Calvin, Jean - Apostelgeschichte - Kapitel 27.

Calvin, Jean - Apostelgeschichte - Kapitel 27.

1Da es aber beschlossen war, dass wir nach Italien schiffen sollten, übergaben sie Paulus und etliche andre Gefangene dem Unterhauptmann mit Namen Julius, von der kaiserlichen Schar. 2Da wir aber in ein adramyttisch Schiff traten, dass wir an Asien hin schiffen sollten, fuhren wir vom Lande; und war mit uns Aristarchus aus Mazedonien von Thessalonich; 3und des andern Tages kamen wir an zu Sidon. Und Julius hielt sich freundlich gegen Paulus, erlaubte ihm, zu seinen guten Freunden zu gehen und sein zu pflegen. 4Und von dannen stießen sie ab, und schifften unter Cypern hin, darum dass uns die Winde entgegen waren; 5und schifften durch das Meer bei Cilicien und Pamphylien, und kamen gen Myra in Lycien. 6Und daselbst fand der Unterhauptmann ein Schiff von Alexandrien, das schiffte nach Italien, und ließ uns drauf übersteigen. 7Da wir aber langsam schifften und in viel Tagen kaum gegen Knidus kamen (denn der Wind wehrete uns), schifften wir unter Kreta hin bei Salmone; 8und zogen kaum vorüber, da kamen wir an eine Stätte, die heißet Gutfurt, dabei war nahe die Stadt Lasäa.

V. 1. Die Schifffahrt des Paulus erzählt Lukas namentlich unter dem Gesichtspunkt, dass wir erkennen sollen, wie wunderbar Gottes Hand ihn nach Rom führte, und wie auf der Reise selbst sich Gottes Herrlichkeit in seinen Worten und Tagen mannigfach und glänzend offenbarte und dadurch mehr und mehr sein Apostelamt bekräftigte. Er wird zwar mit andern als Gefangener hingeführt, alsbald aber schafft der Herr einen großen Unterschied zwischen ihm und den Verbrechern und Übeltätern, mit denen er die Bande teilen muss. Wir werden auch sofort (V. 3) sehen, wie ihm der Hauptmann Erleichterungen gewährt und ihn mitten unter den Gefesselten wie einen freien Mann behandelt. Die kaiserliche Schar war die Kohorte der Prätorianer, wie sie vor dem Entstehen der Monarchie genannt wurde. Ausdrücklich erwähnt Lukas (V. 2), dass die Fahrt auf einem aus Adramyttium stammenden Schiff angetreten wurde. Diese Stadt lag an der kleinasiatischen Westküste, - ein Zeichen, dass man an der Küste von Kleinasien entlang fuhr, nachdem man Sidon passiert hatte.

Und war mit uns Aristarchus von Thessalonich. Dem Apostel waren mehrere Begleiter aus Mazedonien nach Jerusalem gefolgt; jetzt hören wir, dass von ihnen nur zwei übrig waren. Vielleicht sollen eben sie im Vergleich mit den andern, die dem Paulus ihre Dienste nicht mehr leisteten, besondern gelobt werden. Wahrscheinlich war Aristarchus ein reicher Mann, der sein Haus verlassen und die Kosten einer dreijährigen Reise tragen konnte. Wir lasen ja auch (17, 11), dass in Thessalonich viele aus den ersten Familien Christen wurden, und Aristarchus und Sekundus werden als Begleiter des Apostels auf der Reise nach Asien (20, 4) ehrend erwähnt. Es ist ein Vorbild heilige Geduld, dass Aristarchus aller Beschwerden nicht überdrüssig wird, freiwillig mit Paulus das gleiche Geschick teilt und jetzt, nachdem er zwei Jahre sich an den Gefangenen gebunden hatte, mit ihm über das Meer fährt, um ihm auch in Rom zu dienen.

V. 3. Julius erlaubte ihm, zu seinen guten Freunden zu gehen. In der großen Seestadt Sidon hätte Paulus entschlüpfen können; aber er hielt sich durch Offenbarungsspruch gebunden und entzog sich dem Ruf Gottes nicht. Auch wäre es gegenüber dem menschenfreundlichen Hauptmann, der ihn in die Obhut seiner Freunde freiließ, während er ihn doch in dem Schmutz des Schiffes zurückhalten konnte, eine schmähliche Treulosigkeit gewesen, ihn durch Fürsorge für sein eigenes Leben in Gefahr zu bringen. Wir dürfen ja nicht zulassen, dass Leute, die uns freundlich behandeln, dadurch eine Täuschung erleben. Über den Verlauf der Reise mögen geographische Hilfsmittel Auskunft geben. Ich will nur erinnern, worauf der Bericht des Lukas in großen Zügen abzielt, dass die Reise vom Verlassen des Hafens in Sidon bis nahe vor Malta schwierig und stürmisch war, dass dann die Schifffahrer lange Zeit mit widrigen Winden kämpfen mussten, die schließlich zu heftigem Sturm anwuchsen. Das Ende war der Schiffbruch, von dem wir noch Genaueres hören werden.

9Da nun viel Zeit vergangen war, und nunmehr gefährlich war zu schiffen, darum, dass auch die Faste schon vorüber war, vermahnte sie Paulus 10und sprach zu ihnen: Lieben Männer, ich sehe, dass die Schifffahrt will mit Leid und großem Schaden ergehen, nicht allein der Last und des Schiffes, sondern auch unseres Lebens. 11Aber der Unterhauptmann glaubte dem Steuermann und dem Schiffherrn mehr denn dem, das Paulus sagte. 12Und da die Anfuhrt ungelegen war zu wintern, bestunden ihrer das mehrere Teil auf dem Rat, von dannen zu fahren, ob sie könnten kommen gen Phönix zu wintern, welches ist eine Anfuhrt an Kreta gegen Südwest und Nordwest. 13Da aber der Südwind wehte und sie meineten, sie hätten nun ihr Vornehmen, erhoben sie sich und fuhren näher an Kreta hin. 14Nicht lange aber darnach erhob sich wider ihr Vornehmen eine Windsbraut, die man nennet Nordost. 15Und da das Schiff ergriffen ward und konnte sich nicht wider den Wind richten, gaben wir´s dahin und schwebeten also. 16Wir kamen aber an eine Insel, die heißet Klauda; da konnten wir kaum den Kahn ergreifen. 17Den hoben wir auf, und brauchten der Hilfe, und unterbanden das Schiff; denn wir fürchteten, es möchte in die Syrte fallen, und ließen die Segel herunter und fuhren also. 18Und da wir groß Ungewitter erlitten, taten sie des nächsten Tages einen Auswurf. 19Und am dritten Tage warfen wir mit unseren Händen aus die Gerätschaft im Schiffe. 20Da aber in vielen Tagen weder Sonne noch Gestirn erschien, und nicht ein klein Ungewitter uns drängte, war alle Hoffnung unseres Lebens dahin.

V. 9. Und nunmehr gefährlich war zu schiffen. Die Meinung ist nicht nur, dass gerade jetzt widrige Winde wehten, sondern dass überhaupt die Jahreszeit ungünstig war. Dies wird deutlicher durch die Angabe, dass die Faste schon vorüber war. Man befand sich also gegen Ende des Herbstes. Paulus denkt an das Versöhnungsfest, an welchem nach dem Befehl des Herrn die Israeliten sieben Tage lang ihren Leib kasteien sollten. Dies hob an mit dem zehnten Tage des siebenten Monats (3. Mos. 16, 29), der teils mit unserem September, teils mit dem Oktober zusammenfällt. Zu Anfang Oktober muss aber durchaus die Schifffahrt als gefährlich bezeichnet werden. Paulus mahnt also (V. 10), man solle angesichts des drohenden Winters, dessen raues Wetter das Meer zu schließen pflegt, eine Pause machen. Gewiss stand ihm fest, dass Gott das Schiff leiten werde; aber er wollte ihn nicht durch unzeitige Eile versuchen.

V. 11. Aber der Unterhauptmann usw. Der Hauptmann soll nicht getadelt werden, weil er auf den Steuermann und die Schiffsbesatzung mehr hörte als auf Paulus. Denn was hätte er tun sollen? Soviel er auch in andern Dingen auf den Rat des Paulus hielt, wusste er doch, dass er von dem Schifferhandwerk nichts verstand. Also lässt er sich von erfahrenen Sachverständigen bestimmen, wie es einem klugen und bescheidenen Manne ziemt. Auch sah er sich dazu durch die Notwendigkeit fast gezwungen: denn der Hafen war (V. 12) ungelegen zu wintern. Auch hatte ja der Steuermann nicht geraten, dass man das Schiff aufs hohe Meer hinausjagen, sondern nur, dass man sich in einen benachbarten Hafen begeben solle, der nahe vor Augen lag. Mit einer kurzen Beschwerlichkeit wollte man also ein bequemes Überwintern erkaufen. Es hat nun guten Grund, dass Lukas diese Mitteilung macht: wir sollen wissen, dass Paulus von Anfang an durch die Gegenwart des Geistes gerüstet war und dadurch besser als die Sachverständigen zu sehen wusste, was nützlich wäre. Ob ein besonderer Gottesspruch oder eine geheime Erleuchtung ihm den Rat eingab, wissen wir nicht. Soviel aber steht fest, dass die Sache nachher ihm zur Empfehlung diente.

V. 15. Und da das Schiff ergriffen ward usw. Es geschah, was in äußerster Gefahr sich einzustellen pflegt, dass man sich einfach vom Wind treiben lassen muss. Weil die Schiffer eine Weile glauben konnten, dass die Fahrt nach Wunsch gehe (V. 13), haben sie ohne Zweifel über die Mahnung des Paulus gespottet, wie waghalsige Menschen übermütig zu werden pflegen, wenn ihnen das Glück lächelt. Da nun der Wind sie packt, ist es zu spät, und sie müssen ihre Kühnheit büßen. Da sie nahe an eine Insel hingetrieben werden, müssen sie jetzt nicht weniger das Zerschellen als vorher das Umschlagen ihres Schiffes fürchten. Mit Absicht verfolgt Lukas dies alles genau. Wir sollen daraus schließen, wie heftig, hartnäckig und andauernd der Sturm wütete; immer neue Todesgefahr sahen die Schifffahrer vor sich. Zugleich ergibt die Schilderung, dass man wacker jedes Mittel gebrauchte, dem Schiffbruch zu wehren, und weder die Ladung (V. 18) noch die Ausrüstung des Schiffes (V. 19) schonte. Die unmittelbare Empfindung der Gefahr nötigte also zum Äußersten. Und Lukas fügt hinzu (V. 20), dass man endlich nach allen vergeblichen Versuchen an der Rettung verzweifelte. Sicherlich musste der verfinsterte Himmel wie ein Grab erscheinen; ohne Zweifel wollte der Herr dadurch einen dunkeln Hintergrund schaffen, von welchem die Gnadengabe der nun bald einsetzenden Rettung sich strahlend abheben sollte. Dabei ließ er seinen Knecht mit den andern leiden, bis er glauben musste, dem Tode verfallen zu sein. Denn erst als es um sein Leben geschehen schien, ließ er ihm den Engel erscheinen. So wurde nicht bloß sein Leib unter den Stürmen umher geworfen, sondern auch seine Seele durch harte und gewaltsame Anfechtungen erschüttert. Der Ausgang aber zeigt, dass er im Glauben feststand, ohne zu wanken. Lukas berichtet zwar nichts von seinen Gebeten, aber die Angabe, dass dem Paulus ein Engel des Gottes erschien (V. 23), dem er diente, macht es wahrscheinlich, dass er seine Gebete nach oben schickte, während die andern dem Himmel und der Erde fluchten; so blieb er ruhig und erwartete mit gesammeltem Geist, was dem Herrn gefallen würde. Dass alle Hoffnung unseres Lebens dahin war, ist übrigens nicht aus der persönlichen Stimmung des Paulus geredet. Der Ausdruck will im Blick auf die menschlichen Mittel nur die äußerst verwirrte Lage beschreiben, die nach menschlichem Maßstab keine Aussicht mehr bot.

21Und da man lange nicht gegessen hatte, trat Paulus mitten unter sie und sprach: Lieben Männer, man sollte mir gehorchet und nicht von Kreta aufgebrochen haben und uns dieses Leides und Schadens überhoben haben. 22Und nun ermahne ich euch, dass ihr unverzagt seid; denn keines Leben aus uns wird umkommen, nur das Schiff. 23Denn diese Nacht ist bei mir gestanden der Engel Gottes, des ich bin und dem ich diene, 24und sprach: Fürchte dich nicht, Paulus, du musst vor den Kaiser gestellet werden; und siehe, Gott hat dir geschenkt alle, die mit dir schiffen. 25Darum, lieben Männer, seid unverzagt; denn ich glaube Gott, es wird also geschehen, wie mir gesagt ist. 26Wir müssen aber anfahren an eine Insel. 27Da aber die vierzehnte Nacht kam, dass wir im Adriameer fuhren, um die Mitternacht wähnten die Schiffleute, sie kämen etwa an ein Land. 28Und sie senkten den Bleiwurf ein, und fanden zwanzig Klafter tief; und über ein wenig von dannen senkten sie abermal, und fanden fünfzehn Klafter. 29Da fürchteten sie sich, sie würden an harte Orte anstoßen, und warfen hinten vom Schiff vier Anker, und wünschten, dass es Tag würde. 30Da aber die Schiffleute die Flucht suchten aus dem Schiffe und den Kahn niederließen in das Meer, und gaben vor, sie wollten die Anker vorne aus dem Schiffe lassen, 31sprach Paulus zu dem Unterhauptmann und zu den Kriegsknechten: Wenn diese nicht im Schiffe bleiben, so könnt ihr nicht beim Leben bleiben. 32Da hieben die Kriegsknechte die Stricke ab von dem Kahn und ließen ihn fallen.

V. 21. Und da man lange nicht gegessen hatte usw. Lukas erzählt nicht ausdrücklich, wie die Schiffsleute und Soldaten sich betrugen. Aber er lässt hinreichend deutlich die Haltung des Paulus sich abheben, indem er berichtet, dass er in ihre Mitte trat und ihren gesunkenen Mut aufrichtete. Solche Mahnung auszusprechen, ist nur der geeignet, der selbst ein Vorbild standhafter Tapferkeit bietet. Übrigens schob Paulus die ermunternde Rede auf, bis alle fast ganz außer Atem darnieder lagen. Wie die Ungläubigen sich meist zu verhalten pflegen, dürfen wir wohl schließen, dass im Anfang des Sturmes eine ungezügelte, maßlose Aufregung herrschte. Bei solchem Geschrei und Lärm wäre ein ruhiges Wort gar nicht gehört worden; jetzt erst, da alle sich abgemüht und ausgeschrien haben und nun ermüdet und zerschlagen dasitzen, erhebt Paulus seine Stimme. Erst in diesem halbtoten Zustande der Übermüdung ist Ruhe und Empfänglichkeit, dass man den rechtschaffenen Mahner schweigend anhört. Es schein indessen unpassend, dass Paulus ihnen ihre Torheit vorwirft, nachdem sie, als alles noch gut stand, auf seinen Rat nicht hören wollten. Wenn wir aber bedenken, wie schwer Menschen sich beugen lassen, muss uns diese Züchtigung durchaus angebracht erscheinen. Die Autorität, die Paulus jetzt für sich beanspruchte, um ihnen die rechte Stimmung beizubringen, musste sich eben auf die Erinnerung stützen, dass sie sich ins Unglück gebracht hätten, weil sie vorher auf ihn nicht hören wollten. Das ist freilich ein grausames Schelten, das auch keinen Trost bringt; aber wenn es durch das beigefügte Heilmittel gewürzt wird, gehört es auch zu der heilsamen Medizin. Nachdem also Paulus die Aufmerksamkeit der Schiffsleute geweckt und sie eben durch den Ausgang belehrt hat, dass man ihm glauben müsse, mahnt er sie, Mut zu fassen, und verspricht Rettung.

V. 23. Diese Nacht ist bei mir gestanden der Engel Gottes. Damit man ihn nicht der Anmaßung zeihen könne, weil er mit solcher Sicherheit allen die Rettung verspricht, beruft sich Paulus auf Gott als Zeugen und Gewährsmann. Ohne Zweifel hing die Gewissheit, die er von dem göttlichen Offenbarungsspruch gewann, davon ab, dass er ihn von einem Gaukelwerk des Satans zu unterscheiden wusste. Bei solchen Erscheinungen sorgt ja Gott dafür, dass seine Knechte sich vor Verführung durch den Vater der Lüge nicht zu fürchten brauchen: deutliche Kennzeichen und der Geist der Unterscheidung, mit dem sie begabt sind, überwinden jeden Zweifel und Anstoß. Übrigens spricht Paulus vor unheiligen Menschen ausdrücklich von dem Gott, dem er dient; sie sollen nicht nur erfahren, dass man in Judäa den wahren Gott verehrt, sondern auch wissen, dass Paulus sein Diener ist. Es war jedermann bekannt, welcher Anlass ihn zum Gefangenen gemacht hatte; da nun jetzt Engel vom Himmel zu ihm herabsteigen, soll sich der Schluss ergeben, dass Gott sich zu seiner Sache bekenne. Es enthalten diese Worte also auch eine Empfehlung des Evangeliums. Dabei sehen wir, wie Paulus auch in Banden den Triumph erlebt, so vielen Menschen das Heil und Gottes Worte übermitteln zu dürfen.

V. 24. Fürchte dich nicht, Paulus. Ernstlich legt der Apostel es darauf an, für den einen Gott den Ruhm der Errettung in Anspruch zu nehmen: die abergläubischen Leute sollen ihn nicht fälschlich auf ihre Götzen übertragen. So lockt er sie zum rechten Glauben. Es wird aber daraus klar, wie verkehrt die Menschen sind: sie schließen ihr Ohr gegen richtige und heilsame Ratschläge, vergessen alsbald Gottes Gnade, die sich doch so freundlich ihnen kundgab, und, was noch viel schlimmer ist, sehen und fühlen sie nicht, obgleich sie handgreiflich ihnen vor Augen steht. War nun aber auch der größere Teil undankbar, so war diese Offenbarung doch nicht fruchtlos, sondern brachte es zustande, dass den Leuten, die gar zu sehr an ihren trügerischen Gedanken hingen, jede Entschuldigung genommen war. Dass aber dem Paulus gesagt wurde, er müsse vor den Kaiser gestellt werden, zielt darauf, dass die Frommen durch sein Bekenntnis eine Stärkung erfahren sollen. Empfangen sie doch die Erinnerung, dass der Apostel als ein von Gott bestimmter Zeuge für die Lehre des Evangeliums aufzutreten hat und für diesen Zweck bewahrt werden muss.

Gott hat dir geschenkt alle, die mit dir schiffen. Darin scheint die Andeutung enthalten, dass Paulus nicht nur für sich, sondern auch für die andern gebetet habe, Gott möglich sie sämtlich aus dem Schiffbruch retten. Es ist ja auch nicht unwahrscheinlich, dass er angesichts der allgemeinen Gefahr sich lediglich in die Sorge für sein eigenes Leben verstrickte, ohne an die andern zu denken. Möglich ist freilich auch, dass Gott aus freien Stücken seinem Beten zuvorkam. Es ist auch nichts Unerhörtes, dass sein Segen sich auf unwürdige Leute mit erstreckt, die in einer gewissen Verbindung und Gemeinschaft mit den Gläubigen stehen. So hätte Gott Sodom geschont, wenn man zehn gerechte Menschen darin gefunden hätte. Da Gute und Böse durcheinander gemischt sind, trifft Glück und Unglück sie gemeinsam. Indessen geschieht es zuweilen, dass der Herr, der die Seinen schonen will, mit ihnen auch die Gottlosen eine Zeitlang am Leben lässt. Er hat verschiedene Gründe, zum Besten der Gläubigen bösen und verworfenen Leuten Gutes zu tun. Er hat das Haus des Potiphar gesegnet zum Besten Josephs: er wollte damit das Herz jenes Mannes lenken, diesem heiligen Menschen Freundlichkeit zu erweisen. Er hat durch die Rettung vieler Menschen seine Gunst gegen Paulus bezeugt, um für dessen Frömmigkeit ein Zeugnis zu geben, welches die Majestät des Evangeliums in helles Licht rücken sollte. Endlich freilich müssen alle göttlichen Wohltaten den Gottlosen zum Verderben ausschlagen, wie auf der andern Seite für die Gläubigen die Strafen, die sie gemeinsam mit den Verworfenen erdulden, ein Segen sind. Bei alledem bleibt es ein einzigartiges Unterpfand der Liebe Gottes gegen uns, dass er von uns aus einzelne Tropfen seiner Guttätigkeit auf andere überfließen lässt.

V. 25. Denn ich glaube Gott usw. Noch einmal prägt Paulus ein, woher seine gewaltige Zuversicht stammt: weil Gott es ihm verheißen hat, behauptet er inmitten der zahllosen Schlünde des Meeres ohne Zittern, dass sie alle den Hafen erreichen werden. Hier erkennen wir des Glaubens Eigenart: er ist mit Gottes Wort derartig ineinander geschlungen, dass er uns Mut gegen allen Ansturm der Anfechtungen macht. Übrigens will Paulus die Reisenden nicht nur durch sein Beispiel zum Glauben bewegen, sondern tritt gleichsam als Bürge für Gottes Offenbarungsspruch auf. Wenn er (V. 26) von einer Insel spricht, an die man anfahren werde, gibt er ein Zeichen, an welchem man nach dem Abschluss der Sache wird erkennen können, dass das Schiff nicht von ungefähr umgetrieben wurde. Gott prägt der verheißenen Rettung ein Siegel auf, welches die Ausnahme eines Zufalls ausschließen muss. Jedermann soll erkennen, dass der heilige Geist dem Paulus eingegeben hat, was menschlicher weise noch niemand wissen konnte.

V. 30. Da aber die Schiffleute die Flucht suchten usw. Auch darin zeigt sich die Begabung des Paulus mit dem heiligen Geist, dass er klüglich mahnen kann, man möge die Schiffer an der Flucht hindern. Nicht der Hauptmann oder sonst jemand aus der großen Schar ahnt den Betrug, als eben Paulus, der bis zuletzt das Werkzeug der Rettung bleiben soll. Doch kann man sich über seine Behauptung wundern (V. 31): Wenn diese nicht im Schiffe bleiben, so könnt ihr nicht beim Leben bleiben. Hätten etwa die Schiffer Gottes Zusage zunichte machen können? Aber Paulus disputiert hier nicht darüber, was Gott etwa auch ohne die entsprechenden Mittel hätte tun können, wenn er es gewollt hätte. Sicherlich verweist der Herr die Gläubigen auch nicht auf seine Kraft, um sie zur Verachtung der Mittel und damit zur Sorglosigkeit oder Vorwitz anzuleiten, wo sie doch einen bestimmten Weg hätten, sich zu hüten. Gott hatte dem Hiskia versprochen, die belagerte Stadt solle befreit werden (Jes. 37, 33). Hätte dieser nun den Feinden die Tore geöffnet, würde Jesaja doch sofort gerufen haben: Du richtest dich und die Stadt zugrunde. Daraus folgt aber nicht, dass Gottes Hand an Mittel und Stützen gebunden ist. Wenn indessen Gott diese oder jene Verfahrungsweise vorschreibt, hält er die Gedanken der Menschen in Schranken, die sie nicht überspringen dürfen.

33Und da es anfing Licht zu werden, ermahnte sie Paulus alle, dass sie Speise nähmen, und sprach: Es ist heute der vierzehnte Tag, dass ihr wartet und gegessen geblieben seid, und habt nichts zu euch genommen. 34Darum ermahne ich euch, Speise zu nehmen, euch zu laben; denn es wird euer keinem ein Haar von dem Haupt entfallen. 35Und er das gesaget, nahm er das Brot, dankte Gott vor ihnen allen, und brach´s und fing an zu essen. 36Da wurden sie alle gutes Muts und nahmen auch Speise. 37Unser waren aber alle zusammen im Schiff zweihundertundsechsundsiebenzig Seelen. 38Und da sie satt geworden, erleichterten sie das Schiff und warfen das Getreide in das Meer. 39Da es aber Tag ward, kannten sie das Land nicht; einer Anfurt aber wurden sie gewahr, die hatte ein Ufer; da hinan wollten sie das Schiff treiben, wo es möglich wäre. 40Und sie hieben die Anker ab und ließen sie dem Meer, löseten zugleich die Bande der Steuerruder auf, und richteten das Segel nach dem Winde, und trachteten nach dem Ufer. 41Und da wir fuhren an einen Ort, der auf beiden Seiten Meer hatte, stieß sich das Schiff an, und das Vorderteil blieb feststehen unbeweglich; aber das Hinterteil zerbrach von der Gewalt der Wellen. 42Die Kriegsknechte aber hatten einen Rat, die Gefangenen zu töten, dass nicht jemand, so er ausschwömme, entflöhe. 43Aber der Unterhauptmann wollte Paulus erhalten, und wehrte ihrem Vornehmen, und hieß, die da schwimmen könnten, sich zuerst in das Meer lassen und entrinnen an das Land; 44die andern aber, etliche auf Brettern, etliche auf dem, das vom Schiffe war. Und also geschah es, dass sie alle gerettet zu Lande kamen.

V. 33. Und da es anfing licht zu werden usw. Was auch die Schiffer denken mögen, - Paulus wankt in seinem Glauben nicht, sondern stützt sich tapfer auf die ihm gewordene Verheißung. Er mahnt auch nicht nur, Speise zu nehmen, wie jener in äußerst verzweifelter Lage gesagt haben soll: Soldaten, nehmt euer Frühstück, denn unser Nachtmahl werden wir im Totenreich bekommen. Vielmehr heißt der Apostel im Vertrauen auf den Offenbarungsspruch die Leute guten Mutes sein. Darin beweist der Glaube seine Kraft, indem er uns zu geduldigem Ausharren wappnet und alle feindlichen Anläufe, mit denen ihn der Satan erschüttern will, ohne Zittern auffängt und zurückweist. Dass die Schifffahrer schon vierzehn Tage ungegessen geblieben sind, wird kaum buchstäblich, sondern nur dahin zu verstehen sein, dass sie in dieser ganzen Zeit nichts Rechtes mehr zu sich genommen haben, weil traurigen und geängsteten Menschen die Speise zum Ekel wird. Weil aber eben die Verzweiflung die Ursache dieses Überdrusses war, betont Paulus noch einmal, dass sie alles überwinden werden, wenn sie nur Mut fassen. Ein treuer Diener des Worts muss ja nicht nur die Verheißungen öffentlich hinstellen, sondern auch einen Rat hinzufügen, damit die Menschen dem Ruf Gottes folgen und nicht stumpf und träge sitzen bleiben. Paulus will etwa sagen: Es ist Gottes Absicht, euch zu retten; diese Zuversicht muss euch Mut und Tatkraft geben, damit ihr euch nicht selbst im Wege stehet.

V. 35. Nahm er das Brot usw. Um die andern durch sein Beispiel noch gewisser aufzurichten, nimmt Paulus Brot und isst es. Das Dankgebet spricht er dabei nicht bloß nach seiner täglichen Gewohnheit, sondern weil dies nicht wenig dazu beitrug, seine Zuversicht zu bezeugen. Ohne Zittern ruft er Gott als den Urheber des Lebens an, damit jene unglücklichen Menschen, die in den Banden der Traurigkeit lagen, etwas gute Hoffnung schöpfen möchten. Und er erreicht wenigstens dies, dass man sich aufrafft und Speise nimmt, nachdem die Furcht alle Fürsorge für das Leben hatte in Vergessenheit geraten lassen.

V. 37. Unser waren aber alle zusammen usw. Diese Zahlenangabe will bestimmt feststellen, dass niemand von der ganzen Schar zugrunde ging. Denn Lukas verzeichnet nicht, wie viele Menschen ans Ufer gelangten, sondern wie viele sich jetzt im Schiff befanden. Dadurch soll das Wunder in helles Licht rücken. Nach menschlicher Rechnung konnte es kaum geschehen, dass 276 Seelen aus dem Schiffbruch ausnahmslos an das Ufer gerettet wurden: denn außer den Schiffern konnten vermutlich nur wenige schwimmen. Und hatte auch die eben genommene Speise ihre Kräfte ein wenig angefrischt, so waren sie doch durch die lang währende Verzagtheit und Angst so aufgerieben, dass man sich wundern muss, wenn sie überhaupt noch die Arme rühren konnten. Auch muss man sich vorstellen, welches Durcheinander herrschte: wenn in höchster Gefahr auch nur zwanzig oder dreißig Menschen zugleich schwimmen, ist es fast unvermeidlich, dass einer den andern stößt und in den Grund bohrt. Gott streckte also offensichtlich seine Hand aus, wenn man die volle Zahl derer, die sich ins Meer geworfen hatten, am Ufer wieder fand.

V. 38. Und da sie satt geworden usw. Diese Bemerkung zeigt, dass man sich durch die Rede des Paulus endlich bestimmen ließ. Es war noch nicht Tag geworden, so dass man hätte wissen können, ob irgendein Hafen in der Nähe war. Dennoch wirft man das noch übrige Getreide ins Meer, um das Schiff zu erleichtern. Dies hätte man nicht getan, wenn nicht die Autorität des Paulus ein erhöhtes Gewicht gewonnen hätte. Wie aber alle Ungläubigen wankelmütig sind, konnte es leicht geschehen, dass diese Überzeugung auch alsbald wieder aus ihrem Herzen schwand.

V. 41. Stieß sich das Schiff an. Jetzt konnte es scheinen, als hätte Gott des Apostels gespottet, und als hätte dieser mit eiteln Possen die Genossen des Schiffbruchs genarrt. Aber Gott zerstreut alsbald diesen Irrtum durch einen glücklicheren Ausgang. Als das Schiff brach und sich in seine Bestandteile auflöste, musste auch der Mut aller Beteiligten brechen und zerfließen, so dass die Verzweiflung einen dunklen Hintergrund für den Glanz des Wunders abgab. Gott pflegt ja seine Werke so einzurichten, dass viele Hindernisse sich einstellen und den Schein hervorrufen, dass die Sache unmöglich sei. Dadurch schärft er unsere Gedanken zu größter Aufmerksamkeit, damit wir endlich lernen, wie der Widerspruch einer ganzen Welt ihn durchaus nicht hindern kann, endlich als Sieger zu triumphieren. Darum zog er es auch vor, den Paulus und seine Begleiter als Schiffbrüchige aus dem Meere zu ziehen, als dass er das Schiff unversehrt zum Ufer hätte gelangen lassen.

V. 42. Die Kriegsknechte aber usw. Das ist eine gar zu grausame Undankbarkeit: die Kriegsknechte, welche ihr Leben zwei- oder dreimal dem Paulus verdanken, haben vor, ihn zu töten. Und doch wäre es billig gewesen, um seinetwillen auch die andern zu verschonen. Durch ihn war ihnen Rettung zuteil geworden, wie durch einen Engel Gottes hatten sie aus seinem Munde den rettenden Ratschlag vernommen, an demselben Tage hatte er sie in ihrer Erschöpfung erquickt: nun tragen sie kein Bedenken, ihn grausam zu verderben, von dem sie doch so oft und vielfach gerettet worden waren. Sollte es also geschehen, dass man uns für Wohltaten übel lohnt, so darf uns die Undankbarkeit der Menschen nicht erschüttern, die ja eine nur zu verbreitete Krankheit ist. Übrigens zeigen sich die Soldaten undankbar nicht nur gegen ihren Lebensretter Paulus, sondern auch in hässlichster Weise ungläubig und vergesslich gegenüber der Gnade Gottes. Soeben erst hatten sie den Spruch vernommen, dass dem Paulus ihre Seelen geschenkt seien. Indem sie sich jetzt dadurch retten wollen, dass sie ihn umbringen, was anders greifen sie damit an, als dass sie Gott widerstehen, um sich wider seinen Willen dem Tode zu entziehen? Die Gnade, die sie unter dem Zwang der äußersten Verzweiflung schmeckten, war ihnen also schon wieder entflogen. Keiner von ihnen bewahrt weiter gesunden Sinn, sobald ein Hafen in der Nähe sich zeigt. Wir aber wollen Gottes Rat bewundern, der den Paulus rettete und seine Verheißung erfüllte, indem er eben die Leute zum Lande geleitet, die ihrerseits alles taten, seine Verheißung zunichte zu machen. Das ist aber die gewöhnliche Art seiner Güte, wider die Bosheit der Menschen zu streiten. Indessen schiebt seine Barmherzigkeit, die er über gottlose Leute walten lässt, die Strafe nur für eine geeignete Zeit auf und entnimmt sie keineswegs der Schuld; ja, eine umso härtere Strafe muss endlich den geduldigen Verzug wieder aufwiegen.

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