Bunyan, John - Pilgerreise - Eilftes Kapitel.

Bunyan, John - Pilgerreise - Eilftes Kapitel.

- Ein Dritter gesellt sich hinzu.

Ich sah nun in meinem Traume wieder etwas Anderes. Als Christ und Getreu mit einander weiter wanderten, bemerkte der letztere, indem er seitwärts blickte, einen Mann, Namens Geschwätzig, welcher in einer Entfernung neben ihnen herwandelte, denn hier war der Weg so breit, daß sie alle drei neben einander gehen konnten. Er war ein großer Mann, aber schöner in der Ferne, als in der Nähe anzusehen. Getreu redete denselben in folgender Weise an:

Wohin Freund! Willst du auch vielleicht nach dem himmlischen Lande?

Geschwätzig. Ja, gerade dorthin will ich.

Getr. Schön, dann hoffe ich, werden wir gute Gesellschaft machen.

Geschw. Sehr gerne will ich mit euch gehen.

Getr. So komm denn herbei, daß wir zusammengehen und die Zeit mit nützlichen Gesprächen hinbringen.

Gesch. Von nützlichen Dingen mit euch oder einem Andern zu reden, ist mir sehr angenehm. Ich freue mich, daß ich mit Leuten zusammengekommen bin, die Lust zu einer so guten Sache haben. Denn, um die Wahrheit zu sagen, es gibt nicht Viele, welche geneigt sind, ihre Zeit auf Reisen in dieser Art zu verwenden; die Meisten sprechen lieber von nutzlosen Sachen, und das ist mir immer sehr zuwider gewesen.

Getr. Wahrlich, das ist auch sehr zu beklagen, denn wozu kann der Mensch seine Zunge so würdig gebrauchen, als wenn er von Gott und göttlichen Dingen redet?

Geschw. Was du da sagst, gefällt mir ausnehmend wohl, denn es ist völlig wahr und treffend. Ich will nur noch dazu fragen: Was ist so angenehm und nützlich als von göttlichen Dingen zu reden? Was kann so angenehm sein? nämlich für einen Menschen, der an wunderbaren Dingen seine Freude hat. Wenn z. B. ein Mann seine Freude hat, zu reden von der Geschichte, oder von den geheimen Kräften der Natur, oder von Wundern und Zeichen — wo findet er's dann so schön und lieblich beschrieben, als gerade in der heiligen Schrift?

Getr. Das ist allerdings wahr, aber unsere Hauptabsicht muß dabei sein, daß wir durch solche Dinge erbaut und gebessert werden.

Geschw. Das war es ja gerade, was ich sagte; denn von solchen Dingen zu reden, ist höchst nützlich, weil man dadurch von mancherlei, wie von der Eitelkeit der irdischen und von dem unvergänglichen Werth der himmlischen Dinge Kenntniß bekommt. Dies will ich nur ganz im Allgemeinen bemerken, aber insonderheit lernt man dadurch die Nothwendigkeit der Wiedergeburt, die Unzulänglichkeit unsrer Werke, die Nothwendigkeit der Gerechtigkeit Christi u. s. w. erkennen. Außerdem lernt man noch durch solche Reden, was es mit der Buße, dem Glauben, dem Gebet, der Trübsal und dgl. auf sich habe. Auch kann man so die herrlichen Verheißungen und Tröstungen des Evangeliums zu seiner eigenen Beruhigung und Erquickung kennen lernen. Ferner lernt man dadurch falsche Meinungen widerlegen, die, Wahrheit vertheidigen und Unwissende unterweisen.

Getr. Das Alles ist richtig, und ich freue mich, das aus deinem Munde zu hören.

Geschw. Ach, weil es Vielen daran ganz fehlt, so gibt es nur Wenige, welche wissen, wie unentbehrlich der Glaube und wie nothwendig das Werk der Gnade in der Seele sei, daß sie das ewige Leben erlange; ebenso wenig verstehen die Meisten Etwas von den Werken des Gesetzes, durch welche doch durchaus Niemand das. Himmelreich ererben kann.

Getr. Aber, erlaube, die Erkenntniß von diesen Dingen ist nur ein Geschenk der göttlichen Gnade. Niemand kann dazu kommen durch seinen eigenen Fleiß oder auch durch Reden über solche Dinge.

Geschw. Das weiß ich Alles recht wohl, ein Mensch kann sich nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel. 1) Es ist Alles aus Gnaden, nichts um der Werke willen. Das könnte ich durch hunderte Bibelsprüche beweisen.

Getr. Gut; aber über welchen Punkt wollen wir denn nun gerade unser Gespräch führen?

Geschw. Über welchen es dir beliebt. Ich bin bereit, mit dir zu reden, über himmlische Dinge oder irdische, über Gesetz oder Evangelium, über geistliche oder weltliche, über fremde oder einheimische, über wesentliche oder unwesentliche, vorausgesetzt, daß das Gespräch uns Nutzen bringt.

Da fing Getreu an, sich zu verwundern und indem er sich seinem Gefährten Christ näherte (denn dieser war eine Weile für sich allein dahergegangen), sagte er ganz leise zu ihm: „was für einen trefflichen Gesellschafter haben wir da bekommen! Dieser Mann wird sich gewiß als ein herrlicher Pilger bewähren. „ Christ lächelte darüber bescheidentlich und sagte: „Dieser Mann, von dem du so eingenommen bist, täuscht Hunderte, die ihn nicht, kennen.“

Getr. Kennst denn du ihn?

Chr. Ja, ich kenne ihn besser, als er sich selbst kennt.

Getr. Bitte, so sage mir doch, was es für ein Mensch ist.

Chr. Er heißt Geschwätzig und wohnt in unserer Stadt. Ich wundere mich, daß du ihn nicht kennst; doch freilich unsere Stadt ist groß.

Getr. Wessen Sohn ist er, und wo ungefähr wohnt er?

Chr. Er ist der Sohn eines gewissen Schönsprechers. Er wohnte in der Plauderstraße und ist bei Allen, die ihn kennen, unter dem Namen Geschwätzig aus der Plauderstraße bekannt. Obgleich er eine gewandte Zunge hat, so ist er doch ein ganz erbärmlicher Bursche.

Getr. Indessen scheint er doch ein prächtiger Mensch zu sein.

Chr. Das meinen Alle, die ihn nicht durch und durch kennen; draußen scheint er wohl gut, aber daheim ist er ein abscheulicher Mensch. Wenn du von ihm sagst, er sei ein prächtiger Mann, so erinnert mich das an die Gemälde, welche sich schön in der Ferne ausnehmen, in der Nähe aber gar nicht gut aussehen.

Getr. Doch ich möchte fast glauben, du scherzest, weil du dabei lächeltest.

Chr. Das sei ferne, daß ich, wenn ich auch lächelte, mit solchen Dingen Scherz treiben, oder Jemanden fälschlich anklagen sollte. Ich will dir Weiteres über ihn mittheilen. Dieser Mensch paßt für jede Gesellschaft und zu jedem Gespräch. Ebenso wie er jetzt zu dir zu sprechen verstand, kann er's auch auf der Bierbank. und je mehr es ihm in den Kopf steigt, desto mehr weiß er zu schwätzen. Das Christenthum ist nicht in seinem Herzen, daher auch weder in seinem Hause, noch in seinem Wandel. Alles, was er davon hat, sind nur leere Worte und besteht nur in dem Aufsehen, welches er damit macht.

Getr. Wenn du so sprichst, dann habe ich mich in diesem Manne sehr geirrt.

Chr. Ja, sehr geirrt, deß kannst du gewiß sein. Gedenke an die Aussprüche: Sie sagen es wohl, und thun es nicht, aber das Reich Gottes stehet nicht in Worten, sondern in Kraft. 2) Er spricht zwar von Gebet, von Buße, von Glauben oder von Wiedergeburt, aber er weiß auch nur davon zu sprechen. Ich bin in seiner Familie gewesen und habe ihn sowohl daheim als draußen beobachtet, daher bin ich überzeugt, daß ich Wahrheit von ihm rede. Sein Haus ist gerade so ohne Gottesfurcht, wie das Weiße im Ei ohne Geschmack. Da ist kein Gebet, kein Zeichen von Buße, ja ein unvernünftiges Thier dient in seiner Art Gott besser, als er. Er ist ein Schandfleck und eine Schmach für das Christenthum und ein Anstoß für Alle, die ihn kennen. Durch ihn kommt's, daß in dem ganzen Stadttheile, wo er wohnt, kaum noch ein gutes Wort gehört wird. 3) Drum haben die Leute, die ihn kennen, auf ihn das Sprichwort gemacht: Ein Teufel im Hause, und ein Heiliger draußen. Seine arme Familie erfährt dies auch wirklich: er ist ein schrecklicher Geizhals und dazu ein Polterer, der mit solchen Scheltworten über sein Gesinde her fährt und so unvernünftig ist, daß sie nicht wissen, was sie thun oder sagen sollen. Jedermann, der Etwas mit ihm zu thun hat, sagt: man kann besser mit einem Türken fertig werden, wie mit ihm, denn der würde doch ehrlicher verfahren. Dieser Geschwätzig soll womöglich noch schlimmer sein im Betrügen, Überlisten und Übervortheilen. Daneben erzieht er seine Söhne so, daß sie gerade in seine Fußstapfen treten, und nimmt er bei einem von ihnen eine alberne Schüchternheit wahr, denn so nennt er das erste Erwachen des Gewissens, so schimpft er ihn einen Narren und Dummkopf und will ihm unter keiner Bedingung eine Beschäftigung geben oder ihn Andern empfehlen. Ich glaube für mein Theil, daß er durch seinen schlechten Lebenswandel Manchen zum Straucheln und zum Fall gebracht hat, und so wird er, wenn Gott es nicht verhütet, noch Manchen in's Verderben bringen.

Getr. Wahrlich, lieber Bruder, ich muß dir Glauben schenken, nicht bloß weil du mir sagst, daß du den Mann kennst, sondern weil du ja auch als ein Christ über ihn geurtheilt. haben wirst. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, daß du aus übler Absicht diese Äußerungen gethan, sondern einzig nur darum, weil es sich wirklich also verhält.

Chr. Hätte ich ihn so wenig gekannt, wie du, so würde ich vielleicht die nämliche Ansicht gehegt haben, die du Anfangs von ihm hattest. Ja, hatte ich dieses Urtheil bloß von Feinden des Evangeliums über ihn gehört, so hätte ich dasselbe für eine Verläumdung gehalten — denn solche müssen ja die Frommen oftmals von den Gottlosen über sich ergehen lassen — aber nein, aller dieser Dinge und noch vieler anderer, um die ich genau weiß, kann ich ihn überführen. Überdieß schämen sich seiner alle frommen Menschen, und können ihn weder Bruder, noch Freund heißen; die ihn kennen, erröthen schon, wem sie nur seinen Namen nennen hören.

Getr. Nun merke ich wohl, daß Reden und Thun zwei verschiedene Dinge sind, und in Zukunft werde ich diesen Unterschied besser beobachten.

Chr. Ja, gewiß sind es zwei verschiedene Dinge, und so verschieden von einander wie Seel und Leib. Denn wie der Leib ohne die Seele nur ein todter Leichnam ist, so ist das Reden ohne das Thun ebenfalls ein todtes Wesen. Die Seele des Christenthums zeigt sich in der Ausübung desselben. Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott dem Vater ist der: die Wittwen und Waisen besuchen in ihrer Trübsal und sich von der Welt unbefleckt behalten. 4) Hieran denkt Geschwätzig aber nicht; er meint, daß Hören und Reden schon den wahren Christen ausmachen, und damit betrügt er sich selbst. 5) Das Hören ist weiter Nichts als die Aussaat, und das Reden ist gar kein Beweis dafür, daß Frucht im Herzen und Leben sei. Mögen wir uns doch ja versichert halten, daß die Menschen am Tage des Gerichts nach ihren Früchten werden gerichtet' werden. 6) Da wird es nicht bloß heißen: „Was habt ihr geglaubt?„ und nicht allein: „was habt ihr geredet?“ sondern auch: „was habt ihr gethan?„ und darnach werden sie ein Urtheil empfangen. Das Ende der Welt wird verglichen mit der Ernte,7) und du weißt, daß man in der Ernte nur auf die Frucht sieht. Das ist aber nicht so zu verstehen, als wenn Gott irgend Etwas gefallen könnte, das nicht aus dem Glauben kommt, sondern ich sage dies nur deßwegen, um zu beweisen, wie es mit dem Bekennen Geschwätzig's an jenem Tage Nichts sein wird.

Getr. Dies erinnert mich an das, was Moses von den reinen und unreinen Thieren sagt: Alles, was die Klauen spaltet und wiederkäuet unter den Thieren, das sollt ihr essen. Was aber wiederkäuet und hat Klauen und spaltet sie doch nicht — das ist auch unrein und ihr sollt es nicht essen8). Der Hase käuet wieder, aber dennoch ist er unrein, weil er die Klauen nicht spaltet. Und dieser gleicht wirklich dem Geschwätzig: er käuet wieder, indem er die Kenntniß, welche er gesucht und in sich aufgenommen, durch Worte wieder von sich gibt, allein er spaltet die Klauen nicht, da er sich nicht von dem Wege der Sünder scheidet, sondern macht's wie der Hase — den Fuß eines Hundes oder eines Bären behält er, und deßwegen ist er unrein.

Chr. Ich glaube, daß du da den rechten evangelischen Sinn dieser Stelle angegeben hast. Ich will indessen noch Etwas hinzufügen. Der Apostel Paulus nennt einige Leute, und namentlich solche große Schwätzer „tönendes Erz und klingende Schellen“9), das sind, wie er an einer andern Stelle sagt, Dinge, die einen Laut von sich geben, aber kein Leben haben 10), d. h. Menschen ohne den wahren Glauben und ohne die Gnade des Evangeliums, mithin solche, die nie in das Himmelreich unter die Kinder des Lebens kommen, obgleich ihr Klang, nämlich die Reden, die sie von sich geben, wie Engelzungen oder Engelstimmen tönen.

Getr. Ach, die Freude, welche ich anfangs an seiner Gesellschaft fand, war nicht so groß, als das Mißbehagen, welches ich jetzt daran verspüre. Wie sollen wir's doch anfangen, seiner los zu werden?

Chr. Ich will's dir sagen, und wenn du das thust, wirst du sehen, daß er deiner Gesellschaft bald müde sein wird, es sei, daß der Herr sein Herz rühre und es umwandle.

Getr. Was soll ich denn thun?

Chr. Laß dich wiederum in ein ernstes Gespräch über die Kraft der Gottseligkeit mit ihm ein, und wenn er dann mit dir darin einverstanden ist, so frage ihn geradezu, ob sich die Gottseligkeit auch in seinem Herzen, in seinem Hause und Wandel finde.

Getr. So schritt den Getreu wieder voran und fragte Geschwätzig: Nun, was gibt's? wie geht's?

Geschw. Schönen Dank! gut. Ich meinte, wir hätten bereits eine Weile mit einander sprechen können.

Getr. Wohlan, wenn du Lust hast, wollen wir's nun thun. Und da du es mir frei gestellt hast, den Gegenstand unserer Unterredung anzugeben, so laß mich fragen: Wie offenbart sich das Werk der seligmachenden Gnade Gottes in dem Herzen des Menschen?

Geschw. Ich bemerke, daß unser Gespräch von der Kraft der Dinge handeln soll. Nun, die Frage ist sehr gut, und ich bin bereit sie zu beantworten. Meine Antwort soll kurz die sein: Wenn die Gnade Gottes in dem Herzen des Menschen ist, so bewirkt sie erstlich ein großes Geschrei wider die Sünde; zweitens —

Getr. Halt ein! laß uns Eins nach dem Andern in Betracht nehmen. Ich meine, du hättest vielmehr sagen sollen: Sie offenbart sich dadurch, daß die Seele einen großen Abscheu vor der Sünde zu empfinden anfängt.

Geschw. Was ist denn für ein Unterschied zwischen einem großen Geschrei wider die Sünde und dem Abscheu wider dieselbe?

Getr. O, ein sehr großer. Ein Mann kann wider die Sünde schreien aus bloßer Weltklugheit, aber verabscheuen kann er sie nur in der Kraft göttlicher Feindschaft wider dieselbe. Ich habe Manchen wider die Sünde schreien hören von der Kanzel herab, der dieselbe nichts desto weniger in seinem Herzen, in seinem Hause und seinem Wandel walten ließ. Potiphar's Weib erhob auch ein lautes Geschrei, als wenn sie gar heilig gewesen, und dennoch gelüstete sie in ihrem Herzen, mit Joseph Unzucht zu treiben,11) Andere machen es wie eine Mutter, die das Kind auf ihrem Schooße in dem einen Augenblick für eine häßliche Unart ausschilt, und es im andern an sich drückt und küßt.

Geschw. Du willst mich fangen, ich merke es wohl.

Getr. Das will ich nicht; ich will nur die Sache in's rechte Licht stellen. Doch welches ist das zweite Stück, woran du zeigen wolltest, daß sich das Werk der Gnade an dem Herzen des Menschen offenbare?

Geschw. Große Erkenntnis; der Geheimnisse des Evangeliums.

Getr. Die hättest du eigentlich als das erste Zeichen nennen sollen; doch gleichviel, ob zuerst oder zuletzt, es ist dennoch falsch. Denn Erkenntniß, sogar große Erkenntnisse des Evangeliums mag Einer haben, und dennoch fragt sich's, ob das Werk der Gnade sich in seinem Herzen finde. Ja, es kann ein Mensch alle Erkenntniß besitzen, und doch Nichts sein,12) und folglich auch kein Kind Gottes. Wenn Christus seine Jünger fragte: „Wisset ihr alle diese Dinge?“ und ihm seine Jünger darauf antworteten: „Ja, Herr!„ so fügte er hinzu: „Selig seid ihr, so ihr es thut.“13) Nicht das Wissen, sondern das Thun macht er zur Bedingung seines Segens. Es gibt eine Erkenntniß ohne That; so ist's mit dem Knechte, der seines Herrn Willen weiß, aber nicht darnach thut. 14) Ein Mensch kann Erkenntniß wie ein Engel haben, und doch kein Christ sein; daher ist das Kennzeichen, das du angibst, falsch. Wahrlich, das Wissen gefällt nur den Schwätzern und Ruhmredigen, aber das Thun gefällt Gott. Ich will nicht sagen, daß das Herz ohne Erkenntniß gut sein könnte, denn ohne dieselbe ist es finster. Aber Erkenntniß und Erkenntniß sind zweierlei Dinge. Es gibt nämlich eine Erkenntniß, die bei einer bloßen Betrachtung der Dinge stehen bleibt, und wieder eine andere, welche, mit Glauben und Liebe verbunden, de n Menschen treibt, daß er von Herzen den Willen Gottes thut. Mit der ersten Art der Erkenntniß begnügt sich der Schwätzer, aber der wahre Christ kann sich ohne die letztere nicht zufrieden geben. Unterweise mich, daß ich bewahre dein Gesetz, und halte es von ganzem Herzen. 15)

Geschw. Du suchst abermals mich zu fangen; das dient aber nicht zur Erbauung. ,

Getr. Nun gib, wenn's beliebt, ein anderes Kennzeichen an, wodurch sich das Werk der Gnade offenbart.

Geschw. Ich will es lieber nicht thun, denn ich merke wohl, daß wir doch nicht übereinstimmen.

Getr. Gut, wenn du es nicht thun willst, so erlaube mir, daß ich es thue.

Geschw. Das kannst du machen wie du willst.

Getr. Das Werk der Gnade in einem Menschen offenbart sich entweder ihm selbst oder denen, die um ihn herum sind. Ihm selbst, indem er überzeugt ist, von seiner Sünde und besonders von der Verdorbenheit seiner Natur und von der Sünde des Unglaubens, um derentwillen er seiner Verdammniß gewiß ist, sofern er nicht Gnade findet bei Gott durch den Glauben an Jesum Christum. Diese Überzeugung und dieses Gefühl erwecken Traurigkeit und Scham über die Sünde in ihm. 16) Daneben findet er jedoch den Heiland der Welt in sich geoffenbart, so wie die unabweisliche Nothwendigkeit sich mit ihm fest zu verbinden für das ganze Leben. 17) Dadurch aber entsteht ein Hungern und Dürsten nach Ihm, welches die Verheißung hat: Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden. 18) Je nachdem nun sein Glaube an seinen Heiland stark oder schwach ist, verhält es sich auch mit seiner Freude und seinem Frieden, mit seiner Liebe zur Heiligung, so mit seinem Eifer Ihn näher kennen zu lernen und Ihm zu dienen in dieser Welt. Allein, obgleich sich's ihm, wie ich sagte, auf diese Weise offenbart, so ist er doch nur selten im Stande, daraus zu schließen, daß er in der Gnade steht, weil der sündhafte Zustand, worin er sich befindet, ihn leicht zu einem falschen Urtheile verleitet. Daher ist es für den, in welchem die Gnade wirksam ist, durchaus erforderlich, daß er zu einem gesunden Urtheile komme, denn erst dadurch kann er mit Gewißheit schließen, daß es ein Werk der Gnade sei. 19)

Für Andere gibt es sich aber zu erkennen:

1) Durch ein auf Erfahrung gegründetes Bekenntniß des Glaubens an Christum.

2) Durch einen Wandel, welcher mit diesem Bekenntnis in Einklang steht, ich meine nämlich durch einen heiligen Wandel, der sich als die Frucht seines geheiligten Herzens nicht nur in seinem Familienleben, sondern auch überhaupt im Verkehr mit andern Menschen erweiset. Diese Heiligkeit unterweiset ihn, innerlich seine Sünden zu verabscheuen und sich darum im Stillen vor Gott zu demüthigen, sie in seiner Familie zu unterdrücken und ein unsträflich Wesen zu fördern in dieser Welt — und das nicht nach Art der Heuchler und Schwätzer durch leere Worte, sondern durch tatsächliche Unterwerfung unter das Wort Gottes, in Glauben und Liebe. 20) Und nun, hast du gegen diese kurze Beschreibung vom Werk der Gnade und die Art und Weise, wie es sich offenbart, Etwas einzuwenden, dann thue es; wo nicht, so erlaube mir, dir eine zweite Frage vorzulegen,

Geschw. Es ist ja nicht meine Sache hier Einwendungen zu machen, sondern nur zuzuhören, darum laß denn deine zweite Frage kommen.

Getr. Es ist die: Hast du den ersten Theil meiner Beschreibung an dir selbst erfahren? Und gibt dir dein Leben und Wandel Zeugniß davon? Oder steht dem Christenthum in Worten und auf der Zunge, aber nicht in der That und in der Wahrheit? Willst du mir hierauf Antwort geben, dann bitte ich dich, sage doch nur das, worauf Gott im Himmel Amen spricht, und nur, was du vor deinem Gewissen verantworten kannst, denn darum ist Einer nicht tüchtig, daß er sich selbst lobet, sondern daß ihn der Herr, lobet. Übrigens ist es eine große Gottlosigkeit zu sagen: ich bin so und so, während mein Wandel und alle meine Nachbaren mich Lügen strafen.

Bei diesen Worten wurde Geschwätzig erst schamroth, nahm sich jedoch gleich wieder zusammen und fragte: Nun kommst du auf die Erfahrung, auf das Gewissen und auf Gott und berufst dich dabei auf Gott. Ich muß dir gestehen, daß ich solche Art von Unterhaltung nicht erwartet hätte; doch fühle ich auch keine Lust auf derlei Fragen zu antworten, weil ich mich dazu gar nicht verpflichtet fühle, es sei denn, du wolltest dich zu meinem Magister machen, aber thätest du das auch, so würde ich dich doch nicht als meinen Richter anerkennen. Allein, bitte, sage mir doch, warum du eigentlich solche Fragen an mich richtest?

Getr. Deßwegen, weil du immer drauf los sprachst, aber ich nicht wußte, ob du nur bloß Worte machtest. Übrigens will ich dir auch gerade heraussagen, ich habe vernommen, daß du ein Mann seist, dessen ganzes Christenthum nur in Worten stehe, und daß dein ganzer Wandel das Bekenntniß deines Mundes Lügen strafe. Man sagt, du seiest ein Schandfleck unter den Christen und thuest dem Christenthum großen Schaden durch dein ungöttliches Leben. Manchem sollst du schon Anstoß gegeben haben durch dein gottloses Wesen und mehrere noch seien in Gefahr, dadurch in's Verderben zu gerathen. Dein Christenthum soll sich ganz wohl vertragen mit Saufen, Geiz, Wollust, mit Schwören und Lugen, so wie mit schlechten Gesellschaften. Auf dich paßt jenes Sprichwort von einer Hure: „sie ist eine Schande für alle Frauen.„ Du bist eine Schande für alle wahren Bekenner des Evangeliums.

Geschw. Da du so bereit bist, üblen Gerüchten Glauben zu schenken und du so schnell den Stab über mich brichst, kann ich nur denken, daß ich einen griesgrämigen oder melancholischen Menschen vor mir habe, mit dem man eine Unterhaltung gar nicht anstellen kann, und darum Lebe wohl!

Darauf kam Christ hinzu und sagte: Hab' ich dir nicht gesagt, Bruder, wie es gehen würde? Deine Worte und seine Lüste konnten sich nicht mit einander vertragen. Er wollte lieber deine Gesellschaft daran geben, als sein sündliches Leben ändern. Doch, nun ist er abgegangen, wie ich's voraus sagte. So laß ihn denn gehen. Er schadet sich dadurch nur selbst. Uns hat er die Unannehmlichkeit erspart, uns von seiner Seite abzumachen; denn wäre er geblieben wie er ist, und ich fürchte, er wird sich niemals ändern, so wäre er doch nur ein Schandfleck unserer Gesellschaft gewesen. Nun aber sagt der Apostel: Thue dich von solchen. 21)

Getr. Aber wie froh bin ich doch, daß wir diese kleine Unterredung mit ihm gehabt haben. Er mag doch wohl noch einmal darüber nachdenken. Ich habe übrigens ohne Rückhalt und offen mit ihm geredet, und deßhalb bin ich rein von seinem Blute, wenn er umkommen sollte. 22)

Chr. Du hast wohl gethan, daß du so unverhohlen mit ihm geredet; das geschieht heut zu Tage selten, und deßwegen ist die Gottseligkeit übel berüchtigt. Solche thörichte Schwätzer, wie jener, deren ganzes Christenthum nur aus hohlen Worten besteht, und die dabei einen liederlichen und eitlen Wandel führen, werden, leider so manchmal, zu den Versammlungen der Gläubigen zugelassen, wodurch dann die Welt irre gemacht, das Christenthum geschändet und die Aufrichtigen betrübt werden. Ich wollte nur, daß Jeder es mit dergleichen Leuten so machte, wie du, dann würden sie entweder in wahre Christen umgewandelt, oder der Umgang mit den Kindern Gottes ihnen unerträglich werden. — Fröhlich stimmte hierauf Christ an:

Wie hob Geschwätzig erst sein stell Gefieder,
Wie floß sein Wort! „Ich kämpfe Alles nieder!
Dacht' er. Doch alsobald ihm sprach Getreu
Vom Wert der Gnaden, wie's im Herzen sei —
Da schwand der Schwätzer hin wie bloßer Mondenschein,
Denn wo die Gnade wirkt, da muß des Glaubens Frucht auch sein.

1)
Joh. 3,27.
2)
Matth. 23,3. 1 Kor. 4,20.
3)
Röm. 2,24.
4)
Jak. 1,27. Siehe auch V. 22-26.
5)
Hiob 15,31.
6)
Matth. 13,23.
7)
Matth. 13,30. 39.
8)
2 Mos. 11, 3. 5 Mos. 14.
9)
1 Kor. 13,1-3.
10)
1 Kor. 14,7.
11)
1 Mos. 39,12—13.
12)
1 Kor. 13,2.
13)
Joh. 13,12. 17.
14)
Luk. 12,47.
15)
Ps. 119,34. 50,16. 17.
16)
Ps. 38,18. Jer. 31,19. Joh. 16,8. Röm. 7,24. Mark. 16,16. Gal. 2,16. Offenb. 1,6.
17)
Gal. 1,15. 16. 1 Joh. 1,3. Hos. 2,19,20.
18)
Matth. 5,6.
19)
Joh. 16,9. Gal. 2,15. f. Ap. 4,12. Offenb. 21,6.
20)
Hiob 42,5. 6. Ps. 50,23. Hesek. 20,43. Matth. 5,8. Joh. 14,15. Röm. 10,10. Hesek. 36,25. Phil. 3,17-20.
21)
1 Tim. 6,5. 2 Tim. 3,5. 2 Kor. 6,17.
22)
Apgsch. 20,26. 27.
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