Augustinus, Aurelius - Soliloquien - XXXV. Von der Seelen Verlangen und Durst nach GOtt.

Augustinus, Aurelius - Soliloquien - XXXV. Von der Seelen Verlangen und Durst nach GOtt.

Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, also schreit meine Seele, GOtt, zu Dir; meine Seele dürstet nach GOtt, nach dem lebendigen GOtt: Wann werde ich dahin kommen, dass ich GOttes Angesicht schaue? O Du Brunn des Lebens, Du lebendige Wasserquelle, wann werde ich kommen zu den Wassern Deiner Süßigkeit aus dem wüsten, unwegsamen und dürren Land, dass ich schaue Deine Kraft und Stärke und meinen Durst stillen möge aus den Strömen Deiner Barmherzigkeit? Mich dürstet, HErr, Du Brunn des Lebens, tränke mich! Mich dürstet, mich dürstet nach Dir, nach dem lebendigen GOtt.

HErr, wann werde ich dahin kommen, dass ich Dein Angesicht schaue? Meinst Du auch, dass ich denselben Tag sehen werde, den Tag der Freuden und des Frohlockens, den Tag, welchen der HErr gemacht hat, dass wir uns freuen und fröhlich daran sind!

O welch ein herrlicher und schöner Tag, der von keinem Abend weiß, der keinen Untergang hat, an dem ich hören werde die Stimme des Lobens, die Stimme des Jauchzens und des Dankens, an dem ich hören werde: Gehe ein zu Deines HErrn Freude! Gehe ein in die ewige Freude, in das Haus des HErrn Deines GOttes, daselbst sind große, unerforschliche und wunderbare Dinge, die Niemand zählen kann! Gehe ein in die Freude ohne Traurigkeit, welche in sich schließt die ewige Wonne. Daselbst wird nichts denn eitel Gutes sein, und kein Böses; daselbst wird sein Alles, was Du gern hast und wird nichts da sein, was Du nicht gern hast. Daselbst wird sein ein lebendiges, süßes, holdseliges und liebliches Leben, darin nichts vergessen wird; daselbst wird kein Feind sein, der sich entgegenstellte, auch keine unziemliche Wollust, sondern die höchste und völlige Sicherheit, eine sichere Ruhe, eine ruhige Wonne, ein wonniges Heil, eine heilsame Ewigkeit, eine ewige Seligkeit, und eine selige Dreifaltigkeit und die Dreifaltigkeit in der Einigkeit, und die Einigkeit in der Gottheit, und der Gottheit seliges Anschauen, welches ist die Freude des HErrn Deines Gottes! O Freude über Freude, Du Alles übertreffende Freude, außer welcher keine Freude ist: wann werde ich zu Dir eingehen, meinen GOtt zu sehen, der in Dir wohnt? Ich will dahin und besehen dies große Gesicht1). Was hält mich denn ab? Ach, dass sich meine Pilgerschaft verlängert! Ach, wie lange soll man zu mir sagen: wo ist nun Dein GOtt? Wie lange wird man zu mir sagen: harre hie, harre da! Auf wen warte ich doch? Bist Du es nicht, o HErr, mein GOtt? Wir warten des Heilandes unsers HErrn JEsu Christi, welcher unseren nichtigen Leib verklären wird, dass er ähnlich werde Seinem verklärten Leib. Wir warten des HErrn, wenn Er wiederkommt von der Hochzeit, dass Er uns zu Seiner Hochzeit einführe. Komm, HErr, und verzeuch nicht lange, komm, HErr, JEsu Christe, komm und suche uns heim im Frieden, komm und führe die Gefangenen aus dem Kerker, dass wir uns vor Dir freuen mit vollkommenem Herzen! Komm, der Du unser Heiland bist, komm Du hochersehnter Trost aller Heiden! Komm und lass leuchten Dein Antlitz, so genesen wir! Komm Du mein Licht und mein Erlöser, führe meine Seele aus dem Kerker, dass ich Deinem Namen danke!

Wie lange soll ich Elender in dem ungestümen Meer meiner sterblichen Natur hin- und hergeworfen werden, da ich doch, HErr, zu Dir schreie, Du aber mich nicht hörst? Höre mich doch, HErr, wie ich zu Dir schreie aus diesem weiten Meer, und führe mich an das Ufer der ewigen Seligkeit! wie selig sind die, welche aus der Gefahr dieses Meeres entronnen sind, und zu Dir, o Gott, an das sicherste Ufer haben kommen dürfen! O diese sind fürwahr recht und völlig selig, die aus dem Meer ans Gestade, aus dem Elend ins Vaterland, aus dem Kerker zum Palast gekommen sind! Sie haben ihre ersehnte selige Ruhe, die nämlich, welche das Kleinod der ewigen Herrlichkeit hienieden durch viel Trübsale gesucht und nun erlangt haben und sich freuen in der seligen Freude in Ewigkeit. O wie selig, selig, ja überselig sind sie, die nun von allem Übel erlöst und würdig geachtet sind, das herrliche Reich zu erlangen; sie sind ihrer unvergänglichen Herrlichkeit versichert! O Du ewiges Reich, ein Reich, das ewiglich währt, darin ein unaufhörliches Licht ist und der Friede GOttes, der höher ist denn alle Vernunft, darin die Seligen der Heiligen ruhen; ewige Freude wird über ihrem Haupt sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen und Schmerzen und Seufzen wird weg müssen.

O wie herrlich ist das Reich, darin alle Heiligen mit Dir, HErr, regieren, mit Licht, wie mit einem Kleid bekleidet sind, eine Krone auf ihrem Haupt tragen von Edelgestein! Du Reich der ewigen Seligkeit, da Du, HErr, bist die Hoffnung der Heiligen und die Krone der Herrlichkeit, da Du von den Heiligen gesehen wirst von Angesicht zu Angesicht und sie allenthalben erfreust in Deinem Frieden, der alles Denken übersteigt! Daselbst ist Freude ohn Ende, Jauchzen ohne Traurigkeit, Gesundheit ohne Schmerzen, der Weg ohne Mühe, Licht ohne Finsternis, Leben ohne Tod, eitel Gutes und nichts Böses.

Da die Jugend ewig grünt
Keine Zeit dem Tode dient,
Da das Antlitz nie erbleicht
Und die Lieb ihr Ziel erreicht,
Da die Kräfte nie vergehn
Freudenspiele stets bestehn;
Da man keine Schmerzen spürt,
Seufzer nie das Herz berührt:
Stete Freude uns umwebt
Aller Leiden uns enthebt
Da sich Gott zu Allen neigt
Seiner Schönheit Urbild zeigt.

Wohl sind die selig, welche aus diesem gegenwärtigen schiffbrüchigen Leben zu solch großen Freuden haben kommen dürfen und deren wert geachtet sind. O des Jammers, wie unselig sind wir dagegen und wie elend, die wie das Schiff dahinziehen durch die Wasserwellen, Sturmwinde und grundlose Wirbel! Wir wissen nicht, ob wir an die Anfahrt der Seligkeit gelangen werden! Ja freilich, sag ich, sind wir unselig, da unser Leben im Elend steht, der Weg in Gefahr, das Ende in Zweifel, wissen nicht, wie es zuletzt werde mit uns zugehen, weil alle Dinge als ungewiss bis auf künftige Zeiten erhalten werden. Also schwimmen wir noch in den Wellen des ungestümen Meers, seufzen nach Dir, dem Gestade des Meers, o Du unser Vaterland, unsere sichere Heimat! Wir sehen Dich wohl, aber von Ferne! Aus diesem Meer grüßen wir Dich, aus diesem Jammertal seufzen wir zu Dir und mühen uns ab bis zu Tränen, ob wir etwa auf irgend eine Art zu Dir kommen könnten. O Christe, wahrer GOtt von GOtt, der Du bist die Hoffnung des menschlichen Geschlechts, unsre Zuflucht und Stärke: Dein Licht leuchtet uns von Ferne in unsere Augen zwischen den dunklen Übeln auf dem ungestümen Meer, wie ein Glanz des Polarsterns, dass wir uns nach Dir, dem rechten Gestade richten sollen! O HErr, regiere unser Schiff mit Deiner Rechten, mit dem Steuerruder Deines Kreuzes, dass wir in den Wasserwellen nicht verderben, dass uns das Ungestüm des Wassers nicht ertränke, noch die Tiefe verschlinge, sondern ziehe uns durch die Kraft Deines Kreuzes aus diesem Meer zu Dir, unserm einigen Trost, die wir Dich von Ferne als den Morgenstern und die Sonne der Gerechtigkeit, die Du auf uns wartest, am Gestade des himmlischen Vaterlandes mit weinenden Augen kaum ansehen können!

Siehe, wir Deine Erlösten, ja auch wir, Deine ins Elend Vertriebenen, welche Du mit Deinem kostbaren Blute erlöst hast, schreien zu Dir: Erhöre uns, o HErr, unser Heiland, der Du die Hoffnung bist aller Welt Ende und bis zum äußersten Meer! Wir schwimmen in dem unruhigen trüben Meer, Du stehst am Gestade und siehst unsre Fährlichkeiten sehr wohl! Errette uns um Deines Namens willen! Verleihe, o HErr, dass wir zwischen den gefährlichen Örtern, die da Tod und Hölle heißen, das ist die höchste Gefahr des Verlustes wahrer Seligkeit, also die Mitte treffen, dass wir nach zwei Seiten dem Unglück entgehen und mit unverletztem Schifflein und gut erhaltener Ware sicher ans Ufer kommen mögen. Amen.

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2. Mos. 3,3
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