Calvin, Jean - An Goswin Zewel in Speyer.

Nr. 553 (C. R. – 2829)

Calvin, Jean - An Goswin Zewel in Speyer.

Goswin Zewel von Aachen hatte in Bourges studiert und sich dort der evangelischen Gemeinde angeschlossen, deren Pfarrer Martin de Hargons ihn und einige Freunde auf die strengen Gebote calvinistischer Sittlichkeit verpflichtet hatte. In die Heimat zurückgekehrt, fragt er nun Calvin, den er auf der Durchreise in Genf kennen gelernt hatte, wie sie es damit in ihrer katholischen Umgebung zu halten hätten.

Gutachten über das Verhalten Evangelischer unter Katholiken.

Du und deine Freunde hättet, als Ihr hier waret, mich wohl fragen dürfen, wenn Euch allerlei Bedenken quälten. Ich hätte vielleicht mit ein paar Worten Euch mündlich besser Bescheid geben können, als jetzt mit einem langen Briefe. Auch ist es mir jetzt nicht einmal möglich, ausführlich an Euch zu schreiben; ja ein Schmerz in der Seite, der mich schon seit Monatsfrist zu fast aller Arbeit unfähig macht, lässt mich Euch kaum diesen Brief diktieren. Ihr tut ganz Recht, das Versprechen, das Ihr unserm Bruder Martin gegeben habt, und durch das Ihr Euch vor Gott und seinen Engeln verpflichtet fühlt, in allen Punkten unverletzt zu lassen, und Ihr sollt fortfahren, es heilig zu halten; denn sobald Ihr auch nur ein klein wenig von Eurem guten Vorsatze abweicht, so verliert Ihr das Maß dafür, wie weit Ihr gehen dürft, wie denn die Gelüste unseres Fleisches immer neue Ausreden finden, uns vom rechten Kurs abzulenken.

Nun ist zu untersuchen, welchen Spielraum Euch Euer Versprechen lässt. Ich nehme an, Martin habe nicht weiter gefordert, als dass Ihr Euch aller Befleckung enthaltet, die dem Bekenntnis des reinen evangelischen Glaubens widerspricht. Nun bildet es freilich nicht ohne weiteres eine Befleckung, wenn jemand einen Tempel mit Götzenbildern betritt, wie ja auch Paulus, als er zu Athen die Altäre der falschen Götter durchmusterte [Apg. 17, 23], sich durchs bloße Anschauen nicht befleckte. Aber doch ist auf die Absicht zu schauen, die solchem Tun zu Grunde liegt; geschieht es, um den Papisten einen Gefallen zu erweisen, so ists eine gottlose, unentschuldbare Heuchelei. Wem es schon Gewissensbedenken macht, nur durch einen papistischen Tempel zu gehen, dem verzeih ichs gern, obwohl solche Leute allzu ängstlich sind. Doch wagte ich es nicht, mich oder sonst jemand auf ein so strenges Verbot zu verpflichten; denn mir genügt es durchaus, wenn kein Schein vorliegt, als teile man den Aberglauben, und wenn man sich doch Mühe gibt, durch seine Freiheit nicht etwa einen Schwachen zu ärgern. Halten wir diese beiden Punkte fest, so sehe ich nicht ein, weshalb wir uns ängstlich allerlei Gewissenshemmnisse aufrichten sollen, die unsern Lauf auf ebener Straße hemmen.

Was nun das Hören papistischer Predigten angeht, so muss man sich vor zwei Übelständen hüten: erstlich, dass nicht, wo diese Zungendrescher die wahre evangelische Lehre heruntermachen, unser stillschweigendes Zuhören den Schein erweckt, als gäben wir ihnen recht; zweitens, dass wir nicht auch an ihren abergläubischen Gebetsbräuchen teilnehmen. Wenn also einen die pure Neugier dazu zieht, solche Lästerungen anzuhören, so ist der weit entfernt von dem warmen Eifer, den Gott von seinen Kindern verlangt; denn wie könnte der aufrichtig und von Herzen sagen: der Eifer um dein Haus hat mich gefressen und die Schmähungen derer, die dich schmähen, fallen auf mich [Psalm 69, 10], der mit Wissen und Willen sein Ohr gotteslästerlichen Lehren leiht, ja ihnen gierig nachläuft? Wenn einer aber, um den Hass der Papisten von sich abzuwälzen, durch sein Kirchengehen sich einen falschen Schein zu geben sucht, so ist das tatsächlich schon eine indirekte Verleugnung des Evangeliums. Wer behauptet, er höre solche gottlosen Predigten, um nicht als Verächter Gottes zu erscheinen, der macht sich einen Dunst vor; sich und andere mag er damit täuschen, Gottes Augen aber kann er damit nicht betrügen. Wer sich entschuldigt, er höre sie nur an, um dann seine Angehörigen recht belehren zu können, der muss immer wieder wohl zusehen, dass das in seinem Herzen nicht ein Deckmantel für andere Gedanken ist. Denn da wir alle nur zu sehr die Neigung haben, dem Kreuz entfliehen zu wollen, so sind die, die sich so schmeicheln, sehr darauf aus, Vorwände zu finden, und unser Fleisch ist darin erfinderischer als recht ist. Wer also keinen andern Grund hat, oder wen nicht die Not zwingt, der tut bei weitem besser, wenn er sich enthält, in Kirchen zu gehen, in denen Gottes Wahrheit geflissentlich verderbt und entheiligt wird. Es ist auch fast unmöglich, dass nicht Herz und Ohr zugleich etwas Böses auffängt, wo man Satans Lügen willig Gehör gibt.

Was nun die Frage betrifft, ob wir unsern Tadel aussprechen sollen, so wäre es ja wünschenswert, dass man das unter uns kräftiger täte, und es sollte jeder energisch Mut fassen, den Irrenden diesen Dienst zu leisten; aber ich wage es doch nicht, als eine feste unumstößliche Regel aufzustellen, dass alles, was Gottes Ehre und seinem Wort widerstreitet, und wir sollen auch, wenn sich Gelegenheit bietet, unsere Gesinnung deutlich erklären; besonders wenn irgendwelche Hoffnung auf Erfolg ist, dürfen wir das ja nicht unterlassen; ja wenn der heilige Name Gottes schwerer verunehrt wird, so dürfen wir auch eine gewisse Rücksichtslosigkeit nicht scheuen. Unter diesen Umständen ist heutzutage nichts besser, als nur selten Gesellschaften zu besuchen, da man dabei unvermeidlich in den Kampf hineingezogen wird, wenn man nicht durch treulose Trägheit Gottes Ehre verraten will. Sicher, wo Gott oder die wahre Religion offenkundig geschmäht oder sein Name unwürdig und lästerlich missbraucht wird, da sagt uns, auch wenn wir nicht beistimmen, doch unser Gewissen, dass es eine schmähliche Feigheit wäre, wenn wir nicht offen zeigen, dass uns Gottes Dienst und Ehre am Herzen liegen. Ich will nicht sagen, dass ein frommer Mann gleich beim ersten Wort in Scheltrede ausbrechen soll; aber wo eins das andere gibt, da ist ein lässiges Hingehenlassen nicht ohne Gefahr.

Was nun das Tischgebet und andere häusliche Andachtsübungen angeht, so erklärt, wer sie entblößten Hauptes anhört, seine Zustimmung. Sind sie also mit irgendwelcher Verderbnis oder Aberglauben verknüpft, so befleckt er sich durch ein solches Bekenntnis. Sehen wir andere sich bekreuzigen oder ähnliches Zeug treiben, so liegt die Sache zwar anders; aber doch soll es uns eine Mahnung sein, nicht an Orte zu gehen, an denen uns zahllose abergläubische Bräuche vor Augen kommen, bei deren Anblick wir wie Paulus ergrimmen müssen, oder die uns doch, wenn nur ein Fünklein Frömmigkeit in uns lebt, leise Seufzer abringen müssen; wer aber leise seufzen muss über das, was er sieht, der wird sich ihm doch möglichst entziehen, wenn er kann. Wer an Hochzeiten geht, soll sich nur der Tänze, Reigen und anderer Ausgelassenheiten enthalten, so ist er wegen des bloßen Zusehens wohl nicht zu verurteilen; doch muss es auch stets unser Bestreben sein, dass unser Maßhalten den andern eine gewisse Scham einflößt und so gewissermaßen eine ernste Aussicht ist, die die Ausgelassenheit im Zaum hält. Ebenso ist das Würfelspiel zu verurteilen; denn wenn es nicht erlaubt ist, im Spiel sein Geld leichtsinnig zu verschleudern, so ist es ebenso verboten, es im Spiel zu gewinnen. Wer sich von dieser Leidenschaft nicht freihält, kann sich nicht entschuldigen. Ich weiß gar wohl, wie schwer es für Euch sein mag, solche Reinheit zu pflegen; aber es steht nicht in meiner Macht, von den Geboten Gottes auch nur das Geringste abzulassen, und da es nicht anders möglich ist, als dass viele dadurch gegen Euch aufgebracht werden, so wird, wenn Ihr nicht bereit seid, ihren Hass zu tragen, Euer Leben ein Hinken auf beiden Seiten sein. Ich will nicht darüber reden, wie schwer es ist, Verwandten und Freunden entfremdet zu werden, sondern ich will nur ganz einfach zeigen, was Gott verbietet und befiehlt. Wenn dich jemand zum Taufpaten seines Kindes bittet, so scheint es unfreundlich, es abzuschlagen, und er wird die Ablehnung als Beleidigung ansehen und dir schwer zürnen. Und doch wird, glaube ich, niemand zeigen können, dass es erlaubt sei, ein Kind zu den schändlichen Spielereien zu bringen, mit denen sie die rechte, echte Taufe Christi verhöhnen und entweihen; denn der Pate muss dem Priester beipflichten und befleckt sich durch diese gottlose Gesellschaft. So oft uns also die Menschen zu diesem und jenem verleiten wollen, was uns Gottes Wort verbietet, so ist es besser, auf alle Freundschaft zu verzichten, als sich durch solches Nachgeben aller Welt Gunst zu erwerben. Schließlich, wenn wir ruhig und auch mit Klugheit und bei gut gewählter Gelegenheit bezeugen, dass uns Gott mehr gilt als die Menschen, so geht es uns nichts an, wie die Feinde der Wahrheit das aufnehmen, sondern, - wie auch der Ausgang sei, - uns ists genug, dass unsere Gesinnung Gottes Zustimmung hat und ihm genehm ist. Aus dieser kurzen Antwort könnt Ihr hoffentlich ersehen, wie Ihr Euch zu benehmen habt.

Die Gemeinde zu Bourges steht aufrecht unter allen Schrecken der Feindschaft. Unser Martin geht standhaft und unermüdlich seines Weges, und ob die Feinde in Frankreich Drohedikte schleudern wie Blitze und vor Verfolgungslust schäumen, so nimmt doch überall die Kraft und Freudigkeit der Unsern zu. Lebwohl, trefflicher Mann und bester Bruder, samt den andern Freunden, denen hoffentlich dieser Brief auch gilt. Der Herr behüte Euch alle; er leite Euch mit seinem Geiste und rüste Euch aus mit unüberwindlicher Stärke.

Genf, 14. März 1558.
Dein
Johannes Calvin.

Nur die Unterschrift ist von mir, weil mich mein Schmerz in der Seite zwang, den Brief zu diktieren.

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