Bullinger, Heinrich - Vom Nachtmal des Herrn, von der Vorbereitung zu demselben, von Schwäche und Wachsthum des Glaubens. Zuschrift an Frau Anna Roist.

Bullinger, Heinrich - Vom Nachtmal des Herrn, von der Vorbereitung zu demselben, von Schwäche und Wachsthum des Glaubens. Zuschrift an Frau Anna Roist.

Die Gnade Gottes sei mit Euch! Edle, tugendreiche Frau. Ich werde von den Eurigen berichtet, wie Ihr einige Anfechtung habet wegen des heil. Abendmals unsers Herrn Jesu Christi, indem Ihr besorget, weil Paulus sage, daß es auch zum Gericht genossen werde, so empfanget Ihr vielleicht wegen Eures schwachen und nicht festen Glaubens das Nachtmal zum Gericht. Da nun aber Eure seligen Großeltern mich geliebt und wollten, daß ich beim Ende ihres Lebens wäre, das sie selig in Christo beschlossen, sowie ich auch mit Euerem Vater und Euerer lieben Mutter seligen gar vertraut gewesen, die mich über Religion oder Glaubenssachen viel befragt und in ihren Krankheiten sich mit mir besprochen haben, und allzeit mit mir zufrieden waren und sich berichten und weisen ließen; so bin ich der getrosten Hoffnung, Ihr, als ihre liebe Tochter, werdet ihnen auch in diesen guten Dingen nachfolgen und von mir Euch belehren lassen, und mir dieses mein Schreiben zu gute halten als eines Freundes, der nicht minder Euch wie Euere ehrenwerthen Voreltern in der Wahrheit Christi und dem Wege zur Seligkeit zu unterrichten begehrt. Gott gebe seine Gnade dazu, er erleuchte Euch und stärke den Glauben in Euerem Herzen! Amen.

Des heiligen Nachtmals halben werdet ihr wohl wissen, was es ist, nämlich ein Wiedergedächtniß des in den Tod hingegebenen Leibes Christi und seines Blutvergießens für unsere Sünden. Denn der Herr selbst spricht zu zwei Malen: thut das meiner zu gedenken. Darum wenn wir zu diesem heiligen Male kommen und davon essen und trinken, wie er uns auch selbst geheißen und gesprochen hat: Nehmet, esset, das ist mein Leib, der für euch dahingegeben wird, und: Trinket alle daraus, das ist mein Blut, das Blut des neuen Testamentes, das vergossen wird zur Verzeihung der Sünden für euch und für viele; da soll man nicht allein auf das Brod und auf den Wein sehen, und es essen und trinken, wie sonst daheim am Tisch Brot und Wein, sondern wie der Herr eben gesagt, das sollen wir thun zu seinem Gedächtniß, d.i. zu gedenken, daß er seinen Leib für uns in den Tod gegeben hat, damit wir lebten, und daß er sein Blut vergossen hat zu Verzeihung unserer Sünden, indem wir ja durch sein Blut gewaschen, heilig und rein durch ihn geworden sind. Er nennt auch darum das Brot seinen Leib, der für uns getödtet ist, und den Wein sein Blut, das für uns vergossen ist, damit er unser Gemüth vom Brot und Wein erhebe zu ihm, der da sitzt zur Rechten des Vaters im Himmel. Und wie man das Brot ißt und den Wein trinkt zur Stärkung des Leibes, also nehmen wir durch den Glauben geistlich Christum auf als die Speise und den Trank, d.i. die Erhaltung unserer Seelen. Wir nehmen aber, essen und trinken das Fleisch Christi oder Christum und sein Blut, wenn wir an ihn glauben, daß er sein Fleisch und Blut für uns in den Tod gegeben hat, damit wir von Sünden gereinigt in ihm und durch ihn leben. Also legt es auch der Herr selbst aus, Johannes am 6. Kap. Wenn wir denn also mit gläubigem Gemüth und zum Gedächtniß Christi das Nachtmal begehen, so ist Christus bei und in uns mit seinem Geiste, und sagen wir ihm Lob und Dank um seine Erlösung, begehren auch von ihm, daß er uns Gnade gebe, fromm zu leben, wie es seinen Erlösten wohl ansteht etc.

Und hier halte ich es nicht für nothwendig, viel davon zu sagen, daß das Brot und der Wein im heil. Nachtmal nicht an und für sich geworden seien der wahre Leib und das wahre Blut Christi; denn der Christenglaube beruht nicht darauf, daß wir glauben sollen, das Brot sei der Leib und der Wein das Blut Christi, und daß, wer also glaube, selig werde, wer das nicht glaube, verdammt sei: sondern das ist der wahre Christenglaube, der uns selig macht, wenn wir glauben, daß Christus sein Fleisch für uns in den Tod gegeben und sein Blut zur Abwaschung unserer Sünden vergossen hat. Ferner, wenn wir glauben, daß er von der reinen Jungfrau Maria Mensch und nicht Brot geworden sei. Daß er sich aber das Brot des Lebens nennt, thut er gleichnißweise, wie wir sehen aus dem 6. Kap. Johannis, daß, wie das Essendes leiblichen Brotes den Leib speist, also der Herr Jesus mit Glauben gegessen oder angenommen die Seele lebendig macht. Weiter nennt der Herr das Brot und den Wein in dem heil. Nachtmal seinen Leib und sein Blut, nicht als ob Brot und Wein verwandelt würden in den Leib und das Blut Christi, sondern weil sie Wahrzeichen (die man heilige Sakramente nennt) sind des wahren Leibes und Blutes Christi und den Namen darum tragen, daß, wenn wir das Brot und den Wein vor uns sehen, wir an ihnen Wahrzeichen haben, die uns erinnern und ins Gedächtniß rufen den in den Tod hingegebenen Leib und das vergossene Blut Christi, die Einmal für uns am Kreuze geopfert sind. Er, der Herr aber ist jetzt im Himmel zur Rechten Gottes, laut den Artikeln unsers christlichen Glaubens, und es ist ein alter Brauch Gottes, daß Gott jederzeit seine eingesetzten Sakramente und heil. Wahrzeichen mit dem Namen der Dinge benannt hat, die sie bezeichneten. Denn so werden die Opfer genannt die Sünde und Reinigung der Sünden, die Beschneidung wird genannt der Bund Gottes, das Osterlamm der Ueberschritt oder das Verschonen und die heilige Taufe die Wiedergeburt und Abwaschung der Sünden; während doch diese (Handlungen) alle das, was sie heißen und genannt werden, wesentlich an sich selbst nicht sind, sondern Zeugnisse und Wahrzeichen der Dinge, mit deren Namen sie benannt werden. Dieselbe Bewandtniß hat es auch mit des Herrn Brot und Trank, die er nennt seinen Leib und sein Blut, indem sie seines Leibes und Blutes Sakramente sind.

Was dann die Form belangt, in und mit der in unsern Kirchen das Nachtmal unsers Herrn begangen wird, so soll sich niemand darob ärgern oder Anstoß nehmen, daß wir keine Pracht mit Silber, Gold, Edelsteinen, Sammet oder Seiden, noch viele Zierden und Ceremonien gebrauchen. Im alten Testament hatte und gebrauchte man dessen viel in Opfern und Ceremonien. Die heil. Schrift aber bezeugt, daß das alte Testament in solchen Dingen vergangen und abgethan sei. So bezeugte der Herr bei dem Nachtmal selbst, es sei dasselbe eine Handlung des neuen Testamentes. Darum wandte er nichts von jenen Dingen an, und niemand ist so unverständig, daß er nicht einsehen und bekennen müßte, es könne von niemanden eine bessere Form des Nachtmals aufgestellt werden, als die von dem Sohne Gottes eingesetzte, die wir nicht anders von den heil. Aposteln überkommen haben, als wie sie dieselbe von dem Herrn empfingen. St. Paulus sagt: Was ich von dem Herrn empfangen, das habe ich euch auch berichtet, und das sollen wir behalten, bis der Herr zum Gericht komme. Dies ist wohl eine Anzeige, daß die Kirche keine andere Form machen, sondern die von dem Herrn und den Aposteln eingesetzte und aufgestellte fest und unverwandelt behalten soll, und daß diejenigen, welche dem zuwider eine andere Form gebrauchen, sich Gottes Ordnung widersetzen und sich greulich versündigen. Von dem Herrn und seinen Aposteln haben wir nichts Anderes, als daß die Gläubigen sollen zusammenkommen in die Gemeinde, da mit einander beten, das Wort Gottes von unserer Erlösung durch den Tod Christi, auch von unserer Dankbarkeit, Schuld und Pflicht oder der Besserung unsers Lebens hören, sodann des Herrn Brot und Trank zu seinem Wiedergedächtniß miteinander empfangen und genießen, und den Herrn treulich und von Herzen loben und ihm danken. Wer sich an diesen Brauch und diese Ordnung hält, und daran begnügen läßt, als an der allerheiligsten und besten Ordnung unsers Herrn Jesu Christi, des lebendigen Gottessohnes und der ewigen Weisheit, der thut recht, dient und gefällt in diesem gläubigen Gehorsam Gott. Wer sich aber deß nicht genügen läßt und etwas Anders, gleich als was Besseres und Hübscheres sucht, der verachtet und verwirft die Ordnung des Sohnes Gottes und hält für besser und schöner, was Sünde und Verachtung Gottes ist.

Darum soll kein Gläubiger die päbstliche Messe für gerecht und gut weder ausgeben noch halten. Denn durch die Messe ist in der Kirche Christi Ordnung des heiligen Nachtmals in Abgang und Vergessenheit gekommen. Die Messe ist in ihrer Form etwas ganz Anderes als das Nachtmal Christi, und ist auch lange nach der Apostel Tode von den Menschen erfunden und in die christliche Kirche eingeführt worden, die in ihren ersten Zeiten von ihr nichts wußte. Denn es sind unverschämte Unwahrheiten, was von den Päbstlern vorgegeben wird, Petrus, Jacobus und Matthäus haben Messe gehalten. Zeigen ja doch diese Päbstler in ihren Büchern selbst an, welche Päbste und Väter viele Jahre nach der Apostel Tode erst die Stücke und Bräuche der Messe erfunden und aufgesetzt haben. Ueber dieß Alles ist unwidersprechlich, daß Christus nirgends den Priester Messe halten und für die Sünden der Lebendigen und Todten opfern hieß. Er ist Einmal geopfert und kann nie mehr und von niemanden geopfert werden. Er hat alle Gläubigen geheißen mit einander das Nachtmal begehen, wie er es zuvor gethan, und hat uns Alle geheißen thun nach seinem Vorgang. Er spricht nicht: Nimm du, Priester, das und opfere es für die Sünden der Lebendigen und der Todten, sondern er spricht zu allen Gläubigen: Nehmet, esset und trinket u.s.w. und spricht nicht: Opfert es oder setzet es in eine Monstranz, traget’s herum und betet’s an. Ja in dem Evangelio Matthäi sagt uns unser Herr voraus, es werde durch falsche Lehrer dahin kommen, daß man Christum auf Erden da und dort, ja auch in beschlossenen Gehaltern (Sakramentshäuslein) zeigen werde. Er sagt aber auch dazu, wir sollen es nicht glauben, er wolle uns davor gewarnt haben (Matth. 24.). Und es ist auch sonst bekannt und unwidersprechlich, daß solche Gebräuche mit dem h. Sakrament von den Päbsten Innocenz, Honorius, Urbanus und andern ihresgleichen erst nach 1200 Jahren in die Kirche eingeführt wurden und daß die Kirche zwölfhundert Jahre lang solcher Gebräuche, ja Abgöttereien ermangelte, wie sie ja auch in der Kirche nicht sein sollen. Darum, edle, tugendreiche Frau, lasset Euch die Ceremonien und zierlichen Mißbräuche, die Ihr zu Hofe in der Messe und in des Herrn Fronleichnam, wie sie es nennen, gesehen habt, die Augen nicht verblenden, noch Euer Herz unruhig machen. Sehet vielmehr auf den lebendigen Sohn Gottes, auf seine Anordnung des heil. Nachtmals, auf die Lehre des h. Evangeliums und der seligen Apostel, die wird Euch weder fällen (fehlen) noch verführen. Sie haben uns nirgends das Gepränge und die Pracht gelehrt, womit die Päbstler in der Messe und mit ihrem Fronleichnam umgehen und alle Welt bethören und verführen. Daniel im 11. Kap. weissagt, daß der Antichrist den Maozim, der seinen Vätern unbekannt gewesen, mit Silber, Gold und Edelgestein verehren werde. Wir wissen vielmehr, daß die, welche solche Köstlichkeiten verachten und nicht lieben, Gott gefallen; denn er will nicht verehrt werden mit Silber und Gold, es sei denn, daß man es um Gottes willen dargibt, sondern mit Glauben, Liebe und mit frommem, heiligem, unschuldigem Leben. Das ist das rechte Edelgestein, Silber und Gold, das Gott will und von uns begehrt, wie uns die h. Apostel lehren, Petrus (1. Petr. 2. u. 3.) und Paulus (Ap. 17. Röm. 12. Hebr. 3. etc.); und so viel sei davon gesprochen, wiewohl mit gutem Grund noch viel mehr darüber könnte gesagt werden.

Was nun die Bewährung und Zurüstung eines jeden Gläubigen betrifft, damit er würdig und nicht unwürdig und sich selbst zum Gericht zu des Herrn Nachtmal gehe, so soll ein jeder Mensch in sich selbst gehen, und sich gründlich erforschen und erinnern, wie und was er in seinem Herzen finde, und wie es zu Gott stehe. Das suche er aber in sich selbst mit der Leuchte des heiligen göttlichen Wortes. Da wird ein jeder von Gottes Wort erleuchtet finden, daß er in Sünden empfangen und geboren, voll Sünden ist, in Gedanken, Sinnen, Worten, Werken, Thun und Lassen. Daher kann er auf sich, seine Kräfte und Verdienste nichts setzen noch bauen, sondern muß außer sich selbst Hülfe und Trost suchen. Da zeigt uns aber das heil. göttliche Wort die Gnade und Barmherzigkeit unsers himmlischen Vaters. Zu dieser heißt es uns eilen, unsere Sünde vor dem Vater beichten oder bekennen und um Gnade bitten. Ebenso heißt es uns vertrauen und glauben, daß uns Gott wolle gnädig sein und uns unsre Sünden aus freier Gnade verzeihen durch den Tod unsers Herrn Jesu Christi; ja wir sollen glauben, daß wegen des Todes und Blutvergießens Christi Gott uns unsere Sünden vergeben und uns aufgenommen habe zu seinen Kindern und ewigen Erben, was er in seinem heil. Nachtmal auch bezeugt hat, indem er sich uns im Nachtmal anbietet, daß Er seinen Leib für uns in den Tod gegeben und sein Blut zur Reinigung unserer Sünden vergossen habe. Darum wenn wir das glauben und uns fest vornehmen, ihm dafür zu danken und uns allein seiner Erlösung zu trösten, so haben wir uns geprüft und recht gerüstet zu des Herrn Nachtmal, das wir uns dann gewiß nicht zum Gericht genießen. Denn der Glaube an Christum macht uns lebendig und erhält uns zur ewigen Seligkeit. Wenn wir aber solchen Glauben an Christum nicht haben, unsere Sünde nicht erkennen, uns nicht einzig des Leidens Christi getrösten und zu des Herrn Nachtmal gehen und davon genießen, ohne den Leib Christi zu unterscheiden von täglicher Speise, wenn wir davon essen und trinken, als ob wir sonst Brot und Wein äßen und tränken, ohne jenes Geheimniß anzuerkennen, dann würden wir des Herrn Brot und Trank zum Gericht empfangen; und liegt also alle Kraft der Würdigkeit in der rechten Erkenntniß unserer Sünden und an dem wahren Glauben an das Leiden Christi.

Hier aber habet nicht nur Ihr, edle, tugendreiche Frau, sondern auch viele andere gottesfürchtige Menschen schwere Gedanken und Anfechtung des Glaubens halben und fürchten, er sei nicht so stark und fest, als er sein sollte, und daß sie sich an dem Nachtmal des Herrn versündigen; und es finden sich etliche, die aus diesem Grunde nicht zum Nachtmal kommen, oder wenn sie dazu gehen, nur mit Furcht und großer Angst dazu gehen, da sie doch viel mehr mit Freude ihres Herzens dazu treten sollten, dieweil sich der Herr aller Gnaden uns anbietet, uns einladet und heißt zu ihm kommen, er wolle uns trösten und ergötzen, ja den armen Sünder, der nach Gnade verlangt, wolle er nicht verwerfen. In dieser Hinsicht sollten die Prediger des Evangeliums Christi Sorge tragen, den Schwachgläubigen diese Gnadenhandlung nicht zu schwer machen oder zu verbittern.

Um den Glauben aber in uns armen gebrechlichen Menschen steht es also: Er wird uns gnädiglich und innerlich gegeben durch den h. Geist in unsre Herzen, durch die äußerliche Predigt des göttlichen Wortes, obgleich wir nichts desto minder unsers Fleisches Blödigkeit empfinden bis an unser Grab. Daher denn die Gläubigen, die solches wahrnehmen und in sich selbst nicht wenig Kampf und Anfechtung haben, mit Recht klagen und bedauern, daß sie in sich selbst solchen Widerstreit und Kleinmuth tragen. Indeß bitten sie Gott nicht nur um Verzeihung ihrer Unvollkommenheit, sondern auch um Stärkung und Mehrung ihres Glaubens, damit die Blödigkeit und Schwachheit nicht etwa die Oberhand gewinnen. Solches sehen wir deutlich bei den h. Aposteln selbst, die ja, wenn sie nicht ihre Glaubensschwäche empfunden, nicht im Evangelio gefleht hätten: Herr, mehre uns den Glauben! Diesem Beispiel der Apostel soll jeder aus uns nachfolgen, wenn er in sich selbst die Blödigkeit und Schwäche fühlt.

Denn der Glaube im Menschenherzen hat allerdings seine Schwäche und seine Zunahme oder Stärke, und es ist der Glaube des einen Menschen stärker, denn der des andern. Dennoch ist auch der Glaube, der nicht der stärkste ist, darum nicht eitel, unnütz oder Unglaube, sondern Gott nimmt auch einen solchen Glauben an und hilft dem, der da glaubt, und doch seine Blödigkeit erkennt und der Gnade und Stärkung begehrt. Ein jedes Licht, das da brennt, ist ein Licht, obgleich wohl eines heller und fester oder stärker denn das andere brennt. Wenn es aber erlischt, dann heißt es nicht mehr ein Licht. Darum lesen wir im Evangelio, daß der Herr zu Petrus sprach: Petrus, ich habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht abnehme oder erlösche. Ja an Petrus lernt und sieht man, wie es sich mit der Schwäche des Glaubens verhält, und daß der Herr auch denen zu Hülfe kommt, die zwar rechtgläubig sind, aber doch immerdar um Gnade und Hülfe ihn anrufen. Denn Petrus war nicht ohne Glauben, da er so klar bekannte, der Herr sei der Sohn des lebendigen Gottes und der wahre Messias. Darauf auch der Herr antwortet: Fleisch und Blut hat dir das nicht geoffenbaret, sondern mein himmlischer Vater, und: Selig bist du Simon etc. (Matth. 16.) Und hinwiederum (Joh. 6.) als der Herr fragte, ob seine Jünger auch wollten von ihm abfallen? antwortete Petrus: Herr, wohin und zu wem sollten wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt, daß du Christus bist, der Sohn des lebendigen Gottes etc.

Dieser Petrus begab sich auch nicht ohne Glauben auf den See und ging auf dem Wasser. Da aber die Wellen und der Wind stark wider ihn brauseten, erschrak er und begann in das Wasser zu sinken, doch schrie er auch hier: O Herr, hilf! und der Herr ließ ihn nicht ertrinken, half ihm hervor und bestrafte seinen Kleinglauben. So lesen wir auch (Marc. 9.), daß ein Vater mit einem Knaben, seinem Sohne, zum Herrn kam und ihn bat, daß er ihm seinen kranken Knaben gesund mache. Der Herr aber sprach: Ja, magst du es glauben? Darauf der Vater schrie: Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben! Derselbe hatte demnach einen Glauben in sich, doch empfand er selbst, daß er nicht so stark war, wie er fühlte, daß er sein sollte; darum nannte er ihn einen Unglauben und flehte: Herr, hilf meinem Unglauben! und der Herr verwarf ihn trotz seiner Schwachgläubigkeit nicht, sondern half ihm gleichwohl zu derselben Stunde und machte ihm seinen Knaben gesund. Es soll sich eben der Mensch nicht in solchen Wahn verlieren, daß er, sich der Ganzheit und Vollkommenheit seines Glaubens getröstend, der Gnade nicht mehr achte oder begehre, und dafür halten, ihm gebreche nichts mehr, und er bedürfe keiner neuen Gnaden mehr von Gott. Rechtgläubige Leute überheben sich nicht, sondern sind allezeit demüthig, sie glauben den Worten Gottes fest, beten aber auch immerdar, daß Gott ihnen den Glauben mehre, stärke und sie gnädiglich dabei erhalte; denn sie wissen wohl, wie Paulus spricht: Wer das steht, der sehe zu, daß er nicht falle. Sie wissen auch wohl, wie schlüpfrig unsre Sache steht um der Schwachheit unsers Fleisches willen.

Wo nun der Mensch einen solchen Glauben an Christum Jesum hat, den er für seinen Heiland hält, und dennoch immerdar begehrt, darin noch fester und beständiger zu werden; und wo bei diesem gläubigen Menschen gleichwohl menschliche Gebrechen und Fehler sich finden, obschon er nichts desto weniger auf die Gnade Gottes hin zu des Herrn heiligem Nachtmal geht: da ist gar nicht zu besorgen, daß ein solcher sich das Nachtmal zum Gericht und zur Verdammniß empfienge. Dieß ist augenscheinlich bei den seligen Aposteln, die als die ersten bei dem ersten und vollkommensten Nachtmal bei Jesu Christo am Tische saßen und wohl Glauben hatten, aber doch nicht so, daß er nicht hätte stärker und vollkommener sein mögen. So ist es auch offenbar, daß sie nicht so rein waren, daß sich nicht ihre menschlichen Gebrechen in ihnen geregt und hervorgethan hätten; wie man klar im Evangelio liest, daß sie ehrsüchtig waren und gerade bei diesem Male über den Vorrang gezankt haben, weßhalb sie auch von dem Herrn bestraft wurden. Dennoch hat keiner von den Eilfen unwürdig und zu seiner Verdammniß von des Herrn Tische gegessen. Judas aber, der genoß es sich selbst zum Gericht, denn er hatte keinen Glauben. Darum nannte ihn auch unser Herr Christus unrein (Joh. 13.); seine andern Jünger aber, die eilf Apostel, nannte er rein, und das wegen seiner Fußwaschung, welche ein Vorbild seiner Erlösung war, die er am Kreuz mit seinem Blutvergießen und Tode vollbracht hat. Denn er sprach: Wer gewaschen ist, der bedarf nichts als die Füße zu waschen, sondern er ist ganz rein. Es sind aber alle die gewaschen, die von dem Herrn Jesu gewaschen sind, nämlich für deren Reinigung er sein Blut vergossen hat. Nun aber hat er sein Blut vergossen für alle Gläubigen, die da glauben, daß der Tod Christi sie von Sünden gereinigt, und diese sind jetzt ganz rein wegen des Blutes Christi, ja, wie der Herr bezeugt, sie sind ganz rein, daß ihnen nichts mangelt, noch etwas sie an ihrer Seligkeit hindern mag, und doch sollen solche die Füße waschen. Die Füße aber sind die übriggebliebenen Anfechtungen, die Blödigkeit und die Gebrechen unsers Fleisches, die noch übrig bleiben in den Heiligen oder Reinen und Gläubigen, welche nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen des Leidens Christi, auf das sie allen ihren Trost gründen, rein sind. Sie sollen aber jeden Tag ihres Lebens diese ihre Füße waschen, d.i. mit Gottes Gnade den Anfechtungen widerstehen und die fleischlichen Gebrechen unterdrücken oder den alten Adam tödten und gottesfürchtig leben. Die nun also thun, ihre Reinigkeit allein im Tode Christi suchen, und allein die Reinigkeit Christi für ihre Reinigkeit halten, die sind ganz rein, obwohl die Füße noch etwas befleckt sind und der Reinigung bedürfen. Solche Gebrechlichkeit macht uns darum nicht unwürdig des Males des Herrn. Daß uns nun Gott, wenn wir an ihn glauben und doch dabei gebrechlich und schwach sind, um dieser unserer Gebrechlichkeit und Schwachheit willen nicht verstoße noch verdamme, sondern uns um Christi willen zu Gnaden aufnehme und uns stärke, tröste und erhalte, will ich jetzt mit Zeugnissen des heiligen wahrhaften Wortes Gottes klar und kräftig beweisen, zum Trost der angefochtenen Gewissen, damit auch die, welche neben ihrem Glauben an Christum ihre Gebrechen empfinden, darum nicht meinen sollen, sie seien unwürdig des Tisches des Herrn und dürfen deshalb nicht dazu kommen.

Bekannt ist es, daß der h. Apostel Paulus und mit ihm die ganze h. Schrift keinen Artikel des christlichen Glaubens so hoch und eifrig treibt, als den Artikel der Auferstehung unsers Herrn Jesu Christi und unsers Fleisches von den Todten. Wer darüber bessern und vollkommneren Bericht begehrt, der lese das 15. Kap. der ersten Epistel Pauli an die Corinther. Nun findet sich aber, daß die Apostel und Jünger Christi wohl eine Auferstehung der Todten glaubten, und daß auch Christus werde auferstehen. Dennoch war dieser ihr Glaube nur schwach und so beschaffen, daß der Herr, wie Marcus Kap. 16. meldet, sie wegen ihres Unglaubens hart getadelt hat. Der Herr hat sie aber um dieser Mangelhaftigkeit willen nicht verworfen, sondern gnädig aufgenommen, und sie unterrichtet, auch gestärkt und getröstet. Denn, sobald er von den Todten auferstanden war, sandte er seine Engel, diese seine Auferstehung zu bezeugen und zu eröffnen, und damit seine Traurenden zu trösten. Denn der Engel im Grabe sprach zu den Weibern, die den Herrn noch im Grabe suchten: Ihr suchet Jesum von Nazareth; er ist auferstanden, er ist nicht hier, kommet her und sehet den Ort, wo sie ihn hingelegt hatten. Aber gehet hin und sagt es seinen Jüngern u.s.w. Bemerket, daß er sie heißt die fröhliche Auferstehung Christi seinen Jüngern anzeigen und verkünden. Lieber, welchen Jüngern? Denen, die von ihm gewichen und geflohen waren, sich noch fürchteten und eingeschlossen blieben, sich nirgends hervorzukommen getrauten und sich also gegen den Herrn nicht wohl verhielten. Nichts desto minder werden sie dieser ihrer Schwäche wegen nicht von dem Herrn verworfen, sondern gnädig aufgenommen und getröstet. Zudem nennt der Engel den Petrus besonders: und saget es dem Petrus. Dieser aber war von dem Herrn auch geflohen und lag auch mit den andern verborgen, und nicht nur dieß, sondern den Herrn hatte er verleugnet und sich sogar mit Schwüren von ihm losgesagt, doch darüber geweint und getrauert. Darum gibt das Jedermann keinen geringen Trost, daß der Herr den Petrus, der in solcher Weise gefehlt hat und schwach war, vor andern aus hat nennen lassen.

Und obwohl die Weiber, die zum Grabe kamen, ein treues Herz zu dem Herrn trugen, nicht ein ungläubiges, so werden sie doch auch von dem Engel bestraft, der zu ihnen sprach: Was suchet ihr den Lebendigen bei den Todten? und sie dessen erinnerte, was ihnen der Herr von seiner Auferstehung vorhergesagt. So war denn freilich ihr Glaube schwach, doch wurden sie nicht desto minder gnädig aufgenommen von dem Herrn.

Was ist unwidersprechlicher, als daß die zwei Jünger Christi, die mit einander gen Emmaus wanderten, Gläubige waren, doch im Glauben an seine Auferstehung so blöde und schwach, daß der Herr sie beschalt, sie seien Thoren und langsamen Herzens, der Schrift zu glauben. Doch dabei verwarf er sie nicht, sondern behandelte sie gar gnädig und unterwies sie treulich. Und über dieß Alles steht noch im Evangelio Johannis von dem Apostel Thomas geschrieben, daß er öffentlich der Auferstehung Christi widersprach und erklärte, er werde es eben nicht glauben, daß der Herr auferstanden sei, er greife ihm denn in seine Seite u.s.w. Nichts desto minder verwarf ihn der Herr wegen dieses seines Gebrechens nicht, sondern belehrte und heilte ihn gnädiglich.

Diese und ähnliche herrliche Tröstungen richten unsere niedergeschlagenen und betrübten Herzen auf und lehren uns, daß wir um der Schwäche unsers Glaubens und um der Mangelhaftigkeit willen, die alle Gläubigen in ihrem Innern empfinden, unsere Hoffnung nicht sollen hinwerfen, sondern vor Gott unsere Blödigkeit erkennen, um Gnade und Kraft, auch um Zunahme des Glaubens bitten und dem Herrn vertrauen, er werde uns in Ewigkeit erhalten.

Und wie viele Leute, die auf Gott sehen und nicht Gottes Feinde sondern Freunde sind, sich ängstigen, daß sie nicht so fest glauben, wie sie fühlen, das sie glauben sollten, so irret und peinigt sie auch das, daß sie sorgen, auch nicht richtig und fest genug von der heiligen Dreieinigkeit zu glauben, nämlich, daß drei unterschiedene Personen Ein Gott seien und wie drei Dinge Ein Ding sein können und mögen. Aber ein jeglicher Gläubiger soll und muß auf folgende zwei Stücke vornehmlich sehen: fürs Erste, wie der Herr dem Moses (2. Mos. 23 und 24), welcher von Jehova begehrt, daß er sich von ihm in seiner Herrlichkeit sehen ließe, antwortet, das werde keinem Menschen bei lebendigem Leibe vergönnt; so sollen auch wir Alle nicht gedenken, daß wir Gott in seinem Wesen hier in Zeit völlig schauen, noch seine Herrlichkeit, wie sie an sich selbst ist, in unserm sterblichen Fleische sehen und mit unserm blöden Verstande gänzlich verstehen werden. Wenn wir aus diesem Fleische erlöst in jene Welt kommen, dann erst werden wir ihn, spricht Johannes, sehen, wie er ist. Fürs Andere sollen wir uns mittlerweile, da wir hier im Fleische auf Erden sind, dessen genügen lassen, was uns Gott selbst in seinem Worte berichtet, was und wie wir von ihm glauben sollen. Und dieweil er uns denn mit seinem Munde berichtet, daß nur Ein Gott und nicht viele seien, so sollen wir auch an Einen Gott glauben. Daneben, weil uns das Wort Gottes weiter berichtet, daß der Vater wahrer Gott, der Sohn wahrer Gott und der heil. Geist wahrer Gott ist, sollen wir glauben, daß diese unterschiedenen Personen Ein wahrer Gott seien, so daß die Einigkeit der Personen den Unterschied nicht verwirre noch aufhebe. Denn es ist ja gewiß, daß der Sohn von dem Vater gesandt Mensch geworden und für uns gestorben ist, und auch der heil. Geist von beiden ausgeht; das Alles ist im heil. Evangelio also beschrieben. Wie aber drei Dinge nur Ein Ding sein können, das hält der gläubige nicht Gott unmöglich, weil gewisser Maßen Gleiches gefunden wird in den Kreaturen Gottes. Es ist nicht mehr als nur Eine Sonne, in der ist die Kugel, der Schein und die Wärme; obwohl aber unter den drei Dingen keines das andere ist, sondern jedes unterschieden, so sind dennoch die drei unterschiedenen Dinge nur eine Sonne und nicht drei Sonnen. So ergibt sich allezeit der Gläubige an das Wort Gottes, glaubt demselben und bittet den Herrn um Mehrung des Glaubens, daß er ihm auch verzeihe, wo er in Sinnen, Gedanken, Thun und Lassen allerdings nicht ist, wie er sein sollte; er vertraut hiermit der Barmherzigkeit Gottes in Christo Jesu, Gott werde ihn nimmermehr verlassen. Der treue, barmherzige Gott stärke und erhalte auch Euch, edle, tugendhafte Frau, in seinen Gnaden und allem Guten. Amen.

Zürich, den 9. April 1573.

Heinrich Bulliger, der ältere, Pfarrer der Kirche Zürich zum großen Münster.

Aufschrift: „Der edlen, tugendreichen Frauen Anna Roystin, meiner lieben Gevatterin.“

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/b/bullinger/bullinger-vom_nachtmal_des_herrn.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain