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Binde, Fritz - Drei Jesusworte

Binde, Fritz - Drei Jesusworte

„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; und ich werde euch Ruhe geben.“
Matth. 11,28

„Niemand kann zu mir kommen, ohne daß der Vater, der mich gesandt hat, ihn ziehe.“
Joh. 6,44

„Alles, was mir der Vater gibt, wird zu mir kommen; und wer zu mir kommt, den werde ich gewiß nicht hinausstoßen.“
Joh. 6,37

Drei Jesusworte, die in diesen heillos verwirrten, wortreichen, unruhigen Tagen uns Hilfe und Heil bringen wollen. Das erste Wort ist ein Ausruf Jesu, ein Zuruf und Aufruf an eine besondere Menschenklasse. Das Wort beginnt:

„Kommt!“

Heute ruft ja alles: Kommt! Jede Denk- oder Parteirichtung hält sich für befähigt, die Zeitschäden zu heilen und der Menschheit helfen zu können. Es ist die Zeit der Proteste, Programme, Bündnisse und Versprechungen, mit einem Wort die Zeit der Aufrufe. Kommt zu uns, zu uns, zu uns! eifert es großrednerisch durch- und widereinander. Alles wirbt für Überzeugungen, Grundsätze, Pläne, Persönlichkeiten, und bei alledem liegt die Welt schlimmer als je im Argen, das heißt in der Gewalt des Bösen.

Ach, wie muß dieser wirre, wüste Umtrieb noch enttäuschen! Eben deshalb gilt es, auf Jesu Ruf hinzuweisen: „Kommt!“

Es ist kein überlauter, heißerer, aufdringlicher Werberuf, der das Geschrei dieser Welt übertönen möchte. O nein, es ist der Ruf aus der großen Stille, der in die Stille lockt.

Der großen Menge auf breiter Straße ist Jesu Zuruf ja längst veraltet, inhaltslos, nichtssagend und töricht geworden. Aber kein Stimmengewirre des Weltlärms hat den Zuruf aus Jesu Mund und Wort bisher zu ersticken vermocht. Er redet, gilt und wirkt weiter.

Jesus ist auf die Erde gekommen, damit die Menschen zu ihm kommen sollen. Deshalb wird er bis ans Ende dieser Weltzeit „Kommt!“ rufen. Es ist der Dringlichkeitsruf seiner rettenden Heilandsliebe, der Friedensruf des Friedensfürsten, der Königsruf des Weltenherrn. Wie könnte dieser Ruf verstummen und ersterben!

„Kommt her!“

So lockt, bittet, gebietet er. Jesus kam her zu uns, nun sollen wir zu ihm kommen. Er ist gekommen, die Menschen zu besuchen und zu suchen, nun sollen sie sich aufmachen, ihm zuzueilen.

Dem Hören des Rufes muß die Tat des Kommens folgen.

Viele hören Jesu Zuruf, aber verstehen ihn nicht. Mehr noch verstehen den Ruf, aber befolgen ihn nicht.

Als Jesus das Gleichnis vom viererlei Acker erzählte, redete er nur von solchen, die „hören“; Menschen, die nicht hören, erwähnt er gar nicht. Und doch erweist sich nur ein Bruchteil der Hörenden als verständig und fruchtbar für Christi Reich.

Mit welchem Verständnis man Jesu Zuruf: „Kommt!“ gehört hat, erweist sich darin, wie weit man tatsächlich kommt.

Gewiß ist das erste notwendige Kommen zu Jesus das heutige Kommen zum Hören von ihm, so daß man überhaupt einmal wieder seinen Zuruf wahrnimmt, aber eben gerade während des Hörens scheiden sich die Geister und Wege. Wie viele meinen da, das bloße Kommen zum Hören sei schon das Kommen zu Jesus. O, wie groß ist die Menge derer, die glauben, wenn sie irgendwie in sogenannten Gottesdiensten oder in religiösen Vorträgen regelmäßig oder gelegentlich Jesu Ruf vernehmen, so seien sie damit schon zu Jesus selber gekommen!

Schön, wenn man noch in Kirchen, Kapellen, Vereinshäusern oder sonstwo Jesu Rede hört oder daheim sein Wort liest; aber dabei darf man nicht stehenbleiben. Denn Jesus sagt nicht: Kommt her bis in diese Kirche oder Kapelle oder in dieses neue, schön gebaute Vereinshaus, in diesen einladenden Saal, und höret da immer von mir, sondern sein Zuruf lautet:

„Kommt her zu mir!“

Das führt weiter, als bis in ein Gotteshaus und zum angehörten oder angelesenen Gotteswort. Ach, fänden alle durch Jesu Worte den Weg bis zu Jesus selber hin! Aber die allermeisten Hörer kommen nur bis in die Kirche oder den Saal, also bis in den Hörraum. In diesem kommen sie dann bis zu den da versammelten Menschen, den Hörern. Und mit den Hörern kommen sie bis zu dem einen Menschen, dem Redner. Und der Redner selber kommt meist nur bis zu seiner Rede, das heißt, er bleibt in seiner eigenen Kraft und Weisheit gefangen; denn von Jesus selber merkt man da nichts. So kommt denn niemand wirklich bis zu Jesus.

Welch ein jammervoller wechselseitiger Betrug!

Ich freue mich gewiß über einen gefüllten Hörraum. Aber was ist ein zusammengelaufener Menschenhaufe? Die Menschen laufen auch bei anderen Gelegenheiten zusammen und wieder auseinander. Und was ist ein Vortrag, der keinen andern Eintrag bringt, als etwa die billige Redensart: Es hat mir gut gefallen!

Nein, bis zu Jesus hin, oder wir sind betrogen!

Es ist aber gewiß, daß nicht alle bis zu ihm hingelangen. Darum wendet er sich in seinem Aufruf auch gar nicht an alle, weiß er doch ganz genau, daß nicht alle zu ihm kommen, sondern begrenzt seinen Zuruf und sagt:

„alle, die ihr mühselig und beladen seid!“

Aber sind denn nicht schließlich alle Menschen mühselig und beladen? Gewiß sind sie das, jedoch fragt es sich, mit welcher Mühsal und Last sie beladen sind; denn nicht jede Mühsal und Last treibt zu Jesus. Die Mühsal, in der die irdisch verstrickte Selbstsucht sich abmüht, um Ehrsucht, Habsucht und Genußsucht zu befriedigen, und das bloße Beladen- und Belastetsein mit irdischer Arbeit und den Sorgen dieses Lebens führen ganz gewiß nicht zu Jesus hin, sondern halten im Gegenteil von ihm ab. Auch leitet durchaus nicht die gewöhnliche Not des irdischen Daseins zu Jesus hin. Lehrte wirklich jede Not beten, so müßte ja die heutige Menschheit ein einziges Beterheer sein; denn alle jammern über allerlei Not. Statt dessen lehrte die Not der Zeit allenthalben fluchen und zerbrach sowohl Gottes- als Menschengebot. Und wenn etwa Krankheitsnot ohne weiteres zu Jesus triebe, welch ein Beterlager müßte das große Krankenlager unserer Zeit sein! Aber nichts von dem! Die bloße Krankheitsnot erregt meist nur bis zur Verbitterung oder lahmt bis zum Stumpfsinn oder erzeugt ein selbstgefälliges Heldentum, aber zu Jesus bringt sie nicht. So sehen wir denn, daß Jesus eine andere Mühsal und ein anderes Beladensein meinen muß, als das der dumpfen, stumpfen Alltäglichkeit.

Er meint die Mühsal der Seele mit ihren Sünden und das Beladensein des Herzens und Gewissens mit der Schuld.

Nur wo eine Seele in innere Not vor Gott gekommen ist, treibt sie auch jede äußere Not zu Gott.

Nur wenn ein Mensch zur Erkenntnis seiner Sünden vor Gottes Heiligkeit gelangt ist und sich danach in vergeblichen Selbstverbesserungsversuchen so abgemüht hat und so mit Schuld, Pein und Qual beladen und belastet weiß, daß er aus den Tiefen der Buße heraus nach Gottes Erbarmen und um göttliche Hilfe schreit, nur dann ist er mühselig und beladen genug, Jesu Zuruf recht zu hören, ihn gebührend zu würdigen, ihm willig zu trauen und ihn tatsächlich zu befolgen.

Das geschieht aber nur, wo der angeborene Hochmut des Menschen, diese Ursünde unseres Geschlechts, durch Jesu Erscheinung geoffenbart, gerichtet und gestürzt werden kann. So lange deine Selbstweisheit, Selbstgerechtigkeit und Selbstgefälligkeit dich unter Satans Obrigkeit betören und verblenden, wirst du Jesu Aufruf vergeblich verkündigen hören. Sein Aufruf wird nie ein persönlicher Zuruf an dich zu werden vermögen, um deiner Ehre willen kommst du wohl zur Kirche, aber um deiner Ehre willen kommst du nicht zu Jesus; denn du denkst ja gar nicht daran, unter seinem Aufruf ein wirklich mühselig und beladener, armer, verlorener, hilfsbedürftiger Sünder werden zu wollen. Im Gegenteil, immer besser und würdiger kommst du dir vor; denn dein frommes Laufen und Hören hat dich immer selbstgerechter gemacht. Oder du gibst wohl zu, daß auch du „selbstverständlich“ vor Gott nur ein Sünder seiest, aber hat dich diese Redensart jemals vom Throne deiner Selbstherrlichkeit gestürzt und wirklich heilsbedürftig zu Jesus hingetrieben?

O, nur die wahrhaft Mühseligen und Beladenen halten es im Leben nicht mehr ohne Jesus aus! So lange haben sie sich vergeblich abgemüht, so gut werden zu wollen, wie sie sein sollen. Ach, nur die Mühe ward größer, aber die Sünde ward nicht kleiner! Und zu der inneren Mühe kamen die äußeren Mühen; denn ist die Seele geplagt, so wird ja alles zur Plage. Die doppelte Plage aber wird zur doppelten Last; denn wer sich selber unerträglich geworden ist, der kann auch sonst nichts mehr tragen. Das Seufzen nach Ruhe und Kraft wird zum steten Jammerlaut der Seele. Aber keinerlei äußerliche Entlastung bringt der Seele die innerliche Befreiung. Ruhen die Hände, so arbeitet doch die innere Qual weiter. Liegt der Leib auf dem Lager, so lastet doch die innere Last weiter. Und bald vielleicht beginnt der innere Wurm auch das äußere Leibesgebäude anzunagen, so daß der Mühselige und Beladene auch körperlich kraft- und haltlos wird. Aber da helfen keinerlei irdische Kuren und Mittel. Nur größer wird die Ohnmacht, näher rückt die Verzweiflung. Jede Lebensweisheit, Lebenskraft und Lebensschöne ist dahin. Die Mühsal hat alles zermürbt, die Last alles erdrückt. Und nun klingt’s ins Elend eines solchen zerschlagenen Herzens hinein: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid:

„Ich werde euch Ruhe geben!“

O, die Herzen lauschen, die verstehen, die wissen, wem der Zuruf gilt: Die kommen! Und die kommen nicht bloß bis in Saal oder Kirche und bis zu den Hörern und dem Redner, die begehren nur das Eine, nämlich mit ihrem wunden Herzen durch alles hindurch und über alle Hindernisse hinaus, über alles Menschliche, Eigene, Sündhafte, Sichtbare hinweg an die Kraft des Herzens Jesu zu kommen. „Ich, ich!“ hörten sie, „werde euch Ruhe geben!“ Und da sie es hörten, mußten sie es glauben. Es blieb ihnen ja auf der weiten Welt nichts anderes mehr übrig, keine andere Zuflucht, keine andere Hoffnung. Zu Jesus kommen, das war also der Sinn all der Mühe und Last, der sie erliegen sollten und deren Abnahme ihnen nun gewiß geworden ist.

Denn, wo sind die Zweifel geblieben, mit denen sie ja auch so mühselig beladen waren? Der Geisteshauch, der sie mit dem Zuruf Jesu anwehte, hat sie bereits vertrieben; denn sie waren ja längst bereit gewesen, zu verzweifeln an ihren unseligen Zweifeln. Ach, wer endlich an sich selbst verzweifelt, dem wird es ja so leicht, auch an seinen elenden Zweifeln zu verzweifeln! Nur die Selbstweisheit bleibt in ihre Zweifel verliebt und vernarrt. So haben die Mühseligen und Beladenen im Kommen zu Jesus schon die erste Ruhe bekommen: Der Zweifelswurm ist von ihrem wundgefressenen Herzen genommen. Welche Erquickung!

Vor ihrem geöffneten Glaubensauge steht der zu ihnen gesandte Sohn Gottes. Durch Ihn allein will ihnen Gott Ruhe geben. „Ich!“ spricht Jesus, und weist auf sich hin, nicht auf Gott; denn Gott weist ja ganz auf ihn hin. Wie töricht die Leute, die immer am Sohne Gottes vorbei zu Gott wollen! Gott soll sie trösten, Gott soll ihnen helfen. Ja, das will Gott ja auch, aber eben durch Jesus. Er ist der Weg Gottes zu uns und unser Weg zu Gott. „ICH bin der Weg … ICH werde euch Ruhe geben.“ In Ihm ist die Erkenntnis Gottes gegeben, darum sterben vor ihm die Zweifel und genest an ihm das verirrte menschliche Denken. Und in ihm ist uns ebenso die Liebe und Barmherzigkeit Gottes gegeben, darum stirbt durch ihn unsere Schuld und genest in ihm unser Gewissen. Zur Ruhe des Denkens fügt er hinzu die Ruhe des Gewissens; denn mit dem Zweifelswurm nimmt er auch den nagenden Gewissenswurm von den wunden, mühseligen und beladenen Herzen. Er gibt Ruhe als Vergebung der Sünden. Er hat mit seinem Blute das Lösegeld bezahlt, mit dem nur er, das von Gott für unsere zuvor gesehene Sünde zuvor ersehene Gotteslamm, der allein zahlungsfähige Bürge unter lauter Bankrotteuren, uns erlösen konnte. Er nahm dieser Welt Sünde hinweg, also auch die deine. Welch ein Wort, das Wort vom Neuen Bunde in Christi Blute, vergossen für unsere Sünden! Siehe, da ist Ruhe! Es ist die Ruhe in der Liebestat Gottes am Kreuze Christi auf Golgatha!

Und so ist uns in dem für uns dahingegebenen Gottessohne auch geschenkt die Gottesgabe neuen, ewigen Lebens. Warum bebte denn dein Herz so elend im Jammer seines Wehes, du mühselig und beladen gewesener Mensch? Ach, im tiefsten Grunde war es nur deshalb ohne Ruhe, Halt und Kraft, weil es ohne wirkliche Lebensverbindung mit Gott schlagen mußte. Die bohrenden Zweifel höhlten dies von Gott getrennte Herz völlig aus, die lastende Sündenschuld als Qual des bösen Gewissens brachte es zum wehen Einsturz, und dies alles, weil es erfüllt und erneuert werden sollte mit einem in Jesus überströmend zufließenden Strom neuen Lebens aus Gott. Immer bewußter gewordenes Sehnen nach Wiedervereinigung mit Gott, siehe, das war die innerste, fieberndste Not all deiner Mühsal und Last! Und darum konnte dir nur Jesus helfen; denn er ist der Bringer dieses neuen, ewigen Lebens aus Gott. Heilung von deinen Zweifeln, Sühnung deiner Sündenschuld sind da nur die notwendigsten Vorstufen, auf denen du nun hineinschreiten sollst in die völlig erlösende Ruhe in Gott, die du noch finden wirst, wenn du dich Jesus immer endgültiger übergibst und überläßt.

Indes höre das zweite Jesuswort. Es beginnt:

„Niemand kann zu mir kommen.“

Wie sonderbar: Erst: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; und ich werde euch Ruhe geben!“ und nun: „Niemand kann zu mir kommen …!“ Erst die große, leutselige Einladung aller Mühseligen und Beladenen, und nun die beinahe abschlägige Zurücknahme des ersten Wortes? Ist das nicht ein Widerspruch?

Nein, nicht um einen Gegensatz und Widerspruch, sondern um eine Ergänzung und genauere Bestimmung des ersten Jesuswortes handelt es sich.

Allerdings zunächst ein hartes Wort. Wie ein sausender Schwerthieb, der scharf und kurz jede Verbindung abschneidet, könnte es klingen, oder wie eine schwer zuschlagende Türe, die jeden Zugang ausschließt. „Niemand kann zu mir kommen!“ steht auf dieser verschlossenen Türe zu lesen.

Niemand? Auch nicht die Mühseligen und Beladenen?

Nein, auch die nicht.

Aber, was ist denn da plötzlich für eine Schranke aufgerichtet?

Höre: Es ist die unumgängliche, unübersteigbare Schranke zwischen der heiligen Gottheit und unserem abgefallenen Geschlecht! Der sündige Mensch wird hinter die Schranken zurückgewiesen, hinter die er gehört. Es ist die Schranke seiner eigenen gefallenen, sündigen Natur. Über die kann und soll er nicht durch sich selbst hinwegkommen. Es ist sein fluchvolles Unvermögen, durch sich selbst über sich selbst hinaus zu gelangen.

Fange es an und stelle dich an, wie du willst, du bleibst, wo du bist und wie du bist! Du bleibst im Bannkreis deines eigenen Wesens, du bleibst, wie du warst und bist. Versuche dich Jesus zu nahen auf dem Wege menschlicher Wissenschaft, und du wirst nur in eine immer fruchtlosere Irre geraten. Versuche an seine Seite zu gelangen auf dem Pfade deiner Tugenden, und du wirst nur ersteigen die gefährlichen Höhen verblendeten Hochmuts. Unternimm es, dich zu ihm emporzuschwingen auf Flügeln des religiösen Gefühls, und du wirst nur hineingeraten in das Gewölk deiner schwärmerischen Einbildungen, aus denen du jählings abstürzen wirst. Siehe, du magst dich abmühen, wie du willst, du kannst nicht wirklich zu ihm kommen! Zu einer Meinung über Jesu kannst du kommen, zu einer gelehrten oder ungelehrten, ja, aber heißt das zu Jesus kommen? Zur Ausübung eines religiösen Kults kannst du in seinem Namen kommen, und zum Auswendigkönnen eines Glaubensbekenntnisses, aber heißt das zu Jesus kommen? Ja, zu Seufzern, Tränen und Gebeten kannst du kommen, aber auch das heißt noch nicht zu Jesus kommen.

Niemand kann zu mir kommen. Welch ein Urteil des Menschensohnes über diese Menschheit! Wie bricht es allem stolzen Können die Spitze ab! Wie rühmen sich die Fleischgeborenen der Kulturhöhe ihres Geisteslebens; aber noch fand keiner die Kraft in sich, durch sich selbst zu Jesus zu kommen, sondern alle Ehrlichen haben es bekennen müssen: Wir verstehen nicht, wir begreifen nicht, wir vermögen nicht, wir können nicht!

Siehe, dieses fluchvolle beschämende Unvermögen ist die Schranke, hinter der wir törichte Adamiten von Haus aus zu leben gezwungen sind! Müßte es bei dieser Schranke bleiben, wahrlich, wir blieben im irrseligen Wahne der Ichgröße und Kulturhöhe ein verblendetes, verderbtes und verlorenes Geschlecht! Aber gelobt sei Gott: Die Schranke wird geöffnet! Denn das volle zweite Jesuswort lautet:

„Niemand kann zu mir kommen, ohne daß der Vater, der mich gesandt hat, ihn ziehe.“

Der Vater im Himmel selbst hat die Schranke geöffnet. Gott ist’s, der sie gezogen und gesetzt hat, Gott ist’s, der sie öffnet und hinwegnimmt.

Wunderbar: Jesus ist der einzige Weg zu Gott, aber Gott bleibt der einzige Weg zu Jesus. Der Vater allein hat und gibt die Kraft, die zum Sohne hinzieht. Der Vater sandte den Sohn, aber er muß auch noch die Kraft senden, die zum Sohne hinzieht. Ohne diese Kraft Gottes findet niemand den Sohn Gottes.

Und es heißt: „zieht“, nicht „führt“, „leitet“ oder „treibt“.

Es handelt sich also um Aufhebung eines gänzlichen Unvermögens, ja sogar um Überwindung eines beharrlichen Widerstandes.

Ja, es haftet uns allen nicht nur die Schwere des Fleisches an, das tot ist für Gott, sondern es ist auch in uns allen ein geheimes Widerstreben gegen Gottes Geist und Kraft, das er mit viel Langmut überwinden muß. So muß denn der Vater zum Sohne hin„ziehen“.

Ach, wir alle wollen ja von Haus aus nicht, daß Christus über uns herrsche! Wir sind im tiefsten Grund unseres angeborenen Wesens samt und sonders geborene und geschworene Gottes- und Christusfeinde, ob wir es wissen oder nicht. Weil unsere angeborene Wesensrichtung Selbstherrlichkeit ist, so muß sie ja Gottfeindlichkeit sein. Nun soll die Ichherrschaft der Christusherrschaft, die Selbstverliebtheit der Selbstpreisgabe und Selbstverleugnung weichen! Welch ein Gegensatz! Da wehrt sich die menschliche Natur bis auf den Tod.

Ja, uns für Jesu Erscheinung und Lehre interessieren, fromm oder gelehrt über ihn und sein Wort reden oder schreiben, das können wir; denn das ist noch Nahrung für unsere Eigenliebe und liegt noch auf dem Gebiete unserer Ichentfaltung. Auch können wir uns in frommen Rührungen über Christi Lieben, Leiden und Sterben ergehen; denn auch das steigert noch unsere Selbstgefälligkeit. Aber in den geringsten Dingen ihm den Eigenwillen unterordnen und aufopfern, das geht sofort gegen unser Wesen, und ihm gar die volle Herrschaft über uns und unser Leben einräumen? Ach, daran denkt man ja gar nicht! Darum ahnt jedes irgendwie in sich selbst reifgewordene Menschenwesen: Das wirkliche Kommen zu Christus ist der Gang in den Tod der Selbstherrlichkeit. Und da kennt der bedrohte Eigenwille nur eines, nämlich Flucht vor Christus. Auf dieser Flucht sind wir von Haus aus alle, ohne Ausnahme.

Ach, wie fliehen die Menschen Jesus! In Gedanken, im Reden, im Schweigen, im Arbeiten, im Ruhen, im Alleinsein, in der Familie, in der Gesellschaft, in der Werkstatt, in der Kirche! In jeder Menschenmenge und Menschenenge muß ich es sehen, denken und mir sagen: Ach, wie weit sind diese Menschen weg von Jesus! Wahrlich, nichts liegt ihnen ferner als er! O ja, dabei treiben sie das angelernte Spiel billiger religiöser Gebräuche und Verehrung, aber die Lebensherrschaft Jesu hassen und fliehen sie auf Tritt und Schritt.

Und was will nun Gott? O, er will nichts geringeres als die Flucht der Menschen vor Jesus zur Zuflucht zu Jesus wenden.

Dazu tut er beides: erst den Menschen einengen, daß er nicht mehr weiter kann, und dann ihn zu Jesus hinziehen. Auf beides laufen alle Lebensführungen Gottes mit den Menschen hinaus. Die menschliche Ichgröße will in die Breite und Höhe, Gott aber will das stolze Menschlein in die Enge und Tiefe führen, damit es endlich einmal an sich selber irre werde, um sich dann an Jesus für ewig zurechtzufinden. So muß der Mensch also erst einmal in die Enge kommen mit seinem großen Wissen. Er muß einsehen lernen, daß ihm auch die exakteste Wissenschaft das Rätsel seines Daseins nicht zu lösen vermag und daß erst mit der Furcht Gottes die Weisheit ihren Anfang nimmt. So muß er willig werden, seine unzulängliche Vernunft erleuchten und erweitern zu lassen durch das allein helfende Gottesgeschenk des Glaubens. Gleichzeitig muß er mit seiner Moral in die Enge kommen. Er muß an der Zulänglichkeit all seines Tuns verzweifeln lernen. Da muß Gott dem Menschen den Weg seiner selbstbewußten Taten derart verzäunen, daß der Taten- und Tugendheld nicht mehr ein noch aus weiß und schließlich an allem eigenen Werk und aller eigenen Kraft verzweifelt, um durch Christus zu neuer Kraft und Tat zu gelangen. Und wie oft muß der Mensch auch mit seiner Körperkraft in die Enge geführt werden. Da muß ihn Gott erst aufs Kranken- und Siechbett hinstrecken, damit der Mensch aus Leibes- und Seelennot zum Herrn seines Lebens schreien lernt.

So ist es also Gott selbst, der die Menschen mühselig und beladen macht. Und nun verstehen wir, warum Jesus nur die Mühseligen und Beladenen zu sich ruft. Eben sie sind die von Gott in die Enge geführten, die der Vater zu ihm hinzuziehen bemüht ist. Und wissen sie sich nur erst wirklich mühselig und beladen genug, o, dann hört das eigensinnige Sichversteifen und Sperren gegen den widerwillig wahrgenommenen Zug schnell auf und verwandelt sich in freudiges Nachgeben und endliches Hingeben. Alle, die es erlebt haben, die wissen es.

Du aber, noch mühselig und beladenes Herz, frage dich, ob nicht der wunderbare Geisteszug des Vaters zu seinem Sohne hin auch dich erfaßt habe. Ringen nicht zwei Mächte in dir? Reden nicht zwei Stimmen in dir? Was geht in dir vor? Merkst du nicht, wie es dich in früher nie so gekannter Weise und Stärke jetzt hinzieht zu Gottes Wort, zu Gottes Sohn? Merkst du nicht, wie sich der Gegensatz immer mehr in dir zuspitzt, der Gegensatz zwischen Eigenwillen und Gotteswillen, Selbstliebe und Christusliebe. Zweifelsqual und Glaubensfreude, Sündendienst und Rettungsjubel? Und merkst du nicht, du kostbare Seele, daß es nur deshalb so heiß in dir ringt, weil so übermächtig um dich gerungen wird? Siehe, zwei übermenschliche Mächte streiten um deinen Besitz: die Macht der Finsternis unter der Oberhoheit Satans, des Widersachers Gottes, und die Macht des Lichts, deren Haupt Christus ist. Für ihn wirbt dein Gott mit dem Zuge seiner Gnade, der dich gesucht, erfaßt hat und bewegt. O, gewaltig groß ist die Macht Satans, des Fürsten dieser Welt! So groß, daß du dich aus eigener Kraft niemals ihr zu entziehen vermöchtest. Aber nun zieht dein Gott, um dich deinem Mörder zu entziehen und zu entreißen. Siehe, Satans übermenschliche Macht entriß uns Gott, und darum kann auch nur Gottes übermenschliche Macht uns ihm entreißen. Es ist die rettende Gnadenmacht Gottes, die uns den Sohn vom Himmel her als Erlöser sandte, und dich, ja, gerade dich, nun zu ihm hinziehen will. Wem du jetzt nachgibst, dem gehörst du. Das ist deine Freiheit. Denn wir haben keine andere Freiheit, als die, uns unseren Herrn selbst zu wählen. Da nun Satan verführerischerweise als Fürst dieser Welt unser Herr ist, wir ihn also nicht erst zu wählen brauchen, so bleibt uns in Wirklichkeit nur eine Freiheit, nämlich die Freiheit, Jesus, unseren gottgesandten Befreier, als unseren Befreier zu erwählen, indem wir uns von Gott hinein in den Herrschaftsbereich Christi ziehen lassen. Satan vergewaltigt dich alle Tage in der Knechtschaft der Sünde, Gott will dich überwältigen durch den sanften Zug seiner Liebe zu Jesus hin: Kannst du noch zweifeln, wem dein Wille gehören soll?

Zu heiliger Entscheidung höre das dritte Jesuswort.

„Alles, was mir der Vater gibt“, beginnt es.

Welch ein königliches und zugleich, welch ein demütiges Wort! Jesus nimmt sich nichts selber, auch ihm wird alles von Gott gegeben. Er hielt es im Himmel nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, und er reißt auch auf Erden nichts eigenmächtig an sich. Wie steht er da vor uns in seiner urbildlichen und vorbildlichen kindlichen Abhängigkeit vom Vater! Nichts kann er aus sich selbst tun. Welche Ohnmacht der Erniedrigung als Menschensohn! Welche Würde des Gehorsams als Gottessohn!

Und was ist’s, was ihm der Vater gibt? Ach, nicht die Herrlichkeit aller Reiche dieser Welt, mit deren Angebot ihn einst der Teufel versuchte, ist es, sondern Menschenseelen sind es, von denen jede einzelne mehr wert ist, als alle Herrlichkeit aller Reiche dieser Welt. Denn um des Gewinnes dieser Menschenseelen willen hat der Sohn Gottes die ewige Herrlichkeit in seines Vaters Reich verlassen und hat selber Menschengestalt angenommen und sein unermeßlich kostbares, weil allein vollwertiges Leben für diese Seelen zum Lösegeld gegeben. So hat er sich selber für die Menschenseelen dahingegeben, um sie durch sein Blut für Gott zu erkaufen, und nun gibt Gott ihm große Mengen von Menschenseelen zur Beute, die allesamt hineinversetzt werden sollen in des lieben Sohnes Reich.

Und siehe, teure Seele, dazu sollst auch du gehören!

Auch du bist seit Ewigkeit Jesus Christus zum Eigentum zugedacht. Was will das doch heißen! Ach, was das heißt, das kannst du jetzt und ein ganzes Erdenleben lang nicht ermessen, aber wissen sollst du, daß dich Gott nur in dieses Erdenleben hat hineingeboren werden lassen, damit du Christus als deinen Lebensherrn fändest und zum Bürger seines Reiches wiedergeboren würdest. Und daß diese deine Bestimmung für Jesus nicht von gestern ist, sondern von Ewigkeit her sein muß, das darfst du der Allwissenheit Gottes zutrauen.

Siehe, wenn du so im Lichte des weiteren Jesuswortes und im Lichte der ganzen Heiligen Schrift über den Zug des Vaters zum Sohne hin, wie er auch dich, ja gerade dich erfaßt hat, nachsinnst, dann erkennst du, daß die Macht und Kraft dieses Zuges Gottes ewige Liebe zu dir ist, der du schließlich doch bekennen mußt:

„Wie bist du mir so sehr gewogen,
und wie verlangt dein Herz nach mir;
durch Liebe sanft und stark gezogen,
neigt sich mein alles auch zu dir.
Hier ist die Ruh, hier ist Vergnügen,
drum folg ich deinem sel’gen Zügen.“

Wie wirst du dann den wunderbaren Liebeszug deines himmlischen Vaters preisen, der dich ans Herz Jesu, deines Erlösers, zog! Denn gleichwie eine Mutter für ihr Kind sorgt, ehe es geboren ist, so und ungleich lieblicher und herrlicher sorgte dein Vater im Himmel, durch den Gnadenzug, mit dem er dich überwand und zu neuem Leben brachte, für deine Wiedergeburt, ehe du wiedergeboren wurdest.

Denn du wirst deine Berufung und Erwählung festmachen und zu Jesus kommen. Er selber sagt es ja. Höre doch, wie der volle erste Satz dieses dritten Jesuswortes lautet: „Alles, was mir der Vater gibt, wird zu Mir kommen.“

Alles wird zu Jesus kommen, alles, was der Vater ihm gibt. Sie werden kommen, sie werden kommen, die Gezogenen, die Gegebenen! Sie werden alle kommen!

O, ich schaue ein wirklich wunderbares Bild! Ich sehe Jesus, wie alle zu ihm kommen. Ich sehe Jesus, wie er empfängt, was ihm der Vater gibt.

In der Kreuzesgestalt schau ich ihn. Wie der Allerunwerteste, den man für nichts mehr achtet, hängt er über die Erde erhöht. Viele, viele noch halten das Angesicht von ihm abgewandt. Aber da kommen welche. Mühselige und Beladene; man sieht es ihnen an. Keiner geht aufrecht, keiner eilt. Nur ihre Blicke scheinen schon längst, längst bei ihm zu sein. Denn aller Augen haften an ihm; alle Angesichter sind ihm und nur ihm zugewandt. Auch vieler Hände sind ihm zugestreckt. Und die Augen tränen alle, und alle Hände beben. Auch scheinen die Knie zu wanken in ihrer letzten Kraft. Und der Mund ist hilfeschreiend, und die Lippen scheinen zu verschmachten. Ach, welch eine elende Schar! O, welch ein erbärmlicher Haufen! Einige sinken auch zu Boden und bleiben da eine kleine Weile liegen, aber sie wenden das Angesicht nicht von ihm weg, obgleich die ermatteten Arme kaum noch den Körper stützen können. Seltsamerweise erheben sich alle wieder; aber, nein, das Seltsame ist, sie erheben sich gar nicht selbst; sie werden erhoben. Es zieht sie etwas empor. Eine Macht, eine Kraft, die den ganzen Zug dennoch bewegt, belebt und vorwärts bringt; näher zu ihm, näher zu Jesus. Alte und Junge sind’s, Männer und Frauen, auch viele Kinder. Doch tragen auch die Jüngsten den feuchten Blick der sehnenden Klage, und auch die Stärksten wandeln nicht in eigener Kraft. So ist in aller Schritt ein Zögern, ein Tasten, ein Zweifeln, und doch zugleich ein sieghaftes Gezogen- und Gehobensein. Das gibt dem Zuge das hohe, feierliche Gepräge. Und so erreicht er den mittlerweile einsam gewordenen Hügel, wo der Gekreuzigte wartet, vor dem sie erlöst in Anbetung auf die Knie sinken. Aber nun, nachdem die Ersten ihr Ziel erreicht haben, nun sehe ich erst, wie endlos lang der Zug ist, dem sie angehören und der sich ihnen nach in derselben Weise zum Gekreuzigten heraufbewegt. Ich sehe ihn über die Breite, nein, über das Rund der Erde herauf kommen, und unübersehbar groß wird die Schar, die droben anbetend niedersinkt. Da wende ich den Blick zur andern Seite, und staune noch mehr. Denn da sehe ich einen zweiten gleichgearteten Zug heraufkommen, und auch er ist endlos. Wie aber mein Blick die anbetende Vereinigung der beiden Züge unterm Kreuz erfaßt, da sehe ich auch hinter dem Kreuze eine Menge heraufkommen und weiß, auch dieser Zug ist endlos. Rasch wende ich mich und sehe hinter mich, und habe mich nicht geirrt, denn auch von dieser Seite her naht ein endloser Zug. Ich will zur Seite weichen, um Platz zu machen, zum Kreuz gelangen zu können. Aber da gibt’s kein Ausweichen mehr; die Menge der Hingesunkenen ist zu groß geworden; sie umgibt mich nun von allen Seiten. Ich finde mich in sie eingeschlossen, und sinke anbetend mit ihr auf die Knie.

„Alles, was mir mein Vater gibt, das wird zu Mir kommen …!“

O Glaubenstrost des Evangelisten!

Sie kommen, und sie werden kommen!

Alle!

Eine Schar, die niemand zählen kann!

Aus allen Jahrhunderten dieser zwei Jahrtausende!

Von allen Erdteilen!

In jeder Hautfarbe!

Aus jeder Sprache, jedem Volk und Geschlecht!

Und von jeder Höhe des menschlichen Hochmuts herunter!

Und aus jeder Tiefe des menschlichen Sündenelends herauf!

Nicht eine Seele wird fehlen am großen Tage des Namensaufrufes aus dem Buche des Lebens!

O freue dich, geliebte mühselig und beladen gewesene Seele! Denn auch dein Name wird angeschrieben stehen in diesem Lebensbuche.

Und jedes mühselig beschwerte Herz, das noch zweifelnd zagt, hört nun des dritten Jesuswortes herrlichen Schluß! Er lautet:

„Und wer zu Mir kommt, den werde ich gewiß nicht hinausstoßen!“

Aber ist denn diese Zusicherung schließlich noch nötig? Könnte denn die Möglichkeit bestehen, vom Vater zum Sohne gezogen worden zu sein, um dann von diesem zurück- und hinausgestoßen zu werden?

Nie und nimmermehr! Sondern, daß uns in der Gegenwart Jesu, in die uns der Vater gezogen, und an der Schwelle zu einem neuen Leben, das Jesus für uns ist, unsere sündige Art umso sündiger und verwerflicher, und die uns in Christus Jesus erschienene Gnade um so gnädiger und begehrenswerter erscheine, dazu sprach Jesus dies Wort.

Denn hätte nicht Jesus, wenn wir vor ihm anlangen, ein Recht, umgekehrt wie Simon Petrus zu sprechen: Gehe hinaus von Mir; denn du bist ein sündiger Mensch!? Was hat der Gottgehorsame mit dir, dem Übertreter, der Heilige mit dem Gemeinen, der Sündlose mit dem Sünder zu schaffen? Ausgestoßen seiest du aus meiner Gegenwart!

Und geht nicht ein zages Beben durch jedes mühselige und beladene Sünderherz: Darf auch ich kommen, ich, der vornehmste unter den Sündern? Werde auch ich angenommen, ich, der Allerunwerteste? Wird er nicht mich abweisen müssen, mich, den Verdammungswürdigsten?

Siehe, da will sein Erbarmen dem Elendsten Mut machen, und spricht: „Und wer zu Mir kommt …“

Wer da durch den Zug des Vaters kommt, ganz gleich, was und wie er ist! Ob er ein großer oder kleiner, ein grober oder feiner Sünder, ob seine Sünden alt oder neu, schwer oder leicht, ob er sie mit Schreien und Weinen bereut oder nur schweigend erkennt, ob seine Qual sie laut herausschreit oder sein Schämen nur stammelt oder ganz schweigt, ob er aus weitem Umweg sich zu Jesus ziehen ließ oder auf kürzestem Wege, ganz gleich: Wenn du nur kommst! Dein Kommen ist die Bedingung für deine Annahme, dein Kommen ganz allein!

Denn, daß du kommst, beweist, daß du glaubst; und mehr erwartet dein Erlöser nicht von dir. Mag auch dein Glaube noch arg mit Unglauben vermischt sein, wenn du nur kommst! Denn indem du kommst, bezeugst du, daß du glaubst, daß Jesus deinem Unglauben helfen könne. Und nur so kann er deinem Unglauben helfen.

Nur daß du nicht wie Kain sprichst: „Meine Sünde ist zu groß, als daß sie mir vergeben werden könnte“, oder wie die Pharisäer denkst: „Meine Sünde ist viel zu gering, als daß sie Vergebung benötigte.“

Nur daß du auch nicht meinst, du müßtest und könntest dich erst ein wenig oder gar wesentlich bessern, um dich annehmbarer zu machen. O nein! Denn damit würdest du nur beweisen, daß du im tiefsten Grunde deines Herzens noch an dich selbst, also an deine eigene Erlösungsfähigkeit glaubst, mithin dich noch gar nicht wirklich für verloren hieltest, also auch keines Erretters bedurftest; denn Jesus sucht und empfängt nur diejenigen Mühseligen und Beladenen, die sich in ihrem Eigenleben für ganz aussichtslos verdorben und verloren halten, so daß sie dies unerträglich gewordene Leben gänzlich hassen und lassen, nämlich, so wie es ist, willig vor Jesus niederlegen wollen.

„Und wer zu Mir kommt …“

„O, was schließt dies Wort nicht alles in sich ein! Alles Sündenelend! Alle Heilandsgnade!

Stürmisch klopfte es an die Türe meines Sprechzimmers. Herein stürzt eine Frau und wirft sich aufschreiend auf den Stuhl. Aber die Hände fliegen nicht verschämt vor das verlebte Gesicht. Sie sieht mir entschlossen in die Augen. „Zehn Jahre hab ich dem Laster gedient!“ offenbart sie mir ohne weiteres. „Nun ist’s genug! Nun will ich Jesus dienen!“ Des himmlischen Vaters Liebes- und Gnadenzug hatte sie unter die Hörer der Heilsbotschaft vom Sonntagnachmittag gezogen und überwunden, und nun, am Montag vormittag, war sie zu mir geeilt, damit ich ihr helfen sollte, zu Jesus zu kommen, um ihr Sündenleben loszuwerden. Da bedurfte es nicht vieler Worte. Wo der heilige Geisteszug vom Vater her ein- und durchgegriffen hat, bleibt für Gottes Knechte wenig Arbeit übrig. In kurzem und bündigem Gebet übergab diese große Sünderin ihre Vergangenheit, sich selbst und ihre Zukunft ihrem Lebensretter und Lebensherrn. Als sie festen Schrittes das Zimmer verließ, klang lobpreisend in mir nach, was ich ihr gesagt hatte: Wer zu Dir kommt, Herr, der wird nicht hinausgestoßen. Danke!

Gleich klopfte es wieder, aber ganz anders: zurückhaltend, leise. Eine Dame erscheint. Wie schwer wird ihr das Näherkommen, das Platznehmen, der Redebeginn. „Ich weiß mich keiner groben Sünde zu entsinnen“, höre ich. „Ich habe meine Seele immer in meinen Händen getragen. Und doch mußte ich kommen.“

Sie legt die vornehme Hand auf die Augen. „Ich habe seit dem Anhören dieser Vorträge – so – viele – – kleine Pünktchen – in meinem Leben entdeckt.

O, bitte, helfen Sie mir mit den vielen kleinen schwarzen Pünktchen zu Jesus zu kommen! Ich kann – – tief senkt sich das Haupt, tief steigt des Geistes Seufzen auf – ich kann so unmöglich weiterleben!“ – Auf derselben Stelle kniet sie nieder, wo jene gekniet. Dasselbe Blut muß von Gottes Erbarmen reden. Und als sie hinausgeht, gemessen, aber, ach, wie göttlich erleichtert, da klingt es in mir wieder herauf, dasselbe und immer wieder dasselbe Jesuswort: Und ich bete der Verschwindenden nach: Ja, Herr, Dank, Dank: Wer zu Mir kommt, Wer zu dir kommt …: den wirst du nicht hinausstoßen!

So, teure Seele, nun tue auch du den bedeutsamsten, größten und weittragendsten Schritt deines Lebens. Es ist der Glaubensschritt zu Jesus hin. Um ihn jetzt zu tun, brauchst du keinen Fuß mehr zu bewegen. Es ist ein durchaus innerlicher Schritt. Es ist der Schritt über dein eigenes Leben hinaus. Es handelt sich um die Einmündung deines Willens in den gnädigen Liebeswillen Gottes. Mit dem Zuge des Vaters zum Sohne hin, der in dir wirkt, ist dir gegeben jede Möglichkeit des Wollens und des Vollbringens; denn eben Gott ist es, der beides in dir wirkt. Eben darum hüte dich mit Furcht und Zittern, eigenwillig zu widerstehen. Und mit der Zusicherung des Sohnes, er werde dich gewiß nicht hinausstoßen, wenn du kommst, ist dir gegeben jede Möglichkeit des Glaubens, daß du angenommen werden und ewig geborgen sein wirst.

Da nun der lebendige Gott dein Kommen ermöglicht, und der lebendige Christus deine Annahme verbürgt, was hindert dich jetzt noch, still betend zu antworten: Ich komme! Da bin ich! Nimm hin mein sündig mühseliges Leben! Und gib mir dein göttliches Leben! Dank und Anbetung dir, mein Herr, mein Heiland, mein Gott! …

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