Calvin, Jean - Der Römerbrief - Kapitel 8

Calvin, Jean - Der Römerbrief - Kapitel 8

1 So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist. 2 Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christo Jesu, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. 3 Denn was dem Gesetz unmöglich war (sintemal es durch das Fleisch geschwächt ward), das tat Gott und sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches und der Sünde halben und verdammte die Sünde im Fleisch, 4 auf dass die Gerechtigkeit, vom Gesetz erfordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist.

Der Kampf, welchen die Frommen stetig wider ihr Fleisch zu führen haben, bietet nun dem Apostel erneuten Anlass, den nötigen Trost zu spenden; mag die Sünde noch immer an uns haften, so sind wir doch bereits der Macht des Todes und jeglichem Verdammungsurteil entnommen -, wenn anders wir nicht im Fleisch wandeln, sondern im Geist. Drei Stücke also treffen hier zusammen: die Unvollkommenheit, an welcher die Gläubigen noch immer leiden, Gottes Güte, die nicht müde wird, zu vergeben und zu verzeihen, und die Erneuerung durch den Geist. Dies letzte kommt hinzu, damit niemand mit dem Irrtum sich betrüge, dass er voller Sicherheit dem Fleische etwas nachgeben dürfe, da ja kein Verdammungsurteil mehr besteht. Der fleischlich gesinnte Mensch, welcher Gottes Gnade zum Vorwand nimmt, ohne Besserung seines Lebens an eine Verzeihung zu glauben, wird sich betrogen sehen. Aber die erschreckten Gewissen der Frommen finden die unüberwindliche Zuflucht: solange wir in Christus bleiben, droht uns keine Gefahr der Verdammnis. – Nunmehr wird es nützlich sein, die Worte im Einzelnen zu erwägen. Nach dem Geist wandeln heißt nicht: gar keine Anfechtung mehr vom Fleische erfahren und ein überirdisches Leben voller Vollkommenheit führen -, sondern: Fleiß tun, das Fleisch zähmen und zu töten und merken lassen, dass wir von ernster Gottesfurcht regiert sein wollen. Die solches tun, wandeln nicht nach dem Fleisch,, weil wahre Gottesfurcht die Herrschaft der Sünde bricht, wenn auch noch einzelne Gebrechen bleiben.

V. 2. Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht usw. Dieser Satz dient zur Begründung des vorigen. Um aber den inneren Zusammenhang zu verstehen, gilt es zunächst die Worte zu erklären. „Gesetz des Geistes“ heißt uneigentlicher weise Gottes Geist, welcher unsere Seele mit Christi Blut besprengt, nicht bloß um die Schuld der Sünde zu tilgen, sondern auch sie wahrhaftig rein und heilig zu machen. Dieser Geist, so fügt der Apostel hinzu, macht lebendig, woraus sich abnehmen lässt, dass, wer den Menschen unter dem Buchstaben des Gesetzes festhalten will, ihn dem Tode ausliefert. Auf der andern Seite steht das Gesetz der Sünde und des Todes d. h. die Herrschaft des Fleisches und die daraus folgende Tyrannei des Todes. In der Mitte würde Gottes Gesetz zu stehen kommen, welches zwar Gerechtigkeit lehrt, aber nicht schaffen kann, sondern uns nur fester an die Knechtschaft der Sünde und des Todes binden muss. Nun wird der Sinn deutlich: dass das Gesetz Gottes den Menschen Verdammnis bringt, kommt daher, dass, solange sie ihm verpflichtet bleiben, das Joch der Sünde und demgemäß der Fluch des Todes sie drückt. Der Geist Christi aber, welcher die unordentlichen Begierden des Fleisches bessert und so das Gesetz der Sünde in uns bricht, befreit uns zugleich von dem Rechtsanspruch, welchen der Tod an uns hat. Nun scheint allerdings der Einwand nahe zu liegen, dass auf diese Weise die Vergebung, welche unsere Sünden begräbt, von der Erneuerung des Lebens abhängig wird. Doch es ist leicht einzusehen, dass Paulus hier nicht angibt, auf welchen Grund sich die Sündenvergebung stützt, sondern unter welchen Umständen sie sich vollzieht. Und er lehrt, dass wir durch die äußeren Vorschriften des Gesetzes nichts erreichen; erst wenn Gottes Geist uns ermuntert, erfahren wir zugleich die Rechtfertigung aus freier Gnade, welche das auf der Sünde ruhende Verdammungsurteil aufhebt. Kurz gesagt: die Gnadengabe der Erneuerung lässt sich von der Zurechnung der Gerechtigkeit niemals trennen.

V. 3. Denn was dem Gesetz unmöglich war. Jetzt muss der eben ausgesprochene Begründungssatz selbst erläutert und begründet werden: Gott konnte uns nur durch freie Gnade in Christus rechtfertigen -, denn dies zu vollbringen war für das Gesetz unmöglich. Damit deutet der Apostel auf den Mangel des Gesetzes: Gott musste selbst ein anderweitiges Heilmittel schaffen. Das Gesetz fordert mehr, als wir leisten können. Deshalb konnte es uns keine Gerechtigkeit bringen: Christus erst hat die Sünden durch seinen Tod gesühnt. Unsere Verse handeln nämlich nicht etwa von der Erneuerung, die uns Christus schenkt, sondern lediglich von der Rechtfertigung aus Gnaden, von der Verzeihung, kraft deren Gott uns mit sich versöhnt. Dies geht daraus hervor, dass Paulus für nötig hält, zuletzt (V. 4) noch einmal hinzuzufügen: „Die wir nun nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist.“ Denn wenn die eigentliche Ausführung bereits hätte sagen wollen, dass der Geist der Erneuerung uns Kraft zum Niederkämpfen der Sünde gibt, so wäre dies ein ganz überflüssiger Zusatz, eine bloße Wiederholung. Ist aber von der Vergebung aus freier Gnade die Rede, so passt es trefflich, dass Paulus nun nachträglich diese Vergebung nur auf die Leute beschränkt, welche zum Glauben die Buße fügen und Gottes Gnade nicht in fleischlicher Zügellosigkeit missbrauchen. – Sintemal es durch das Fleisch geschwächt ward. Der eigentliche Fehler liegt also nicht im Gesetz, sondern in unserm Fleische. Wenn jemand das Gesetz vollkommen halten könnte, würde er gerecht vor Gott dastehen. Die Lehre des Gesetzes ist tadellos und gibt uns die vollkommene Regel der Gerechtigkeit. Weil aber unser Fleisch diese Gerechtigkeit nicht zu erreichen vermag, wandelt sich die ganze Kraft des Gesetzes in Schwachheit. Und diese „Schwachheit“ ist nicht etwa bloß ermäßigte Kraft, sondern völliges Unvermögen. Das Gesetz kann zu unserer Rechtfertigung gar nichts beitragen. Jede Gerechtigkeit aus Werken fällt dahin: in Christus müssen wir die Gerechtigkeit suchen, die wir in uns nicht finden. Dies ist ein Hauptgrundsatz der christlichen Wahrheit; denn wir können nicht eher mit Christi Gerechtigkeit bekleidet werden, als bis wir unsere eigne Blöße klar erkannt haben. Das „Fleisch“, durch welches das göttliche Gesetz seine Segenskraft verliert, so dass es uns den Weg der Gerechtigkeit zeigen, aber nicht vom tödlichen Absturz zurückhalten kann -, sind wir selbst.

Sandte seine Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches. Damit zeigt der Apostel, in welcher Weise der himmlische Vater uns durch seinen Sohn die Gerechtigkeit geschaffen hat: er hat in Christi eignem Fleische der Sünde das Verdammungsurteil gesprochen, d. h. er hat den Schuldschein zerrissen und damit die Schuld getilgt, die uns vor Gott gebunden hielt. Ist die Sünde verurteilt, so werden wir gerecht und frei: die Schuld ist getilgt, und Gott sieht uns an, als wären wir gerecht. Zuerst heißt es nun mit Nachdruck, dass Christus gesandt worden sei: also liegt die Gerechtigkeit keineswegs in uns, sondern will bei ihm geholt sein; umsonst vertrauen die Menschen auf ihre Verdienste, denn sie haben nur eine geschenkte Gerechtigkeit. Sie empfangen ihre Gerechtigkeit durch die Sühne, welche Christus in seinem Fleische vollbracht hat. – Christus kam „in der Gestalt des sündlichen Fleisches“. Zwar hingen keine Flecken der Sünde an dem Fleische Christi, doch glich dasselbe unserm sündlichen Fleische, denn es trug die Strafe unserer Sünden. Es war dem Tode unterworfen, und der ließ an ihm alle seine Kraft aus. Und da unser Hoherpriester durch eigne Erfahrung lernen musste, was es heißt, ein Heiland der Schwachen sein -, so wollte Christus alle unsere Schwachheit tragen, um desto inniger mit uns zu fühlen (Hebr. 2, 18; 4, 15): auch darauf will es bezogen sein, dass Christus in der Gestalt des sündlichen Fleisches erschienen ist. Und verdammte die Sünde. D. h. die Sünde behielt Unrecht in dem Rechtsstreit. Gott lässt ihr hinfort kein Anrecht auf diejenigen, welche durch Christi Opfer Verzeihung empfangen haben. Das Reich der Sünde, das uns gefangen hielt, ist zerbrochen. Denn Christus nahm auf sich, was unser war, um uns zu schenken, was ihm gehörte. Er trug unsern Fluch und gab dafür seinen Segen. Paulus fügt hinzu: im Fleisch. Damit stärkt er unsere Zuversicht und macht uns gewiss, dass die Sünde im Bereiche unserer eignen Natur besiegt und beseitigt ward. So gewinnt unsere Natur Anteil an Christi Sieg.

V. 4. Auf dass die Gerechtigkeit, vom Gesetz erfordert, in uns erfüllt würde. Wenn man hier ausgesprochen findet, dass wir selbst, durch Christi Geist erneuert, das Gesetz erfüllen -, so trägt man einen dem Paulus ganz fremden, irreführenden Gedanken in den Text ein. Solange die Gläubigen auf der irdischen Pilgerschaft sich befinden, erreichen sie nie eine Vollkommenheit, auf die ihre Gerechtigkeit sich gründen ließe. Man muss vielmehr auch hier an die Vergebung denken: wenn Gott den Gehorsam Christi als für uns dargebracht annimmt, so ist dem Gesetz Genüge geschehen, so dass wir als gerecht gelten können. Die vom Gesetz erforderte Gerechtigkeit ward eben deshalb in unserm Fleische geleistet, damit die Macht des Gesetzes, uns zu verurteilen, gebrochen würde. Weil aber Christus niemandem seine Gerechtigkeit mitteilt, ohne ihn zugleich durch das Band seines Geistes mit sich zu vereinigen, so deuten die letzten Worte des Verses auch auf die Erneuerung des Lebens: Christus soll nicht als Diener der Sünde dastehen -, wie ja viele nur zu gern die Lehre von Gottes väterlicher Gnade für die Zügellosigkeit des Fleisches ausbeuten, andere dagegen diese Lehre schmähen, als ob sie den Eifer für ein rechtes Leben ertöten müsste.

5 Denn die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt; die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt. 6 Aber fleischlich gesinnt sein ist der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede. 7 Denn fleischlich gesinnt sein ist eine Feindschaft wider Gott, sintemal das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn es vermag´ s auch nicht. 8 Die also fleischlich sind, können Gott nicht gefallen.

V. 5. Denn die da fleischlich sind usw. Diese Ausführungen über den Gegensatz von Fleisch und Geist haben einen doppelten Zweck. Zunächst sollen sie durch den Hinweis auf das Widerspiel zeigen (was der Apostel zuvor ausgesprochen), dass an Christi Gnade nur Teil haben kann, wer vermöge der Erneuerung des Geistes auf ein reines Leben sich bedacht zeigt. Zugleich sollen aber auch die Gläubigen einen Trost empfangen, wenn der Blick auf ihre vielfachen Schwachheiten ihnen den Mut rauben will. Denn wenn (vgl. V. 1) nur diejenigen der Verdammnis entrissen sein sollen, welche nach dem Geist wandeln, so könnte damit wieder allen Sterblichen die Heilshoffnung zu entschwinden drohen. Denn wer besitzt den Schmuck einer so engelgleichen Reinheit, dass er gar nichts mehr mit dem Fleische zu schaffen hätte? Deshalb musste der Apostel unbedingt noch weitere Auskunft darüber geben, was es heißen soll: fleischlich sein und nach dem Fleische wandeln. Wenn er sagt: die da fleischlich sind, richten ihr Sinnen und Trachten auf das, was des Fleisches ist -, so versteht man ja, dass er solche Leute, die sich nach der himmlischen Gerechtigkeit wahrhaft sehnen, nicht für fleischlich erklärt, sondern nur solche, welche sich ganz der Welt übergeben. Trotz aller fleischlichen Anhängsel mögen also die Gläubigen sich trösten. Sie sollen nur nicht ihren Begierden die Zügel schießen lassen, sondern sich der Leitung des Heiligen Geistes unterstellen. Nur denen wird die Gotteskindschaft abgesprochen, welche den Lockungen des Fleisches nachgeben und ihre Gedanken mit vollem Eifer an verderbte Begierden hängen. Andererseits: wo der Geist die Oberherrschaft hat, da ist dies ein Anzeichen der göttlichen Gnadenwirkung -, und da, wo die Herrschaft des Fleisches den Geist ganz erdrückt hat, findet Gottes Gnade keinen Raum mehr.

V. 6. Aber fleischlich gesinnt sein, ist der Tod usw. Obgleich der Grundtext diesen Satz mit „denn“ oder „nämlich“ anschließt, ist die Übersetzung „aber“ am passendsten; denn der Zusammenhang zeigt, dass die soeben beschriebene fleischliche Art bis in ihre letzten Konsequenzen verfolgt werden soll. So wird durch den Gegensatz bewiesen, dass, die im Fleische sind, Christi Gnade nicht ergreifen können, denn die ganze Richtung ihres Lebens zielt ja im Gegenteil auf den Tod. Dagegen lässt sich aus dem zweiten Satzgliede schließen, dass, wo nur irgendetwas in uns sich nach dem Leben ausstreckt, sich darin schon die Wirkung des Geistes offenbart; denn aus dem Fleische könnte man keinen einzigen Lebensfunken hervorlocken. Als das Ziel, worauf der Sinn des Geistes sich richtet, nennt der Apostel das Leben; denn der Geist spendet Leben oder führt zum Leben.

Der Friede begreift dann nach hebräischer Denkweise das Vollmaß des Glückes in sich. Denn alles, was Gottes Geist in uns wirkt, tut er zu unserer Seligkeit. Unser Satz darf nun nicht zu dem Irrtum verleiten, als gründe sich das Heil doch irgendwie auf die Werke. Denn wenn auch Gott Anfang und Fortgang des Heils dadurch in uns schafft, dass er uns nach seinem Ebenbilde erneuert -, so liegt der einzige Grund dafür doch in seinem Wohlgefallen, welches uns zu Gliedern Christi macht.

V. 7. Denn fleischlich gesinnt sein ist eine Feindschaft wider Gott. Jetzt folgt der Beweis für die vorige Behauptung, dass der Fleischessinn zum Tode führe: er tut dies, weil er wider Gottes Willen ankämpft. Gottes Wille ist ja der Maßstab dessen, was recht ist. Was ihm widerstreitet, ist unrecht. Was aber unrecht ist, wirkt immer tödlich. Ist Gott wider uns und unser Feind, so wird man vergeblich auf Leben hoffen. Denn seinem Zorne folgt der Tod auf dem Fuße nach. – Sintemal das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist. Eine Erläuterung des vorigen Satzes, welche zeigt, wieso alle Gedanken des Fleisches wider Gottes Willen streiten: weil man nämlich den Willen Gottes nur dort erkennt, wo er ihn offenbart hat. In seinem Gesetz zeigt uns Gott, was er haben will. Wer also in Wahrheit prüfen möchte, ob er mit Gott einig ist, soll an diesem Maßstab sein Denken und Treiben messen. – Denn es vermag´ s auch nicht. So steht es mit der Kraft des freien Willens, welche oberflächliche Moralprediger bis in den Himmel erheben! Gegenüber diesem geläufigen Irrtum sagt Paulus hier mit klaren Worten, dass wir unsere Triebe nicht zum Gehorsam gegen das Gesetz zu zwingen vermögen. Jene Moralprediger sagen, dass das Herz sich nach beiden Seiten hin entscheiden könne; wenn nur der Geist einen leisen Anstoß gebe, so stehe es in unserer Macht, zwischen Gut und Böse zu wählen; es gäbe demgemäß gute Regungen unserer Natur, welche als Vorbereitungen für den Empfang der Gnade zu gelten hätten. Paulus dagegen verkündet, dass unser Herz von Härtigkeit und ungezähmtem Widerspruchsgeist strotzt, so dass es natürlicherweise nie bereit sein wird, sich dem Joch des Herrn zu beugen. Dabei handelt es sich auch nicht um diese oder jene einzelne Neigung, sondern unterschiedslos um alle unsere Herzensregungen. Möge darum jener heidnisch-philosophische Satz vom freien Willen kein Christenherz vergiften! Wer sich selbst kennt, wird bekennen, dass er ein Knecht der Sünde ist, welchen erst Christi Gnade frei machen muss (Joh. 8, 34.36). Sich einer andern Freiheit zu rühmen ist vollendete Torheit.

V. 8. Die also fleischlich sind usw. Absichtlich habe ich das „aber“ des griechischen Textes durch „also“ wiedergegeben; denn das Wörtlein hat hier sicher einen folgernden Sinn. Der Apostel zieht den Schluss des ganzen Gedankenganges: Wer sich von den Begierden des Fleisches treiben lässt, ist dem Herrn verhasst. Damit ist der vollständige Beweis für die Behauptung geliefert, dass alle, die nicht nach dem Geiste wandeln, Christus fremd und vom Leben aus Gott ferne sind.

9 Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, so anders Gottes Geist in euch wohnt. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein. 10 So aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. 11 So nun der Geist des, der Jesum von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird auch derselbe, der Christum von den Toten auferweckt hat, eure sterblichen Leiber lebendig machen um deswillen, dass sein Geist in euch wohnt.

V. 9. Ihr aber usw. Den bisher entwickelten allgemeinen Grundsatz wendet der Apostel nun auf seine Leser an. Dadurch soll die persönlich zugespitzte Rede nicht bloß eindrücklicher werden -, die Leser sollen auch einen Maßstab in die Hand bekommen, um festzustellen, ob sie zu der Zahl derer gehören, welche Christus vom Fluch des Gesetzes entlastet hat. Die Darlegung dessen, was Gottes Geist in den Auserwählten schafft und zeitigt, wird zugleich zu einer Mahnung, in einem neuen Leben zu wandeln. So anders Gottes Geist in euch wohnt. Diese Einschränkung der soeben vernommenen persönlichen Ansprache soll die Leser erinnern, sie möchten sich selbst prüfen, ob sie nicht Christi Namen vergeblich tragen. Hier steht nun das sicherste Kennzeichen, an welchem man die Kinder Gottes von den Kindern der Welt unterscheiden kann: Gottes Kinder sind durch Gottes Geist zu einem neuen, heiligen Leben wiedergeboren. – Weiter lehrt unsere Stelle vollends deutlich, was wir schon mehrfach anmerkten, dass Paulus unter „Geist“ nicht Verstand oder Vernunft versteht, die vorzüglichste Seelenkraft im Menschen, welche vermöge des freien Willens die niederen Triebe beherrscht -, sondern eine besondere göttliche Gabe. „Geistlich“ sind nicht, die aus eignem Antrieb der Vernunft gehorchen, sondern welche Gott mit seinem Geist regiert. Beachtenswert erscheint endlich, dass es hier nicht heißt: welche vom Geist Gottes erfüllt sind (was in diesem Leben von niemandem gesagt werden kann), sondern: in welchen der Geist Gottes wohnt. Dabei mögen die Überbleibsel fleischlichen Wesens sich noch genug spürbar machen: Wo Gottes Geist wohnt, besitzt er doch die höhere Macht und bringt den Menschen in seine Gewalt.

Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein. Dieser Zusatz soll zeigen, wie nötig für den Christen Verleugnung des Fleisches ist. Herrschaft des Geistes bedeutet den Untergang für das Fleisch. Leute, in welchen der Geist Gottes nicht regiert, gehören Christus nicht an. Wer dem Fleische dient, ist kein Christ. Wenn man den Herrn Christus von seinem Geist trennen will, so macht man ihn zu einem toten Schatten oder zu einem Leichnam. Des Apostels Absicht ist dagegen, die Vergebung der Sünden nie ohne die Erneuerung durch den Geist zu denken: wer beides trennen will, zerreißt den Herrn Christus. Freilich erklären es manche Leute für Hochmut, wenn wir zu sagen wagen, dass Christi Geist in uns wohne. Aber entweder muss man Christus verwerfen, oder bekennen, dass man durch seinen Geist ein Christ ist. Wie entsetzlich weit sind doch die Menschen von Gottes Wort abgekommen, dass sie behaupten, Christen zu sein, und wagen doch nicht zu sagen, dass sie den Heiligen Geist haben! Ja, sie verlachen uns gar, wenn unser Glaube sich dazu bekennt. –

Übrigens will bemerkt sein, dass der Heilige Geist einmal als Geist Gottes, unmittelbar danach aber als Geist Christi bezeichnet wird. Dies geschieht nicht bloß deshalb, weil auf Christus als unsern Mittler und unser Haupt die ganze Fülle des Heiligen Geistes ausgegossen ward, um von ihm aus auf jeden von uns in seinem Maße weiter zu fließen -, sondern auch, weil derselbe Geist dem Vater und dem Sohne gehört, welche ja eines Wesens sind und die gleiche ewige Gottheit besitzen. Weil aber nur durch Christus uns ein Zugang zum Vater eröffnet ward, geht die Rede des Apostels sehr geschickt von dem Vater, der uns zunächst ferne zu stehen scheint, zu Christus über.

V. 10. So aber Christus in euch ist. Was soeben vom Geist gesagt wurde, gilt jetzt auch von Christus. So wird deutlich, in welcher Weise Christus in uns wohnt. Wie er uns nämlich durch den Geist zu seinem Tempel heiligt, so wohnt er auch durch denselben in uns. So ist der Leib zwar tot um der Sünde willen. Was wir schon mehrfach angedeutet fanden, steht hier mit ausdrücklichen Worten: die Kinder Gottes sind nicht deshalb „geistlich“, weil sie etwa schon in ausgereifter Vollkommenheit dastünden, sondern nur weil ein neues Leben in ihnen seinen Anfang genommen hat. Dies spricht der Apostel geflissentlich aus, um jedem Zweifel zuvorzukommen, der uns sonst leicht beunruhigen könnten. Denn wenn auch der Geist in uns Wohnung gemacht hat, so sehen wir doch einen andern Teil unseres Wesens noch immer unter der Gewalt des Todes. So prägt uns der Apostel ein: Der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen, und dieses Leben wird unsern Tod verschlingen. Wir dürfen geduldig warten, bis die Reste der Sünde vollends schwinden. Natürlich ist unter diesem „Geist“ wiederum nicht unsere Seele zu verstehen, sondern Gottes Geist, welcher die Erneuerung wirkt. Derselbe ist Leben: nicht bloß, weil er in uns lebt und webt, sondern weil seine Lebenskraft auch uns Leben schafft und uns endlich vollkommen erneuern wird, nachdem wir das sterbliche Fleisch ausgezogen. Im Gegensatz dazu bezeichnete Paulus als „Leib“ die noch unerneuerte gröbere Masse, welche der Geist Gottes noch nicht vom Erdenschmutz gereinigt hat. Denn dem Leibe im gewöhnlichen Sinne die Schuld der Sünde aufzubürden, wäre doch eine Torheit. Andererseits trägt auch die Seele nicht ein solches Leben in sich, dass sie an und für sich „Leben“ heißen dürfte. Der Sinn des Apostels ist also der: wenn auch die Sünde uns noch an den Tod bindet, sofern ja die Verderblichkeit der alten Natur uns noch anhaftet -, so wird doch Gottes Geist den Sieg behaupten. Haben wir auch nur die Erstlinge des Geistes empfangen, so ist doch schon ein Fünklein desselben ein Samenkorn des Lebens.

V. 11. So nun der Geist des usw. Eine Bestätigung des vorigen Satzes, die auf der beobachteten Kraft des Geistes fußt: wenn durch die Macht des Geistes Gottes Christus auferweckt ward, und der Geist solche Macht in Ewigkeit behält -, so wird er diese auch an uns beweisen. Dabei darf der Apostel ohne weiteres voraussetzen, dass in Christi Person ein Beweis der Kraft gegeben ward, welche dem ganzen Leibe der Gemeinde zugute kommen soll. Der Jesus von den Toten auferweckt hat. Diese Umschreibung passt besser für den vorliegenden Gedankengang, als wenn der Apostel einfach geschrieben hätte: Gottes. Ebenso wird die Kraft, Christus aufzuwecken, dem Vater zugeschrieben, nicht Christus selbst; so erforderte es die Absicht des Gedankens. Wäre von Christi eigener Kraft die Rede, so würde der Einwurf nahe liegen: Christus besaß eine Fähigkeit der Auferstehung, welche allen andern Menschen abgeht. Heißt es aber: Gott hat Christus auferweckt durch seinen Geist und hat von diesem Geist auch uns mitgeteilt -, so kann gegen diesen gewissen Grund der Auferstehungshoffnung kein Einwand mehr erhoben werden. Daneben behält Christi Wort (Joh. 10, 18) seine volle Wahrheit: „Ich habe Macht, mein Leben zu lassen, und habe Macht, es wieder zu nehmen.“ Denn Christi Auferstehung erfolgte sicher durch die ihm eigene Kraft. Aber wie überhaupt der Sohn alles auf den Vater zurückführt, was von göttlicher Kraft in ihm ist (z. B. Joh. 5, 26), so schreibt auch der Apostel hier nicht mit Unrecht dem Vater zu, was in Christus das am meisten kennzeichnende Werk des göttlichen Wesens war.

Als sterbliche Leiber bezeichnet Paulus, wie wir schon oft bemerkt (vgl. 7, 24), den Teil unseres Wesens, der noch dem Tode unterworfen bleibt. Daraus lässt sich abnehmen, dass er nicht kurzweg nur an die letzte Auferstehung denkt, welche in einem Augenblick geschieht, sondern an das fortwährende Wirken des Geistes, welches die Reste des Fleisches allmählich tötet und das himmlische Leben in uns wirken lässt.

12 So sind wir nun, liebe Brüder, Schuldner nicht dem Fleisch, dass wir nach dem Fleisch leben. 13 Denn wo ihr nach dem Fleisch lebet, so werdet ihr sterben müssen; wo ihr aber durch den Geist des Fleisches Geschäfte tötet, so werdet ihr leben. 14 Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.

V. 12. So sind wir nun, liebe Brüder usw. Nunmehr wird der Schluss aus den vorangehenden Ausführungen gezogen. Wenn es gilt, dem Fleische abzusagen, so dürfen wir nichts mehr mit demselben zu schaffen haben. Wiederum, wenn der Geist in uns regieren soll, so wäre es ja töricht, wenn wir nicht auf jeden seiner Winke achten wollten. Übrigens bringt die Rede dieses letzte Glied nicht förmlich zum Ausdruck. Aber nach seinem Gedankengange hätte der Apostel wohl fortfahren können: Wir sind vielmehr Schuldner dem Geiste, dass wir nach dem Geiste leben. Hinter dieser ganzen Folgerung birgt sich nur die Absicht, uns zu mahnen. So leitet ja der Apostel überall seine Ermahnungen aus der Lehre ab. Z. B. Eph. 4, 30: „Betrübet nicht den Heiligen Geist Gottes, damit ihr versiegelt seid auf den Tag der Erlösung.“ Gal. 5, 25: „So wir im Geist leben, so lasset uns auch im Geist wandeln.“ Das geschieht aber, wenn wir den fleischlichen Begierden entsagen und uns der Gerechtigkeit Gottes zu Dienst stellen. Eben diesen Schluss müssen wir ziehen, nicht den entgegen gesetzten, wie einige Lästerer tun, die da faseln, man dürfe ruhig die Hände in den Schoß legen, da wir ja nichts vermöchten. Es heißt aber, wider Gott streiten, wenn man in solcher wegwerfenden Nachlässigkeit seine Gnade vergeblich empfängt.

V. 13. Denn wo ihr nach dem Fleisch lebet usw. Diese Drohung wird hinzugefügt, um die Trögen vollends aus ihrer Stumpfheit aufzurütteln. Hier empfangen auch solche Leute eine Widerlegung, welche sich der Rechtfertigung aus Glauben rühmen und doch vom Geiste Christi nichts wissen wollen. Allerdings wird ihr eignes Gewissen sie schon hinlänglich schlagen; denn wo nicht zugleich Liebe zur Gerechtigkeit ist, da kann auch keine Zuversicht zu Gott bestehen. Gewiss ist es richtig, dass wir allein durch Gottes Erbarmen in Christus Rechtfertigung empfangen. Aber ebenso wahr ist auch das andere, dass jeder, der die Rechtfertigung empfängt, vom Herrn berufen wird, um seiner Berufung würdig zu wandeln. Die Gläubigen mögen also lernen, bei Christus nicht bloß Gerechtigkeit, sondern auch Heiligung zu suchen; denn für beides ward er uns gegeben, und er will nicht um eines verstümmelten Glaubens willen sich auseinander reißen lassen.

Wo ihr aber durch den Geist usw. Jetzt ermäßigt Paulus seinen Spruch auch wieder, um nicht den Frommen, die sich noch mancher Schwachheit bewusst sind, allen Mut zu nehmen. Mögen wir noch immer nicht von unsern Sünden los sein, so spricht uns Paulus dennoch das Leben zu: nur dass wir eifrig fortfahren, die Geschäfte des Fleisches zu töten. Jetzt fordert Gott von uns nicht, dass das Fleisch schon gänzlich tot sei, sondern nur, dass wir mit ganzem Ernst seine Begierden zügeln.

V. 14. Denn welche der Geist Gottes treibt usw. Dieser Satz dient zum Beweise der letztvorangehenden Aussage. So ergibt sich folgende Schlusskette, deren mittleres Glied als eine selbstverständliche Wahrheit ergänzt werden muss; welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder; alle Kinder Gottes aber sind Erben des ewigen Lebens. Also können diejenigen des ewigen Lebens gewiss sein, welche der Geist Gottes treibt. Diese Erwägung ist geeignet, auf der einen Seite das hohle Vertrauen bloßer Namenschristen zu erschüttern, auf der andern Seite aber die Gläubigen anzuleiten, eine immer festere Gewissheit ihres Heils zu erringen. – Übrigens soll angemerkt sein, dass der Geist Gottes in verschiedener Weise „treibt“. Es gibt ein allgemeines Geisteswirken, welches alle Kreaturen trägt und bewegt. Es gibt weiter auch in den Menschen die verschiedenartigsten Geisteswirkungen. Hier aber ist von der Heiligung die Rede, welche der Herr seinen Auserwählten schenkt, wenn er sie als seine Kinder annimmt.

15 Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! 16 Derselbe Geist gibt Zeugnis mit unserm Geist, dass wir Kinder Gottes sind. 17 Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, so wir anders mit leiden, auf dass wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden. 18 Denn ich halte es dafür, dass dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht wert sei, die an uns soll offenbart werden.

V. 15. Nun verweilt der Apostel dabei, wie diese Gewissheit des Glaubens, in welcher die Gläubigen ihre Ruhe finden sollen, eine weitere Stärkung empfängt: es geschieht durch eine besondere Wirkung des Geistes, der uns nicht gegeben ward, um uns in der Furcht hin und her zu werfen oder mit Ängstlichkeit zu quälen, sondern um alle Unruhe zu stillen, unserm Geist den Frieden zu schenken und uns zu freier und fröhlicher Anrufung Gottes zu erwecken. Der Apostel hält sich also weniger an das erste Glied seiner bisherigen Beweisführung, dass man ohne Gottes Geist kein Kind Gottes sein könne. Er verweilt vielmehr bei der Kehrseite und redet von Gottes väterlicher Liebe, welche den Seinen die noch anhaftende Schwachheit des Fleisches und ihre Fehler verzeiht. Den Glauben an diese Liebe gründet er auf den Geist der Kindschaft, welcher uns ja nicht Mut zu kindlichem Gebet einflößen könnte, wenn er uns nicht zugleich der freien, gnädigen Vergebung gewiss machte. Um nun in diesem Stück besonders deutlich zu sein, unterscheidet Paulus einen doppelten Geist: den Geist der Knechtschaft, den wir aus dem Gesetz schöpfen können, und den Geist der Kindschaft, welcher aus dem Evangelium stammt. Der erste ward einst gegeben, und man musste sich fürchten. Den andern empfangen wir jetzt, und unsere Seele wird stille. Es ist offensichtlich, wie dieser Gegensatz unsere Heilsgewissheit stärken muss. Desselben Kontrastes bedient sich auch der Verfasser des Hebräerbriefes (12, 18.22.24): Ihr seid nicht gekommen zu dem Berge Sinai, wo alles so schrecklich war, dass das Volk, wie von einer gegenwärtigen Predigt des Todes betroffen, bat, es möchte ihm nichts mehr gesagt werden, und Moses selbst gestehen musste, dass er sich fürchte; sondern ihr seid gekommen zu dem Berge Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, wo Jesus ist, der Mittler des Neuen Bundes usw. Aus dem „abermals“ schließen wir, dass Paulus an unserer Stelle das Evangelium dem Gesetz gegenüberstellen will: solche unschätzbare Wohltat verdanken wir dem Sohne Gottes, dessen Ankunft uns für alle Zukunft von der drückenden Herrschaft des Gesetzes frei machte. Doch darf man daraus weder schließen, dass vor Christi Ankunft noch niemand den Kindschaftsgeist besessen habe, noch dass alle, die das Gesetz vernahmen, lediglich Knechte und durchaus nicht Kinder gewesen seien. Paulus vergleicht nur im Allgemeinen die Ordnung des Gesetzes mit der Ordnung des Evangeliums, und er fragt gar nicht, wie es mit einzelnen Persönlichkeiten bestellt gewesen. Gewiss werden die Gläubigen hier auch erinnert, wie viel gnädiger Gott mit uns handelt als einst mit den Vätern unter dem Alten Bunde. Aber bei alledem hat der Apostel nur die äußere Ausbreitung des Evangeliums im Auge. Nur unter diesem Gesichtspunkte stehen wir höher als die Väter. Rein persönlich betrachtet war der Glaube eines Abraham, Moses oder David sicher weit größer als der unsrige; aber diese alle standen noch unter der erziehenden Vorbereitung und hatten deshalb die Freiheit, die uns eröffnet ist, noch nicht erlangt. Zugleich wird zu bedenken sein, dass Paulus diesen Unterschied zwischen den Knechten des Gesetzesbuchstabens und den Gläubigen, welchen der himmlische Meister Christus neben dem äußeren Schall des Wortes auch die innere wirksame Leitung des Geistes geschenkt hat, nur in Rücksicht auf die falschen Apostel und ihre gesetzliche Lehrweise so scharf betont. An sich birgt ja das Gesetz auch den Bund der Gnade in sich; aber diesen Inhalt denkt Paulus jetzt einmal hinweg. Er fasst im Gegensatz zum Evangelium jetzt nur das eigentlichste Wesen des Gesetzes ins Auge, welches darin besteht, zu befehlen und zu verbieten und die Übertreter in der Furcht des Todes gefangen zu halten. Das Gesetz kommt für ihn nach derjenigen Seite seines Inhalts in Betracht, in der es den Gegensatz zum Evangelium darstellt. Anders ausgedrückt: Paulus denkt an das bloße Gesetz, sofern Gott in demselben mit den Menschen einen Bund der Werke geschlossen hat. Bezüglich der einzelnen Persönlichkeiten also müssen wir bestimmt behaupten, dass im jüdischen Volke vor und nach Erlass des Gesetzes die Erleuchtung der Frommen durch einen und denselben Geist geschehen ist, welcher immer und überall derselbe bleibt. Auf das Siegel dieses Geistes, welcher das Angeld auf das ewige Leben ist, gründet sich allein die Hoffnung des Heils. Nur der Unterschied besteht, dass im Reiche Christi der Geist freigebiger und reichlicher ausgegossen ward. Sieht man namentlich die Offenbarung der Lehre an, so muss man sagen, dass erst Christi Erscheinung im Fleisch die volle Gewissheit des Heils brachte; denn so groß die Klarheit des Evangeliums ist, so dicht ist die Hülle der Dunkelheit, welche über dem Alten Testament liegt. Betrachtet man das Gesetz an sich, so kann es nichts, als die Menschen der Knechtschaft und dem Tode ausliefern. Denn es verheißt alles Gute nur bedingungsweise und droht allen Übertretern den Tod. Wie also unter dem Gesetz der Geist der Knechtschaft herrschte, welcher das Gewissen in Schrecken hielt, so herrscht unter dem Evangelium der Geist der Kindschaft, welcher unsere Seelen fröhlich macht durch das Zeugnis der Gnade.

Durch welchen wir rufen. Paulus geht aus der zweiten Person in die erste über: ihr habt den Geist empfangen, durch welchen wir rufen. So wird deutlich, dass ein und derselbe Geist in allen Gläubigen waltet. Abba, lieber Vater! Nachdrücklich, in doppelter Sprache, wird der Vatername den Gläubigen zweimal in den Mund gelegt. Denn Gottes Barmherzigkeit hat sich in der ganzen Welt kundgemacht und wir in allen Sprachen angerufen. So klingen die Stimmen aller Völker in eins. Es ist kein Unterschied mehr zwischen Juden und Griechen: beide sind Glieder desselben Leibes geworden. Denselben Gedanken gibt der Prophet Jesaja in fast entgegen gesetzter Form (19, 18) -, wenn er sagt, dass alle Völker sich der Sprache Kanaans bedienen werden. Er denkt ja dabei nicht an die äußere Form der Sprache, sondern daran, dass die Herzen einig sein werden, Gott zu preisen, und von dem gleichen Eifer erfüllt, ihm rein und wahr zu dienen. Das Gebet der Frommen nennt nun der Apostel ein „Rufen“. Denn sie beten ohne Zweifelmut, und wagen, furchtlos und hell ihre Stimme zum Himmel zu erheben. Zwar auch unter dem Gesetz haben die Gläubigen Gott als ihren Vater angerufen, aber noch nicht mit voller und freier Zuversicht, da der Vorhang ihnen noch den Zugang in Allerheiligste versperrte. Jetzt aber ward uns durch Christi Blut die Tür aufgetan; nun dürfen wir als Gottes Hausgenossen mit vollem Munde rühmen, dass wir Kinder Gottes sind. Daher stammt unser „Rufen“. Nun ist die Weissagung erfüllt (Hos. 2, 25): Ich will zu ihnen sagen: „Du bist mein Volk“ -, und sie werden antworten: „Du bist mein Gott.“ Denn je klarer die Gnadenverheißung, umso größer ist der Freimut des Gebets.

V. 16. Derselbe Geist gibt Zeugnis mit unserm Geist. Der Apostel sagt nicht einfach: „unserm Geist“, sondern „mit unserm Geist“. Er will dadurch zu verstehen geben, dass der Geist Gottes uns ein solches Zeugnis ablegt, welches unter seiner Führung und Leitung auch unsern Geist die gewisse Zuversicht fassen lässt, dass die Annahme zur Gotteskindschaft feststehe. Solcher Glaube würde aus unserm Geiste nicht erwachsen, wenn ihn Gottes Geistesleitung nicht in uns erweckte. Übrigens will unser Satz den vorangehenden erläutern und begründen: denn wenn der Geist uns bezeugt, dass wir Gottes Kinder sind, so erweckt er dadurch die Zuversicht, dass wir Gott als Vater anrufen. Wenn allein die Zuversicht uns den Mund öffnet, so wird ja die Zunge stumm zum Gebet sein, wenn nicht der Geist dem Herzen von der Vaterliebe Gottes Zeugnis gibt. Denn der Grundsatz steht durchaus fest, dass wir nur dann recht zu Gott beten, wenn wir ihn mit dem Munde Vater nennen und dabei im Herzen überzeugt sind, dass der Mund recht redet. Umgekehrt gibt es kein sichereres Kennzeichen für die Echtheit unseres Glaubens, als die Anrufung Gottes. – Mit besonderem Nachdruck wollen wir endlich noch anmerken, dass unser Spruch eines der klarsten Zeugnisse für die Möglichkeit einer vollen und unbedingten Heilsgewissheit ist. Er gibt auch Antwort auf die ungläubige Frage, woher denn der Mensch wissen könne, was Gott über ihn beschlossen habe. Wir haben darüber nicht irgendwelche unsichere Vermutungen, sondern der Geist Gottes tut es uns kund. Genauer führt der Apostel diesen Gegenstand im ersten Brief an die Korinther aus (2, 9.10; 12, 3). Es steht also fest, dass niemand ein Kind Gottes sein kann, der es nicht fest glaubt. Und dieser Glaube ist eine vollkommene Gewissheit (1. Joh. 5, 19.20): „Wir wissen, dass wir von Gott sind.“

V. 17. Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben. Hier finden wir jetzt weiter den entscheidenden Beweis dafür, dass wir selig sind, weil Gott unser Vater ist. Kinder müssen einmal erben, und wenn Gott uns als Kinder angenommen hat, so ist uns auch eine Erbschaft von ihm ausgesetzt. Worin diese besteht wird alsbald angedeutet: sie ist himmlisch, also unvergänglich und ewig und wird uns in Christus mitgeteilt. So weicht alle Ungewissheit, und unser Besitz muss wohl über alle Maßen reich sein; denn wir erben zusammen mit Gottes eingeborenem Sohne. Eben diese Größe und Herrlichkeit unseres Erbes will Paulus uns ins Herz prägen, damit solche Aussicht uns zufrieden und tüchtig mache, die Lockungen der Welt zu verachten und alle Leiden dieser Zeit geduldig zu ertragen.

So wir anders mit leiden. Christi Miterben werden wir sein, wenn wir ihm auf dem Wege zu seiner Erbschaft folgen. Dass er hier von Christus spricht, das soll zur Ermahnung hinüberleiten. Der Gedankengang ist so: Gottes Erbe ist unser, weil er uns in Gnaden zu Kindern angenommen hat; um es dem Zweifel zu entziehen, hat er es Christus bereits als Besitz übertragen; wir haben an Christus und seinem Geschick Anteil: Da er aber durch das Kreuz zur Erlangung des Erbes kam, so ist das auch unser Weg. Dieser Gedanke will nun keineswegs die Meinung begünstigen, dass wir mit unserer mühevollen Anstrengung die selige Ewigkeit verdienen müssten. Paulus beschreibt weniger den Grund unserer Seligkeit, als vielmehr die Art und Weise, wie Gott uns zu derselben führt. Denn zuvor hatte er deutlich genug ausgeführt, dass mit der freien Gnade Gottes sich kein Verdienst der Werke verträgt. Wenn er uns nunmehr zur Geduld mahnt, so will er keine andere Lehre darüber vortragen, woher unser Heil stammt, sondern nur darüber, wie Gott das Leben der Seinen regiert.

V. 18. Denn ich halte es dafür usw. Die Ermahnung zur Geduld, welche schon der vorige Satz in sich barg, wird jetzt unverhüllter ausgesprochen und zugleich mit einem kräftigen Grund unterstützt. Wir dürfen es uns nicht verdrießen lassen, wenn der Weg zur himmlischen Herrlichkeit durch mancherlei Trübsal führt; denn diese Trübsal wiegt leicht gegen jene überschwängliche Herrlichkeit. Den Leiden dieser Zeit, welche also bald vorübergehen, steht die Herrlichkeit gegenüber, die an uns in alle Zukunft und Ewigkeit soll offenbart werden.

19 Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes. 20 Sintemal die Kreatur unterworfen ist der Eitelkeit ohne ihren Willen, sondern um deswillen, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung. 21 Denn auch die Kreatur wird frei werden von dem Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, dass alle Kreatur sehnt sich mit uns und ängstet sich noch immerdar.

V. 19. Denn das ängstliche Harren usw. Ein Beispiel für die Geduld, zu der wir ermahnt wurden, ist selbst die stumme Kreatur. Kein Bestandteil des Weltalls bleibt unberührt von der Sehnsucht, mit welcher unter dem Elend dieser Zeit sich alles der Auferstehung entgegen streckt. Dabei sagt der Apostel zweierlei: die Kreatur ängstet und müht sich -, aber sie hält sich noch in Hoffnung aufrecht. Ein neuer Beweis für die unermessliche Größe der ewigen Herrlichkeit: denn sie vermag das All zu brennender Sehnsucht zu erwecken! Die Ausdrucksweise ist ungewöhnlich: das Harren … wartet. Aber so wird uns förmlich vor Augen gemalt, mit welcher Ängstlichkeit und zitternder Sehnsucht die Kreatur dem Tage entgegen wartet, welcher die Herrlichkeit der Kinder Gottes völlig enthüllen wird.

Die Offenbarung der Kinder Gottes erfolgt nämlich, wenn wir Gott gleich sein werden. Wie Johannes sagt (1. Joh. 3, 2): „Wir sind nun Gottes Kinder, aber es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden.“

V. 20. Sintemal die Kreatur unterworfen ist der Eitelkeit. Welcher Kontrast gegen das Hoffnungsziel! Die Kreatur, die jetzt der Eitelkeit unterworfen ist, kann nicht eher befreit werden, als bis auch die Kinder Gottes ihre völlige Erlösung empfangen. Wenn sie auf die eigne Befreiung harrt, so schaut sie also nach dem Anbruch des Himmelreichs aus. Der Eitelkeit unterworfen ist aber die Kreatur insofern, als sie ihren festen und sicheren Bestand verloren hat und flüchtig und vergänglich schnellen Laufes vorübereilt. Diese „Eitelkeit“ steht im Gegensatz zur ursprünglichen Anlage der Natur. Ohne ihre Willen. Da die unvernünftige Kreatur einen eigentlichen Willen nicht besitzt, so haben wir an den inneren Lebenstrieb zu denken, der von Natur nicht auf die „Eitelkeit“, sondern auf Selbsterhaltung und Vollendung sich richtet. Der gegenwärtige Zustand der Vergänglichkeit tut der wahren Natur Zwang an. Die einzelnen Teile der Welt erscheinen hier in dichterischer Weise fast wie Personen, die über sich selbst hinausstreben. Wie übel steht da uns Menschen der Stumpfsinn, welchen kein Blick auf die flüchtige Vergänglichkeit der Welt auf höhere Gedanken bringt! Sondern um deswillen, der sie unterworfen hat. Die Kreaturen müssen uns ein Vorbild des Gehorsams liefern, und der Apostel fügt hinzu, dass solches auf Hoffnung geschieht, weil nur die Hoffnung, das Streben zu einem höheren Ziel, den Lauf der Welt noch in Gang erhält. Gottes Ordnung und Befehl, der jeglicher Kreatur ihr Amt gab, ist der Grund, dass Sonne und Mond und alle Sterne unermüdlich ihre Kreise ziehen, dass die Erde fleißig und gehorsam ihre Früchte hervorbringt, dass die Luft in unermüdlicher Bewegung bleibt, dass die Flüsse nicht stillstehen in ihrem Lauf. Doch in alledem wirkt nicht bloß ein bestimmter Befehl Gottes, sondern auch die Hoffnung, die einer neuen Welt entgegen strebt. Auch sie hat Gott der Kreatur eingestiftet. Denn wegen der traurigen Zerrüttung, die nach Adams Fall eintrat, hätte die Weltmaschine in jedem Augenblick zerbrechen können, hätten ihre Räder sofort stillstehen müssen, wenn nicht eine ganz andere starke Kraft um ihrer eignen verborgenen Zwecke willen sie noch zusammenhielte. Wie schmählich wäre es nun, wenn in den Kindern Gottes der Geist, den sie als Unterpfand einer seligen Zukunft empfangen haben, weniger kräftig wirken sollte als in toten Kreaturen ein verborgener Instinkt! Also: mag die Kreatur von Natur hierhin oder dorthin neigen -, weil es Gott gefallen hat, sie der „Eitelkeit“ zu unterwerfen, so muss sie sich dieser Ordnung beugen. Und weil Gott Hoffnung gibt für eine bessere Zukunft, so hält sie sich in ihrem gegenwärtigen Stande und schiebt ihre Sehnsucht auf, bis die verheißene Unvergänglichkeit offenbart wird. Wenn Paulus dabei der Kreatur eine „Hoffnung“ zuschreibt, so ist dies ebenso poetisch gedacht wie vorher das „Wollen“ und „Nichtwollen“.

V. 21. Denn auch die Kreatur usw. Dieser Satz gewährt einen genaueren Einblick darein, wieso die Kreatur „auf Hoffnung“ der Eitelkeit unterworfen ward. In Zukunft wird sie nämlich frei werden, wie schon Jesaja bezeugt und Petrus noch deutlicher ausgesprochen hat (Jes. 65, 17; 2. Petr. 3, 13). Hier mögen wir bedenken, wie schrecklich die Verdammnis sein muss, die wir verdient haben, wenn alle unschuldigen Kreaturen, von der Erde an bis zum Himmel, die Strafe für unsere Sünden mittragen müssen! Denn dass sie unter der allgemeinen Verderbnis leiden, ist unsere Schuld. Den Stempel von der Vermaledeiung des Menschengeschlechts tragen Himmel und Erde und alle Kreaturen. Andererseits erscheint auch die zukünftige Herrlichkeit der Kinder Gottes in hellem Lichte: denn um ihren Glanz zu erhöhen, sollen alle Kreaturen in einen neuen Stand gesetzt werden. Dabei behauptet der Apostel nicht, dass sie an der Herrlichkeit der Kinder Gottes teilhaben werden, sondern nur, dass sie eine Erhöhung und Befreiung nach ihrer Weise erfahren: Gott wird die jetzt in Verwirrung gestürzte Erde im Zusammenhange mit dem menschlichen Geschlecht wieder zu ihrer Ordnung bringen. Worin aber diese Wiederherstellung bestehen und wie sie sich an Tieren, Pflanzen und an der leblosen Natur zeigen wird -, das sind unnütze und vorwitzige Fragen, die schon deshalb keine Antwort finden können, weil wir jetzt auch nur sagen können, dass das wesentlichste Stück des verderbten Zustandes die Vergänglichkeit ist. Überscharfsinnige Menschen mögen sich mit endlosen Fragen den Kopf zerbrechen, etwa auch darüber, ob hinfort alle Tiere unsterblich sein sollen? Wir begnügen uns mit der einfachen Lehre, dass ein solches Maß und solche Ordnung die Welt durchwalten wird, welche jede Verunstaltung und alles nichtige Wesen ausschließt.

V. 22. Denn wir wissen usw. Der Apostel wiederholt seinen Gedanken noch einmal und fügt nur ein „mit uns“ hinzu, um zu unserer eignen Hoffnung zurückzulenken. So gewinnt die Rede einen in sich notwendigen Abschluss. Ist die Kreatur der Eitelkeit unterworfen, nicht nach der eignen Richtung ihrer Natur, sondern auf Grund einer besonderen Verfügung Gottes, und darf sie dabei auf endliche Erlösung hoffen, so gleicht sie einem Weibe in Geburtswehen, welches sich ängsten muss, bis das Ziel erreicht ist. Ein überaus treffender Vergleich, welchen die Worte des Paulus andeutungsweise enthalten! Jenes Sehnen und Ängsten wird nicht tot und vergeblich sein, sondern frohe und glückliche Frucht gebären. In Summa: die Kreatur fühlt sich nicht heimisch in ihrem Stande, und braucht doch auch nicht in aussichtsloser Sehnsucht sich zu verzehren. Sie liegt in den Wehen einer besseren Zukunft. So schließt sie sich mit uns zusammen: sie ängstet sich mit uns. Der Apostel fügt hinzu: noch immerdar. Dies Wort bringt Trost in das lange Warten. Hat die Kreatur Jahrtausende in ihrem Herzen sich ängsten müssen, warum wollen wir schon in dem kurzen Laufe dieses Lebens träge und müde werden, das doch wie ein Schatten vorüberzieht?

23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir haben des Geistes Erstlinge, sehnen uns auch bei uns selbst nach der Kindschaft und warten auf unsers Leibes Erlösung. 24 Denn wir sind wohl selig, doch in der Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wir kann man des hoffen, das man sieht? 25 So wir aber des hoffen, das wir nicht sehen, so warten wir sein durch Geduld.

V. 23. Nicht allein aber usw. Manche Ausleger meinen, der Apostel wolle hier die Hoheit unserer zukünftigen Seligkeit dadurch ins Licht setzen, dass er auf die allgemeine Sehnsucht hinweist, mit welcher nicht bloß die unvernünftigen Kreaturen, sondern auch wir, die wir durch Gottes Geist wiedergeboren sind, ihr entgegen harren. Ich will diese Ansicht nicht für ganz ausgeschlossen erklären, ziehe aber vor, den Zusammenhang in anderer Weise zu deuten. Der Gedanke steigt von der niederen Stufe zur höheren empor: wenn schon auf die Bestandteile der irdischen Welt, welche doch weder Gefühl noch Verstand haben, der Glanz unserer künftigen Herrlichkeit eine solche Anziehungskraft ausübt, dass sie mit einer Art von Sehnsucht danach sich durchdrungen zeigen -, wie viel mehr müssen dann wir, die wir die Erleuchtung durch Gottes Geist besitzen, mit gewisser Hoffnung und angespanntem Eifer ein so überschwänglich großes Gut erharren und uns ihm entgegen strecken! Eine doppelte Stimmung will der Apostel im Herzen der Gläubigen hervorrufen: seufzenden Überdruss an dem Elend dieser Zeit, und dabei doch hoffende Geduld für die Erlösung. Die Erwartung der zukünftigen Seligkeit soll uns erheben und mit hohem Geiste die gegenwärtigen Beschwerden überwinden lassen. Denn wir sollen bedenken, nicht was wir sind, sondern was wir sein werden.

Wir selbst, die wir haben des Geistes Erstlinge. In der Gegenwart sind die Gläubigen nur mit einigen ersten Tropfen des Geistes besprengt, im besten Falle haben sie ein begrenztes Maß des Geistes empfangen und sind von seinem Vollmaße noch weit entfernt. Also spricht der Apostel von den „Erstlingen“ im Hinblick auf die noch ausstehende völlige Gabe. Haben wir nur die Erstlinge, so dürfen wir uns freilich nicht wundern, wenn noch Unruhe unser Herz durchzieht! Auch die Form des Satzes muss diese Unruhe zum Ausdruck bringen: zuerst durch die von der Sehnsucht eingegebene Wiederholung: wir selbst, die wir. Weiter lautet aber auch das Wort, welches unsere Übersetzung mit „sehnen“ wiedergibt, eigentlich stärker: wir seufzen nach der Kindschaft. So hart drückt uns das Gefühl des Elends.

Nach der Kindschaft. Uneigentlicherweise, und doch mit gutem Grunde bezeichnet Paulus hier als „Kindschaft“ nicht unsern gegenwärtigen Stand, sondern erst den Genuss des Erbes, zu welchem die Tatsache uns berechtigt, dass Gott uns zu seinen Kindern angenommen hat. Denn Gottes ewiger Rat, welcher uns vor Grundlegung der Welt zu seinen Kindern erwählte, welchen das Evangelium uns bezeugt und der Geist unserm Herzen versiegelt, würde vergeblich sein, wenn er uns nicht auch als letztes Ziel die gewisse Auferstehung verbürgen könnte. Denn warum anders ist Gott unser Vater, als weil er uns nach dem Laufe der irdischen Pilgrimschaft in das himmlische Erbteil aufnehmen will? Eben dahin zielt auch die weitere Aussage: und warten auf unsers Leibes Erlösung. Christus hat den Preis für unsere Erlösung gezahlt; aber noch immer hält uns der Tod gefangen, ja wir tragen ihn in uns. Das Opfer des Todes Christi muss also seine letzte Frucht, unsere Erneuerung zu himmlischem Wesen, noch bringen -, wo nicht, so wäre es fruchtlos und vergeblich gewesen.

V. 24. Denn wir sind wohl selig, doch in der Hoffnung. Die Mahnung zur Geduld wird mit einem weiteren Grunde gestützt. Wir müssen noch hoffen, also müssen wir auch noch sterben. Dass kein anderer Weg zur Seligkeit führen kann, liegt in der Natur der Sache. Hoffnung zielt überall auf die Zukunft; sie stellt die Bilder verborgener und ferner Dinge vor unsere Seele. Was man sieht und greift, kann nicht Gegenstand der Hoffnung sein. Dabei setzt Paulus als allgemein zugestanden voraus, dass wir allerdings nur in der Hoffnung selig sind, solange wir in dieser Welt wallen. Denn unsere Seligkeit ruht bei Gott, hoch erhaben über unsere Sinne. Der Ausdruck: die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung, ist etwas hart, aber wohlverständlich. Er birgt die einfache Wahrheit: da unsere Hoffnung sich auf ein zukünftiges, nicht auf ein gegenwärtiges Gut richtet, so können wir noch nicht völlig besitzen, was wir erhoffen. Wollen wir uns die Seufzer durchaus ersparen, so müssen wir schon Gottes Ordnung umstürzen; denn Gott lässt die Seinen keinen Triumph und Sieg erleben, er hätte sie denn zuvor im Kampfe der Leiden geübt. Hat Gott einmal beschlossen, unsere Seligkeit in der verborgenen Stille des Herzens zur Reife zu bringen, so kann es uns auf Erden nur gut sein, Mühen und Lasten zu tragen, Schmerz und Druck zu leiden, ja selbst bis zum Tode getrieben zu werden. Denn die eine sichtbare Seligkeit begehren, verwerfen das wahre Heil und stoßen die Hoffnung von sich, die Gott als Wächterin des Heils bestellt hat.

V. 25. So wir aber des hoffen usw. Jetzt wird in einem endgültigen Schluss dargelegt, was aus der bisher beschriebenen Hoffnung erwachsen muss: nämlich die Geduld. Es mag schwer sein, das Gut zu entbehren, nach welchem deine Seele sich sehnt: willst du aber den Trost der Geduld verschmähen, so wirst du vollends in Verzweiflung sinken. Die Hoffnung muss die Geduld zur steten Begleiterin haben. So legt uns der Apostel nachdrücklich das letzte Ergebnis vor: was das Evangelium von der Herrlichkeit der Auferstehung verheißt, wird unsern Händen entgleiten, wenn wir nicht in diesem Leben Kreuz und Anfechtung geduldig tragen. Ist das Leben unsichtbar, so muss das, was wir sehen, wohl Tod sein. Ist unsere Ehre unsichtbar, so mögen wir gegenwärtig ruhig Schande leiden. Dieser ganze Beweisgang des Apostels lässt sich kurz folgendermaßen zusammenfassen: Aller Frommen Seligkeit steht in der Hoffnung: zum Wesen der Hoffnung gehört es, sich auf zukünftige und ferne Güter zu richten; also ist die Seligkeit der Frommen eine verborgene. Nun hält sich die Hoffnung nur durch Geduld aufrecht: also erreicht die Seligkeit der Frommen ihr Ziel nur durch Geduld. Aus alledem entnehmen wir die wichtige Wahrheit, dass die Geduld die unzertrennliche Genossin des Glaubens ist. Das lässt sich leicht begreifen; denn wenn wir uns mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft trösten, so mildert und mäßigt sich das Gefühl des gegenwärtigen Elends, und dasselbe wird weit erträglicher.

26 Desgleichen auch der Geist hilft unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich´ s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns aufs beste mit unaussprechlichem Seufzen. 27 Der aber die Herzen erforscht, der weiß, was des Geistes Sinn sei; denn er vertritt die Heiligen nach dem, das Gott gefällt.

V. 26. Desgleichen auch der Geist usw. Die Gläubigen sollen nicht fürchten und sagen, dass ihre Kraft nicht ausreicht, so große und harte Lasten zu tragen. Paulus erinnert daran, dass ihnen der Geist zur Seite steht: seine Kraft ist größer als alle Schwierigkeiten. Niemand darf klagen, dass ihm ein schwereres Kreuz auferlegt sei, als er tragen kann; denn himmlische Kraft will uns stärken. Welch reicher Trost liegt in dem Satz: der Geist hilft unsrer Schwachheit auf! Das griechische Wort, das wir übersetzen: „hilft … auf“ ist von gewaltiger Kraft; der Geist nimmt die Last, soweit sie uns zu schwer wird, auf sich. Auf diese Weise steht er uns nicht bloß zur Seite mit seiner Hilfe, sondern er trägt mit, als ob er sich selbst mit unter der Last beugte. Statt „Schwachheit“ sagt der Apostel wörtlich „Schwachheiten“; das dient zur Verstärkung; denn wenn Gottes Hand uns nicht aufrecht hält, droht uns allerdings ein Fall nach dem andern. Aber der Trost ist umso größer, wenn wir nur hören, dass für alle diese Schwachheiten, die uns jeden Augenblick zu Fall bringen können, Gottes Geist hinreichende Hilfe bereit hält, so dass nichts uns ins Wanken bringt und ganze Berge von Widerwärtigkeit uns nicht verschütten werden. Übrigens muss dieser Beistand des Geistes uns dessen noch gewisser machen, dass Gottes Ordnung es ist, die uns durch Seufzer und Klagen der völligen Erlösung entgegen führen will.

Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen. Schon früher (V. 15) hatte der Apostel gesagt, dass der Geist für unsere Gotteskindschaft Zeugnis gibt und dadurch die Zuversicht in uns erweckt, Gott als unsern Vater anzubeten. Jetzt wiederholt er diesen Satz: der Geist lehrt uns, wie und was wir beten sollen. Dieser Übergang von der inneren Angst und Sehnsucht der Frommen zum Gebet ist sehr nötig und passend; denn Gott sendet uns die Leiden nicht, damit wir im blinden Schmerz uns verzehren sollen, sondern damit wir zum Gebet uns aufraffen und darin unsern Glauben üben. Unter den verschiedenen Auslegungen dieser Stelle scheint mir nun diese am richtigsten und einfachsten zu sein: wir sind blind in unserm Gebet zu Gott, weil wir zwar unsere Leiden fühlen, aber unser verwirrter und verstörter Sinn nicht zu finden weiß, was heilsam ist und was zu bitten sich gebührt. Wollte man dagegen einwenden, dass doch Gottes Wort uns den rechten Weg auch für unser Gebet zeigt, so diene zur Antwort: dennoch bleibt unser inneres Leben von Finsternis umhüllt, die das Licht des Geistes uns erleuchtet.

Der Geist selbst vertritt uns. Wenn wir auch nicht sofort deutlich sehen können, ob Gott unsere Gebet erhört, so zieht doch Paulus den Schluss, dass schon ein inbrünstiges Gebet an sich ein Beweis für die Gegenwart und Wirksamkeit der göttlichen Gnade ist: ohne sie, aus eigner Erleuchtung, würde kein Mensch heilige und fromme Gebete zu Gott empor schicken. Freilich schwätzen auch die Ungläubigen ihre Gebete, aber sie spotten damit nur des Herrn; denn es ist keine Gewissheit, kein Ernst und kein richtiger Inhalt darin. Darum muss uns der Heilige Geist recht beten lehren. Das Seufzen, welches er in unserm Herzen erweckt, bezeichnet der Apostel als unaussprechlich, weil sein Inhalt weit über das hinausgeht, was wir fassen können. Dass der Geist uns vertritt, will nicht sagen, dass er im strengsten Sinne selbst sich zum Beten und Seufzen herbeilässt, sondern nur, dass er unserm Sinne eben die Bitten eingibt, auf welche unsern ganzen Eifer zu richten sich gebührt, und weiter, dass er unserm brünstigen Gebet eine solche Glut einhaucht, dass es bis zum Himmel dringen muss. Diese eigentümliche Ausdrucksweise will nicht den geringsten Zweifel darüber bleiben lassen, dass das Gelingen unseres Gebets allein auf der Gnadenwirkung des Geistes ruht. Uns wird geheißen: klopfet an! Aber niemand vermag aus eigner Kraft sich innerlich zu sammeln und nur eine einzige Silbe zu beten, wenn nicht Gottes geheime Geisteskraft zuvor bei ihm anklopft und die Tür des Herzens auftut.

V. 27. Der aber die Herzen erforscht usw. Ein herrlicher Grund zur Stärkung unserer Zuversicht! Gott muss uns erhören, weil wir durch seinen Geist beten. So kennt Gott den Inhalt unserer Bitten auf das allergenaueste, denn sie gehen aus dem Sinn seines eigenen Geistes hervor. Gott weiß, was des Geistes Sinn sei. Dieses „Wissen“ hat eine eigne Bedeutung. Es will sagen, dass Gott den Sinn des Geistes, weil dieser ihm nichts Neues und Unerhörtes bringt, durch und durch billigen muss und niemals verwerfen kann. Er erkennt vielmehr des Geistes Absicht als seine eigne an und nimmt sie mit gnädiger Zustimmung auf. Wie also Paulus zuvor sagen durfte, dass Gott unsere Hilfe ist und uns durch alle unsere Widerfahrnisse zu seiner Herde führen will, so kann er jetzt den weiteren Trost hinzufügen, dass unsere Gebete niemals vergeblich sein werden, weil Gott selbst sie lenkt und leitet. Dieser Grund wird zuletzt noch ausdrücklich angegeben: der Geist vertritt die Heiligen nach dem, das Gott gefällt. Er gestaltet unsern Sinn, wie Gott ihn haben will. Stimmt nun infolgedessen unser Gebet mit dem Willen dessen überein, der alles regieret, so kann es seine Wirkung nicht verfehlen. Daraus lernen wir, dass die Hauptsache im Gebet seine Übereinstimmung mit dem Willen des Herrn ist. Denn unser eigner Wille kann trotz aller brennenden Sehnsucht den Herrn nicht binden. Soll unser Gebet Erhörung finden, so müssen wir vor allen Dingen Gott bitten, dass er unser Gebet nach seinem Wohlgefallen gestalte.

28 Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind. 29 Denn welche er zuvor ersehen hat, die hat er auch verordnet, dass sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes, auf dass derselbe der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. 30 Welche er aber verordnet hat, die hat er auch berufen; welche er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht, welcher er aber hat gerecht gemacht, die hat er auch herrlich gemacht.

V. 28. Wir wissen aber. Jetzt zieht der Apostel die Folgerung aus den vorangehenden Sätzen: die Leiden dieses Lebens hemmen unsern Lauf zu Seligkeit so wenig, dass sie ihn ganz im Gegenteil fördern müssen. Dabei bedient sich indessen die Rede der merkwürdigen Fortsetzung mit einem „aber“. Das ist ein Zeichen, dass sie sich zugleich gegen einen geheimen Einwurf richtet. Klagt doch ein fleischlicher Sinn nur zu leicht darüber, dass Gott unsere Gebete nicht zu erhören scheint, weil alle unsere Leiden bleiben wie zuvor. Demgegenüber behauptet der Apostel: wenn Gott den Seinen auch nicht sofort äußerlich hilft, so verlässt er sie doch nicht. Denn seine verborgene Weisheit wendet zum Heil, was ein Schaden scheint. Mögen, äußerlich betrachtet, die gleichen Übel ohne Unterschied die Auserwählten wie die Verworfenen treffen, so besteht dennoch ein gewaltiger Gegensatz: denn seine Gläubigen erzieht Gott durch die Trübsal und führt sie dadurch zum Heil. – Wir müssen nämlich festhalten, dass der Satz: alle Dinge müssen uns zum Besten dienen – lediglich an Missgeschick und Widrigkeiten erinnern will. Gott lenkt alle Geschicke der Heiligen so, dass, was die Welt für Schaden achtet, doch in seinem Ausgang Nutzen und Segen sein muss. Augustinus geht freilich darüber noch hinaus, wenn er sagt, dass auch ihre Sünden nach Gottes Vorsehung den Heiligen so wenig schaden können, dass sie sogar ihr Heil fördern müssen. Dieser an sich richtige Gedanke passt aber nicht hierher, wo nur vom Kreuz die Rede ist. Wenn der Apostel sagt: denen, die Gott lieben -, so wollen wir daraus entnehmen, dass die Liebe zu Gott den Hauptinhalt der Frömmigkeit ausmacht. Sie ist der beherrschende Mittelpunkt alles Strebens nach Gerechtigkeit.

Denen, die nach dem Vorsatz berufen sind. Diesen Satz fügt der Apostel offensichtlich zur Abwehr eines Missverständnisses hinzu. Dass den Gläubigen eine so herrliche Frucht aus dem Unglück erwächst, wie sie soeben beschrieben wurde, haben sie nämlich nicht ihrer Liebe als einem eignen Verdienst zu verdanken. Wir wissen ja, dass in den Fragen des Heils die Menschen den Anfang nur zu gern in sich selbst suchen und an Vorbereitungen aus ihrem eignen Entgegenkommen glauben, auf welche Gottes Gnade sich dann gründen soll. Im Gegensatz dazu lehrt Paulus, dass die, welche Gott lieben, zuvor von ihm erwählt sind. Dass den Heiligen alles zum Besten dienen muss, dafür ist die erste und letzte Ursache ihre Annahme zur Gotteskindschaft aus freier Gnade. Die Heiligen können Gott nicht lieben, ehe sie nicht von ihm berufen sind. Wie es an einer andern Stelle (Gal. 4, 9) heißt: Die Christen konnten Gott erkennen, weil sie von ihm erkannt sind. Gewiss ist es wahr, dass nur denen alle Dinge zum Besten dienen, die Gott lieben. Aber ebenso wahr ist auch das Wort des Johannes (1. Joh. 4, 19), dass wir dann erst Gott lieben, wenn er uns zuvor geliebt hat. An unserer Stelle erinnert Paulus auch aus dem Grunde an Gottes ewige Erwählung, auf welcher unser ganzes Heil ruht, um den Übergang zu dem zu gewinnen, was er alsbald sagen will, dass nämlich der gleiche ewige Ratschluss Gottes auch die Leiden für uns bestimmt habe, die uns Christus gleich machen sollen. Denn es ist des Apostels Absicht, eine innerlich notwendige Verknüpfung zwischen unserer Seligkeit und dem Kreuze herzustellen, welches wir zu erdulden haben.

V. 29. Denn welche er zuvor ersehen hat. Jetzt muss also die zusammenhängende Kette der ewigen Gnadentaten Gottes den Beweis dafür liefern, dass alle Trübsal der Gläubigen nichts anderes ist als die Außenseite des verborgenen Gotteswirkens, welches uns in Christi Bild gestaltet. Dass wir durchaus in Christi Bild gestaltet werden müssen, hatte ja der Apostel schon früher gesagt (V. 17). So dürfen wir über der Bitterkeit und Last der Trübsal nicht müde werden. Oder wollten wir uns beklagen, dass Gott uns erwählt und zum ewigen Leben bestimmt hat? Wollen wir uns darüber betrüben, dass uns das Bild des Sohnes Gottes aufgeprägt werden soll, welches doch die Vorstufe der himmlischen Herrlichkeit bedeutet? Gottes „Zuvorersehung“, von welcher Paulus hier spricht, ist nun nicht ein bloßes Zuvorwissen, wie einige unerfahrene Geister behaupten, sondern der ewige Willensentschluss Gottes, kraft dessen er uns zu seinen Kindern ausersieht und für immer von den Verworfenen absondert. In demselben Sinne sagt Petrus (1. Petr. 1, 1.2), dass die Gläubigen erwählt seien zur Heiligung des Geistes „nach der Vorsehung Gottes“. Daraus zieht man vielfach den törichten Schluss, dass Gott diejenigen erwählt habe, von denen er voraussah oder voraus wusste, dass sie seiner Gnade würdig sein würden. Aber Petrus wollte doch unmöglich den Gläubigen eine Schmeichelei sagen, als ob sie auf Grund ihres eignen Verdienstes erwählt wären! Er wollte vielmehr ihnen alles Verdienst nehmen und sie auf den ewigen Gnadenrat Gottes weisen. – Wenn Paulus nun fortfährt: die hat er auch verordnet, so wollen diese Worte zunächst nicht für eine allgemeine Theorie verwertet, sondern im engsten Zusammenhange mit ihrem Nachsatz verstanden sein: dass sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes. Der Apostel will sagen: Gott hat beschlossen und verordnet, dass, die er zu seinen Kindern machen will, auch das Bild Christi, seines Sohnes, tragen sollen. Darum heißt es auch nicht kurzweg: „Christus gleich“ -, sondern: „dem Bilde seines Sohnes“. So tritt Christi lebensvolle Gestalt anschaulich vor unsere Seele, wie sie allen Kindern Gottes zum Urbilde dienen soll. In Summa: Die gnädige Annahme zur Gotteskindschaft, in welcher unser Heil besteht, ist untrennbar mit dem andern Ratschluss Gottes verbunden, welcher bestimmt, dass wir das Kreuz tragen sollen. Niemand kann ein Himmelserbe werden, er wäre denn zuvor dem eingeborenen Sohne Gottes gleich gestaltet worden. Auf dass derselbe der Erstgeborene sei. Ist Christus unter allen Kindern Gottes der Erstgeborene, so müssen wir auf sein Vorbild schauen und dürfen uns nicht weigern, alles auf uns zu nehmen, was er doch willig getragen hat. Das folgt aus dem Recht und der Würdestellung, welche der himmlische Vater seinem Sohne übertragen hat. Mag nun die besondere Lage der Frommen eine durchaus verschiedene sein, wie ja auch die Glieder eines Leibes gar mannigfaltig sind, so hat doch jedes einzelne Glied seinen Zusammenhang mit dem Haupte. So ist auch Christus unser Haupt und hält uns unter seiner Herrschaft als Bruderschaft zusammen.

V. 30. Welche er aber verordnet hat, die hat er auch berufen. Der Apostel will mit vollster Deutlichkeit beweisen, dass tatsächlich die Gleichgestalt mit Christi Niedrigkeit uns zur Seligkeit führen muss. Deshalb führt er uns von diesem Tiefpunkte die Stufen zur Höhe empor. So müssen wir einsehen, dass mit der Berufung, Rechtfertigung und endlich mit der Verherrlichung die Genossenschaft des Kreuzes untrennbar verbunden ist. Um aber den Sinn unseres Satzes richtig zu verstehen, dürfen wir wiederum nicht vergessen, dass das Wort „verordnen“ nicht auf die Erwählung im Allgemeinen zielt, sondern auf jenen Rat und Beschluss Gottes, welcher den Seinen das Kreuz auferlegte. Wenn der Apostel sagt, dass die zum Tragen des Kreuzes bestimmten Auserwählten nun auch von Gott berufen seien, so sehen wir daraus, dass Gott seinen Ratschluss über sie nicht in sich verschlossen, sondern geoffenbart hat, damit sie nun das ihnen auferlegte Los mit ruhigem Gleichmut tragen könnten. Die Berufung wird nämlich mit der verborgenen Erwählung zusammengefasst und zugleich als ein von ihr abhängiges Stück von derselben unterschieden. Damit also niemand sagen könne, man wisse ja überhaupt nicht, welches Los Gott jedem Menschen zugedacht habe, so lehrt der Apostel, dass Gott durch die Berufung eine öffentliche Auskunft über seinen geheimen Ratschluss gibt. Dies Zeugnis besteht aber nicht bloß darin, dass Gott das Wort äußerlich predigen lässt: vielmehr begreift die „Berufung“ auch ein inneres Wirken des Geistes in sich. Denn hier ist von den Auserwählten die Rede, welche Gott nicht nur mit seinem Worte zu sich ruft, sondern auch innerlich zu sich zieht. Welche er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht. Dieses „Gerechtmachen“ ließe sich dem Zusammenhange nach recht wohl auf die gesamte Gnadenwirkung Gottes deuten, welche unser Leben von der Berufung bis zum Tode durchzieht. Weil aber Paulus das betreffende Wort im ganzen Brief für die gnädige Zurechnung der Gerechtigkeit braucht, so werden wir auch hier schwerlich von diesem Sinne abgehen dürfen. Ist doch die Absicht der ganzen Ausführung, uns einen kostbareren Ersatz zu bieten, um dessen willen wir die Leiden nicht mehr fliehen dürfen. Was aber ist kostbarer und wünschenswerter, als mit Gott versöhnt zu werden, so dass nun unser Elend nicht mehr ein Zeichen der Verdammnis ist und nicht mehr zum Verderben führt? Welche er aber hat gerecht gemacht, die hat er auch herrlich gemacht. Das gilt von denen, welche jetzt das Kreuz drückt! Sorge und Schande bedeutet also keinen Verlust mehr für sie. Diese Verherrlichung ist uns zwar nur erst in Christus, unserm Haupte, geschenkt; weil wir aber in ihm gewissermaßen die Erbschaft des ewigen Lebens schon wie mit Augen sehen, so erwächst daraus eine solche Gewissheit unserer Herrlichkeit, dass unsere Hoffnung schon als ein gegenwärtiger Besitz zu achten ist. So darf Paulus von der Zukunft bereits reden, als wäre sie Gegenwart. Mag vor der Welt mancherlei Leid den Glanz unserer Herrlichkeit verdunkeln: vor Gott und seinen Engeln strahlt er hell und klar. Diese ganze Steigerung will uns also einprägen, dass die Anfechtungen des Glaubens, welche uns jetzt demütigen, nur dazu dienen, uns zur Herrlichkeit des Himmelreichs und zum Auferstehungsleben des Christus hinanzuführen, mit welchem wir jetzt gekreuzigt werden.

31 Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? 32 Welcher auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschont, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? 33 Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der da gerecht macht. 34 Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns.

V. 31. Was wollen wir nun hierzu sagen? Jetzt ist die zur Verhandlung stehende Frage vollständig erörtert. Da drängen sich dem Apostel Freudenrufe auf die Lippen. Solche Geistesgröße ziemt den Frommen, wenn Widrigkeiten sie zur Verzweiflung treiben wollen! Hier lässt sich lernen, dass der Glaube an Gottes Gnade eine unbesiegliche Tapferkeit verleiht, welche alle Anfechtungen überwindet. Bilden sich die Menschen ihr Urteil über Gottes Liebe oder Hass gewöhnlich nur nach dem Befunde ihrer gegenwärtigen Erfahrungen, werden sie also im Unglück von Traurigkeit erfüllt und verlieren alle Zuversicht und jeden Trost -, so erhebt Paulus dagegen seine Stimme: höher empor! Es ergeben sich verkehrte Folgerungen, wenn wir unsere Gedanken bei dem Schauspiel des gegenwärtigen traurigen Kampfes verweilen lassen. Mag man mit Recht Gottes Züchtigungen sonst als Zeichen seines Zorns betrachten: weil aber Christus alles in Segen wandelt, darum sollen die Gläubigen doch vor allem andern Gottes Liebe darin greifen. Durch diesen Schild gedeckt, werden sie aller Übel spotten. Hier ist unsere eherne Mauer: ist Gott uns gnädig, so sind wir gegen alle Gefahren geschützt. Dabei sagt der Apostel nicht, dass kein Übel uns treffen werde -, aber er verheißt uns den Sieg über jeglichen Feind.

Ist Gott für uns. Das ist die wesentlichste, ja die einzige Stütze, die uns in jeder Versuchung aufrechterhält. Denn wenn wir keinen gnädigen Gott haben, so kann uns das größte Glück nicht zu fröhlicher Zuversicht verhelfen. Dagegen ist Gottes Gnade ein unerschöpflicher Trost in aller Trübsal, ein starker Schutz, der jedes Ungewitter aushält. Zahlreiche Sprüche der Schrift zeugen von diesem kühnen Vertrauen der Heiligen allein auf Gottes Kraft, welches ihnen Mut gibt, alles Widerstandes dieser Welt zu spotten. Ps. 23, 4: „Ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir.“ Ps. 56, 5: „Auf Gott will ich hoffen, und mich nicht fürchten; was sollte mir Fleisch tun?“ Ps. 3, 7: „Ich fürchte mich nicht vor viel Tausenden, die sich umher wider mich legen.“ Dazu viele andere Sprüche mehr. Es gibt ja keine Macht im Himmel und auf Erden, welche dem Arm des Herrn widerstehen könnte. Darum, wenn Gott für uns kämpft, so zittern wir vor keinem Angriff. Das eigentliche Zeichen wahren Gottvertrauens ist, dass wir, zufrieden mit seinem Schutze, nichts fürchten und nie den Mut verlieren. Erschüttert mag der Mut der Gläubigen oft werden, aber nie gebrochen. Alles in allem: der Apostel will uns einprägen, dass ein gläubiger Sinn sich am inneren Zeugnis des Heiligen Geistes aufrichtet und nicht von äußeren Widerfahrnissen abhängig macht.

V. 32. Welcher auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschont. Weil der Apostel uns eine völlige Liebe zu Gott und ein unerschütterliches Zutrauen zu seiner väterlichen Barmherzigkeit einflößen will, erinnert er an den Preis unserer Erlösung. So muss es ja wohl feststehen, dass wir einen gnädigen Gott haben. Welch einziger und leuchtender Beweis unermesslicher Liebe, dass Gott sich nicht bedacht hat, seinen Sohn für unser Heil zu opfern! Und hat Gott dies Teuerste, Kostbarste und Größte dahingegeben -, sollten wir nicht das viel Geringere von ihm erwarten dürfen, dass er auch in allen großen und kleinen Anliegen des Lebens für uns sorgt? Dieser Spruch stellt uns den ganzen Reichtum vor die Seele, welchen unser Herr Christus mit sich führt. Er ist das Unterpfand der unergründlichen Liebe Gottes gegen uns: darum hat ihn Gott nicht bloß und leer zu uns gesandt, sondern beladen mit allen Schätzen des Himmels. Wer ihn hat, dem wird nichts an seinem Glücke fehlen. Dahingegeben hat aber Gott seinen Sohn, nämlich in den Tod.

V. 33. Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Der entscheidende Grund, auf welchem Geduld und Sicherheit in allen Widerwärtigkeiten des Lebens ruht, ist die Gewissheit des Heils. Diesen Grund festzulegen schickt sich der Apostel nunmehr an, um die Gläubigen wider alle Fährlichkeit zu rüsten. Nun stürmen gegen unser Heil zuerst allerlei Anklagen an, und dann wird es durch die nachfolgende Verurteilung vollends vernichtet. Deshalb wendet sich die Rede zuerst gegen die gefährlichen Anklagen. Sie stellt uns vor Gottes Gericht; spricht er uns nun frei, so haftet keine Anklage mehr. – Übrigens zeigt unsere Stelle mit unwidersprechlicher Klarheit, dass im Sinne des Paulus Gott die Sünder „gerecht macht“, wenn er sie mit richterlichem Urteil freispricht und für gerecht erklärt. Denn dieses „gerecht sprechen“ ist hier der Gegensatz zum „verdammen“ (V. 34). Gott schlägt also alle Anklagen wider uns nieder, weil er uns von der Schuld freispricht. Der Teufel, ja auch Gottes Gesetz und unser eigenes Gewissen klagen uns an; aber vor dem Richter, der uns freispricht, wird uns das alles nichts schaden. Kein Widersacher kann unser Heil in Frage stellen, geschweige denn uns völlig rauben. Dabei redet Paulus von den „Auserwählten Gottes“. Seine Leser sollen nicht zweifeln, dass sie zur Zahl dieser Auserwählten gehören. Das gehört zum Inhalt des Glaubens, wie ihn jeder Fromme haben soll. Gott begräbt den Erwählungsratschluss nicht in seinem Herzen, sondern tut ihn kund und lässt ihn lebendig werden: jeder berufene Gläubige darf und soll gewiss sein, dass er ein Auserwählter ist.

V. 34. Wer will verdammen? Wie keine Anklage mehr haftet, wo der Freispruch des Richters vorliegt, so erfolgt keine Verurteilung weiter, wo dem Gesetz Genüge geschehen und die Strafe gezahlt ist. Christus aber hat den Tod auf sich genommen, den wir zu sterben schuldig waren. Er ist an unsere Stelle getreten: so sind wir frei. Wer nun uns noch verdammen will, müsste Christus wieder in den Tod zurückversetzen. Er aber ist nicht bloß gestorben, ja vielmehr, er ist auch auferweckt, hat durch seine Auferstehung sich als Sieger erwiesen und hat einen Triumph gefeiert über den Tod. Und der Apostel sagt noch mehr: welcher ist zur Rechten Gottes. Also er hat das Regiment über Himmel und Erde angetreten und besitzt Gewalt und Macht über alle Dinge (vgl. auch Eph. 1, 20). Zuletzt heißt es: und vertritt uns. Deshalb sitzt er zur Rechten des Vaters, um in alle Ewigkeit für unser Heil ein Fürsprecher zu sein und uns zu vertreten. Wer also uns verdammen will, muss nicht bloß Christi Tod ungeschehen machen, sondern auch den Kampf aufnehmen mit seiner unvergleichlichen Kraft, welche der Vater ihm geschenkt hat, als er ihn in die Herrschaft über den Weltkreis einsetzte. Daher die fröhliche Heilsgewissheit der Frommen, mit welcher sie des Teufels, des Todes, der Sünde und der Pforten der Hölle spotten dürfen! Unser Glaube ist nichts, wenn wir nicht ganz gewiss sind, dass Christus uns gehört und wir durch ihn einen gnädigen Vater haben. Nichts ist also verderblicher und so tödlich für den Glauben, wie die weit verbreitete Lehre, dass man seiner Seligkeit nicht gewiss werden könne und dürfe. Dass Christus für uns eintritt, verscheucht alles Zittern vor seiner göttlichen Majestät. Der auf Gottes Thron sitzt und alles unter seine Füße tritt, ist doch unser Mittler und freundlicher Fürsprecher. Warum sollten wir uns fürchten? – Übrigens muss man sich von dieser Fürbitte Christi keine fleischlichen Vorstellungen machen. Wir dürfen uns nicht vorstellen, dass Christus mit ausgebreiteten Händen etwa vor dem Vater auf den Knien läge. Wir haben hier nur eine anschauliche Form für den Gedanken: Christus steht vor Gottes Angesicht mit seinem Tod und seiner Auferstehung; damit tritt er für uns ein und erzielt die Wirkung, dass wir nun einen versöhnten Gott haben, der unsere Gebete erhört.

35 Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Fährlichkeit oder Schwert? 36 wie geschrieben steht: „Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.“ 37 Aber in dem allem überwinden wir weit um deswillen, der uns geliebt hat.

V. 35. Wer will uns scheiden usw. Nun überträgt sich die Gewissheit des Heils auch auf das irdische Leben. Denn wer gewiss sein darf, in Gottes Gnade geborgen zu sein, kann unter dem schwersten Druck aufrecht stehen. Nur darum ist ja das Unglück für die Menschen eine so entsetzliche Qual, weil sie nicht daran denken, dass Gottes Vorsehung es ihnen schickt oder weil sie es für ein Anzeichen des göttlichen Zornes halten, oder weil sie glauben, von Gott verlassen zu sein, oder weil sie kein gutes Ende absehen oder weil sie nicht nach einem besseren Leben trachten usw. Lässt aber die Seele alle solche Verkehrtheiten fahren, so wird bald Ruhe und Friede bei ihr einkehren. Paulus will also sagen. mag geschehen was will, so sollen wir in diesem Glauben feststehen, dass der Gott, der uns einmal seine Liebe zugewandt hat, nie aufhören wird für uns zu sorgen. Dabei heißt es nicht einfache: Es gibt nichts, was Gott von seiner Liebe zu uns abbringen könnte. Nein, er will, dass die lebendige Empfindung seiner Liebe in uns solche Kraft habe, dass sie in aller Finsternis der Trübsal als ein helles Licht Bestand behält. Wie der Nebel uns den klaren Anblick der Sonne entzieht, aber uns doch des Sonnenlichtes nicht ganz beraubt, so sendet Gott in Widerwärtigkeiten mitten durch das Dunkel die Strahlen seiner Gnade, damit die Anfechtung uns nicht in Verzweiflung stürze. Ja, unser Glaube hat gewissermaßen Gottes Verheißungen zu Flügeln zu nehmen und soll so durch allen Widerstand aufwärts bis in den Himmel dringen. Das Unglück, an sich betrachtet, ist gewiss ein Anzeichen des Zornes Gottes, aber wenn wir Verzeihung und Versöhnung empfangen haben, wird Gott ohne Zweifel seiner Gnade nicht vergessen, auch wenn er uns züchtigt. Er erinnert uns durch die Trübsal daran, was wir wohl verdient hätten, aber er zeigt doch zugleich, dass er für unsere Seligkeit besorgt ist, indem er uns zur Buße leitet. – Der Apostel redet von der Liebe Christi, weil in ihm der Vater uns sein Herz erschlossen hat. Außer Christus ist die Liebe Gottes nicht zu suchen. Darum führt uns der Apostel an die rechte Quelle: in den Strahlen der Gnade Christi soll unser Glaube das freundliche Angesicht des Vaters schauen. Die Hauptsache ist also, dass in keinerlei Unglück der Glaube erschüttert werden kann: ist Gott uns gnädig, so ist uns nichts zuwider!

Einige Ausleger verstehen unter der „Liebe Christi“ unsere Liebe zu Christus; sie meinen also, Paulus wollte uns hier zu unüberwindlicher Tapferkeit anspornen. Aber der Zusammenhang macht dies Hirngespinst zunichte, und bald beseitigt Paulus jeden Anstoß, indem er noch deutlicher zeigt, was diese Liebe ist.

Trübsal oder Angst oder Verfolgung. Lauter unpersönliche Dinge, und doch hatte vorher die Frage persönlich gelautet: wer (nicht was) will uns scheiden? Diese Redeweise birgt einen eignen Nachdruck. Die Dinge, die wider uns stehen, werden gewissermaßen Personen: soviel Anfechtungen sich wider unsern Glauben erheben, soviel starke Helden wappnen sich gegen uns. Übrigens unterscheiden sich die drei genannten Stücke folgendermaßen: „Trübsal“ sind alle Beschwerden und Mühen. „Angst“ dagegen ist ein inneres Leiden, das quälende Gefühl der vollendeten Ratlosigkeit. Solche Angst war es zum Beispiel, welche den Abraham dazu trieb, sein Weib, den Lot dazu brachte, seine Töchter preiszugeben (1. Mose 12. 11 ff., 19, 8): denn sie sahen in der Verwirrung und Not keinen andern Ausweg. „Verfolgung“ ist die tyrannische Gewalt, welche die Gottlosen den Kindern Gottes ungerechterweise antun.

V. 36. Wie geschrieben steht. Dieses Schriftzitat aus Ps. 44 ist keineswegs überflüssig, sondern sehr treffend. Es gibt uns zu verstehen, dass solche Schrecken des Todes uns nichts Überraschendes sein dürfen: denn es ist überall das Geschick der Knechte Gottes, dass sie den Tod immer vor Augen haben müssen. Damit streitet nicht, wenn die bedrängten Heiligen in jenem Psalm darüber klagen, dass eine ganz ungewöhnliche und unerhörte Verfolgung sie bedrückt. Denn dieselben Heiligen bezeugen auch, dass alle diese Leiden sie unschuldig treffen (Ps. 44, 18 ff.). Daraus ergibt sich doch der Schluss, dass es uns nicht überraschen darf, wenn Gott seine Heiligen ohne ihre Schuld der Wut der Gottlosen ausliefert. Es geschieht dies aber ohne Zweifel zu ihrem Besten. Denn die Schrift lehrt, dass es nicht die Weise des gerechten Gottes ist, den Gerechten mit dem Gottlosen zu töten (1. Mose 18, 25), sondern dass es vielmehr bei Gott recht ist, zu vergelten Trübsal denen, die Trübsal auferlegen, denen aber, die Trübsal leiden, Ruhe zu geben (2. Thess. 1, 6-7). Und des Weiteren sagen die Heiligen im Psalmspruch: um deinetwillen. Also sie leiden für den Herrn. Christus aber preist selig, die um der Gerechtigkeit willen leiden (Matth. 5, 10). Die Wendung: wir werden getötet -, will sagen, dass der Tod ihnen fortwährend droht, so dass dies Leben schon fast dem Tode gleichkommt.

V. 37. In dem allem überwinden wir weit. D. h. wir siegen ob im Streit und tauchen empor aus der Flut. Es geschieht ja zuweilen, dass die Gläubigen zu unterliegen und ganz zerschmettert zu Boden zu sinken scheinen. Denn Gott schickt ihnen nicht bloß Übungen, sondern tiefe Demütigungen. Aber der Ausgang bleibt immer, dass sie den Sieg gewinnen. Woher diese unbesiegliche Kraft stammt, sagen die Worte: um deswillen, der uns geliebt hat. Die Liebe Christi, in welcher Gottes väterliches Erbarmen zur Erscheinung kommt, prägt sich so tief in unsere Herzen ein, dass sie uns aus der Unterwelt ans Licht des Lebens zieht und mit ihrer unverzehrbaren Kraft uns stetig aufrecht hält. Hier wird nun (vgl. Vers 35) völlig deutlich, dass der Apostel nicht von der Liebe redet, die uns hinreißt, Gott zu lieben. sondern von Gottes bzw. Christi Liebe zu uns.

38 Denn ich bin gewiss, dass weder Tod und Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, 39 weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn.

V. 38. Endlich bricht die Rede in einen überschwänglichen Triumphruf aus, um uns zu gleicher Siegesgewissheit fortzureißen. Was auch kommen mag im Leben oder im Tode, wovon man glauben könnte, dass es uns von Gott trennen müsste -, es wird nichts ausrichten! Ja, wenn selbst Engel sich mühen sollten, das Fundament unserer Seligkeit zu zerstören -, sie werden uns nichts anhaben! In der Tat sind ja freilich die Engel Gehilfen des Heiligen Geistes und ausgesandt zum Heil der Auserwählten (Hebr. 1, 14). Aber die majestätische Rede des Apostels setzt einmal das Unmögliche als möglich, wie dies auch Gal. 1, 8 geschieht. Daran mögen wir sehen, wie vor Gottes Herrlichkeit aller andere Glanz erbleichen muss. Nebenher werden die Engel als Fürstentümer und Gewalten bezeichnet. So heißen sie als die erhabenen Werkzeuge der Regierungsgewalt Gottes. Diese beiden Ausdrücke lassen die Rede voller und erhabener klingen, als wenn der Apostel kurzweg von Engeln geredet hätte. Weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges. Wir haben nicht bloß mit dem Schmerz zu ringen, welcher an das gegenwärtige Übel sich hängt, sondern auch mit der Furcht und Sorge, welche drohende Gefahren uns einflößen. Aber wir dürfen gewiss sein, dass auch die längste Dauer der Leiden uns den Glauben an unsere Gotteskindschaft nicht rauben wird. Freilich hört man vielfach die Rede, dass niemand wissen könne, ob er nicht schließlich doch vielleicht abfallen werde. Aber solche Rede zerstört den Glauben ganz und gar. Denn ein Glaube, der nur für die Gegenwart hilft, nicht aber bis zum Tode und über den Tod hinaus, ist kein Glaube. Wir sollen aber Gott zutrauen, dass er das gute Werk, welches er in uns angefangen, vollführen wird bis auf den Tag Christi (Phil. 1, 6).

V. 39. Von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist. Christus ist das Band der göttlichen Liebe. Er ist der geliebte Sohn, an welchem der Vater Wohlgefallen hat. Hängen wir also durch ihn mit Gott zusammen, so dürfen wir des unerschütterlichen und unermüdlichen Wohlwollens Gottes gegen uns unbedingt versichert sein. Hier unterscheidet Paulus deutlicher als zuvor, da er nur von Christi Liebe sprach (V. 35.37): der Vater ist der Liebe Quell, von Christus her aber fließt sie uns zu.

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