Calvin, Jean - An einen unbekannten Pfarrer in Polen.

Nr. 629 (C. R. – 3212)

Calvin, Jean - An einen unbekannten Pfarrer in Polen.

Francisco Stancaro aus Mantua lehrte, dass Christus allein nach seiner menschlichen Natur unsere Gerechtigkeit geworden sei, und suchte wie alle nicht orthodoxen Elemente jener Zeit in Polen Anhänger zu werben. Ludovico Vives, ein in den Niederlanden lebender spanischer Humanist, hat sich besonders als Pädagoge berühmt gemacht. Gegen Stancaro hatten die evangelischen Pfarrer Polens ein Bekenntnis aufgestellt und zur Begutachtung nach Genf gesandt.

Über Stancaro, Konkubinat und Ehe und Pestgefahr.

Da der Edelmann, der uns den gemeinsamen Brief der Brüder und deinen besondern brachte, verehrter Bruder, einigermaßen merken konnte, wie wenig Zeit mir zum Schreiben blieb, so will ich nicht viele Worte machen, um wegen des kurzen Briefes um Verzeihung zu bitten. Schon gleich, als er kam, machte ich ihn darauf aufmerksam, in den nächsten zwei Tagen habe ich keine freie Zeit; erst heute kann ich antworten. Da jedenfalls die andern Kirchen Euch mit Eifer behilflich sein werden, so haben wir nur in Kürze die Lehre in ihrer Hauptursache dargestellt, in der Euch Stancaro Schwierigkeiten macht. Ist es von Nutzen, so wollen wir unsern Brief veröffentlichen, damit er unsere Übereinstimmung aller Welt bezeuge. Ein Abschnitt darin wird Euch kundtun, dass wir Eure Formulierung der Lehre vom Priestertum Christi nicht ganz billigen, nämlich als ob es zeit- und anfangslos wäre, da er doch als Priester ebenso wie als Versöhner erst eingesetzt worden ist [nach dem Sündenfall]. Wollt Ihr also unserm Rat folgen, so wäre hier etwas zu ändern, damit der Gegner nicht den Punkt herausgreife, um Euch zu verleumden. Ferner hat uns zwar der Fleiß und die Geschicklichkeit, mit denen Ihr die Zitate der Alten über diese Frage gesammelt habt, wie die darin sich zeigende Gelehrsamkeit und Urteilsfähigkeit nicht wenig gefallen aber doch möchten wir manches aus der Fülle ausgeschieden sehen, damit nicht dieser unredliche, geschwätzige Sophist aus den zweideutigen oder nicht ganz klaren Zitaten einen Dunst mache, um dadurch die klare Wahrheit zu verdunkeln. Auch dass Ihr den Namen Ludovico Vives darunter aufführt, tut der Wirkung einigen Eintrag. Denn der, weit entfernt unter die Theologen gerechnet werden zu können, ist kein alter Schriftsteller und kennt kaum die Elemente der evangelischen Lehre. Wir wollten Euch darauf noch besonders aufmerksam machen, damit kein Makel auf Euer Bekenntnis fällt, wenn es veröffentlicht wird. Die andern Fragen, in denen Ihr unsern Rat verlangt, müssen wir der kurzen Zeit wegen rasch erledigen. Unehelich erzeugte Kinder sind nach dem Zivilrecht erst als legitimiert anzusehen, wenn der Vater die Konkubine heiratet, die Kinder als die seinen anerkennt und dies öffentlich bezeugt. Den Eltern dies Zugeständnis zu machen, scheint uns richtig, damit Männer und Frauen sich aus ihrer regellosen Unzucht in den heiligen Ehestand flüchten. Die Liebe zu den Kindern ist so die beste Einladung zur Buße und das beste Pfand wirklicher gegenseitiger Liebe zwischen den Eltern. Denn wenn die Gesetze mit Recht verbieten, Unehelichen ein Erbe zu übergeben, so hebt doch eine nachträgliche Ehe frühere Verfehlungen und Mängel wieder auf. Damit hängt auch die Frage zusammen, ob Konkubinen bei der Trauungshandlung schon als Ehefrauen zu behandeln sind. Gewiss ist bis auf den Tag der Eheschließung ein Beisammenleben zu verurteilen und nach der Kirchenordnung zu bestrafen; aber wo beide Teile einverstanden sind, sich gesetzmäßig zu verehelichen, da ist doch der Reue die Tür nicht ganz zu verschließen.

Die dritte Frage scheint mir von dummen Menschen zu stammen, die nie auch nur eine Idee von menschenfreundlichem Sinn hatten. Sie nennen es Sünde, wenn jemand seinen Wohnort wechselt, um der Pestgefahr zu entfliehen. Also wärs auch nicht erlaubt, gesunde Luft aufzusuchen, auch nicht, ein Haus in gesunder Lage einem andern vorzuziehen; also auch nicht, sich vor schädlichen Dünsten in acht zu nehmen. Also darf man sich vor Ansteckung nicht im Mindesten fürchten. Doch genug solcher Paradoxien, die uns schließlich nötigten, unsern Verstand beiseite zu setzen. Indessen ist unser Rat nicht so gemeint, als wollten wir Nachsicht üben mit der Furchtsamkeit derer, die um der Pestgefahr willen die Stellung lassen, zu der sie berufen sind; zum Beispiel, wenn ein Mann seine Frau, eine Frau ihren Gatten, Kinder ihre Eltern oder umgekehrt Eltern ihre Kinder verlassen, wenn ein Pfarrer seine Gemeinde im Stich lässt, um für sich zu sorgen, oder ein Beamter seinem Posten untreu wird. Aber wenn keine Pflicht vernachlässigt wird, so darf man die Ansteckungsgefahr so gut zu meiden suchen, wie Feuer oder Schwert. Lebwohl, trefflicher Mann und verehrter Bruder. Der Herr sei stets mit dir; er halte dich aufrecht mit seiner Kraft; er leite dich mit Klugheit und segne dein Wirken. Amen.

Genf, 9. Juni 1560.

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