiden Gottes Lobpreis erschallen soll. Denn niemand vermöchte unter den Heiden den Herrn zu erheben, wenn sie diesen Lobpreis nicht vernehmen könnten. Soll also unter den Heiden Gottes Name gelobt werden, so muss ihnen zuvor die rechte Erkenntnis geschenkt und die Gemeinschaft des Volkes Gottes eröffnet sein. Denn überall in der Schrift steht der Grundsatz fest, dass man Gottes Ruhm nur in der Gemeinschaft der Gläubigen verkünden kann, welche für diese Botschaft empfängliche Ohren besitzen.

V. 10. „Freuet euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!“ Die gewöhnliche Ansicht, nach welcher dieser Spruch dem Liede Mose (5. Mose 32, 43) entlehnt sein soll, vermag ich nicht zu billigen. Denn dort liegt es dem Mose weit mehr an, die feindlichen Heidenvölker mit Israels Größe zu schrecken als sie zu gemeinsamer Freude aufzufordern. Vielmehr scheint der Spruch aus Ps. 67, 5 zu stammen, wo es heißt: „Die Völker sollen sich freuen und jauchzen, dass du die Leute recht richtest und regierest die Leute auf Erden.“ Aus seinem eignen fügt nun Paulus zur Erläuterung hinzu: mit seinem Volk. Denn tatsächlich ermuntert der Sänger des Psalms die Heiden, sie möchten mit Israel in die Freude einstimmen, die allein auf der Erkenntnis Gottes ruht.

V. 11. Lobet den Herrn, alle Heiden. Auch dieser Spruch passt trefflicher hierher. Denn wie sollten die Heiden Gott loben, ohne seine Größe zu kennen? Das ist ebenso wenig möglich, als dass sie einen Namen anrufen sollten, der ihnen nicht verkündigt wäre. Also birgt der Psalmspruch (Ps. 117, 1) eine Weissagung von der Berufung der Heiden in sich. Dies ergibt sich mit voller Deutlichkeit aus seiner Fortsetzung (Ps. 117, 2): Für seine Gnade und Wahrheit sollen die Heiden Gott preisen.

V. 12. Und abermals spricht Jesaja usw. Diese Weissagung ist die herrlichste von allen. Der Prophet (Jes. 11, 1 ff. 10 ff.) tröstet nämlich in einer Zeit völliger Verzweiflung die dürftigen Reste der Gläubigen: aus dem dürren und erstorbenen Wurzelstamme des Hauses Davids wird eine Rute aufgehen, und ein Zweig aus der verachteten Wurzel wird Frucht bringen; er wird es sein, der Gottes Volk zu früherer Herrlichkeit emporhebt. Dass mit diesem aufschießenden Zweige Christus, der Welt Heiland, gemeint ist, geht aus der Beschreibung des Jesaja deutlich hervor. Und alsbald fügt der Prophet hinzu, dass Christus auch für die Heiden als ein Panier des Heils dasteht. In doppelter Weise bezeugt der Prophetenspruch die Berufung der Heiden: zuerst heißt es nämlich, dass Christus als ein Panier soll aufgerichtet werden -, nun herrscht er aber doch nur unter Gläubigen. Weiter wird ausdrücklich gesagt, dass die Heiden auf ihn hoffen werden -, und dies kann doch nicht geschehen ohne Predigt des Wortes und Erleuchtung durch den Heiligen Geist. Diese Wahrheit spricht auch der Lobgesang des Simeon aus (Luk. 2, 31 f.). Wenn übrigens die Hoffnung der Heiden auf Christus sich richten soll, so ist dies ein Zeugnis seiner Gottheit.

13 Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr völlige Hoffnung habet durch die Kraft des Heiligen Geistes. 14 Ich weiß aber gar wohl von euch, liebe Brüder, dass ihr selber voll Gütigkeit seid, erfüllt mit aller Erkenntnis, dass ihr euch untereinander könnet ermahnen. 15 Ich habe es aber dennoch gewagt und euch etwas wollen schreiben, liebe Brüder, euch zu erinnern, um der Gnade willen, die mir von Gott gegeben ist, 16 dass ich soll sein ein Diener Christi unter den Heiden, priesterlich zu warten des Evangeliums Gottes, auf dass die Heiden ein Opfer werden, Gott angenehm, geheiligt durch den Heiligen Geist.

V. 13. Der Gott aber der Hoffnung usw. Nunmehr schließt der Apostel, wie dies überhaupt seine Art ist (vgl. V. 5), seine Aussprache mit einem Gebetswunsch: wozu er seine Leser ermahnt, das möge Gott ihnen schenken. Wir entnehmen daraus, dass Gott seine Gebote keineswegs dem Maße unserer Kraft oder dem Vermögen unseres freien Willens anpasst, dass er sie überhaupt nicht gibt, damit wir etwa im Vertrauen auf eigne Kraft uns zum Gehorsam anschicken sollen. Vielmehr stellt Gott Aufgaben, zu deren Lösung wir seiner Gnadenhilfe bedürfen: darum werden uns solche Aufgaben ein Antrieb zum Gebet. – Wenn der Apostel von dem Gott der Hoffnung spricht, so erklärt sich dies aus dem vorhergehenden Verse: eben der Gott, auf den wir hoffen, soll die Christen mit Freude, d. h. mit fröhlicher Zuversicht des Gewissens erfüllen; ferner mit Frieden, und zwar im oder durch den Glauben. Denn soll dem Herrn unser Friede gefallen, so muss er auf der Gemeinschaft eines wahren und unverletzten Glaubens ruhen. Derselbe Glaube bildet aber auch die einzige Stütze der Freude. Bei dem Worte Frieden könnte man freilich auch an die innere Ruhe vor Gottes Angesicht denken, welche jeder einzelne Gläubige besitzt. Aber unsere Auslegung passt besser in den zuletzt verfolgten Gedankengang. Er setzt hinzu: Dass ihr völlige Hoffnung habet; denn auf diese Weise wird in uns die Hoffnung gestärkt und gemehrt. Der Zusatz: durch die Kraft des Heiligen Geistes, will uns sagen, dass alles, wovon wir sprachen, Gabe der göttlichen Güte ist. Überhaupt deutet der Ausdruck des Apostels darauf hin, welch wunderbare Kraft des Geistes dazu gehört, in uns allen die genannten Tugenden zu wirken.

V. 14. Ich weiß aber gar wohl usw. Der Apostel entschuldigt sich gewissermaßen, dass er als Lehrer und Seelsorger den Römern gegenüber aufgetreten ist. Es trieb ihn dazu nicht ein Misstrauen gegen ihre Weisheit, Gütigkeit oder Festigkeit, sondern lediglich seine Pflicht. So tritt er dem Verdacht entgegen, als wolle er vorwitzig in ein fremdes Amt greifen oder sich in Dinge mischen, die ihn nichts angingen. Welche Bescheidenheit dieses heiligen Mannes! Der Apostel will persönlich gern zurücktreten, wenn nur seine Lehre etwas ausrichtet! Sicherlich waren die Römer ein stolzes Volk; der bloße Name ihrer Stadt erfüllte auch die Geringsten aus dem Volke mit Selbstbewusstsein, und in solcher Verfassung hörten sie nicht gern auf Belehrungen, die anderswoher, und nun gar von Barbaren und Juden kamen. Paulus verzichtet darauf, den Kampf mit solchem Selbstbewusstsein in seinem eignen Namen aufzunehmen. Vielmehr gewinnt er in aller Sanftmut den Sieg über die Ansprüche seiner Leser, indem er einfach auf sein apostolisches Amt sich stützt.

Dass ihr selber voll Gütigkeit seid, erfüllt mit aller Erkenntnis. Zwei wichtige Tugenden eines Seelsorgers sind die Freundlichkeit, die ihn anleitet, zum wahren Wohl der Brüder seine Ermahnungen in sanfte Form zu kleiden, und die kundige Weisheit, die ihm Autorität verschafft, so dass er seinen Hörern nützen kann. Nichts wirkt unseren brüderlichen Ermahnungen mehr entgegen als unsere eigne hochmütige und hämische Haltung, aus welcher man mehr Verachtung und Spott über die Irrenden herausfühlt als die Absicht, zu bessern. Auch unnötige Härte im Auftreten oder in den Worten bringt eine Zusprache um ihre Frucht. Weiter aber wird der Seelsorger mit aller Freundlichkeit und Sanftmut wenig ausrichten, wenn er nicht auch Geschick besitzt und die gegebenen Umstände recht benutzen kann. Diese doppelte Tätigkeit spricht nun der Apostel den Römern zu, wenn er sagt: ihr seid voll Gütigkeit und erfüllt mit aller Erkenntnis, dass ihr euch untereinander könnet ermahnen. Sie besitzen also die erforderlichen Eigenschaften, sich gegenseitig zu ermahnen.

V. 15. Ich habe es aber dennoch gewagt und euch etwas wollen schreiben. Gerade wenn die Römer selbst leisten konnten, was der Apostel ihnen bietet, so war eine Entschuldigung am Platze, und Paulus durfte wohl von einem Wagnis reden. Aber er fügt hinzu, warum er trotzdem reden musste: um der Gnade willen, die mir von Gott gegeben ist (V. 16), dass ich soll sein ein Diener Christi unter den Heiden. Zählten die Römer unter die Heidenvölker, so durfte der Apostel der Heiden auch an ihnen nicht vorübergehen. Seine eigne Person stellt dabei Paulus hinter der Würde des apostolischen Amtes völlig zurück. Er erhebt die Gnade Gottes, die ihn an seinen Platz gestellt: um ihrer willen durfte er Anerkennung und Gehör beanspruchen. Übrigens bezeichnet es Paulus nicht als seine Aufgabe, die Römer etwas Neues zu lehren, sondern nur, sie zu erinnern. Er ist nicht ihr Lehrer, sondern ihr Mahner.

Priesterlich zu warten des Evangeliums Gottes, auf dass die Heiden ein Opfer werden. Dieser Ausdruck erinnert an einen priesterlichen Opferdienst. Insofern waltet der Apostel und jeder Verkündiger des Evangeliums eines priesterlichen Amtes, als er die Menschen dem Gehorsam gegen das Evangelium unterwirft, dadurch ihre Seelen im Glauben heiligt und sie also Gott dem Herrn wie ein Opfer darbringt. Eine priesterliche Stellung der christlichen Prediger in einem andern Sinne aus diesem zufälligen Ausdruck abzuleiten, ist unerlaubt. Der Apostel fügt hinzu, dass ein solches Opfer Gott angenehm sei: damit will er nicht bloß die Herrlichkeit des Predigtamtes rühmen, sondern auch diejenigen stärken und trösten, welche sich zum Opfer übergeben. Wie nun die früheren Opfer durch äußerliche Zeremonien und Reinigungen dem Herrn geweiht wurden, so werden auch die Opfer, von denen der Apostel spricht Gott geheiligt durch den Heiligen Geist. Dessen Kraft wirkt in den Herzen und löst sie von dieser Welt los. Zwar kann man auch sagen, dass der Glaube an das Wort ein reines Herz schafft: da aber eines Menschen Wort an sich unwirksam und tot bleibt, so wird die reinigende Kraft im entscheidenden Sinne dem Heiligen Geist zugeschrieben.

17 Darum kann ich mich rühmen in Jesu Christo, dass ich Gott diene. 18 Denn ich wollte nicht wagen, etwas zu reden, wo dasselbe Christus nicht durch mich wirkte, die Heiden zum Gehorsam zu bringen durch Wort und Werk, 19 durch Kraft der Zeichen und Wunder und durch Kraft des Geistes Gottes, also dass ich von Jerusalem an und umher bis Illyrien alles mit dem Evangelium Christi erfüllt habe 20 und mich sonderlich geflissen, das Evangelium zu predigen, wo Christi Name nicht bekannt war, auf dass ich nicht auf einen fremden Grund baute, 21 sondern wie geschrieben steht: „Welchen nicht ist von ihm verkündigt, die sollen´s sehen, und welche nicht gehört haben, sollen´s verstehen.“

V. 17. Darum kann ich mich rühmen usw. Nachdem Paulus im Allgemeinen seine Berufung betont hat, damit die Römer ihn gewiss und zweifellos für einen Apostel Christi halten möchten, fügt er nun rühmend hinzu, dass er das apostolische Amt, welches Gott ihm übertragen, nicht bloß übernommen, sondern auch mit herrlichem Erfolge geführt habe. Dabei erinnert er auch an die Treue, die er in der Ausübung seines Dienstes bewiesen hat. Denn das wäre freilich zu wenig, dass ein Prediger nur in das Amt gesetzt wäre, ohne aber seinem Beruf zu entsprechen und seiner Pflicht zu genügen. Übrigens redet der Apostel so nicht aus persönlicher Ruhmbegier; aber er durfte keinen Hinweis unterlassen, welcher dazu dienen konnte, seiner Lehre bei den Römern Eingang und Ansehen zu verschaffen. Gottes rühmt er sich also, nicht seiner selbst; denn er verfolgt nur dies Ziel, dass zu Gott aller Ruhm zurückkehre.

V. 18. Ich wollte nicht wagen, etwas zu reden, wo dasselbe Christus nicht durch mich wirkte. Hier haben wir den Ausdruck wahrer Bescheidenheit. Der Apostel weist nicht auf eigne Leistungen hin, sondern nur darauf, dass er in Christi Schranken sich fügt. Diese Zurückhaltung wirkt nur umso überzeugender. Was Paulus sagt, ist Grund genug zum Rühmen: er kann sich mit der Wahrheit zufrieden geben und braucht nicht nach fremdartigen und zweifelhaften Dingen zu greifen. Vielleicht will er auch falschen Gerüchten von vornherein entgegen treten, welche – wie er wohl wusste – Übelwollende gegen ihn aussprengten: darum sagt er im Voraus, er werde nur von Dingen reden, die ihm in Wahrheit gegeben waren.

Die Heiden zum Gehorsam zu bringen. Diese Worte erinnern daran, was Paulus eigentlich will: er will seinem Amte auch bei den Römern eine Frucht schaffen und seine Lehre mit Erfolg krönen. Also weist er auf die Zeichen hin, aus denen man ablesen kann, dass Gottes Kraft bei seinem Zeugnis ist und gewissermaßen seinem Apostelamt das Siegel aufgedrückt hat, so dass nun niemand mehr zweifeln kann, dass der Apostel von Gott eingesetzt und gesandt ist. Solche Zeichen sind Wort und Werk und (V. 19) Wunder. Man sieht also, dass die hier gemeinten Werke noch mehr umfassen als bloß Wundertaten. Den Abschluss macht der Hinweis auf die Kraft des Geistes Gottes, womit Paulus daran erinnert, dass solche Taten in keiner andern Kraft zu geschehen vermochten. Indem der Apostel lehrte und handelte und mit Kraft für Christus Zeugnis gab, offenbarte sich in dem allen Gottes Macht. Als drittes und besonderes Stück kommt dann die Wunderkraft hinzu, welche Zeichen und Siegel schafft, um die Gewissheit, die in der Sache an sich ruht, zu bestätigen. Ähnlich heißt es auch Luk. 24, 19, dass Jesus mächtig war von Worten und Taten. Ebenso weist Jesus selbst (Joh. 5, 36) die Juden auf seine Werke hin, welche ihnen zum Zeugnis seiner Gottheit dienen konnten. Übrigens spricht Paulus nicht einfach von Wundertaten, sondern von Zeichen und Wundern, wie auch Petrus (Apg. 2, 22) von Taten und Wundern und Zeichen redet. Denn die Wunder sind Zeugnisse der göttlichen Macht, welche die Menschen aufwecken wollen, damit sie den Herrn, von seiner Herrlichkeit innerlich getroffen, bewundern und anbeten. Und sie bedeuten etwas und zeigen unserm Verständnis etwas von Gottes Wesen. So lernen wir hier, wie man die Wunder anwenden soll: sie sollen die Menschen zur Ehrfurcht und zum Gehorsam gegen Gott erziehen. In diesem Sinne heißt es Mark. 16, 20: Der Herr bekräftigte das Wort durch mitfolgende Zeichen. Und Apg. 14, 3: Gott ließ Zeichen und Wunder geschehen, um das Wort seiner Gnade zu bezeugen. Geschehen also Wunder, welche der Kreatur und nicht dem Herrn Ehre verschaffen oder Glauben an Lügen und nicht an Gottes Wort erwecken wollen, so stammen diese nicht von Gott, sondern vom Teufel.

Von Jerusalem an und umher bis Illyrien. Ein weiteres Zeugnis für die Gotteskraft, die hinter der Predigt des Apostels steht, ist deren Wirkung. Das, was die Predigt des Apostels geschafft hatte, überstieg ja alles menschliche Vermögen. Wer hätte Christus eine solche Zahl von Gemeinden zuführen können als nur ein Mann, welchen Gottes Kraft trug! Von Jerusalem an, so sagt Paulus, bis nach Illyrien habe ich das Evangelium gepredigt. Und dabei ist er nicht geraden Weges zum Ziele geeilt, sondern hat alle Gegenden umher durchmessen.

V. 20. Und mich sonderlich geflissen usw. Weil Paulus sich den Römern nicht bloß als Diener Christi und Hirten der christlichen Gemeinde, sondern als eigentlichen Apostel vorstellen wollte, so nennt er hier das besondere Merkmal, durch welches sich gerade das Apostelamt auszeichnet. Eines Apostels Aufgabe ist es, das Evangelium zu predigen, wo Christi Name nicht bekannt war, nach jenem Auftrag (Mark. 16, 15): „Gehet hin in alle Welt, und predigt das Evangelium aller Kreatur.“ Also darf man aus dieser eigentümlichen Aufgabe des apostolischen Amtes nicht eine allgemeine Regel machen. Man darf es auch nicht für einen Fehler erklären, wenn die Apostel, welche den Grund der Gemeinden gelegt haben, nunmehr in den Pastoren Nachfolger empfangen, die auf diesem Grunde nur weiterbauen, das bisher errichtete Gebäude vor dem Verfall schützen und vielleicht nur wenig erweitern. Als fremden Grund bezeichnet hier der Apostel diejenigen, welchen eine fremde Hand gelegt hat. Anderswo heißt es in etwas abweichender Wendung des Bildes, dass Christus der einige Grund sei, auf welchen die Gemeinde erbaut ist (1. Kor. 3, 11; Eph. 2, 20).

V. 21. Sondern wie geschrieben steht usw. Für die eigenartige Aufgabe seines apostolischen Amtes beruft sich Paulus auf Jes. 52, 15. Dort weissagt der Prophet, dass das Reich des Messias über die ganze Welt ausgebreitet, die Kunde von Christus den Heiden gebracht werden soll, welche zuvor von seinem Namen nichts wussten. Dies zu tun aber liegt den Aposteln ob, welchen es besonders aufgetragen ward. Und dass Paulus ein wirklicher Apostel ist, kann man eben daran erkennen, dass durch seinen Dienst jene Weissagung erfüllt wird.

22 Das ist die Ursache, warum ich vielmal verhindert worden, zu euch zu kommen. 23 Nun ich aber nicht mehr Raum habe in diesen Ländern, habe aber Verlangen, zu euch zu kommen, von vielen Jahren her, 24 so will ich zu euch kommen, wenn ich reisen werde nach Spanien. Denn ich hoffe, dass ich da durchreisen und euch sehen werde und von euch dorthin geleitet werden möge, so doch, dass ich zuvor mich ein wenig an euch ergötze.

V. 22. Das ist die Ursache usw. Was der Apostel bisher über die Pflichten seines Amtes ausgeführt, legt ihm eine Entschuldigung deswegen nahe, dass er noch nie zu den Römern gekommen. Hatten sie doch nicht geringere Ansprüche auf seinen Dienst als andere. Er erinnert also daran, dass er seinen Missionsweg von Judäa bis Illyrien unter Gottes Leitung gegangen ist. Nachdem er diesen Lauf vollendet hat, wird er auch die Römer nicht übergehen. Damit sie aber nicht glauben möchten, der Apostel habe sie bisher vergessen, verscheucht er auch diesen Verdacht und versichert ihnen, dass es seit vielen Jahren sein Verlangen gewesen sei, zu ihnen zu kommen. Nur stellten sich der Ausführung des Planes unüberwindliche Hindernisse in den Weg. Jetzt aber, da es sein Beruf erlaubt, gibt Paulus neue Hoffnung. Dass der Apostel aber wirklich nach Spanien gekommen, dafür liefert unsere Stelle nur einen sehr zweifelhaften Beweis. Denn der Schluss ist unerlaubt, dass des Apostels Verlangen wirklich erfüllt worden sei. Er spricht nur von seiner Hoffnung: und in derselben konnte er sich wohl ebenso täuschen wie andere Gläubige auch.

V. 24. Denn ich hoffe usw. Damit rührt der Apostel den Grund an, weshalb er längst gewünscht, was er jetzt auszuführen gedenkt: nach Rom zu kommen. Er will die römischen Christen besuchen, sich an der Begegnung und der Aussprache mit ihnen zu erquicken, zugleich auch, um ihnen den Dienst zu leisten, den sie von seinem Amte erwarten durften: denn wenn ein Apostel kommt, so kommt mit ihm das Evangelium. Wenn Paulus die Erwartung ausspricht, dass er von den Römern nach Spanien geleitet werden möge, so setzt er damit freilich ein großes Zutrauen in ihre freundliche Hilfsbereitschaft. Aber gerade solches Vertrauen führt am ehesten zum Ziel. Je mehr Vertrauen wir einem Menschen entgegenbringen, desto mehr weiß er sich verpflichtet; denn es gilt unter uns als scheußlich und unmenschlich, ein Vertrauen zu enttäuschen, das man in uns setzt. Wenn es aber endlich heißt: so doch, dass ich zuvor mich ein wenig an euch ergötze -, so offenbart sich darin die herzliche Zuneigung, welche der Apostel auch seinerseits gegen die römischen Christen hegte. Sie dieser Zuneigung zu versichern, konnte ja dem Erfolge seiner Predigt nur förderlich sein.

25 Nun aber fahre ich hin gen Jerusalem den Heiligen zu Dienst. 26 Denn die aus Mazedonien und Achaja haben willig eine gemeinsame Steuer zusammengelegt den armen Heiligen zu Jerusalem. 27 Sie haben´ s willig getan, und sind auch ihre Schuldner. Denn so die Heiden sind ihrer geistlichen Güter teilhaftig geworden, ist´s billig, dass sie ihnen auch in leiblichen Gütern Dienst beweisen. 28 Wenn ich nun solches ausgerichtet und ihnen diese Frucht versiegelt habe, will ich durch euch nach Spanien ziehen. 29 Ich weiß aber, wenn ich zu euch komme, dass ich mit vollem Segen des Evangeliums Christi kommen werde.

V. 25. Nun aber usw. Freilich dürfen die Römer des Apostels Ankunft nicht gar zu schnell erwarten, und wenn sie sich verzögert, nicht etwa sich an ein Versprechen hängen, welches Paulus für die allernächste Zukunft gar nicht gegeben hat. Darum erinnert er noch an eine Pflicht, die ihm zunächst obliegt, und um derentwillen er nicht sofort nach Rom aufbrechen kann. Er muss zunächst nach Jerusalem reisen, um die Kollekte abzuliefern, welche die Christen von Achaja und Mazedonien für die dortige Gemeinde gespendet hatten. Dabei ergibt sich eine ungesuchte Gelegenheit, auch den römischen Christen die Beteiligung an jener Kollekte nahe zu legen und sie mit einem leisen Wink zur Nachfolge aufzufordern. Allerdings bittet der Apostel nicht ausdrücklich: aber wenn er andeutet, dass Achaja und Mazedonien eigentlich nur ihre Schuldigkeit getan haben (V. 27), so konnten die Römer, die sich ja in der gleichen Lage befanden, wohl daraus entnehmen, was auch ihre Pflicht war. Und dass der Apostel tatsächlich solchen Wink erteilen wollte, gesteht er einmal offen zu, wenn er an die Korinther schreibt (2. Kor. 9, 2), dass er ihre Bereitwilligkeit in allen Gemeinden rühme und mit ihrem Beispiel viele zur Nachfolge reize. Übrigens, welches Zeugnis wahrer Frömmigkeit, das die griechischen Gemeinden mit dieser Kollekte gaben! Wenn sie von der Armut der Brüder in Jerusalem hörten, so dachten sie nicht: diese entfernte Gemeinde steht uns zu fern; vielmehr hielten sie die Genossen des Glaubens für ihre Nächsten und gaben ihrer Dürftigkeit aus dem eignen Überfluss.

V. 27. Und sind auch ihre Schuldner. Hier liegt offen zutage, dass Paulus nicht bloß von der Pflicht spricht, welche die Korinther (die Bewohner der Hauptstadt von Achaja) erfüllt haben, sondern dass die Römer ebenfalls etwas von ihrer eignen Pflicht zwischen den Zeilen lesen sollen. Denn mehr als sie schuldeten die Korinther und Mazedonier den Judenchristen auch nicht. Der Grund dieser Verpflichtung liegt nun darin, dass die Heiden von den Juden das Evangelium empfangen haben. Sollten sie für dies größere geistliche Gut nicht willig geringere leibliche Güter wiedererstatten (vgl. auch 1. Kor. 9, 11)? Und nicht bloß den Predigern des Evangeliums sind sie Dank schuldig, sondern dem ganzen Volk, von welchem es zu ihnen kam. So groß ist der Wert dieser Gabe! Wenn übrigens Paulus sagt, dass die Heiden durch ihre Gegengabe einen Dienst beweisen, so gebraucht er damit ein Wort, welches an den öffentlichen Dienst in Staat und Beruf, vielleicht auch an einen priesterlichen Opferdienst erinnert. So wäre eine solche Liebesgabe eine Art Opfer, mit welcher wir nicht bloß die Pflicht der Liebe erfüllen, sondern zugleich auch Gott seinen Zoll der Dankbarkeit weihen. Jedenfalls liebt aber hier der Hauptnachdruck darauf, dass wir zur Wiedervergeltung des Empfangenen verpflichtet sind.

V. 28. Und ihnen die Frucht versiegelt habe. Vielleicht haben wir hier eine Anspielung an die Sitte der Alten, eine Sache, die man sicher verwahren wollte, mit einem Siegel zu verschließen. So würde Paulus an seine Treue und Zuverlässigkeit erinnern und gewissermaßen andeuten: in meinen Händen ist das anvertraute Geld so sicher, als hätte man es unter Siegel gelegt. Der Ausdruck „Frucht“ lässt übrigens zugleich an ein anderes Bild denken: der Ertrag von der Aussaat des Evangeliums kehrt jetzt zu den Juden (Judenchristen) zurück; so nährt der Acker mit seiner Frucht den, welcher ihn bestellt hat.

V. 29. Ich weiß aber usw. Diese Worte können doppelt verstanden werden. Entweder: Paulus hofft in Rom eine reife Frucht des Evangeliums vorzufinden, gute Werke in der Gemeinde und überhaupt einen blühenden Zustand des christlichen Lebens. Dieses Verständnis scheint mir deshalb näher zu liegen, weil der Apostel auch für sich eine besondere Erquickung von seinem Besuch in Rom erwartet (V. 32). Oder: Paulus macht die Römer auf die Frucht aufmerksam, welche sein Besuch ihnen bringen wird. So will er ihre Sehnsucht nach ihm noch mehr erregen. Seine Ankunft wird unter dem Segen Gottes für die Sache des Evangeliums neue Fortschritte bringen.

30 Ich ermahne euch aber, liebe Brüder, durch unsern Herrn Jesus Christus und durch die Liebe des Geistes, dass ihr mir helfet kämpfen mit Beten für mich zu Gott, 31 auf dass ich errettet werde von den Ungläubigen in Judäa, und dass mein Dienst, den ich für Jerusalem tue, angenehm werde den Heiligen, 32 auf dass ich mit Freuden zu euch komme durch den Willen Gottes und mich mit euch erquicke. 33 Der Gott aber des Friedens sei mit euch allen! Amen.

V. 30. Ich ermahne euch aber, liebe Brüder usw. Es ist bekannt, mit welcher Missgunst Paulus von seinen Stammesgenossen verfolgt wurde wegen des falschen Verdachtes, er predige den Abfall von Mose. Und der Apostel wusste nur zu gut, was Verleumdungen der Unschuld ausrichten können, besonders dort, wo ein unbesonnener Fanatismus die Herzen erfüllt. Dazu kam das Zeugnis des Geistes (Apg. 20, 23), laut dessen er in Jerusalem Bande und Trübsale erwarten musste. Je größere Gefahren er nun vor sich sah, desto tiefer ward seine Seele ergriffen. Daher die Bewegtheit, mit welcher er der Gemeinde sein eigenes Ergehen ans Herz legt. Und diese Besorgnis des Apostels um sein Leben darf uns nicht wundernehmen: denn er bedachte, dass an seinem Leben für das Wohl der Kirche vieles hing. Welches Zittern aber seine fromme Seele erfüllte, zeigt die Inbrunst seiner Ermahnung: nicht bloß der Name des Herrn, sondern auch die Liebe des Geistes soll die Heiligen aneinander binden. Der Apostel ist also nicht so empfindungslos und innerlich über jede Gefahr erhaben, dass er leichthin in den Tod gehen wollte. Er greift vielmehr nach den Abwehrmitteln, die Gott ihm darreicht. Er geht die Gemeinde um Fürbitte an, um durch die Hilfe ihrer Gebete Trost zu empfangen, nach der Verheißung (Matth. 18, 19.20): „Wo zwei unter euch eins werden auf Erden, warum es ist, dass sie bitten wollen, das soll ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel. Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ Und damit niemand sein Gesuch um Fürbitte nur für eine gewohnheitsmäßige Redensart halte, so beschwört Paulus seine Brüder mit großem Nachdruck bei dem Herrn Jesus Christus und der Liebe des Geistes. Das ist jene Liebe, mit welcher uns Christus verbindet, nicht eine Liebe des Fleisches oder der Welt, sondern eine solche, deren Gemeinschaftsband in Christi Geist besteht. Welch unvergleichliche Wohltat Gottes, dass wir an der Fürbitte der Heiligen eine Hilfe haben! Ein Paulus, Gottes auserwähltes Werkzeug, hat diese Hilfe nicht verschmäht: und wir elende, schwache Menschlein sollten etwa glauben, ihrer nicht zu bedürfen?

Dass ihr mir helfet kämpfen. Welche Ängste müssen den Apostel drücken, dass er von einem Kampfe redet! Und wenn er Beistand in diesem Kampfe sucht, können wir daraus lernen, welchen Wert die Gebete der Frommen für die Brüder haben: der eine tritt für den andern ein, und der Bruder nimmt des Bruders Not für sich wie seine eigne. Zugleich verstehen wir, welche Wirkung solche Fürbitte hat. Wer seinen Bruder dem Herrn ans Herz legt, hilft ihm einen Teil seiner Last tragen und macht sie ihm dadurch leichter. Und wenn unsere Kraft darauf beruht, dass wir den Namen des Herrn anrufen, so können wir auch die Brüder auf keine bessere Weise stärken als durch Anrufung dieses Namens.

V. 31. Dass mein Dienst, den ich für Jerusalem tue, angenehm werde. So hatten seine Widersacher den Apostel bei den jüdischen Christen verlästert, dass selbst die Sorge aufsteigen konnte, ob diese einen Dienst, der ihnen sonst in ihrer Not höchst erwünscht sein musste, aus seinen Händen wohl gern annehmen würden. Nun offenbart sich darin die ganze Sanftmut des Apostels, dass er nicht davon absteht, für Leute sich zu mühen, bei denen er och eine dankbare Aufnahme seines Dienstes bezweifeln muss. Solchen Sinn müssen wir uns aneignen: wir dürfen nicht aufhören, Gutes zu tun, auch wo wir des Dankes keineswegs sicher sind. Weiter wollen wir beachten, dass Paulus den Namen von Heiligen eben diesen Leuten nicht entzieht, von denen er doch fürchten muss, dass sie ihm Verdacht oder Misstrauen entgegenbringen werden. Er weiß, dass auch „Heilige“ durch verleumderische Gerüchte sich zu verkehrtem Urteil verleiten lassen können. Obgleich er aber ganz darauf gefasst ist, dass ihm Unrecht von ihnen geschieht, hört er doch nicht auf, in ehrenvoller Weise von ihnen zu sprechen. Wenn übrigens der Apostel zuletzt hinzufügt (V. 32), auf dass ich zu euch komme -, so können seine Leser daraus abnehmen, dass ihre Fürbitte ihnen selbst zugute kommen wird: es liegt in ihrem eignen Interesse, dass Paulus nicht in Judäa getötet werde. Ebendahin zielt der Beisatz mit Freuden: auch dies konnte ja den Römern nur von Nutzen sein, wenn der Apostel fröhlichen Sinnes und frei von Traurigkeit zu ihnen kam, um desto mutiger und kräftiger sein Werk an ihnen zu treiben. Das Wort, dass ich mich mit euch erquicke, zeigt von neuem, eine wie sichere Hoffnung Paulus auf die brüderliche Liebe der Römer setzt. Alles aber erwartet er nur durch den Willen Gottes. Also ist es dringend nötig, anzuhalten im Gebet: denn Gott allein lenkt alle unsere Wege durch seine Vorsehung.

V. 33. Der Gott aber des Friedens sei mit euch allen! Die Form dieses Segenswunsches scheint darauf hinzudeuten, dass der Apostel nicht bloß die Gemeinde im Ganzen der Obhut Gott empfehlen, sondern jedem einzelnen seine Leitung anwünschen will. Damit würde es dann auch stimmen, dass Gott ausdrücklich ein Gott des Friedens heißt: er, der Ursprung alles Friedens, möge um alle Glieder der Gemeinde sein Band schlingen!

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