Bezzel, Hermann - Ich glaube an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde.

Bezzel, Hermann - Ich glaube an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde.

Wenn Gottes Allmacht nicht auch seine Liebe wäre, so müsste sie mich vernichten. Wie der Sturmwind ein Blatt im Spiel vor sich hertreibt, beiseite wirft und wieder in die Höhe wirbelt, bis es in alle Fernen entführt wird, so wäre dann mein Leben. Er würde eine Weile mit ihm spielen, es mit seinen Strahlen erwärmen und mit seinen Schrecken erschüttern, es mit Wohltaten an sich locken und dann mit Gewalttaten von sich schrecken, mit Verheissungen erheben und mit Enttäuschungen beschweren, und das Ende meines Lebens wäre der Tod.

Allmacht ohne Liebe – das kann man nur ausdenken, wenn man die Hölle ausdenken will. Abhängig von ihm sein und nie ein freundliches Wort von ihm hören, auf ihn angewiesen sein und nie einen gütigen Blick von ihm schauen, das ist Hölle. Wenn du mit einem Menschen zusammenlebst, den du liebst, so liebst, dass du von ihm mehr abhängig bist, als es recht ist, und dieser Mensch gönnt dir kein gutes Wort, du suchst ihn und er weicht dir aus, er lässt dich nur fühlen, wie sehr du ihn und wie wenig er dich braucht, du wartest, ob nicht wenigstens ein einziger Blick einmal dir gelte, ob nicht in einem Wort, das er an andere verschwendet, ein Klang für dich sei, und es ist kein Klang, kein Gruss, der dein Leben meint, dann sagst du wohl: das ist eine Hölle auf Erden. Das ist Macht ohne Liebe.

Darum heisst es nicht bloss: Ich glaube an Gott, den Allmächtigen, sondern wie ein Jubel aus der Tiefe aufsteigt, wenn die Lerche wieder zum erstenmal den Frühling grüsst, so steigt aus der Tiefe des Kummers in die Höhen der Allmacht das einzige Wörtlein: Vater. Im Alten Testament erscheint es kaum zehnmal, im Neuen wohl hundertmal: im Alten Testament einmal in 5. Mos. 52., dreimal im Jesajas, zweimal in Maleachi, aber nie in den Psalmen. Vergleiche werden wohl beigezogen: Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr (Ps. 103, 13). Aber Vater genannt wird der Gott im Alten Testament so selten, wie er es im Neuen häufig geheissen wird.

In diesem Namen schliesst sich Allmacht und Liebe zusammen. Denkt an eure eigene Kindheit! Was hat es in dem damals so engen Gesichtskreis eures Lebens gegeben, was ihr nicht eurem Vater zutrautet? Da war nichts so schwer, was er konnte, nichts so bedeutend, dass er es nicht leistete, nichts so gross, was er nicht erreichte. Mein Vater kann alles. – Das war nicht kindlicher Unverstand, sondern weissagende Weisheit, etwas von Ahnung der Seele, dass sie einen Vater hat, der wirklich alles vermag im Himmel und auf Erden. Je älter wir wurden, desto mehr haben wir die Schranken unseres Vaters und seine Grenzen nicht ohne schwere Traurigkeit wahrgenommen, und um so mehr haben wir nach dem ausgeschaut, dessen Macht keine Grenzen und dessen Hand keine Schranke hat.

Und ein anderes! Denkt euch eine Liebe, die euch alles Gute gönnt, und die bei dem ersten Versuch ihre guten Wünsche in Wirklichkeit umzusetzen versagt. Sie verspricht alles, sie errät, was ihr wollt, sie versichert euch viel tausendmal, wie treu sie es mit euch meine, und wenn ihr ein wenig von ihr verlangt und sie beim Worte nehmt, dann muss sie errötend ihre Schwachheit gestehen. Solche Liebe hat für den normal empfindenden Menschen etwas Abstossendes. Wir verlangen von der Liebe nicht nur, dass sie verspricht, sondern auch, dass sie gibt; nicht nur, dass sie verheisst, sondern auch, dass sie erwirkt. So trifft in dem heiligen Gottesnamen beides zusammen: der da alles vermag, was er will, tut es mir zuliebe.

Betend und bekennend fährt die Kirche fort: Schöpfer Himmels und der Erde.

Schöpfung und Offenbarung gehören zusammen. Mit seiner Schöpfung hat er sich zum erstenmal geoffenbart, und als er sich offenbarte, da schuf er.

So lasst mich heute bei dem ersten Vers des ersten Kapitels der Bibel ein wenig verweilen, bei dem majestätischen Wort, das kein Verstand ersinnen und keine Weisheit begreifen kann: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.

Am Anfang! Ehe war, was jetzt mich umgibt, ehe der Raum war, in dem, und die Zeit, mit der ich lebe; ehe etwas auf diesem Rund sich befand, ja ehe dieses Rund und diese Welt selbst in Erscheinung getreten war, ehe die Welten ihre Bahnen zogen, ehe die Blume erfreute und das Blatt am Baum sich bewegte, ehe ein Denken und Sehnen, ein Werden und Sein statt hatte, schuf er. Ehe auch nur Gedanken in Menschenköpfen sich regten, ehe ein suchendes Gemüt in der Welt fragte: warum und wohin? Ehe das Heimweh erweckte, war der Anfang. Man weiss nicht von wannen er kam, aber als Gott anfing, da war der Anfang.

Warum, so fragt man, warum fing er an? Wäre es nicht besser gewesen, er hätte nie begonnen? Wir wären dann in der Ruhe, statt dass wir jetzt täglich im Kampf mit unserer Sünde und unseren Anfechtungen stehen. Wäre es nicht herrlicher gewesen, Gott hätte sich an sich genügen lassen und hätte nicht so viele Millionen in die Welt gerufen, die wieder sterben? Und warum hat er die Welt geschaffen? Es hilft nichts zu sagen: ich weiss es nicht! Denn du musst es wissen und ich hoffe, dass manche unter euch sich die Frage in einsamer Stunde vorgelegt haben: warum hat er mich geschaffen? Ich habe es ja nicht gewollt, ich habe es ja nicht begehrt. Wie oft haben wir es Leuten, welche nicht wussten, welch grosse Pflichten die Ehe auferlegt, gesagt: Es ist leicht allein sein, aber es ist schwer, an anderer Leben schuld zu sein. Wie oft haben wir gesagt: Sich selbst erziehen ist leichter als andere erziehen; für sich selbst verantwortlich sein ist weit tunlicher als für andere die Verantwortung zu tragen.

Warum hat Gott die Welt, den Menschen, die Menschheit geschaffen? Hat er sich damit etwas Gutes getan, der solche Last sich auferlegte und solchen Jammer sich erweckte, der die Tränen ohne Zahl – wie Luther einmal sagt: Tränlein, die er gar nicht vergessen darf – erregt hat, der jetzt, wie Luther wiederum sagt, eine eigne Abteilung in seines Himmels Höhen hat, worin die Tränen alle sind? Warum hat er das getan? Er hat es gewusst und doch hat er es gewollt. So oft wir darüber nachdenken und das Wort will uns dabei nicht über die Lippen, so müssen wir es doch sagen: Aus Liebe.

Aus Liebe hat er den Anfang gemacht. Vor dem Anfang war er nicht allein. Vor dem Anfang waren um ihn die seligen Geister, die heiligen Engel, die ihn lobten, ehe der Morgenstern ihn pries. Und nun wollte er eine Welt schaffen nicht um seinetwillen, sondern um ihretwillen, damit sie Zeuge wäre der ewigen Freude und teilhaftig der ewigen Sonne. Denn über aller Schöpfung Gottes steht das grosse Wort: Geben ist seliger als Nehmen. Ob er gleich wusste, wie karg unser Lob, wie arm unser Dienst ihm begegne, hat er sich’s nicht verdriessen lassen zu geben. Wenn du jetzt, ehe der Herbst sein letztes Gewand abstreift, noch einmal durch die Fluren geht, rührt es da nicht deine Seele, wie viel Gräslein und Halme, Blätter und letzte Blüten sich rüsten, um zu danken? Kein Menschenauge kennt sie, in tiefer Waldeinsamkeit, wo kein Menschenfuss hinrührt, blüht dort an der Halde ein einsames Pflänzlein. Wer kennt es? Wer achtet sein? Aber es blüht, um zu danken. Weil es Sonnenschein empfing, gibt es Blüten zurück; weil es Liebe erfuhr, dankt es in Liebe. Ich meine, wenn der Mensch fromm werden will, muss er immer wieder in dies wunderbare Leben der Gegengabe hineinsehen draussen in der Natur. Wir Menschen in unsern besten Stunden, in unsern reinsten Gedanken müssen immer die Angst haben, dass in unsern Dank sich selbstsüchtige, eitle, verkehrte Gedanken hineinmengen. Da lernen wir es an der Blume, wie sie dankt nur dafür, dass sie blühen und welken darf.

Also hat er einen Anfang gemacht, einen Anfang, von dem er nicht mehr zurückkonnte, nicht mehr zurück wollte, damit Myriaden von Geschöpfen sich in ihm freuen, damit seine Seligkeit nicht im Empfang ihres Dankens und Dienstes, sondern in der Gabe seiner Gnade und Kraft sich mehre. Dass er dich schuf, dich, der du ihm tausend Aufgaben stellst, viele Rätsel aufgibst, vielmals ihm entweichst, das ist nicht Allmacht, nicht Weisheit, das ist vor allem nicht Selbstsucht, sondern das ist Liebe.

Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkest? (Ps. 85) Wenn wir klug sind, räumen wir uns alles Schwere aus dem Weg, suchen es wenigstens nicht. Und er macht einen Anfang mit all den Dingen, die ihm schwer sind. Was liegt in einem einzigen Menschenleben für ein Kapital göttlicher Kraft, für ein Reichtum göttlicher Gnaden begraben, das keine Zinsen trägt! Es ist niemand unter uns, der nicht jetzt in dieser Stunde viel reicher sein könnte, als er ist, wenn er nur Gottes Gaben recht empfangen und benutzt hätte. Ich höre dich reden von deiner pflichtlosen Lebensform, von deiner aufgabenarmen Lebenszeit, während dir der Herr einen Pflichtenkreis schuf, so gross und reich, und Aufgaben stellte, kaum zu übersehen. Aber die Aufgaben, die er dir stellt, die magst du nicht, und die Pflichten, die er dir bereitet, die kennst du nicht. Du suchst dir andere, eigene, die er nicht gab. Was ist ein einzelner Mensch? Eine Summe von Gottesgedanken, die dann verkümmern, eine Summe von Anlagen, deren die wenigsten zur Ausführung kommen. Wir werden einmal erschrecken, was wir hätten sein können, sein sollen, und was wir wirklich geworden sind.

Am Anfang! Das ist ein Geheimnis, über das der moderne Naturforscher lächelt; denn er spricht: es gibt keinen Anfang, weil es kein Ende gibt. Und ihr hört, es sei eine Torheit an einen persönlichen, vor allen Dingen an einen lebendigen und allweisen Schöpfer zu glauben. Man sagt euch, es sei auf dem Weg der elementaren Entwicklung aus einer Urzelle, aus einem Etwas, eines um das andere herausgekommen und es habe sich dann immer Vollkommeneres daraus entwickelt und so sei nach Tausenden von Jahren der Mensch geworden. Angenommen es wäre so, so sind uns doch zwei Fragen so rätselvoll: Woher kam die Urzelle, dieses erste Etwas, und woher kam der Trieb der Entwicklung? Woher kam Stoff und Kraft? Man sagt: Aus diesem Uretwas haben sich durch eine ganz bestimmte Kraft, die Kraft der Anpassung, durch die Kraft der Ausgestaltung und Entwicklung immer wieder höhere Geschöpfe entwickelt. Wer gab aber den Stoff und die Kraft? Man spricht wohl jetzt von einer Ewigkeit des Stoffs. Ja, warum spricht man dann nicht lieber gleich von der Person, von dem ewigen Gott? Das ist doch weit schwerer zu glauben, dass Stoff zum Uretwas, nenne es, wie du willst, von Ewigkeit war ohne irgendeinen Urheber, als wenn wir sagen und glauben: am Anfang schuf Gott. Es ist nicht an dem, dass man ein Geheimnis der Offenbarung mit einem Rätsel der Hypothese erklärt, sondern das Geheimnis der Offenbarung wird entweder geglaubt oder verworfen; ein Drittes gibt es nicht. Wenn du also – es ist jetzt vierzig Jahre her, dass unsere gebildete Welt ganz entzückt war von dem Gedanken, der Mensch habe sich allmählich aus dem Tier entwickelt – dieser Entwicklung irgendwie traust, dann sei dir das unverwehrt; aber dann sage mir: wer gab Freude und Kraft zur Entwicklung? Indem die Naturwissenschaft Geheimnisse leugnet, wirft sie eine Menge neuer Rätsel auf. Und man kann über die Christen denken, wie man will, besser ist es der Offenbarung zu trauen als den Meinungen zu glauben. Jener grosse Naturforscher Virkow, der freilich fern vom christlichen Glauben stand, hat gleichwohl zugestehen müssen, dass das Bindeglied zwischen Tier und Mensch noch nicht gefunden sei und wahrscheinlich auch nicht gefunden werde. Wir glauben das auch. –

Ich glaube, dass Gott am Anfang schuf. Das Wort: Am Anfang, so klein es ist, schliesst eine Menge von Geheimnissen ein. Vielleicht wird es dir ein wenig näher kommen, wenn ich sage: Gott schuf die Welt nicht in der Zeit, sondern mit der Zeit. In dem Augenblick, in dem sein allmächtiges „Werde“ erscholl, trat die Zeit ein. Ob nun diese Zeit Tausende von Jahren währte, wie die Naturwissenschaft lehrt, oder ob es Tage und Stunden waren, das weiss ich nicht und das macht auch meinen Glauben nicht irre. Der eine Mensch erreicht auch in einer Stunde mehr als der andere in Tagen und ein anderer in einem Tage mehr als jener in Jahren. Die noch nicht vollendeten zwei Kriegsjahre sind in unserem Leben wohl mehr als sonst vielleicht vierzig. Gott kann in einem einzigen Tag eine Menge von Eindrücken, eine Fülle von Erlebnissen hineindrängen und dann wieder Jahre vorübergehen lassen ohne merkbare Einschnitte. Ihr glaubt doch alle, dass die Zeit nebst ihrem Inhalt den Papuas in der Südsee anders verläuft als dem Europäer. Es ist dieselbe Zeit, aber sie ist anders, mein Christ, je nachdem du sie gestaltest. Für einen Menschen, der keine Pflicht kennt, ist jeder Tag leer gekommen und leer gegangen, für den andern aber wird die Zeit eine Summe von Kraft und Pflicht. Frag dich selbst: Wie gehen deine Tage dahin?

Das gilt’s zu erwägen bei der Frage, ob Gott den Anfang in Minuten oder Jahrtausenden zurückgelegt hat. Wenn mir jemand sagt, die Steinkohle brauche Tausende von Jahren, sich zu bilden, und die Erde stehe Millionen von Jahren, so wird das meinen Glauben nicht weiter alternieren. Wem es ein besonders tröstlicher Gedanke ist, dass unsre Erde schon Millionen Jahre alt ist, der mag sich weiterhin daran erquicken. Die Hl. Schrift sagt nur: es ward aus Abend und Morgen der erste Tag (1. Mos. 1, 5). Wie lange Abend und Morgen dauerte, sagt die Schrift nicht, die Göttliches in menschlichen Bildern darbietet.

Und nun das zweite Wort des Geheimnisses: Am Anfang schuf. Wir armen Menschen schaffen nicht, sondern wir verfertigen. Wir brauchen ein Vorbild, brauchen einen Stoff, allerlei Werkzeuge, wir erholen uns Rat, wir sehen auf das Vorhergehende und so wird ein mühselig armes Gebilde. Wir atmen unwillkürlich auf, wenn wir einen Menschen mit schöpferischen Ideen sehen. Vom Künstler sprechen wir, dass er schafft, nicht aber vom Handwerker. Es ist uns etwas besonders Grosses, wenn in eines Menschen Sinn und Geist eine Welt sich auftut, er schafft neue Ideen, fasst ursprüngliche Gedanken, er hat schöpferischen Geist und wenn diese Gedanken allmählich Gestalt gewinnen, bewundern wir ihn.

Dem göttlichen Schöpfer stand nichts zur Verfügung als sein Wille und nichts führte seine Gedanken aus als sein Wort. Vor seinem heiligen Auge stand die Welt in der Idee fertig da und durch sein allmächtiges Wort trat die Welt in die Erscheinung. Wie ein Künstler das ganze Tonwerk, das er dann in Melodien ausquellen lässt, vorher seinem geistigen Ohr vorträgt, bis es Gestalt gewinnt; wie ein Maler einen grossen Gedanken in allen Einzelheiten in sich schon fertig hat um ihn dann in Erscheinung treten zu lassen, so hat Gott Welt, Weltgeschichte, Weltwesen bis ins Einzelnste vor sich gesehen: jede feinste Zeichnung eines Blattes, jede wunderbare Färbung des armen Schmetterlings, jede majestätische Gestaltung der Alpenwelt und alle Geheimnisse der Meerestiefe und all die Wunderbarkeit des menschlichen Leibes. Und was er so in seiner Gedankenwelt bewegte, hat er durch sein Wort werden lassen. Das heisst: er schuf. Und wenn wir als Kinder gelernt haben, er hat alles aus nichts gemacht, dann sagt uns der Verstand, dieses Nichts ist kein Stoff, sondern dieses Nichts schliesst jeden Stoff aus. Er hat alle seine Gedanken in Worte gekleidet und die Dinge dann hervortreten lassen durch sein allmächtiges: Werde! dass wir anbetend bekennen: Siehe, es ist sehr gut! (1. Mos. 1, 31) Denn er hat eine Welt geschaffen, in welcher die Verkümmerung und die Verkürzung und die Karikatur keine Stätte hatte, eine Welt, in der lauter reine und gute und vollkommene Gabe war. Dass in diese Welt ein anderer die Karikatur und die Kraft des Spottes und der Verneinung und Zerstörung hineinschuf, darüber klagen wir, bis uns das Herze bricht.

So treten wir Gott näher, indem jeder unter uns sagt: auch ich in meiner Armut und Abhängigkeit, Enge und Kürze meines Lebens, auch ich bin ein Gedanke Gottes, der, in der Ewigkeit gefasst, in die Zeit trat. Wenn ich glauben müsste, dass Gott nicht von Ewigkeit her sich mit mir beschäftigt hätte, könnte ich auch nie glauben, dass er sich einmal in der Ewigkeit mit mir beschäftigen wird. Dann begreife ich, dass es mit dem Leben vorüber ist: Manche meinen ja, weil sie vor ihrer Erdenwallfahrt keine Zeit gehabt haben, werden sie auch nach ihr keine Zeit ihr Eigen nennen. Ganz folgerichtig sagen sie: Die eine Welle hat mich auf die Erde geworfen, die andere trägt mich von der Erde weg. Es gab eine Zeit, wo ich nicht war, also muss es auch eine Zeit geben, wo ich nicht mehr sein werde. Da hört natürlich die Furcht Gottes und die Angst vor Gott und die Freude auf Gott und das Heimweh auf, und der Mensch lebt von und für und in der Stunde und eine letzte Stunde entführt ihn und dann ist’s vorüber. So manche, die darum sorgen, dass ihr Leib nur möglichst rasch wieder in seine Atome aufgelöst und in Asche verwandelt wird, tun das, weil die Spuren ihres Lebens möglichst rasch verschwinden sollen. Wir aber freuen uns dessen, dass der Schöpfer sich mit unserem Leben beschäftigt hat und mit ihm späterhin sich beschäftigen wird, und legen unseres Lebens Dank in das Bekenntnis: Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer!

Nur eine Frage noch, die uns innig berührt! Wir wissen, wie ein Menschenleben äusserlich entsteht. Wir wissen, dass wir ein gut Teil dessen, was wir an uns tragen, als Erbe von Mutter und Vater bekamen. Wie steht es aber um das Geheimnis meiner Seele? Wann und wie ist meine Seele entstanden? Merke, dass die Seele ein ganz bestimmter Gottesgedanke ist, der sich dem Leibe mitteilt, eine ganz eigenartige Gottesmacht. Woher kommt es sonst, dass fromme Eltern gottlose Kinder oder auch gottlose Eltern fromme Kinder manchmal haben? Woher kommt es sonst, dass hochbegabte Eltern manchmal beschränkte Kinder oder beschränkte Eltern hochbegabte Kinder haben? Woher kommt es, dass aus überaus harmonischen Ehen Kinder mit den wildesten Leidenschaften und wirrsten Gedankenbildern hervorgehen? Das ist die eigentümliche Geschichte der Menschenseele. Wir sind fern von jener Schwärmerei, die jetzt hauptsächlich durch unsere Frauenwelt geht, als ob die Seele schon in einem andern Körper gewohnt hätte, und als ob sie einmal wieder in einen anderen Körper kommen werde. Der Wahn der Seelenwanderung hat in neuerer Zeit auch bei uns seine Gläubigen gefunden. Hochtönende Worte und doch so gedankenarm!

Nein, mein Christ, der Mensch ist nur für seine Seele verantwortlich. Er hat nur an seine Seele Anspruch und Anrecht. Er hat nur an seiner Seele Schuld und Kraft, und alles andere ist Träumerei; Träumerei, die es nicht ernst mit dem Worte nimmt: Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat, ein Einzelwesen sonderlicher Art.

Klingt es vermessen, wenn ich sage: ein solcher Mensch, wie du oder ich, kommt nimmer auf die Erde? Klingt es töricht, wenn ich durch die Blödenhäuser gehe, in denen so mächtiges Elend gehäuft ist, und sage: solch ein Mensch kommt nimmer auf die Erde? Nein, das ist nicht hochmütig und nicht vermessen und nicht töricht, sondern ein furchtbar ernster Gedanke: Wenn ich nun, der ich nur einmal über die Erde gehe und nimmer komme, nicht das ausrichte, wozu mich Gott gesandt hat, dann habe ich mein Leben verloren.

Das ist der Ernst des Daseins. Das möchte man all den Leuten sagen, die ihr Leben als Genuss nehmen und, wenn der Genuss aufhört, ihr Leben verfluchen: dein Leben ist nicht eine Summe von Freuden, sondern dein Leben ist eine Kette von Pflichten. Das gibt auch dem Menschen eine ganz andere Kraft. Ich habe mit keinem Menschen mehr Bedauern als mit dem, der sagt: wenn ich frühe nicht von meinem Lager aufstünde, wäre es ebenso. Nein, es ist nicht ebenso. Wer da weiss, dass er ein ganz besonderes, einzig- und eigenartiges Wesen, ein noch nie dagewesener und nie zweimal geschaffener Gedanke Gotte ist, der weiss auch, dass er eine grosse Menge von Pflichten hat, die, wenn er sie nicht tut, zwar von andern erfüllt werden, ihm aber zur Last und Strafe werden.

Ach, wenn wir diesen einzigen Gedanken mitnehmen wollten, dass Gott mit mir einen Anfang gemacht hat und er darum auch das Recht auf den Ausgang meines Lebens hat. Der Gedanke, dass er dich geschaffen und ganz eigenartig gemacht hat, lasse dich deine Tage zählen und deine Kraft erwägen und deine Pflicht erkennen und mache dich treu!

So glauben wir an den Gott, der keinen unter uns braucht und jeden unter uns will; glauben an den Gott, der durch keinen von uns bereichert wird und durch jeden von uns gepriesen werden will; glauben an den Gott, der jedem Menschen eine bestimmte Aufgabe gestellt hat. Vor jedem steht ein Bild des, das er werden soll. So lang’ er das nicht ist, ist nicht sein Friede voll. O, bitt um Leben noch! Du siehst mit deinen Mängeln, dass du nicht weilen kannst schon unter Gottes Engeln.

Ja, ich glaube, dass du, als du Himmel und Erde schufst, auch mich geschaffen hast, Leib und Seele, Vernunft und alle Sinne mir gabst. Und ich bitte: Lass mich deine Gaben gebrauchen als ein guter Haushalter der mancherlei Gaben und Gnaden (1. Petr. 4, 10) und lass mich hören Freud und Wonne, wenn es Abend wird, weil ich deine Gaben nicht verlor und nicht vergass! Amen!

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