Augustinus, Aurelius - Soliloquien - VI. Von der Seelen Sündenfall.

Augustinus, Aurelius - Soliloquien - VI. Von der Seelen Sündenfall.

Weil ich nun ohne Dich gewesen, bin ich nicht gewesen, sondern bin nichts gewesen, und deshalb war ich blind, taub und unempfindlich; denn das Gute unterschied ich nicht, das Böse floh ich nicht; den Schmerz der Wunden fühlte ich nicht; meine Finsternis sah ich nicht; denn ich war ohne Dich, das wahre Licht, das da erleuchtet einen jeglichen Menschen, der in diese Welt kommt. Wehe mir, sie haben mich verwundet und es hat mich nicht geschmerzt; sie haben mich hin und her gezerrt und ich hab' es nicht gefühlt, weil ich nichts war und ohne das Leben, welches das Wort ist, wodurch alle Dinge gemacht sind. Darum, o HErr, mein Licht, haben meine Feinde mit mir gemacht, was sie wollten; sie haben mich geschlagen, entblößt, geschändet, verderbt, verwundet und getötet; denn ich bin von Dir abgewichen und ohne Dich zu nichts geworden.

Ach HErr, Du mein Leben, der Du mich gemacht hast: Du, mein Licht, das Du mich recht geleitet hast: Du Hüter meines Lebens, erbarme Dich meiner und hilf mir auf. O HErr, mein GOtt, meine Hoffnung, meine Kraft, meine Stärke, mein Trost am Tage meiner Trübsal: wende Dich wider meine Feinde, errette mich, treibe weit weg von meinem Angesicht, die mich hassen, so will ich in Dir leben durch Dich. Denn siehe, HErr, meine Feinde haben mich ausgekundschaftet, und da sie mich sahen ohne Dich, haben sie mich verachtet: sie haben meiner Tugend Kleider unter sich geteilt, damit Du mich geziert hattest, sie haben sich einen Weg durch mich gemacht, haben mich unter ihre Füße getreten; mit dem Sündenkot haben sie Deinen heiligen Tempel verunreinigt; sie haben mich ganz trostlos und traurig gemacht. Ich folgte ihnen nach blind und bloß und gekettet mit den Stricken der Sünden, sie schleppten mich nach sich, aus einem Laster ins andere mich stürzend, von einem Kot in den andern, und ich, der ich ohne Kraft war, folgte, wohin ich getrieben wurde. Ich war ein Knecht, ich liebte die Knechtschaft; ich war blind und hatte Lust zur Blindheit; ich war gebunden und scheute die Bande nicht; ich wähnte das Bittere süß und das Süße bitter. Ich war elend und erkannte es nicht, weil ich ohne das Wort war, ohne welches nichts gemacht ist, durch welches alle Dinge erhalten werden, ohne welches alle Dinge zu nichts werden. Denn gleich wie alle Dinge durch dasselbige gemacht sind, und ohne dasselbige nichts gemacht ist, also werden durch dasselbige alle Dinge erhalten, sie seien wo und wann sie wollen, es sei gleich im Himmel oder auf Erden, oder im Meer, oder in allen Tiefen; ja es hing kein Stück Stein am andern, es blieb an keiner Kreatur ein Teil bei dem andern, wenn sie nicht durch das Wort erhalten würden, durch welches alle Dinge gemacht sind. Deshalb soll ich Dir, o Wort, billig anhangen, dass Du mich erhalten mögest; denn sobald ich von Dir abgewichen, bin ich in mir verdorben. Doch, weil Du mich gemacht hattest, hast Du mich wieder zurecht gebracht: Ich habe gesündigt, Du hast mich heimgesucht: Ich bin gefallen, Du hast mich aufgerichtet: Ich bin unverständig gewesen, Du hast mich unterwiesen: Ich habe nicht gesehen, Du hast mich erleuchtet! Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/a/augustinus/augustinus-soliloquien/augustinus-soliloquien_vi.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain