Bugge, Peder Olivarius - Selig sind, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit.

Bugge, Peder Olivarius - Selig sind, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit.

Predigt über Matth. 5, 6.

von Peter Olivarius Bugge, Bischof von Drontheim in Norwegen.

Text Matth. 5,6

“Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.“

Wenn unser Erlöser die Absicht seines Kommens in die Welt beschreibt und uns darüber belehrt, was er uns schenken will, und was seine erlösten Sünder von ihm hoffen dürfen, so spricht er: „Ich bin gekommen, daß sie das Leben und volle Genüge haben sollen!“ Joh. 5, 10. Leben und Seligkeit wollte der Heiland auf Erden ausbreiten reichlich und überfließend. Die Seinen sollten in und durch ihn nicht allein errettet werden von Sündenstrafe und Todesfurcht, der sie sonst unterworfen waren, sondern sie sollten auch freie, fröhliche und selige Menschen werden, die alle die Wohlfahrt genießen, welche durch den heiligen Tod des Sohnes Gottes ihnen erworben ist.

Wer in Wahrheit zur Heerde Jesu gehört und ihn zum Hirten und Herrn seines Herzens erwählet hat, kann auch mit David rühmen: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!“ (P. 23. Der Herr gibt seinen Schafen überflüssige Weide. Er theilt sich selbst als das Lebensbrod jeder Seele zur Sättigung und Erquickung mit, die nach seiner Gerechtigkeit begehrt. Schwach und gebrechlich sind seine Schaafe, groß und verschieden ist ihr Mangel und Bedürfniß; er aber weiß sie alle mit Weisheit und Verstand zu weiden, er weiß mit den Müden ein Wort zu reden zu rechter Zeit, er weiß nach der verschiedenen Beschaffenheit eines jeden zu strafen, zu trösten, zu segnen und zu erquicken. Seine Gläubigen können mit Freuden ausrufen: „Gelobet sei Gott und der Vater unsers Herrn Jesu Christi, der uns gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Christum!“ (Eph. 1,3).

So ist ihr jetziger Zustand schon selig durch die unbegreifliche Liebe des Heilandes und übertrifft alle andere Freude dieser Erde. Dabei ist ihnen aber durch das Zeugniß des heiligen Geistes zugleich die lebendige Hoffnung beigelegt, daß sie als Kinder Gottes aus Gnaden erkoren sind, Jesum einst zu sehen und bei ihm zu sein allezeit. Und diese Seligkeit und dies Leben in Jesu ist keine Einbildung, kein Traum, sondern eine Frucht und Erfüllung seiner gnädigen Verheißung: „daß sie (seine Kinder das Leben und volle Genüge haben sollen!“ Er hat Gaben empfangen für die Menschen; er ist ein in alle Ewigkeit unerschöpflicher Brunn der Gnade und des Heils für alle, die seinen Namen anrufen. Möchten nur viele die Seligkeit annehmen, die er ihnen erworben hat! Keiner ist so sündig, dessen sich das Lamm Gottes nicht erbarmen sollte. Wer nur seufzet nach Barmherzigkeit, der erlanget sie wahrlich. Diese theure Wahrheit versiegelt uns der Heiland in den Worten unseres Textes:

Selig sind, die da hungert und durstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.

Unser Heiland preist in unserm Texte die Seelen selig, die da hungert und durstet nach Gerechtigkeit. So ist denn ein Mensch, noch ehe er mit Gerechtigkeit gesättigt wird, schon selig, ohne es selbst zu wissen und zu fühlen. Er ist ein Gläubiger, obgleich er es selbst nicht glaubt, weil sein Glaube zur Zeit noch mehr in einem herzlichen Verlangen nach Gnade, als in getroster Gewißheit derselben besteht. Wie könnte sonst der Herr ihn selig nennen, der sowohl selbst gelehrt, als durch seine Apostel verkündet hat, daß Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit allein aus dem Glauben an Jesum Christum komme. Wo Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit ist, da, hat das Leben, das aus Gott ist, schon begonnen, da ist der Mensch aus dem geistlichen Tode zu einem wirksamen Verlangen nach der Gnade Jesu aufgewacht. Denn ehe jemand nach Gerechtigkeit hungern und dursten kann, muß er zuvor von diesen beiden Wahrheiten überzeugt sein, einmal, daß er selbst keine Gerechtigkeit habe, und dann, daß er derselben nothwendig bedürfe. Aus dieser Ueberzeugung entsteht alsdann Hunger und Durst, Sehnsucht und Begierde nach dem, was ihm gebricht.

Dieser Hunger und Durst nun besteht nicht in bloßer Einbildung und losen Gedanken, sondern er ist eine vom Geiste Gottes im Herzen gewirkte und beständig unterhaltene Sehnsucht nach der Gnade des Herrn. So unmöglich es ist, daß ein Kranker, den die Begierde nach Speise und Trank in seiner Krankheit verlassen hat, wieder hungern und dursten kann, ehe er anfängt, besser zu werden: so unmöglich ist es auch, daß ein geistlich todter Mensch zu einem Verlangen nach der Gerechtigkeit komme, ehe seine geistliche Heilung begonnen hat, d. h. ehe der Geist Gottes ihn von der Unseligkeit seines Unglaubens und von der großen Seligkeit und Gnade, die durch den Tod Jesu allen verlorenen Sündern verdient ist und angeboten wird, hat überzeugen können. Hat die Wirkung des heil. Geistes so viel Eingang im Herzen des Sünders erlangt, daß er überredet wird, diese Wahrheiten lebendig zu glauben, und ist daraus eine ihm vorhin unbekannte Sehnsucht und Begierde entstanden, Theil an Christi Gnade und Herrlichkeit zu nehmen: so wird sie sich auch lebendig, kräftig und wirksam am Herzen zeigen. Nicht ist das so zu verstehen, als ob der Hungernde und Durstende nun trachten müsse, durch Werke sich selbst seine Gerechtigkeit zu verdienen, und also vergeblich seine Kraft anwenden solle, sich aus seinem tiefen Elend und Verderben aufzurichten. Nein! geschieht das, so ist es ein Beweis, daß der Geist Gottes in seiner Gnadenarbeit am Herzen gehindert wird, und daß der Mensch seine Weisheit der göttlichen Weisheit an die Seite setzen will, die allein den Sündern den Weg zum gekreuzigten Heiland zeigt. Daß diese Sehnsucht kräftig und wirksam werde, will vielmehr nur so viel sagen, daß sie nicht bloß in todten Wünschen bestehe, sondern ein herrschender Trieb in der Seele sei, der dem Menschen nicht Ruhe läßt, bis seine Begierde befriedigt und sein Mangel ersetzt ist. -

Und was mangelt denn dem Menschen? Gerechtigkeit. „Selig sind, die da hungert und durstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.“ Gerechtigkeit aber ist nach der Schriftsprache vollkommene Freiheit und Lossprechung von aller Schuld. - Der Mensch kann schon, wenn er sich selbst nicht täuschen will, durch das Licht der Vernunft den Mangel an Gerechtigkeit erkennen und das Bedürfniß nach derselben fühlen, er kann einsehen, daß er nicht vor Gott bestehen könne, weil er in keiner Weise die Schuldigkeit ausgeübt hat, die der Herr nach der mildesten Gerechtigkeit von ihm forderte; er kann auf den ernsten Willen Gottes das Böse zu bestrafen und das Gute zu belohnen schließen, und muß sich selbst als einen Schuldner im Gerichte Gottes verurtheilen: aber, woher soll er Gerechtigkeit nehmen, die diese Schuld aufwiegt, Gerechtigkeit, in der er vor seinem Richter erscheinen darf? Hier steht die Vernunft an ihrer Grenze und alle Weltweisheit gibt keinen Rath. Jesus aber, der Mund der Wahrheit sagt: „Selig sind, die da hungert und durstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden!“ Fragen wir aber, welch einen Weg zeigt er uns zur Gerechtigkeit, welch ein Mittel gibt er, diese Sättigung uns zu verschaffen, so antwortet er uns durch Paulus, seinen Apostel: „Gott hat uns mit ihm selber versöhnt durch Jesum Christ; denn er hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir würde in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.“ (2. Cor. 5, 21). So ist es denn möglich geworden durch eine große That der göttlichen Barmherzigkeit, daß die Hungrigen satt werden. Der Eingeborne aus des Vaters Schooß offenbarte sich in unserer menschlichen Natur, voller Gnade und Wahrheit, und trug als das unschuldige Gotteslamm die Sündenbürde aller Welt. Der Herr warf unser aller Sünden auf ihn, bis er unter den Schmerzen starb, die unsere Sünden ihn bereiteten. Damit zugleich aber vollendete er die Reinigung unserer Sünden durch sich selbst, so daß er vom Kreuze ausrufen konnte: Es ist vollbracht! Und am dritten Tage erstand er als Siegesheld aus dem Grabe. und läßt nun Gnade, Vergebung der Sünden und den Frieden im Evangelio verkünden. Seht darum rufen die Bothen des Evangelii mit so viel hoher Freimüthigkeit: wer da dürstet, der komme her zum Wasser! Eine Botschaft voll göttlicher Kraft und göttlicher Weisheit, - wer sie hört als ein Hungernder und Durstender, dem ist sie unaussprechlich groß und neu, der fühlt sich nun erst recht unselig, weil er noch nicht gesättigt ist, und zugleich wächst seine Sehnsucht, bis er die Weide gesunden hat für seine Seele.

Aber warum hungern und dursten nicht alle die nach dieser Gerechtigkeit, denen sie doch in Christo Jesu als Gnadengabe dargebothen wird? Ach, so lange der Mensch in seinem natürlichen Zustande ist, hat diese Welt und was darinnen ist so große Macht über sein Herz, daß sie es ganz einnimmt, und dadurch verursacht, daß der Sünder sich mit der ganzen Begierde seiner Seele in das Irdische vertieft und unbekümmert wird, sich Antheil an dem Gute zu verschaffen, das der Herr ihm durch so schweres Leiden verdient bat. Und darum ist die Anzahl derer so groß, die das Evangelium von Christo ohne Achtsamkeit hören, und der Ausflüchte und Entschuldigungen sind so viele, womit die Menschen ihren Leichtsinn und ihre Gleichgültigkeit beschönigen, und dadurch dem bösen Feinde Gelegenheit geben, das Wort von ihren Herzen zu nehmen, daß sie nicht glauben und selig werden. Außerdem ist das Evangelium von Christo, das Wort vom Kreuz eine thörichte Predigt, so lange der Geist Gottes dasselbe nicht im Herzen verklärt und versiegelt; und der evangelische Weg zur Seligkeit, so einfältig derselbe an sich selbst ist, ist er doch allen von dem Gott dieser Welt verblendeten Menschen so verhüllt und unverständlich, daß sie ihn weder fassen wollen, noch können. Dazu kommt noch der angeborene Stolz des Herzens, der sich aus aller Macht der Lehre von der Rechtfertigung der Sünder aus lauter Gnade ohne den geringsten Grad von Verdienst widersetzt. Nicht zu reden von dem Unbegreiflichen in der Lehre von dem versühnenden Tode Jesu für alle, die darauf bestehen, alle Dinge begreifen und ergründen zu wollen. In dieser Blindheit und Eigenliebe sieht der natürliche Mensch aufs höchste das Wort vom Kreuz an als nur passend für offenbar gottlose und verruchte Sünder, und wird ohne die Arbeit des heiligen Geistes der Lehre nie seinen Beifall geben, daß auch der tugendhafteste. und rechtschaffenste Mensch doch ein verdammnißwürdiger Sünder vor Gott ist, der nicht weniger als der Missethäter auf dem Richtplatz zur Barmherzigkeit Jesu seine Zuflucht nehmen muß.

Ist aber der Mensch durch die Gnade des Geistes Gottes vom Tode zum Leben erweckt, so führt er eine ganz andere Sprache, das Evangelium, an das er zuvor zu denken nicht Zeit harte, nimmt nun sein ganzes Herz ein. Idas ihm vorhin unverständlich war, versteht er nun ganz. Die Predigt von seiner eigenen Unwürdigkeit und von der Kraft der Leiden Christi, die er sonst weder glauben wollte, noch konnte, wird ihm nun ein theuer werthes Wort, aller Annahme würdig. Und nun hungert und dürstet ihn nach der Gerechtigkeit; nun sehnt er sich, sein verlangendes Herz durch die Gewißheit zu stillen, daß Jesu Blut und Gerechtigkeit auch ihm zu gute komme. Weil er aber mit dem, wonach ihm hungert und dürstet, noch nicht gesättigt ist, darum fühlt er sich elend und traurig. Groß ist seine Bedrängniß und seine Dürftigkeit, groß ist die Seligkeit in Jesu, aber ach! er kann sich dieselbe noch nicht mit aller Zuversicht zueignen.

Bei all diesem Gefühl des Elends und Mangels ist der Mensch nach des Herrn Versicherung dennoch selig. Zwar weiß er selbst noch nicht, kann es noch nicht glauben, wie reich an Friedensgedanken das Herz des Herrn gegen ihn ist. Liehe zum Herrn fühlt er in seinem Herzen; die Sehnsucht nach ihm preßt Thränen aus seinen Augen; im Worte Gottes flehet er die Verheißung gesättigt zu werden vor sich. Aber so wenig der Hungrige durch hie bloße Verheißung der Speise gesättiget wird, ohne die Speise selbst zu genießen, eben so wenig wird her nach Gerechtigkeit hungernde Sünder befriedigt, ehe der Geist Gottes die Wahrheit der Verheißung Jesu ihm am Herzen versiegelt, ehe er die Gnade hat, Jesum selbst als das Brod des Lebens zu genießen. Denn Jesum selbst muß ich haben, ich muß ihn genießen, ich muß das Fleisch des Menschensohnes offen, mit ihm eins sein, denkt eine solche Seele. Seine Wunden sind meine einzige Ruhestätte! O, daß er sein Jesus wäre! Und warum verlangt der Sünder so sehnlich darnach? Weil er Jesu Wort glaubt, daß. die, die seine Gerechtigkeit besitzen, satt werden und volle Genüge haben.

Wenn ein solcher Hunger nach Jesu in unserm Herzen entsteht, so sind wir unserer Rettung nahe. Die Verheißung Jesu wird dann an uns erfüllt „wir sollen satt werden.“ Wir werden die Gerechtigkeit erlegen, wornach wir uns gesehnt haben, und sollen im Besitz derselben gestärkt, erquickt und erfreut reden, wie der Hungernde durch den Genuß der Speise. Diese selige Hoffnung ist der feste Grund, auf dem der Trost aller um ihre Seligkeit bekümmerten Seelen ruht. Zwar auch das Hungern und Dursten selbst ist schon Seligkeit. Der schwache Glaube des Menschen, der nach Vergebung der Sünden um Jesu willen ringet, ist ihm im Gerichte Gottes schon zur Gerechtigkeit gerechnet, und während er hienieden noch hungert und dürstet, ist er dort oben bei Gott schon selig und in Christo schon angenommen. Ist ihm das nicht schon genug? - Wenn aber unser Text den Hungernden und Durstenden noch dazu verheißt - sie sollen satt werden - von welcher weiteren Sättigung kann hier die Rede sein? Kann denn der Mensch mehr als selig sein? Die Sache verhält sich also. Wo der Herr ein Herz stehet, das sich nach seiner Gerechtigkeit sehnet, da ist er gleich willig, demselben all das Gute zu schenken, das er durch seinen Tod den Sündern verdient hat. Er giebt es auch wirklich, wenn gleich der Mensch selbst noch nicht von seinem Glücke weiß. Gesättigt aber wird der Sünder, wenn der Geist Gottes die Wahrheit der Verheißung Jesu an seinem Herzen versiegelt, und ihm das ganze verdienstliche Leiden Jesu zueignet, so daß er selbst von der Stunde au weiß, welch ein seliger Mensch er ist. Nun hat er nicht allein die Gerechtigkeit, sondern er weiß auch, daß er sie hat, und freut sich dessen herzlich in Gott seinem Heilande. Er weiß, daß er durch die Erlösung Jesu von der Macht der Finsterniß befreit ist, und ist lebendig überzeugt, daß nichts Verdammliches an ihm sei, weil er in Christo Jesu ist. Der Wahlspruch seines seligen und gesättigten Herzens bleibt:

Nichts mehr, denn lieber Herre mein!
Dein Tod soll mir das Leben sein,
Du hast für mich bezahlet!

Diese Sättigung gibt unserm Herzen überflüssige Weide im ganzen Leben bis hin auf den großen Tag, wo wir einst das Lamm sehen sollen, das für uns geschlachtet ward und hat uns Gott erkauft mit seinem Blute! Amen!

Quelle: Fliedner, Theodor - Ein Herr, ein Glaube

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