Bengel, Johann Albrecht - An J. Christian Storr.

Bengel, Johann Albrecht - An J. Christian Storr.

10. Mai 1746

Zweierlei Wohlthat widerfährt uns durch das Blut Christi, nämlich: 1) die Befreiung von der Sündenschuld und 2) die Mittheilung der neuen Lebenskräfte, so sich alsdann in guten Werken äußern. Jene wird die Rechtfertigung durch das Blut Christi genannt, und diese erlangt, wer Christi Fleisch isset und sein Blut trinket, Joh. 6. Weil aber das Blut Christi ein Blut der Besprengung ist, so fragt sich, ob dasselbe insofern auf beiderlei jetzt ermeldete oder allein auf die erstere Weise den Gläubigen zu Statten komme. Im A. T. gab es vielerlei Besprengungen, man mag betrachten diejenigen, welche die Besprengung verrichten, oder den Zeug, womit man besprengt, oder die Leute und die Dinge, für welche und an welchen die Besprengung geschah, oder den Zweck der Besprengung, zum Einweihen rc. Im N. T. ist eine Besprengung, die durch Christi Blut geschieht, und weil dieß die einzige N. Test. Besprengung ist, alle levitischen Dinge aber auf Christum zielten, so müssen alle levitische Besprengungen lauter Vorbilder eben dieser Besprengung gewesen sein, wie denn das Blut Christi nicht nur gegen das Blut der Stiere und Böcke, sondern auch gegen die Asche von der Kuh bei dem Sprengwasser in seiner geistlichen Vortrefflichkeit gerühmt wird, Hebr. 9, 13, 14. Es wird gemeldet die Besprengung des Bluts oder das Sprengen desselben, 1. Pet. 1, 2 und wiederum das Blut der Besprengung, Hebr. 12, 24. Es heißt auch, daß wir an den Herzen besprengt und durch die Besprengung befreit seien vom bösen Gewissen, daher wir ein wahrhaftiges Herz in der Völligkeit des Glaubens haben, C. 10, 22. Jesajas weissaget 52, 15. „Also wird er, Christus, des Herrn großer Meister viel Völker besprengen, Könige werden den Mund gegen ihm zuhalten.“ Da wir auf einmal sehen, wer der sei, der besprengt, wer die seien, die besprengt werden, wie dasselbe eine Folge seines Leidens sei, und daß des Glaubens Gehorsam daraus folge, eben wie Petrus den Gehorsam und die Besprengung des Blutes Jesu Christi zusammensetzt. Die levitischen Besprengungen reinigten nicht physisch, sondern moralisch. Denn 1) es ward nicht eben die Hand oder sonst ein gewisser mit Unreinigkeit behafteter Theil des Leibes, und auch nicht der ganze Leib besprengt, sondern es geschah überhaupt eine Besprengung, das Blut oder Sprengwasser mochte hinfallen, wo es wollte. 2) die Besprengung hat eine Aehnlichkeit mit dem Paschablut, 2. Mos. 12, 7, 13, welches nicht an die Leiber, sondern an die Thüren geschüttet ward und doch den Israeliten zu Statten kam. 3) Nach der Besprengung mußte eines erst noch seinen Leib und seine Kleider waschen; folglich hatte Besprengen eine geistliche und das Waschen eine physische Wirkung. Mit diesem Waschen hat eine Analogie im N. T. das Waschen, welches dem reinen Wasser, dem h. Geist, 1. Cor. 6, 11, Hebr. 10, 23 und auch dem Blute Jesu Christi zugeschrieben wird. Er hat uns gewaschen von den Sünden mit seinem Blut, Offb. 1, 5. Sie haben ihre Röcke gewaschen und weiß gemacht im Blut, C. 7, 14. Die Besprengung dagegen hat eine geistliche Kraft, indem dadurch das Verdienst, die Genugthuung und Erlösung Jesu Christi mitgetheilt wird.

Jene Stelle Joh. 6. vom Essen des Fleisches Christi und vom Trinken seines Blutes ist sehr kräftig, doch muß man die Worte nicht zu weit ausdehnen; denn Jesus hat daselbst, wie er zuweilen gegen harte Widersprecher that, eine ganz besondere verblümte Redensart geführt, die er gegen seine Jünger vor und nach nicht führte. In dem Satz: mein Fleisch ist wahrhaftig eine Speise, gehet das Wahrhaftig auf das Wort: ist, die Sache gegen den Widerspruch zu bekräftigen. Im Anfang und im Beschluß des Gesprächs wird das Essen des Fleisches Christi und das Trinken seines Blutes (wie Joh. 3. die neue Geburt) in den Glauben resolvirt. Durch solche Vorstellung wird verhütet, daß man den Glauben nicht zu gering und leicht nehme; und durch die Ausdrücke vom Glauben wird man unterwiesen, wie seine Vorstellungen nicht zu schwer seien. Bei dem allem ist es klar und gewiß, daß durch das Essen des Fleisches Christi und das Trinken seines Blutes oder durch den Glauben 1) die Christen mit Christo innigst vereinigt werden, 2) daß sie solches seinem Fleisch und Blut, als welches sie essen und trinken, zu danken haben, 3) daß das Fleisch und Blut Christi eine kräftige Wirkung in ihnen habe und ihnen ewiges Leben bringe.

Das Alles gehet über die Natur, Und man hat sich gar sehr vor dem süßen Betrug der menschlichen Sinne zu hüten. Wenn z. B. die Freude des Geistes sich in die Seele oder auch in den Leib ergießet, so soll man es nicht dämpfen. Es muß nicht durch das Gefühl zum Glauben kommen, obschon der Glaube oft etwas Empfindliches nach sich zieht, das dennoch weder mit dem Namen der Wärme, noch einer andern physicalischen Qualität zu belegen ist. Was sich ungesucht ereignet, das hat man mit demüthigem Dank anzunehmen, und ohne Gepränge zu bewahren. Doch soll Keiner zum Modell sich Andern aufdringen oder Andere ihm selbst zum Muster nehmen; sonst werden Manche in ein begieriges, eigenmächtiges Treiben gebracht, daß sie meinen, sie müssen eben dergleichen Erfahrungen bei sich selbst erzwingen. Und bei einer solchen Bemühung wird die Natur müde, daß sie sich endlich durch das, was sie selbst ohne ihr Wissen zu wege bringt, auch wohl im Traum beruhiget.

In Summa: das theure Blut Christi wird uns bei dem Besprengen, bei dem Waschen, bei dem Trinken, wegen der persönlichen Vereinigung, auf eine wahrhaftige (reale), doch übernatürliche und also ganz unbegreifliche Weise zugeeignet („applicirt“).

Quelle: Renner, C. E. - Auserlesene geistvolle Briefe der Reformatoren

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