Baumgarten, Michael - Am zweiten Ostertage.

Baumgarten, Michael - Am zweiten Ostertage.

Die Auferstehung Jesu in dem Lichte seines Todes.

Indem ich am heutigen Festtage vor Euch stehe, Geliebte, fühle ich mich von einem zwiefachen entgegengesetzten Gefühle bewegt und ich vermag nicht zu sagen, welches von diesen beiden Gefühlen das stärkere ist. Die Thatsache, welche wir heute mit einander feiern, ist so groß und so herrlich, daß wir nichts Gleiches zu denken oder zu nennen im Stande sind. Es ist der sich offenbarende Sieg des Lebens über den Tod, welcher Sieg in sich den Willen und die Kraft hat, seine triumphierende Macht zu erweisen und zu verbreiten, so weit die Herrschaft des Todes reicht. Alles, was wir sonst Großes und Herrliches finden und preisen mögen, vor diesem Wunder muß sein Glanz erblassen und seine Größe in den Staub sinken; ja sehen wir genauer zu, so bleibt von Allem, was vorher und nachher geschehen ist, Nichts übrig, was wahrhaft groß und herrlich genannt zu werden verdient, das allein ausgenommen, was vorher durch seine Aehnlichkeit auf diese Thatsache hingewiesen als ein Vorbild und was nachher in der Kraft dieser Thatsache geschehen ist. Es ist also das Gotteswerk, dessen Andenken wir heute festlich begehen, das einige Licht, welches seine Strahlen vorwärts und rückwärts durch alle Zeiten sendet, und nur was von diesem Lichte beleuchtet wird, ist hell und herrlich, alles Andere dagegen, es mag von Außen noch so. sehr gleißen, bleibt in Finsterniß und Nacht gehüllt. Und dennoch, so erhaben und überschwenglich diese Thatsache dasteht, so sehr sie alle unsere Gedanken und Vorstellungen überflügelt, berührt sie desungeachtet einen Jeden unter uns auf das Allerinnigste. Wir stehen allesammt unter der Gewalt des Todes und zwar in jedem Augenblick unseres Lebens: was kann uns nun näher angehen und tiefer ergreifen, als die Erscheinung des Sieges, den das Leben ein- für allemal über den Tod errungen hat? Und eben dies ist es, was heute allen Gemeinden verkündigt werden soll. Wer, der eine Zunge hat, fühlte sich nun nicht getrieben, dieses Gotteswerk auszureden und mit lauter Stimme zu rühmen? Wahrlich, wie ein heiliges Feuer glüht es in meinem Innern dieses Verlangen, das, was dereinst geschehen ist für alle Zeiten und alle Geschlechter, Eurer Andacht mit ganzer Macht zu preisen und zu verherrlichen, damit das himmlische Licht unseres Festes seinen seligen Schein in Euer Aller Herz reichlich ergießen möchte. Aber dicht neben diesem dringenden Verlangen, frei und laut in alle Welt hinauszurufen den offenbaren Sieg des Lebens über den Tod, steht ein anderes Gefühl in meiner Seele. Wessen Herz ist denn rein genug und wessen Lippe genugsam heilig, um diese große Sache so auszusprechen, wie es ihrer würdig ist? Ich fühle mein großes Unvermögen und darum möchte ich mich viel lieber der Schar derer anschließen, welche zu dem Grabe des Auferstandenen wallen, um in schweigender Demuth und stiller Freude anzubeten; viel lieber möchte ich unter diesem Haufen der Feiernden verstummen und verschwinden. Daß ich nun desungeachtet es wage, das Wort an Euch zu richten, Geliebte, geschieht nicht deshalb, weil der Trieb zu reden dennoch stärker in mir wäre, als der Trieb zu schweigen, sondern aus diesem Gebiete der sich widerstreitenden Gefühle habe ich mich erhoben in das Gebiet der göttlichen Ordnung, nach welcher das öffentliche Zeugniß von dem Gekreuzigten und Auferstandenen die heilige Macht ist, durch welche das Leben Christi, das den Tod überwindet, sich immerdar verbreiten und fortpflanzen soll von Mund zu Mund, von Geschlecht zu Geschlecht bis an die Enden der Erde. Auf die in dieser Ordnung liegende göttliche Verheißung mich stützend, habe ich mich entschlossen, das Gefühl meiner Untüchtigkeit hintanzusetzen und so viel mir an Kraft gegeben ist, aufzubieten, um die selige Verkündigung von dem Auferstandenen vor Euch zu halten.

Wir stehen mit einander vor einem göttlichen und himmlischen Heiligthume und es geziemt sich, ehe wir in dasselbe eintreten, daß wir uns weihen. Unsere Sinne sind durch die Dinge dieser Welt so zerstreut und verwirrt, daß es uns schwer, ja unmöglich wird, unsere ungetheilte Aufmerksamkeit auf den einen Punkt zu richten, von welchem Alles abhängt; unsere Herzen sind durch das Leben in dem Leibe der Sünde und des Todes so unrein und in den Staub hinabgezogen, daß es uns schwer, ja unmöglich wird, sie für die Aufnahme des Himmlischen und Heiligen zu öffnen. Darum laßt uns, Geliebte, uns an den wenden, welcher der Vater des Lichtes ist und von welchem alle gute Gabe kommt, laßt uns ihn anrufen, daß er selber uns weihen möge und laßt uns dieses unser Gebet zu einer Pforte machen, durch welche wir eingehen in das Heiligthum unserer Festbetrachtung. Du himmlischer Vater des Lichtes, sende dein Licht und deine Wahrheit, daß sie uns leiten zu deiner heiligen Höhe, auf welcher wir dich erkennen und den du uns gesendet hast, Jesum Christum, und in solcher Erkenntniß allen Tod unter unsere Füße treten und das ewige Leben gewinnen. Amen.

Nunmehr laßt uns vernehmen die heilige Geschichte, deren Betrachtung der heutige Tag gewidmet ist.

Luc. 24, 13-35.

Es enthält diese Erzählung einen solchen Reichthum, daß wir nicht daran denken dürfen, denselben erschöpfen zu wollen; wir müssen uns deshalb nach einem solchen Punkt innerhalb derselben umsehen, von welchem aus wir unsere Festbegebenheit, die Auferstehung Jesu Christi, am Fruchtbarsten zu betrachten im Stande sind. Dieser Punkt ergiebt sich uns, wenn wir dem merkwürdigen Umstande nachdenken, daß die beiden Jünger, die doch früher mit Jesu umgegangen sind, den Auferstandenen nicht erkennen. Es heißt zwar: ihre Augen wurden gehalten; wir dürfen uns dieses aber nicht wie eine zauberhafte Verblendung vorstellen, die ihnen äußerlich angethan worden, sondern wir sollen uns denken, daß allein deshalb ihre Augen gehalten wurden, weil ihr innerer Blick für die Erkenntniß des Auferstandenen nicht aufgeschlossen war. Dies ist nun deshalb für uns außerordentlich lehrreich und wichtig, weil wir uns nur allzu oft ganz in derselben Lage befinden. Auch wir wissen Manches von Jesu zu sagen, wir werden unbedenklich den Jüngern beistimmen, daß er war ein Prophet, mächtig in Wort und That, wir werden vielleicht noch Eines und Anderes hinzufügen, werden vielleicht sogar sagen er sei der Sohn Gottes, und daß er gestorben sei für die Sünde der Welt. Aber bei all diesem Wissen von Jesu, erkennen wir denn wirklich den Auferstandenen, wenn er uns begegnet auf unserem Wege, oder werden nicht vielmehr, wie bei den beiden Jüngern, auch unsere Augen gehalten? Denn das müßt Ihr wissen, Geliebte, daß der Auferstandene auch unter uns wandelt; er tritt uns überall entgegen, wo eine Todesgewalt uns nahet. Wenn Du ein geliebtes Leben in Gefahr schweben siehst, wenn Du an das Sterbebett eines Kindes oder eines Vaters treten mußt, wenn Du in das offene Grab eines theuren Entschlafenen hineinschauest, oder wenn Du an Deinem eigenen Leibe die Macht des gewiß bevorstehenden Todes merkest, entweder an den leisen Zeichen, mit denen der Tod Dich als seine unentfliehbare Beute zeichnet, oder an den heftigen Angriffen gegen Dein Leben, die der Tod aus dem Lager seiner Schrecken auf Dich richtet, in allen diesen Fällen steht Jesus der Auferstandene Dir zur Seite und will Dir die von ihm errungene Macht anbieten, durch welche Du jede Todesgewalt die Dir nahet, zu dem Anfang eines neuen Lebens umzuwandeln im Stande seist. Wie steht es nun mit Dir, lieber Zuhörer, erkennst Du in solchen Zeiten und Augenblicken den Auferstandenen, oder ergeht es Dir wie den Jüngern, daß Du in Deinen trüben, schwermüthigen und verzagenden Gedanken fortwandelst und kein Auge hast für die Macht des ewigen Lebens, die sich in Dein düsteres und zerrissenes Herz ergießen will? Geliebte, die Meisten unter uns werden sich den beiden Jüngern vergleichen müssen. Dann aber hilft Euch auch all Euer Wissen von Jesu zu Nichts und selbst wenn Ihr Euch zu dem Glauben an den Auferstandenen bekennt, so ist das Nichts besser, als wenn die Jünger von dem leeren Grabe gehört haben. Wenn Ihr den Auferstandenen nicht erkennt auf allen Euren Wegen, wo Euch die Bekümmerniß dieses dem Tode verfallenen Lebens erfaßt, so ist die Auferstehung Jesu Euch eine vergangene Thatsache, welche für Eure Gegenwart keine Kraft hat und mitten im Osterfest seid Ihr ohne Osterlicht und ohne Osterfreude.

Der Grund nun, weshalb wir den Auferstandenen nicht erkennen, wird auch bei uns derselbe sein, wie bei jenen Jüngern. Hier spricht Jesus nun diesen Grund mit folgenden Worten aus: „o ihr Thoren und träges Herzens zu glauben, mußte nicht Christus dieses leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen?“ Die Jünger wußten wohl von dem Leiden und Sterben Jesu, aber eben dieses Wissen verursacht ihnen nur Niedergeschlagenheit und Angst, denn jene Vorgänge sind ihnen der Untergang all ihrer Hoffnung und Freude. Jesus aber bezeugt ihnen, daß eben das Leiden und Sterben der gottgeordnete und gottverheißene Durchgang zur Herrlichkeit sei. Aber freilich diese Gottesordnung und Gottesverheißung können sie nicht erfassen, wenn sie nicht in ihrem innersten Lebensgrunde ihres Herzens Unverstand und Glaubensträgheit abgethan haben. Darauf also kam für die Jünger Alles an, daß sie mit ihren Gedanken wieder zurückgingen .auf den Tod ihres Meisters und diesen Tod mit einem erneuerten Sinn in seiner Gottesgestalt anschauen lernten. Und wir sehen auch, daß auf diesem Wege ihre innere Umwandlung erfolgt. Als Jesus mit ihnen zu Tische saß und das Brod nahm, dankete und es brach und ihnen gab, da wurden ihre Augen aufgethan. Das Brechen des Brodes erinnert sie an das letzte Mahl, welches Jesus mit den Zwölfen gehalten und bei welchem er das gebrochene Brod seinen gebrochenen Leib genannt hatte (s. 1 Kor. 11, 24). Nun erkennen sie in seinem Kreuzestod die Macht seiner ewigen Liebe, die sich für sie dahingegeben und sich selber ihnen darreicht als eine Gabe und als einen Genuß des neuen Lebens; das, was ihnen Nacht und Grauen, Angst und Schrecken gewesen war, wird nun der Aufgang des Lichtes aus der Höhe in ihrem Herzen und in dem Augenblick, da sie mit aufgethanem innerem Auge den Tod Jesu in seinem ewig strahlenden Lichte erblicken, wird auch ihr äußerer Sinn aufgeschlossen und sie erkennen und bekennen den Auferstandenen. Wollte Gott, daß uns Allen diese selige Umwandlung widerfahren möchte!

Sie kann uns aber nur auf demselben Wege entstehen, denn auch wir erkennen bloß deshalb den Auferstandenen nicht, weil wir zuvor den Gekreuzigten nicht recht erkannt haben. Ein gewisses, nächtliches, unheimliches Grauen liegt auch uns meistens ausgebreitet über dem Leiden und Sterben unseres Herrn, und wenn wir es uns auch oft genug gestehen, daß in diesen Ereignissen das Heil der ganzen Welt, so wie auch das Heil unserer Seele beschlossen ist, so fühlt doch unser Herz gar nicht selten eine gewisse Beklemmung und Angst, in diese Tiefe einzugehen, wir müssen uns daher häufig einen gewissen Zwang anthun, daran zu denken und gerne eilen wir daran mit unseren Gedanken vorüber und suchen lieber für unsere Andacht Befriedigung, indem wir verweilen bei den mächtigen Worten und Thaten unseres Heilandes oder wir gehen darauf aus, ihn in dem Lichte seiner herrlichen Auferstehung zu schauen, um uns durch dieses Licht über die Nacht seines Todes zu beruhigen und zu trösten. Es ist aber dieses Alles, wenn es auch noch so gut gemeint ist, eitles und thörichtes Beginnen, es stammt aus dem Grunde unseres Unverstandes und unserer Glaubensträgheit; und wir kommen auf diese Weise niemals zu einem festen und fröhlichen Stand unseres Glaubens, und selbst, wenn auch unser Herz bei solchem Unterfangen brennt, wie den Jungem auf dem Wege, die selige Ruhe und Klarheit gewinnen wir nicht. Es bleibt dabei, wem nicht in der Nacht des Todes Jesu das ewige Licht Gottes aufgehet, der wird ewig im Finstern wohnen müssen. Damit ist uns nun auch unser weiterer Gang deutlich vorgezeichnet. Wollen wir recht Ostern halten, so müssen wir zurückgehen und unsern Stand nehmen unter dem Kreuze Christi, in dem Lichte seines Todes müssen wir seine Auferstehung schauen.

Was ist es denn mit Jesu Tod? Ein Geheimniß ist er, welches eine Menschenzunge niemals ausreden kann und daher muß, wer dar. über reden will, vor allen Dingen der Demuth seines Herzens und der Keuschheit seiner Lippen gewiß und sicher sein. Gepredigt werden aber muß dieses Geheimniß und wenn die Menschen schwiegen, würden die Steine schreien. Wir dürfen aber nicht sorgen, es wird das Wort vom Kreuz niemals zum Schweigen kommen; so hart und kalt das Herz der Menschen sein und werden mag, in diesem Tode brennet eine ewige Liebesflamme, welcher es gegeben ist, immerdar und allenthalben Herzen zu erweichen und zu entzünden, und die Zeugen dieses Wortes bilden eine Kette, die durch alle Jahrhunderte reicht und sie schließen einen Kreis, der die Länder und Inseln der Erde umspannt und je stumpfer und gleichgültiger die Menschheit wird, je erbitterter und feindseliger sie sich zeigt, desto lauter und gewaltiger ruft dieser Zeugenchor die Verkündigung des Todes Jesu in die Welt hinaus. Und eine solche Alles durchdringende Urklarheit ist in dieser Thatsache, daß, was auch immer Irrtümliches und Verkehrtes darüber gedacht und gesagt werden mag, und dessen ist nicht wenig auch in unseren Tagen, das Gotteslicht der Sache selber verscheucht immerdar durch seine eigene Kraft alle trüben Nebel, die Menschenwitz und Wahn darüber deckt und läßt seinen hellen Schein ohne Aufhören in alle aufrichtigen Herzen hineinleuchten. Wollen wir aber den Tod Jesu verstehen, so müssen wir zuvor unser eigenes Leben und Sterben richtig erkennen. Dieser unser Lebensodem ist der Hauch des göttlichen Geistes und jeder Augenblick, in dem wir athmen, ist die Gegenwart der Gemeinschaft mit dem Leben Gottes, dessen Angesicht mit seinem Schöpfungsodem den Menschen ins Dasein geweht hat. Dies ist selbst den Heiden kund, und wir haben Alle davon eine mehr oder weniger erleuchtete Erkenntniß. Aber steht nun unser Leben selber mit dieser Thatsache und mit dem Bewußtsein über dieselbe im Einklang? Wäre dies der Fall, so müßte zunächst unser Leib, der von dem Lebensgeiste beseelt wird, von dem göttlichen Geiste getragen und getrieben werden und somit ein reines, williges Werkzeug dieses heiligen Geistes sein; so müßte sodann diese uns umgebende Welt, mit welcher wir durch unser Leibesleben zusammenhangen, als das Werk der göttlichen Schöpfung und Erhaltung in jedem Augenblicke uns völlig durchleuchtet und durchsichtig erscheinen. Daß aber dem nicht so ist, kann Dich jeder Augenblick Deines Lebens lehren, lieber Zuhörer. Was bewegt und regiert die Glieder Deines Leibes? Ist es der verborgene Gottesgeist, von dem Du noch weniger, als von dem Winde sagen kannst, woher er kommt und wohin er fährt, oder ist es nicht vielmehr irgend ein faßbares Ding, dessen Anziehung oder Abstoßung die Glieder Deines Leibes in Bewegung seht? Und merkst Du nicht, so oft der Geist Dich zu Etwas anreget, wie sehr sich Fleisch und Blut, weil sie an eine ganz andere Richtung gewöhnt sind, dagegen empören? Und diese Welt, wenn wir es uns auch tausendmal vorsagen, daß sie einst von Gott geschaffen ist und von seinem Wort immerdar getragen wird, ist sie nicht immer wieder wie eine finstere Decke, die uns das Anschauen Gottes verhüllt? Woher kommt es nun, daß der göttliche Lebensodem in uns so unkräftig ist, daß unser eigener Leib und diese unsere Welt uns als ungöttlich erscheinen müssen, daß sie unserer Gemeinschaft mit Gott als unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen? Jeder Athemzug ist uns Zeugniß, daß wir mit dem göttlichen Lebensgeiste in Gemeinschaft stehen, und jeder Athemzug bezeugt uns ebenso gewiß, daß diese Gemeinschaft mit Gott wiederum keine ist. Woher stammt dieser innerste Widerspruch, der den untersten Grund unseres Lebens und Wesens zerspaltet? Es liegt dies an der innersten Grundkraft unserer gantzen Wesenheit. Unser eigenstes Ich ist der Wille, der uns von Gott frei gegeben ist, damit er sich aus sich selber entscheide. Dieser unser Wille hat sich gegen Gott entschieden und ist dadurch in seiner Grundrichtung ungöttlich und widergöttlich geworden. Nach unserem Willen aber, als nach unserem eigensten Vermögen, richtet sich nun nothwendigerweise unser wesentlicher Stand: wir stehen also eigentlich und wesentlich außer Gott und wider Gott und dies bewährt sich dadurch bei jedem Athemzug, daß wir keinen Augenblick die uns anerschaffene und angeborene Gemeinschaft mit dem Lebensgeiste Gottes mit unserem Willen erfüllen, daß wir nie und nimmer die uns gegebene und verliehene Gottesgemeinschaft, welche in unserem Lebenshauche ruht, mit unserem eigensten Wesen und Vermögen, mit unserem ganzen und ungetheilten Willen ergreifen, durchdringen und uns zu eigen machen. Was muß nun nothwendig davon die weitere Folge sein? Da wir das Leben aus Gott nicht wollen, so geschieht uns nach unserem Willen, auf den allein wir gestellt sind, wir müssen das Leben, das wir nicht wollen, verlieren, wir müssen sterben, und wie unser Wille, der eigentliche Schwerpunkt unseres ganzen Seins, außer Gott ist, so muß auch unser Bestand von Gott geschieden und an die widergöttliche Macht überantwortet werden. Der Tod ist der Sünde Sold, sagt die Schrift Röm. 6,23. 1 Mos. 2,17. Wenn wir nun den Tod auf uns nehmen wollten und könnten, wie er von Gott gemeint und gesetzt ist, so könnte uns noch auf diesem Wege Rettung werden, so würde die Strafe des Todes eine Sühne sein und damit eine endgültige Erledigung unseres Mißverhaltens gegen Gott. Aber hier zeigt sich erst recht die tiefe Grundverderbtheit unseres Willens. Sehet ein Kind an, das ungehorsam gewesen ist, wenn es nun an dem Zorn seines Vaters sein Unrecht fühlt und die Strafe nicht bloß leiblich über sich ergehen läßt, sondern dieselbe nach ihrem eigentlichen Wesen an dem Schmerze und der Reue seiner Seele erfährt und empfindet und somit in und unter der Strafe seinen bösen Willen in einen guten, seinen dem Vater widerstrebenden Willen mit dem Eingehen in den väterlichen Zorn in einen mit dem Vater einstimmigen Willen verwandelt, so ist mit der Strafe die Störung des Mißverhältnisses rein abgethan, die Strafe ist zur vollen und genugsamen Sühne geworden und die freie völlige Liebe kehret wieder auf beiden Seiten. Aber ach, wir sind allzumal dem ungerathenen Kinde gleich, welches die Strafe nur äußerlich erleidet und darum auch nach der Strafe in dem Banne seines Ungehorsams und des auf sich geladenen Zornes fortgehet. Unser Wille ist so grundverderbt, daß er keine Kraft hat, auch Angesichts der Strafe des Todes und mitten im Erleiden des Todes sich in sein Gegentheil zu verwandeln; wir erleiden dm Tod als eine äußere unwiderstehliche Gewalt, aber in seinen eigentlichen Grund, welches ist der gerechte Wille Gottes gegen die Sünde oder der das sündige Leben verzehrende Zorn Gottes, ergeben wir unseren Willen nicht. Das thun selbst diejenigen nicht, welche in gewisser Weise freiwillig in den Tod gehen, entweder in der edlen Aufopferung und Selbstverleugnung um Anderer willen, oder indem sie freiwillig Hand an sich selber legen. Bei den Letzteren, das ist uns sogleich klar, kann von einem guten Willen nicht die Rede sein, aber auch der Tod der freiwilligen Selbstverleugnung ist nicht der Kelch des ungemischten Zornes Gottes, den der Mensch in freiem starkem Willen, der den ersten Willen der Sünde umsetzte, trinken sollte, sondern der Todeskelch ist hier jedesmal mit einer Beimischung von berauschender Begeisterung versetzt. Niemand unter uns hat Macht, sein Leben in reiner ungetrübter Freiwilligkeit dem Tode, wie er von Gott der Sünde gesetzet ist, zu überlassen und hinzugeben. So geschieht es denn durch unseren ungöttlichen Willen, daß, so wie die Gottesgemeinschaft des Lebens ein Gut ist, welches uns kein Heil schafft, die Gottesverlassenheit unseres Sterbens eine Strafe ist, die uns keine Sühne gewährt.

Dieser unser heil- und trostloser Zustand giebt uns Licht über das Leben und Sterben unseres Herrn und Heilandes. Vor allen Dingen sollen wir uns das Leben unseres Erlösers als ein wahrhaft Menschliches denken. Zwar ist er Gott von Ewigkeit, aber er hat nicht nur, wie man zu sagen Pflegt, die menschliche Natur angenommen, sondern er ist, wie die Schrift sagt, Fleisch geworden. Sein ewiges Gotteswesen ist in dieses unser Fleischesleben eingegangen, ganz und ohne Vorbehalt und wir dürfen uns daher nichts Göttliches in Jesu denken, als was auf dem Grunde dieses unseres Lebens im Fleische und in dieser unserer Welt ruhet und eben in dieser engen Schranke eines wahren Menschenlebens seine ganze Gegenwart und Fülle besitzt. Obwohl er aber ohne Vorbehalt in die Gleichheit unseres der Sünde verfallenen Lebens eingegangen ist, so bleibt sein Wille eins mit dem Willen des Vaters, denn es ist immerdar auf Erden seine Speise, den Willen seines himmlischen Vaters zu thun (s. Joh. 4,34). Darum ist sein Leben auch gänzlich frei und ledig des Widerspruches, mit welchem der Grund unseres Lebens behaftet ist. Ihm ist diese Welt nicht eine finstere Verhüllung Gottes, sondern eine durchsichtige Offenbarung des göttlichen Wesens; die Lilien des Feldes und die Vögel des Himmels haben für seinen Sinn in jedem Augenblick eine vernehmliche Sprache und diese Sprache ist Gottes ewiges Wort, und sein Leib ist ihm nichts Anderes, als in dem einen Augenblick das reine Organ, die Gegenwart und Gemeinschaft seines himmlischen Vaters zu empfinden und in dem andern das willige. Werkzeug, seines Vaters Willen in der Welt zu vollenden. So ist ihm jeder Athemzug das Empfangen und Aufnehmen des ewigen Gottesgeistes zu seiner Selbstbeseligung und jeder Pulsschlag die Bewegung und Erhebung seiner ewigen Liebe aus der Tiefe seines Wesens zu dem Herzen seines Vaters im Himmel. Sein Leben im Fleische und in der Welt ist eine durch Nichts gestörte Gemeinschaft mit Gott. Sowie nun aber sein menschliches Wesen einen ganz anderen Inhalt hat, als unser Leben, so hat auch sein menschliches Sterben von unserem Sterben einen wesentlich verschiedenen Inhalt. Weil Jesu Leben in Gott war, so muß sein Sterben ohne Gott sein. Als er am Kreuze hing und nun sein Lebensblut aus seinen Wunden verströmen fühlt, was Anderes konnte er da empfinden, als das Zerreißen des Bandes, welches ihn in den Tagen seines Fleisches mit seinem Vater im Himmel in jedem Augenblick verbunden hielt? Was Anderes konnte er erfahren und fühlen, als das Verlassenwerden von Gott? Und an wen wird er von Gott überlassen und hingegeben? Die Sünde der Juden ist es, die ihn verrathen hat, die Sünde der Heiden ist es, die ihm seine Wunden geschlagen hat, die Sünde der ganzen Menschheit hat ihre Frevelhand gegen sein Leben erhoben und Jesus weiß und fühlt es, daß in dieser Sünde der Welt derjenige, welcher der Lügner und Menschenmörder von Anfang ist, sein Werk hat; er weiß und fühlt es, daß der Fürst der Finsterniß es ist, der die ganze Menschheit und die ganze Welt in seine Gewalt bekommen und als ein williges und dienstbares Werkzeug gegen sein göttliches Leben aufbietet und gebraucht. Darum, als nun in den Stunden seines Sterbens die Sonne ihren Schein verliert, da wird ihm Leib und Seele von dem einen Gefühl durchdrungen, daß sein von Gott Verlassenwerden die Uebergebung seines ganzen Seins und Wesens an die Macht der Finsterniß ist. Sein Sterben ist das Trinken des ungemischten Zornes Gottes. Und wie sein ewiger Gottesgeist sein menschliches Leben zu einem Wirken in Gott gemacht hat, so. macht dieser ewige Gottesgeist sein menschliches Sterben zu einem Leiden ohne Gott. Dieser ewige Gottesgeist nämlich schwebt nicht über dem Leiden und Sterben, er bleibet nicht außerhalb desselben, sondern er ist es recht eigentlich, der diese Tiefe durchwaltet. Aber eben dadurch, daß dieser ewige Gottesgeist selber in den Tod ohne Gott eingehet, wird das Tragen des Todes zu einem Austragen und zu Endebringen des Todes, wird das Schmecken des Todes zu einem Ausleeren des letzten bittersten Tropfens in dem Todeskelche. Weiter aber, .wenn der Gottesgeist Jesu das dunkle Todesthal bis zu Ende durchschreitet, und durch die unterste Tiefe der Gottesverlassenheit hindurchdringt, so liegt diesem Geiste von nun an bis in Ewigkeit aller Tod und alle Gottestrennung hinterwärts, aus der tiefsten Tiefe erhebt er sich zu der ungetrübten Himmelshöhe der ewigen Gottesgemeinschaft und so kann es geschehen, daß der Augenblick des Sterbens die Uebergebung des Geistes in die Hände des Vaters ist (s. Luk. 23,46). Wir sehen es sogleich, Geliebte, weil hier der Tod ein völliges und williges Streben ohne Gott ist, so ist dieser Tod die vollständige Sühne unserer Sünde, die gänzliche Erledigung unseres Mißverhältnisses zu Gott. Das ist das wunderbare Licht des Todes Jesu, dieses Licht bricht aus der untersten Tiefe und Finsterniß hervor und darum ist eben dieses Licht für uns, die wir im Todesschatten sitzen, das allein genügende und beseligende, alles andere Licht, das von oben kommt, verblendet uns, dieses Licht aus der Tiefe leuchtet uns mit hellem, süßem Schein zum ewigen Leben. Freilich dürfen wir nicht wähnen, als ob durch diesen Versöhnungstod unseres Herrn etwas für uns geschehen ist, so lange dieser Tod noch außer uns ist, das ist ein falscher Wahn, der viele Seelen auf dem Wege ihres Heiles aufhält. Alles, was außer uns ist, kann nur für uns sein, wenn es eben so sehr in uns ist, wie außer uns. Aber es hilft uns noch nicht, daß wir diesen Tod mit unseren Gedanken und Vorstellungen zu erfassen suchen. Dadurch, daß der Herr seinen Jüngern von seinem Leiden und Sterben erzählte, wurden sie ihrer Bekümmerniß und Angst nicht ledig, dies geschah nicht eher, als bis sie sich mit ihm in der innigsten Gemeinschaft vereinigten. So ist es auch heute noch. Das, was einst auf Golgatha geschah, muß sich in unseren Herzen wiederholen, nicht durch unser Bemühen und Wirken, sondern durch seine eigene innewohnende ewige Kraft, welche wir an unserer Seele gewähren und sich auswirken zu lassen haben. Wenn das geschieht in unserer innersten Verborgenheit, so ist das, was einst in Jerusalem geschehen, ganz und völlig unser eigen geworden und jener ewige Lichtstrahl, der für immer alle Nacht in Morgenroth verwandelt, bricht auch aus unserer Nacht hervor, und von dem Augenblicke an werden wir nimmermehr in Finsterniß wandeln. Mit Christo sollen wir sterben und begraben werden, sagt die Schrift (s. Röm. 6, 3.4) und das ist nicht etwa eine bildliche Redeweise, mit der man es nicht so genau zu nehmen braucht, sondern dies Wort ist die allererste und allernöthigste Wahrheit und Gewißheit, die es überall für uns giebt. Weil das Leben, das hinter uns liegt, ein ungöttliches ist, so bleibt uns Nichts übrig, als das Sterben, aber wenn wir sterben in eigener Kraft oder vielmehr in unserer Ohnmacht, so ist dieses Sterben keine Sühne für uns, sondern muß nothwendig für uns eine ewige Todeshaft und Gottesverlassenheit werden. In dem Tode Jesu liegt aber die göttliche Wundermacht, welche es jedem Sünder ermöglicht, mitten im Leibesleben so zu sterben, daß sein Tod eine Sühne ist für seine Sünde. Von diesem Sterben zeuget Paulus, wenn er schreibt: wer da gestorben ist, der ist losgesprochen von der Sünde (s. Röm. 6, 7). Dieser rechtfertigende und lossprechende Tod des Menschen ist das Eingehen des Sünders in den Tod Jesu, das Sterben des sündigen Menschen in und mit Christo. Willst du wissen, lieber Zuhörer, wie solches seliges Sterben zugeht, so mußt Du den Ernst und den Muth haben, es an Dir selber erfahren zu wollen. Wenn Du nicht bloß mit kalten Gedanken und unstäten Vorstellungen, sondern mit der ganzen Gegenwart Deines sündhaften Zustandes unter dem Kreuze Jesu Deinen Stand nimmst, so wirst Du bald merken, daß in der Sünde der Welt, welche den Heiland zum Tode verwundet, Deine eigene Sünde mit inbegriffen ist, sei es nun, daß Du Deine Sünde findest in der scheinheiligen Verstocktheit der Hohenpriester und der Juden oder in der feigen Gewissenlosigkeit des Pilatus, oder auch, wie es meistens der Fall sein wird, in beiderlei Gestalten zumal. Du stehest dann Dein sündiges Thun und Treiben in einem einzigen schrecklichen Ueberblick, nämlich als eine offenbare Feindschaft wider den Heiligen Gottes. Und mit demselben Blick erschauest Du zugleich die nothwendige Folge dieser Deiner Sünde; diese Folge stehest Du nämlich in dem gottverlassenen Sterben an dem Holze des Fluches. In allen Gliedern fühlest Du es sofort und unmittelbar: das ist die wahre Gestalt Deines verdienten Todes, das ist das wahre Bild Deiner Sünde, wenn Gott sie richtet. Wer aber dies in seinem Gewissen erfährt, dem wird der grimme Gotteszorn durch alle Gebeine rieseln. In Deiner eigenen Kraft kannst Du diesen Tod nicht ertragen und wendest Du Dein Angesicht von dem Gekreuzigten ab, so bleibt Dir Nichts übrig, als den jähen Abweg des Judas zu gehen oder das eben so traurige Los, Deine tiefsten Empfindungen und wahrsten Gedanken absichtlich zu unterdrücken und zu vergessen. Hältst Du aber mit dem Todesschmerze Stand unter dem Kreuze Jesu, so wirst Du erfahren, daß der Geist Jesu, der ihm selber die finstere Kluft des Todes in einen hellen Durchgang zu seinem Vater verwandelt hat, auch Dich durch Dein Todesthal hindurchgeleiten wird; dieser Geist wird Deinem Herzen die Liebe Jesu bezeugen, Du wirst schauen, daß Jesus in demselben Augenblick, da er die Sünde der Welt trägt und den Tod der Menschheit erleidet, mit den Armen seiner ewigen Liebe die ganze Welt der sündigen todeswürdigen Menschheit umfangen hält, und durch diese seine Liebe die Sünde und den Tod der Menschheit an seinem eigenen Leibe vernichtet und außer Kraft setzt. Der Geist Jesu wird Dich weiter versichern, daß auch Du mit Deiner Sünde und Deinem Tode in diese Liebe Jesu, welche stärker ist, als der Tod, mit eingeschlossen bist und so schauest Du in einem seligen Ueberblick Deine Sünde und Deinen Tod, Deine Versöhnung und Deine Vergebung und zwar Beides ungetheilt ineinander und miteinander, und Du hast in diesem Deinem Sterben mit Christo die Sühne Deines sündhaften Lebens und die volle Erledigung Deines Dir selber unlösbaren Mißverhältnisses zu Gott.

Dieser Vorgang muß im Innern des Menschen ebenso rein und völlig abgeschlossen sein, wie das Sterben Jesu am Kreuz. Es giebt in unseren Tagen so Manche, welche gerne Christen sein möchten, sie haben aber keine ruhige und klare Gewißheit über ihre Versöhnung und Sündenvergebung, immer aufs Neue quält sie der Zweifel, ob sie unter der Wolke des Zornes Gottes stehen oder in dem Lichte der göttlichen Gnade und alle Gedanken, die sie darüber anstellen, können ihnen eine unzweifelhafte Gewißheit nicht gewähren. Das ist ein jammervoller Stand, es ist ein elender Zwischenzustand zwischen Leben und Sterben. Diese möchten gerne mit Christo leben, es fehlt ihnen aber der Muth, mit ihm und in ihm zu sterben. So lange nun Solche noch in der Unruhe gehen, ist immer noch gute Hoffnung vorhanden, daß sie ihrer Selbstquälerei endlich durch eine entschlossene und unbedingte Selbsthingabe an Jesum den Gekreuzigten ein Ziel setzen werden. Es giebt aber auch Solche, welche mitten in dieser ihrer Ungewißheit durch allerlei Vorspiegelungen sich zu beruhigen suchen. Diese stehen in der allergrößten Gefahr. Dies sind die, welche sich eine falsche und verkehrte Osterfreude machen, sie erkennen den Auferstandenen ebensowenig, wie unsere beiden Jünger, aber anstatt ihre Traurigkeit und Zerrissenheit frei und offen zu gestehen, machen sie sich selber Gedanken und Bilder von Christo, und diese ihre eigenen Gedanken und Bilder lassen sie ihren Trost sein. Vor dieser verderblichsten Selbsttäuschung habe ich Euch Alle warnen wollen und darum bin ich mit Euch auf den Punkt zurückgegangen, von wo aus allein das göttliche Licht der Osterfreude uns aufleuchten kann und deshalb laßt Euch diesen Umweg nicht leid sein; dieser scheinbare Umweg ist und bleibt, wie unser Evangelium uns bezeugt, die einzige gerade Linie zu demjenigen Gute, dessen wir uns Alle an diesem schönen Feste von Herzen erfreuen möchten. Darum wollen wir keinen voreiligen Sprung machen, sondern nach dem Vorbilde unseres Textes unseren Weg in ruhiger Gelassenheit miteinander fortwandeln.

Ihr wißt es, Geliebte, daß der Heiland, als er am Kreuze im Geiste den Tod überwunden hatte, das große Wort ausrief: es ist vollbracht (f. Joh. 19, 30). Das Werk seines Sterbens ist ihm also die Vollendung und alles Andere und Weitere hat in seiner Seele keinen Raum. Darum feierte er auch nach dieser Vollendung seines Werkes den großen Sabbat in seiner Grabesruhe, gleichwie der Schöpfer nach den sechs Tagen am siebenten feierte, damit wir für immer sein schaffendes und sein erhaltendes Wirken auseinander halten sollten. So sollen wir auch den Sabbat Jesu in seinem Grabe für eine heilige Grenze halten, die wir nicht verletzen dürfen, wir sollen sein Versöhnungswerk für sich betrachten und mit nichts Anderem verwirren und dieses Versöhnungswerk soll uns gelten als der einige, allgenugsame und ewige Grund, worauf alles Andere bis in die Ewigkeit der Ewigkeiten hinein ruhen muß und was darauf nicht ruhet und stehet, muß unrettbar, es mag sein und heißen, wie es will, seiner eigenen Vernichtung anheimfallen. Dann aber muß auch dieses für uns ein inneres Erlebnis werden. Nicht bloß mit Christo sterben sollen wir, sondern auch mit ihm begraben werden (s. Röm. 6, 3.4). Auch wir müssen des Sabbates Jesu theilhaftig werden. Wenn wir in Kraft des Todes Jesu unserer Sünde sterben, so ist auch unser Werk vollbracht. Wer wirklich erfahren hat, was es mit seiner Sünde ist, dem kann und wird auch nichts Weiteres in den Sinn kommen, in unaussprechlicher Stille, in unantastbarer Ruhe hält er, frei von der Sünde den Arbeit und erlöst von den Leiden de? Todes seinen inwendigen Sabbat. Wir sind mit Christo gestorben und begraben. Und damit sind wir an die Stelle gekommen, wo uns die Auferstehung Jesu aus seinem Grabe nicht bloß verständlich werden kann, sondern wo wir auch der Auferstehung ebenso theilhaftig werden können und sollen, wie seines Todes.

Am frühen Morgen des dritten Tages ist Jesus aus seinem Tode und Grabe auferstanden. Wir werden nun nicht sagen: das ist die Ueberwindung des Todes; wer den Tod des Gekreuzigten richtig erschaut, für den strahlt der Sieg seines Todes in seinem eigenen Glanze Für die Gewißheit des Sieges bedarf es eines weiteren Zeichens und Zeugnisses nicht. Aber wohl ist uns die Auferstehung eine große und wunderbare Erweisung von der Gestalt und Art, in welcher der Sieg über den Tod und die Macht des neuen Lebens sich offenbaren will. Der Leib, in welchem der Auferstandene wandelt, ist derselbe, mit dem er am Kreuze gehangen, den er von Maria überkommen und von dieser unserer Erde empfangen hat. Und der Ort, wo er einhergehet, ist der Boden dieser unserer Erde. Also in dem Fleische, mittelst dessen er uns in allen Stücken gleich geworden ist und um deswillen er sich nicht schämet, uns seine Brüder zu heißen, in diesem Fleische wohnt das Leben, das durch den Tod und durch das Grab hindurchgedrungen ist und in dieser Welt, welche sich bei seinem Tode als die Stätte der Finsterniß, als das Reich des Satans erwiesen hat, will der Auferstandene den Schauplatz seines ewigen und himmlischen Reiches aufschlagen und diejenigen, mit denen er bis dahin gelebt hatte, obwohl die Sünde der Welt auch sie in ihre Stricke gefangen und sie von der Seite ihres Meisters hinweggerissen hatte, sucht er wieder auf und knüpft den durch die Gewalt des Argen äußerlich und innerlich zerrissenen Faden der Gemeinschaft wieder an. In diesem Allen liegt für uns, Geliebte, ein großes seliges Geheimniß, denn wir ersehen daraus, wie wir der Kraft der Auferstehung Christi theilhaftig werden sollen. Wenn wir mit Christo gestorben sind, so soll in diesem unserm Leibe das Leben Christi, welches den Tod als einen überwundenen und abgethanen hinter sich hat, Wohnung machen. So wie also die Glieder Deines Leibes ohne Christum der Sünde gedienet haben, so sollen nun alle Glieder der Gerechtigkeit dienen und Gotte leben; Dein ganzer Leib soll ein Tempel des heiligen Geistes sein, und zwar nicht bloß in den Zeiten erhöhter Stimmung und besonderer innerlicher Sammlung, sondern in jedem Augenblick Deines Daseins. Der mit Christo Gestorbene ist derselbige Mensch, der er vorher war, aber gänzlich umgewandelt ist sein inneres Wesen und das beweist er durch sein neues Leben. Da, wo die Sünde auf ihrem Throne herrschte, regiert nunmehr die Gerechtigkeit, da, wo der Tod unerbittlich seine Beute forderte, spendet nun das Leben seine Gaben und Freuden. Aber weil dieses bei aller Offenbarkeit doch immerdar ein tief innerliches Geheimnis, bleibt, so ist es vor den Augen der meisten Menschen verborgen. Sowie der Auferstandene nicht erkannt wurde, so werden auch die mit Christo auferstandenen Menschen meistens unerkannt ihren Weg wandeln. Denn dieses neue Leben besteht nicht sowohl in frommen Gedanken und christlichen Reden, nicht in bestimmten Werken und Uebungen, noch weniger in kraftlosen Seufzern und Klagen, in vergeblichen Wünschen und Vorsätzen, sondern es ruht und bewegt sich in der Kraft des heiligen Geistes; diese Kraft aber, obwohl sie sich in der Welt wirksam und bemerklich macht, ist doch ihrem Grund und Wesen nach mit Christo in der Tiefe Gottes verborgen und bleibt daher den Meisten unverständlich. Daher kommt es, daß, obwohl bei einem mit Christo auferstandenen Menschen jeder Fußtritt und jeder Händedruck ein Zeugniß ist von seinem geheimnißvollen Zusammenhange mit dem ewigen Reiche, das ganze Leben eines Solchen wie ein gewöhnliches und alltägliches erscheinen kann. Nur, wo eine innige Vertrautheit ist, wo eine keusche Gemeinschaft waltet, wie an dem Tische zu Emmaus, da findet auch jetzt noch ein seliges Erkennen Statt. Aber auch wer keinen Vertrauten findet, dem er den Schatz seines in Gott verborgenen Lebens zeigen kann, soll doch nicht wähnen, allein zu stehen. Wer in seinem Stande und Berufe in der Kraft der Auferstehung Christi seine Glieder zum Dienste der Gerechtigkeit heiliget, darf getrost und freudig glauben, auch wenn weder er selber, noch irgend ein Anderer es zu sehen vermöchte, daß sein Thun eine Arbeit ist in dem großen unsichtbaren Reiche, welches Jesus der Auferstandene auf dieser Erde in dieser Weltzeit gegründet hat. Mag die Lüge und die Bosheit der Welt so groß sein, wie immer, mag uns dieses auch noch so sehr bekümmern und ängstigen, die Pforten der Hölle werden dieses Reich des Auferstandenen nicht stürzen, sondern umgekehrt das Reich des Siegers über den Tod ist von dem Augenblicke seiner Auferstehung an in einem unaufhaltsamen Fortschreiten und seine ewige Lebenskraft wird nicht eher ruhen, bis dieses Reich Himmel und Erde umspannen wird. So darfst Du denn, geliebter Bruder, der Du Christum kennst, den Gekreuzigten und Auferstandenen, mit freudigem Kampfes- und Siegesmuth durch den Raum dieser Welt der Sünde und des Todes wandeln, Dir liegt das Reich des Todes hinterwärts und vorwärts breitet sich aus das Reich des Lebens und der Herrlichkeit in immer steigender Klarheit und Seligkeit. Getrost darfst Du Deines Weges weiter ziehen, da, wohin Du trittst in dem Glauben an den Auferstandenen, da ist mitten auf der Gott verfluchten Erde heiliges Land; freudig darfst Du anfassen, was Dir unter die Hände kommt, welches Werk Du in Deinem Glauben angreifst, hinausführen wirst Du es und es einbringen als einen heiligen Baustein in den himmlischen Tempel, in welchem unser Herr der Eckstein geworden ist.

Darum, geliebte Zuhörer, lasset sorgen und klagen, lasset trauern und weinen Alle, welche keinen Heiland haben, ihr Herr und Meister ist der Tod, den die Schrift den König der Schrecken nennt (s. Hiob 18,14); wir aber, die wir wissen, wofür Jesus gestorben und wofür er auferstanden ist, wir wollen ergreifen das ewige Leben, welches er ans Licht gebracht hat, in diesem unserem Todesleibe wollen wir es ergreifen, wollen es immer fester und sicherer erfassen, wir wollen Ostern halten, nicht bloß heute, sondern jeden Tag, den uns Gottes Sonne noch heraufführen wird, bis auch wir uns hinlegen werden an die Stätte, welche uns unser Herr durch seinen heiligen Vorgang zu einem Orte der unter der Hut der himmlischen Wächter stehenden und darum unstörbaren Ruhe geweihet hat. Amen.

Quelle: Baumgarten, Michael - Zeugniß des Glaubens für die Gemeinde der Gegenwart

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