Augustinus, Aurelius - Soliloquien - XV. Von dem menschlichen Unvermögen außer der Gnade.

Augustinus, Aurelius - Soliloquien - XV. Von dem menschlichen Unvermögen außer der Gnade.

Du allgewaltiger großmächtigster GOtt über alles lebendige Fleisch, dessen Augen offen stehen über aller Menschen Kinder von dem Tag an ihrer Geburt bis zu dem ihrer letzten Hinfahrt, dass Du einem Jeglichen vergältest nach seinen Werken, es sei gut oder böse: zeige mir an, wie ich Dir meine Armut bekennen soll; denn ich habe gesagt: Ich bin reich und darf nichts, und wusste nicht, dass ich war elend und jämmerlich, arm blind und bloß. Ich hielt dafür, ich sei etwas, ob ich doch nichts war. Ich sprach bei mir: Ich will weise werden und bin zum Narren worden. Ich hielt mich für klug und bin betrogen worden. Jetzt aber sehe ich, dass es Deine Gnade ist, ohne welche wir nichts tun können; denn wo Du, HErr, die Stadt nicht behütest, da wachen die Wächter umsonst. Also hast Du mich unterwiesen, dass ich mich sollte erkennen; denn Du hast mich verlassen und versucht nicht um Deinetwillen, dass Du mich erkenntest, sondern um meinetwillen, dass ich mich erkenne. Denn, HErr, wie ich gesagt habe, ich hielt dafür, ich sei etwas von mir selbst, und merkte nicht, dass Du mich regiertest, bis dass Du Dich erst etwas ferne mir entzogen hattest: Da bin ich alsobald zu Boden gefallen, habe gesehen und erkannt, dass Du mich regiertest. Meine Schuld war es, dass ich gefallen bin, und dass ich wieder aufgestanden, ist Deine Gnade!

O mein Licht, Du hast mir die Augen aufgetan, hast mich erweckt und erleuchtet! Da hab ich gesehen, dass des Menschen Leben auf Erden eine Versuchung ist und dass sich vor Dir kein Fleisch rühmen mag, auch kein Lebendiger vor dir gerecht erfunden wird. Denn so etwas Gutes vorhanden ist, es sei klein oder groß, so ist es Deine Gabe, und von uns ist nichts denn das Böse. Wessen soll sich denn alles Fleisch rühmen können? Soll es sich etwa des Bösen rühmen? Das ist aber kein Ruhm, sondern eine Schande. Soll es sich denn des Guten rühmen?1) O HErr, Dein ist das Gut, Dein der Ruhm! Denn wer für sich selbst, und nicht für Dich von Deinem Ruhm sucht, der ist ein Dieb und ein Mörder und dem Teufel gleich, der Dir Deinen Ruhm hat rauben wollen. Denn wer von Deinen Gaben will gelobt sein und sucht darin nicht Deinen Ruhm, sondern seinen, der wird, ob er gleich um Deiner Gaben willen von Menschen gelobt wird, von Dir getadelt, weil er von Deiner Gabe nicht Deinen, sondern seinen Ruhm gesucht hat. So aber Jemand von Menschen gelobt wird, den Du tadelst, den werden die Menschen nicht verteidigen können, wann Du ihn richtest, und auch nicht erlösen, wann Du ihn verdammst.

Aber Du, HErr, mein Schöpfer von Mutterleib an, lass mich nicht in diese Schmach fallen, dass man mir schmählich vorwerfen sollte, ich hätte Dir Deinen Ruhm stehlen wollen; denn Dir gehört der Ruhm zu, dem alles Gute gehört, uns aber nichts als offene Schande und Schmach; denn uns gehört alles Böse zu, es sei denn, dass Du Dich unser erbarmst. Gewiss erbarmst Du Dich, HErr, Du erbarmst Dich aller und hasst der Dinge keines, die Du gemacht hast, und gibst uns von Deinen Gütern und machst uns Arme reich, o HErr GOtt, mit Deinen besten Gaben! Denn Du liebst die Armen, und machst sie reich mit Deinem Reichtum. Siehe nun, HErr, wir sind Deine armen Kinder und Dein klein Häuflein. Öffne uns Deine Türen, so werden die Armen essen und satt werden, und es werden Dich loben, die Dich suchen. Ich weiß auch wohl, HErr, und bekenne es, wie Du mich unterwiesen, dass nur die, welche sich für arm erkennen und Dir ihre Armut bekennen, von Dir sollen reich gemacht werden. Denn die sich reich achten, so sie doch arm sind, die sollen von dem Reichtum ausgeschlossen werden.

Darum bekenne ich Dir, HErr, mein Gott, meine Armut und lass Dir ganz und gar Deinen Ruhm; denn Dein ist alles, was ich Gutes getan habe. HErr, ich bekenne Dir, wie Du mich gelehrt hast, ich bin nichts anders als eitel Üppigkeit und des Todes Schatten und ein finsterer tiefer Abgrund, ein wüstes und leeres Erdreich, das ohne deinen Segen nicht grünt; auch keine andere Frucht bringt als Schande, Sünde und Tod. Hab ich je etwas Gutes gehabt, so hab ich es von Dir empfangen. Stand ich etwa, so stand ich durch Dich. Fiel ich aber, so fiel ich von mir selbst und wäre immerdar im Kot liegen geblieben, hättest Du mich nicht aufgerichtet. Ich wäre immerzu blind gewesen, wenn Du mich nicht erleuchtet; vom Fall nimmer aufgestanden, wenn Du mir nicht Deine Hand gereicht hättest. Und auch nachdem Du mich aufgerichtet, wäre ich immerfort wieder gefallen, wenn Du mich nicht aufrecht gehalten, und wäre manchmal verdorben, wenn Du mich nicht regiert hättest. So kommt mir, o Herr, allezeit und allewege Deine Gnade und Barmherzigkeit zuvor, indem sie mich von allem Übel errettet, von den begangenen Sünden erlöst, von den gegenwärtigen aufweckt und vor den zukünftigen bewahrt, auch vor mir die Sündenstricke zerreißt und alle Gelegenheit und Ursache dazu hinweg tut. Denn wenn Du mir das nicht getan hättest, so hätte ich alle Sünden der Welt getan; denn ich weiß, HErr, dass es keine Sünde gibt, die ein Mensch je getan hat, die nicht auch ein andrer Mensch tun könnte, wenn der Schöpfer nicht vorhanden ist, von dem der Mensch gemacht ist. Dass ich es aber nicht getan habe, hast Du verhütet; dass ich mich davon enthalten habe, hast Du mir befohlen: und dass ich Dir glauben möchte, dazu hast Du mir Deine Gnade einströmen lassen. Denn Du, HErr, zogst mich zu Dir und erhieltest mich Dir und mir. Dass ich also keinen Ehebruch oder andere Sünden beging, habe ich Deiner Gnade und Deinem Lichte zu danken! Amen.

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etwa fremder guter Werke?
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