Baur, Gustav Adolph - Ohne herzlichen Dank Kein rechter Segen.

Baur, Gustav Adolph - Ohne herzlichen Dank Kein rechter Segen.

Am 14. Sonntage nach Trinitatis.

Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist seinen heiligen Namen! Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat! - Amen.

Die Blätter fallen wieder von den Bäumen herab und mahnen uns, daß die Tage des Herbstes schon wieder nahe sind. Und wir dürfen ja, meine lieben Freunde, aus diesen herbstlichen Tagen auf einen gar lieblichen Frühling und Sommer zurückschauen, in welchem der gütige Vater im Himmel seine liebe Sonne uns so freundlich hat scheinen lassen, wie wir es kaum jemals erlebt haben. Manchem Müden haben diese freundlichen Tage Erholung, manchem Kranken haben sie Stärkung und Genesung gebracht; und wenn es manchmal hat scheinen wollen, als ob durch die glühende Sommerhitze der Erntesegen allzusehr werde gefährdet werden; so hat doch am Ende auch in diesem Jahre der treue Gott sich nicht unbezeugt gelassen, sondern hat uns wieder viel Gutes gethan, hat uns auch in diesem Jahre Regen und fruchtbare Zeiten gegeben und unsere Herzen erfüllt mit Speise und Freude. Für die Seele aber, welche gedrückt ist von dem Verlust oder der Entbehrung zeitlichen Gutes, läßt er ja niemals ausgehn die stärkende Seelenspeise seines lebendigen und kräftigen Wortes.

Ja, Geliebte, die Erde und unser ganzes Leben ist voll der Güte des Herrn. - Aber zu der Wohlthat unseres Gottes muß der Dank des Menschen sich gesellen. Wie steht es in dieser Beziehung mit uns, meine geliebten Freunde? Es sollte ja wahrlich bei uns an diesen Danke nicht fehlen. Denn daß das durch eine Wohlthat erfreute Herz in Dankbarkeit gegen seinen Wohlthäter sich aufschließt, ist so natürlich, daß selbst der natürliche Mensch, welcher von der größten Wohlthat, die Gott in seinen Sohn uns geschenkt hat, noch nichts weiß, die Undankbarkeit als ein besonders unnatürliches Laster ansieht. Ein Volk des vorchristlichen Alterthums, die alten Perser, hat als die drei unnatürlichsten, schlimmsten und den Menschen entwürdigendsten Laster, die Lügenhaftigkeit bezeichnet, die Feigheit und die Undankbarkeit. Und in der That, meine geliebten Freunde, sind diese drei Laster nahe miteinander verwandt. Wie der Lügner dem wahren Sachverhalte nicht die Ehre gibt, wie die Feigheit so zu sagen nichts anders ist, als die Lüge im Handeln, indem der Feige nicht wagt, für das, was doch sein bestes Wissen und Gewissen ihm wirklich sagt, auch äußerlich einzutreten mit aufrichtiger, kräftiger That: so verläugnet auch der Undankbare den, welchem er in Wahrheit sein Glück verdankt, er reißt die Wohlthat gleichsam trügerisch an sich, um sie selbstsüchtig, wie einen Raub, zu genießen, und scheut sich in der Eitelkeit, Trägheit und Selbstsucht seines Herzens, dem die Ehre zu geben, von dem doch die Stimme seines Herzens ihm sagt, daß sie ihm gebührt. Wie der Name eines Lügners oder eines Feiglings, so sollte uns darum auch der Name eines Undankbaren als das schimpflichste Brandmal gelten. O daß wir diesen Namen doch niemals verdienen möchten! Daß es doch immer in unserem Herzen klingen möchte in dem Psalmenton: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat!“ Laßt uns denn auch jetzt dem Geber aller guten Gaben unsere Herzen erschließen in dankbarem Gebet!

Lied: 118. 1.

Auf, Christen, laßt uns unsern Gott
Mit frohem Dank erheben!
Er hat nicht Lust an unserm Tod,
Will, daß wir ewig leben.
Was uns zum Heile nöthig ist,
Das hat er uns durch Jesum Christ
Erbarmungsvoll bereitet.

Text: Luc. 17. 11-19.
Und es begab sich, da er reisete gen Jerusalem, zog er mitten durch Samaria und Galiläa. Und als er in einen Markt kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer, die standen von ferne. Und erhoben ihre Stimme, und sprachen: Jesu, lieber Meister, erbarme dich unser! Und da er sie sahe, sprach er zu ihnen: Gehet hin, und zeiget euch den Priestern. Und es geschah, da sie hingingen. wurden sie rein. Einer aber unter ihnen, da er sahe, daß er gesund geworden war, kehrete er um. und pries Gott mit lauter Stimme. Und fiel auf sein Angesicht zu seinen Füßen, und dankte ihm. Und das war ein Samariter. Jesus aber antwortete, und sprach: Sind ihrer nicht Zehn rein geworden? Wo sind aber die Neune? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder um kehrete, und gebe Gott die Ehre, denn dieser Fremdling? Und er sprach zu ihm: Stehe auf, gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen.

Unser voriger Text hat uns von dem barmherzigen Samariter erzählt; unser heutiger Text lehrt uns nun auch einen dankbaren Samariter kennen. Diesen Samaritern war eben das Herz durch Hochmuth noch nicht so verhärtet, wie es bei vielen Israeliten der Fall war, die sich für die ächten Söhne des auserwählten Volkes hielten. Darum hat jener barmherzige Samariter ein Herz gehabt für die Noth seines bedrängten Bruders und hat Barmherzigkeit an ihm gethan. Und darum hat auch dieser dankbare Samariter ein Herz für die Liebe, welche Barmherzigkeit an ihm gethan und ihn von seiner eigenen Noth befreiet hat. Um dieser seiner Dankbarkeit willen wird ihm denn auch von Jesu ein besonderer Segen verheißen in den Worten: „Stehe auf, gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen!“ Denn so ist es, meine geliebten Freunde: nur das dankbare Herz eignet sich den vollen Segen der Wohlthat an. „Ohne herzlichen Dank kein rechter Segen“ - so könnte als Überschrift über unserem heutigen Texte geschrieben stehn, und so möge denn auch die Überschrift der heutigen Predigt lauten: Ohne herzlichen Dank kein rechter Segen. Laßt uns zuerst auf die sehen, welche nach der Erzählung unseres Textes des Dankes vergessen haben, der dem Herrn gebührte, und dann auf den, welcher ihm mit dankbaren Herzen die Ehre gab, und eben dadurch auch erst den vollen Segen seiner Wohlthat erndtete.

1.

Der Heiland ist auf dem Wege zu seinem letzten, schweren Gange in die heilige Stadt Jerusalem. Und er weiß, was ihm dort bevorstehet. Er weiß, daß dort jetzt Alles muß vollendet werden, das geschrieben ist durch die Propheten von des Menschen Sohn, daß er wird überantwortet werden den Heiden und verspottet und geschmähet und verspeiet werden, und daß sie ihn geisseln und tödten werden. Darum gedenkt er jetzt seines eigenen Wortes (Joh. 9, 4. 5): „Ich muß wirken die Werke deß, der mich gesandt hat, so lange es Tag ist; es kommt die Nacht, da Niemand wirken kann. Dieweil ich bin in der Welt, bin in das Licht der Welt.“ So nimmt er denn von seiner galiläischen Heimath aus seinen Weg mitten durch die volkreichen Orte Samariens und Galiläas, um das Licht seiner helfenden göttlichen Liebe und Macht noch einmal recht leuchten zu lassen vor den beuten. Und es fehlt nicht an Leidtragenden, die seine Hülfe suchen. Da er in einen Marktflecken kommt, begegnen ihm zehn aussätzige Männer, Ach, Geliebte, das waren arme, bejammernswürdige Menschen, Heimgesucht von einer furchtbaren, ekelhaften, Leib und Leben zerstörenden Krankheit, waren sie als arme Auswürflinge ausgestoßen aus der menschlichen Gesellschaft. Die gemeinsame Noth hat sie zusammengeführt, und ihre tiefe Noth hat auch sie beten gelehrt. „Jesu, lieber Meister, rufen sie aus Einem Munde, Jesu, lieber Meister, erbarme dich unser!“ Und der Herr, der ja allen Mühseligen und Beladenen gerne Erquickung reicht, der Herr, in der Liebe seines Vaters im Himmel, der seine Sonne lässet aufgehn über Gerechte und Ungerechte und regnen lässet über Böse und Gute, der freundliche Herr fragt nicht lange nach ihrer Würdigkeit. Es wird ja unter den zehn doch Einer sein, bei welchem die Wohlthat auf den guten Boden eines dankbaren Herzens fällt! Und so theilt er seine Gnadenhülfe mit vollen Händen aus. Da er sie stehet, spricht er zu ihnen: Gehet hin und zeiget euch den Priestern.„ Und es geschah, da sie hingingen, wurden sie rein. Neun aber von den zehn beruhigen sich dabei, daß sie von ihrem schrecklichen Uebel geheilt worden sind. In einer selbstsüchtigen, fleischlichen Freude darüber vergessen sie des Dankes, der dem Herrn gebührt, und es fällt ihnen nicht ein, Gott zu preisen und ihm die Ehre zu geben. Ihr Leib ist durch Gottes Gnade geheilt worden; au ihrer Seele ist sie vergeblich gewesen. - Sehet da, meine Lieben, ein freundliches Bild der Art und Weise, wie der Vater im Himmel die Gaben seiner Huld in reicher Fülle über seine Kinder ausschüttet; aber zugleich auch ein trauriges Bild der Art und Weise, wie die Wohlthaten seiner Vaterliebe - ach, leider von den meisten! - aufgenommen werden. Wie gesagt, Gott lasset seine Sonne scheinen über Gerechte und Ungerechte. Ihnen allen läßt er seine Liebe nicht unbezeugt, sondern thut ihnen viel Gutes, gibt ihnen Regen und fruchtbare Zeiten und erfüllet ihre Herzen mit Speise und Freude. Er schenkt uns Leben und Gesundheit. Er läßt die Kinder wie die Oelzweige heranwachsen um unseren Tisch und gibt uns allen das liebe tägliche Brod. Er führet uns in einen Lebensberuf ein, der unserer Anlage und Neigung entspricht, und leget seinen Segen auf die Arbeit unserer Hände. Aber dringt denn nun auch aus der Fülle solcher Zeugnisse von der Liebe unseres Gottes und solchen Segens überall aus dankbarem Herzen der Lobgesang zu ihm empor:

Wie groß ist des Allmächt'gen Güte!
Ist der ein Mensch, den sie nicht rührt,
Der mit verhärtetem Gemüthe
Den Dank erstickt, der ihr gebührt?
Nein, seine Liebe zu ermessen,
Sei ewig meine größte Pflicht.
Der Herr hat mein noch nie vergessen,
Vergiß, mein Herz, auch seiner nicht!

O, wie selten werden doch solche Lobgesänge laut! Wie wenigen fällt es doch ein, im Genusse seiner reichen Gaben des allgütigen Gebers zu gedenken! Geht es nicht vielmehr bei der großen Mehrzahl gerade wie in der Geschichte von den zehn Aussätzigen? Vergessen nicht neun Zehntel der Menschen, undankbar und gedankenlos, Gott die Ehre zu geben? Freilich, wenn eine tiefe Noth uns bedrängt, wie diese armen Menschen, da empfinden auch wir, wie doch der Mensch ein so gar hinfälliges und arm. seliges Ding ist, da sehnen wir uns und rufen nach der Hülfe von oben: „Herr, lieber Vater im Himmel, erbarme dich unser!“ Aber wenn er dann in seiner großen Barmherzigkeit uns wieder beweist, daß, wo die Noth am größten, seine Hülfe am nächsten ist. wenn er unsern Brüdern Herz und Hand aufschließt, daß sie unserer Noth und unserem Mangel abhelfen: o wie wächst uns doch da gleich wieder das übermüthige Herz, daß es den Dank erstickt, der Gott gebührt! Und wenn dann auch die Wohlthat nicht gerade leichtsinnig gemißbraucht wird, so daß bald die alte Noth wiederkehrt, so kann sie doch dem Undankbaren nimmermehr rechten Segen bringen. Ja, Geliebte, nicht umsonst ruft das Wort Gottes uns die Mahnung zu: „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich!“ Er will uns ja nicht bloß Speise geben, sondern auch Freude; nicht bloß leiblichen, sondern auch geistlichen Segen. Und der wird nur dem Herzen zu Theil, welches durchdrungen ist von dem demüthigen Gefühle unserer eigenen Schwachheit und Hülfsbedürftigkeit und von dem dankbaren Vertrauen auf die Gnadenhülfe unseres Gottes. Einem solchen Herzen bringt das irdische Gut, welches Gottes Güte ihm bescheeret, zugleich das höhere himmlische Gut der stets wachsenden Gemeinschaft mit dem Gott der Allmacht und Gnade mit, in welchem aller Güter Fülle ruhet, und welcher uns dann auch lehret, die Gaben seiner Huld, als seine rechtschaffenen Haushalter, zu unserem und Anderer Heil und Segen zu gebrauchen. - Und wenn wir nun sonach, meine geliebten Freunde, schon auf die irdischen Güter, welche Gott uns schenkt, unseren Satz anwenden müssen: ohne herzlichen Dank auch kein rechter Segen; um wie vielmehr auf die himmlischen Güter, die er uns geschenkt hat in seinem eingeborenen Sohn. Auch die Sonne der Gerechtigkeit, unser Herr und Heiland Jesus Christus, ist über die in Finsterniß und Schatten des Todes liegende Erde aufgegangen, um ihr herrliches Licht leuchten zu lassen über Gerechte und Ungerechte. Wie der Herr die zehn Aussätzigen gereinigt hat ohne Rücksicht auf ihre Würdigkeit und ihren Dank; so ist auch sein Evangelium eine Kraft allgemeiner Reinigung und Lebenserneuerung überall da geworden, wo es auch nur zu äußerer Anerkennung gelangt ist. Im Hause hat es den heiligen Ehestand neu geweiht und verklärt, also daß aus ihm ein Familienleben hat hervorgehen können, wie es außerhalb des Christenthums nirgends sich findet. Im bürgerlichen Leben hat es durch die Lehre, daß der gnädige Gott eine jede Menschenseele, als einen werthen Gegenstand seiner Fürsorge, auf seinem Vaterherzen trage, es mehr und mehr dahin gebracht, daß die Rechte aller Menschen anerkannt worden sind, und daß sie allen, ohne Unterschied des Standes, von dem weltlichen Gerichte mit gleichem Maaße zugewogen werden. Im großen Völkerverkehr hat es durch die Lehre, daß alle Menschen Kinder Eines Vaters sind, die Schranken beseitigt, welche die verschiedenen Völker von einander trennen. Und über das Alles hat es in der christlichen Kirche eine Anstalt gegründet, welche den Menschen kräftig auf seine Bestimmung zum ewigen Leben hinweist und dadurch Zucht und Sitte aufrecht erhält und fördert. Das Alles meine Lieben, sind Vortheile, an welchen das Christenthum auch diejenigen teilnehmen läßt, die seiner Gemeinschaft auch nur äußerlich angehören. Aber wie viele geben denn nun unter denen, welche sich Christen nennen, dem Herrn Jesus Christus wirklich die Ehre? Statt ihm, als dem Urheber aller dieser Segnungen, zu danken, bemühen sie sich vielmehr nachzuweisen, daß diese nur Früchte sind der natürlichen Entwicklung des menschlichen Geistes und der fortschreitenden Bildung, und während sie aus dem Strome sich erquicken, wollen sie von der Quelle nichts wissen, aus welcher er entspringt. Was Wunder, wenn diesen Undankbaren und Gedankenlosen auch der volle Segen des seligmachenden Evangeliums nicht zu Theil wird? Was Wunder, wenn sie aus ihrer eitelen Menschenweisheit, aus ihrer hochmüthigen äußerlichen Selbstgerechtigkeit, aus ihrem traurigen Hin und Herschwanken zwischen Furcht und Hoffnung, zwischen flüchtiger Freude und zwischen Verdruß nicht herauskommen, um aus der rechten Quelle ewige Wahrheit zu schöpfen und die heilige Kraft wahrer Lebenserneuerung und den seligen Frieden Gottes, der höher ist denn alle Vernunft und ohne welchen es doch keine wahre Zufriedenheit gibt? Sehet, meine lieben Freunde, unsere Gotteshäuser die sind uns ja aufgerichtet, damit wir in ihnen das Opfer unseres Dankes unserm Gott und Erlöser darbringen. Aber müssen wir nicht auch hier fragen, wie der Herr in unserem Texte: „Wo sind denn die neune?“ Oder vielmehr: „Wo sind denn die neunundzwanzig?“ müßte in Hamburg die Frage lauten; denn nur Einer unter dreißigen erscheint allsonntäglich im Hause seines Gottes, um ihm zu danken für den Reichthum seiner Gnade. Es müßten ja sonst in dieser volkreichen Stadt die wenigen Kirchen bei jedem Gottesdienst gefüllt sein von den Thüren des Thurmes bis hinauf an die Schwellen des Altars!

II.

Aber dem Herrn sei Dank! Es gibt doch auch noch Solche in seiner Gemeinde, welche den Dank nicht vergessen, der ihm gebührt. Und wenn sie auch nur ein Zehntel oder ein Dreißigstel wären: sie sollen nicht entgelten, was die Andern verschuldet haben; sollen vielmehr das Gebet vernehmen, daß doch der allmächtige und barmherzige Gott hier uns allen seine heilige Nähe bezeugen möge in der Kraft seines heiligen Geistes und unsere Herzen weihen zu einer Stätte aufrichtiger Dankbarkeit, damit der volle Segen seiner Gnadenwohlthaten uns zu Theil werde. Auch unter den zehn Aussätzigen befand sich neben den neun Undankbaren doch auch Eine dankbare Seele, eben unser dankbarer Samariter. Als der sahe, daß er gesund geworden war, da begnügte er sich nicht mit der selbstsüchtigen Freude über seine Heilung, sondern er kehrete um und preisete Gott mit lauter Stimme, und fiel auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankete ihm. Der Herr aber freute sich, daß wenigstens dieser Eine um kehrte und Gott die Ehre gab, und sprach zu ihm: „Stehe auf, gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen!“ - Offenbar, meine geliebten Freunde, sollen diese Worte dem dankbaren Samariter etwas Anderes und Höheres sagen, denn dasjenige, welches er gemeinschaftlich mit seinen neun Leidensgefährten früher aus dem Munde des Heilandes vernommen hatte: „Gehet hin, zeiget euch den Priestern“ Dieses Wort kündigt ihnen nur ihre äußerliche Reinigung und Heilung an, und solche äußere Früchte des gnadenreichen Wirkens des Herrn können freilich, wie wir gesehen haben, auch diejenigen genießen, deren Gemüth von herzlicher Dankbarkeit gegen ihn selbst völlig unberührt geblieben ist. Aber laßt uns doch ja bedenken, daß Christus nicht in die Welt gekommen ist, um nur solche äußeren Güter uns zu bringen, und daß, wenn wir nur diese genießen wollen, ihn selbst aber, die Quelle, aus welcher dieß Alles uns zufließt, verläugnen, wir sie uns nicht zum Segen genießen werden, sondern zum Gericht. Christus ist nicht in die Welt gekommen, um uns nur von äußeren Nebeln zu befreien und um unser Leben nur mit zeitlichen Gütern zu schmücken; sondern darum vor Allem ist er gekommen, daß er uns erlöse von dem inneren Verderben der Sünde und durch unsere Versöhnung mit Gott zu einem neuen Leben uns erwecke. Nicht unseren Helfer allein sollen wir in ihm erkennen, sondern unseren Erlöser. Das geistliche Gut der Erlösung und Versöhnung aber wird nur dem Glauben zu Theil, und der Glaube wiederum kann nur auf dem Grunde erwachsen, auf welchem er auch bei diesem Samariter erwachsen ist, auf dem Grunde eines von herzlicher Dankbarkeit gegen den Herrn bewegten Gemüthes. Ja lebendiger Glaube an Christum und die rechte christliche Dankbarkeit sind eigentlich zwei Zweige aus derselben Wurzel. - Denn worauf beruht denn die rechte Dankbarkeit? Doch wohl auf nichts Anderem, als auf dem tiefen Gefühl, daß in einer Noth, aus welcher wir selbst uns nicht zu erretten vermögen, eine kräftige Hülfe uns geworden ist, auf welche wir keinen Anspruch des Rechtes haben, und die uns darum als eine That freier Liebe und Barmherzigkeit erscheinen muß. Und aus demselben Gefühl geht ja auch der seligmachende Glaube hervor, wenn die von der Last unserer Sünde bedrängte und geängstigte Seele die Gnadenhülfe ergreift, welche Gott in seinem Sohne uns darbietet. Darum nennt denn auch der Apostel Paulus den seligmachenden Glauben des Christen und die christliche Dankbarkeit so oft nebeneinander. „Danksaget, so spricht er, „dem Vater, der uns tüchtig gemacht hat zu dem Erbtheil der Heiligen im Licht (Kol. 1, 12)“; denn nur ein dankbares Gemüth kann dieß herrliche Erbtheil, das neue Leben in Gott, durch Christum empfangen. Und wie das Heil nur von einem dankbaren Herzen ergriffen wird, so kann es auch nur von der Dankbarkeit bewahrt werden, die niemals vergißt, was wir wären ohne Christum und was wir werden durch ihn. Darum fährt der Apostel fort (Kol. 2, 7): „Seid gewurzelt und erbauet in ihm. und seid fest im Glauben, wie ihr gelehret seid, und seid in demselben reichlich dankbar.“ Auch der Frieden Gottes, die selige Frucht des Glaubens, kehret nur ein in ein dankbares Herz. Das sagt uns der Spruch (Kol- 3, 15): „Der Friede Gottes regiere in euren Herzen, zu welchem ihr auch berufen seid in Einem Leibe, und seid dankbar.“ Das Oel aber, durch welches wir die Lampe unseres Glaubens wach erhalten sollen, bietet uns das Wort Gottes, und auch dessen Tiefe und voller Segen schließt nur dem von herzlicher Dankbarkeit für die Wunder der göttlichen Gnade erfüllten Herzen sich auf. Darum heißt es gleich weiter (Kol. 3, 16.17): „Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen in aller Weisheit; lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern, und singet dem Herrn in euren Herzen; und Alles, was ihr thut mit Worten und mit Werken, das thut Alles in dem Namen des Herrn Jesu, und danket Gott und dem Vater durch ihn.“ Vor allem aber ruhet das herzliche Gebet auf der Dankbarkeit, welche das Herz erst zur vertrauensvollen Bitte ermuntern muß, „Haltet an im Gebet, mahnet darum Paulus, und wachet in demselbigen mit Danksagung.“ - Und wenn nun so, meine Lieben, das Gemüth in herzlicher Dankbarkeit erst den Segen des höchsten Gutes, der Gnade Gottes in Christo, im Glauben erfahren hat; dann ergießt sich auch über unser ganzes äußeres Leben ein verklärendes Licht, dann schließt die Dankbarkeit auch den vollen Segen aller anderen Lebensgüter uns auf. dann lernen wir verstehen und befolgen die apostolische Mahnung (Eph. 5, 20): „Saget Dank alle Zeit für Alles Gott und dem Vater in dem Namen unseres Herrn Jesu Christi!“ Durch den Glauben an unseren Herrn Jesum Christum wissen wir ja, daß der heilige und allmächtige Gott im Himmel unser lieber Vater ist, und daß wir von seiner Vaterhand nur Gutes und Barmherzigkeit empfangen können. Jeder Morgen, der uns zu neuem Leben erweckt, und jeder Abend, der unser Tagewerk beschließt, wird uns eine Mahnung zum Dank gegen den, der uns Leben und Kraft zur Arbeit gegeben hat. Wenn wir mit den Unsern uns zu Tische setzen, so nehmen wir mit Danksagung die Speise, welche Gott uns geschaffen hat. Und wenn das kräftige Lebensbrod seines ewigen Wortes die hungernde Seele erquickt und das matte Herz stärket, so preisen wir ihn, daß auch heute der Herr noch die Kranken heilet und die Aussätzigen rein macht und die Schwachen aufrichtet, indem er ihnen zuruft: „Stehe auf, gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen!“ Mit Dankbarkeit gegen den Lenker der Herzen und Geschicke seiner Kinder reichen christliche Ehegatten sich die Hand zum heiligen Bunde. Wenn wir die lieben Kleinen ihm darbringen in der heiligen Taufe, so geschieht es in innigem Danke dafür, daß er diese theuren Pfänder seiner Liebe uns geschenkt hat, und in seinem Gnadenbunde sie bewahren will zum ewigen Leben. Und wenn wir unsere Lieben hinausgeleiten müssen zur letzten irdischen Ruhestätte, o wie glücklich sind wir, daß wir selbst dort ihm danken dürfen für die trostreiche, selige Verheißung seines Sohnes (Joh. 11, 25, 26): „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubet, der wird leben, ob er gleich stürbe. Und wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben.“ Ja wie glücklich sind wir, daß wir auch für die Trübsal, die er uns sendet, ihm danken können, weil wir wissen, daß die Trübsal Geduld bringet; Geduld aber bringet Erfahrung; Erfahrung aber bringet Hoffnung; Hoffnung aber lasset nicht zu Schanden werden. So wird das ganze Leben eines lebendigen Christen Ein großer Dank- und Preisgesang für die Gnade seines Gottes, und je inniger unser Dank sich ergießt, desto reicher strömt uns auch der Segen aus der Fülle der Liebe unseres Vaters im Himmel zu.

So laßt uns denn mitnehmen in's Leben die Regel, welche unser heutiger Text uns vorgehalten hat: „Ohne herzlichen Dank kein rechter Segen!“ und laßt mich schließen mit der freundlichen Ermahnung des Apostels (Phil. 4, 4. 6. 7): „Freuet euch in dem Herrn allewege; und abermal sage ich: Freuet euch! Sorget nichts; sondern in allen Dingen lasset eure Bitte im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden. Und der Friede Gottes, welcher höher ist, denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo Jesu.“ - Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/b/baur_gustav/baur-14_nach_trinitatis.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain