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Braun, Friedrich - Zum Abschied.

Braun, Friedrich - Zum Abschied.

Gehalten am 28. Oktober 1894.

Philipp. 1,3-6:
Ich danke meinem Gott, so oft ich euer gedenke, welches ich allezeit tue in allem meinem Gebet für euch alle, und tue das Gebet mit Freude, über eurer Gemeinschaft am Evangelio, vom ersten Tage an bisher. Und bin desselbigen in guter Zuversicht, dass, der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollführen bis an den Tag Jesu Christi.

In dem Herrn Jesu Christo Geliebte!

An eine Abschiedsstunde habe ich seit langem gedacht; auf sie habe ich mich gefreut; nach ihr habe ich mich gesehnt. Ich hatte die Stunde im Sinn, wo ich dieser Gemeinde von St. Martin danken wollte für die Gastfreundschaft, welche mir und meiner Gemeinde dieses Gotteshaus anderthalb Jahre hindurch offen gehalten hat; die Stunde, wo ich mit meiner Gemeinde zurückkehren wollte in das eigene Haus, nachdem eine lange, schwere Arbeit an demselben geschehen ist. Auf diese Abschiedsstunde hatte ich mich gefreut; sie hatte ich herbeigesehnt. Aber wie ganz anders ist's gekommen! Ich soll gar nicht mehr mit meiner Gemeinde zurückkehren in das verlassene Haus; ich soll nie mehr um meine Kanzel euch versammelt sehen; - ich soll den Wanderstab ergreifen und dahin gehen, wohin man mich ruft. Ihr wisst, Geliebte, und wenn Ihr es nicht wisst, so will ich es ausdrücklich sagen: ich habe nichts dazu getan, dass es so gekommen ist. Ich hätte nichts dazu tun können. Meine Oberen, denen ich zu gehorchen habe, haben mich gehen heißen; und ich habe kein Recht in mir gefunden, dem Ruf zu widerstreben. Ich hätte mir wohl ein Scheiden denken können und wünschen mögen, das für mich und für euch etwas Anmutigeres gehabt hätte. Aber Wünsche von kleiner Art und persönlicher Natur müssen schweigen, wo die ernstesten Erwägungen frommer und getreuer Oberherren ein anderes erheischen. Und so gibt es für mich nur ein Vorwärts noch und kein Rückwärts mehr. Ich muss heut Abschied nehmen.

Zum Abschied aber sagt man sich ein gutes und ernstes Wort. Schenke mir Gott die Gnade, dass mein letztes Wort an euch zu einem guten und ernsten Wort gerate.

Mein Abschiedsgruß, den ich euch entbiete, ist ein Wort demütigen Dankes und fröhlicher Hoffnung:

  1. Ich danke Gott für das Beste, das er mir unter euch gewährt.
  2. Ich hoffe zu Gott, dass er euch das Beste forthin gewähren soll.

1.

Ich danke meinem Gott, so oft ich euer gedenke - so will ich mit dem Apostel sagen, wenn ich an die Zeit zurückdenke, die ich unter euch verleben durfte. Diese elf Jahre, welche ich in dieser Stadt, diese letzten vier Jahre insonderheit, welche ich im Pfarramt der Gemeinde zu Unser Frauen verbracht, wie reich sind sie für mich gewesen an alledem, was ein Menschenherz bewegen, beugen und erheben kann! Liebes und Leides ist mir in Fülle widerfahren. Aber bei alledem habe ich viel gelernt; und jetzt, da ich von euch gehen muss, darf ich aus vieler Mund das Geständnis hören, dass ich euch etwas wert gewesen sei und dass ihr mich gern noch länger hättet behalten mögen.

Aber es wäre doch nicht das Rechte, wenn ich nur zu danken hätte für den persönlichen Segen und Gewinn, welchen mir diese elf Jahre eingebracht. Denn nicht darauf kommt es an, ob ich in irgend welchen Dingen Gutes empfangen und genossen habe; sondern darauf, ob ich etwas erreicht und gewirkt habe in dem Stück, dessentwegen ich unter euch gesetzt war: in der Gemeinschaft am Evangelium.

Zusammen mit meinen Brüdern im Amt sollte ich durchs Evangelium euch zu Christo führen und also zu der Gemeinschaft bringen, welche sich durch einen Herrn, einen Glauben, eine Taufe, einen Gott und Vater geeinigt weiß. Dahin sollte ich euch bringen helfen, dass ihr mit eigenem freudigem Glauben dem Herrn Christo angehören und verbunden sein wolltet als ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eures Berufs. Das ist die Gemeinschaft am Evangelium. Wenn es mir nicht gelang, darin euch zu fördern und Handreichung zu tun, dann bin ich umsonst unter euch gewesen; dann habe ich heute nichts zu danken, sondern zu trauern, und muss beschämt und gedemütigt von dannen gehen. Muss ich das? Nein Geliebte. Demütig, ja, will ich von euch scheiden, demütigen Dankes voll; aber gedemütigt nicht. Denn ich darf mit dem Apostel sprechen: ich danke meinem Gott allezeit, so oft ich euer gedenke, über eurer Gemeinschaft am Evangelium vom ersten Tage an bisher. Ja wahrhaftig, vom ersten Tag an bisher! Nicht ein einziges Mal in diesen elf Jahren bin ich auf die Kanzel getreten, ohne dass ich mir hätte sagen dürfen: hier warten heilsbegierige Seelen auf das Wort des Lebens; hier wollen Schafe des großen Erzhirten auf grüne Aue sich führen lassen und zu frischem Wasser. Und was ich im Beichtstuhl und im Unterricht, was ich am Krankenbett, an Grab und Sarg euch habe bieten dürfen zu Ermahnung und Trost, ich weiß, es ist nicht auf unfruchtbaren Boden gefallen; es ist vielen ein Geruch des Lebens geworden zum Leben.

Freilich auch manchen ein Geruch des Todes zum Tode. Wollte Gott, ich dürfte das Herz soweit auftun, wie der Apostel, und dürfte, wenn ich an Memmingen denke, alles in meinen Dank einschließen, was da den evangelischen Namen trägt. Aber so ist es ja leider nicht, dass alle, die unter euch evangelisch heißen, auch Gemeinschaft haben am Evangelium. Manche hassen das Wort vom Kreuz Christi, und der Bauch ist ihnen zum Gott geworden. Sie hassen die Zucht und hassen den, der sie züchtigt mit dem Wort der Wahrheit. Wo ihnen ein Diener Christi entgegentritt, da sehen sie nicht auf das, was göttlich ist an seinem Werk, sondern was menschlich ist an seiner Person. Ich kann für mich nichts anderes erwarten. Und wie sollte ich nicht auch menschliche Schwächen und Gebrechen an den Tag gelegt haben! wie sollte ich nicht Gott sei's geklagt! unreines Menschenwesen hineingemengt haben in Gottes reine, heilige Gaben! Nur dass ein redliches, der Wahrheit erschlossenes Herz den kostbaren Schatz unterscheidet von den irdenen Gefäßen, in denen er einhergetragen wird. Ich bitte Gott und bitte euch um Vergebung für alles, was ich versäumt und gefehlt. Aber ich bitte auch Gott, dass er den Verächtern seines Gnadenwortes nachgehe mit der Geduld des guten Hirten, der das Verlorene sucht. Denn mit Schmerzen bin ich inne geworden, dass der Ungläubigen und Unbußfertigen nicht wenige sind unter euch.

Doch ich will mir dadurch die Freude nicht trüben lassen, welche mir geblieben ist, vom ersten Tag an bisher, die Freude an allen denen, welche Gemeinschaft haben am Evangelium. Gott Lob und Dank! Der Herr hat noch ein großes Volk in dieser Stadt. Nicht alle beugen ihre Knie vor den Götzen dieser Welt. Derer, die den Herrn anrufen von reinem Herzen und Jesu nachfolgen mit aufrichtigem Wandel, ist mehr als ich weiß und mit Namen nennen kann. Genug, dass der Herr die Seinen kennt.

Mich aber begleitet die Freude, dass ich euch habe dienen dürfen, und dass die Arbeit, die ich an euch gewendet habe, nicht vergeblich gewesen ist in dem Herrn. Wenn ich euer gedenke, die ihr den Herrn Jesum liebt, so tue ich's in all meinem Gebet allezeit mit Freuden. Und das will ich tun. Ja, ich will für euch beten, für euch die Altersmüden, wie man für Väter und Mütter betet, denen man einen seligen Feierabend wünscht; für euch die Arbeitsrüstigen, wie man für Brüder und Schwestern betet, die ausharren müssen im Kampf; für euch, die Unmündigen, wie man für Söhne und Töchter betet, die tüchtig werden sollen zum ernsten Beruf. Und wie ich für euch beten will in alle meinem Gebet, so betet ihr für mich, der ich in ein großes, schweres Amt berufen bin. Und so haltet mit mir das Band der Gemeinschaft fest, welches wir am Evangelium gefunden haben, damit unsere dankbare Freude gekrönt werde mit der Erfüllung der fröhlichen Hoffnung, die heute dem Scheidenden zugleich das Herz bewegt.

2.

Geliebte, ein Diener Jesu Christi arbeitet niemals allein für die Gegenwart. Auch das äußere Werk, welches mich in den letzten drei Jahren so sehr in Anspruch genommen hat, die Erneuerung unserer Frauenkirche, habe ich nicht betrieben, als ob es für mich etwas sein sollte und für die Zeit meines Bleibens. Wie schwer müsste mir dann das Fortgehen werden in dem Augenblick, da das Werk nahezu vollendet ist. Ich habe es begonnen und fortgeführt, nicht dass ich etwas daran haben sollte, sondern die Gemeinde, der das Haus gehört, und die dableibt, auch wenn der einzelne Pfarrer von ihr scheidet. Eines allein darf derjenige wünschen, der ein großes Werk anhebt, dass es nämlich auch vollführt werde und nicht unvollendet stecken bleibt. Denn so liegt es im Bedürfnis des Menschen, dessen Schöpfer sein Schöpfungswerk auch vollendet hat. Ich zweifle aber nicht, dass diese meine Arbeit, die der Ehre und Würde der Gemeinde dienen sollte, und zu welcher ihr treulich mitgeholfen habt, zu einem guten Ziel und Ende kommen wird.

Doch ich bin ein Diener des Evangeliums. Und dass ihr erbaut werdet auf dem Grund eures allerheiligsten Glaubens zu dem geistlichen Haus, da Jesus Christus der Eckstein ist, das ist vom ersten Tag bis zum letzten meine liebste und größte Sorge gewesen. Diese Erbauung mit neuer Lust aufzunehmen im erneuerten Haus, das war mein einziger Wunsch. Es hat nicht sein sollen; Gott hat's anders gewollt. Aber darum muss ich doch meinen Wunsch und meine Hoffnung nicht fahren lassen. Denn dass das geistliche Haus der Gemeinde Christi aufgebaut und fertig dasteht vor Menschenaugen, das erlebt überhaupt keiner von denen, die daran bauen. Jeder baut auf Hoffnung. Jeder wartet darauf, dass ein anderer das Werk weiterführen werde. Und alle getrösten sich dessen, dass Einer zuletzt es hinausführen werde zum Ende. Wer wird es denn vollführen? Der allein, der es angefangen hat, für den die Bauleute alle nur Handlanger sind, Jesus Christus, der Herr, der da gesagt hat: Ich will bauen meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.

Geliebte, wir bedürfen in unsern Tagen dieser Gewissheit mehr denn je. Denn von gewaltigen Feinden rechts und links ist die Gemeinde des Evangeliums bedroht. Der Unglaube erhebt allenthalben die freche Stirn und zieht das Heilige in den Staub. Weltbesitz und Weltgenuss schwebt Tausenden als höchstes Erdenglück vor Augen und trägt Verbitterung und Unmut in weite Schichten unseres Volkes hinein. In schamloser Gleichgültigkeit ziehen schon viele ein armseliges Linsengericht den höchsten Gütern ihres Glaubens vor. Auch in den evangelischen Gemeinden dieser Stadt wächst die Zahl derer, welche es ertragen, dass ihre Kinder und Kindeskinder der evangelischen Kirche, ihrer geistlichen Mutter, verloren gehen. Die Väter sind einst zum Bekenntnis des Evangeliums gestanden, wie Ein Mann; Gut und Blut haben sie daran gesetzt, es zu behaupten: die großen Tage der Reformation sind das Ehrenblatt in der Geschichte dieser Stadt geworden. Unter den Wechselschlägen der Jahrhunderte, im Sturm und Drang des dreißigjährigen Krieges haben sie dann das evangelische Bekenntnis als ihr Kleinod behauptet: was ist's für ein demütigender Anblick, wenn die Kinder das Errungene preisgeben, als hätten die Väter für nichts gekämpft! O dass die Söhne der Väter würdig werden möchten! O dass die gesamte evangelische Gemeinde dieser Stadt unter der Obhut treuer Hirten bleiben möchte, was sie jahrhundertelang gewesen - eine Pflanz- und Pflegstätte evangelischen Glaubens und Lebens, ein tapferes Häuflein, das auf schwerem Vorposten seine Aufgabe nicht vergisst, sondern in Treue ausharrt bis zu dem Tag, da aller Kampf ein Ende hat.

Der Tag Jesu Christi, der große Tag, da alle Menschenstimmen schweigen, weil der Herr allein zu dem Erdboden redet, er steht uns beständig vor Augen mit drohendem Ernst und seliger Hoffnung. Denn er bringt beides, das verdammende Gericht und die herrliche Erlösung. Einen Diener Jesu Christi, der diesem Tag entgegenblickt, durchschauert's bei dem Gedanken, dass er vor dem Stuhl des Richters Rechenschaft geben soll; ihn durchschauert's, wenn er an die Gemeinde denkt, welche hingestellt werden soll vor diesen selben Richterstuhl. Und doch sollen wir alle es dahin bringen, dass wir mit Freudigkeit stehen vor dem Angesicht des Menschensohnes. Was wollen wir tun? Ich denke, wir wollen bei dem bleiben, der das gute Werk in uns angefangen hat. Wir wollen ihn fernerhin an uns wirken lassen, wie er's für gut findet. Und über aller Schwachheit und Sünde, die uns dabei drückt und quält, wollen wir uns an das halten, was in unser armes Leben hereinleuchtet, wie die Sonne, die tagtäglich erquickend und belebend am Himmel steht: wir wollen uns der Gnade getrösten, die uns die Sünde vergibt und die noch mächtiger ist als die Sünde, wo die Sünde mächtig geworden ist. Diese Gnade euch zu predigen bin ich nicht müde geworden. Diese Gnade müsse mein Trost und müsse euer Trost sein in unserer letzten Stunde. Dieser Gnade befehle ich euch. Sie bleibe bei euch, die ihr bleibet; sie geleite den, der da scheidet! Sie führe uns dereinst zusammen vor dem Thron der Herrlichkeit in ewiger Freude!

Amen.

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