Blumhardt, Christoph - Andachten zum 4. Buch Mose

Blumhardt, Christoph - Andachten zum 4. Buch Mose

4. Mose 6, 24-26.

Der HErr segne dich und behüte dich! Der HErr lasse Sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig! Der HErr erhebe Sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.

Wir haben hier den Segen Aarons, den wir viel im Gebrauch haben, vor uns. Der Segnende soll der HErr sein, Jehova, der Gott Israels, der sich persönlich durch die Propheten bezeigt, zuletzt durch Seinen Sohn zu uns geredet hat (Hebr. 1,1). Er selbst ist's, der sich uns nahe machen und das, was der Segen sagt, an uns thun will. Dreimal ist der HErr genannt; und das hören wir gerne, die wir von Gott dem Vater, dem Sohne und dem heiligen Geiste wissen; und wir Christen dürfen uns denn auch bei diesem Segen unsern Heiland als segnend durch den heiligen Geist vorstellen, den Segen nehmen als Fortsetzung des Segens, mit welchem Er von der Erde in den Himmel schied.

Der HErr will vorerst uns behüten, uns dahin segnen, daß wir unter Seiner Hut stehen. Man kann sagen, dies gelte etwa auf eine Zeit, da wir ruhen, oder uns ohnmächtig, oder nicht in dem Falle fühlen, selbst etwas für uns zu thun. Denn so stehen wir oft, daß wir allein auf den HErrn gewiesen sind, und so gestellt, daß wir preisgegeben scheinen allem, was von außen her an uns kommt. Dies ist schon der Fall, wenn wir nur Nachts der Ruhe pflegen. Da und sonst können Feinde der sichtbaren und unsichtbaren Welt auf uns einstürmen, weil wir wehrlos sind. Daß dies nicht geschehe, läßt uns der HErr segnen und damit uns unter Seine Hut stellen, unter der wir behütet sein, und ihn als Schirm und Schutz um uns haben sollen, um sicher und unversehrt zu ruhen und durchzukommen.

Wenn wir ferner den Segen des HErrn in dem haben sollen, daß Er Sein Angesicht über uns leuchten lasse, so geht's auf die Zeit, da wir gleichsam von der Ruhe erstanden sind, da wir uns bewegen und regen, in Thätigkeit sind, arbeiten und uns abmühen, seien wir auf Reisen oder daheim. Da will Gott uns Licht zu Allem geben, daß wir nicht irren, nichts Verkehrtes thun, nicht in die Finsternis uns verlieren. Sein Angesicht, d. h. Er selbst persönlich, will uns nahe sein mit Seiner Freundlichkeit. Daß das werde, können wir freilich nur erwarten, wenn er uns gnädig ist, uns die Sünden vergeben hat. Das her jetzt der Segen bei: „und sei dir gnädig,“ womit uns zugesichert wird, daß der HErr nicht ansehen werde unsre Sünde, um deren willen Er sich sonst ferne stellen, Sein Angesicht vor uns verhüllen könnte.

Wenn der HErr Sein Angesicht über uns erheben will, so bezieht sich das auf Zeiten, da wir im Strudel, im Kampf mit Welt und Finsternis stehen, da wir Mühe haben, uns durchzuringen, wohl auch Noth leiden und in Gefahr stehen, überwältigt zu werden und umzukommen, wie die Jünger auf dem Schiff. Da will der HErr mit dem Segen uns die Zusicherung geben, daß er über uns sich erheben, über uns schützend und helfend schweben und von der Höhe herab gleichsam ein Leitseil zu uns herniederlassen wolle, an das wir uns anklammern dürfen, um aus allen Tiefen uns heraufzuschwingen.

Wenn es zuletzt heißt „Und gebe dir Friede!“ so erinnert's uns an das, wie es auf dem Schiffe, da der HErr erwacht und aufgestanden war „plötzlich ganz ruhig und stille ward.“ Der Friede drückt den Zustand nach erlangter Hülfe aus. Zugleich faßt das Wort Alles zusammen, was jetzt schon verhältnismäßig und zuletzt in vollem Maße uns zufließen soll. Daß es endlich Friede werde nach allen Seiten, daß alle unsre Wünsche nach Seele und Leib in alle Ewigkeit befriedigt werden, das ist unser Sehnen; und der Segen des HErrn verheißt uns das. Auch muß der täglich uns zukommende Segen des HErrn täglich mehr dem zukünftigen Vollkommenen uns entgegenführen. Ach, daß wir doch täglich solchen Segen als vom HErrn hätten, um ihn einmal ganz zu haben in der ewigen Gottesruhe!

Mel: Christus, der ist mein.

Ach, bleib' mit Deinem Segen
Bei uns, du reicher HErr;
Heil, Gnad' und all' Vermögen
Reichlich in uns vermehr'!

Ach, bleib' mit Deinem Schutze
Bei uns, Du starker Held,
Daß uns der Feind nicht trutze,
Noch uns bestrick' die Welt!

Ach, bleib' mit Deiner Treue
Bei uns, Du HErr und Gott.
Beständigkeit verleihe,
Hilf uns aus aller Noth!

Zusatz (Der Segen Aarons.)

Der Segen in dem vorliegenden Spruche, den wir so viel im Gebrauch haben, in der Kirche und zu Haus, ist ursprünglich der Segen, mit welchem Aaron, der Hohepriester, dem die späteren Priester folgten, das Volk Israel, dieses als Eine Person betrachtet, segnete. Aaron that es im Auftrag Gottes, der den Segensspruch ihm in den Mund gab. Der Segen ist mit Bezug auf die Verhältnisse des Volke in der Wüste gegeben, da das Volk bald ruhete und unter der Hut Gottes war, bald reiste und dazu des Lichtes vom HErrn bedurfte, bald kämpfte und den Schutz von oben nöthig hatte. Wir' aber thun recht daran, eben darum den Segen festzuhalten, weil wir ja Gottes Volk sind und somit allen Segen, den einst Israel hatte, auch uns aneignen dürfen. Benützen wir ihn denn nur und nehmen wir's, als ob Gott selbst damit eine segnende Kraft über uns ausbreite, wenn wir mit lauterem Sinn und kindlichem Aufblick zu Ihm ihn aussprechen oder aussprechen hören.

Beachten wir aber das Eigenthümliche des Spruchs, daß darin das ganze Volk als eine einzige Person angesehen wird. Denn wenn es heißt „dich,“ so ist nicht eine besondere Person, sondern das ganze Volk gemeint. Der HErr spricht gewöhnlich so, daß der Einzelne das, was er ihm gibt, in der Gemeinschaft mit Allen, die ein Ganzes bilden, haben soll. Das mit zeigt Er an, daß er unsre Sonderwünsche, die wir für uns haben, nicht gerade nach unsrem Begehr immer erfüllen will und kann. Er hat Sein Augenmerk immer auf Alle, und will und kann nicht den Einzelnen, der bittet, vor Andern bevorzugen.

Wenn aber nun bei der Benützung des Spruchs unter uns auch in der Kirche die Worte anders gesagt werden, indem man nicht mehr sagt: „Der HErr segne dich,“ sondern: „Der HErr segne uns oder euch,“ so kann das nicht, wie Viele meinen, getadelt werden. Denn wir haben nicht die ganze Gemeine Christi auf Erden, welche die angeführte Einheit ausmacht, vor uns, haben daher überhaupt die biblische Redeweise verlassen, wie sie sonst auch in den Propheten sich findet. Wenn's unter den Juden bei dem ursprünglichen Ausdruck verblieb, so war's, weil der Hohepriester im Tempel, da sich das ganze Volk versammeln mußte, eben das ganze auch vor sich denken konnte. Die Einheit der Christen aber war gleich von Anfang an nirgends repräsentiert; und darum segnen auch die Apostel die einzelnen Gemeinden nicht etwa: „Die Gnade des HErrn sei mit Dir,“ sondern: „sei mit euch.“ Jenes hat jetzt etwas Unverständliches; und wenn es viele Kirchen doch noch beim Segen im Gebrauch haben, so wird dadurch keineswegs der Eindruck der Zusammengehörigkeit Aller zu Einem bei den Zuhörern hervorgebracht; sondern es gibt eher den Eindruck, als ob's der Einzelne gerade nur für sich ohne Gemeinschaft mit den Andern hinnehmen solle.

Der angeführte Ausdruck des Segens gibt uns aber doch Stoff zum Nachdenken. Gar Vieles, theils leibliche, theils geistliche Güter (im letzteren Falle z. B. den heiligen Geist und Seine Gaben), bitten wir in der Regel gerade nur für uns, Jeder für sich. Wenn wir's aber oft überlegten, so könnten wir leicht darauf kommen, daß wir's nicht ganz so haben können, wie wir's für uns wünschten, weil's Gott noch nicht Allen geben kann. Ehe Gott eine Gnade über Alle kommen lassen kann, müssen wir uns in Vielem gedulden. Wir müssen nämlich da unterscheiden. Einerseits gibt's Vieles, das Alle haben könnten, wenn sie nur glaubten und bitten wollten; andererseits gibt's Vieles, das der Einzelne nur bekommen kann, wenn eine neue Gnade für Alle sich aufgethan hat. Bei jenem bezieht sich's mehr auf's Durchkommen, das auch unter mancherlei Unbequemem, unter Kreuz, Noth und Gebrechen durch Gottes Segen immer möglich ist; und gerade dazu brauchen wir die Behütung und Erleuchtung und Kräftigung von oben, wie es der Segen sagt. Bei diesem zielt's auf die endliche Erlösung der Kreatur von allem Uebel, welche der Friede anzeigt, zu dem Aaron segnet, und der vollständig und vollkommen den Einzelnen nur wird, wenn ihn Alle bekommen. Wenn wir aber merken, daß etwas uns nicht gegeben wird, wie wir wollen, weil's nicht für Alle offen steht, so müssen wir theils bescheiden mit unsern Bitten werden und uns gedulden, auch an dem uns zufrieden geben, daß es Andere nicht besser haben; theils müssen wir in die Gemeinschaft Aller und besser versetzen und eben um das bitten, daß eine neue Thüre für Alle aufgehen möchte.

Der Segen Aarons läßt noch andere Betrachtungen zu. Derselbe ist nämlich zunächst ein Segen, den wir uns nicht selber geben können, sondern der uns gegeben werden muß, wenn er als Segen bei uns bleiben soll. Aaron hat ihn im Namen des HErrn über das Volk ausgesprochen. So, könnte man jagen, wäre der echteste Segen immer der, den uns die Diener des HErrn und nun des Evangeliums geben, als von dem HErrn, dessen „Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse“ sie sind (1 Kor. 4, 1). Dabei ist freilich das ein nicht geringer Übelstand, daß die, welche Diener des HErrn sein sollen, es nicht gerade immer sind, weder dem Glauben, noch der Gesinnung nach, die auch nicht immer, wenn sie Einzelne segnen, streng darauf sehen, ob sie segenswerthe Leute vor sich haben. Was Letzteres betrifft, so kann man immerhin, wo Viele beisammen sind, wie in der Kirche, stets sich welche denken, auf denen der Segen bleiben kann. Denn es sollte mit diesem Segen ein Ähnliches sein, wie mit dem Frieden, den die Apostel brachten, und der auf den Leuten bleiben sollte, aber auch zurückkommen konnte, wenn's die Leute nicht werth waren (Matth. 10,13).

Aber die Segenskraft, wie sie ein Aaron und die Hohenpriester hatten, ist längst gewichen; und wie sehr vermißt sie das arme Israel! Ebenso ist viel von den Segen, mit welchem die Apostel und ihre Nachfolger segneten, gewichen. Bedenken wir nur, wie noch zu Jakobus Zeit der Segen so kräftig war, wenn er sagen konnte (Jak. 5,14.15): „Ist Jemand krank, der rufe zu sich die Ältesten von der Gemeine, und lasse über sich beten; und das Gebet des Glaubens wird den Kranken helfen, und der HErr wird ihn aufrichten.“ Wie hier in besonderem Sinne der Segen, wenn auch mit andern Worten, kräftig war, so sollte er auch, wenn über eine ganze Gemeine ausgesprochen, seine fühlbare, segnende Wirkung haben. Aber wie selten mag dies erkennbar sein, wenn man doch sieht, wie es mit den Gemeinden immer weiter eher herunter als hinaufkommen will. Jedenfalls geht die Kraft nur auf wenige Einzelne über, nicht auf das Ganze, wie's doch ursprünglich der HErr will, so daß der Segen, trotz seiner Zusicherung einer Behütung, weder Hagel, noch Überschwemmung, noch Feuersbrunst, noch Krieg, noch Pest, noch andere Kalamitäten aufzuhalten vermag, wiewohl es denkbar ist, daß Manches doch durch treue Diener des HErrn von Städten und Dörfern abgewendet wird.

Wie einfach aber wäre doch eine Hülfe uns gegeben, wenn nur die ganze Segenskraft und wieder geschenkt werden könnte; und viel Frucht, wenn nur sie da wäre, würden die Gottesdienste tragen! Da haben wir wieder Anlaß, den HErrn um Wiederkehr der Kräfte des heiligen Geistes zu bitten, damit nur auch ein ausgesprochener Segen wieder nachhaltiger wirken könnte. Indessen, glaubten wir mehr, so könnten wir immer noch an Einzelnen und an Vielen von der Kraft des Segens viel erfahren. Aber man thut und spricht so vieles rein mechanisch und vorschriftmäßig, ohne daran zu denken, daß auch ein Geistesausfluß Statt finden sollte!

Wenn übrigens den Segen Aarons auch die einzelnen Christen unter sich brauchen, als segneten sie sich, selbst, indem sie beten: „Der HErr segne uns,“ oder: „Der HErr segne mich,“ so mag das wohl geschehen, indem sie sich dabei doch in die Gemeinschaft derer versetzen oder versetzen können, die sonst zu regnen berufen sind. Sie stellen sich hierbei kindlich und einfältig unter den Segen Gottes, wie er von Ihm kommt, und können sich als von Ihm gesegnet nehmen und fühlen, wenn sie im Glauben stehen.

4. Mose 18,20

“Ich bin dein Teil und dein Erbgut unter den Kindern Israel.“

Also spricht der HErr mit Aaron und Levi. Die bekamen kein besonderes Erbe im Lande, wie die andern Stämme Israels; sondern sie wurden durchs ganze Land verteilt, und bekamen im Ganzen 48 Städte, große Städte mit geräumigen Vorhöfen. In jedem Stamm, nach der Größe des Stammes, lagen solche Leviten- und Priesterstädte. Das war alles, was sie bekamen. Hingegen wollte der HErr „ihr Teil und Erbgut“ sein. Dies geschah so, daß, was man dem HErrn weihte und opferte, so weit es der Altar, wie in Silo und später im Tempel zu Jerusalem, - denn sonst durfte nirgends geopfert werden, - nicht verzehrte, den Priestern und Leviten, deren Familien mit allen Nachkommen, gehören sollte. Namentlich mußte ihnen der Zehnte von allem gegeben werden. Das wurde als dem HErrn gegeben angesehen, und war also heilig, - und davon lebten die Priester und Leviten. Diese konnten so nicht eigentlich, wie man sagt, reich werden, weil sie keine Güter erwerben durften, und was man Kapitalisten heißt, in der alten Zeit etwas Unbekanntes war.

Wenn es heißt: „Ich bin dein Teil und dein Erbgut,“ so waren die Leviten und Priester bei obiger Einrichtung um so glücklicher, je mehr der HErr unter dem Volke galt. Das macht überhaupt auch in unsern Tagen das Glück jeder Stadt und jedes Dorfes aus. Je mehr der HErr gilt, und die christlichen Ordnungen gelten, desto unangefochtener geht das Leben des Ganzen fort, dabei denn auch im Äußern der Segen sich verspüren läßt. So hast auch du, je mehr der HErr bei dir gilt und seine Ordnung, desto mehr Teil und Erbgut an Ihm nach Seele und Leib.

Zusatz. Leviten und Priester hingen nach dem Obigen immer vom Volk ab. Je nachdem dieses bereitwillig war, in heiliger Andacht dem HErrn zu dienen, und zu geben, was gefordert wurde, hatten sie Überfluß oder mußten sie darben. Ihre ganze Existenz ruhte auf dem Stande der Gottesfurcht in Israel und war auf Glauben gegründet. Eben damit war ihnen aber auch die Notwendigkeit auferlegt, dafür zu sorgen, daß die Furcht des HErrn nicht abnehme im Lande. Schon um ihrer Existenz willen mußte ihnen alles daran liegen, daß das Volk beim Gesetz bleibe, während ihnen, wenn sie unabhängig vom Volk alles in Hülle und Fülle gehabt hätten, keinerlei Interesse geblieben wäre, für den HErrn und des HErrn Sache zu sorgen. Wenn aber Menschen am Eigennutz angegriffen werden, dann gehen sie am Ende auch ein bißchen ihrer Pflicht nach. So war also auch auf diesem Wege dafür gesorgt, daß das dem Volk Geoffenbarte nicht so leicht, in Zeiten nicht, da alles der Abgötterei anzuhängen schien, ganz untergehen konnte.

Es waren die Leviten, deren Hauptaufgabe Unterweisung des Volks war, auch diejenigen, welche die Beschneidung besorgten, - wie bis auf den heutigen Tag, - und die überhaupt in allerlei Sachen zu Rat gezogen wurden, wie in Krankheiten. Sie mußten Häuser und Äcker einweihen, Ehen schließen und vieles besorgen, was man im täglichen Leben durch erfahrene Leute nötig hat. Dadurch blieben sie dem Volke stets nahe, in seiner Gemeinschaft und Verbindung; und weil es immerhin mit ihrem Lebensunterhalt im Zusammenhang blieb, ging alles so in seiner Ordnung fort. Sonst würde oft alles schnell aufgehört haben, auch nicht wieder bei Zerstörungen aufgebaut worden sein, wenn nicht durchs ganze Volk hin das Dasein eines solchen Stammes bestanden hätte.

Mel. Wach auf, mein Herz.

Der HErr, der aller Enden
Regiert mit Seinen Händen,
Der Brunn der ew‘gen Güter,
Der ist mein Hirt' und Hüter.
So lang' ich Diesen habe,
fehlt's mir an keiner Gabe.
Der Reichtum Seiner Fülle
Gibt mir die Füll' und Hülle.

4. Mose 23,9

“Siehe, das Volk wird besonders wohnen.“

Der Spruch ist aus dem Segen Bileams genommen, der fluchen sollte, aber segnen mußte. Zu dem Segen, den er aussprach, gehört auch das Wort, Israel werde besonders wohnen, abgesondert von allen heidnischen Völkern um sich her, mit eigener Weise, und unter den besonderen Schutz Gottes gestellt, auch besonderer Offenbarungen teilhaftig. Wirklich wurde auch das Volk in einen eigentümlichen Winkel der Erde versetzt, da es inselartig abgeschlossen von aller übrigen Welt wohnen konnte. Diese Abgeschlossenheit war notwendig, weil die Vermischung mit Heidenvölkern zu viel Kraft der Ansteckung hatte. Ein Gottesvolk wäre nie entstanden, oder hätte sich nie in die Länge halten können, wenn nicht eine solche isolierte Stellung gewesen wäre. Hat's ja selbst da noch Muhe gekostet, den Charakter des Volks, als eines von Heiden unterschiedenen, zu erhalten; und selbst in und nach der salomonischen Zeit, da ein solch herrlicher Tempel da stand, war der Götzendienst vom Lande nie ganz wegzubringen, um dessen willen zuletzt das Volk ganz aus einander gesprengt, ja fast vernichtet wurde. Doch konzentrierte sich's noch einmal am alten Orte, aber bereits anders als früher, nicht mehr so besonders gestellt, namentlich immer unter fremder heidnischer Obrigkeit. Da erschien noch zu rechter Zeit, - denn immer schwieriger hatte sich's für die Zukunft gemacht, - Christus, der Weltheiland, aus der Mitte des Volks. Aus dem später wieder zersprengten, und bis heute zersprengt gebliebenen Volke hätte kein Heiland mehr erstehen können.

Jetzt aber hat das besondere Wohnen für Israel seine Bedeutung verloren. Darum hat's der HErr durch die Geschichte anders gemacht. Israel, seinem Vaterlande ganz fremd geworden, bekommt jetzt in aller Welt ein Bürgerrecht, den Andern gleich; und die Hoffnung für sie, daß sie wieder werden einmal besonders wohnen, wird wohl verloren sein, weil solche Abgeschlossenheit und Besonderheit keine Bedeutung mehr hat.

Der Grundsatz also im Alten Bunde: „Sie müssen besonders wohnen,“ darf nicht in's Neutestamentliche übergetragen werden. Wenn es der Alte Bund erforderte, bis Christus da war, der nur unter einem von der übrigen Welt abgeschlossenen Volke aufkommen konnte, so müssen wir jetzt die ganze Welt als unser Vaterland ansehen, und dürfen uns nirgends fremd fühlen, ohne freilich am fremden Joch mit zu ziehen. Überall ist der Heiland bei uns; und mit einem treuen Herzen bringt man's überall durch, bringt man auch überall für Ihn Früchte, bis endlich die ganze Erde wird Seiner Erkenntnis voll sein.

Zusatz: Sprüche, wie den, daß Israel sollte besonders wohnen, auch auf die neutestamentliche Zeit anzuwenden, ist immer verkehrt. Das „besonders Wohnen“ darf im Neuen Bunde nicht als Ideal genommen werden, indem darin eine Selbstsucht und eine Eigenliebe läge, die sich mit der Einheit des Gottesreichs auf Erden unter allen Völkern und mit der Gemeinschaft der Heiligen, wie sie unser Glaubensbekenntnis ausspricht, nicht vertrüge. Wir, ich meine die Gläubigen, müssen im neuen Bunde mitten unter alle Völker zerstreut erscheinen, nie eigentlich abgeschlossen oder separiert, wohl etwa konzentriert in größeren und kleineren Punkten, aber nie abgeschlossen, nie isoliert sein. Solches kann jetzt um so leichter sein, weil die Kraft des Evangeliums eine andere ist, als der Buchstaben des Alten Bundes. Christen können, wenn sie nur redlich sind, unter allen Verhältnissen, also auch unter allen Völkern und Regierungen und staatlichen Einrichtungen, wo ein Gewissenszwang von außen ihnen nicht im Wege steht, ihr Kleinod bewahren, und sich fest halten, ja nicht nur das, sondern sich auch ausbreiten, ohne das es ihnen nicht wohl sein kann, sie vielmehr in der Regel verfallen. Es kostet wohl Kampf, mitten unter den Verhältnissen der Welt sein Gutes zu bewahren, aber, - nur ein redliches Herz, dann geht’s! Bei der Isoliertheit sind große Gefahren; und es ließe sich nachweisen, daß Christen, die sich völlig abschließen und auf diese Weise ein rechtes Gottesleben führen wollen, - es gilt das auch von einer zu weit getriebenen Abgeschlossenheit von der Welt, - viel mehr Versuchungen ausgesetzt sind, als die, welche wie Schafe sich mitten unter die Wölfe stellen lassen.

Mel. Himmelan, nur himmelan.

Wohl dem Volk, deß Gott der HErr,
Das Er hat erwählt
Sich zu Seinem Erbe. Er
Sieht vom Himmelszelt
Der Menschen Reih'n.
Von der Stätte, da Er thront,
Läßt Er, was auf Erden wohnt,
Sich Sorge sein. (nach Ps. 33,12-14.)

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