Calvin, Jean - Apostelgeschichte - Kapitel 6.

Calvin, Jean - Apostelgeschichte - Kapitel 6.

1 In den Tagen aber, da der Jünger viel wurden, erhob sich ein Murmeln unter den Griechen wider die Ebräer, darum, dass ihre Witwen übersehen wurden in der täglichen Handreichung. 2 Da riefen die Zwölfe die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es taugt nicht, dass wir das Wort Gottes unterlassen und zu Tische dienen. 3 Darum, ihr lieben Brüder, sehet unter euch nach sieben Männern, die ein gut Gerücht haben und voll heiliges Geistes und Weisheit sind, welche wir bestellen mögen zu dieser Notdurft. 4 Wir aber wollen anhalten am Gebet und am Amt des Worts. 5 Und die Rede gefiel der ganzen Menge wohl, und erwähleten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und heiliges Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen von Antiochien. 6 Diese stelleten sie vor die Apostel und beteten und legten die Hände auf sie.

V. 1. Hier berichtet Lukas, bei welcher Gelegenheit, mit welcher Absicht und in welcher Form zuerst Diakonen oder Armenpfleger gewählt wurden. Es sollte diese Einrichtung ein unter den Jüngern entstandenes Murren stillen, wie das gemeine Sprichwort sagt, dass aus bösen Sitten gute Gesetze entstanden seien. Man könnte sich aber wundern, dass eine so nützliche Einrichtung erst so spät und unter dem Zwang der Verhältnisse geschaffen wurde. Aber auf diese Weise geht alles leichter vor sich, und es wird uns ein besonders nützliches Beispiel gegeben. Die Gläubigen mussten sich durch die Erfahrung überzeugen lassen, dass sie freiwillig ihre Mittel in die Hände andrer legten und Armenpfleger wählten, die sie ja, wie sie selbst sahen, und wie es durch ihre eigene Schuld veranlasst war, nicht entbehren konnten. Wir aber lernen aus dieser Geschichte, dass der Zustand der Gemeinde nicht gleich im ersten Anfang vollkommen und keiner Besserung bedürftig sein kann; ein so ungeheures Gebäude lässt sich nicht an einem Tage fertig stellen, so dass nichts mehr zur Vervollkommnung hinzugefügt werden könnte. Es war eine wahrhaft göttliche Ordnung, von welcher Lukas früher berichtete, dass aller Vermögen dem Herrn geweiht und zu gemeinem Gebrauch ausgeteilt ward, wobei die Apostel als Haushalter Gottes und der Armen der Almosenpflege vorstanden. Kurz darauf aber erhebt sich ein Murren, das jenes Verfahren in Verwirrung bringt. Aber die Apostel haben uns durch ihr Beispiel gelehrt, dass man derartigen Machenschaften des Satans durchaus nicht weichen müsse. Sie fühlen sich nicht durch das Murren beleidigt, so dass sie nun etwa einen Dienst, den sie als Gott wohlgefällig erkannten, abschafften, sondern erdenken vielmehr ein Heilmittel, durch welches der Anstoß gehoben wird und doch Gottes Ordnung bestehen bleibt.
Da der Jünger viel wurden. Nichts ist wünschenswerter, als dass Gott seine Gemeinde mehre und von allen Seiten so viele Glieder wie möglich seinem Volke zuführe; aber unser verderbter Geist verschuldet es, dass das Wachstum der Gemeinde auch viele Missstände hervorruft. In eine große Schar werden sich unvermeidlich viele Heuchler einschleichen, deren Schlechtigkeit erst entdeckt wird, wenn sie schon einen Teil der Herde angesteckt haben. Auch viele unfromme, freche und zügellose Leute schließen sich unter dem Schein bußfertiger Umkehr an. Und, um von vielem andern zu schweigen, in einer großen Menge wird nicht leicht völlige Übereinstimmung herrschen, sondern es werden sich nach Verschiedenheit der Sitten verschiedene Strebungen herausbilden. Um dieses Anstoßes willen wünscht mancher die Gemeinde nur als eine kleine Schar zu sehen und verabscheut oder hasst gar die Menge. Aber keine Beschwerde noch Überdruss soll uns hindern, dass uns stets die Mehrung der Gemeinde und ihre Ausbreitung am Herzen liege, und dass wir, soviel an uns ist, die Einheit mit dem Gesamtkörper pflegen.
Ein Murmeln unter den Griechen wider die Ebräer. Hier sieht man, dass die Leute, denen ein Unterschied des Stammes und Vaterlandes Anlass zum Zwiespalt wird, nicht völlig durch Gottes Geist wiedergeboren waren. Denn in Christus ist weder Jude noch Grieche (Gal. 3, 28): darum schmeckt jene Eifersucht nach Fleisch und Welt. Der weitere Fehler schließt sich an, dass man seine Unzufriedenheit durch Murren kundtut. Übrigens ist ungewiss, ob die Klage berechtigt war. Denn wenn Lukas berichtet, dass die Griechen murrten, darum, dass ihre Witwen übersehen wurden, so gibt er nicht an, was wirklich geschah, sondern nur, was sie meinten.
V. 2. Da riefen die Zwölfe die Menge zusammen. Dass die Apostel sich nicht weiter entrüsteten, ist ein Zeichen von Geduld und Billigkeit; dass sie dem aufwachsenden Übel rechtzeitig begegnen und die Heilung nicht aufschieben, ein Beweis von Klugheit und frommer Fürsorge. Denn wenn Zwiespalt und Streit erst stark werden, lässt sich die Wunde schwer heilen. Die Zusammenrufung der Jünger zeigt, dass die Gemeinde mit Ordnung und Vernunft geleitet wurde: die Apostel besaßen die Autorität, teilten aber dem Volk ihre Ratschläge mit. Bemerkenswert ist auch, dass die Gläubigen als Jünger bezeichnet werden. Muss sich doch an ihnen das Wort des Jesaja erfüllen (54, 13): „Sie werden alle vom Herrn gelehrt sein“ – und die Weissagung des Jeremia (31, 34), dass beide, klein und groß, den Herrn kennen werden.
Es taugt nicht usw. Obgleich das griechische Wort etwa auch besagen könnte: „es beliebt uns nicht,“ ziehe ich doch die gegebene Übersetzung vor. Denn ich glaube, dass die Apostel nicht einfach von ihrem Beschluss reden, sondern angeben wollen, was nützlich ist. Taugt es aber nicht, dass sie mit der Sorge für die Armen sich befassen, so scheinen sie etwas von Schuld darin zu erkennen, dass sie bis jetzt diesen Dienst geleistet haben. Und sicherlich ist das Sprichwort wahr, dass die Übung die Mutter der Klugheit ist. So hat es nichts Anstößiges, wenn die Apostel die Gemeinde um Befreiung von einem Amt ersuchen, von dem sie erfahren haben, dass es für sie nicht passt. War ja etwas von Schuld dabei, so muss man dieselbe mehr den Verhältnissen als ihnen zumessen. Sie haben ja auch nicht begierig die Last an sich gerissen, sondern da man ein anderes Verfahren noch nicht kannte, wollten sie lieber sich über die Maßen beschweren, als die Armen vernachlässigen. Jetzt wälzen sie also ein Amt ab, welches sie an der freien und gründlichen Besorgung der Lehre hindert. Übrigens glaube ich nicht, dass sie die Sorge für die Armen völlig abschüttelten, sondern dass sie nur eine Erleichterung suchten, um sich ihrem eigentlichen Amt widmen zu können. Dabei wird ersichtlich, wie arbeitsreich der Dienst am Wort ist. Er nimmt den Menschen gänzlich gefangen und lässt ihm keine Muße für andere Geschäfte. Wenn man dies recht erwogen hätte, wäre in der Kirche vieles anders eingerichtet worden. Wie vollends will man sich entschuldigen, wenn man weltliche Beschäftigungen um persönlichen Vorteils willen auf sich nimmt, wobei das wichtigste Stück der Verehrung Gottes zurückstehen muss?
V. 3. Sehet unter euch nach Männern usw. Ein „Diakon“ ist seinem Namen nach überhaupt ein Diener, insbesondere aber ein Armenpfleger. Die Erwählung dieser Männer wird nun der Gemeinde überlassen. Denn es ist Tyrannei, wenn irgendein einzelner die Amtsträger nach seinem Belieben anstellt. Die rechte Ordnung ist die, dass man Leute, die ein öffentliches Amt in der Gemeinde übernehmen sollen, durch allgemeine Stimmenabgabe wähle. Die Apostel ordnen aber an, welcherlei Männer man wählen soll: die ein gut Gerücht haben und voll heiliges Geistes und Weisheit sind. So hält man die rechte Mitte zwischen Tyrannei und unordentlicher Freiheit; es geschieht nichts ohne Zustimmung und Genehmigung des Volks; die Hirten aber behalten die Zügel in der Hand, damit der Ansturm des Volks nicht sein Maß überschreite. Bemerkenswert ist dabei das Gesetz, welches den Gläubigen auferlegt wird, dass sie nur einen geeigneten Mann zum Amt bestellen sollen. Denn wir würden den Herrn beleidigen, wollten wir zufällig irgendwelche Leute nehmen, die sein Haus regieren sollen. Mit höchster Gewissenhaftigkeit ist darauf zu achten, dass nur erprobte Leute zum heiligen Dienst der Gemeinde berufen werden. Dass gerade sieben Männer aufgestellt werden, entspricht dem vorliegenden Bedürfnis; man soll dahinter nicht irgendein Geheimnis suchen. Dass diese Männer „voll heiliges Geistes und Weisheit“ sein sollten, verstehe ich dahin, dass von ihnen neben der Ausrüstung mit andern Geistsgaben insbesondre Klugheit gefordert wird, ohne welche sie jenes Amt nicht richtig führen können; sie sollen sich zu hüten wissen sowohl vor der Betrügerei jener Leute, die in starker Neigung zur Bettelhaftigkeit aussaugen, was bedürftigen Brüdern zukommen sollte, als auch vor der Lästerung solcher, die unablässig schmähen auch wo kein Anlass ist.
V. 4. Wir aber wollen anhalten usw. Damit bezeichnen die Apostel die mehr als reichlichen Geschäfte, in denen sie sich während des ganzen Lebens zu üben haben. Dass man an etwas anhält, besagt, dass man sich ganz und gar darein versenkt und sich davon in Anspruch nehmen lässt. Ein Pastor soll also nicht glauben, seiner Pflicht ledig zu sein, wenn er nur eine bestimmte Zeit des Tages der Lehre widmet. Wer sich mit Recht rühmen will, dass er an der Sache anhält, muss noch ganz andern Eifer, Glut und Beständigkeit aufwenden. Die Apostel fügen auch das Gebet hinzu, nicht als ob diese allen Gläubigen gemeinsame Übung ihnen allein zustände, sondern weil sie vor andern besondere Gründe haben zu beten. Soll schon ein jeder für das Heil der ganzen Gemeinde besorgt sein, so muss noch viel mehr der Pastor, dem diese Pflicht namentlich auferlegt ward, ängstlich für dasselbe sich mühen. So hat Mose zwar auch andere zum Gebet ermahnt, ging aber selbst als Bannerträger voran (2. Mos. 17, 11). Und nicht umsonst erinnert Paulus so oft an seine Gebete (Röm. 1, 10). Weiter sollen wir uns stets gegenwärtig halten, dass wir vergeblich pflügen, säen und begießen, wenn das Wachstum uns nicht vom Himmel geschenkt wird (1. Kor. 3, 7). Eifrige Bemühung im Lehren reicht also nicht aus; man muss auch den Herrn um seinen Segen bitten, dass die Arbeit nicht unfruchtbar und vergeblich sei.
V. 5. Stephanus, einen Mann voll Glaubens und heiliges Geistes. Diese Unterscheidung wird nicht etwa gemacht, als wäre der Glaube nicht eine Gabe des Geistes, sondern will besagen, dass Stephanus sich erstlich durch den Glauben auszeichnete, sodann auch durch andere Tugenden, wie Eifer, Klugheit, Geschicklichkeit, brüderliche Liebe, Sorgfalt und ein unantastbares, gutes Gewissen, so dass seine Erfüllung mit der Gnadengabe des Geistes über jeden Zweifel erhaben war. Die andern werden nicht gleicher weise gelobt, weil sie ohne Zweifel nicht auf derselben Höhe standen. Die Alten berichten sogar fast einstimmig, dass der eine der sieben Männer mit jenem Nikolaus identisch war, von dem Johannes in der Offenbarung (2, 15) als von dem Urheber einer schändlichen und verbrecherischen Sekte zu sagen weiß, der die Weibergemeinschaft empfahl. Wenn schon bei der äußersten Vorsicht sein heuchlerisches Wesen nicht bemerkt wurde, dürfen wir gewiss bei der Erwählung von Gemeindebeamten nicht leichtfertig verfahren. Wenn aber bei allem Eifer eine Täuschung unterläuft, darf uns dies nicht allzu sehr erschüttern, da ja nach dem Bericht des Lukas selbst die Apostel diesem Übel unterworfen waren. Freilich könnte jemand fragen: Was nützen also die Ermahnung und das Gebet, da ja der Ausgang zeigt, dass die Wahl nicht völlig vom Geist Gottes gelenkt wurde? Aber es war doch schon etwas Großes, dass der Geist bei der Wahl von sechs Männern das Urteil richtig leitete; dass er beim siebenten die Gemeinde in die Irre gehen ließ, hat nichts Anstößiges. Es ziemt sich, dass wir in mancherlei Weise gedemütigt werden. Vielleicht hat Nikolaus auch eine Zeitlang nützliche Dienste getan und ist erst später in jenen schrecklichen Irrtum gesunken. Je höher also jemand steht, mit desto größerer Bescheidenheit und Furcht soll er sich dem Herrn unterordnen.
V. 6. Und beteten und legten die Hände auf sie. Die Handauflegung war unter dem Gesetz ein feierliches Zeichen der Weihe. Zu diesem Zweck legen jetzt auch die Apostel den Diakonen die Hände auf, damit sie wissen, dass man sie dem Dienst des Herrn weiht. Weil dies aber an sich eine leere Zeremonie wäre, fügt man das Gebet hinzu, in welchem die Gläubigen diejenigen dem Herrn empfehlen, die sie in seinen Dienst stellen. Wir ziehen hier den Schluss, dass die Handauflegung, die bei den Aposteln im Gebrauch war, eine der Ordnung und Würde entsprechende Form ist, die doch in sich selbst nichts wirkt. Kraft und Erfolg hängen allein an Gottes Geist. Dies gilt ja überhaupt von allen Zeremonien.

7 Und das Wort Gottes nahm zu, und die Zahl der Jünger ward sehr groß zu Jerusalem. Es wurden auch viel Priester dem Glauben gehorsam. 8 Stephanus aber, voll Glaubens und Kräfte, tat Wunder und große Zeichen unter dem Volk. 9 Da standen etliche auf von der Schule, die da heißet der Libertiner und der Kyrener und der Alexanderer, und derer, die aus Cilicien und Asien waren, und befragten sich mit Stephanus. 10 Und sie vermochten nicht zu widerstehen der Weisheit und dem Geiste, aus welchem er redete.

V. 7. Noch einmal rühmt Lukas das Wachstum der Gemeinde, um durch den unablässigen Fortschritt Gottes Gnade und Kraft ins Licht zu setzen. Schon dies war ein herrliches Gotteswerk, dass die Kirche plötzlich und gleichsam in einem Augenblick errichtet wurde; aber nicht minder bewundernswert ist es, dass Gott sein angefangenes Werk unter so viel Hindernissen weiterführt und die Zahl der Leute mehrt, welche zu mindern, ja mit Stumpf und Stil auszurotten die ganze Welt sich die äußerste Mühe gibt. Wenn es heißt: das Wort Gottes nahm zu, so ist an seine Ausbreitung zu denken. Gottes Wort kann ja in einem doppelten Sinne zunehmen: einmal, wenn neue Jünger sich zum Gehorsam gegen dasselbe schicken, oder wenn jeder einzelne von uns in demselben Fortschritte macht. Hier spricht Lukas von der ersten Art des Wachstums, wie der sich anschließende Hinweis auf die Zahl der Jünger ersehen lässt. Es ist aber nur von der Zunahme in der einen Stadt Jerusalem die Rede; waren, wie wahrscheinlich, auch anderwärts zerstreute Jünger vorhanden, so gab es doch nur in Jerusalem eine organisierte Gemeinde.
Dass Leute dem Glauben gehorsam werden, ist eine etwas ungenaue Ausdrucksweise; denn unter dem Glauben ist eigentlich Gottes Wort und das christliche Bekenntnis zu verstehen. Insbesondre werden die Priester genannt, die sonst meist feindlich standen: ein umso bewundernswerteres Gotteswerk war die Bekehrung einiger, ja vieler Priester. Denn anfangs trotzten sie gegen Christus selbst mit der beleidigenden Rede (Joh. 7, 48 f.): „Glaubet auch irgendein Oberster an ihn? Sondern das Volk, das nichts vom Gesetz weiß, ist verflucht.“
V. 8. Stephanus aber usw. Hier berichtet Lukas von einem neuen Kampf der Gemeinde. Man sieht daraus, dass die Herrlichkeit des Evangeliums immer mit Kreuz und mannigfachen Belästigungen verbunden ist. Alles in allem ist die Meinung, dass der Angriff auf die Person des einen Mannes sich gegen die ganze Gemeinde richtete. Die Feinde gewannen dadurch nur noch größere Kühnheit, und nachdem sie einmal unschuldiges Blut vergossen, wüteten sie noch heftiger als gewöhnlich. Denn zuvor hatten sie sich mit Gefängnis und Rutenstreichen begnügt. Um auszudrücken, dass sowohl durch das Leben als durch das Sterben des Stephanus Christi Name verherrlicht ward, bezeichnet ihn Lukas von vornherein als einen Mann voll Glaubens und Kräfte. Er zeichnet sich also außer durch seinen Glauben auch durch Wunderkraft aus. Denn dass die „Kräfte“ eben dies bedeuten, ist mir gewiss. Beim Glauben sollen wir aber nicht nur an die Gabe der Einsicht, sondern auch an glühenden Eifer denken. Und da um dieser Vorzüge willen der Name des Stephanus berühmt war, geschah es, dass die Wut der Gottlosen sich gleichsam in einheitlichem Ansturm gegen ihn richtete. Denn in demselben Maße, wie die Kraft und Gnade des Geistes sich offenbart und auswirkt, pflegt auch die Wut Satans erregt zu werden.
V. 9. Da standen etliche auf usw. Die Verfolgung nahm damit ihren Anfang, dass gottlose Leute, nachdem sie sich vergeblich im Disputieren wider Christus setzten, zu Verleumdung und Volkserregung ihre Zuflucht nehmen und endlich zu Gewalttat und Mord vorwärts schreiten. Die Betreffenden waren Fremde, die sich um ihres Geschäfts oder ihres Studiums willen in Judäa aufhielten. Genannt werden Kyrener, ferner Leute aus Alexandria, Cilicien und der Provinz Asien. Sie alle gehörten der Schule der Libertiner (d. h. der Freigelassenen) an. Wahrscheinlich hatten freigelassene römische Bürger auf ihre Kosten sich eine Synagoge errichtet, die der besondere Versammlungsort der aus den Provinzen nach Jerusalem kommenden Juden wurde. Leute also, die Gottes Gnade dahin geführt hatte und die umso begieriger sich hätten Christus aneignen sollen, stehen in der ersten Reihe seiner Gegner und entflammen wie mit einem Trompetenstoß die Wut der andern. Später werden wir noch öfter davon hören, dass die Juden in den Provinzen der gesunden Lehre sonderlich feindlich waren und mit besonders giftigem Eifer Aufruhr erregten. Dass die Feinde (V. 10) der Weisheit und dem Geiste des Stephanus nicht widerstehen konnten, deutet nicht etwa auf zwei verschiedene Dinge. Man muss vielmehr die Worte so auflösen: sie vermochten nicht der Weisheit zu widerstehen, welche Gottes Geist ihm eingab. Damit will Lukas ausdrücken, dass man auf beiden Seiten nicht mit menschlichen Kräften kämpfte; die Feinde des Evangeliums mussten darum unterliegen, weil sie mit dem Geist Gottes zu streiten hatten, der durch den Mund des Stephanus redete. Da übrigens Christus denselben Geist allen seinen Knechten verheißen hat, so dürfen wir mit guter Zuversicht für die Wahrheit kämpfen und müssen nur von ihm Mund und Weisheit erbitten; so werden wir hinlänglich zum Reden gerüstet sein, und weder Scharfsinn noch Zungenfertigkeit der Feinde werden uns zu Schanden machen. So erzeigte sich in unserm Jahrhundert der Geist im Munde der Märtyrer wirksam, die man zum Feuertod schleppte. Und noch täglich beweist er die gleiche Kraft: ungebildete Leute haben mit ihrem bloßen Wort die hervorragendsten Theologen der Papisten wie mit einem Blitzstrahl niedergeworfen.

11 Da richteten sie zu etliche Männer, die sprachen: Wir haben ihn gehöret Lästerworte reden wider Mose und wider Gott. 12 Und bewegten das Volk und die Ältesten und die Schriftgelehrten; und traten herzu und rissen ihn hin und führeten ihn vor den Rat; 13 und stelleten falsche Zeugen dar, die sprachen: Dieser Mensch höret nicht auf, zu reden Lästerworte wider diese heilige Stätte und das Gesetz. 14 Denn wir haben ihn hören sagen: Der Jesus von Nazareth wird diese Stätte zerstören und ändern die Sitten, die uns Mose gegeben hat. 15 Und sie sahen auf ihn alle, die im Rat saßen, und sahen sein Angesicht wie eines Engels Angesicht.

V. 11. Nachdem die Gegner durch die Kraft des Geistes niedergeschmettert sind, lassen sie vom Disputieren ab, schieben aber falsche Zeugen unter, welche den Stephanus mit Verleumdungen zugrunde richten sollen. Daraus sieht man, dass sie mit bösem Gewissen kämpften. Denn was ist unwürdiger, als dass man seine Sache mit Lügen zu schützen sucht? Stellen wir uns selbst einen sonst schuldigen Menschen vor – so darf man ihn doch nicht mit falschen Zeugnissen unterdrücken. Die Heuchler aber gestatten sich in diesem Stück unter dem Vorwand ihres Eifers ohne Gewissensbedenken alles – wie dies auch heutzutage die Papisten mit ihren Verdrehungen tun, nur um unsere Lehre verhasst zu machen. Wo Satan das Regiment führt, stachelt er die Verworfenen nicht allein zur Grausamkeit, sondern blendet auch ihre Augen, so dass sie wähnen, ihnen sei alles erlaubt. Dies Beispiel lehrt uns, wie gefährlich der Schein eines guten Eifers ist, wenn ihn nicht Gottes Geist regiert; denn er artet immer in rasenden Fanatismus aus, wird zuweilen sogar eine wunderbare Maske, die jegliches Verbrechen deckt.
V. 14. Denn wir haben ihn hören sagen usw. Die Verteidigungsrede des Stephanus wird uns hinlänglich überzeugen, dass er über Mose und den Tempel nie anders als mit ehrender Anerkennung gesprochen hat. Und doch war, was man ihm als eine schändliche Rede vorwarf, nicht aus der Luft gegriffen; denn er hatte die Abschaffung des Gesetzes gelehrt. Aber darin erweisen sich die Zeugen als falsch und lügenhaft, dass sie absichtlich ins Böse verkehren, was in gutem und frommem Sinne gesagt war. Auch heute erleben wir es, dass man unsere Lehre, die wir richtig und fromm entwickeln, verdreht und verleumdet, entstellt und zerfleischt. Und doch darf uns nicht reuen, was wir angefangen haben, noch dürfen wir für die Zukunft uns lässiger machen lassen. Denn billigerweise können wir von den giftigen Bissen des Satans nicht unverschont bleiben, denen nicht einmal der Sohn Gottes zu entgehen vermochte (Mt. 26, 61, vgl. Joh. 2, 19 ff.). Unsere Sache ist es inzwischen, die Lügen zu erörtern und aufzulösen, mit denen man Gottes Wahrheit belastet, wie wir auch sehen, dass Christus die Lehre des Evangeliums gegen ungerechte Schmähungen verteidigt (z. B. Mt. 5, 17). Nur mögen unser Sinn und Eifer derartig wohlgeordnet bleiben, dass jene unwürdige Behandlung unsern Lauf nicht hindere. Lehren wir z. B., dass die Gerechtigkeit des Menschen allein auf Gottes Gnade ruhe, und dass fromme Seelen nirgend Frieden finden können als im Tode Christi, so wirft man uns vor, dass wir auf diese Weise dem Fleisch die Zügel lockern und jeden Gebrauch des Gesetzes beseitigen. Man lügt, dass wir nicht Freiheit im Geist, sondern Zügellosigkeit des Fleisches suchen. Gewiss sind solche hässlichen Vorwürfe schwer und hart. Aber sie dürfen uns nicht veranlassen, vom Schutz der guten Sache abzustehen. Denn dem Herrn ist seine Wahrheit kostbar und muss es auch uns sein, obwohl sie für die Verworfenen ein Geruch des Todes zum Tode wird (2. Kor. 2, 16). Was nun den Stephanus betrifft, so klagt man ihn an, weil er gelehrt hatte, dass die damals angenommene Form der Gottesverehrung einer Veränderung entgegengehe; man sieht darin eine Lästerung gegen Gott und Mose. Es handelt sich also weniger um eine Frage des Tatbestandes als des Rechts und der Wahrheit. Es fragt sich, ob es eine gottlose Rede und eine Beleidigung Gottes und Mose ist, wenn man sagt, dass der sichtbare Tempel ein Abbild eines erhabeneren Heiligtums sei, und wenn man das Schattenwerk des Gesetzes für vorübergehend erklärt.
Der Jesus von Nazareth. Der Ausdruck hat etwas Wegwerfendes, als wäre Christi Gedächtnis verabscheuenswert. Übrigens lässt sich aus der verleumderischen Rede entnehmen, dass Stephanus bei seiner Lehre von der Abschaffung des Gesetzes wider die Schatten den Körper und wider die Bilder das Wesen gestellt hatte. Denn wenn durch Christus die Zeremonien abgeschafft werden, ist ihre wahre und wesentliche Bedeutung eine geistliche. Wenn die Juden ihnen einen bleibenden Bestand zusprachen, sahen sie in ihnen nichts anderes als die grobe, fleischliche, irdische, den Augen sich darbietende Außenseite. So wäre ein wahrer Kern nicht vorhanden. Der bleibende Wert der Zeremonien besteht aber gerade darin, dass sie bei Christi Ankunft beseitigt werden, woraus ja folgt, dass ihre Kraft und Wirkung in Christus bestehen.
Und ändern die Sitten usw. Ohne Zweifel hat Stephanus, wenn er derartiges sagte, nur an den zeremoniellen Teil des Gesetzes gedacht. Weil aber die Menschen besonders an äußerem Pomp hängen, verstanden sie es so, als wollte er das ganze Gesetz zunichte machen. Die wichtigsten Vorschriften des Gesetzes bezogen sich ja auf Gottes Verehrung im Geist, auf Glauben, Gerechtigkeit und Gericht; jene Leute aber, welche die äußeren Riten höher schätzen, verstanden unter den Sitten, die Mose gegeben, die Vorschriften der Opferordnung. So war es seit Anbeginn die Art der Welt und wird es bis zum Ende bleiben. Heutzutage meinen die Papisten, dass es eine andere Gottesverehrung als mit ihrem Mummenschanz gar nicht geben könne. Und doch heben sie sich noch stark von den Juden ab, weil sie nicht göttlichen Ordnungen, sondern lediglich hohlen Menschengedichten folgen.
V. 15. Und sie sahen auf ihn usw. Bei einer Gerichtssitzung pflegen sich aller Augen dem Angeklagten zuzuwenden, dessen Verteidigung man erwartet. Lukas berichtet nun, des Stephanus Angesicht sei gewesen wie eines Engels Angesicht. Er meint damit nicht die angeborene Gesichtsbildung, sondern die gegenwärtige Erscheinung. Während sonst ein Angeklagter bleichen Angesichts dasteht, stottert und zittert, bemerkte man an Stephanus nichts Derartiges, sondern es strahlte von ihm ein majestätisches Wesen aus. In diesem Sinne vergleicht die Schrift öfter einen Menschen mit einem Engel (2. Sam. 14, 17; 19, 27).

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