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Calvin, Jean - Psalm 95.

Calvin, Jean - Psalm 95.

Inhaltsangabe: Der Verfasser des Psalms, wer er auch sein mag, will die Juden in feierlicher Versammlung ermahnen, den Herrn zu preisen. Dafür bietet er einen zwiefachen Stoff: erstlich, dass Gott die Welt geschaffen hat und mit seiner Kraft erhält; zum andern, dass er aus freier Gnade die Gemeinde zu seinem Eigentum angenommen. Da aber von vielen Lippen ein geheucheltes Lob erklang, ergeht zugleich die Mahnung, dass das Volk aufrichtig und ernstlich sich ganz dem Herrn ergeben und mit seinem Leben beweisen solle, dass er nicht vergeblich erwählt sei. Um ihnen alle Heuchelei auszutreiben, erinnert er daran, dass die Väter seit Anbeginn dem Herrn undankbar und ungehorsam waren und eine schreckliche Strafe dafür empfingen. Dies sollte für die Nachkommen ein abschreckendes Beispiel sein, damit sie nicht in die Fußstapfen dieser Widerspenstigkeit treten.

1Kommt herzu, lasst uns dem Herrn frohlocken, und jauchzen dem Hort unsers Heils! 2Lasset uns mit Danken vor sein Angesicht kommen, und mit Psalmen ihm jauchzen! 3Denn der Herr ist ein großer Gott, und ein großer König über alle Götter. 4Denn ist seiner Hand ist, was unten in der Erde ist, und die Höhen der Berge sind auch sein. 5Denn sein ist das Meer, und er hat´s gemacht; und seine Hände haben das Trockne bereitet.

V. 1. Kommt herzu usw. Dieser Psalm passt für den Sabbattag, an welchem bekanntlich vornehmlich die heiligen Versammlungen zum Lobe Gottes gehalten wurden. Denn der Sänger ermahnt hier nicht jeden einzelnen Frommen, Gott für sich zu preisen, sondern will, dass dies in öffentlicher Versammlung geschehe. So lernen wir, dass der äußere Gottesdienst nicht in toten Zeremonien besteht, sondern vornehmlich in dem Opfer des Lobes. In dem hebräischen Wort, welches wir übersetzen: „Kommt herzu!“ – liegt zugleich eine Erinnerung, dass dies eilig, also diensteifrig geschehen solle. Dies wollen wir uns wohl einprägen, da ja unsere angeborene Trägheit sich besonders groß zeigt, wenn Gott uns ruft, ihm Dank zu sagen. Ganz besonders musste sich das Volk durch den Aufruf zum Eifer erweckt fühlen (V. 2): Lasset uns vor sein Angesicht kommen! Kann es doch nichts Erwünschteres geben, als dem gegenwärtigen Gott ein Opfer zu bringen, das ihm nach seiner eigenen Erklärung angenehm ist. Denn diese Redeweise besagt etwa, dass Gott als Zeuge zugegen ist. So darf niemand glauben, seine Mühe verschwendet zu haben.

V. 3. Denn der Herr ist ein großer Gott. Diese Worte erinnern, dass reichlicher Stoff vorhanden ist, den Herrn zu loben: so bedarf er der lügenhaften Schmeicheleien nicht, welche Redner Königen darzubringen pflegen. Dieser Erhebung der Größe Gottes enthält eine Spitze gegen alle falschen Götzen, die Menschen sich erdacht haben. Wissen wir doch, dass die Welt immer von einem Götterschwarm erfüllt war, worauf das Wort des Paulus deutet (1. Kor. 8, 5), dass auf Erden viele sind, die Götter genannt werden. Sollte sich aber jemand wundern, dass der Gott Israels ein großer König über alle Götter der Heiden genannt wird, da ja ein Götze nichts ist, - so antworte ich, dass der Satz des Propheten eben alle eitlen Irrtümer der Menschen niederschlagen will, die sich törichter Weise Götter nach Belieben machen. Gern gebe ich auch zu, dass unter dem Namen „Götter“ Engel gemeint sein können, die zwar nicht Götter sind, aber nahe daran grenzen und durch maßlose und abergläubische Bewunderung der Menschen leicht auf diese Stufe erhoben werden. Der Prophet will also sagen, dass Gottes Erhabenheit weit über alle himmlische Herrlichkeit und über alles geht, was sonst göttlich ist, - nicht minder wie über alles irdische Gebilde. Zum Erweis der Größe Gottes wird uns das Schöpfungswerk vor Augen gestellt (V. 5): seine Hände haben alles bereitet und regieren es. Denn dass (V. 4) in seiner Hand liegt, was unten in der Erde ist, will besagen, dass es durch seine Vorsehung regiert wird und seinem Regiment gehorchen muss. Andere übersetzen: „die Grenzen der Erde.“ Aber es sind vielmehr ihre Tiefen gemeint, im Gegensatz zu den Höhen der Berge.

6Kommt, lasst uns anbeten und knieen und niederfallen vor dem Herrn, der uns gemacht hat. 7Denn Er ist unser Gott, und wir das Volk seiner Weide und Schafe seiner Hand, - heute, da ihr seine Stimme höret.

V. 6. Kommt, lasst uns usw. Weil der Prophet jetzt das auserwählte Volk zur Dankbarkeit dafür ermahnt, dass es durch Gottes freie Gnade über alle Heiden erhoben ward, wird die Rede eindringlicher. Gibt uns doch Gott noch reicheren Stoff, ihn zu loben, indem er dieser geistlichen Ehre uns würdigt und uns ohne unser Verdienst allen Sterblichen vorzieht. Um also die Kinder Abrahams zur vollen Hingabe an ihn aufzurufen, drückt der Dichter ein und dieselbe Sache mit drei Worten aus: Lasst uns anbeten und knieen und niederfallen. Gewiss ist die Verehrung Gottes, von der hier geredet wird, so bedeutungsvoll, dass sie alle unsere Regungen in ihren Dienst zwingen sollte: hier aber wird noch besonders die väterliche Gunst herausgehoben, mit der Gott allein die Kinder Abrahams umfing, um sie mit der Hoffnung auf ein geistliches und ewiges Leben zu seinen Kindern zu machen. Auch dies ist bemerkenswert, dass hier nicht bloß von der Dankbarkeit des Herzens die Rede ist, sondern dass zugleich das äußere Bekenntnis der Frömmigkeit gefordert wird. Denn die drei Worte wollen besagen, dass die Gläubigen ihre Pflicht nicht vollständig tun, wenn sie sich nicht öffentlich, durch Kniebeugung und andere Zeichen, dem Herrn zum Opfer darbringen. Dass sie vor dem Herrn, buchstäblich: vor seinem Angesicht, erscheinen, erklärt sich aus der Gewohnheit des gesetzlichen Kultus, in welchem sich das Volk vor der Bundeslade niederwarf. Dabei gilt aber immer die Einschränkung, dass die Gläubigen ihre Augen zum Himmel erheben und den Herrn in geistlicher Weise verehren sollen.

V. 7. Denn er ist unser Gott. Obgleich das ganze Menschengeschlecht zu eben diesem Zweck geschaffen wurde, so heißt doch mit gutem Grunde die Gemeinde eine Pflanzung des Herrn zu seinem Preise (Jes. 61, 3). So fordert denn der Prophet die beschriebene Pflicht insbesondere von dem auserwählten Volk. Das ist auch der Grund, weshalb er die Kinder Abrahams an das unschätzbare Vorrecht erinnert, dessen Gott sie gewürdigt hatte, als er sie in seine Obhut nahm. Was hier steht, lässt sich in einem gewissen Sinne auf das ganze Menschengeschlecht ausdehnen: aber es ist gewiss, dass Gott der Hirt seiner Gemeinde heißt, nicht sofern er sie, wie unterschiedslos alle Sterblichen, nährt, erhält und leitet, sondern weil er sie von der ganzen Welt unterschieden hat, um sie an seinem väterlichen Busen zu hegen. Das Volk seiner Weide ist also dasjenige, welches Gott mit besonderer Fürsorge schützt und mit allerlei Wohltaten geleitet. Als Schafe seiner Hand werden sie bezeichnet, nicht nur weil Gott sie sich gebildet hat, sondern insbesondere weil er sie mit seiner Hand leitet. Das will nicht geradezu sagen, dass er die Hilfe von Menschen verschmähte: hat er doch Propheten, Richtern und nachmals Königen die Leitung seines Volkes anvertraut. Aber der Prophet will ausdrücken, dass Gott hier nicht bloß mit seiner allgemeinen Vorsehung waltet, sondern in besonders vertrauter Weise des Hirtenamtes pflegt.

Heute, da ihr seine Stimme höret. Nach dem hebräischen Texte schließt sich dieser Satz etwa wie eine Bedingung an den vorigen: nur dann wird das Volk im Besitz seiner Würde und seines Vorrechtes bleiben, wenn es im Gehorsam gegen Gott verharrt. Die griechische Übersetzung verbindet freilich den Satz mit dem nächsten: „Heute, so ihr seine Stimme höret, so verstocket euer Herz nicht!“ In der Tat ein trefflicher Zusammenhang. Bleibt man aber bei der Abtrennung des hebräischen Textes, so kann die Meinung auch die sein, dass die Kinder Abrahams deshalb Schafe der Hand Gottes sind, weil er sein Gesetz wie einen Hirtenstab in ihrer Mitte aufgerichtet hat und sich dadurch als Hirten erweist. So hätten wir es nicht im strengen Sinne mit einer Bedingung, sondern mit einer Erläuterung zu tun. Es wäre nicht zu übersetzen: „wenn“, sondern „da“. Der Sinn wäre der: Das Unterscheidungszeichen zwischen Heiden und Juden besteht darin, dass Gott an die letzteren seine Stimme gerichtet hat; wie es anderwärts heißt (Ps. 147, 20), dass er solches den andern Völkern nicht getan habe. Hatte doch bereits Mose ausgesprochen (5. Mos. 4, 6 f.), dies sei Israels Vorzug vor den Heidenvölkern, dass Gott sich zu ihm so nahe getan habe, wie sonst zu keinem Volk. Es ist ja bekannt, dass die Propheten viel von Mose entlehnt haben. Das Wort „heute“ vollzieht einen sehr nachdrücklichen Hinweis. Die Juden sind Gottes Volk, da sie seine Stimme hören: das Zeugnis dafür braucht man nicht weit suchen, sondern hat es gegenwärtig vor Augen. Andere übersetzen: „Dass ihr heute seine Stimme hören möchtet!“ Aber das dürfte gezwungen sein.

8Verstocket euer Herz nicht, wie zu Meriba geschah, wie am Tage von Massa in der Wüste. 9Da mich eure Väter versuchten, mich prüfeten, und hatten doch mein Werk gesehen. 10Vierzig Jahre hatte ich Mühe mit diesem Geschlecht, und sprach: Es sind Leute, deren Herz immer den Irrweg will, und die meine Wege nicht lernen wollen; 11dass ich schwur in meinem Zorn: Sie sollen nicht zu meiner Ruhe kommen.

V. 8. Verstocket euer Herz nicht usw. Weil die Juden hartnäckig waren und nicht leicht gehorchten, schließt sich an den Lobpreis der Gnade Gottes und seines Hirtenamtes eine entsprechende Mahnung, dass sie sich durch Gelehrigkeit und sanftmütige Hingabe als eine Herde seiner Schafe erweisen möchten. Um ihnen ans Herz zu greifen, hält ihnen der Prophet die Widerspenstigkeit der Väter vor. Der Satz ließe sich nach dem hebräischen Wortlaut allenfalls wiedergeben: „wie im Streit geschah, am Tage der Versuchung in der Wüste.“ Aber es ist ja kein Zweifel, dass die Worte Meriba und Massa Eigennamen sind, die an ein geschichtliches Ereignis erinnern (2. Mos. 17, 2. 7). Die Verhärtung des Volks wird mit mehreren Worten beschrieben, und um des Nachdrucks der Rede willen wird Gott selbst redend eingeführt. Unter der Verstockung des Herzens versteht der Prophet ohne Zweifel jede Verachtung des Wortes Gottes, die freilich in sehr verschiedenen Formen auftreten kann. Denn wenn dasselbe dargeboten wird, hören die einen recht gleichgültig zu, die andern speien es verächtlich und überdrüssig von sich, andere verwerfen es mit Stolz, andere zerreißen es wütend unter Schmähungen und Lästerungen. Diese Trägheit und jenen Überdruss, diesen Spott und jene Wut fasst der Prophet in das einzige Wort zusammen: sie verstocken ihr Herz. Denn unser Herz kann solange nicht als weich und biegsam gelten, als wir nicht die göttliche Lehre mit Ehrfurcht und einer zum Gehorsam bereiten Ergriffenheit annehmen. Hat dieselbe bei uns keine Autorität, gilt der Herr nicht mehr als ein sterblicher Mensch, so verrät sich darin eine Verstockung des Herzens, mag dieselbe nun aus Gleichgültigkeit, aus Überdruss oder aus Auflehnung hervorgehen. Der Prophet bedient sich absichtlich eines hässlichen und starken Ausdrucks, um die Verachtung des göttlichen Wortes desto abscheulicher erscheinen zu lassen: so werden im Gesetz als Ehebruch allerlei Hurereien und unsaubere Begierden verdammt, als Totschlag jede Vergewaltigung, Beleidigung, Hass und Streit. So heißt es von jedem Verächter und unaufmerksamen Hörer des göttlichen Wortes, auch wenn er dasselbe nicht ganz offenkundig verwirft, dass er ein verstocktes oder steinernes Herz habe. Lächerlich ist es, diese Stelle als einen Beweis für den freien Willen verwenden zu wollen. Erstlich müssen wir nämlich bedenken, dass alle Menschenherzen von Natur steinern sind. Beschränkt doch die Schrift, wenn sie von steinernen Herzen redet, den Fehler nicht auf wenige Menschen, sondern deutet im Allgemeinen auf die Beschaffenheit der menschlichen Natur. Weiter: obwohl diese Verkehrung uns angeboren ist, liegt sie doch in unserem Willen, und wir sind nicht empfindungslos wie Steine. Wer also von Gottes Wort sich nicht leiten lässt, verstockt sein schon vorher steinernes Herz und muss sich von seinem eigenen Gefühl der Widerspenstigkeit zeihen lassen. Daraus folgt aber nicht, dass wir es in der Hand haben, unser Herz weich zu machen und nach dieser oder jener Seite zu biegen: denn die Verderbnis der Natur bringt es mit sich, dass der ganze Wille des Menschen sich zum Bösen neigt und heftig getrieben fühlt. Dennoch verstockt ein jeder sich selbst, so oft er dem Herrn den Gehorsam verweigert: denn die Schuld unserer Bosheit können wir nicht anderswohin abschieben.

V. 9. Da mich eure Väter versuchten. Wie schon gesagt, gibt der Prophet zu verstehen, dass die Juden seit Anbeginn verkehrten Geistes und beinahe unlenkbar waren. Es war nun aus einem doppelten Grunde nützlich, das Vergehen der Väter den Kindern in Erinnerung zu bringen. Einmal wissen wir, wie leicht man in ihre Fußstapfen tritt und mit ihnen zu Fall kommt: was eine langjährige Gewohnheit war, scheint erlaubt; was alt ist, erscheint ehrwürdig. Hat man doch im Papsttum die Autorität der Väter gar gegen Gottes Wort gesetzt. Der andere Grund ist, dass die Israeliten die Notwendigkeit der gegebenen Ermahnung sollten einsehen lernen. Hätten nicht bereits die Väter sich des Aufruhrs schuldig gemacht, so hätte der Einwand nahe gelegen: Warum ermahnst du uns, unser Herz nicht zu verstocken, da doch unser Geschlecht sich bisher gelehrig und nachgiebig gezeigt hat? Da aber die Väter seit Anbeginn hart und widerspenstig waren, hat der Prophet guten Grund, wider diesen Fehler zu kämpfen. Dass die Väter den Herrn prüfeten, will sagen, dass sie das sündhafte und unerlaubte Begehren vorbrachten, er möge doch beweisen, was er könne. Darüber beklagt sich der Herr mit Recht, da er ja so herrliche Erweise seiner Macht bei ihnen gegeben hatte: und hatten doch mein Werk gesehen. So bedurfte es keiner neuen Erprobung. In jedem Falle hätten die Juden mit der Frage, warum ihnen Gott nicht Speise und Trank gebe, eine ungebändigte Gier verraten. Nun er aber mit ausgereckter Hand sie aus Ägypten geführt und ihnen seine Nähe mit so leuchtenden Zeugnissen bewiesen hatte, bedeutet die sündhafte Vergesslichkeit, in der sie an seiner Gegenwart zweifeln, als hätte er sich verborgen, eine weitere Steigerung ihres Verbrechens. Eine auch für uns beherzigenswerte Lehre! Je handgreiflicher Gottes Gnade und Macht sich uns bezeugt hat, umso schlimmer ist unsere Unfrömmigkeit, wenn wir den Herrn an neuen Erweisen prüfen wollen. Sehen wir doch, dass viele heutzutage nach neuen Wundern schreien, andere mit Gott rechten, wenn er ihren Wünschen nicht gehorcht. Man kann aber fragen, warum der Prophet so viele Geschichten übergeht und nur an Meriba erinnert. Hatten doch die Juden schon seit dem Durchgang durchs Meer unaufhörlich wider Gott gemurrt. Es scheint, als solle der Tadel des einen Verbrechens und das Schweigen über die andern diese entschuldigen. Es müsste aber schon im Allgemeinen einleuchten, dass die Schrift, wie sie es auch sonst tut, gleichsam eine Stichprobe herausgreift. Hier liegt außerdem der besondere Grund vor, dass, wie man aus Moses Bericht ersehen kann, jener Streit wegen des Wassers die Undankbarkeit und Widerspenstigkeit des Volks auf dem höchsten Gipfel zeigte.

V. 10. Vierzig Jahre usw. Noch schlimmer erscheint die verbrecherisch verstockte Bosheit dadurch, dass Gott so lange Zeit erfolglos mit diesem Volk ringen musste. Sonst braust wohl einmal ein frecher Unmut auf, der aber sofort sich legt. Gott aber muss klagen, dass er vierzig Jahre lang mit dem Volk Mühe oder eigentlich Kampf hatte: ein Zeichen unzähmbarer Verkehrtheit. Unter demselben Gesichtspunkt heißt es: mit diesem Geschlecht. Es handelt sich um die Menschen eines einzigen Zeitalters: während ihrer ganzen Lebenszeit ließen sich diese Israeliten, die Gott erlöst hatte, nicht zum Gehorsam bringen. Ein bemerkenswertes Beispiel verzweifelter Verstockung! Darauf trägt der Herr sein Urteil vor, als ob er sagen wollte, dass nach so mannigfaltigen Beweisen unfrommen Sinnes ihre Verblendung mehr als gewiss festgestellt sei: Es sind Leute, deren Herz immer den Irrweg will. Dieser Ausdruck will nicht etwa abschwächen, sondern den Wahnsinn als unheilbar hinstellen. Der Herr gibt zu verstehen, dass er nicht mit vernünftigen und denkenden Menschen zu tun hat, sondern mit unvernünftigen Tieren. Dafür wird auch der Grund beigefügt: die meine Wege nicht lernen wollen. Sie achten nicht auf so viele Werke Gottes und noch weniger auf sein Gesetz. Denn unter diesen Wegen müssen wir sowohl das Gesetz und fortwährenden Erinnerungen verstehen, als auch die Wunder, mit denen Gott sie unterwiesen hatte. Es war also eine unbegreifliche Gedankenlosigkeit, dass man mit geschlossenen Augen an dem allem vorüberging, während doch Gott so freundlich inmitten seines Volkes wohnte und in Wort und Werken seine Herrlichkeit sehen ließ.

V. 11. Dass ich schwur in meinem Zorn usw. Nicht erst, nachdem die Kinder Israel den Herrn in Meriba versucht hatten, wurde ihnen das verheißene Erbe abgesprochen. Und doch schließt sich ganz passend an die Klage über ihre Verstockung der Hinweis, dass ihnen mit gutem Grunde durch Gottes Eid der Eintritt in das Land verwehrt wurde. Denn aus der ununterbrochenen Reihe ihrer Vergehungen ließ sich mehr als deutlich ersehen, dass ihnen wegen ihrer Unverbesserlichkeit die Ruhe Gottes abgeschnitten werden musste. Der Sinn wird klarer, wenn man etwa umschreibt: so dass ich geschworen hatte. Schon vor jenem Hader durchschaute Gott ihre Bosheit und schloss sie vom verheißenen Erbe aus. Dass er aber vom Lande Kanaan sagt: „meine Ruhe“, lässt sich aus der Verheißung verstehen. Abraham und seine Nachkommen waren in diesem Lande Fremdlinge gewesen, bis die rechte Zeit der Besitzergreifung kam. Ägypten war eine Herberge für kurze Zeit und gleichsam eine Verbannung. Da also der Herr bereit, auf Grund seines Bundes die Juden im Lande Kanaan als in ihrem rechtmäßigen Erbe anzusiedeln, nennt er dasselbe seine Ruhe, d. h. die Stätte, da er durch seine Wohltat die Juden auf heimischem Boden und in ruhigen Wohnsitzen ansiedeln wollte. – Wenn der Apostel im Ebräerbrief (3, 7 ff.; 4, 1 ff.) unseren Psalm verwertet, so liegt ihm nicht an einer genaueren Auslegung, sondern er unterstreicht lediglich die Worte „Heute“ und „Ruhe“. Er prägt ein, dass dieses „Heute“ nicht auf die Zeit des Gesetzes beschränkt, sondern recht eigentlich auf das Evangelium angewendet werden muss, das als eine vollkommenere Offenbarung völlige Aufmerksamkeit verlangt. Da Gott noch immer redet und uns durch Christus täglich zu sich einlädt, müssen wir die Gelegenheit nützen und seiner Stimme gehorchen. Was dann der Apostel über die Ruhe sagt, geht über die Worte des Propheten einigermaßen hinaus. Er setzt nämlich voraus, dass unter der Ankündigung der Strafe sich eine Verheißung verbirgt, die auf eine bessere Ruhe hindeutet, als die im Lande Kanaan war. Denn nachdem die Kinder Israel dorthin eingegangen waren, eröffnet Gott seiner Gemeinde die Aussicht auf eine neue Ruhe. Der Apostel erklärt nun, dass es die Verleugnung unserer selbst ist, durch die es geschieht, dass Gott in uns wirkt und wir von unsern Werken feiern. Dadurch unterscheidet sich der schattenhafte Sabbat des Gesetzes von dem neuen, geistlichen Leben.

Quelle: Müller, Karl / Menges I. - Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift - Psalter

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autoren/c/calvin/calvin-psalmen/psalm_95.txt · Zuletzt geändert: von aj
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