Brenz, Johannes - Katechismus oder Kinderpredigten - Die fünfte Predigt. Auslegung der fünften Bitte.

Brenz, Johannes - Katechismus oder Kinderpredigten - Die fünfte Predigt. Auslegung der fünften Bitte.

Nun habt ihr im zunächst Vorhergehenden gehört, wie wir in der vierten Bitte von Gott, dem Herrn, begehren, daß er uns, als der einige und wahre Schöpfer Himmels und der Erde und unser Aller, erhalten und ernähren wolle, wie wir denn im ersten Hauptartikel des Glaubens von der Schöpfung gelernt haben, daß wir uns desselben zu ihm allein, und sonst zu keiner Kreatur versehen sollen.

Darum folgt darauf die fünfte Bitte, darin wir bitten, daß er uns auch geben wolle alles das, was mir in dem andern Hauptstücke des Glaubens von der Erlösung gelernt und erkannt haben, nämlich daß wir durch das Leiden, Sterben und die Auferstehung Jesu Christi, unsers Herrn, von allen unsern Sünden, vom Tod und von der Hölle errettet werden, auf daß wir fröhlich und unerschrocken des Tages erwarten können, daran er richten wird die Lebendigen und die Todten. Sie lautet also:

Und vergib uns unsere Schuld, als auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Auf daß ihr aber diese Bitte recht versteht, meine lieben Kinder, so bedenkt mit Fleiß, daß ihr vorhin gehört habt, daß uns Christus zugesagt hat, alles, was wir bitten in unserem Gebete, wolle er uns, wenn wir glauben, geben. Sollen wir aber glauben, so müssen wir zuvor ein Wort Gottes oder eine Zusage haben, daran wir glauben, denn es taugt nicht, daß wir glauben wollten, was uns einfiele oder was wir gedenken möchten, davon uns doch Gott nichts gesagt oder gelehrt hätte, wie wenn Einer glauben wollte, Gott würde ihn, wenn er muthwillig in ein Wasser fiele, dennoch erretten, daß er nicht ertränke; denn das wäre eine Versuchung Gottes, und eine große Sünde, die gewiß vom Teufel herkommt, wie man dabei wohl merkt, daß der Teufel Christum, unsern lieben Herrn, auch also versucht hat, da er ihn zu Jerusalem auf den Tempel geführt hatte, und sprach Matth. 4,6.: Bist du Gottes Sohn, so falle da hinab; aber Christus wollte es nicht thun, sondern antwortete und sprach: Es steht geschrieben 5. Mos. 6,16: Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht versuchen.

Nun hat uns Gott in allerlei unsern Nöthen väterliche und reichliche Zusage gethan, daran wir glauben und ihn in unserm Gebet daran mahnen sollen, daß er's halte, und uns geben wolle, was er uns zugesagt hat; und besonders in diesem Stücke hat er uns eine feine, freundliche und milde Zusage gethan, die uns nicht allein zum ewigen Leben dient, sondern auch zum zeitlichen Frieden, zur Ruhe und Einigkeit, und zu rechter, brüderlicher Liebe. Sie lautet also Matth. 6,14.: Wenn ihr den Menschen ihre Fehler vergebet, so wird euch euer himmlischer Vater eure Fehler auch vergeben; wenn ihr aber den Menschen ihre Fehler nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben.

Und um dieser Zusage willen, meine lieben Kinder, hat uns Christus, unser lieber Herr, also zu beten gelehrt: Vergib uns unsere Schuld, als auch wir vergeben unsern Schuldigern. Denn es wäre nicht recht, wenn wir beteten, Gott sollte uns unsere Schuld vergeben, und wir wollten doch andern Leuten nicht vergeben, was sie wider uns gethan hätten; es wird auch Gott ein solches Gebet nicht erhören. Denn was wir für Ursache laben, darum wir andern Leuten nicht verzeihen wollen, so hat Gott dagegen eben dieselbe Ursache und noch vielmehr, daß er uns auch nicht verzeihe. Es ist auch nicht möglich, daß ein Mensch glauben kann, daß ihm Gott seine Sünde vergebe, wenn er selbst andern Leuten nicht verzeihen will. Darum, wenn ihm Gott seine Sünde schon vergeben wollte, so kehrt er doch wieder um, um solcher Untreue und Unglaubens willen, wie uns Christus fein angezeigt hat in dem Evangelium Matth. 18. Da der Knecht, dem seine Schuld nachgelassen war, seinem Mitknechte die Schuld nicht auch nachlassen wollte, mußte er alles wieder bezahlen, was man ihm zuvor nachgelassen und geschenkt hatte.

Darum, meine lieben Kindlein, lernt es bei Zeiten von Jugend auf, daß ihr gern vergebt und verzeiht allen denen, die euch beleidigen, und seid nicht rachgierig, so wird euch Gott, euer himmlischer Vater, auch verzeihen, zürnt mit Niemand; zürnt ihr aber, so sündigt nicht, und laßt die Sonne nicht untergeben über eurem Zorn. Eph. 4,26.

Denn unser lieber Herr, Gott, hat es uns nicht zu einem Nachtheil gethan, daß er gesagt hat, er wolle uns nicht vergeben, wir vergeben denn andern Leuten auch; wenn wir aber andern Leuten ihre Fehler vergeben, wolle er uns auch vergeben; sondern er hat es uns zu Gute gethan, und ist ein besonderer heimlicher Trost darin verborgen: den merkt mit Fleiß, so werdet ihr Gottes Güte und väterliche Barmherzigkeit darin erkennen. Denn er weiß wohl, daß es unserem Herzen schwer ist, wenn wir gesündigt und Gott beleidigt haben, daß wir glauben sollen, daß er uns dasselbige umsonst aus lauter Gnaden verzeihen wolle. Darum hat er uns das Zeichen daran gehängt, dabei wir es erkennen sollen, daß er uns verzeihe, nämlich wenn wir andern Leuten auch verzeihen; denn es ist viel leichter, andern Leuten verzeihen, wiewohl es auch schwer ist, denn glauben, daß Gott uns unsere Sünde verzeihe. Darum sollen wir uns mit Fleiß dazu üben, daß wir gern verzeihen, so können wir alsdann desto leichter glauben, daß uns unser Herr, Gott, unsere Sünde auch verzeihe; denn er ist doch je barmherziger und gütiger, denn wir sind. Es dient auch nicht allein zum Glauben, sondern auch zum zeitlichen Frieden, zur Ruhe und Einigkeit, und zu brüderlicher Liebe; denn, wenn wir einander nicht verzeihen wollten, sondern ein Jeglicher einen Weg suchen, wie er sich mit List, mit Gewalt oder mit Recht rächen möchte, so wird des Betrügens, Schlagens und Rechtens so viel in der Welt werden, daß Niemand Frieden noch Ruhe in der Welt haben wird; das wäre uns aber verderblich an Seele und Leib, Ehre und Gut, wie man es fein erfährt; denn es rechtet oft Einer um zwei oder drei Gulden, bis es ihn wohl zwanzig oder dreißig kostet; und gewinnt dennoch zuletzt nichts. Darum ist es viel besser, man vergebe je Eines dem Andern, denn daß man zürne und zanke; und, ob es gleich zu Zeiten einen Schaden am Gut bringt, so haben wir doch das dagegen zum Gewinn, daß uns Gott auch verzeiht und vergibt, wie wir unsern Beleidigern vergeben.

Ihr sollt aber mit Fleiß merken, meine lieben Kinder, daß uns Christus gelehrt hat, wir sollen sprechen: Vergib uns unsere Schuld, und nicht unsere Sünde; denn, wenn er uns die Schuld vergibt, so ist es vielmehr, denn wenn er uns die Sünde vergibt. Das sollt ihr also verstehen: die Sünde heißt, wenn wir unrecht thun wider Gottes Gebot, Schuld aber heißt, wenn wir Gutes thun sollen und thun es nicht, oder thun es, aber je nicht vollkommen und ganz und gar, wenn wir gleich daneben nichts Unrechtes thäten.

Wenn uns nun die Sünde durch den Glauben an Christum vergeben ist, und wir gerecht und Gottes Kinder geworden sind, den Heiligen Geist empfangen haben, der uns wider die Sünde streiten hilft, und uns zu allerlei gutem Werke stärkt und treibt, so thun wir dennoch noch nicht alles das vollkömmlich, was wir thun sollten, wenn wir gleich nicht wider seine Gebote öffentlich und gröblich handeln; wenn wir aber nicht alles thun, was wir sollen, so bleiben wir immerdar noch Etwas schuldig. Dieselbigen Schulden vergibt uns nun Gott auch um Christi willen, wenn wir ihn darum bitten und unserem Nächsten auch verzeihen. Da sieht man nun, warum wir nimmermehr durch unsere eigenen Werke von Sünde, Tod und Hölle erledigt und gerechtfertigt werden können; denn unsere guten Werke bedürfen auch des Verzeihens darum, daß sie nicht vollkommen sind. Darum müssen wir allein durch das Leiden, Sterben und Auferstehen Christi, unseres Herrn, erlöset werden, wie wir im andern Artikel des Glaubens von der Erlösung gelernt haben.

Dieweil wir denn im Glauben lernen, daß uns Gott alle unsere Sünden und Schuld allein um Christi willen vergeben habe, und dasselbige glauben, so sollen wir Gott fleißig bitten, daß er uns thun wolle nach unserem Glauben, und unsere Schuld vergeben, wie wir andern Leuten ihre Schuld vergeben.

Das ist nun die Meinung und der einfältige rechte Verstand dieser fünften Bitte, nämlich wir bitten in diesem Gebet, daß der Vater im Himmel nicht ansehen wolle unsere Sünde und um derselbigen willen unsere Bitte nicht versagen; denn wir sind der keines werth, das wir bitten, haben es auch nicht verdient, sondern er wolle uns alles aus Gnaden geben: denn wir täglich viel sündigen und wohl eitel Strafe verdienen: so wollen wir dagegen auch herzlich vergeben und gerne wohlthun denen, die sich an und versündigen.

Darum, meine lieben Kinder, merkt es mit Fleiß, und wenn man euch fragt: Wie verstehst du die fünfte Bitte? so sollt ihr also antworten:

Wir bitten in diesem Gebete, daß der Vater im Himmel nicht ansehen wolle unsere Sünde und um derselbigen willen unsere Bitte nicht versagen; denn wir sind der keines werth, das wir bitten, haben es auch nicht verdient, sondern er wolle uns alles aus Gnaden geben; denn wir täglich viel sündigen und wohl eitel Strafe verdienen: so wollen wir dagegen auch herzlich vergeben und gerne wohlthun denen, die sich an uns versündigen.

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