Braun, Friedrich - Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit

Braun, Friedrich - Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit

Gehalten am 29. November 1891.

Matth. 21,1-9:
**Da sie nun nahe gen Jerusalem kamen, gen Bethphage, an den Ölberg, sandte Jesus seiner Jünger zween und sprach zu ihnen: Geht hin in den Flecken, der vor euch liegt; und bald werdet ihr eine Eselin finden angebunden und ein Füllen bei ihr; löst sie auf und führt sie zu mir. Und so euch jemand etwas wird sagen, so sprecht: der Herr bedarf ihrer, sobald wird er sie euch lassen. Das geschah aber alles, auf dass erfüllt würde, das gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: Sagt der Tochter Zion: Siehe dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen der lastbaren Eselin. Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider drauf und setzten ihn drauf. Aber viel Volks breitete die Kleider auf den Weg; die anderen hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das vorging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

In dem Herrn Geliebte!

Wie ein lieber, alter Freund, den wir immer wieder gerne sehen, tritt heute ein neues Kirchenjahr an uns heran. Christen, welche in den Ordnungen ihrer Kirche getreulich mitleben, freuen sich des festlichen Klanges, der nun wieder erwacht; beim ersten Adventslied, das sie mit der Kirche anstimmen, wird ihnen schon weihnachtlich zumut; und in stiller, feierlicher Erwartung harren sie, wie man im Morgengrauen eines herrlichen Sonnenaufgangs harrt. Oder ist's nicht eine strahlende Sonne, das Licht aller Welt, das vor unsern Augen heraufsteigen soll - Jesus Christus, gestern und heute und derselbige auch in Ewigkeit? Ist's nicht eine leuchtende Sonnenbahn, die wir verfolgen wollen, das heilige, göttlich hohe, menschlich arme, alle Weltherrlichkeit überragende, alles Weltelend umspannende, das einzige, wundersame Leben des Gottes- und Menschensohnes von der Krippe bis zum Kreuz, vom Kreuz bis zur Himmelfahrt? Von alledem im engen Rahmen ein kleines Bild, wie's Menschenaugen fassen können, wie's Menschenherzen in der Unruhe und Zerstreuung dieses Lebens immer wieder sehen müssen das ist das Kirchenjahr: ein Sinnbild und Gleichnis, wenn ihr wollt, von der Zeit alttestamentlicher Vorbereitung und Verheißung, dann von den Großtaten Gottes in Christo, in welchen die Verheißung. sich erfüllt, dann von der langen, langen Zeit der Reichsausbreitung, bis endlich hin zur Erfüllung der letzten Hoffnungen, bis zur Wiederkunft des Herrn.

Also teils Erinnerung, teils Hoffnung? könntet ihr sagen. Ja wohl, Geliebte! Und sofern wir Hoffnungen haben, ist diese Zeit eine Advents- und Wartezeit, ist dieses ganze Erdenleben der Gemeinde, und nicht bloß die vier Wochen vor Weihnachten, eine Zeit der Zubereitung für den, der kommen soll. So lang wiederholt sich der Kreislauf des Kirchenjahres; so lang betet die Gemeinde: Komm, Herr Jesu!

Aber die Gemeinde der Gegenwart steht doch nicht zwischen inne zwischen Vergangenheit und Zukunft, als lebte sie nur von Erinnerung und Hoffnung, ohne eigene Heilsgegenwart. Wir könnten sonst nicht singen: „Wie soll ich dich empfangen und wie begegn' ich Dir?“ „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Das gilt einer freudenvollen Gegenwart, das gilt dem, der gekommen ist, nicht dem, der aus weiter Ferne erst noch kommen soll. Ist uns solche Adventsfreude erlaubt? Ist es uns möglich, das Kirchenjahr zu beginnen und zu durchleben als eine Zeit der Gnadengegenwart Gottes, die um nichts zurücksteht hinter jener herrlichen Stunde, wo das Volk zu Jerusalem seines Herrn und Königs froh geworden ist? Ja, Geliebte!

Auch diese Wartezeit ist voller Herrlichkeit; denn

  1. der König ist da mit den Besten, was er hat; und
  2. sein Volk dient ihm in heiligem Schmuck.

1.

Es war eine merkwürdige Stunde im Leben des Herrn, da er, auf einem Eselsfüllen reitend, unter ärmlichem Schmuck, beim Jubel des Volks in der alten Königsstadt seinen Einzug hielt. Wie war er sonst allem Gepränge aus dem Weg gegangen! Wie behutsam hatte er es vermieden, die leidenschaftliche Begeisterung der Volksmassen groß zu ziehen! Und nun lässt er sich das alles gefallen, ja er veranstaltet selbst den seltsamen Aufzug und nimmt die Huldigung des Volks ohne Widerspruch hin warum das? Weil es wahr ist, was das Volk sagt, und weil er jetzt, einem Prophetenworte gehorsam, sich als den König bekennen und darstellen muss, der nach der Verheißung zu seinem Volk gekommen ist.

Im 9. Kapitel des Sacharja spricht der Herr: „Du Tochter Zion freue dich sehr, und du Tochter Jerusalem jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm, und reitet auf einem Esel und auf einem jungen Füllen der Eselin.“ Bildlich hatte der Prophet so gesprochen, um anzuzeigen, dass der verheißene König nicht, wie sonst die Herren der Welt, auf stolzem Ross, in schimmernder Pracht daher kommen werde, mit einem Raub, den er andern abgenommen, nachdem er die Besiegten zertreten; sondern arm und anspruchslos, sanftmütig und demütig, gerecht und frei von eigener Schuld und bereit, andern zu helfen und zu dienen. Jetzt war dieser König da, und es stand nichts im Weg, buchstäblich das Prophetenwort zur Erfüllung zu bringen; Israel konnte dann mit Händen greifen, dass eine große, eine längst verheißene Stunde im Reich Gottes gekommen sei.

Und es war eine große Stunde. Denn der König aus Davids Stamm, der Gerechte, der Heiland, kam zur Tochter Jerusalem und brachte Heilandsgaben mit, Friedensgaben zum Angebinde für sein im Elend schmachtendes Volk. Oder hatten sie nicht gar manches Mal an seinem Mund gehangen und Herzenstrost und Gewissenserleichterung von ihm mit heimgebracht? Hatten sie nicht, die unter dem Druck des Gesetzes und der Gesetzeswächter seufzten, bei ihm wieder aufatmen und an eine erbarmende Gottesgnade glauben gelernt? Wie viel hundert Häuser in Israel waren durch ihn gesegnet und beglückt, deren Kranke er gesund gemacht, deren Blinde, Taube, Stumme er geheilt! Ja, hatte er nicht auch die Bande der Hölle und die Stricke des Todes mit seinem Machtwort gelöst und die satanisch Gebundenen frei und die Toten wieder lebendig gemacht! Ja, freue dich, du Tochter Zion, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Dein König ist da und seine besten Gaben hat er mitgebracht!

Und: der König ist da! sagen wir von dieser und aller Zeit, da wir zu warten haben, bis ein anderes kommt, der König ist da mit dem Besten, was er hat, mit seinem Wort und Sakrament, mit seinem Erbarmen und seiner Geduld, mit seinem Heilandsauge, das den Jammer der Menschen sieht, mit der Heilandshand, die sich lindernd auf Menschenelend legt, mit dem Heilandsherzen, das für alle schlägt und für alle bricht, sie kommen oder kommen nicht.

Aber sie sind gekommen und sie werden wieder kommen, hier in der Christenheit und draußen in der Heidenwelt, die Mühseligen und Beladenen, die Armen am Geist, die Leidtragenden und die da hungern und dürsten nach Gerechtigkeit. Sie werden kommen, die Angefochtenen und Kranken mit den tausendfachen Nöten Leibes und der Seele, und sie werden nicht leer von ihm hinweggehen, sondern tausendfach gesegnet. Und so wird sein Name wieder Wunder wirken an Krankenbetten und Sterbebetten, an Gräbern und Särgen, in Kirchen und Schulen, auf dem Markt des Lebens und im Betkämmerlein des Leidens, und das Hosianna „Herr, hilf!“ wird sich durch's ganze Gnadenjahr hindurch unzählige Male wiederholen, auch aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge, und wird zu seinen Ohren dringen, es murre dagegen wer da wolle, und wird Erhörung finden.

Denn der König ist nicht da unter seinem Volk, um sich bloß huldigen zu lassen und Ehren einzuernten. Wann hätte er das jemals getan? Auch das Gepränge der Einfalt, das er an jenem Einzugstage duldet, hat er nicht gesucht, um zu prangen, sondern um gehorsam zu sein gegen ein heiliges Gotteswort und seinem Volke einen letzten Wink zu geben, wer da zu ihm gekommen sei. So wird er denn auch unter uns sich zu schaffen machen ohne Ende. Er wird in trautester Gemeinschaft sammeln, die ihn lieben; er wird sie in heilige Gottesgedanken und Himmelreichsgeheimnisse hineinschauen lassen, wenn sie gelehrige Schüler sein wollen. Er wird die verblendeten Widersacher, wenn auch nicht überzeugen und bekehren, doch strafen mit dem Schwert seines Geistes, damit seinem Wort Raum bleibe in der Welt. Er wird den Vergessenen und Verlorenen nachgehen in die Einöden und Wüsteneien des Lebens und sie als barmherziger Samariter retten. Er wird Tote rufen mit unwiderstehlichem Wort, dass sie die Grabtücher ihres Fleischeslebens von sich werfen und in einem neuen Leben wandeln. Und wer Augen hat, zu sehen, wird seine Lust haben und sagen: es ist Gnadenzeit voller Herrlichkeit! Denn der König ist da, ein Gerechter und Helfer, ein Heiland und Arzt, und das Beste, was er hat, Sündenvergebung, Gottesfrieden, neues Leben, spendet er seinem Volk.

Wird ihm dieses Volk nicht danken und jauchzen? Wird es nicht fröhlich sein müssen im Sonnenschein seiner huldvollen Gegenwart? Wird es nicht zu ihm sich bekennen und seinen Namen ausrufen müssen mit festlicher Lust? Gewiss, Geliebte! Auch das hat sein Recht und auch darin offenbart sich diese Gegenwart als herrliche Gnadenzeit. Wir sind's ihm schuldig und wir wollen's uns nicht nehmen lassen, dass wir

2.

als sein Volk ihm dienen im heiligen Schmuck.

Als die Jünger die Absicht ihres Herrn erkannten, in auffälliger Weise diesmal in Jerusalem einzuziehen; als das Volk eine Ahnung bekam, was dieser Augenblick bedeute: da drängte es sie, ein Übriges zu tun. Und was der Augenblick gerade hergab, das musste dienen zu seiner Ehre, das eigene Kleid vom Leibe, der grüne Zweig vom Baum, der jauchzende Zuruf, der aus dem Herzen kam. Das alles hat sein gutes Recht. Denn wie können die Hochzeitleute Leid tragen, so lange der Bräutigam bei ihnen ist? Darum feiert die Kirche ihre Feste und beginnt jedes neue Kirchenjahr mit festlichem Ton. Darum singt sie mit den Engeln in Bethlehem und trauert mit der Erde auf Golgatha, jubelt am Ostergrab und predigt im Geist der Pfingsten Juden und Heiden zumal. Wir werden wiederum, will's Gott, unsere Feste feiern und auch damit Zeugnis geben, der König sei da. Auch der Ort, wo wir versammelt sind in seinem Namen, wo wir seiner Gegenwart festlich genießen, darf wohl etwas tragen von festlicher Zier; es soll uns nicht für verschwendet gelten, was wir von unserm Irdischen nehmen, dem Herrn vor Menschen eine Ehre anzutun.

Doch freilich, weit mehr als Palmen und Kränze gelten ihm Menschen, die sich ihm mit Leib und Seele begeben zum Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist; Menschen, die ihm zulieb das Kleid ihrer Sünden ablegen und sich bei ihm den Rock der Gerechtigkeit holen, den er gewirkt; Menschen, die ihm auch das Kreuz der Schmach nachtragen vor aller Welt: solche Menschen braucht er dann zu mannigfaltigem Dienst in seinem Reich. Und so anspruchslos der König für sich selber ist, so fordert er die allergrößten Opfer, die allerschwersten Dienstleistungen für sein Reich. Wo es die Zwecke dieses Reiches gilt, da muss ihm alles zur Verfügung stehen. Auf seinen Wink eilen gehorsame Jünger, wohin er sie schickt, heute nach einer Eselin und einem Eselsfüllen, morgen nach einer Menschenseele, die im fernen Heidenland nach Erlösung schreit. Hab und Gut, das da und dort müßig liegt und steht, ihm ist's bekannt und steht ihm zu Gebote, sobald er's braucht.

Freunde, die niemand kannte, als er allein, stellen sich ihm zu Dienst, sobald er nur winkt. Und was das Beste, das Schönste ist: es soll nicht bloß so sein, es ist so. Er findet solchen Dienst, er findet ein Volk, das ihm so willig dient in heiligem Schmuck. Er wird es wieder finden in diesem Kirchenjahr; und wir dürfen ja nicht meinen, er müsse auf uns erst warten. Tausende sind seines Winks gewärtig und werden seinen Namen hinaustragen bis an die Enden der Erde. Güter und Gaben, wie sie kein König der Erde sein Eigen nennt, werden ihm zu Dienst flüssig werden; und mancher, der heute noch nicht daran denkt, wird dem Ruf folgen, der ihm zugedacht ist, und wird dem König dienstbar werden in seinem Reich. Kirchenpflanzung und Kirchenerbauung in der Christenheit, Mission in der Heidenwelt, Sammlung der Zerstreuten und Wiederbringung der Verlorenen, tausenderlei Werke und Anstalten, welche im Namen Jesu geschehen zu Nutz und Frommen derer, die er seine Brüder genannt, sie werden weiterhin gedeihen und wachsen und offenbar machen, dass dem Herrn ein großes Volk untertan ist.

Das allein zu sehen, ist Freude, Erquickung und Trost. Das bewahrt vor Mutlosigkeit und Verdrießlichkeit, als wäre die Arbeit für den Herrn umsonst. Wer könnte aber solche Zeichen sehen und dabei stumm und müßig bleiben? Wer dürfte es mitansehen, wie der Herr einen Zug macht durch die Welt, von Kindern und Aposteln ausgerufen, und dabei untätig stehen bleiben, als ginge ihn das alles nichts an? Ja, wenn wir dem Herrn erst das Reich erobern, wenn wir durch unsere Arbeit ihm Weg und Bahn bereiten müssten, wenn unsere Geschicklichkeit und Findigkeit ihm die Mittel zur Erfüllung seines Berufs verschaffen müsste, dann dürften wir verzagt die Hände sinken lassen. Nun aber ist er selber da, sich als König auszuweisen vor aller Welt und sein Reich auszubreiten in aller Welt; und das ist die Herrlichkeit dieser Zeit, dass der Herr König ist und ein Reich angefangen hat, das bleiben soll. Wisst ihr also, was Advent bedeutet, was das ganze Kirchenjahr? Teilnahme an des Königs Herrlichkeit, wie sie jetzt eben in Heilandswerken offenbar wird, - Mitarbeit am Reichsbau des Königs, der seine besten Gaben uns geschenkt, der uns mit unauflöslichen Seilen der Liebe und Gnade an sich gebunden hat! Wer wollte da ferne stehen? O kommt herzu, stimmt mit ein, lasst es laut schallen vor aller Welt als das Bekenntnis eines dankbaren und gehorsamen Volks: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! Amen.

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