Brückner, Benno Bruno - Die Ausgießung des heiligen Geistes.

Brückner, Benno Bruno - Die Ausgießung des heiligen Geistes.

Pfingstsonntag.

Der Pfingsttag war für Israel angebrochen, das Erntefest begonnen. Die Straßen Jerusalems waren nicht einsam. „Juden und Judengenossen“ aus allen Ländern durchwogten sie. Freude erfüllte die Stadt. Wie zuvor der Beginn der Ernte geheiligt worden war durch Darbringung der Erstlingsgarbe, so wurde nun der Genuss der Gabe Gottes, ehe er begann, geheiligt durch Darbringung der beiden Erstlingsbrote. Aber auch sie waren doch nur ein Schattenriss des Zukünftigen.

Kaum war die dritte Stunde am Tage (Apgsch. 2,15), nach unserer Rechnung Morgens 9 Uhr, die erste Gebetsstunde, herangekommen; da wurde dem neuen geistlichen Israel auch ein Erntefest bereitet, nur ein höheres, auch eine Erntefreude beschert, nur eine seligere. Das Wort des Herrn (Joh. 12,24) wurde erfüllt: „es sei denn, dass das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt es allein; wo es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte.“ Das edle Samenkorn war nicht bloß erstorben, es war auch aufgegangen und reiche Früchte stellen sich dar. Das neue dem Tode abgerungene Leben geht von dem erhöhten Herrn auf die Seinen über. Der Erstling aus den Toten spendet die Erstlinge des Geistes. Wohl war die ganze Zeit, in welcher der Herr auf Erden wandelte, für die Seinen eine große köstliche Erntezeit, in der sie sammelten, wo sie nicht gesät hatten. Sie haben genommen aus seiner Fülle Gnade um Gnade; sie haben seine Worte empfangen, wie sie sind Geist und Leben; je völliger sie an ihn glaubten, desto mehr sie von ihm empfingen. Ihre Lehrzeit war eine ununterbrochene Erntezeit. Seinen Abschluss aber empfing das Alles, als sich die letzte Verheißung erfüllte und sie angetan wurden mit der Kraft aus der Höhe. Was sie hernachmals erlebten, erfuhren, ist nichts als die Entfaltung der Fülle, die sich ihnen am Pfingsttage erschlossen. Das Heilswerk wird, wie zuvor für sie, so nun in ihnen vollbracht. Die Heilsbereitung kommt zu ihrem Ziel. Pfingsten ist das Fest der Vollendung.

Und doch begehen wir mit der Ausgießung des heiligen Geistes auch einen neuen Anfang. Die Zeit der Heilsgründung endet; aber die Zeit der Kirche bricht an. Es handelt sich nicht bloß um eine Ausrüstung der Apostel; es handelt sich um eine Geisteserfüllung für alle, die gläubig geworden waren. Hier zeigt es sich, wie aus dem Haupte der Gemeinde zusammengefügt wird der ganze Leib der Gemeinde. Ein unsichtbarer, aber belebender Geistesstrom ergießt sich durch alle Glieder der Gemeinde zu deren Einigung und Selbsterbauung. Die Kräfte der jenseitigen Welt fangen an sich zu regen und sie üben eine überwältigende Anziehungskraft auf Andere aus. Bei dreitausend Seelen werden schon am Pfingsttag hinzugetan zu der Gemeinde. Das Wort der Jünger wird bekräftigt durch mitfolgende Zeichen. Die Kirche Gottes beginnt ihren Gang durch die Welt, und dieser ist zugleich ein Gang zu ihrem Haupte. Mit Seilen der Liebe wird sie zu ihm gezogen, bis sie in der triumphierenden Gemeinde endet. So weisen die Anfänge am Pfingsttag auf den herrlichen Ausgang hin. Die „letzten Tage“, die letzte Periode der Heilsgeschichte, haben ihren Anfang genommen. Was mit dem Pfingsttag begonnen ist, wird mit dem jüngsten Tage vollendet. Was zwischen inne liegt, ist nichts als die Fortführung, die Verbreitung dessen, was am Pfingsttag geschehen ist. Darum ist dieser der große Wendepunkt der Heilsgeschichte. Alles, was ihm vorausgeht, kommt in ihm zum Ziel; Alles, was nachfolgt, spiegelt sich sinnbildlich, urbildlich in ihm ab. Um so bedeutsamer ist die Art, wie die Pfingsttatsache geschehen. Welche ist es?

Es ist nicht die erste Geistesmitteilung, von der wir hier hören. Schon im Alten Bunde war der heilige Geist wirksam. Der Psalmist bittet: nimm deinen heiligen Geist nicht von mir (Ps. 51,13). Die heiligen Männer Gottes redeten getrieben von dem heiligen Geist (2 Petr. 1,21). Das Vorhandensein des heiligen Geistes in der Mitte Israels war dessen Prärogative (Jes. 63,11). Aber dennoch weist das Alte Testament auch in dieser Beziehung über sich hinaus. Die völlige Ausgießung des heiligen Geistes gehört in ihm zu den Zeichen der letzten Tage (Joel 3,1 ff.) und die Pfingstausgießung sieht auch Petrus an als die Erfüllung dieser Verheißung (Apgsch. 2, 16 ff.). Mit der Erscheinung Jesu beginnt auch die neue Zeit des Geistes. Von Christo aus strömt er auf die Gemeinde über und erweist sich als umgestaltende Macht für die ganze Menschheit. Das war so neu, so groß, dass dagegen alles, was zuvor durch ihn geschehen, nicht in Betracht kommt. Daher Johannes sagen kann: „der heilige Geist war noch nicht da, denn Jesus war noch nicht verklärt (Joh. 7,39).“

Dieser Zusatz: „Jesus war noch nicht verklärt“ - weist zugleich auf ein Anderes hin. An die Verherrlichung Christi ist die Ausgießung des Heiligen Geistes gebunden. Erst muss die Sünde getilgt, die Scheidewand zwischen Gott und Mensch beseitigt, der Zugang zu Gott eröffnet sein. Ehe Gott den Geist geben kann in ganzer Fülle, muss die Sündenvergebung bewirkt sein in ihrem ganzen Umfang. In der Tatsache der Versöhnung begründet es sich, dass der Geist Gottes nach seiner Einwirkung auf die Menschen, seiner Einwohnung in den Menschen sich frei entfalten kann. Daher geht die Mitteilung desselben dem Tode Christi nicht voran, sondern folgt ihm nach. Es ist der verklärte Erlöser, der ihn seinen Gläubigen spendet.

Der Ausgießung am Pfingsttag geht aber schon eine Mitteilung des Geistes an die Apostel voran. Es war bei einer Erscheinung des Auferstandenen, dass dieser, nachdem er gesagt hatte: „Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“, sie anblies und sprach: „Nehmt hin den heiligen Geist; welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten (Joh. 20,21 ff.)“. Es ist das mehr als ein symbolisches Versprechen, mehr als eine bloße Prophetie auf den Pfingsttag; es ist eine wirkliche Geistesspende. Und sie hat eine doppelte Beziehung. Das Anhauchen weist zurück auf 1 Mose 2,7. wo Gott dem ersten Menschen den lebendigen Odem einblies: die geistliche Schöpfung wird symbolisch in Beziehung gesetzt zu der ersten Schöpfung, die neue Menschheit in ihren Erstlingen zu der alten Menschheit in ihren Anfängen. Andererseits aber weist dieser Vorgang auch in die Zukunft. Was dort der gegenwärtig sichtbare Christus tut, das tut am Pfingsttag der erhöhte, der unsichtbare, weil er, wie Alles, so auch die Geistesausgießung „im Vorspiel schon während seines Weilens auf der Erde“ tut, damit man erkenne, dass er es ist, der es tut. Überdies setzt die Eine Geisteswirkung immer die andere voraus. Jede steigert die Empfänglichkeit für eine neue Geistesgabe. Wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe. Und was die Jünger dort empfingen mit Beziehung auf ihre besondere Stellung, das empfingen sie am Pfingsttag in Gemeinschaft mit allen Gläubigen. Handelt es sich dort um die Ausrüstung für ihren Beruf, so handelt es sich hier um die Ausrüstung der Kirche.

Die Pfingstausgießung reicht nämlich über den engeren Jüngerkreis hinaus. Die Worte: „sie waren alle einmütig bei einander“ beziehen sich gewiss auf die bei der Erwählung eines zwölften Apostels zuvor (Apgsch. 1,15) genannte Jüngerzahl. Wir haben uns die Schar jener 120 versammelt zu denken; vielleicht selbst, dass noch andere Jünger, namentlich aus Galiläa, während der Festzeit sich ihnen zugesellt haben. Wo sie versammelt waren, wissen wir nicht. Man hat namentlich mit Rücksicht darauf, dass es die Zeit der ersten Gebetsstunde war, angenommen, dass das Haus, wo die Jünger saßen, zum Tempel gehörte. Und in der Tat hat der Gedanke, dass „die feierliche Inauguration der Kirche im Heiligtum des Alten Bundes“ stattgefunden habe, etwas Ansprechendes. Aber dennoch ist die Annahme weder notwendig noch zu einiger Gewissheit zu erheben. Rennen wir also auch nicht den Ort, so kennen wir doch die Stimmung der Jünger. „Einmütig“ waren sie bei einander. Es was dies die Einmütigkeit des Lobens und Preisens, wozu die Himmelfahrt Jesu sie erweckt (Luk. 24,52 f.), nicht minder die des Wartens und Betens, wozu sie die Verheißung des Herrn (Luk. 24, 49. Apgsch. 1, 8) veranlasst hatte. Unvermittelt geschieht eben nichts im Reiche Gottes. Ohne Vorbereitung wirkt auch der Geist Gottes nicht. Nach dem Maß der Empfänglichkeit, das er findet in dem Menschen, richtet sich die Wirksamkeit, die er üben kann auf den Menschen. Die Jünger nun lebten in der gesteigertsten Empfänglichkeit. Dies hindert aber nicht, dass die Wirkungen des Geistes schnell und unvermutet an ihnen geschahen. Alle Gottes-Ereignisse, auch wo man sie erwartet, haben, wenn sie geschehen, etwas Überraschendes an sich. So ist es auch hier.

Das zeigen uns schon die äußeren Zeichen, die der Mitteilung des heiligen Geistes vorausgehen. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel herab, wie wenn ein gewaltiger sind daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, da sie saßen - das ist das Eine. Und es erschienen ihnen sich zerteilende Zungen wie von Feuer und es setzte sich auf einen Jeglichen unter ihnen - das ist das Andere. Wir müssen auf eine natürliche Erklärung dieser Zeichen, welche Lukas sicher als Wunder angesehen wissen will, eben so verzichten, als wir anerkennen müssen, dass wir eine völlig klare Vorstellung von dem, was damit geschehen ist, nicht besitzen. Aber das erkennen wir aus der Eigentümlichkeit dieser Zeichen, dass sie nicht bloß geschehen sind, um den innerlichen Vorgang äußerlich wahrnehmbar zu machen, sondern dass sie die Art des Geistes und seines Wirkens sinnbildlich darstellen. Es ist als wollte der Herr an den Anfang der Kirche das Sinnbild stellen für die fortwährende Erfahrung der Kirche.

Bei der Taufe Jesu am Jordan sah Johannes, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube (Joh. 1,32). Das war die Gestalt der friedlichen Einfalt. Hier, wo der Geist es mit sündigen Menschen zu tun hat, sind die Zeichen andere. Sie deuten auf seine Gewalt, mit der er sie erfasst. Das Brausen wie eines gewaltigen Windes - das weist auf seine erschütternde und doch belebende Obmacht. Die zerteilten Zungen wie von Feuer sie deuten auf seine verzehrende und doch entzündende Kraft.

In der Tat, der Geist Gottes gleicht bisweilen dem Sturmwind, der vor Elias Felsen zerriss und Berge erschütterte. Die Berge des natürlichen Hochmuts wirft er nieder, die Felsen der Selbstüberschätzung zerbricht er. Ehe er von dem Innersten eines Menschen Besitz ergreifen kann, muss gar Vieles dahin fallen. Es ist als wandelte man auf lauter Ruinen; aber aus den Ruinen erblüht neues Leben. Die Nebel, die sich vor das Geistesauge gelegt haben und der Erkenntnis des Göttlichen wehren, werden zerteilt. Die ganze Atmosphäre des Menschenlebens wird gereinigt von den aufsteigenden Dünsten, wie sie das Leben in Sünden mit sich bringt. Die Seele atmet freier in der Luft gottgefälligen Wandels. Auch in der Hitze der Anfechtung fühlt man eine Erfrischung und Erquickung, wie sie ein fühlender Hauch mit sich bringt. Ohne Bild: der Geist Gottes erschüttert, aber er belebt auch.

Und er verzehrt, aber er entzündet auch. Der Sündenschmerz, den er weckt, ist ja wie ein verzehrendes Feuer; die Traurigkeit, die Niemand gereut, schlägt mit ihren Flammen bis ins Innerste des Menschen. Aber es wird eben damit auch eine heilige Flamme auf dem innersten Lebensherd entzündet und diese schlägt als eine rechte Opferflamme zu Gott empor. Eine Inbrunst des Glaubens, eine Glut liebender Hingabe an Gott, ein Feuereifer für sein Reich, wovon man zuvor nichts geahnt hat, bewegt die Seele. Und dieses Gottesfeuer, das in dem Menschen aufflammt, leuchtet auch aus ihm heraus. Entzündet von ihm, wie er ist, wirkt er zündend und weckend auf Andere ein.

So ist es mit dem Geist, wenn er in einem Menschenherzen Wohnung macht. Die Sinnbilder deuten auf die innere Wirklichkeit. Es ließen sich noch mehrere solcher Analogien nennen. Wie es Ein Feuer war und doch viele Zungen, so erweist der Geist sich in den mannigfachsten Gaben und Äußerungen doch immer als einen und denselben. Wie es sich setzte auf einen Jeglichen unter ihnen, so wird auch jeder einzeln vom Geist erfasst, gesalbt. Wie es Feuerzungen sind, die sich herniedersenken, so wird es immer zunächst das Wort sein; durch welches der Geist sich kundgibt und mitteilt. Indes nicht ins Einzelne wollen wir das Bild malen. Nur daran erinnern wir noch, dass, wie das Brausen vom Himmel herkam, so auch das Wunderfeuer aus der Höhe herniederstrebte. Es kam ja eben die „Kraft aus der Höhe“ hernieder. War in der Himmelfahrt Christi die menschliche Natur mit erhoben zur Gottesherrlichkeit, so senkte sich am Pfingsttag der Gottesgeist herab in den Menschengeist. Pfingsten ist nur die Ergänzung der Himmelfahrt.

Es ist bemerkenswert, dass die eigentliche Pfingsttatsache in dem Bericht nur mit einem kurzen Wort angedeutet wird. Was da innerlich geschehen ist, entzieht sich eben der Wahrnehmung und Darstellung; es will erfahren sein. Aber auch das kurze Wort sagt genug. „Sie wurden alle voll des heiligen Geistes“ (Apgsch. 2,4); so heißt es. Freilich scheint damit auf den ersten Anblick nichts Neues geschehen zu sein. Heißt es doch schon von der Elisabeth und dem Zacharias, dass sie voll wurden des heiligen Geistes (Luk. 1,41.67). Im alten Testament selbst finden sich ähnliche Ausdrücke von Einzelnen (2 Mos. 31,3 ff. 5 Mos. 34,9). Allein die heilige Schrift liebt auf allen Stufen der Entwickelung solche Ausdrücke, welche in ihrer vollen Eigentümlichkeit lediglich der schließlichen Vollendung zugehören. Und überdies dient dort die Geisteserfüllung nur ganz besonderen Zwecken, z. B. dem psalmodischen; am Pfingsttag dagegen ist der Ausdruck im vollen Sinne des Worts zu nehmen. Der Völligkeit der Jünger-Bereitschaft für den Geist entspricht die Völligkeit ihrer Ausrüstung mit dem Geist.

„Sie wurden alle voll des heiligen Geistes.“ Also nicht bloß berührt, getroffen hat er sie, sondern wirklich erfüllt, beseelt. Es handelt sich nicht bloß um eine Geistes-Wirkung auf sie, sondern um seine Einwohnung in ihnen. Fortan gilt es von ihnen: die der Geist Gottes treibt, sind Gottes Kinder (Röm. 8,14). Und wie sie in ihm das Zeugnis ihrer Kindschaft (Röm. 8,16) besitzen, so haben sie in ihm das Unterpfand des ewigen Lebens. Ihre Lebensrichtung, ihr Grundcharakter ist fortan durch den Geist Gottes bestimmt. Seine Kräfte durchweben ihre Herzen, durchdringen ihr Personleben. Leben aus Gott verspüren sie, und zwar in quellender Fülle. Den Frieden mit Gott schmecken sie, und zwar in seiner Tiefe. Das Vermögen, den Trieb, für Gott Taten zu tun, besitzen sie, und zwar in seiner ganzen Stärke. Haben sie bisher bloß empfangen, so lernen sie nunmehr auch geben. Sie werden fähig Zeugen Christi zu sein und zwar in Erweisung des Geistes und der Kraft. Ströme lebendigen Wassers, wie es der Herr verheißen hat, rinnen fortan von ihnen. Sie stehen vor uns da als neue Menschen; und doch bleiben sie auch wieder dieselben. Der Geist Gottes hebt eben die natürliche Persönlichkeit nicht auf, er hebt sie nur über die bloße Natur hinaus. Er unterdrückt nicht die individuellen Naturgaben, er macht sie sich nur dienstbar und dadurch steigert er sie. Er vernichtet nicht die menschlichen Eigentümlichkeiten, er verklärt sie nur. Daher zeigt er sich denn auch in Verschiedenen verschieden. Nicht Uniformität, nur Konformität ist es, was er wirkt. Es sind mancherlei Gaben, aber es ist Ein Geist. Und in einem Jeglichen erweisen sich die Gaben zum gemeinen Nutzen (1 Korinth. 12,4 ff.). Aber der Beruf für das Reich Gottes, in den die Einzelnen gestellt sind, ist verschieden. Der Eine wird in die Stille gewiesen, dem Anderen eine große Wirksamkeit anvertraut. Darum haben denn auch unter denen, über welche der heilige Geist kam, die Apostel eine ganz andere Bedeutung gewonnen als die Übrigen. Unter diesen sind Viele, deren Namen und Werke die Geschichte nicht aufbewahrt hat. Aber die Einen wie die Anderen lebten im Geist, wandelten in ihm, waren voll von ihm. Und bei Allen war die Geistesausgießung nichts Mechanisches, nichts Magisches. Wie ihnen die Voraussetzung nicht fehlt: die gesteigertste Empfänglichkeit, so ist auch nicht in jedem Sinn eine nachfolgende Entwickelung bei ihnen ausgeschlossen. Es bedurfte auch bei ihnen einer fortgehenden Aneignung, einer immer allseitigeren Auswirkung der eingesenkten Geisteskräfte. Mit dem Leben im Geist wächst auch wieder die Empfänglichkeit für den Geist. Man lebt nicht in Gott, ohne immer von Neuem zu empfangen von Gott. Aber was war das fortan für ein himmlisches Sich-regen und -bewegen in diesen Erstlingen! Wie wurden sie erinnert an Alles, was der Herr gesagt (Joh. 14,26)! Wie wurden sie geleitet in alle Wahrheit (Joh. 16,13)! Wie wurde, ob auch ihr äußerer Mensch verweste, doch der innere von Tag zu Tag verneuert (2 Korinth. 4,16)! Wie erfuhren sie es, dass der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit (1 Korinth. 2,10)! Wie wurden sie zusammengeschlossen zur Einigkeit im Geist (Eph. 4,3)! Ein neuer Lebensfrühling ist angebrochen in ihnen und durch sie.

Wo der Geist wohnt in einem Menschen, da wirkt er auch durch den Menschen. Wir sehen dies sogleich an der ersten Gemeinde. Derselbe Geist, welcher sie gesammelt hat, sammelt durch sie Andere. Zuvor bereitete er das kommende Reich Gottes vor, nun breitet er das gestiftete Reich Gottes aus. Zuvor war sein Beruf Israel zu erziehen für das Heil, jetzt ist sein Beruf, zuzueignen das Heil allen Erlösten. Am Pfingsttag bereits beginnt diese Seite seines Waltens. Zeugnis dessen ist die erste Predigt Petri und ihr Erfolg. Und er wird nicht ruhen, bis der ganze Erdkreis dem Herrn zu Füßen liegt. Darauf deutet auch seine nächste Wirkung.

„Sie fingen an zu reden mit anderen Zungen, nachdem der Geist ihnen gab auszusprechen (Apgsch. 2,4 ff.).“ Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Die Gnaden Gottes haben sie empfangen, die großen Taten Gottes sprechen sie aus (Apgsch. 2,11). Und die Art, wie dies geschieht, ist neu, ist wunderbar. Der Pfingstbericht lässt keinen Zweifel darüber, dass ein Reden in fremden Sprachen mit den „anderen Zungen“ gemeint ist. Juden, die in allerlei Volk zerstreut gewesen, aber nun nach Jerusalem zurückgekehrt sind, hören das Brausen, strömen herzu, vernehmen die Stimmen und „es hörte ein Jeglicher, dass sie mit seiner Sprache redeten“. Fünfzehn Länder, aus denen Leute gegenwärtig waren, werden uns genannt. Nicht als hätte jeder der Jünger in mehreren Sprachen geredet, sondern der Eine redete in dieser, der Andere in jener, aber doch so, dass jeder der Zuhörer den Einen oder den Anderen in seiner Sprache reden hörte. Und doch, waren nicht alle, die da redeten, ans Galiläa? Das Unbegreifliche des Vorgangs war es denn auch, was die Hörer bestürzt machte. Und das Dunkel ist nicht gelichtet bis auf den heutigen Tag. Selbst die scheinbarste Erklärung, welche das „Reden mit anderen Zungen“ gleichstellt dem „Reden mit Zungen“ (1 Korinth. Kap. 12. 14), genügt nicht. Gewiss, beides ist eine außerordentliche Gabe des Geistes, bei beidem wird nicht Menschen, sondern Gott geredet (1 Korinth. 14,2). Aber bei dem Zungenreden ist das Dunkel der Sprache, bei dem Reden mit anderen Zungen gerade die Verständlichkeit das Wunderbare; jenes verstehen auch die Gläubigen nicht ohne Auslegung, bei diesem hören Fremdlinge ihre eigene Sprache. Wir vermögen den unbegreiflichen Vorgang nicht zu erklären; aber seine Bedeutung können wir begreifen.

Diese ist, dass im Anfang der Kirche zugleich deren Endziel vor Augen gestellt werden soll. Die Pfingstgemeinde, welche in so vielen Sprachen Gott preist, vergegenwärtigt die ganze Gemeinde des neuen Bundes, in welcher alle Völker in ihren verschiedenen Sprachen Gottes Ehre preisen und seinem Gesalbten lobsingen sollen. Das Sprachengericht zerteilte die Menschheit, ohne die Fähigkeit zur Wiedervereinigung derselben aufzuheben; die Sprachengabe stellt die Menschheit wieder als eine in Gott geeinte dar, ohne die Verschiedenheit aufzuheben. Und was hier vorbildlich geschehen, das wird dereinst noch seine herrliche Erfüllung finden. So gewiss die Zeit kommt, wo Eine Herde unter dem Einen Hirten sein wird, wo alle Zungen bekennen werden, dass Jesus Christus der Herr sei, so gewiss kommt auch die Zeit, wo alle die vielgestaltigen Sprachen der Erde zu eben so viel Werkzeugen werden, die Großtaten Gottes auszusprechen. Schon wird das Evangelium in einer großen Anzahl von Sprachen verkündet, schon sind Teile der heiligen Schrift in die Mehrzahl der lebenden Sprachen übersetzt. Die Heilswahrheit hat eben die Fähigkeit, sich in jede Sprache zu fügen. Auch in das ärmste Gewand kleidet sie sich, ohne an ihrem Reichtum etwas Wesentliches einzubüßen. Und sie macht aus jeder Sprache eine neue Sprache; sie befruchtet dieselbe, verjüngt das Alternde, bereichert das Dürftige. Wo ein Volk wirklich zum Glauben kommt, da fängt es auch an „zu reden mit anderen Zungen, nachdem der Geist ihm gibt auszusprechen.“ Welch' eine heilige Harmonie wird es sein, wenn alle Sprachen das Wort vom Kreuze reden!

Dies aber setzt eine neue Menschheit voraus, wo Alle, ohne die Mannigfaltigkeit aufzuheben, „Einer in Christo“ sind, Ein Gottesvolk, Ein königliches Geschlecht. So fern wir noch von diesem Ziele sein mögen, die Ausgießung des heiligen Geistes ist doch die Gewähr, dass dasselbe erreicht werden wird. Es geht einer großen Zukunft zu. Mit dem Eintritt der Kirche in die Welt hat auch begonnen ihr siegreicher Gang durch die Welt. Durch alle Lande wird der entfesselte Geistesquell noch seine Ströme entsenden. Mit einem Pfingsten hat die Geschichte der Kirche begonnen; mit einem allumfassenden Pfingsten wird sie auch enden!

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autoren/b/brueckner/brueckner-heiliger-geist.txt · Zuletzt geändert: von aj
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