Baur, Gustav Adolph - Kommt, denn es ist Alles bereit!

Baur, Gustav Adolph - Kommt, denn es ist Alles bereit!

Am 2. Sonntag n. Trinitatis.

Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln, Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele; er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Thal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch gegen meine Feinde; du salbest mein Haupt mit Oel und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause meines Gottes immerdar. - Amen.

In dieses liebliche Gebet, welches der heilige Sänger im 23. Psalm mit so innigem und freudigem Gottvertrauen an seinen guten Hirten im Himmel richtet, kann doch mit noch tieferer Freudigkeit ein gläubiges Christenherz einstimmen. Im Glauben an Christum lernen wir erst recht den allmächtigen und heiligen Gott als den guten Hirten kennen, welcher seine freundliche Verheißung uns auf das Herrlichste erfüllt hat (Hesek. 34, 11 ff.): „Ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. Ich will sie auf die beste Weide führen. Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte wieder bringen und das Verwundete verbinden und des Schwachen warten; und was fett und stark ist, will ich behüten und will ihrer pflegen, wie es recht ist.“ Insbesondere hat er sein Wort: „Ich will ihnen einen einigen Hirten erwecken, der soll sie weiden und soll ihr Hirte sein“ in der Sendung seines eingeborenen Sohnes uns herrlich erfüllt. Unser Herr und Heiland nennt sich ja selbst den guten Hirten, und seine Hirtentreue hat er uns dadurch bewährt und besiegelt, daß er sein Leben gelassen hat für seine Schafe. Ja, meine lieben Brüder und Schwestern: was die Evangelien uns in diesem Kirchenjahre wieder verkündet haben von der Ankunft des eingeborenen Sohnes Gottes im Fleisch bis zu der Erweckung des großen Hirten der Schafe von den Todten und bis zu seinem Abschiede von der Erde und zur Sendung seines heiligen Geistes, das ist Alles Ein großer Preis der Hirtentreue unseres Gottes und unseres Erlösers. Es ist uns dadurch die köstlichste Seelenweide bereitet worden, durch welche uns Gutes und Barmherzigkeit zu Theil werden soll unser Leben lang und wir gestärkt werden sollen zum ewigen Lieben. Aber wir dürfen nun auch unsere Herzen der Gnadenfülle nicht verschließen, welche unser Gott nach seiner Weisheit und Liebe so freundlich uns aufgeschlossen hat. Das, meine geliebten Freunde, ist die ernste Mahnung, welche in dieser zweiten Hälfte des Kirchenjahres an uns ergeht. Gleich an ihrem Eingange sind wir durch die Worte, welche der Herr au Nicodemus gerichtet hat, aufgefordert worden, in lebendigem Glauben unseren Erlöser, der ja das wahre Brod des Lebens ist, aufzunehmen, damit wir durch seine heilige und lebendige Gotteskraft wiedergeboren werden zu dem neuen Leben der seligen Gotteskindschaft und zum Bürgerthum seines himmlischen Reiches- Das Evangelium des vorigen Sonntags hat euch dann an dem Beispiele des reichen Mannes gezeigt, wie flüchtig und trügerisch auch die reichsten Güter dieser Erde sind, und wie der arme Lazarus in Wahrheit der reiche Mann gewesen ist, weil er es bei all seiner Armuth verstanden hat, reich zu werden in Gott. Und während euch so die Wahl vorgehalten worden ist zwischen dem flüchtigen Genusse dieses zeitlichen Lebens und zwischen der Seligkeit des ewigen Lebens, so ergeht in unserem heutigen Evangelium an euch die freundliche Einladung unseres Gottes zu dem großen, himmlischen Abendmahle, welches er zu unvergänglichem Genusse allen denen bereitet hat, die seinem Rufe nur mit willigem Herzen folgen. O so laßt uns doch auf die Stimme des guten Hirten hören und aus der Wüste der gottentfremdeten Welt uns sammeln unter seine treue Hut! Laßt uns aufgeben die alten, schlechten Entschuldigungen, womit wir uns weigern, seiner Einladung zu folgen, und unsere Weigerung vor ihm und vor unserem eigenen Gewissen zu beschönigen suchen! Laßt uns darnach trachten, daß, wenn unser irdisches Haus dieser Hütte zerbrochen wird, wir bleiben mögen in dem himmlischen Hause unseres Vaters immerdar, in welchem ja Raum ist für alle seine Kinder! Dazu wolle der gnädige Gott auch heute uns stärken durch sein heiliges Wort.

Lied: 296, 4.

Ja, ich hoffe, deine Gnade
Wird auf dieses Lebens Pfade
Mit erneuter Kraft zu Werken
Meiner Heiligung mich stärken;
Wird mich bessern, leiten, trösten,
Und zum Erbtheil der Erlösten,
Zu des Himmels Seligkeiten
Gründen, stärken, vollbereiten.

Text: Luc. 14, 16-24.
Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein groß Abendmahl, und lud Viele dazu. Und sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls zu sagen den Geladenen: Kommt, denn es ist alles bereit. Und sie fingen an alle nach, einander sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft, und muß hinaus gehen, und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der andere sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft, und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der dritte sprach: Ich habe ein Weib genommen, darum kann ich nicht kommen. Und der Knecht kam. und sagte das seinem Herrn wieder. Da ward der Hausherr zornig, und sprach zu seinem Knechte: Gehe aus bald auf die Straßen und Gassen der Stadt, und führe die Armen, und Krüppel, und Lahmen, und Blinden herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knechte: Gehe aus auf die Landstraßen, und an die Zäune, und nöthige sie. herein zu kommen, auf daß mein Haus voll werde! Ich sage euch aber, daß der Männer keiner, die geladen sind, mein Abendmahl schmecken wird.

Kommt, denn es ist Alles bereit!„ - das ist der freundliche Ruf, welcher aus diesem Gleichnisse unseres Herrn uns entgegenklingt. Auch der Ruf des heutigen Tages stimmt in diesen Ruf mit ein und legt ihn uns besonders eindringlich an das Herz. Wir feiern heute den Tag Johannes des Täufers. In die Gemeinde Christi - denn auch in der Gemeinde der Gläubigen darf ja die ernste Bußpredigt niemals verstummen - auch in die Gemeinde Christi ruft heute die Stimme des gewaltigen Predigers in der Wüste wieder hinein: „Thut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Bereitet dem Herrn den Weg und machet richtig seine Steige!“ Wenn Jesus selbst uns sagt, daß Alles zu unserem Heile bereit sei; so mahnt uns sein großer Vorläufer, daß nun auch wir uns bereit machen, die Wege zwischen uns und zwischen unserem Gott und unserem Erlöser ebenen, damit er zu uns komme und wir zu ihm und wir mit ihm das große Abendmahl feiern. Wohlan, Geliebte, laßt uns dem freundlichen Rufe unseres Herrn- Kommt, denn es ist Alles bereit! unsere Ohren und Herzen aufschließen. Wir fassen zuerst, zu unserer Ermunterung, die freundliche Einladung selbst ins Auge, dann aber auch zweitens zu unserer Warnung das Verhalten der Eingeladenen.

I.

Zuerst also betrachten wir die freundliche Einladung selbst: .Kommt, denn es ist Alles bereit.„ - Wenn es am Anfange unseres heutigen Textes beißt: .Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl“, so erinnert uns das an das vorige Evangelium von dem reichen Mann und dem armen Lazarus, wo uns im Anfange erzählt wird, wie dieser reiche Mann sich kleidete mit Purpur und köstlicher Leinwand, alle Tage herrlich und in Freuden lebte, und wie auch er ein köstliches Mahl bereitet hatte, bei welchem er mit den Genossen seiner Lust seines Lebens sich freute. Aber neben dieser äußerlichen Ähnlichkeit in den Anfängen dieser beiden Evangelien besteht in Wahrheit der tiefste Unterschied. Denn jener reiche Mann war doch nur ein schwacher, sterblicher Mensch und, was schlimmer ist, er war ein Mensch, der tief versunken war in die Knechtschaft der bösen Lust und der Sünde. Und darum erfüllte sich bald an ihm das Wort (1. Macc. 1, 62 ff.), daß die Herrlichkeit eines solchen Menschen Koth und Würmer werden muß: daß er heute empor schwebet, aber morgen darnieder liegt und nichts mehr ist, da er wieder zu Erde geworden ist und sein Vornehmen zunichte geworden. Er vollendete den schrecklichen Todesgang der Sünde, welchen Jacobus in den herzerschütternden Worten beschreibt (1, 15): „Die Lust, wenn sie empfangen hat, gebieret sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebieret sie den Tod.“ Unter dem Menschen aber, von welchem es in unserem heutigen Texte heißt, daß er ein großes Abendmahl gemacht habe, wird uns der lebendige Gott selbst dargestellt. Und der allein ist ja der wahrhaft Reiche. Sein wird nicht von Menschenhänden gepflegt, als der Jemandes bedürfte, da er selbst Jedermann Leben und Odem gibt (Apostelg. 17. 25). In ihm wohnt aller Güter Fülle; denn er kann schaffen, was er will; und so er spricht, so geschieht's, so er gebeut, so steht's da (Ps. 115, 3, 33. 9). Statt des vergänglichen Purpurs schmückt ihn das Herrschergewand seiner Allmacht, durch welche er der allein gewaltige ist, der König aller Könige und der Herr aller Herren (1. Tim. 6, 15). Und statt köstlicher Leinwand ist das unveränderliche Licht seiner Wahrheit und Heiligkeit das Kleid unvergänglicher Herrlichkeit, welches er anhat. Er lebt in Wahrheit alle Tage und von Ewigkeit zu Ewigkeit herrlich und in Freuden; denn im Bewußtsein seiner unendlichen Vollkommenheit besitzt er Seligkeit und volles Genüge. Das Mahl aber, welches der ewig reiche, allmächtige, heilige und selige Gott bereitet, besteht nicht in den vergänglichen Gütern und Genüssen dieser Erde; sondern seine ewige Wahrheit bietet er uns dar, damit sie unseren Verstand erleuchte und das unter der äußeren Erscheinung sich bergende wahre Wesen der Dinge uns aufschließe, seine ewige Liebe, damit sie unser Herz frei mache von den Banden der Selbstsucht, welche uns an den Dienst des vergänglichen Wesens fesselt, und uns in lebendige Verbindung bringe mit Gott, welcher ja die Liebe selber ist, und die Seligkeit des ewigen Lebens bietet er uns an, damit wir durch sie und durch die Hoffnung auf ihren immer vollkommeneren Besitz alle Noth dieser Zeit überwinden. - Ja, Geliebte, das Alles bietet der liebreiche Gott uns an in dem großen Abendmahle, welches er bereitet hat. Denn während der reiche Mann in dem vorigen Evangelium den armen, hungernden und kranken Lazarus vor seiner Thür liegen ließ, und ihm höchstens die Brosamen gönnte, welche von seinem reichbesetzten Tische fielen, heißt es in unserem heutigen Texte von dem Abendmahle des großen Gottes: „Und er lud viele dazu.“ Unser Gott will ja seine Vollkommenheit, seine Allmacht, Heiligkeit und Seligkeit, nicht, wie einen Raub, bloß für sich selbst genießen. Er ist ja die Liebe selber und seine wesentliche Liebe treibt ihn, sein Wesen mitzutheilen. Darum hat er den Menschen zu seinem Bilde geschaffen, damit er Theil erhalte an der göttlichen Allmacht und er über die übrigen Geschöpfe die Herrschaft übe, damit er vor seinem Schöpfer, nach dem Gesetze seines heiligen Willens, in Heiligkeit und Gerechtigkeit wandle, und damit er in Gemeinschaft mit ihm der Seligkeit des ewigen Lebens sich freue. Der Mensch hat durch den Betrug der Sünde aus dieser seligen Gemeinschaft sich herauslocken und das göttliche Ebenbild in sich zerstören lassen. Aber der gnädige Gott hat darum nicht aufgehört, uns einzuladen, daß wir doch wieder zu ihm zurückkehren möchten. Er hat die Stimme in unserem Gewissen niemals ganz verstummen lassen, welche uns sagt, daß wir wahre Sättigung doch nicht finden können bei den elenden Träbern, welche die vergängliche Welt uns darreicht, sondern nur bei den unvergänglichen Genüssen des Mahles, welches er uns bereitet hat. Und, so sagt uns unser Text weiter, da die Stunde des Abendmahles gekommen war, da sandte er seinen Knecht aus, zu sagen den Geladenen: Kommt, denn es ist Alles bereit! Wen haben wir unter diesem Knechte zu verstehen? Nun, Geliebte, das brauche ich euch ja wohl nicht zu sagen; sondern ihr kennt ihn alle, den treuen, lieben Knecht Gottes, von welchem Gott schon durch den Mund des Propheten hat verkündigen lassen (Jes. 42. 1 ff,): „Siehe, das ist mein Knecht, ich erhalte ihn, und mein Auserwählter, an welchem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben, er wird das Recht unter die Heiden bringen. Er wird nicht schreien, noch rufen, und man wird seine Stimme nicht hören auf den Gassen. Das zerstoßene Rohr wird er nicht zerbrechen und das glimmende Docht wird er nicht auslöschen, er wird das Recht wahrhaftiglich lehren, und die Inseln werden auf sein Gesetz warten.“ Wir wissen alle, daß der gnädige Gott seinen eingeborenen Sohn hat Knechtsgestalt annehmen und unter uns wandeln lassen, damit er uns einlade, die Wüste dieser Welt zu verlassen und in dem Vaterhause des Mahles uns zu freuen, welches Gott nach seiner nicken Gnade der hungernden und dürstenden Seele bereitet hat. Und nicht mit Worten allein hat dieser treue Knecht Gottes seine Einladung an uns ergehen lassen: „Kommet her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken!“ Sondern durch sein gesamtes Leben und Leiden, durch seinen Tod und seine Auferstehung, durch seine Erhöhung zur Rechten seines Vaters und durch die Sendung seines heiligen Geistes - durch dieses Alles hat er uns bezeugt, ja durch dieses Alles hat er selbst erst bewirkt, daß zu unserem Heile nun in der That Alles bereit ist. Sein Opfertod offenbart uns erst die ganze Fülle der göttlichen Liebe, welche nicht will, daß Eines von uns verloren gehe. Seine Auferstehung verbürgt uns den Beistand der göttlichen Allmacht, welche der Hölle ihren Sieg genommen hat. Und sein heiliger Geist soll uns das Unterpfand des neuen Lebens werden, welches in der Gemeinschaft mit Gott uns aufgeht, und in dessen Seligkeit wir unter der Leitung und durch die Kraft seines Geistes immer tiefer hineinwachsen sollen. Ja, Geliebte, in seinem Sohne hat Gott erst Alles vollendet, was er zur Sättigung unserer Seele mit den Gütern und Kräften des ewigen Lebens nur thun kann. Mit seinem Sohne war erst die Stunde des großen Abendmahles gekommen, nach welcher die heiligen Männer Gottes im alten Bunde sich gesehnt hatten. Und m dem Munde dieses wahren Knechtes Gottes gewinnt die freundliche Ladung: „Kommt, es ist Alles bereit!“ erst ihre volle Bedeutung. - Und unser Gott wird in seiner Freundlichkeit und großen Barmherzigkeit nicht müde, seinen verirrten Kindern diese Einladung zuzurufen: von denen, welche sich gar reich und satt und gesund dünken, wendet er sich zu den Armen und Krüppeln und Lahmen und Blinden, und zu denen, die draußen auf den Landstraßen und an den Zäunen herumirren und herumliegen. Als in seinem auserwählten Volke diejenigen, welche vor andern mit dem geistigen Gute der Erkenntniß seines Gesetzes und mit zeitlichen Gütern ausgerüstet waren, den Gnadenrath Gottes gegen sie selbst verachteten, da setzte sich sein Sohn mit Zöllnern und Sündern zu Tische und klopfte mit seiner Einladung an die Thür ihrer Herzen an, ob er sie wohl bewegen könne, in aufrichtiger Buße und herzlichem Glauben ihm zu dem großen Abendmahle im Vaterhause zu folgen. Sein von Israel verschmähtes Evangelium ließ er durch seine Apostel hinaustragen zu den Heiden, damit er sie ans der Irre sammle um den Einen wahren und lebendigen Gott. Der reiche Mann im Evangelium läßt den armen Lazarus vor seiner Thür liegen, und seine Hunde, die dem Armen seine Wunden belecken, zeigen sich barmherziger, als ihr Herr, der es so schlecht versteht, die unverdiente Barmherzigkeit, welche Gott an ihm gethan hat, auch sich eine Mahnung zur Barmherzigkeit werden zu lasse . Aber dem reichen Herrn im Himmel ist keiner zu gering, als daß er ihm nicht sein Haus öffnen und einen Platz bei seinem Mahle gönnen sollte. Du kannst nicht so arm sein, liebe Seele, daß er dir nicht gerne den unvergänglichen Reichthum seiner Gnade zuwendete. Du kannst nicht so niedrig sein, daß er dich nicht gerne in den herrlichen Stand der Gotteskindschaft erhöhete. Du kannst nicht so niedergedrückt sein durch Noth und Leid, daß er sich nicht gerne zu dir herabließe, um deine Last dir tragen zu helfen. Du kannst nicht so von Sünden befleckt sein, daß er nicht, wenn du dir nur deine Sünde herzlich leid sein lässest und mit herzlichem Verlangen seine Gnade suchest, auch an dir seine Verheißung erfüllte (Jes. 1, 18): .Wenn eure Sünde gleich blutroth ist, soll sie doch schneeweiß werden!„ Er hört nicht auf, uns zu nöthigen, zu ihm herein zu kommen. In freundlich mahnenden und in ernst strafenden Worten, in unverdientem Segen und in läuterndem Leid, das er uns sendet, lockt er uns zu sich mit Reizen der Liebe. Es kommt ihm nur darauf an, daß sein Haus voll werde. Und wenn du nur dem ungöttlichen Weltleben entschieden den Rücken zukehrst und in herzlicher Sehnsucht deine wahre Heimath suchest; wenn du deinem Gott dich nahest mit dem Bekenntnisse des verlorenen Sohnes (Luc. 11, 21): „Vater, ich habe gesündigt in den Himmel und vor dir; ich bin fort nicht mehr werth, daß ich dein Sohn heiße“: dann empfängt auch dich der freundliche Willkomm: „Dieser mein Sohn war todt und ist wieder lebendig geworden;, er war verloren und ist gefunden worden! Komm, o komme nur, denn es ist Alles bereit.“

=====II.=====.

Denn kommen müssen wir ja freilich, meine geliebten Freunde, sonst kann die freundliche Einladung unseres Gottes uns nichts helfen. Und das weist uns von der Lichtseite des Bildes, welches unser Gleichniß uns darstellt, von der freundlichen Einladung selbst, auf dessen Schattenseite hin, auf das Verhalten der Eingeladenen. - Bevor wir jedoch zur näheren Betrachtung dieses Verhaltens im Einzelnen übergehen, wie es in unserem Gleichnisse uns dargestellt wird, laßt uns einen Augenblick bei der wichtigen Wahrheit verweilen, daß es bei dem christlichen Glauben eben um ein Kommen sich handelt, also um eine bestimmte Thätigkeit und nicht um ein bloßes Erkennen. Es ist leider ein eben so weit verbreiteter als verderblicher Irrthum, daß der Glaube, welchen das Christenthum fordert, in nichts Anderem bestehe, als in der Annahme einer Anzahl von bestimmten Lehrsätzen. Nach zwei Seiten hin übt dieser Irrthum seinen verderblichen Einfluß. Die Ungläubigen beschönigen ihre innere Abneigung, die ernsten Forderungen des Christenthums zu erfüllen, indem sie sagen, daß sie jene Lehrsätze einmal nicht fassen und glauben können. Die Gläubigen aber, wenn ihnen diese Lehrsätze das Wichtigste oder das allein Wichtige im Christentum sind, richten ihr ganzes Trachten nur darauf, sie bis ins Einzelste hinein nur immer genauer zu bestimmen, und indem sie darüber selbst die Hauptsache versäumen, nämlich, daß die lebendige Gotteskraft des Christenthums im Leben bewahrt werde, bilden jene ausgespitzten Lehrbestimmungen zugleich für die draußen Stehenden gleichsam einen stachelichten Zaun, durch welchen sie zu dem wahren inneren Wesen und Leben des Christenthums nicht hindurchzudringen vermögen. Laßt uns also daran festhalten, meine Lieben, daß das Christenthum nicht etwa nur eine neue Lehre, sondern daß es ein neues Leben sein will. Ein neues Leben aber kann man sich nicht mit dem bloßen Verstande zu eigen machen; sondern dazu gehört eine That des Willens, vermöge deren man aus dem alten Leben heraus und in das neue hineintritt, und eben diese geistige That, das ist bei dem christlichen Glauben die Hauptsache. Die Wahrheiten, deren Anerkennung er allerdings auch fordert, sind im Grunde sehr einfach. Es ist die Anerkennung der inneren Erfahrung, welche kein Mensch, wenn er aufrichtig sein will, läugnen kann, daß in uns ein Widerspruch stattfindet zwischen dem Gesetze Gottes in unserm Gewissen und zwischen unserem natürlichen Willen, welcher in seiner Selbstsucht jenem Gesetze widerstreitet, und daß wir außer Staude sind, mit unserer natürlichen Kraft aus diesem traurigen Widerspruche uns zu retten. Und es ist ferner die Anerkennung des äußeren Zeugnisses der Geschichte unseres ganzen Geschlechtes, daß Gott uns unserer sündigen Schwachheit nicht überlassen, sondern durch seine Offenbarung uns geleitet und unterstützt, was er im alten Bunde vorbereitet, im neuen vollendet hat, und daß in seinem Sohne, unserem Herrn und Erlöser Jesus Christus, seine Gnade möglich gemacht hat, was unserer natürlichen Kraft unmöglich ist. Diesen Wahrheiten, meine geliebten Freunde, ist jeder einfache Sinn zugänglich; und wenn die Menschen sich dagegen sträuben, so liegt das in den bei weitem häufigsten Fällen nicht in einem Fehler, oder am Ende gar in der zu großen Feinheit und Schärfe ihres Verstandes, sondern es liegt in einem Fehler ihres Willens, dessen Selbstsucht sich aus dem Dienste des vergänglichen Wesens nicht losmachen will, um einzutreten in den Dienst des lebendigen Gottes. Nicht das hindert ihren Glauben, daß sie die einfachen Grundwahrheiten des Christenthums nicht verstehen und nicht fassen können, sondern daß sie nicht folgen wollen der Einladung ihres Gottes: „Kommt, verlaßt den Dienst der Eitelkeit und der Vergänglichkeit und tretet herüber zu mir und erfreuet euch der unvergänglichen Güter, welche meine Gnade euch bereitet hat!“ - So geht es auch offenbar den Geladenen in unserem Texte. Sie erwidern auf die freundliche Einladung nicht etwa: „Wir kennen ja den Einladenden gar nicht, wir wissen nicht, was er bei seinem Mahle uns bieten wird: warum also sollten wir kommen?“ O nein, Geliebte, das Alles wissen sie recht gut. Aber sie wollen nicht kommen, das ist es. Sie wollen nicht kommen, weil ihr Herz an dem Irdischen hängt und weil sie in dessen Dienste ihren Sinn für die unvergänglichen Schätze des Himmels haben verkümmern lassen. Sie wollen nicht kommen, weil ihnen die Sorge für dieses flüchtige leibliche Leben mehr gilt, als die Sorge für das ewige Heil ihrer unsterbliche Seele. Der Erste sprach: Ich habe einen Acker gekauft und muß hinausgehen, ihn zu besehen. Und der Andere sprach: Ich habe ein Joch Ochsen gekauft, und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen. Und der Dritte sprach: Ich habe ein Weib genommen, darum kann ich nicht kommen. Aber das Alles sind ja offenbar leere Entschuldigungen, mit welchen sie nur ihren bösen Willen und ihren fleischlichen Sinn beschönigen wollen. Denn es ist ja nichts Anderes, als eine thörichte oder verläumderische Rede, wenn wir der freundlichen Einladung unseres Gottes folgen, uns im Besitz der unvergänglichen Güter des Himmels zu setzen, welche er uns darbietet, so müßte darunter unsere irdische Wohlfahrt und unser irdischer Beruf Noth leiden. Würde es jenem Ersten, welchem der Acker, den er sich gekauft hatte, so viele Sorge machte, geschadet haben, wenn er zugleich sein eignes Herz dem Samen des göttlichen Wortes als einen empfänglichen Boden dargeboten hätte, um einst bestehen zu können an jenem großen Tage der Erndte? Würde es dem zweiten, der sich ein Joch Ochsen gekauft hatte, geschadet haben, wenn er zugleich bedacht hätte, daß was den Menschen zum Herrn der Schöpfung macht, eben dieses ist, daß er mehr ist, als ein unvernünftiges Thier, daß Geist vom Geiste des lebendigen Gottes in ihm wohnt, u d daß er vor Allem darnach trachten soll, diesen zu bewahren zum ewigen Leben? Und würde es dem Dritten, welcher ein Weib genommen hatte, geschadet haben, wenn er bei Gründung seines neuen Hausstandes des Wortes sich erinnert hätte (Ps. 127, 1): „Wo der Herr das Haus nicht bauet, da arbeiten umsonst, die daran bauen?“ Gewiß, meine lieben Freunde, es hätte ihnen Allen nichts geschadet, und auch uns wird es nicht schaden, wird uns vielmehr nütze sein zu unserer Seelen Seligkeit, wenn uns die Einladung unseres Gottes allen anderen Ansprüchen, die an uns gemacht werden können, immer vorgeht, wenn die erste Regel unseres Lebens das Wort unseres Herrn ist: „Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches Alles zufallen.“ - So viel über die Männer, welche die freundliche Einladung Gottes schnöde von sich gewiesen haben, und welche darum sein Abendmahl nicht geschmeckt haben. Wie der reiche Mann im vorigen Evangelium, haben sie vorgezogen, ihr Gutes zu empfangen in diesem Leben, und haben für flüchtige Freuden ewige Pein sich eingetauscht. Aber wir müssen nun zum Schlusse auch auf die noch sehen, welche die Einladung angenommen und Zutritt erhalten haben zu dem großen Abendmahl.

Was sind denn das für Gäste? Unser Text sagt es uns: Arme und Krüppel, Lahme und Blinde, und die ans den Landstraßen und an den Zäunen leben. Wie es scheint, eine traurige Gesellschaft! Aber es hilft nichts, Geliebte: unser stolzes Herz muß sich doch bequemen, zu ihnen zu treten, wenn wir das Abendmahl schmecken wollen, welches Gottes Gnade uns bereitet hat. Wir müssen uns arm fühlen, wenn er uns aushelfen soll mit seinem unerschöpflichen Reichthum. Wir müssen uns schwach und krank fühlen, wenn er uns stärken und heilen soll mit seiner ewigen Gotteskraft. Wir müssen uns blind fühlen, wenn er uns erleuchten soll mit dem Lichte seiner ewigen Wahrheit. Wir müssen uns nackt und bloß fühlen, wenn er uns bekleiden soll mit dem Ehrenkleide rechtschaffener Gerechtigkeit. Wir müssen uns hier als Gäste und Fremdlinge fühlen, wenn er die Thore unserer himmlischen Heimath uns aufschließen soll. O daß doch dieses heilige Heimweh nach dem lieben, theuren Vaterhause unser aller Herzen erfüllte! Daß doch unsere Seelen hungerten und dürsteten nach dem Brode und Wasser des ewigen Lebens, damit die freundliche Einladung unseres Gottes: „Kommt, denn es ist Alles bereit!,, nicht vergeblich an uns ergehe; sondern wir in diesem Leben schon schmecken die Kräfte und die Freuden der unsichtbaren Welt, und einst von der Hand des wahren Knechtes Gottes, unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, aus diesem Lande unserer Pilgrimschaft hinaufgeführt werden zu dem großen, himmlischen Abendmahl! - Amen.

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