Baumgarten, Michael - David, der König ohne Gleichen - Zweiter Vortrag.

Baumgarten, Michael - David, der König ohne Gleichen - Zweiter Vortrag.

Die Grundlegung des davidischen Königthums.

König David heißt der Gegenstand unserer Betrachtung, geehrte Freunde. Daß mit diesem Namen irgend etwas Identisches in der Geschichte des Königthums bezeichnet wird, schwebt uns Allen, glaube ich, mehr oder weniger deutlich vor. Ich aber stelle die Behauptung voran: das berühmte Wort vom König Lear: „jeder Zoll ein König“, gilt von keinem König aller Völker und aller Zeiten so vollständig, wie von König David. Ich verlange nicht, daß Sie mir diese meine Behauptung aufs Wort glauben sollen, im Gegentheil bin ich ganz zufrieden, wenn Sie diese meine Behauptung einstweilen für unglaublich halten, wenn Sie nur durch dieselbe sich bestimmen lassen, meiner Beweisführung eine desto geschärftere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Denn nicht in Kraft eines irgend welchen Vorurtheils ist mir diese Behauptung entstanden, sondern auf Grund der beglaubigten Thatsachen und durch Vorführung dieser geschichtlichen Thatsachen beabsichtige ich den Beweis für meine Behauptung vor Ihren eigenen Augen zu führen. Wir haben gefunden, daß in dem Volke Israel im Lauf der Zeiten das Bedürfniß nach einem König erwachte. Das Bewußtsein dieses Bedürfnisses konnte nur aus der Wahrnehmung entstehen, daß der Geist, welcher das Ganze des Volkes beseelen, welcher in jedem Einzelnen lebendig sein und jeden Einzelnen als ein Glied an dem Gesammtleibe des Volkes bewegen und regieren sollte, seine ursprüngliche Kraft und Fülle verloren hatte. Sie erinnern sich, daß die erste israelitische Stimme, welche das Bedürfniß des Königthums als ein vorhandenes ausspricht, das begeisterte Wort der Hanna ist. Es ist ein Weib aus dem Volke, welches hier spricht, aber es bestätigt sich hier, was ich schon früher bemerkte, daß das weibliche Geschlecht in Israel eine höhere Stellung einnimmt, als im übrigen Alterthum. Die persönliche Erfahrung der Bedrängniß und der Hülfe, welche Hanna gemacht hat, erschließt ihr den Blick in die Zustände ihres Volkes, ihre scharfe Wahrnehmung und ihre tiefe Empfindung spricht sie dahin aus, daß die natürlichen Unterschiede zu schroffen und unleidlichen Gegensätzen ausgeartet sind, daß das Gleichgewicht des Gesammtlebens durch „den schiefen Hang der Selbstsucht“ verloren gegangen, indem diejenigen, welche ungerecht und trotzig sind, Macht und Reichthum besitzen, die Rechtschaffenen dagegen und Frommen niedrig sind und darben müssen. Daß ein solcher Zustand nirgends mehr der ursprünglichen und natürlichen Ordnung des Volkslebens widerstreitet und daher auch nirgends so scharf empfunden werden kann, wie in Israel, wissen wir bereits. Hanna, im Bewußtsein der an sich selbst erfahrenen wunderbaren Hülfe und im festen Vertrauen zu Jehova, der sein Volk nicht verlassen könne und werde, schaut diese Auflösung der wahren und richtigen Verhältnisse bereits als eine überwundene, sie ist der wiederherstellenden Macht Jehovas so gewiß, daß sie die neue Ordnung Gottes als bereits gegründet und beschafft verkündigt und indem sie schließlich hinweist auf den König als den neuen Gesalbten Jehovas, bezeichnet sie diesen als das auserwählte Rüstzeug, durch welches Jehova die Trümmer seines Volkswesens zu einem neuen Bau wiederaufrichtet. Das, was Hanna als den Verfall des Volkes beschreibt, ist begründet in dem Mangel an dem nationalen Gemeingeiste, und wenn sie auf den König als den Retter hinweist, so schaut sie diesen als denjenigen, welcher diesen Mangel ersetzen soll. Die zusammenhaltende alle Unterschiede ausgleichende und alle Gegensätze bindende Kraft, welche in dem ursprünglichen Volksgeiste beschlossen und auf alle Glieder des Volkes vertheilt war, wird setzt in einer einzelnen Persönlichkeit gesucht und von dieser soll sie sich vermöge der hervorragenden Stellung, welche dieser Persönlichkeit zuerkannt wird, wiederum über das Ganze ausbreiten. Diese einzelne Persönlichkeit ist der König. Um also die vorhandene Ungleichheit und störende Gegensätzlichkeit auszugleichen, sollte zuerst eine neue bis dahin unbekannte Ungleichheit geschaffen werden, eine Höhe, welche alles Andere überragte. Der Gedanke dieser Höhe war für das altisraelitische Bewußtsein ein fast unübersteigliches Hinderniß und es begreift sich, wenn in Samuel noch einmal der altrepublikanische Geist sich zusammenfaßt, um vor dem von dem Königthum zu befürchtenden Untergang der alten Freiheiten und Rechte feierlich zu warnen (s. 1. Sam. 8, 10-18). Sollte dieses Hinderniß auf rechtmäßige Art überwunden werden, so konnte dies nur so erreicht werden, daß der König sich als diejenige Persönlichkeit erwies, welche in sich die Kraft und Fülle des Volksgeistes in ebenso eminentem Grade concentrirte, als seine äußere Gewalt den ganzen Bereich des Volkslebens überragte, oder mit andern Worten, der König mußte für den rechtmäßigen und heilsamen Besitz und Gebrauch seiner Gewalt durch sein persönliches Verhalten und Handeln das Vertrauen des Volkes sich erwerben, indem er sich dem Volke als denjenigen bewies, in welchem der Gemeingeist eine Kraft besäße, die das in sich zerfallende Ganze des Volkswesens zu einer lebendigen Einheit zu verbinden vermöge. Eine solche Persönlichkeit glaubte das Volk in Sau! gefunden zu haben, und in der That war Saul, wie schon bemerkt, kein unköniglicher Mann, aber jener strengen Bedingung, welcher hier das Königthum unterstellt ist, vermochte er nicht zu genügen. Denn wie konnte das Volk ihm sein volles Vertrauen bewahren, als er denjenigen Mann, an welchem das Herz des Volkes hing, wie keinen Andern tödtlich haßte und verfolgte? In eine solche Verlassenheit gerieth Saul auf diesem Wege, daß er seinen letzten Trost und seine letzte Erquickung von einem Weibe annehmen mußte, welches nach seinem eigenen Gesetze dem Tode geweiht war.

Sauls Königthum war ein mißlungener Versuch, er zeigt aber mit scharfen und hellen Zügen die Bahn, auf welcher David, wenn er sich als den rechten König Israels bewähren will, zu wandeln hat. Er muß nämlich seine innerste Persönlichkeit als eine königliche in dem eben angedeuteten Sinn von Anfang bis zu Ende auf eine solche Weise vor seinem Volke tatsächlich darthun, daß keinem Zweifel mehr Raum gelassen werde. David hat diese Bahn beschritten, er hat das Ziel erreicht und den Ehrenpreis gewonnen. Indem wir David auf dieser seiner königlichen Bahn von den Schafherden Bethlehems bis zu dem Moment begleiten, als er „satt von Leben, von Reichthum und von Ehre“ auf dem Berge Zion die Krone seinem Sohne Salomon überreicht, werden wir die thatsächlich begründete Ueberzeugung gewinnen, daß dieser König seines Gleichen nicht hat und sein leuchtendes Beispiel als Vorbild für alle Zeiten aufgestellt ist. Sonst bedeckt die Außenseite des Königthums, nämlich die Gewalt und Herrlichkeit, in der Regel die Innenseite so sehr, daß wir diese meistens nur voraussetzen, nicht aber aufweisen können, in der Geschichte Davids entsteht die Außenseite des Königthums von Stufe zu Stufe vor unseren Augen, nachdem die Innenseite, der tief verborgene aber massive Grund, auf welchem der königliche Thron ruht, sich gleichfalls vor unseren Augen von ihren leisen Anfängen an auferbauet hat. Diese eigenthümliche Natur des davidischen Königthums gewährt uns jenen Einblick und jene Uebersicht und ermöglicht dadurch die von mir ausgesprochene Ueberzeugung,

Derselbe heilige Mann, welcher Saul zum König auserkoren und gesalbet hat, muß auch über ihn das Verwerfungsurtheil sprechen, aber Samuel hat kein Bedenken mehr, als er den Befehl erhält, einen neuen König über Israel zu salben. Selbst dieser alte Republikaner hat sich überzeugt, daß Israel, wie es dermalen ist, ohne Königthum nicht gedeihen kann, wenn nur der rechte Mann gefunden wird, welcher der königlichen Krone würdig ist. Samuel empfängt die Weisung, nach Bethlehem, einer kleinen Stadt im Stamme Juda (s. Mich. 5, 1), zu gehen, dort wohnt ein Mann namens Isai, welcher acht Söhne hat, derselben Einen soll Samuel zum König salben. Als nun Isai seine sieben ältesten Söhne dem Propheten vorstellt, verwirft sie Samuel einen nach dem andern, denn geoffenbaret ist ihm das Wort: „Jehova ist nicht wie ein Mensch, er stehet nicht an Gestalt und Größe, nicht was vor Augen ist, sondern er stehet das Herz an“ (s. 1 Sam. 16, 7), und Samuel mußte an Saul denken, dessen königliche Gestalt den Mangel seines unköniglichen Herzens nicht ersetzen konnte. Der Achte unter den Söhnen Isais war David, derselbe war auf dem Felde bei den Heerden, als Isai das feierliche Opfermahl in seinem Hause hielt, damit Samuel unter seinen Söhnen die Königsschau halten möchte. Diesen Achten haben weder der Vater noch die Brüder für werth gehalten, bei der großen Ehre, die dem Hause Isais zugedacht war, in Betracht kommen zu können, und siehe eben dieser Achte war es, den Jehova sich ausersehen kam. Zwar ist er ein Jüngling von keinem gemeinen Ansehen, er wird uns beschrieben „von blühender Gesichtsfarbe, von schönen Augen und guter Gestalt“ (s. 1 S. 1, 12); aber man mochte ihn im Hause für einen schönen Schäfer halten, der aber, sollte es sich um königliche Ehre und Würde handeln, auf keinen Fall mit den sieben älteren Brüdern in Betracht kommen dürfe. Und eben diesen Kleinsten unter den Söhnen Isais, den seine eigenen Hausgenossen übersehen und für unwerth geachtet haben, eben diesen hat sich Jehova erkoren. Diesen salbt Samuel, nachdem er vom Felde hereingeholt ist, aus seinem Horn mit dem heiligen Oel. So begegnet uns also gleich an der Schwelle der Geschichte Davids der wichtige Gegensatz des Aeußern und Innern. „Jehova stehet das Herz an“; also das Allerinnerste des Menschen, „in welchem ruhen die Ausgänge des Lebens“ (s. Sprüchw. 4, 23), hat sich Jehova ersehen als den Ort, wo das wahrhaft Königliche für Israel wohnet. Und indem Jehova einen Mann sucht mit diesem königlichen Herzen, dieser verborgenen Innenseite der königlichen Macht und Herrlichkeit, bezeichnet er im Voraus den David als den Mann nach dem Herzen Gottes (s. 1 Sam. 13, 14. Apostelg. 13, 22). So wie vom Könige das Allerinnerste, nämlich sein Herz, als das eigentlich Königliche bezeichnet wird, so wird die Beziehung Jehovas zu dem wahren Könige Israels gleichfalls auf das innerste Centrum des göttlichen Wesens und Lebens zurückgeführt. Der Mann, den Jehova sucht, muß sein dem Herzen Gottes gemäß und was dem göttlichen Herzen gemäß sein muß, ist vor Allem sein eigenes Herz. Ohne Zweifel ist es etwas besonders Großes und Tiefes, was mit diesem geheimnißvollen Bezug zwischen dem Herzen Gottes und dem Herzen eines Menschen ausgesagt sein will. Als dieser Mann ist nun bezeichnet und geweihet David der Hirtenjüngling von Bethlehem. Wundern aber dürfen wir uns immer, daß die nächsten Angehörigen keine Ahnung haben von dem, was im Innern Davids angelegt ist, daß sein Vater und seine Brüder nicht mehr an ihm sehen, als was Andere auch sehen, seine Farbe und Gestalt, sein Herz aber noch niemals erkannt haben. Ja noch geheimnißvoller ist diese verborgene Herrlichkeit Davids: die Nachbarn und Mitbürger haben offenbar in David mehr Gaben und Vorzüge erkannt, als seine nächsten Hausgenossen, welche ihn von der hohen Ehre, die dem Hause Isais widerfahren soll, von vornherein ausschließen. Von der Volksstimme wird der jugendliche Sohn Isais von Bethlehem also beschrieben: „kundig des Saitenspieles und ein Held an Kraft und ein kriegerischer Mann, und verständig in der Rede und ein Mann von guter Gestalt und mit ihm ist Jehova“ (s. I Sam. 16, 18). Diese Beschreibung eines jugendlichen Hirten ist außerordentlich genug: Saitenspiel und verständige Rede verräth eine feinere Geistesbildung, daß diese aber Nichts gemein hat mit Weichlichkeit und Sentimentalität, ist durch den Ruhm seiner Kraft und seines kriegerischen Wesens ausgeschlossen, wie andererseits die Rauhheit eines Kriegsmannes durch jene Eigenschaften höherer Geistescultur gemildert erscheinen. Auf eine ungewöhnliche Mischung geistiger und körperlicher Vorzüge, welche eine reiche und umfassende Anlage verräth, werden wir durch diese Schilderung von vornherein aufmerksam gemacht. Aber man bemerkte mehr außerhalb als innerhalb des Hauses, mehr in einer gewissen Ferne als in unmittelbarer Nähe erkannte man diese Vorzüge Davids. Zwar konnte es nicht fehlen, daß man auch im Hause einen Eindruck von der ungewöhnlichen Geistesart Davids erhielt, aber uns ist ein charakteristischer Zug des Familienurtheils über ihn berichtet, welcher beweist, daß man seine ungewöhnliche Geistesart ganz falsch deutete. Eliab, sein ältester Bruder, fährt ihn zornig an, als David sich im israelitischen Feldlager umsieht und nach den Umständen des Heeres genau erkundigt und läßt sich also gegen ihn vernehmen: „wozu bist du herniedergekommen und wem hast du überlassen den Rest der Heerden in der Wüste? Ich kenne deinen Uebermuth und deines Herzens Bosheit, denn nur den Krieg anzusehen bist du herabgekommen“ (s. 1 S. 17, 28). Man wußte also zu Hause recht wohl, daß der Geist Davids hinter den Schafheerden auf etwas Höheres gerichtet war, aber man hielt dieses Trachten für schrankenlosen Uebermuth und für eine verkehrte Herzensrichtung, man hatte keinen Sinn dafür, daß das, worauf Davids hoher Geist gerichtet war, nicht sein eigenwilliges Belieben und Vornehmen war, sondern seine innerste Natur und sein göttliches Recht. David weiß auch bereits, daß er gegen den Unverstand seines Hauses mit Worten Nichts ausrichten kann; mit kurzer Entgegnung weist er seinen Bruder ab und wendet sich weg von ihm (s. V. 29, 30). Er gehört zu den tiefen inhaltsreichen Naturen, die in ihrer engen Umgebung immer mit den schwersten Mißverständnissen zu kämpfen haben, die aber eben deshalb berufen sind, den weiten Raum zu suchen, um zu entfalten was in ihnen ist, damit durch Thaten verständlich werde, was sich durch Worte nicht deutlich machen läßt. Eliab, Davids ältester Bruder, nannte sein Herz ein böses. Lange nach Davids Tode gilt in dem davidischen Königshause die Reinheit und Rechtschaffenheit des davidischen Herzens als das höchste Vorbild (s. 1 Kön. 15, 3).

Das Herz Jehovas, welches nicht stehet auf das, was vor Augen ist, sondern in das Verborgene schauet, hat sich dieses in seinem Hause mißkannte Herz des bethlehemitischen Jünglings als unsichtbaren Grund erwählet, auf welchem er die königliche Macht und Herrlichkeit in Israel aufrichten will: „Samuel salbt David in der Mitte seiner Bruder und von dem Tage und hinfort kam der Geist Jehovas über David und Samuel ging seines Weges gen Rama“ (s. 1 S. 16, 13). In großer Stille und Verborgenheit geschah die Salbung Davids zum König Israels, und obwohl er dadurch Kraft des allmächtigen Willens von der Niedrigkeit seiner Schafheerden zur höchsten Höhe berufen war, ändert sich in seiner äußeren Lage nicht das Mindeste. Samuel begiebt sich an seinen Ort, David bleibt im Hause seines Vaters bei den Heerden, als seine Brüder in den Krieg ziehen, bleibt er daheim, steht unter des Vaters Botmäßigkeit und muß sich von seinem Bruder schelten lassen. Nur eine Veränderung geschieht mit ihm, diese ist aber innerlich und verborgen, nämlich Jehovas Geist kommt über ihn. Die Salbung ist eben so wenig eine bloße Ceremonie, als eine Magie, sondern das Zeichen eines inneren geistigen Vorganges. So wie das Oel durch seine feine eindringende Kraft den Leib des Morgenländers erfrischt und belebt, so will der göttliche Geist den ganzen menschlichen Organismus des Gesalbten neu beleben, um ihn für das ihm übertragene Amt zu befähigen. Das Amt in Israel bezieht sich immer auf den. Umfang des ganzen Volkes. Nun wird zwar jeder rechte Israelit darauf angesehen, daß er an seinem Ort und an seinem Theil das Ganze seines Volksthums zu vertreten hat, aber das Amt verlangt, daß der Träger desselben überall gar keinen besonderen und einzelnen Ort inne habe, sondern sein Einzelleben in das gesammte Volksleben erweitere und aufhebe. Dazu ist der Einzelne als solcher nicht befähigt, dazu bedarf es einer außerordentlichen Kraft und Weihe. Diese kann nur von dem göttlichen Geiste ausgehen, denn der Geist ist eben die Macht, welche die Beschränktheit und Ausschließlichkeit des Fleisches überwindet. Das ist der Sinn der heiligen Salbung. Empfangen kann sie Niemand, als wer für ihre Bedeutung einen empfänglichen Willen, als wer entschlossen ist, diese Geisteskraft in sich aufzunehmen, um sein Einzelleben in das Gesammtbewußtsein zu erweitern und zu erhöhen. Und ist sie einmal empfangen, diese Geistesweihe, so will sie aufbewahrt und behütet werden. Sau! hatte den erneuernden Geist bei der Salbung gleichfalls empfangen (s. 1 Sam. 10, 6. 9), aber er betrübt ihn durch seinen Eigenwillen, und an die Stelle des freudigen Geistes kam ein böser und finsterer Geist über ihn. Für einen israelitischen König genügt es nicht, wie Richard der Zweite die Lehre „von dem heiligen Balsam, den nicht eine Flut im wüsten Meere vom Haupte des gesalbten Fürsten wasche“, auswendig zu können, denn diese eingelernte Lehre schützt ihren geweihten Schüler nicht davor, daß er nicht im nächsten Augenblick zittere, wie ein gemeiner Knecht. Das Herz Davids, welches dem Herzen Jehovas gemäß erfunden ist, hat zunächst die Bedeutung, daß David den Sinn der Salbung vollkommen versteht und die Kraft des Geistes, welche die Salbung verleihen soll, mit vollen Zügen in sein innerstes Geistesleben aufnimmt. Nicht umsonst hat David in einem seiner tiefsten Lieder gesungen: „siehe, Jehova, an der Wahrheit in des Herzens Kammern hast du Wohlgefallen und im Verborgenen lehrest du auch Weisheit“ (s. Ps. 51, 8). Aber wir brauchen uns nicht zu bemühen, die damit ausgesagte Umwandlung, welche David selber später als eine neue Geburt uns bezeichnet (s. Ps. 2, 2), schon jetzt zu beschreiben; die ganze Geschichte Davids ist darauf angelegt, das tief Verborgene offenbar zu machen, wir werden also dem Gange der Thatsachen folgen, dann wird sich uns von selbst ergeben, was in ihm durch Gottes Geist gewirkt worden ist.

Den königlichen Beruf und den königlichen Geist hat David empfangen, in seiner äußeren Stellung bleibt Alles nach wie vor, weil er auf dem Wege der thatsächlichen Selbstbewährung den Besitz der königlichen Gewalt erringen soll. Das Nächste, was sich ereignet, ist die Versetzung Davids an den Hof Sauls, aber nicht in Folge seiner Salbung gelangt er in des Königs Nähe, sondern wegen seines Saitenspieles. Er sollte nämlich den trüben Geist des Königs Saul mit seinem Spiele bannen, und daß ihm dieses so wohl gelang, daß es ihm niemals fehlschlug und daß der finstere Monarch ein so großes Gefallen fand an dem bethlehemitischen Jüngling, war offenbar nicht bloß die Wirkung seiner Kunstfertigkeit, sondern auch die Folge seines heiteren geistig kräftigen Wesens, sowie seines ganzen liebenswürdigen Verhaltens, welches im fremden Hause besser gewürdigt wurde, als im eigenen. Dieser erste Aufenthalt Davids an Sauls Hofe war eine ungestörte idyllische Episode seines Lebens, aber recht als eine wirkliche Ausnahme erscheint sie in diesem Epos der davidischen Geschichte und darum bricht sie auch plötzlich ab, wir wissen nicht wie, und das liebliche Idyll verwandelt sich unversehens in eine kriegerische Scene. Saul und sein Heer liegt im Eichgrunde zu Felde wider die Philister und die Brüder Davids sind im israelitischen Lager, David aber ist wiederum hinter den Heerden seines Vaters, und nur um eines häuslichen Geschäftes willen entsendet ihn Isai in das Lager, giebt ihm aber damit Gelegenheit, zum ersten Mal den Krieg zu sehen. Und ist es nicht, als wenn der blanke Stahl mit des Kiesels scharfer Kante zusammentrifft? So sprühen hier die hellen Funken, wo man bisher nichts von Feuer ahnen konnte. David schaut und hört die Schmach, welche der Philisterriese dem Volke Israels und seinem Gotte anthut, und er erlebt es, daß seinem ganzen Volk vor der schrecklichen Gestalt und der rohen Rede Goliats der Muth entfällt. Da erwacht in David der königliche Geist, der in seinem Innern seit der Salbung Wohnung genommen, er ist entschlossen, zu thun, was Keiner wagt, er will den Kampf mit dem Philister unternehmen; denn daß derselbe das Heer des lebendigen Gottes geschmähet, das ist ihm unerträglich, und in dem Namen dieses seines gelästerten Gottes hat er Kraft und Muth, die höhnende Herausforderung des Philisters aufzunehmen und sein Kampf mit dem Löwen und dem Bären, den er als Hirte bestanden und in welchem ihm Jehova sein Gott Sieg verliehen, ist ihm das Unterpfand, daß er auch diesen Unbeschnittenen erlegen werde (s. 1 Sam. 17, 34-37). Aber so wenig ist in der Geschichte Davids ein Sprung oder etwas Unvermitteltes, daß er diese seine erste und gefeiertste Heldenthat ausführt grade so wie er stand und ging. Er verschmäht Sauls kriegerische Rüstung, er nimmt in seine Hand seinen Stab, in seine Hirtentasche thut er fünf glatte Steine vom Bach und seine andere Hand hält die Schleuder; so in seiner gewohnten Hirtenrüstung, mit dem Zeichen und Wappen seines geringen und verborgenen Ursprunges macht er sich auf, um den gewaltigen Thurm des philistrischen Lagers zu erstürmen (s. V. 40). Natürlich ist er dem Philister eine lächerliche und verächtliche Erscheinung, denn derselbe sieht nur, was vor Augen ist, was aber inwendig unter dieser unkriegerischen Gestalt verborgen war, dahin reichte eines Philisters Gedanke nicht; Israel jedoch vernimmt das feierliche Bekenntniß dieses Hirten: „ich komme im Namen Jehovas Zebaot, des Gottes der Heerschaaren Israels, den du gehöhnet hast und siehe, heutiges Tages soll alles Land inne werden, daß Israel einen Gott hat“ (s. V. 45-47), und das staunende Israel muß von der Ahnung ergriffen werden, daß in dem Munde und Herzen dieses Jünglings der Name Jehovas nicht ein leerer Schall ist, sondern eine noch nie erfahrene Macht. Des gewaltigen Philisters stolze Reden fielen zu Boden, und des unscheinbaren Davids Berufung auf Jehova bewies sich als Wahrheit durch die That.

So hat sich David zum ersten Mal bei seinem Volke eingeführt, nicht beruft er sich auf die von Gott empfangene Salbung, sondern mit einer unzweideutigen That beweist er, daß er der Salbung würdig ist, nicht ragt er hervor wie Saul vor allem Volk, als der Geringste erscheint er, als Hirte unter den bewaffneten Kriegern, aber er zeigt das Feuer eines Muthes, welches ein ganzes verzagtes Heer zu begeistern vermag, er weist hin auf das verborgene Geheimniß seines inneren Lebens; aber nicht anders nennt er den hohen, heiligen Namen, der sein ganzes Herz erfüllt, als indem er mit standhafter That die Wahrheit und Aechtheit seines Glaubens vor den Augen der Welt offenbart.

Eine Heldenthat wie diese wird an sich in jedem Volke die allgemeinste Begeisterung wach rufen, in Israel muß diese Begeisterung eben wegen des streng religiösen Charakters des davidischen Heroismus noch intensiver sein, als irgend wo sonst. Mit dem Namen Jehovas ist die gesammte geschichtliche Erinnerung dieses Volkes verknüpft, die Heiligkeit und Kraft dieses Namens ist der höchste und lebendigste Gedanke, welcher alle Glieder dieses Volkes von Jugend an durchdringt, und eben dieser Name ist Davids Parole gewesen auf dem glorreichen Kampfplatz, in der Kraft dieses Namens hat er den Philister erlegt. Was Wunder also, daß bei dem Heimzuge des israelitischen Heeres alle Städte des Landes in freudige Bewegung kommen und die Weiber in Wechselchören mit Pauken und Dreiangeln König Saul, vor Allem aber den Besieger Goliats besingen. Saul hat Tausend geschlagen, David aber Zehntausend (s. 1 Sam. 18, 6. 7). David war also plötzlich aus seiner Niedrigkeit und Verborgenheit hervorgezogen, nicht durch irgend einen Zufall, sondern durch seinen Muth und seinen Sieg, der Hirtenjüngling von Bethlehem war auf einmal der gefeierte Held des ganzen Volkes. Außerdem hat sich David durch den Sieg über den Philister laut des öffentlichen königlichen Wortes Sauls bestimmte Rechte erworben, namentlich das Recht, des Königs Eidam zu werden (s. 1 Sam. 17, 25). Es waltet aber auch hier wieder jenes strenge Gesetz der Geschichte Davids, daß alle Fortschritte mit Mühe und Roth errungen werden müssen. Das Einzige, was David sofort erreicht, ist dieses, daß er nicht mit seinen Brüdern nach Bethlehem zurückkehrt, sondern in des Königs Umgebung bleibt; alles Weitere aber wird vorenthalten, bis er es sich durch anderweitige Selbstbewährung erringt. David hat dieses Gesetz seines Lebens, diesen sich wiederholenden Gang von innen nach außen, und wiederum zurück von außen nach innen bereits vollkommen begriffen und in seinen Willen aufgenommen, er erwartet auch jetzt gar nichts Anderes und mit der liebenswürdigsten Unbefangenheit nimmt er die ihm auferlegte Entsagung als selbstverständlich hin und damit gewinnt er auf dem Wege der Freiwilligkeit aufs Neue, was ihm bereits von Rechts wegen zugesprochen war.

Das Erste, was David zufiel, war die Freundschaft Jonatans, desjenigen unter den Söhnen Sauls, der sich bereits bei verschiedenen Gelegenheiten auf die rühmlichste Weise hervorgethan und dem nach dem natürlichen Rechte das Königthum Sauls nicht entgehen konnte. Von diesem nun heißt es, daß er den David, als derselbe mit dem Haupte des Philisters vor dem Könige stand und in aller Bescheidenheit Auskunft gab über seine Abstammung, lieb gewann. Die heilige Schrift hat nie und nirgends etwas Sentimentales, sie ist durchweg in der strengen dorischen Tonart geschrieben, um so mehr fällt es daher ins Gewicht, wenn sie Gefühle ausspricht. Zu den wenigen Thematen, über welche die Schrift in der Sprache des Gefühles sich vernehmen läßt, gehört die Freundschaft zwischen Jonatan und David. Mit den stärksten Ausdrücken wird Jonatans Liebe zu David beschrieben: „er hatte ihn lieb wie sein eigenes Herz“, heißt es gleich im Anfang der Erzählung zweimal hinter einander (s. 1 Sam. 18, 1. 3), nachher wird gesagt: „er hatte ihn lieb wie seine eigene Seele“ si. 1 Sam. 20, 17), und ein anderes Mal: „Jonatan hatte großes Gefallen an David“ (s. 19, I). Zum Zeichen und Unterpfand seiner großen Liebe gab der Königssohn dem Hirten seinen Mantel, sein Schwert, seinen Bogen und seinen Gürtel (s. 1 Sam. 18, 4), damit der ihm äußerlich Ungleiche hinfort erschiene als sein anderes Selbst. Diese Freundschaft wird nie durch irgend einen Mißton gestört, sie überdauert den Tod Jonatans, welchen David vor allem Volk mit den Worten beklagt: „es ist mir weh um dich, mein Bruder Jonatan, lieblich bist du mir gewesen gar sehr, und deine Liebe war mir wunderbarer als Frauenliebe“ (s. 2 Sam. 1, 26), und den lahmen Sohn Jonatans stattete David aus mit Landgütern und nahm ihn um seines Vaters willen an seinen königlichen Tisch js. 2 Sam. 9, ?). Die starken und ungewöhnlichen Aeußerungen der Liebe rechtfertigen sich hier vollkommen durch die Thatsachen. Das Liebesverhältniß zwischen Jonatan und David ist in Wahrheit eine Freundschaft ohne Gleichen. Fassen wir die natürliche Basis ins Auge, so ist hier ein Gegensatz auf Tod und Leben indicirt. Jonatans Anrecht auf die Krone Israels ruht auf seiner Geburt und durch seine Tapferkeit hat er sich längst die Liebe des ganzen Volkes erworben (s. 1 Sam. 14, 45). David der Emporkömmling ist weit mehr der natürliche Rivale des Thronerben, als des Thronbesitzers, denn in dem ganzen Benehmen Davids liegt nicht das Geringste, was auf einen gewaltsamen Thronwechsel von seiner Seite gedeutet werden konnte. Welch ein ungewöhnlicher Grad von Selbstverleugnung war schon erforderlich, wenn Jonatan diesen seine ganze Zukunft gefährdenden und durchkreuzenden Mann nur dulden sollte! Und er gewann ihn lieb, wie sein eigenes Herz und diese Liebe bewahrte er ihm, als David ins Elend gestoßen wurde, obwohl sich Jonatan eben während der Verfolgung, die über David kam, immer mehr überzeugte, eben dieser und kein Anderer sei der zukünftige König Israels (s. 1 Sam. 23, 17), und obwohl Jonatan den Zorn seines leidenschaftlichen Vaters um der Freundschaft Davids willen auf sich ladet und sogar sein Leben in Gefahr bringt (s. 1 Sam. 20, 30-33), sucht er David auf in der Wüste und hängt weinend an seinem Halse (s. 1 Sam. 20, 41)! In der That, eine solche Freundschaft, welcher keine von den gerühmten Freundschaften des griechischen Alterthums von Ferne gleich kommt, kann nur wachsen und gedeihen auf einem Boden, auf dem die natürliche Selbstsucht ganz und gar ertödtet ist, der von einer übernatürlichen Kraft befruchtet wird. Die Erzählung giebt auch darüber genügende Auskunft, sie bezeichnet den Bund zwischen Jonatan und David (s. 1 Sam. 18, 3) als einen Bund in Jehova und vor Jehova (s. 1 Sam. 20, 8. 23, 18. 20, 16. 17. 42. 23, 16) und weist mit diesem Namen hin auf einen Lebensquell, der vom Himmel stießt und alles Menschliche reinigt und heiligt. Es ist gewiß, Jonatan strahlt hier in dem Selbstlicht von unvergänglichem Glänze reiner Liebe, wie sie an Königshöfen nicht leicht zum zweiten Male gefunden wird, aber eben so wenig würde ein Anderer, als David, eine solche Liebe erweckt und befriedigt haben. Wir wundern uns, daß Jonatans Liebe seine ganze Gegenwart als die des natürlichen Thronerben zum Schweigen bringt, sollen wir uns weniger wundern, daß David seine gottverbürgte Zukunft, welche ihre Strahlen bereits in die Gegenwart hineinleuchten läßt, dermaßen vergißt, daß er trotz der Freundschaft Jonatans sich ihm willig unterordnet (s. 1 Sam. 20, 7. 8)? Es ist dies nicht etwa eine künstliche Bescheidenheit, in welche sich David einstweilen einkleidet, so lange ihm noch keine Gewalt zu Diensten steht, sondern es ist diejenige Demuth, welche die Kehrseite seines unbedingten Vertrauens ist, daß Jehova selber, der ihn von den Schafheerden zum Thron berufen hat, ihn durch offenkundige Thatsachen in den Besitz seiner Würde einsetzen werde, ohne daß er nöthig habe, irgend Etwas als einen Raub an sich zu nehmen, was ihm dermalen nach den bestehenden Verhältnissen noch nicht allgemeingültig zukam. Diesen völlig unbefangenen Charakter hat sein ganzes dermaliges Verhalten. Des Königs Eidam zu werden, das war Sauls feierliche Zusage für denjenigen, der den Kampf mit Goliat bestehen würde. Es fällt David nicht ein, den König an dieses ihm zugesprochene Recht zu erinnern. Saul selber aber schämt sich, sein Wort zu brechen, er macht Anstalt, dem David seine älteste Tochter zu geben, jedoch eigenmächtig stellt er eine Bedingung, welche noch dazu hinterlistig ist (s. 1 Sam. 18, 17). David findet sich nicht bloß in diese Falschheit des Königs ohne Widerstreben, sondern sagt zu Saul: „wer bin ich und was ist mein Leben und Geschlecht meines Vaters in Israel, daß ich des Königs Eidam werden soll?“ Gleich als hätte es niemals einen Goliat gegeben. Ja, selbst als Saul auch diese letzte Vereinbarung wiederum eigenmächtig änderte und seine älteste Tochter einem Andern gab, läßt sich David nicht aus seiner Fassung bringen. Und seine Geduld führt ihn endlich zum Ziel. Denn inzwischen hat Michal, eine andere Königstochter, den wunderbaren Hirtenknaben lieb gewonnen und Saul kann nicht umhin, ihm diese Tochter zuzusagen, freilich unter der tückischen Bedingung, daß er David aufs Neue eine Lebensgefahr mit den Philistern bestehen läßt. David, abermals auf sein Recht verzichtend und sich selbst lediglich nach seiner geringen Herkunft betrachtend, geht auf die gestellte Bedingung ein und nachdem er sie erfüllt, hält sich der König endlich für gebunden, sein einmal ehrlich und zweimal unredlich gegebenes Wort endlich zu erfüllen und Michals Liebe zu David befestigt sich (s. V. 20-28). Die Liebe Jonatans, die Liebe der Michal hat David sich erworben, er gewinnt aber auch die Liebe des ganzen Volkes, die Liebe von ganz Israel und Juda und zwar wiederum nicht durch Worte, sondern durch Thaten und sein ganzes Benehmen (s. V. 5. 16). Das was das Volk in jenen bedrängten Zeiten vor Allem an einem Jüngling schätzen mußte, war kriegerische Tüchtigkeit. Daß nun David durch persönlichen Muth Alle übertraf, das hatte ganz Israel im Eichgrunde thatsächlich erfahren. Aber persönlicher Muth ist keineswegs das einzige Erforderniß für einen Heerführer, Umsicht und Ruhe ist für einen Solchen eben so nothwendig. Saul konnte nicht umhin, David jetzt in gewissen Fällen mit der Führerschaft seiner Kriegsschaaren zu betrauen: theils zwang ihn dazu das Ansehen, welches David durch seine Heldenthat sich erworben, theils auch die Bedrängniß von Seiten der Feinde, nebenbei aber hatte er auch noch dabei seine boshaften Absichten (s. V. 5. 13. 16. 17. 25. 30). Hier hatte nun David Gelegenheit, sich von einer neuen Seite zu zeigen und zwar Angesichts des ganzen Volkes. Wir haben von Anfang an gesehen, daß in David vereinigt ist, was sonst gewöhnlich sich auszuschließen pflegt. Dies zeigt sich jetzt aufs Neue. Was sich an David auf den ersten Blick kund giebt, das ist die Unmittelbarkeit, Ursprünglichkeit und Frische seines ganzen Wesens, davon sehr verschieden ist die beobachtende und sinnende Ueberlegung, die klare und nüchterne Verständigkeit; ferner kennen wir an David bereits seine Selbstverleugnung, Geduld und Ergebung, welche sich in zwingende Umstände fügt und schickt, etwas ganz Anderes ist die Geisteskraft, welche Umstände und Vorkommenheiten, Schwierigkeiten und Hindernisse übersieht, nicht von denselben sich leiten zu lassen, sondern sie zu beherrschen. In Bezug nun auf die ersten Proben, welche David als kriegerischer Führer ablegte, bemerkt die Erzählung dreimal, daß David sich „durch klägliches Verhalten“ auszeichnete und zwar vor allen Knechten Sauls (s. V. 5. 15. 30). Was der Hebräer mit kläglichem Handeln bezeichnet, das ist der praktische Verstand, der durch Einsicht in die Grundverhältnisse das Sein und Leben richtig behandelt. Wir sehen also hier einen ganz neuen David und wir begreifen, daß das Volk, welches den muthigen und fast tollkühnen Helden besungen, nun den umsichtigen und consequent thatkräftigen Führer lieb gewinnt und seinen Namen, wie der Grundtext V. 30 sagt, theuer hält.

Und was endlich den König selbst anlangt, so erinnerte er sich von früher des wohlthuenden Saitenspieles Davids und in dem Anfange des zweiten Aufenthaltes Davids in der königlichen Umgebung mußte David täglich vor dem König spielen, um seinen trüben Geist zu erheitern.

Leicht könnte man nun auf den Gedanken kommen, daß David bei diesen günstigen Umständen und Verhältnissen, die alle mehr oder weniger durch sein eigenes Verdienst sich so erfreulich gestaltet hatten, von nun an eine ebene und sichere Bahn vor sich haben müßte. Aber grade umgekehrt ist es: zwischen dem sonnigen Hügel, auf welchem David jetzt steht und dem hohen Gipfel, welchen zu besteigen er berufen ist, liegen tiefe schaurige Abgründe. An dem heiteren Himmel des davidischen Glückes entstand plötzlich eine kleine Wolke, sie verbreitete sich und ballte sich zu einem furchtbaren Wetter zusammen. Als die israelitischen Weiberchöre den David über Sau! erhoben, da entbrannte in Saul der Neid wider David und er sprach: „hinfort fehlt ihm nur noch das Königthum,“ und von diesem Tage an und hinfort sah Saul den David an mit scheelen Blicken (s. 1 Sam. 18, 8. 9). In rasender Eile wuchs dieser Neid in der verdüsterten Seele des Königs zu einer Feindschaft, welche zu tödtlichen Angriffen führte (s. V. 10. I I. 19, 9. 10). An dem Ort, wo die höchste irdische Gewalt ihre Stäte hat, auf dem königlichen Stuhl steigern sich die Sünden in rascher Progression, besonders aber auf dem israelitischen Thron, der, weil er recht eigentlich auf die Einheit des göttlichen und menschlichen Willens gegründet war, den widergöttlichen Willen zur vollen Reife zu bringen geeignet war. Daraus erklärt es sich, daß während Saul sonst keinen bösartigen Charakter zeigt, er gegen David eine eben so tief gewurzelte als raffinirte Bosheit offenbart. Es verdient aber diese Feindschaft Sauls gegen David ein eigenes Studium, denn sie weist in die untersten Tiefen der Menschheitsgeschichte und verklärt die Leiden Davids als die höchste und heilsamste Leistung, zu welcher der Mensch überall fähig ist.

Saul hat im eigenen Gewissen einen bestimmten Eindruck, daß er seine königliche Aufgabe nicht erfüllt habe und durch Samuels heiligen Ernst erschüttert, bekennt er sogar seine Sünde; aber es ist ihm offenbar bei diesem Bekenntniß nicht sowohl um Tilgung seiner Sünde zu thun, als vielmehr um Abwendung der üblen Folgen, welche er von seiner Sünde fürchtet; denn es liegt ihm Alles daran, daß Samuel ihn vor dem Volke wieder zu Ehren bringe. Samuel, obwohl er ihm mit Widerstreben nachgiebt, hält sein Bußbekenntniß nicht für aufrichtig, und hat deswegen den König Saul von jenem Tage an nicht wieder gesehen (s. 1 Sam. 15, 24-35). Aus dem Vorgang dieses Tages entstand der Wurm, der an dem inneren Leben Sauls nagte. Was für ihn Samuels scharfes Wort gewesen, das wurde Davids Person und Erscheinung, sobald das Voll Davids Ruhm über den Sauls erhoben hatte. David hat dem Saul niemals eine Bußpredigt gehalten, hat ihm überall niemals Etwas vor die Füße gelegt, sein künftiges Königthum hat David in eine so tiefe Bescheidenheit gehüllt, daß das gegenwärtige Königthum Sauls auf keine Weise durch diese Zukunft gestört wird, auch die Rücksicht auf seine Kinder konnte Saul keine Feindschaft gegen David einflößen, denn Jonatan war Davids brüderlicher Freund und Micha! sein Weib aus eigener freier Wahl. Aber nicht bloß konnte Saul sein gegenwärtiges Königthum so lange er lebte ohne alle Störung von Seiten Davids besitzen und genießen, die Gegenwart Davids ist ihm auf alle Weise förderlich, David ist in des Königs Diensten der Treueste und Geschickteste, Saul selbst muß es erkennen, daß Jehova mit David ist in Allem, was er in des Königs Angelegenheiten unternimmt (s. 1 Sam. 18, 12. 28); täglich konnte Saul erfahren, daß David sein guter Genius war, denn dieser allein war im Stande, seinen schlimmsten und unentfliehbaren Feind, den unruhigen und bösen Geist, zu bannen. Und trotz alle dem war Saul der Feind Davids sein Leben lang; alle Wohlthat Davids an Saul ist nicht im Stande, ihm seine Existenz erträglich zu machen, nicht dies oder jenes haßt er an David, sondern seine Existenz haßt er, denn sein Gewissen fürchtet diese Existenz und um so mehr, da er sich nicht verbergen kann, daß Jehova mit David ist (s. 1 Sam. 18, 12. 29). Das ist die eigentliche und wahre Gestalt der menschlichen Bosheit, die eigentliche böse Wurzel aller Sünde, nämlich das, was die Schrift die Feindschaft wider Gott nennt (s. Röm. 8, 7). Das gemeine Auge und Urtheil vermag in den Erscheinungen der menschlichen Sünde diesen verborgensten Grund nie zu entdecken und darum ist es lehrreich, daß derselbe hier so recht bloß gelegt erscheint, obwohl auch hier nicht zu übersehen ist, daß die Bosheit des widergöttlichen Willens auch in Saul noch immer mit allerlei löblichen Gaben und Vorzügen umgeben bleibt. Ohne Zweifel hat es etwas sehr Niederschlagendes, daß die Sünde in der Gestalt der offenbaren Feindschaft wider Gott auftreten kann, und begreiflich ist es deshalb, daß man sich so lange als möglich gegen die Annahme einer solchen Thatsache sträubt; vielleicht dürfte sogar eine solche Annahme das menschliche Fassungsvermögen übersteigen, wenn nicht die Nöthigung zu einer solchen Annahme überall durch die Nachweisung einer anderen Thatsache, welche jener das Gegengewicht hält, bedingt wäre. Nicht anders kann der Mensch Gott widerstreiten, als sich Gott in der Sphäre, welche dem Menschen zugänglich ist, offenbart und seinen Willen thatsächlich kund thut; die Feindschaft des Menschen gegen Gott, wo sie als eine überwiesene Thatsache angenommen werden soll, muß eine concrete Gestalt haben, muß gegen einen in der menschlichen Sphäre vorhandenen und offenbaren Gotteswillen gerichtet sein. Die Offenbarung des göttlichen Willens setzt aber immer menschliche Organe voraus, welche allein den göttlichen Geist und Sinn innerhalb der Welt verständlich machen können, denn in keiner Creatur ist das Bild Gottes angelegt, außer in dem Menschen allein. Die Zeichen und Worte Jehovas auf dem Berge Sinai sind, abgesehen von Mose keine Offenbarung für Israel. Jedoch ist die Möglichkeit der Feindschaft wider Gott keineswegs auf dasjenige Gebiet beschränkt, wo wir eine göttliche Offenbarung in specifischem Sinne annehmen. So weit das Göttliche sich unter den Heiden offenbart, kann es auch hier Gegenstand des Widerstrebens sein. Wir werden nicht leugnen dürfen, daß sich in Vorrates ein Göttliches offenbart und werden demnach auch sagen müssen, die Verurtheilung und Hinrichtung des Sokrates ist eine Feindschaft der Athener gegen Gott. Aber freilich am unverholensten muß diese finsterste Nachtseite der Menschheit da zum Vorschein kommen, wo das Angesicht Gottes sich am unverhülltesten offenbart, wo die Männer Gottes das Licht des göttlichen Willens für die jedesmalige Gegenwatt auf eine unzweideutige Weise leuchten lassen. Demnach sagen wir: Sauls Bosheit ist nicht vorhanden, überall nicht denkbar ohne Davids Unschuld. Könnte David nicht mit voller Wahrheit sagen: sie hassen mich mit Frevel und ohne Ursach (s. Ps. 25, 19. 35, 19. 38, 20), so wüßten wir nicht, daß Sauls Sünde Feindschaft wider Gott ist. Nicht bloß also erscheint das Böse hier nicht ohne das Gute, sondern es wird erst durch das Gute möglich, es verdankt dem Guten seine Existenz. Hier ist also die Grenze der trivialen Maxime, daß wo Feindschaft ist, auf beiden Seiten gefehlt sein müsse. Wir betreten hier den heiligen Boden, wo das Gute im reinen Lichte strahlt und während es für alles Gesunde und Lebendige belebend wirkt, in dem Abgestorbenen die Kräfte der Verwesung entwickelt. So stellt sich die Sache für den Anfang des Gegensatzes zwischen Saul und David, und der Fortgang ist dieser, daß während Saul seine Feindschaft frei austoben läßt, David die ganze Last dieser Feindschaft auf sich nimmt, ohne den Stand seiner Reinheit und Unschuld zu verlassen, so daß das Böse, welches waltet und sich auswirkt, von dem Guten schließlich überwunden wird.

Diesen Sieg des alles Böse überwindenden Guten haben wir uns nunmehr aus den Hauptthatsachen der nächstfolgenden Geschichte Davids zu veranschaulichen. Derjenige, welcher die höchste Gewalt in Händen hatte, verwandelte seine bisherige Gunst gegen David in tödtliche Feindschaft und dieser eine Umstand verkehrt die gesammte glückliche Lage Davids in das volle Gegentheil. David besitzt die Liebe des ganzen Volkes, der Königssohn ist sein Bruder und die Königstochter sein Weib, Samuel, der ihn gesalbt hat, ist der angesehenste Mann in ganz Israel; aber dies Alles schützt ihn nicht gegen den Zorn dessen, der mit königlicher Machtvollkommenheit über Land und Volk gebietet. Jonatan sucht den Grimm des Vaters so lange zu zügeln, als es irgend gehen will (s. 1 Sam. 19, 1-6), aber bald muß David weichen, Michal versteckt den Geliebten vor den Häschern des Vaters, aber weiteren Schutz kann sie nicht gewähren, als ihm zur Flucht behülflich zu sein (s. 19, 11-18); den Samuel sucht David auf, derselbe nimmt sich seiner an, aber thun kann er Nichts für ihn (s. V. 18). Und das Volk? Saul hat die königliche Gewalt in Händen und gebraucht sie nach dem ihm sein böser Geist eingiebt. Als ihm durch den Edoniter Doeg verrathen ist, daß die Priester zu Nob sich des flüchtigen David angenommen, läßt er durch diesen edomitischen Fremdling fünfundachtzig Priester Jehovas, an welche die israelitischen Trabanten Sauls die Hände nicht legen wollten, mit ihren Familien tödten (s. I Sam. 22, 11 - 19). Als nun so die Ungerechtigkeit überhand nahm, da erkaltete die Liebe (s. Matth. 24, 12). Die Ungerechtigkeit kann sich nur vollenden, wenn bereits die Furcht ihre unheimliche Macht im Verborgenen ausgebreitet hat, und ist nun die Ungerechtigkeit auf diesem durch die heimliche Furcht geebneten Boden zum Ziele gekommen, so erhebt die vollendete Ungerechtigkeit die Furcht zu einer herrschenden Macht und diese Furcht verscheucht sodann die Liebe (vgl. 1 Joh. 4, 18). Auf diesem Wege wurde die Liebe Israels zu David kalt und ist es erst bis dahin gekommen, so ist es nicht weit ab vom Verrat!), die kalt gewordene Liebe ist der Uebergang zur Feindschaft. Nicht bloß hat keine Stadt in Israel David Schutz gewahrt, die Bewohner der Wüste Siph haben ihn sogar seinem Todfeinde verrathen (s. 1 S. 23, 19. 26, 1. Psalm 54, 2), und selbst auf die Bürger von Kegila, welche David aus der Philister Gewalt befreiet hatte, war für ihn kein Verlaß (s. 1 Sam. 23, 12).

So erfuhr denn David die Einsamkeit und Verlassenheit, die er so oft in seinen Liedern beklagt, zum ersten Mal in der bittersten Weise. Nicht anders als ausgestoßen aus der Gemeinde seines Volkes konnte er innerhalb des israelitischen Landes nur in den Wohnstätten der Thiere des Feldes Bergung und Zuflucht finden. Sobald David über den vollen Ausbruch der wüthigen Feindschaft Sauls Gewißheit hat, macht er sich auch über seine Lage keine Illusion mehr, er wagt den kühnen Versuch, bei dem Philisterkönig von Gath eine Zufluchtstätte zu gewinnen. Obwohl nun Achis von Gath zu einfältig zu sein scheint, um die mögliche Gefahr, welche mit Davids Anwesenheit im Philisterlande verbunden sei, zu durchschauen, so ist doch die Erlegung des philistrischen Riesen durch David noch zu frisch in der Erinnerung, als daß Davids Ankunft in Gath nicht Argwohn und Furcht erwecken sollte. Und David bleibt deshalb Nichts übrig, als sich durch Verstellung der augenblicklichen Gefahr zu entziehen, um demnächst sofort das Philisterland zu verlassen (s. 1 S. 21, 10-15). Er begiebt sich sodann in die Wüste und verbirgt sich in der Höhle Adullam und so groß ist seine Unsicherheit, daß sich hier seine Brüder und Eltern bei ihm einfinden und David darauf Bedacht nehmen muß, seinen Vater und feine Mutter bei den Moabitern vor Saul in Sicherheit zu bringen (s. 1 S. 22, 1. 3. 4). Es scheint, daß auch David die Absicht hatte, in einer moabitischen Feste das Weitere abzuwarten, aber der Prophet Gad befahl ihm, nach dem Lande Juda zurückzukehren (s. V. 5), damit der erwählte und gesalbte König auch während seines Leidens sich dem Lande seiner künftigen Herrschaft nicht entziehe. Denn dieses Leiden gehört, wie wir bald sehen werden, wesentlich zu seiner völligen Einweihung in das königliche Amt über Israel und darf deshalb nicht mehr, als nothwendig, den Augen des Volkes entrückt werden. Von jetzt an finden wir David eine Zeit lang in Wäldern, Wüsten, in Klüften und Felsgebirgen. Der Wald Haret (s. 22, 5), ein Berg in der Wüste und dem Dickicht von Siph) (s. 23, 14. 15), der Hügel Hagila (s. V. 19), die Wüste Maon (s. V. 24. 25), der Scheidefels (s. V. 28), die Wüste Engedi (s. 24, 2), der Steinbockfelsen (s. V. 3), vielleicht sogar die ferne Wüste Paran (s. 25, 1), das sind die wilden Residenzen, wo der künftige König Israels Hof halten muß. David ist allerdings nicht verweichlicht und die mit solchem unstäten Leben verbundenen äußeren Strapazen konnten ihm an sich nicht viel bedeuten; freilich hat er bei all seinem löwenmuthigen Sinn ein sehr gefühlvolles und weiches Herz; ihm ist weder rohe und stumpfe Unempfindlichkeit, noch flatterhafte, abentheuernde Leichtfertigkeit mitgegeben, so daß alle diese äußere Bedrängniß und Fährlichkeit überall nicht in ihn hätte eindringen können. Je weniger aber das bloß Aeußerliche dieser Entbehrungen und Fährlichkeiten an sich den hohen Muth Davids erreichen konnte, desto tiefer wurde seine Seele von dem in denselben verborgenen Stachel verwundet. Dieser Stachel war die menschliche Bosheit und Falschheit, welche die Seele der über ihn hereingebrochenen Verfolgung war. Der heilige Zorn und der tiefe Schmerz über diese Offenbarung menschlicher Verderbtheit ergreift David so heftig und gewaltig, daß sein ganzes Gemüthsleben in vollen Aufruhr gebracht und nur durch die höchste Kraft, welche in Israel vorhanden war, nämlich die Religion, wieder gestillt werden konnte. Es ist zu vermuthen, daß die erschütternde und aufregende Erfahrung, welche David in seinem Verhältniß zu Saul erlebte, Anlaß und Ursach wurde, daß sein Saitenspiel von nun an einen anderen Charakter erhielt, indem sein reiches und tief aufgeregtes Gemüthsleben nunmehr zu einer frisch sprudelnden Quelle geistlicher Lieder wurde. In den alten Ueberschriften der Psalmen, welche die neuere Kritik ohne genügende Gründe und vornämlich wegen Mangelhafter Einsicht in das Innere der davidischen Geschichte verdächtigt, führen die Spuren davidischer Lieder bis in die Zeit der ersten Verfolgung zurück (s. Ps. 59, 1 56, I. 57, I. 52, 1. 54, 2) und bestätigen jene Vermuthung. Diese geistlichen Lieder, indem sie den Gang der äußeren Schicksale begleiten und eben aus den Hauptmomenten dieser äußeren Begebenheiten ihren Anlaß erhalten, sind für die Geschichte Davids von der größten Wichtigkeit, denn sie enthüllen uns sein. Inneres, welches wir ohne diese poetischen Selbstbekenntnisse niemals völlig durchschauen würden. Denn es ist wohl die Frage, ob das Wort Lessings: „das Leben eines Dichters sind seine Gedichte“, noch sonst irgendwo eine so stricte Anwendung findet, wie bei den Psalmen Davids, weil nämlich nicht leicht sonst das Lied ein so unmittelbares Product des Lebens ist, wie die Psalmen, welche so zu sagen mit den Wurzeln in dem geistigen und leiblichen Boden ihres Ursprunges festgewachsen sind.

Die Psalmen zeigen uns nun, wie tief das Leiden, vor Allem die boshafte Ursache desselben, die Seele Davids verwundet. So unmenschlich erscheint ihm der Haß seiner Dränger und Verfolger, daß es ihm ganz geläufig ist, die Feinde als gefährliche und wilde Thiere zu schildern.

Mitten unter Löwinnen liege ich mit meiner Seele, Menschenkinder sind Flammen, ihre Zähne Spieße und Pfeile. Und ihre Zunge ein scharfes Schwert (s. Ps. 57, 5). Ihren Rachen sperren sie wider mich, wie ein zerreißender und brüllender Löwe (s. Ps. 22, 14). Auch in folgender Weise beschreibt er den ganz außerordentlichen Zustand, in welchen er durch sein Leiden versenkt worden: Des Todes Bande umfingen mich und die Ströme Belials überwältigten mich, Des Unterreiches Bande umgaben mich und des Todes Netze ereilten mich (s. Ps. 18, 5. 6). David scheut sich nicht, in seiner Verlassenheit und Hülflosigkeit mächtigen Feinden gegenüber seine Furcht und Angst unumwunden zu bekennen (s. Ps. 55, 5. 6), und daß der Held Israels solches Selbstgeständniß seinem Volke nicht vorenthalten hat, ist uns einestheils ein Beweis, daß sein ungewöhnlicher Heroismus keine andere Basis hat, als die allgemein menschliche von Fleisch und Blut, andererseits eine Bürgschaft, daß wir uns auf seine Selbstaussagen gänzlich verlassen können. Noch ein anderer Theil dieser Selbstaussagen, welcher mit dem eben Erwähnten zusammenhängt, muß uns höchst merkwürdig und lehrreich sein. Es versteht sich nach allem Bisherigen von selbst, daß der gesunde und starke Organismus Davids von keinem Dinge weiter absteht, als von aller nervösen Reizbarkeit. Und doch spricht er eine Stärke, eine Tiefe und einen Umfang von körperlichen Gefühlen aus, wie wir solches nur in krankhaft gestörten Zuständen kennen. Es ist dies aber bei David lediglich Wirkung und Folge von dem mächtigen und tiefen Strome seines Seelenlebens. Weil seine Seele den ganzen Eindruck der menschlichen Verderbtheit, die volle Wirklichkeit seiner eigenen Noth und Gefahr ohne Selbsttäuschung und frei von aller Stumpfheit und Unempfindlichkeit in sich aufnimmt, so wird auch der ganze leibliche Organismus von diesem gewaltigen Erdbeben einer starken Seele mit erschüttert. Das ist es, wenn David klagt:

Wie Wasser bin ich ausgeschüttet und zertrennet sind alle meine Gebeine, geworden ist mein Herz wie Wachs, zerschmolzen ist es mitten in meinem Leibe, Vertrocknet wie eine Scherbe ist meine Kraft und meine Zunge klebt an meinem Gaumen Und in den Staub des Todes legst du mich (s. Ps. 22, 15. 16).

Wo aber findet nun dieser Mann Trost und Stärke? Wohin soll sich David wenden, der von mächtigen Feinden Verfolgte, von seinen Freunden und Brüden: Verlassene, der aus der Menschengemeinschaft Verstoßene, der gleich dem Huhn auf den Bergen Gejagte (s. 1 Sam. 26, 20), der an Leib und Seel bis auf den Grund Erschütterte! Ja, hier zeigt sich nun wiederum und zwar auf eine noch verständlichere Weise, daß der Name Jehova für David das Realste aller Dinge und Wesen ist, daß es die Sprache der erfahrungsmäßigen Wahrheit ist, wenn er Jehova anruft: Mein Fels, meine Feste und mein Erretter, Mein Gott, mein Felsgrund, auf den ich mich stütze, Mein Schild, das Horn meiner Hülfe, meine Zuflucht (s. Ps. 18, 3). In dem Kampf mit dem Philister handelte es sich um einen Moment, hier ist eine Kette von Entbehrung, Verlassenheit, Gefahr und Noth, welche sich durch Jahre hindurchzieht und deren Ende Niemand absehen sann, und Jedermann muß begreifen, daß wer in solcher sage Stand hält, einer übermenschlichen, einer göttlichen Kraft und Stärkung theilhaftig sein muß. In der That, nichts Geringeres ist es, als eine neue Offenbarung Jehovas, welche sich in dem Leiden Davids enthüllt, und welche in den Liedern Davids, die sein Verhalten erklären, ausspricht: Vater und Mutter verlassen mich, aber Jehova nimmt mich an, so singt David Ps. 27, 10. In solchem Bewußtsein der Gemeinschaft mit Jehova ward es ihm möglich, umringt von Noth und Gefahr, zu sprechen: Fest ist mein Herz, o Gott, fest ist mein Herz, Singen und spielen will ich; wache auf meine Seele, Wache auf Harfe und Psalter, erwecken will ich das Morgenroth (s. Ps. 57, 8. 9); In Freuden will ich mich legen und schlafen, Denn du allein, Jehova, lässest mich in Sicherheit wohnen (s. Ps. 4, 9); Jehova ist mein Licht und meine Hülfe, vor wem soll ich mich fürchten? Jehova ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen (s. Ps. 27, 1)? Jehova ist mein Hirte, mir wird Nichts mangeln; Auch wenn ich wandele im Thal des Todesschattens, fürchte ich nichts Böses (s. Ps. 23, I. 4). So und ähnlich läßt sich David vernehmen in einer Lage, die für die Gegenwart Nichts als Beschwerde hat und für die Zukunft keine Aussicht bietet, und wir müssen uns wohl überzeugen, daß das Vertrauen auf Jehova ein Hochleben sein muß in eminentem Sinn. Aber freilich erfahren wir auch, daß dieses Hochleben nicht ein Besitz ist, der ein für allemal gegeben wird, sondern auf stetigem Empfangen beruht und daher nur erworben wird durch stetiges äußeres und inneres Entwerden. Und von dieser Höhe aus gewinnt daher auch das Klagen und Zagen Davids erst sein rechtes Licht. Wir müssen deshalb auch noch einmal in diese Tiefe hinabsteigen, um die volle Uebersicht über diese dunkle Periode der davidischen Geschichte zu erlangen.

Eben das unbedingte Vertrauen auf Jehova nöthigte David, auf den allerletzten Grund seines Leidens zurück zu gehen, und eben dieses Eindringen auf den letzten Grund brachte ihm die allerschwerste Prüfung, nach deren Bestehen er selber erst den Sinn seines Leidens zu erfassen im Stande war. Wenn Jehova die letzte Zuflucht ist, während die ganze Welt weicht und wankt oder sich sogar feindlich empört, so ist Jehova auch die letzte Ursache von Allem, und demnach nicht Saul, nicht Doeg, nicht die Siphiten oder Philister die Urheber der Bedrängniß Davids, sondern Jehova ist die Ursache, und alle Feinde Davids Jehovas Werkzeuge.

Jehova selber hat also David verlassen und ihn dem Leiden übergeben, also den, welchen er zum König Israels gesalbt hat, legt er selber in des Todes Staub (s. Ps. 22, 16). Da David sich oft auf Jehovas Schutz berufen hatte, so mußte dieses auch Anderen einleuchten und diese machten nun den sehr scheinbaren Schluß, daß das Verhältniß zwischen Jehova und David aufgelöst sein müßte und geben deshalb dem David den höhnischen Rath: er möge hingehen und anderen Göttern dienen (s. 1 Sam. 26, 19). Hier lag der schärfste Stachel aller Leiden Davids. In dieses Räthsel mußte er eindringen, wenn er zur vollen Ruhe und Klarheit gelangen wollte. Hat er etwa sich vergangen und muß nun büßen für seine Sünde? Nothwendig mußte diese Frage in David aufsteigen und dieser Frage mußte er mit unverwandtem Blick ins Angesicht schauen. Das Verhältniß Davids zu seinem Jehova ist von dem der homerischen Helden zu ihren Schutzgöttern himmelweit verschieden. Wer dem davidischen Selbstbekenntniß in dem 139. Psalm nachdenkt, muß bald inne werden, daß die Wahrheit und Reinheit des religiösen Denkens und Lebens, wie es sich hier ausspricht, durch Nichts überboten werden kann. Hören wir, wie David hier sein Innerstes vor Jehova entfaltet: Jehova, du erforschest und erkennest mich, Du weißt mein Sitzen und Aufstehn, Du merkst mein Denken von ferne, Mein Gehen und Liegen hast du gesichtet, Und mit allen meinen Wegen bist du vertraut. - Wohin soll ich gehen vor deinem Geiste? Und wohin fliehen vor deinem Angesicht? Stiege ich auch zum Himmel, so bist du da; Bettete ich mich in der Hölle, siehe so bist du da; Nähme ich Flügel des Morgenroths Und wohnete an des Meeres Grenze, Auch dort würde deine Hand mich führen Und deine Rechte mich leiten. - Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz, Prüfe mich und erkenne meine Gedanken Und schaue, ob in mir sei ein Weg der Eitelkeit Und führe mich auf den Weg der Ewigkeit. David geht aber aus dieser Selbstprüfung vor Jehova rein hervor: nicht bloß weiß er, daß er denen, die ihn hassen und verfolgen, nur Gutes und Liebes erwiesen (s. Ps. 35, 12 -14), sondern auch vor dem heiligen Angesicht Jehovas hat er reine Hände und ist gerecht in seinem Wandel (s. Ps. 18, 21-23). Nun kam aber noch ein zwiefacher Umstand hinzu, der die Frage Davids noch quälender machte. Bedrängniß auserwählter Männer Gottes war allerdings in Israel nichts Neues, aber sie kam in der Regel von den Heiden, über David kommt sie aus der Mitte Israels selber; ferner wo die Auserwählten in große Verlegenheiten und Nöthen geriethen, da hat Jehova sich ihrer alsbald mit seinem ausgereckten Arm angenommen, und deshalb thront er „über den Lobgesängen Israels“ (s. Ps. 22, 4); David aber wird von einer Bedrängniß in die andere gestürzt und niemals thut sich der Himmel über ihm auf, und doch ist er derjenige, auf welchen das ganze Volk als auf seinen königlichen Retter hingewiesen ist. Wohin soll David sich wenden mit diesem quälendsten Räthsel seines Lebens? Er macht es mit dieser Noth, wie mit all seinem anderen Herzensanliegen, er wendet sich unmittelbar an Jehova. Die Frage nach dem letzten Grunde seines Leidens hat in ihm lange gegährt und auf und niedergewogt, nachdem sie sich aber zur vollen Bestimmtheit abgeklärt, spricht David sich vor Jehova aus und zwar in unverholener Schärfe: „warum hast du mich verlassen?“ lautet Davids Klage und Frage an Jehova und mit den schmerzlichsten Zügen beschreibt er sodann vor Jehova den Zustand seiner gänzlichen Verlassenheit (s. Ps. 22, 2–19). Jedoch die Basis, auf welcher diese kühne Frage und Klage Davids ruht, ist die Anrufung: „mein Gott, mein Gott“, welche David vorausschickt. Mit dieser Anrufung bekennt er, daß wenn auch Jehova ihn verlassen habe, er seinerseits Jehova nicht verlassen habe und damit kündigt sich die Frage Davids sofort an als das Ringen des steghaften Glaubens mit Gott. Und deshalb bleibt auch die schmerzliche Frage nicht ohne tröstliche Antwort. Wenn die Frage aus dem tiefsten Grunde der Seele emporgestiegen, so senkt sich die göttliche Antwort still und verborgen wie nächtlicher Thau in des Herzens Tiefe und dieser göttlichen Antwort Frucht ist die fröhliche, weissagende Stimme des letzten Theiles des merkwürdigen 22. Psalmes (s. V. 23-31). Denn hier öffnet sich die fröhlichste Aussicht, die gedacht werden kann: nicht bloß sollen alle Nachkommen Jakobs überhaupt Jehova preisen (s. V. 24), sondern hervorgezogen werden eben die, welche sonst gleich David zurückstehen mußten, die Sanftmüthigen (V. 26) und die im Staube Liegenden (P. 30); essen werden diese und satt werden; aber noch weiter schaut der plötzlich aufgeschlossene Blick des noch eben so tief gebeugten Dichters, alle Enden der Erde, alle Geschlechter der Völker sieht er innerlich umgewandelt, des lebendigen Gottes, den sie vergessen (s. Ps. 9, 18), gedenken sie wieder und zu Jehova bekehren sie sich (s. V. 28). Was zunächst ein neues Räthsel zu sein scheint, der überschwenglich fröhliche Schluß eines im tiefsten Klageton anhebenden Liedes, das ist in der That die wirkliche Lösung des ersten Räthsels. Die Verknüpfung von Anfang und Ende ist in den Worten:

„Erzählen will ich deinen Namen meinen Brüdern, Mitten in der Versammlung will ich dich preisen“ (s. V. 23). Und was ist das Neue, was David seinen Brüdern von dem Namen Jehovas zu sagen und zu rühmen hat? „Denn nicht verachtet und nicht verschmähet hat er das Elend eines Elenden, Und nicht hat er sein Angesicht vor ihm verborgen Und als er zu ihm rief, hat er gehöret“ (s. V. 28). Wer ist dieser Elende? Kein Anderer als der Dichter; darum fährt er fort in eigenem Namen: „Von dir geht aus mein Lobpreiß in großer Versammlung, Mein Gelübde will ich bezahlen in Gegenwart seiner Verehrer“ (s. V. 26).

Also wenn David dereinst in der großen Gemeinde seiner Brüder erzählt, wie Jehova ihn, den unschuldig Leidenden und Verlassenen, in seinem Elend nicht verschmäht, sondern sein Flehen erhöret hat, so hat dieses eine erneuernde und belebende Wirkung auf das ganze Voll Israel und insbesondere werden alle Gedrückten und Leidenden im Volke dadurch emporgehoben, so daß der Gegensatz zwischen Glücklichen und Unglücklichen in die ursprüngliche Einheit ausgeglichen erscheint, und diese Vollendung des Volkes Gottes breitet sodann ihren göttlichen Segen aus auf alle Heiden bis an die Enden der Erde. Können wir nach dem Bisherigen noch unsicher sein, wie dieses zu verstehen ist? Der König Israels hat ja, wie wir gesehen, den Beruf, die Zerrissenheit in Israel wiederum zur ursprünglichen Einheit wieder herzustellen: das kann er aber nur so, daß er alle in Israel vorhandenen Störungen und Verderbtheiten innerlich in sich durchlebt und überwindet. Die schlimmste Störung und Verderbtheit nun ist die Bosheit Sauls, der anstatt seines königlichen Amtes zu pflegen, die Unschuld verfolgt und wider Jehova streitet; in diesem bösen Geschwür kam die Krankheit des ganzen Volkes zum Ausbruch und David ist es, der die ganze Bosheit Sauls über sich ergeben läßt, unschuldig leidet er sie, denn wäre er irgendwie schuldig, so würde er irgendwie auch unter seiner eigenen Verkehrtheit, und nicht die reine Bosheit leiden und indem er in seiner Unschuld beharrt, erleidet er die Bosheit bis zu Ende aus. Dieses Erleiden der Bosheit ist der Zustand der Gottverlassenheit, weil aber David in der Gottverlassenheit Gott nicht verläßt, so hat er Kraft, sein Leiden zu ertragen und damit die Bosheit vollständig innerlich zu überwinden und den tiefsten Schaden in Israel von innen her zu heilen. Für dieses innerliche königliche Werk ist David in das Leiden versenkt und weil er dasselbe in unwandelbarem Festhalten an Jehova vollbringt, so wird er auch, nachdem das Werk vollbracht, erhöret und errettet. Und was ist dann noch übrig? Nichts Anderes, als daß David diese Geschichte der verborgenen und innerlichen Vollendung seines Königthums in der Gemeinde Israels berichtet, dieses verkündigende Wort muß sodann auch äußerlich das Königthum vollenden und seine Wirkung auch über die Heiden ausbreiten. Damit weiß nun David und wissen auch wir es, warum er von Gott verlassen worden ist.

Das, was David im 22. Psalm im Geiste vorgreifend schildert und weissagt, das wird uns in dem Lauf der geschichtlichen Thatsachen näher gebracht. Davids Brüder, welche sich bei ihm einfanden, als er in der Höhle Adullam war, scheinen sich wieder entfernt zu haben, denn wir lesen nachher Nichts von ihnen, aber andere Leute versammelten sich um David in der Höhle Adullam, um bei ihm zu bleiben. Es steht geschrieben: „und es sammelten sich zu ihm allerlei Leute, die in Bedrängniß und Schulden waren, sowie allerlei Leute, die erbitterten Herzens waren und er ward ihr Fürst und es waren bei ihm an vierhundert Mann“ (s. 1. Sam. 22,2). Es giebt heut zu Tage Manche, welche sich Saul weit eher unter den Propheten denken können, als den frommen König David unter bedrängten und erbitterten Proletariern, welche Jahre lang seine einzige Umgebung bilden und er selbst ihr Führer, so daß wir die wirklichen Anfänge seiner selbstständigen Führerschaft eben in der Verbindung mit diesem ausgestossenen und verzweifelten Haufen des Volkes uns vorzustellen haben. Freilich ist es ein Mißbrauch der Parallelisirung der Profangeschichte mit der heiligen, wenn man die Beschreibung des davidischen Haufens durch die Aehnlichkeit mit der römisch-aristokratischen Schilderung der catilinarischen Bande erläutern will. Wer mit solcher Vergleichung dem Verständniß der Geschichte Davids einen Dienst zu erweisen glaubt, der kann David eben so wenig begriffen haben, als derjenige, welcher ihn wegen mancher frommen Sätze in den Psalmen zu den Pietisten rechnet. Eher könnte man noch an den Prinzen Heinrich von Wales denken, der sich mit Gesindel herumtreibt, theils um das Volk kennen zu lernen, theils um durch den späteren Contrast seiner fürstlichen Tugenden desto heller zu glänzen. Denn allerdings streifen die Besetzung von Kegila (s. 1 Sam. 23, 1-14) und der Ehrenhandel mit dem unfeinen Scheich Nabal, sowie der Zwischenact mit der klugen Abigail (s. 1 Sam. 25), wie auch einzelne Wagstücke von Männern aus Davids Umgebung, welche offenbar in diese Zeit gehören (vgl. 2 Sam. 23, 13-17), und endlich die Beutezüge gegen die südlichen Grenzvölker (s. 1 Sam. 27, 8-12) nahe an das Abentheuerliche. Indessen, so lehrreich Vergleichungen, richtig angebracht, sein mögen, schließlich bleibt doch immer das wahrhaft Ersprießliche, Davids Geschichte mit ihrem eigenen Maßstäbe zu messen.

Die Männer der Bedrängniß, die Männer der Schuldenlast, die Männer mit erbitterter Seele sind diejenigen, in welchen die Krankheit des Volksganzen, die durch Sauls Königthum so wenig die gehoffte Genesung gefunden, daß sie durch dasselbe nur noch verschlimmert worden war, sich personificirt hatte. Die Bitterkeit der Seele, welche zu der äußeren Noth sich hinzugesellt, war ein scharfer Saft, der leicht zu einem tödtlichen Gifte umschlagen konnte; allein in dieser Bitterkeit war immer noch eine Kraft, welche besser war, als Stumpfheit und Gleichgültigkeit, welche, richtig behandelt, wiederum in das Leben der Gesammtheit zurückgeleitet werden konnte. Solche kranke Glieder an dem Gesammtkörper des Volkes sind in der Regel so weit von der Höhe des Thrones verscheucht, daß die Herrschenden sich von dem äußeren und inneren Zustande derselben keinen rechten Begriff machen können, und die Hohen gar leicht in den Irrthum gerathen, als ob die verbitterte Stimmung an sich schon nicht bloß unheilbar, sondern sogar ein tödtlicher Stoff sei, der auf alle Weise ausgeschieden werden müsse. Das ist die Wirkung der Veräußerlichung des königlichen Amtes und wiederum die Ursache der unseligsten Verwirrungen, von denen die Geschichte erfüllt ist. Und eben darum ist dieser Charakter des davidischen Königthums, daß hier alles Aeußerliche innerlich vermittelt und begründet werde, und demnach Herrschaft und Gewalt auf keinem andern Grunde ruhn, als dem der richtigen Erkenntniß und des gesunden Gefühls für das Gesammtleben des Volkes, für alle Zeiten so überaus lehrreich. Eben vermöge dieses Charakters seines Königthums ist es nothwendig, daß David mit den Schäden und Gebrechen seines Volkes in unmittelbare Berührung kommt. Nun zeigt sich aber die Noth der äußeren Lage und die Bitterkeit der Seele nur da in ihrer wahren Gestalt und in ihrer natürlichen Sprache, wo sie mit Sicherheit auf Sympathie rechnen darf, wo sie nicht durch den Abstand der äußeren Stellung in ihre geheimen Schlupfwinkel zurückgescheucht wird. David auf der Flucht vor König Saul, verlassen von seinen Freunden und Gönnern, nicht wissend, wo er sein Haupt hinlegen soll, David in der Höhle von Adullam ist so recht gezeichnet als derjenige, welcher von Allen am meisten unter dem Drucke der Zeiten zu leiden hat. Darum wird er in dieser Lage der natürliche Anziehungspunkt für Alles, was sich im Lande gedrückt und verlassen fühlt. Und David wird der Fürst dieser Gedrückten, dieser Elenden, dieser Verbitterten. Früher hat ihn Saul zum Fürsten über Tausende gesetzt (s. 1 Sam. 18, 13), jetzt wird David Fürst nicht auf des Königs Befehl, sondern durch inneres gegenseitiges Einverständniß. Jene Schaar erkennt in ihm den Fürsten des Leidens, Jeder merkt, daß David die Sprache seiner Noth versteht, weil David mehr verloren als sie Alle, weil David tiefer fühlt und leidet, als sie Alle zusammen. Der Beweis dafür liegt in den Psalmen vor Augen: wenn David hier so oft der Armen und Elenden gedenkt und sich ihrer annimmt, so ist das nicht die Sprache der Phantasie und der Reflexion, sondern die Sprache der Naturwahrheit, der wirklichen Erfahrung, welche er während seiner eigenen Noth in dem vertrauten und nahen Umgang mit den Leidenden seines Volkes gemacht hat. Die fürstliche Ueberlegenheit, welche die Schaar der vierhundert Männer dem David willig zugesteht, hat aber ihren vornehmsten Grund darin, daß David eine Eigenschaft mit ihnen nicht theilt, nämlich die Verbitterung der Seele. David bekennt von seiner Seele:

„Wahrlich, geebnet und gestillt habe ich meine Seele, Wie ein entwöhntes Kind an seiner Mutter, So liegt entwöhnet an mir meine Seele“ (s. Ps. 131, 2). Die verbitterten Männer müssen es merken, daß Davids natürliche Gefühle und Empfindungen mindestens eben so stark und heftig sind, wie ihre eigenen, aber in ihm wohnt noch eine andere Macht, welche alles Ungestüm der leidenschaftlichen Seele zu stillen weiß, nicht indem sie die Seele stumpffinnig macht, sondern sie beherrschend in einen andern Zustand versetzt, der eben so naturgemäß und lieblich ist, wie das leidenschaftlose Ruhen eines entwöhnten Kindes an der Mutter Brust. Vor dieser fürstlichen Gewalt, die in der Seele Davids thronte, mußten die Verbitterten unwillkürlich ihre Kniee beugen; denn indem sie sich dem Eindruck dieser Gewalt hingaben, mußten sie eine heilige Kraft merken, welche ihre krankhafte und ohnmächtige Bitterkeit zu heilen und gesund zu machen vermochte.

Es konnte freilich Davids scharfem Blick schwerlich entgehen, daß er durch eine solche Verbindung mit den verlorenen und verbitterten Männern seine Sache in den Augen derer, welche blindlings an dem äußeren Bestände der Dinge und Verhältnisse haften, ohne in den Grund des Bösen und Guten einzudringen, nur verderben konnte. Die Stimme dieser Conservativen vernehmen wir aus dem Munde Nabals, des reichen Emirs auf dem Berge Carmel.

Dieser besitzt dreitausend Schafe und tausend Ziegen und ist ein sehr großer Mann (s. 1 Sam. 25, 2); er merkt Nichts von der allgemeinen Verwirrung und Noth unter Sauls Regiment, und da sein Herz hart ist (s. V. 3), so fühlt er auch Nichts von der Noth Anderer, er ißt und trinkt, und an den Folgen eines seiner königlichen Gastmähler ist er gestorben (s. V. 36-38). Dieser Mann, als David ihn um das übliche Geschenk für den Schutz seiner Heerden ansprechen läßt, antwortet: „wer ist David und wer ist der Sohn Isais? Heut zu Tage giebt es viele Knechte, die sich losreißen ein jeglicher von seinem Herrn. Und ich sollte mein Brod und mein Wasser und mein Schlachtvieh, welches ich meinen Schafscheerern geschlachtet, nehmen und sollte es Leuten geben, von denen ich nicht weiß, wo sie her sind“ (s. V. II)? Während den Feinden Israels das Lied über Davids Heldenthat fortwährend in den Ohren gällt (s. 1 Sam. 21, II. 29, 5), weiß dieser Mann von David Nichts weiter, als daß er seinem Herrn entlaufen ist, und seine Schaar betrachtet er als einen Haufen von Vagabonden, er sieht bereits die socialen Verhältnisse in Auflösung begriffen und David ist ihm der Rädelsführer dieser Revolution. Keine Frage, daß auch andere Inhaber von Besitz und Gewalt das Verhalten Davids ebenso betrachteten, und unter dem Einfluß dieser Anschauung in den höchsten Kreisen hielten natürlich die Meisten Davids Lage für eine hoffnungslose und verzweifelte. Aber nicht Alle denken so, es giebt in Israel eine unsichtbare Gemeinde, welche ihr Auge nicht abwendet von dem verfolgten David, welche hinter dem dichten Schleier seiner Schmach und Verlassenheit das Angesicht des Gesalbten nicht verkennt. Sogar ein Weib, und dazu das Weib jenes Thoren, des Nabal, die Abigail spricht in derselben Zeit, als ihn Nabal und seines Gleichen für verloren hielten, zu David: „gewiß wird Jehova meinem Herrn ein festes Haus bauen, denn die Kriege Jehovas führet mein Herr, und Böses wird nicht bei dir gefunden“ (s. I Sam. 25, 28). Was Jonatan bisher nicht ausgesprochen hatte, als er David in der äußersten Noth findet, spricht er es unumwunden aus: „und nun, siehe, ich weiß es, König wirst du werden und aufgerichtet wird werden durch deine Hand Israels Königthum“ (s. 1 Sam. 24, 21). Von Amasai, der als ein Haupt von Dreißig aus Benjamin und Juda sich dem David nahte, heißt es: „der Geist bemächtigte sich seiner und er sprach: dein sind wir, David, und dir gehören wir an, Sohn Isais, Friede, Friede sei mit dir und Friede mit dem, der dir hilft, denn dir hilft dein Gott“ (s. 1 Chron. 12 (13), 18). Aus dieser begeisterten Begrüßung Amasais, der sich erst später zu David gesellte, ersehen wir, daß die dem David günstige Stimmung nicht abnahm, sondern wuchs. Daraus erklärt sich denn auch, daß die ihn umgebende Schaar sich im Laufe der Zeit auf sechshundert vermehrte (s. 1 Sam. 23, 13. 25, 13. 27, 27. 30, 9). Aber die proletarische Truppe wächst nicht bloß, sondern sie verwandelt sich auch unter Davids Händen in eine streitbare Kriegsschaar. David weiß den sich um ihn Sammelnden seinen Heldengeist einzuflößen, und die Großthaten, welche die Tradition von den streitbaren Männern Davids berichtet und welche ohne Zweifel vorzugsweise dieser Zeit angehören, erinnern mehr oder weniger an Davids ersten Waffengang (vgl. 2 Sam. 23, 8-34. 1 Chron. II, 10-12, 22). Als charakteristisch wird hervorgehoben, daß die von Gad „das Ansehen hatten wie Löwen und schnell waren wie die Hindinnen auf den Bergen“ (s. 1 Chr. 12,8), und eben dieselben gingen durch die reißende Hochfluth des Jordan (s. V. 15), sogar von den Benjaminiten, den nächsten Stammesvettern des Königs Saul, waren in dem Haufen Davids die geschicktesten Schleuderer (s. 1 Chron. 12, 2. vgl. Richt. 20, 16). Die wenigen zerstreuten Notizen, welche die Tradition über die Helden Davids aus dieser saulischen Zeit aufbewahrt,' überzeugen uns hinlänglich, daß dieses Wüsten- und Freibeuterleben, zu welchem David mit seinen Sechshundert gezwungen wurde, die hohe Kriegsschule für die spätere Armee seines Königreiches geworden ist. Das will ohne Zweifel die Chronik auch andeuten, wenn sie schreibt: das Lager Davids sei in der letzten Zeit vor dem Tode Sauls immer größer geworden und sei gewesen wie „das Lager Gottes“ (s. V. 22). Dieser Ausdruck ist nicht, wie Berthnau meint, eine nochmalige Umschreibung der eben schon ausgesagten Größe, sondern eine althergebrachte Bezeichnung Israels als der Heerschaar Jehovas auf Erden (s. 2 M. 12, 41. 7, 4. vgl. 1 M. 32, 3. 8. 11). Ist aber die davidische Schaar der Sechshundert ein Lager Gottes, so muß ihm nicht bloß die Streitbarkeit eignen, sondern auch die israelitische Gesinnung und wir werden annehmen müssen, daß David die Bitterkeit der Seelen bezähmt habe. Von David wissen wir, daß er in dieser schweren Zeit seine Seele vor Jehova gestillet und seine Hand in Gott gestärkt hat (s. 1 Sam. 23, 16). Wir werden aber nicht der Meinung sein, daß David seine Mannschaft etwa wie ein puritanisches Lager gehalten habe; nicht mit Singen und Beten und Predigen hat er diesen Grundstamm seines Heeres erzogen, sondern durch die heiligende Kraft seines eigenen Verhaltens.

Was war dem David näher gelegt, als sich mit seiner Mannschaft zu Sauls Feinden zu schlagen und mit ihrer Hülfe der verderblichen Herrschaft seines Todfeindes ein Ende zu machen? Oder auch in Israels Mitte die Fahne des offenen Ausstandes aufzupflanzen? Für Beides war es leicht, theils in Sauls Verwerfung durch Samuel, theils in seiner eigenen Salbung wie in seinen Verdiensten um das Volk stattliche Gründe aufzubringen. Aber sowohl das Eine wie das Andere ist Davids Seele so fremd, daß auch nicht einmal ein Gedanke daran in ihm aufkommt. Es ist ihm um Nichts zu thun, als seine eigene Existenz zu fristen. Im Vertrauen auf Jehova wendet er vorläufig auf diesen einen Zweck alle seine Aufmerksamkeit und Tätigkeit und es gelingt ihm auch während einer geraumen Zeit, deren Maß uns nicht aufbewahrt ist, den gefährlichen Nachstellungen Sauls, freilich oft nur mit genauer Noth, zu entrinnen. Weil aber Davids Gottvertrauen, so fest es ist, doch Nichts von Fatalismus an sich hat und darum alle mögliche Vorsicht und Selbstthätigkeit nicht bloß nicht ausschließt, sondern unbedingt fordert, so spricht David, nachdem er so eben der Uebermacht Sauls entgangen ist, in seinem Herzen: „hinweggerafft werde ich nun werden eines Tages von der Hand Sauls, es ist für mich Nichts besser, als daß ich entkomme in das Land der Philister“ (s. 1 Sam. 27, I). Der Philister Land lag innerhalb der israelitischen Grenzen, David konnte also dahin gehen, ohne der Mahnung des Propheten Gad untreu zu werden. Er erhält nun von dem Philisterkönig Achis die Erlaubniß, sich in Ziklag niederzulassen und hier hat er während eines Zeitraums von einem Jahr und vier Monaten seine letzte Zuflucht genommen, indem er diesen Aufenthalt benutzt, den sorglosen Philisterkönig hintergehend, Streifzüge gegen die Feinde Israels zum Besten seiner Stammgenossen mit seiner Mannschaft zu unternehmen (s. V. ?-12). An dem ganzen Verhalten Davids während dieser schwierigen Zeit sieht also Jeder von seinen Genossen, daß der, von dem sie Alle wußten, daß er am ärgsten von Israel mißkannt und mißhandelt werde, niemals abläßt von seinem Volke, und wenn sie fragten nach dem Geheimniß der Kraft, welche es ihm ermöglicht, alle Versuchungen, ein Volk, das ihn selbst von sich stößt, aufzugeben und zu vergessen, standhaft zu besiegen, so konnte es Keinem entgehen, daß David die Kraft und Stärke in seinem lebendigen Glauben an Jehova, dem Gott Israels, gefunden hat (s. 1 Sam. 30, 6). Und eben diese tatsächlichen Wahrnehmungen über Davids Thun und Lassen mußten auf die Gemüther Aller, die immerdar in gleicher Versuchung mit David standen, von der Einheit des Volkes, welches ihnen keine Freude, sondern nur Leidwesen bereitete, loszulassen, den heilsamsten Einfluß äußern. Vollendet wird dieser Einfluß, als David in zwei schweren Versuchungen, welche seine königliche Gesinnung auf die schärfste Probe stellten, nicht bloß vor den Augen seiner Männer bestand, sondern zugleich auch den Sinn seiner Besten durch sein Verhalten berichtigte und tief beschämte. Bei den Verfolgungen, welche immer gegen Davids Leben gerichtet waren, gerieth Saul zweimal in Davids Hand, und jedesmal forderte ihn seine Umgebung auf, die dargebotene Gelegenheit, sich seines Todfeindes zu entledigen, zu benutzen, und zwar, da sie wußten, daß David Alles von Jehovas Willen abhängig machte, verweisen sie ihn auf Jehovas Verheißung, die ihm das Königthum zugesagt und ihm nun seinen Verfolger in die Hand geliefert (s. 1 Sam. 24, 5. 26, 8). O wie viele gekrönte Häupter haben fallen müssen um weit geringerer und schlechterer Gründe und dennoch galt das Werk als wohlgethan. Darnach aber wolle man bemessen den hohen und heiligen Sinn desjenigen, welcher bestimmt war, den himmlischen Glanz des Königthums so hell und fleckenlos leuchten zu lassen, als es überall durch einen Erdgeborenen möglich ist. Allerdings ergreift David die dargebotene Gelegenheit, aber nur, um von seinem Todfeinde das Zeugniß seiner eigenen Unschuld zu erzwingen und damit für alle Zeiten das ächtest« Siegel des göttlichen Charakters seiner Leiden zu überliefern. Das erste Mal schneidet David einen Zipfel von Sauls Rocke, das zweite Mal nahm David mit seinem Begleiter Abisai Sauls Spieß und Becher. Diese Zeichen brauchte David, um den erwünschten Beweis zu vollenden. Als David aber den Mantelzipfel abschnitt, da schlug ihm das Herz (s. 1 Sam. 24, 6. vgl. 2 S. 24, 10). Während die Begleiter Davids die Tödtung Sauls als ein Gotteswerk betrachteten und sich in solchem Sinne aussprachen, wirb Davids Gewissen unruhig, als er um eines sehr reinen Zweckes willen dem Kleide des Gesalbten einen kleinen Schimpf anthun muß! Dieser leise Zug, dieser stille Vorgang im Innern Davids wird für alle Zeiten ein unvergängliches Denkmal zarter und heiliger Gesinnung bleiben. Auf etwas Großes hat es David angelegt und er darf es hoffen, da er sich einer wahrhaft großartigen Gesinnung bewußt ist. Und seine Hoffnung hat ihn nicht getäuscht. Die thatsächlichen Beweise der fast übermenschlichen Reinheit und Selbstverleugnung Davids erwecken in Sauls düsterer Seele den letzten Funken seiner ursprünglich nicht gemeinen Natur. Das erste Mal begann Saul laut zu weinen und sprach zu David: „du bist gerechter denn ich, du hast mir Gutes gethan und ich habe dir Böses vergolten“ (s. 1 Sam. 24, 17. 18), und das zweite Mal ließ sich Saul also vernehmen: „gesündiget habe ich, komme wieder, mein Sohn David, ich werde dir hinfort nichts Böses thun, sintemal meine Seele an diesem Tage theuer gewesen ist in deinen Augen, siehe, thöricht habe ich gehandelt, und gar sehr habe ich gefehlet“; und mit dieser Weissagung entließ er David: „du mein Sohn David, ja du wirst handeln, ja du wirst es hinausführen“ (s. 1 Sam. 25, 21. 25).

Wenn auch nicht Alle in der kriegerischen und zornmuthigen Schaar Davids im Stande waren, das Benehmen ihres Führers in diesen Prüfungsstunden und die innere Reinheit und Hoheit desselben zu verstehen, so war doch Niemand, der nicht aus der Wirkung, welche dieses Verhalten Davids auf das verfinsterte Gemüth Sauls hervorbrachte, einen erschütternden Eindruck von Davids Größe erhalten mußte, zumal wenn er nun sah, daß Saul sein reuiges Bekenntniß jedesmal durch einen beschämten Abzug bestätigte (s. 1 Sam. 24, 23. 26, 25). Da die Männer Davids alle mehr oder weniger durch ihre Schicksale und ihre Gemüthsstimmungen von der Einheit ihres Volkes sich losgelöst hatten und fortwährend in Gefahr standen, ihrem bitteren Unmuth gänzlich zu verfallen, so hatten sie an diesem Verhalten Davids die beste Gelegenheit, thatsächlich zu erfahren, daß die wahrhaft königliche Gesinnung nichts Anderes war, als die in Gott ruhende und nimmer erschlaffende Energie des Volksbewußtseins und daß in solcher Gesinnung das unzweifelhafte Heilmittel gegen alle Schäden und Wunden Israels gegeben war. Durch solches Verhalten weiht David seine Mannschaft mit ihren Helden zu einem „Lager Gottes“, und damit erreicht er es, daß obwohl er sie auf dem Grunde des Gemeingefühl als „seine Brüder“ anredet, er sie doch auch in schwierigen Fällen immer zu beruhigen und ihren verkehrten Sinn zu beherrschen versteht (s. 1 Sam. 30, 6. 23. 24). . .

Obwohl Sauls Reue heftig genug, so hält sie doch nicht Stand, und wir sehen an seinem Beispiel recht deutlich, daß für die Verwaltung des Königthums nicht einzelne gute Regungen ausreichen, sondern daß es ankommt auf einen festen unerschütterlichen Grund beharrlicher Gesinnung. Diesen Grund in David zu legen und vor dem ganzen Volke zu offenbaren, dazu ist das Leiden Davids verordnet. Als daher die Bewährung der königlichen Gesinnung in dem standhaften Beharren Davids nach allen Seiten hin vollendet ist, hat sich Sauls Geschick erfüllt und er muß demjenigen, der sich vor allen Anderen thatsächlich der königlichen Krone würdig bewiesen, den Platz räumen. Auf dem Gebirge Gilboas fällt Saul in sein eigenes Schwert, nachdem er die Schlacht gegen die Philister verloren hat, und hinterläßt durch diesen letzten Act seines Lebens das Reich in einem Zustande, daß nur Einer, in welchem der königliche Sinn von Grund aus befestigt ist, der schweren Aufgabe gewachsen sein kann.

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