Blumhardt, Christoph - 6. Gefahren für die Jünger des Herrn. (8. Trin.)

Blumhardt, Christoph - 6. Gefahren für die Jünger des Herrn. (8. Trin.)

Der Herr nähert sich dem Schluß Seiner Rede; und da schwebten Ihm noch mancherlei Gefahren vor, welche Seinen Jüngern, und Allen, die durch sie es werden sollten, drohen, daß sie nicht könnten in der nöthigen Treue an Seinem Tage erfunden werden. Gefährlich können ihnen werden 1) der breite Weg des großen Haufens, der zur Verdammnis führt. (V. 13, 14), - 2) falsche Propheten (V. 15-20), welche als Bäume, die nicht gute Früchte bringen, abgehauen und ins Feuer geworfen werden (V. 19), 3) der Wahn, mit bloßem Herrsagen auskommen zu können (V. 21-23), da man Gefahr läuft, an jenem Tage nicht erkannt und weggewiesen zu werden (V. 23).

Erstlich redet der Herr von der Gefahr des breiten Weges (V. 13. 14). Die Aufforderung nämlich: „Gehet ein durch die enge Pforte“ rc., richtet Er an die, welche ihn als Meister und Herrn anerkennen, die Er aber auf dem breiten Wege nicht sicher weiß, da dieser sie in alle Netze des Unglaubens und der Sünde verstricken kann. Sie sichert allein der schmale Weg, zu welchem die enge Pforte führt, während der breite Weg, zu dem man durch die weite Pforte kommt, die Richtung nach der Verdammnis hat. Erwägen wir, wie das der Heiland meint.

Die Pforte ist der Anfang des Wegs, den der Mensch einschlägt. Ist sie enge und nieder, so muß sich der Mensch bücken; auch muß er unbeschwert sein, um durchzukommen. Ist sie weit, so kann er, wie er ist und wie es ihm beliebt, durch dieselbe kommen. Der Jünger muß also vor Allem gebeugten und demüthigen Sinnes sein; und nichts dieser Zeit darf ihn einnehmen, an ihm hängen. Wie der Anfang ist, so macht sich der Fortgang. Die enge Pforte führt auf einen schmalen Weg, der beschwerlich ist, und auf dem es viel Anstrengung, Verleugnung und Ungemach gibt. Hinter der weiten Pforte dagegen eröffnet sich ein breiter Weg, auf dem man frei und ungehindert sich bewegen kann, viel Bequemlichkeit, auch Ehre findet und Gelegenheit zu jeder Annehmlichkeit, ohne zu Verleugnungen und Entsagungen gedrängt zu werden. Das Weite und Breite, oder das Bequeme, Vortheil und Genuß Versprechende sucht jeder natürliche Mensch auf; und darum läuft alle Welt darauf, weil Niemand Zügel sich anlegen will. Wollten einst auch etliche Weltweise, die eine Erkenntnis von zweierlei Wegen, dem der Tugend und dem des Lasters, hatten, auf jenen engen und schmalen Weg hinweisen, so schenkte ihnen Niemand Gehör, oder folgten nur wenige ihnen nach, aber mit jener eigenthümlichen Selbstgefälligkeit und Eigenliebe, bei der sie wieder ihrer Neigung dienten, nur nach anderer Art, und so doch eigentlich auf dem breiten Wege verblieben, der großen Menge daselbst sich gleichsam zur Schau stellend.

Wenn nun jemand mit Jesu in Verbindung trat, Sein Jünger wurde, so fragte es sich, wie er nun zu wandeln hätte, ob nach Art der Vielen, mit denen er bisher wandelte, oder nach einer neuen Weise. Hier kam er bei einer Klippe an, vor welcher Viele, schon zu der Apostel Zeiten, in der Folge immer mehrere, scheiterten, indem sie nicht mit Bewahrung ihres Glaubens und Gewissens gute Ritterschaft übten und darum Schiffbruch litten (1 Tim. 1,18.19), oder wie Demas (2 Tim. 4,10), die Welt lieb gewannen. Sie wollten sich beim Anfang ihres Glaubens nicht, mit Eintreten durch die enge Pforte, vom großen Haufen sondern, bisherige Verbindungen und Freundschaften nicht aufheben, von den Vielen, bei denen sie etwa im Ansehen standen, nicht darum angesehen werden, daß sie von ihnen wichen und ein Besonderes anfingen, schämten sich des neuen Wandels, der in so Vielem abstach von dem des großen Haufens, und stellten sich aus Scheue vor den Andern, die auch Miene machten, feindselig zu werden, lieber mehr oder weniger diesen, d. h. der Welt, gleich, obgleich das mit ihrem Gewissen nicht recht zusammenging, und ihrem Glauben und inneren Stand den Untergang drohte. So standen sie, mehr oder weniger offenbar, um es mit Niemand zu verderben, auf dem breiten Wege, dessen Ausgang nicht das Leben, sondern die Verdammnis ist. Selbst Verbindungen mit den Heiden gaben Manche damals nicht auf, konnten sogar im Götzenhause mit ihnen zusammensitzen und speisen (1 Kor. 8,10), sich für die Starken haltend, die hiezu schon innerlich Macht hätten (1 Kor. 10,23). Wohl sagt Paulus nicht, daß man mit denen, die draußen seien, überall nichts mehr zu thun haben solle, weil man dann die Welt räumen müßte (1 Kor. 5,9.10); aber etwas Anderes ist es, mit ihnen gelegentlich verkehren, als mit ihnen auf einerlei Weg gehen. Sonst sagt ja Paulus (Röm. 12,2): „Stellet euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Verneuerung eures Sinnes;“ und wenn Johannes zu seinen Kindlein, wie er die Christen nennt, (1 Joh. 2,12.15 ff) sagt: „Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist,“ so ists im Grund dasselbe, was der Herr sagt: „Gehet ein durch die enge Pforte auf den schmalen Weg, und tretet zurück von der weiten Pforte, der zum breiten Weg einleitet.“

Wir sehen, wie der Herr mit kurzen Worten etwas sehr Ernstes sagt, daß es nämlich mit Seinen Jüngern bezüglich ihres Wandels ein ganz Neues werden müsse, und sie es wagen müßten, herauszutreten vom Haufen, was sie auch das kosten möchte, wenn sie nicht unvermerkt doch wieder den Weg der Verdammnis einschlagen wollten. In jener Zeit war es fast leichter, als jetzt, den schmalen Weg zu finden, weil die, welche fern von Christo blieben, gar zu sehr von den Jüngern sich unterschieden, als daß diese, sollte man meinen, sich da lange besinnen konnten, was für sie zu machen wäre. Sie mußten aus der lockeren und ungeistlichen Gesellschaft heraustreten, von der sie ja wissen konnten, daß ihr Weg nicht zum Leben führte. Dennoch mögen's ihrer Viele nicht über sich vermocht haben, der Welt rein abzusagen, und ganz neu anzufangen, in jede Verleugnung und Entsagung, auch Verfolgung, sich schickend, da denn die Gefahr nur um so größer für sie war, wenn sie etwa meinten, trotz ihres Glaubens in gewohnter Weise mit den Heiden, die nichts von Gott wollten, fortmachen zu können. Man denke doch, wie gerade in deren Gemeinschaft den Jüngern besonders viele Schlingen vom Satan gelegt waren. Was half da aller Eindruck, den sie von Jesu empfangen, was half selbst ein Genuß der Gnade des Herrn, dessen sie etwa bei der Taufe gewürdigt wurden auf Hoffnung, wenn sie fortfuhren, auf dem breiten Wege mit Dingen zu buhlen, die zum Tode führen konnten, statt auf den Geist, den sie bekommen hatten, auf das Fleisch säeten (Gal. 6,8). Ihnen sagts der Herr deutlich, daß sie, wenn sie die enge Pforte und den schmalen Weg verschmäheten, auf dem Wege der Verdammnis sich befänden, und nichts weniger, als darauf rechnen dürften, zu den Geretteten zu gehören. Bei wie Manchen mag da in Erfüllung gegangen sein, was Petrus (2 Petr. 2,20) sagt: „Denn so sie entflohen sind dem Unflath der Welt, durch die Erkenntnis des Herrn und Heilandes Jesu Christi, werden aber wiederum in denselbigen geflochten und überwunden, ist mit ihnen das Letzte ärger geworden, als das Erste.“

Wollen wir nun das Wort vom schmalen und breiten Weg auf uns anwenden in der Christenheit, da Alle getauft sind, so ist die Aufgabe etwas schwieriger, weil man nicht immer klar vor sich sieht, wie die Vielen den Weg der Verdammnis gehen. Aber wer etwa aus der Sicherheit zu einem Ernst erwacht, oder zu einer Bekehrung und zu innigerer Gemeinschaft mit Jesu kommt, sollte jedenfalls auf der Hut sein, daß er der engen Pforte und dem schmalen Weg sich nicht entzieht, und nicht ganz derselbe bleibt, auf dem breiten Weg, wie vorher, hinschlendernd. Er sollte fortan mindestens mit Besonnenheit vorwärts gehen und seinen Weg wählen. Sieht er daher Leute vor sich, wie Alle, welche ohne Jesum hinleben, die sich nur so gehen lassen, und die aufs Gerathewohl das nächste Bequeme, ohne Furcht vor etwa ihnen gelegten Schlingen, sich ersehen, so sollte deren Unverständigkeit und Sicherheit ihm bange machen, daß er sagte: „Das sind nicht meine Leute.“ In ihrer Gesellschaft, weil sie sich gar nicht vorsehen, sollte er nicht bleiben können, sollte es ihm wie unheimlich sein, besonders wenn sie auch widerwillig gegen das Evangelium sich stellen. Er sollte versuchen, ihnen auszuweichen, und drängt sich daher lieber von ihnen weg gleichsam durch ein enges Pförtchen hindurch, da er andere besonnenere Leute, die auf der Hut sein wollen, eingeben sieht. Ein vorsichtiger Christ sollte es so machen, weil er sich selbst in seiner Schwachheit erkennt, in der Buße und Demuth steht, als dürfte er sich nicht unter Leute mischen, die den Kopf so hoch tragen, und müßte er sich schämen, unter denen als Ihrer Einer gesehen zu werden, die im Leichtsinn und in der Sicherheit stehen, da es nur zu bald um seine Unschuld und, um sein gutes Gewissen, auch um sein neu gewonnenes Kleinod geschehen sein kann.

Aber nicht Alle, die mit dem Herrn Jesu bekannt werden, machen es so. Er mag ihnen wohl etwas gelten, und darum reihen sie sich an die Schar Seiner Bekenner an. Aber auf ihre Lebensweise hats nicht viel Einfluß, weil sie zu wenig Selbsterkenntnis haben, auch mit der Buße über Vergangenes es zu leicht nehmen, und am Allerwenigsten Mißliebe und Mißachtung von Andern ertragen können. Unzählige wollen Christen sein ohne eigentliche Buße, auf welche die enge Pforte hinweist, und treten, wie vorher, durch die weite Pforte, durch die Jedermann geht, auch die, welche ferne von Christo stehen. So haben gleich von vorn herein die Einen von den Gläubigen ein engeres, die Andern ein weites Gewissen; und demgemäß macht sich auch der Fortgang. Die mit dem weiten Gewissen machen nach gewohnter Weise fort, Lassen sich, als auf dem breiten Wege und als jedermanns Freund wandelnd, in all ihrem Thun gehen, frei und offenbar mit denen, die fern von Christo stehen, in gleicher Art verkehrend, auch deren Weise und Grundsätze für's Leben nachahmend, und mehr oder weniger den Genüssen und den Lüsten des Fleisches, auch dem Geiz und der Hoffart dienend, da es zu vielen, auch groben Uebertretungen der Gebote Gottes, selbst zu wirklicher Verleugnung Christi, kommen kann, abgesehen davon, daß das Wachsthum des inneren Menschen keinen Fortgang hat, und da gehts vom Weg des Lebens ab, auf den der Verdammnis hin. Die mit dem engeren Gewissen dagegen fühlen, daß sie, um nicht von Teufel, Welt und eigener Lust überwältigt zu werden, mit gar Manchem brechen müssen, das die auf dem breiten Wege, welche ein Durcheinander von allerlei Menschen sind, ungescheut treiben. Sie bleiben, gleichsam den schmalen Weg suchend, fern vom Geräusch der Welt, weil ein Höheres sie anzieht, und sie ernster im Kampf mit Sünde und Finsternis stehen, auch mit aller Kreatur seufzen um Befreiung von dem Dienst der Eitelkeit (Röm. 8,20.21).

Die ächten Jünger Jesu vereinigen sich daher gerne vom großen verführerischen Haufen weg in kleinere Kreise und Gemeinschaften, um eine Aufmunterung zu haben, sich vor den Schlingen, die der Feind legt, zu bewahren, ohne jedoch sonst sich geschieden und losgetrennt zu stellen von der größeren Gemeinschaft der Bekenner Jesu, weil Liebe und Interesse für Alle ihnen das nicht zuläßt. Wir sehen, daß diese es sind, die den Character der geistlich Armen, welche an nichts in der Welt etwas haben, bewahren, während die sicher Hingehenden denselben verleugnen. Sie sind denn auch auf dem schmalen Wege, der zum Leben führt; und die Andern traben mit den Vielen, die fern vom Glauben stehen, auf dem breiten Wege fort, der schließlich sie mit diesen zur Verdammnis führen kann, stehen also in der größten Gefahr, verloren zu gehen, obwohl sie sonst auch etwa gläubig sein wollen. Wenigstens muß der barmherzige Heiland viel thun, um sie, wenn möglich, aufzuhalten vom Strom des Verderbens. Er mag es an Vielen noch thun, wie er auch von den eigentlichen Weltkindern Viele noch zur Umkehr zu bringen und so vor der Verdammnis zu verwahren weiß. Wer aber klug ist, läßt sich bei Seiten warnen. Es könnte für ihn auch zu spät werden, umzukehren. Auf dem Höllenweg auch nur einen Augenblick stehen, ist gefährlich.

Zweitens redet der Herr von der Gefahr durch falsche Propheten, welche entweder eigene göttliche Eingebungen, oder besondere Aufschlüsse über die Schrift zu haben vorgeben und zur Trennung von der größeren Gemeinschaft, die sie als ganz verwerflich darstellen, oft auch zu gräulichen Verirrungen Anlaß geben. Dergleichen falsche Propheten, welche anderwärts (2 Petr. 2,1) auch falsche Lehrer genannt werden, machen sich gerne an die, welche Scheue haben vor dem breiten Wege und dem großen Haufen, der ungöttlich auf diesem wandelt. Wenn daher der Herr eben vor dem breiten Weg gewarnt hatte, so warnt er jetzt umgekehrt, daß man sich nicht auf einen schmalen Weg verlocken lasse, zu dem ein falscher Geist hintreibe. Der falsche Geist soll an den Früchten zu erkennen sein (V. 16), wenn die Verführenden nämlich neben seelenverderblichen Irrthümern (2 Petr. 2,1) ihren Anhängern Lieblosigkeit und Härte gegen Alle einimpfen, die sich nicht zu ihnen halten, woraus dann Feindschaften, Aergernisse, Haß, Hochmuth, Sicherheit, kurz Alles entsteht und oft in betrübendster Weise hervortritt, was die nöthige Grundgesinnung der geistlichen Armuth aufhebt. Diese Früchte sind arg genug, um an ihnen die falschen Propheten zu erkennen. Deren Anhänger fühlen sich in der Regel mit ihnen selbst reich und satt, sind also fern vom Leibtragen, auch, als die Fertigen, ferne von Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit, so auch von der Reinheit des Herzens, bei der der Mensch von sich und Allem los ist, und wissen demnach auch nichts von Sanftmuth, Barmherzigkeit und Friedfertigkeit (5,3-9), nicht einmal unter sich, geschweige denn gegen Andere. Die Verfolgten freilich zu sein, machen sie sich gerne zu einem Ehrenpunkte (5,10). Aber wenn sie scheinbar um Jesu willen verfolgt und geschmähet werden, und man allerlei Uebels wider sie redet, so ists keineswegs so, daß man an Letzterem immer lügt (5,11).

Weil dergleichen falsche Propheten und Lehrer meist nur mit Kriecherei und Schmeichelei sich Eingang verschaffen können, sagt der Herr, daß sie in Schafskleidern einhergehen (V. 15), d. h. so sanft sich bezeigen, als wären sie die unschuldigsten und frömmsten Menschen von der Welt. Weil sie aber ihre Angehörigen dem inneren Menschen nach so sehr verderben, indem sie ihnen ihr anfängliches Gutes nehmen, nennt Er sie reißende Wölfe, als welche sie sich sonst auch buchstäblich geberden gegen Alle, die ihnen widersprechen oder zur Besserung ans Herz reden wollen. Indem sie ferner durch ihre Geringschätzung Aller nichts als Hader und Zwietracht erzeugen, dazu im Verkehr mit Andern, auch wohl in öffentlichen Vorträgen, als Zänker und Streiter erscheinen, sieht man klar, daß sie, ohne Reben an Christo, dem Weinstock, zu sein, also ohne den Geist Christi zu haben, als Dornen und Disteln da stehen, die weder Trauben noch Feigen bringen können (V. 16). Ihr Stamm schon ist faul und trägt darum nur faule oder arge Früchte, eben die Früchte, deren wir vorhin gedacht haben (V. 17). So beschreibt der Herr die falschen Propheten, vor, welchen die Jünger Jesu sich vorsehen sollen. Vorauszusehen ist, daß dergleichen, unter dem Vorgeben, von Gott berufen zu sein, vornehmlich in den letzten Seiten Viele werden auftreten. Da mag es geschehen, daß selbst redliche Leute nur an ihre Schafskleider hinsehen, und ob diesen die üblen Früchte alle nicht beachten, und den Wolf nicht merken, und so sich gefangen nehmen lassen. Um so wichtiger die Warnung: „Sehet euch vor vor den falschen Propheten.“ Denn Alles steht auf dem Spiel, wenn man in deren Gemeinschaft eingeht. Ihre Früchte sind nicht gut. Und was sagt der Herr von dem Baume, der keine gute Früchte bringt? Nicht nur, wenn derselbe arge, selbst wenn er überhaupt nicht gute Früchte bringt (V. 19), wird er abgehauen und ins Feuer geworfen. Wie groß ist somit die Gefahr, der man durch falsche Propheten oder Lehrer ausgesetzt ist; und wie nöthig, daß man es verstehe, an ihren Früchten sie zu erkennen (V. 20)?

Drittens redet der Herr von der Gefahr des Wahns, mit bloßem Herrsagen im Gericht auskommen zu können. Erinnern wir uns vorerst, was das Herrsagen bedeute. Herrsager nämlich in gutem Sinne sind die Gläubigen, die in Jesu ihren Heiland und Seligmacher erkennen, den Herrn, dem Alles übergeben ist, um Seine Brüder, die Menschen, von der Sünde, von allem Uebel, selbst vom Tode, zu erlösen, die also den Spruch gut kennen, daß in keinem andern Namen Heil sei, als allein in dem Namen Jesu (Apostelg. 4, 12). Es sind die, die sich hoch freuen und selig fühlen, daß sie allein durch den Glauben aus unverdienter Gnade gerecht und selig werden, die ferner nicht mit dem großen Haufen auf dem breiten Weg gehen, die auch nicht von falschen Propheten sich gefangen nehmen lassen, wie man das Alles deutlich aus der Rede des Herrn ersiehet.

Da kann es aber geschehen, daß solche Gläubige gar zu sehr und unaufhörlich nur an die trostreichen Lehren des Evangeliums hinsehen, immer und immer sie im Munde führen, sich an ihnen als die Seligen weiden, ja zuletzt von keiner andern Erbauung mehr etwas wissen wollen, als von einer solchen, die ihnen die unverdiente Gnade Gottes in Christo vorhält, während sie jede andere Predigt, welche an das erinnert, wie wir erwählet seien, nicht nur durch den Glauben, sondern auch nach dem Wandel „heilig und unsträflich zu sein vor Ihm in der Liebe“ (Ephes. 1,4), für eine gesetzliche halten, die also ihnen nicht recht munden will. Das sind die Gläubigen, die gerne nachlässig werden in ihrem Wandel, die es im Verkehr mit Andern an Vielem fehlen lassen, und gegen die natürliche Härte, Eitelkeit und Lust nicht ankämpfen, vielmehr sich einfach gehen lassen, weil sie, als gläubig, sich immer getröstet und gesichert denken. Was kann aber nicht Alles noch weiter daraus sich ergeben? Sie wollen, wenn man sie hört, schon recht und Gott wohlgefällig sein; aber es ist, wie wenn sie meinten, das dem Christen Erforderliche mache sich bei Gläubigen stille und unvermerkt ganz von selber, ohne daß man darüber viel Vorhalt oder Belehrung oder Vorsatz brauchte; oder thun sie, als wäre Alles, was die Schrift verlangt, auch die Bergpredigt uns vorhält, ganz von selbst das Streben Aller, die Jesum ihren Herrn nennen. Was daher ein Paulus etwa sagt (Röm. 12, 1.2), daß man „seinen Leib begeben solle zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei, um einen vernünftigen Gottesdienst zu haben, daß man sich ferner nicht dieser Welt, auch wenn man nicht gerade mit ihr läuft, gleichstellen, sondern daß man sich verändern soll durch Verneuerung seines Sinnes, um prüfen zu können, welches da sei der gute, der wohlgefällige und der vollkommene Wille Gottes,“ - Solches und Anderes, was die Schrift mit großem Nachdruck fordert, ist ihnen nicht sonderlich wichtig; und nur schläfrig hören sie es an, wenn sie nicht gar eine Abneigung davor haben, hierauf Bezügliches zu hören.

Wie thöricht und sicher stellen sich doch solche Gläubige oder Herrsager; und wie sind sie den Pfeilen des Bösewichts offen bloßgestellt, daß sie in alles Mögliche hineinkommen, was eine schwere Anklage für sie wird an jenem Tage! Wie bedenklich steht es vollends, wenn sie mit der Rechtfertigungslehre, nach welcher allerdings aus Gnaden Alles vergeben werden kann, nicht nur Schwachheiten, sondern auch wirkliche, zuletzt grobe Sünden zudecken wollen, als könnten dieselben dem einmal Gerechtfertigten nicht mehr schaden, oder könnte man immer wieder leicht und schnell Vergebung haben! Da ist offenbar die große Gefahr, von welcher der Herr redet, daß über dem Wahn, mit bloßem Herrsagen Alles zu gewinnen, Alles verloren gehen kann. Die Gefahr ist um so größer, weil solche Sichere als Gläubige, die nach außen vor den Leuten den schmalen Weg gehen, gar viel von dem, was sie dort in den Augen des Herrn zu wirklichen Uebelthätern macht, nur im Geheimen und Verborgenen, was auch der Harr mit Seinem Wort andeutet, treiben, verborgen Gebliebenes aber am schwersten wiegt in der Waagschale des Gerichts!

Ein sehr ernstes Wort ists wahrlich, das der Herr sagt, wenn selbst die, welche große Gaben, sogar Wundergaben, empfangen haben, Gaben, welche der Herr denen, welchen er sie verliehen, nicht gerade, auch wenn sie anfangen untreu zu werden, so schnell wieder nehmen will, wenn ferner die, welche viel Erkenntnis besitzen und einen Namen durch große Thaten im Reiche Gottes sich erworben haben, dennoch können als bloße Herrsager, die den Willen des himmlischen Vaters nicht gethan haben, an jenem Tage nicht angesehen oder anerkannt werden, und als solche, die an ihrer Besserung und Erneuerung nicht gearbeitet haben, ja, die auch zu schwereren Sünden sich haben hinreißen lassen, ohne Buße zu thun, als decke das Blut Christi oder gar ihr Verdienst Alles ohne Weiteres zu, die Worte hören müssen: „Ich habe euch noch nie erkannt, weichet alle von mir, ihr Uebelthäter,“ da selbst das, was sie früher doch erkannt gewesen sind, jetzt völlig als nicht gewesen übersehen wird. Keine Stelle in der ganzen heiligen Schrift ist so erschütternd als diese, zumal sie auch andeutet, daß an solchen Herrsagern der Selbstbetrug bis zu dem Verwerfungsspruch hängen bleiben kann. Wer klug ist, läßt sich weisen. Aber wie kostets Mühe, die Leute in den ganzen Ernst der Heiligung hereinzubringen! Amen.

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