Augustinus, Aurelius - Soliloquien - XXVIII. Vom dem tiefen Geheimnis der Verordnung zum ewigen Leben und der ewigen Vorsehung Gottes.

Augustinus, Aurelius - Soliloquien - XXVIII. Vom dem tiefen Geheimnis der Verordnung zum ewigen Leben und der ewigen Vorsehung Gottes.

1)

Du allerunergründlichste Tiefe der Weisheit, die Du Alles erschaffen hast, der Du die Berge mit einem Gewicht wiegst und die Hügel mit einer Waage und die Erde begreifst mit einem Dreiling, lehre mich! Ziehe auf zu Dir mit Deinem unsichtbaren Dreiling alle Erde dieses sterblichen Leibes, den ich an mir trage, auf dass ich sehen und erkennen möge, wie Dein Name so wunderbarlich ist in aller Welt. O Du allerältestes Licht, das da leuchtete in den heiligen Bergen Deiner alten Ewigkeit, vor dem alle Dinge bloß und entdeckt lagen, ehe denn sie geschahen: o Du Licht, das da hasst alle Befleckung: Du bist das allerreinste und unbefleckteste Licht! Was hast Du für Lust an den Menschen, wie stimmt das Licht mit der Finsternis überein? Wo steckt denn Deine Lust am Menschen? Wo hast Du Dir eine würdige heilige Statt in mir bereitet für Deine Majestät, daran Du nach Deinem Einzug ergötzliche Freude und Lust haben mögest? Denn es geziemt Dir ein reiner Saal, o Du reinigende Kraft, die Du nur von reinen Herzen kannst geschaut werden, geschweige, dass sonst Jemand dieselbe haben könne.

Wo ist aber in einem Menschen ein so reiner Tempel, um Dich aufzunehmen, der Du die Welt regierst? Wer vermag einen aus unreinem Samen Empfangenen rein zu machen? Nicht wahr, nur Du, der Du allein rein bist? Denn wer kann von einem Unreinen gereinigt werden? Auch nach dem Gesetz, welches Du unsern Vätern gegeben hast im Feuer, das den Berg verbrannte und in der Wolke, welche das dunkle Wasser. bedeckte, soll Alles, was ein Unreiner angerührt hat, unrein sein. Wir alle aber sind wie ein unflätig Kleid, entsprossen einem verderbten und unreinen Samen; wir tragen den Flecken unsrer Unreinigkeit, welchen wir Dir, der Du Alles stehst, doch nicht verbergen können, auf unserer Stirne. Deshalb können wir nicht rein sein, wenn Du, der Du allein rein bist, uns nicht gereinigt hast. Du reinigst aber von uns Menschenkindern diejenigen, in welchen es für Dich genehm ist zu wohnen. Das sind die, welche Du nach dem unergründlich tiefen Geheimnis der unbegreiflichen Gerichte Deiner Weisheit, die allezeit gerecht, wenn auch verborgen sind, ohne ihr Verdienst vor der Welt verordnet, vor der Welt berufen, in der Welt gerechtfertigt hast und nach dieser Welt herrlich machst. Das kannst Du nicht Allen tun, obschon Du möchtest. Darüber verwundern sich und vergehen alle Weltweisen.

Und wenn ich dies erwäge, so erschrecke ich und staune an die Tiefe des Reichtums, beides Deiner Weisheit und Erkenntnis, die ich nicht erreichen kann, dazu die unbegreiflichen Gerichte Deiner Gerechtigkeit; denn Du machst aus einem Ton etliche Gefäße zu Ehren, etliche zu ewiger Schande. Welche Du Dir nun aus Vielen zu Deinem heiligen Tempel erwählen kannst, die reinigst Du und gießt über sie aus das reine Wasser; denn ihre Namen und Zahl kennst Du, der Du allein der Sterne Menge zählst und sie alle bei Namen nennst. Das sind die, welche geschrieben stehen im Buch des Lebens, welche nie verloren gehen, so lange sie in Dir bleiben und Du in ihnen bleibst, denen Alles zum Besten dient, selbst ihre Sünden, da sie durch Dich mehr empfangen, als sie durch ihre Sünden verloren haben. Denn wenn sie fallen, werden sie nicht zerstoßen, weil Du Deine Hand unterlegst, der Du alle ihre Gebeine bewahrst, dass ihrer nicht eines zerbrochen werde.

Aber der Sünder Tod ist überaus böse, der Tod derer, sage ich, von welchen Du nach der großen Tiefe Deiner Gerichte, noch ehe Du Himmel und Erde schufst, zuvorgesehen und gewusst hast, dass sie durch Verschmähung Deiner Gnaden würden verloren gehen, deren Name und Anzahl ihrer bösen Werke bei Dir ist, der Du den Sand am Meer abgezählt und des Meeres Tiefe gemessen hast. Sie lässt Du in ihrer Unreinigkeit dahinfahren, denen Alles zum Bösen dient, ja denen selbst ihr Gebet zur Sünde wird, und wenn sie gleich in den Himmel hinaufstiegen und ihr Haupt die Wolken berührte und unter die Sterne des Himmels sich betteten, doch zuletzt wie Kot vertilgt würden.

1)
Um Missverständnissen zu begegnen sei hier kurz. Folgendes bemerkt. So durchaus evangelisch der heilige Augustin über Natur und Gnade lehrte, so alles Maß evangelischer Lehre überschreitend ist derselbe. in seiner Auffassung der unbedingten Vorherbestimmung Gottes, danach Sein Ratschluss dahingehe aus der Masse des gänzlich verderbten Menschengeschlechts nur Einige zur Verherrlichung Seiner Gnade zu erretten, die Andern aber zur Verherrlichung Seiner Gerechtigkeit zu verdammen. Da der Glaube nur Gottes Gnadengeschenk sei, so sei der Grund dieser Auswahl einzig Sein weises und unbegreifliches Wohlgefallen Seines heiligen Willens. Nur die, welche Gott von Ewigkeit erretten will, werden selig; die Verworfenen können keine Gnade erlangen, die Auserwählten können der Gnade nicht widerstehen. Der ungestörte Besitz der Gnade ist das einzig sichere Kennzeichen der Erwählung. Diese schroffe Gnadenwahlslehre des heiligen Augustin wurde in der Kirche verworfen, insofern dadurch in Gottes Wesen eitel Willkür gesetzt worden war; es wurde mit Recht der Grund der Verwerfung in des Menschen Widerspenstigkeit gesetzt, aber auf der andern Seite der Lehre der zum ewigen Leben aus pur lauterer Gnade, ohne Verdienst erwählten Seligen wieder zu nahe getreten. Kurz die Lehre war ins Schwanken geraten. Erst unsre lutherische Kirche erkannte mit klarer Sicherheit die rechte Mitte. Ihr Konkordienbuch fasst, als unergründliches Geheimnis, nun die Seligkeit des Menschen als Gegenstand des göttlichen Gnadenentschlusses, die Verdammnis aber als Gegenstand göttlichen Vorherwissens. Die Seligkeit der Menschen ist das Werk absoluter Gnade; denn er kann sie nur durch den Heiligen Geist und die Gnadenmittel ergreifen und selbst nichts dabei mitwirken. Die Verdammnis ist eine Folge eigner Schuld; denn die Fähigkeit der Gnade zu widerstreben und zu widerstehen, besitzt er. Die reformirte Kirche kalvinischerseits verfiel wieder in den rein augustinischen Lehrirrtum. In dem XXVIII. Soliloquium ist nach der lutherischen Kirchenlehre daher billig geändert, doch nur mit wenigen Strichen.
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