Brenz, Johannes - Die fünfte Predigt. Auslegung des fünften Gebots.

Brenz, Johannes - Die fünfte Predigt. Auslegung des fünften Gebots.

Nun habt ihr im zunächst Vorhergehenden gehört, wie ihr das vierte Gebot verstehen sollt, darin wir lernen, wie wir uns gegen Vater und Mutter, und gegen alle Obrigkeit verhalten sollen; darum folgt nun hernach das fünfte Gebot, daß also lautet:

Du sollst nicht tödten.

Dieses Gebot, meine lieben Kinder, lehrt uns, wie wir uns verhalten sollen gegen unseres Nächsten eigene Person, nämlich daß wir ihm keinen Schaden zufügen sollen, weder an seinem Leib, noch an seinem Leben; denn der Mensch hat unter allen zeitlichen, vergänglichen Gütern nichts Lieberes, denn seinen eigenen Leib und Leben. Darum hat auch unser lieber Herr, Gott, vor allen andern Schäden, damit wir unsern Nächsten beleidigen mögen, am allerersten verboten, daß wir nicht sollen tödten.

Es ist aber nicht genug, meine lieben Kinder, wenn wir uns schon im äusserlichen Werke enthalten, daß wir Niemand erwürgen, sondern wir sollen auch nicht mit Gedanken, Worten oder Werken eine Ursache dazu geben, daß unser Nächster um seinen Leib und Leben komme. Denn die Gebote Gottes sind geistlich, und erfordern nicht allein das Werk, sondern auch den Willen und das Herz; und ist fürwahr eine grosse Weisheit, wenn man solches recht versteht. Darum hat es unser lieber Herr Christus im Evangelium selbst ausgelegt, auf daß wir uns ja nicht sollen irren, und dieß Gebot unrecht verstehen, wie die Juden. Denn die Juden meinten, wenn sie nur Niemand mit der Hand, oder mit der That erwürgten, so hätten sie das Gebot schon gehalten und erfüllt; wenn sie aber sonst mit Worten und Werken Ursache dazu gaben, so achteten sie desselben nicht, gleich als wäre es keine Sünde, und ihre Schriftgelehrten und Pharisäer lehrten sie auch also; und sie wußten's nicht besser.

Darum spricht der Herr Christus im Evangelium Matth. 5.: „Ich sage euch, es sey denn euere Gerechtigkeit besser, denn die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht tödten; wer aber tödtet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber (spricht der Herr Christus) sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichts schuldig.“ Da hört ihr, meine lieben Kinder, daß unser Herr Christus das Zürnen eben so hoch will verboten haben, als das Tödten; und ist auch recht, denn wer da zürnt, der tödtet den Nächsten mit dem Herzen und mit den Gedanken. Nun steht aber Gottes Gebot da, und spricht: Du sollst nicht tödten.

Und das sollt ihr, meine lieben Kinder fleißig merken, daß er nicht spricht, deine Hand soll nicht tödten, oder dein Schwert soll nicht tödten, oder dein Spieß und Büchsen sollen nicht tödten, sondern er spricht: Du sollst nicht tödten, das ist, du selbst, wie groß du bist, mit all deinen Gliedern, inwendig und auswendig, mit all beinen Gedanken und Anschlägen, mit all deinem Thun und Lassen sollst nicht tödten.

Nun möchte Jemand gedenken, wenn denn jemand stiehlt oder raubt, oder mordet, oder andere grosse unleidliche Uebel thut: soll man ihn dann nicht tödten? Antwort: Ja, er soll getödtet werden. Aber Gott spricht: Du sollst nicht tödten; halt du Frieden, und laß es einen Andern thun. Wer soll es aber thun? Unser Herr spricht 5 Mos. 32,35.: Laß mir die Rache, ich will vergelten, das ist, Gott der Herr will es selber thun. Darum hat er auch weltliche Obrigkeit und Amtleute eingesetzt, und ihnen das Schwert gegeben, und befohlen, sie sollen die Uebelthäter strafen. Und wenn sie es thun, so thun sie Gott einen Gefallen daran, und sind seine Diener, wie St. Paulus spricht Röm. 13,4.: Die Obrigkeit trägt das Schwert nicht umsonst; sie ist Gottes Dienerin, und eine Rächerin zur Strafe über den, der Böses thut. Darum, wenn die Obrigkeit einen Uebelthäter mit Recht und Urtheil tödtet, so ist es eben so viel, als hätte ihn Gott selbst getödtet; denn sie thut es aus Befehl und Ordnung Gottes, wie St. Paulus Röm. 13. lehrt. Darum, meine lieben Kinder, wenn euch schon Jemand Gewalt und Unrecht thut, so leidet es geduldig, tödtet Niemand, schlaget Niemand, zürnt mit Niemand, hadert und zankt mit Niemand, sondern befehlt's Gott, dem Herrn, der gesprochen hat: Laß mir die Rache, ich will vergelten; du sollst nicht tödten.

Wie ihr nun vorhin gehört habt, sollt ihr weder mit Gedanken, noch Worten, noch Werken tödten; denn man kann einen Menschen in mancherlei Weise tödten, wie wenn man ihn mit der That erwürgt, wie die Mörder im Walde, oder wenn andere Leute Einen erwürgen wollen, und wir könnten ihm helfen, und wollten es nicht thun; oder wenn man es gebeut oder räth, daß Jemand erwürgt werden soll; oder wenn man Etwas von einem Andern sagt, daß er darum erwürgt wird; oder wenn man Jemand mit Worten erretten könnte, daß er nicht erwürgt würde, und schweigt doch still dazu; oder wenn ein Mensch sonst sterben will, und wir helfen ihm nicht, sondern lassen ihn verhungern, erfrieren, ertrinken oder verbrennen; oder wenn wir mit Einem zürnen, und ihm feind werden, daß wir ihm nichts Gutes gönnen, sondern gönnen und wünschen ihm Böses, also daß, wenn es ihm wahr würde, er auch sterben müßte. Seht da, meine lieben Kinder, das alles heißt getödtet; denn dadurch wird ein Mensch schuldig an seines Nächsten Tod.

Auf daß ihr es nun wohl versteht, so merket mit allem Fleiß, wo Zorn, Neid und Haß ist, da ist auch das Tödten; tödtet man mit der Hand nicht, so tödtet man mit bösen Worten, und tödtet man mit den Worten nicht, so tödtet man aber mit den Gedanken im Herzen. Denn wo Zorn, Neid und Haß im Herzen ist, daselbst ist gewiß auch das Tödten; denn gleichwie das Feuer Schaden thut, wo es ausgeht, und läßt sich nicht mehr leicht wehren, also auch Neid, Haß und Zorn, wenn sie bewegt und angezündet werden, thun oft größern Schaden, denn der Mensch im Sinn gehabt hat, ja sie bewegen auch wohl einen Menschen, daß er ein Uebel thut, daß er vorher sein Leben lang nie im Sinn gehabt hat, und ihm hernach von Herzen Leid ist; und kommt also alles Tödten aus Neid, Haß und Zorn. Darum spricht der heilige Johannes in seiner Epistel 1. Joh. 3,15.: Wer seinen Bruder hasset, der ist ein Todtschläger.

Also könnt ihr nun, meine lieben Kinder, fein verstehen, wie Christus dieß Gebot auslegt; denn er spricht: Wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichts schuldig; denn Zürnen ist nichts anderes, denn tödten mit dem Herzen. Nun spricht aber Gottes Gebot: Du sollst nicht tödten.

Weiter spricht Christus: Wer zu seinem Bruder sagt: „Racha,“ das ist, wer zornig gegen ihn murrt, daß man es an seiner Stimme und an seinen Geberden merkt, daß er mit ihm zürnt, der ist schuldig des Raths. Wer aber sagt, du Narr, der ist des höllischen Feuers schuldig. In diesen Worten lehrt uns unser lieber Herr Christus, daß man den Nächsten auch mit Worten tödtet, wenn man so zornig mit ihm redet, daß man wohl merken kann, daß man ihm von Herzen feind ist; und noch viel mehr, wenn man ihn schändet und schmäht, und macht damit, daß ihn andere Leute auch verachten, und ihm feind werden. Auch lehrt er uns den Zorn Gottes und die ernstliche Strafe erkennen, die hier zeitlich, und dort ewig über uns gehen sollen, wenn wir diese Gebote verachten und nicht halten. Denn er spricht nicht allein, der da tödtet, sondern auch, der da nur zürnt, der ist des Gerichts schuldig, das ist, er thut eine solche Sünde darum man ihn sollte vor Gericht führen, und eine Strafe über ihn ergehen lassen. Welcher aber mit seinem Zorn heraus fährt und murrt, der ist des Raths schuldig, das ist, er thut eine solche Sünde, darüber man nicht erst im Gericht forschen soll, ob sie zu strafen sey oder nicht; denn es ist offenbar, daß es unrecht und sträflich ist, sondern man sollte flugs zu Rathe gehen, und bedenken, wie hart man ihn strafen sollte. Welcher aber mit seinem Zorn dem Nächsten Schaden thut, und ihn an seinen Ehren beleidigt, heißt ihn einen Narren, oder Schelmen, oder was andere dergleichen Scheltworte sind, der ist des höllischen Feuers schuldig, das ist, er thut eine solche grosse Sünde, die hier zeitlich und dort ewig sollte gestraft werden, wenn sie nicht gebüsset, und durchs Leiden Christi vergeben würde.

Noch vielmehr wird der Todtschlag hier und dort gestraft werden, wie Gott, der Herr, nach der Sündfluth zu Noah gesprochen hat 1 Mos. 9,5 rc.: Ich will euer Blut von allen Thieren fordern, und will des Menschen Seele fordern von des Menschen Händen: Wer Menschenblut vergeußt, deß Blut soll wieder durch Menschen vergossen werden; und dazu ist die Obrigkeit von Gott eingesetzt, wie ihr gehört habt.

Wenn man nun gleich der Obrigkeit entrinnt, oder sie selbst nachlässig und säumig ist, daß sie nicht straft, so läßt es doch Gott, der Herr, nicht ungerächt, sondern straft's hier und dort, wie er gesprochen hat, er wolle unser Blut und unsere Seele fordern, wie man fein sieht am Cain, der seinen Bruder Abel erschlug. Denn Gott der Herr straft ihn selbst darum 1 Mos. 4., hier zeitlich, daß er mußte ein böses, blödes, verzagtes, unruhiges Gewissen haben, sich fürchten und zittern, und aus dem Lande fliehen und keine bleibende Statt haben; er straft ihn auch dort in jener Welt ewig; denn er ist verflucht und verdammt.

Eine solche ernstliche Strafe, meine lieben Kinder, soll uns billig alle bewegen, daß wir dieß Gebot fleissig merken, und gern halten sollen, also daß wir Niemand tödten, weder mit Werken, noch mit Worten, noch mit Gedanken, wie uns Christus, der Herr, lehrt, sondern man soll geduldig seyn und leiden, wenn uns Gewalt und Unrecht geschieht; denn er spricht Matth. 5,10.: Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen leiden, denn das Himmelreich ist ihr.

Wir sollen auch nicht zürnen, sondern unsere Feinde lieb haben, wir sollen ihnen nicht übel nachreden, sondern segnen, die uns fluchen, mir sollen uns auch nicht rächen, sondern wer uns einen Streich an einen Backen gibt, dem sollen wir den andern auch darhalten; und wer uns den Rock nehmen will, dem sollen wir auch den Mantel lassen: wer uns zwingt, Eine Meile Wegs mit ihm zu gehen, mit dem sollen wir zwei gehen; wir sollen Gutes thun denen, die uns hassen, und bitten für die, die uns beleidigen, auf daß wir rechte Kinder seyen unseres Vaters im Himmel; denn solches Alles hat uns Christus gelehrt und befohlen.

Wenn wir aber Jemand beleidigt und erzürnt haben, so sollen wir Fleiß anwenden, daß wir uns auf das Allerbeste wieder mit ihm versöhnen. Denn Christus spricht Matth. 5,23.: Wenn du deine Gabe auf den Altar opfern willst, und wirst allda eingedenk, daß dein Nächster Etwas wider dich hat, so lasse deine Gabe vor dem Altar, und gehe hin, und versöhne dich zuvor mit deinem Bruder. Es war zwar im alten Testament ein feiner Gottesdienst, wenn man opferte; denn Gott, der Herr, hat es selbst befohlen, aber unser lieber Herr Christus lehrt uns da, daß der allerbeste und nöthigste Gottesdienst sey, daß man Gottes Gebote und sich mit dem Nächsten versöhne: das sollt ihr, meine lieben Kinder, fleißig merken.

Dazu dient es auch zu zeitlicher Ruhe, zu Glück und Heil, wenn man Gottes Gebote fleißig hält; und wenn man es nicht thut, so dient es nur zur Schande, zum Schaden und Verderben. Denn Christus spricht Matth. 5,25.: Wir sollen mit unserem Widersacher uns bald vertragen, das ist, wir sollen mit Niemand zürnen, zanken, hadern oder rechten, sondern Vertrag und Frieden suchen, wie wir können, sonst möchten wir in den Kerker geworfen werden, und nicht herauskommen, bis wir auch bei einem Heller bezahlt. Denn es kann wohl geschehen, wenn wir gleich eine gerechte Sache haben, daß wir dennoch das Urtheil verlieren; und ob wir es schon gewinnen, so gehen oft mehr Kosten und Schaden darauf, denn die Sache werth ist: darum ist nichts Besseres, denn überall Frieden suchen.

Gleichwie wir nun mit Jedermann sollen Frieden hallten, also sollen wir auch Fleiß anwenden, daß wir, wo andere Leute uneins sind, sie wieder zu Freunden machen; denn Christus spricht Matth. 5,9.: Selig sind die Friedfertigen, oder die Frieden machen; denn sie werden Gottes Kinder heissen.

Darum, meine lieben Kinder, nehmt es zu Herzen, daß Gott geboten hat: Du sollst nicht tödten; und daß man unserem Herrn, Gott, nicht besser dienen kann, denn wenn man seine Gebote fleißig hält; und seyd geduldig, rächt euch selbst nicht, laßt unsern Herrn Gott rächen, der wird's wohl bezahlen, zürnet mit Niemand, beneidet Niemand, hasset Niemand, redet den Leuten nichts Uebles nach, thut Niemand kein Leid, seyd friedsam und helft andern Leuten auch zum Frieden, vertheidigt, vertragt und versöhnt die Leute mit einander, wo ihr könnt, vermeidet alle Ursache des Zorns, als da ist Muthwillen, Gespötte, Trutzen, Spielen, Trinken, und was dergleichen ist.

Dergleichen habt Jedermann lieb, gönnet und thut Jedermann Gutes, redet von und mit Jedermann freundlich und wohl, helft dem Nächsten sein Leben retten mit Schützen und Schirmen, mit Hülfe und Rath, mit Lehren und Warnen, mit Leihen, Borgen und Geben in der Noth, mit Essen und Trinken, mit Kleidern und Herbergen, mit Trösten und Arzeneien, und wie ihr nur könnt; denn alles hat uns Gott geboten, da er spricht: Du sollst nicht tödten.

Das ist die Meinung und der rechte Verstand dieses fünften Gebots, daß man den Herrn über alle Dinge soll: fürchten und lieben, daß wir um seinetwillen unserem Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid thun, sondern ihm helfen und fördern in allen Leibesnöthen.

Darum, meine lieben Kinder, merkt es mit Fleiß, und wenn man euch fragt: Wie verstehst du das fünfte Gebot? So sollt ihr also antworten:

Wir sollen Gott den Herrn über alle Dinge fürchten und lieben, daß wir um seinetwillen unserm Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch leid thun, sondern ihm helfen und fördern in allen Leibes Nöthen.

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