Calvin, Jean - An Melanchthon in Wittenberg (460)

Nr. 460 (C. R. – 2278)

Calvin, Jean - An Melanchthon in Wittenberg (460)

Melanchthon hatte in einem ganz kurzen Briefchen berichtet, zwei lutherische Eiferer, Johann Stoltz in Weimar und Nikolaus Hahn in Regensburg schrieben gegen ihn, und er fühle sich der Kirche gegenüber zu einer Erwiderung dieser Angriffe verpflichtet (vgl. 453). Joachim Camerarius, Melanchthons intimer Freund und späterer Biograph, war Professor der neutestamentlichen Exegese in Leipzig.

Pflicht und Notwendigkeit energischen Vorgehens.

Ganz richtig und einsichtsvoll bemerkst du, hochberühmter Mann, dass unsere Gegner nur den einen Vorsatz haben, sich theatralisch hervorzutun. Wiewohl sie nun darin, wie ich hoffe und man wohl glauben darf, eine große Enttäuschung erleben werden, so müssen wir doch, selbst wenn sie dadurch aller Welt Beifall errängen, umso eifriger auf den Kampfrichter im Himmel sehen, unter dessen Augen wir kämpfen. Wie, darf uns die heilige Schar der Engel, die uns durch ihre Gunst aufmuntern und uns durch ihr Beispiel auf den Weg des energischen Handelns weisen, träge rasten oder langsam vorrücken sehen? Und der ganze Chor der heiligen Väter? Gibt uns der keinen Antrieb? Und dann die Kirche Gottes auf Erden? Wenn wir wissen, dass sie betend mit uns kämpft und durch unser Beispiel sich begeistern lässt, soll dann ihre Zustimmung nichts gelten bei uns? Das soll meine Zuschauerschaft sein; wenn die mir beipflichtet, will ich zufrieden sein und – mag die ganze Welt mich auszischen – den Mut nicht verlieren. So weit bin ich davon entfernt, die abgeschmackten Schreier zu beneiden, wenn sie für eine kurze Zeit in irgendeinem dunkeln Winkel den Kuchen ihrer kleinen Berühmtheit verzehren. Was der Welt Beifall findet oder ihr verhasst ist, das ist mir nicht verborgen. Aber mir gilt das nicht mehr, als der Gehorsam gegen meines Meisters Gebot, und ich zweifle nicht daran, dass schließlich ein solches ehrliches Festhalten allen frommen und vernünftigen Leuten lieber sein wird, als eine schmiegsame, nachgiebige Lehrweise, die eitle Furcht verrät. Was du als deine Schuld gegenüber Gott und seiner Kirche anerkennst, das zahle sobald als möglich ab; ich beschwöre dich darum und dringe darauf, nicht etwa deshalb, weil ich hoffte, dadurch einen Teil der Feindschaft auf dich abzuladen und selbst davon entlastet zu werden. Vielmehr, wenns ginge, wäre ich in meiner Liebe und Verehrung für dich bereit, selbst das auf meine Schultern zu nehmen, was jetzt schon auf dir lastet. Aber du musst deine Schuld abzahlen, damit ich nicht wieder als Mahner kommen muss, wenn du nicht bald die frommen Leute, die auf dich schauen, befreist von dem Zweifel, ob du überhaupt darin zahlungsfähig seiest. Denk auch noch daran, dass, wenn dich nicht jetzt dieser Hahnenschrei am späten Abend weckt, alle dich mit Recht träge schelten werden. Lebwohl, trefflichster und von Herzen verehrter Mann. Christus, der Hüter seiner Gläubigen, sei stets mit dir; er leite und behüte dich. Amen. Herrn Camerarius und andere Freunde, wenn ich außer ihm noch solche dort habe, grüße von mir.

Genf, 23. August 1555.

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