Augustinus, Aurelius - Soliloquien - I. Von der unaussprechlichen Süßigkeit Gottes.

Augustinus, Aurelius - Soliloquien - I. Von der unaussprechlichen Süßigkeit Gottes.

Lass mich Dich erkennen, o HErr, der Du mich erkennest: lass mich Dich erkennen, Du Kraft meiner Seele: erzeige Dich mir, Du mein Tröster: lass mich Dich sehen, Du Licht meiner Augen: komme, Du Freude meines Geistes: lass mich Dich schauen, Du Wonne meines Herzens: lass mich dich lieben, Du Leben meiner Seelen: erscheine mir, Du meine volle Lust, Du mein süßer Trost, mein HErr, mein GOtt, mein Leben und meiner Seelen volle Herrlichkeit: lass mich Dich finden, Du Verlangen meines Herzens: lass mich Dich fassen, Du Liebe meiner Seele: lass mich Dich umfahen1), Du himmlischer Bräutigam: Du bist meine höchste Freude von Innen und von Außen: lass mich Dich besitzen, Du ewige Seligkeit: lass mich Dich besitzen inmitten meines Herzens, Du seliges Leben, Du höchste Süßigkeit meiner Seele: lass mich Dich herzlich lieben, HErr, meine Stärke, HErr, mein Fels, meine Burg, mein Erretter: lass mich Dich lieben, mein GOtt, mein Hort, auf den ich traue, mein Schild und Horn meines Heils, und mein Schutz: lass mich Dich umfangen als den allein Guten, ohne welchen nichts Gutes ist: lass mich Dein genießen als des Allerbesten, ohne welchen nichts das Beste ist! Öffne mir die verschlossenen Türen meiner Ohren mit Deinem Wort, das da schärfer ist, denn kein zweischneidig Schwert, auf dass ich hören möge Deine Stimme! O HErr, donnere vom Himmel mit großem Schall: das Meer und seine Fülle erdröhne, das Erdreich rege sich und bebe davon!

Erleuchte meine Augen, Du unbegreifliches Licht, schieße Deine Strahlen und zerstreue sie, auf dass sie von den üppigen Dingen abgezogen werden! Ja, lass sehr blitzen und schrecke sie, dass aufgedeckt werden die Brunnen der Tiefen und die Grundfesten der Erde! Verleihe mir ein Gesicht, Du unsichtbares Licht, dass ich Dich sehen möge! Schenke mir einen neuen Geruch, Du edler Geruch des Lebens, der da nacheile dem Geruche Deiner köstlichen Salben: reinige meinen Geschmack, dass er möge kosten, erkennen und unterscheiden, wie groß da sei, o HErr, die Fülle Deiner Süßigkeit, die Du vorbehalten hast denen, die Dich fürchten und Dich völlig lieben! Gib mir ein Herz, das Dein gedenke, ein Gemüt, das Dich liebe, einen Sinn, der Dich stets betrachte, einen Verstand, der Dich verstehe, einen Geist, der stets an Dir hafte als dem höchsten und lieblichsten Gute! O Du weise Liebe, lass Dich immerdar lieben! O Du Leben, dem alle Dinge leben: Du Leben, welches mir gibt das Leben; Du Leben, das da ist mein Leben, durch welches ich lebe, ohne welches ich sterbe: Du Leben, durch welches ich erweckt werde, ohne welches ich verderbe: Du Leben, durch welches ich mich freue, ohne welches ich in Ängsten bin: O Du lebendiges, süßes, liebliches und allzeit preiswürdiges Leben, wo soll ich Dich finden, auf dass ich in mir vergehen, in Dir aber erstehen möge? Sei mir nahe im Gemüt, nahe im Herzen, nahe im Mund, nahe in den Ohren, nahe in der Hilfe; denn ich bin krank vor Liebe; denn ohne Dich sterbe ich: wenn ich aber Dein gedenke, werde ich lebendig: Dein Geruch erquickt mich, Dein Andenken heilt mich. Aber wenn mir Deine Herrlichkeit erscheint, so werde ich ersättigt, Du Leben meiner Seele! Meine Seele verlangt sehr und vergeht, wenn sie Deiner gedenkt. Wann werde ich dahin kommen, dass ich Dein Angesicht schaue, o Du, meine Lust?

Warum wendest Du Dein Angesicht von mir ab, o Du meine Freude, daran ich mich allezeit erfreue? Wo ist mein Schönster verborgen, dessen ich so sehnlich begehre? Ich schlürfe Deinen Wohlgeruch, lebe davon und erfreue mich daran: doch sehe ich Dich nicht. Deine Stimme höre ich und werde wieder lebendig. Warum verbirgst Du aber Dein Angesicht? Vielleicht sprichst Du: Kein Mensch, der Mich sieht, mag leben! Ei, mein HErr, so lass mich sterben, dass ich Dich sehen möge. Lass mich Dich sehen, auf dass ich hier sterbe: Ich will nicht leben, ich will sterben! Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein! Mich verlanget zu sterben, dass ich Christum sehen möge. Ich begehre nicht zu leben, auf dass ich bei Christo leben möge. HErr JEsu, nimm meinen Geist auf! Du mein Leben, nimm zu Dir meine Seele! O Du meine Freude, ziehe nach Dir mein Herz. Lass mich Dich genießen, o Du meine süße Speise!

Du mein Haupt, leite mich, Du Licht meiner Augen erleuchte mich! O Du mein süßklingendes Lied, durchsaite mich. Du, mein lieblicher Geruch, mach mich lebendig. Du Wort Gottes erquicke mich! O mein Psalm, erfreue die Seele Deines Knechts! Gehe zu ihr ein, Du meine Freude, auf dass sie sich in Dir freuen möge. Gehe zu ihr ein, meine höchste Süßigkeit, auf dass sie Süßes schmecken möge. Du ewiges Licht, erleuchte sie, auf dass sie Dich verstehe, erkenne und liebe. Denn darum liebt sie Dich. nicht, o HErr, weil sie Dich nicht lieben kann, ohne Dich zu erkennen; und darum erkennt sie Dich nicht, weil sie es nicht versteht; und deshalb versteht sie es nicht, weil sie nicht Dein Licht begreift, und das Licht scheinet in der Finsternis und die Finsternis haben es nicht begriffen.

O Du Seelenlicht, o Du Glanz der Wahrheit, o Du wahre Klarheit, die Du erleuchtest einen jeglichen Menschen, der da kommt in die Welt! Der Mensch kommt zwar, aber er liebt Dich nicht; denn wer der Welt Freund ist, der wird GOttes Feind. Treib aus die Finsternis aus meines Herzens Grunde, auf dass es Dich verstehen. und sehen, begreifen und erkennen, erkennen und lieben lerne. Denn wer Dich erkennet, der liebet Dich, vergisst seiner, liebet Dich mehr als sich, er gibt sich auf und kommt zu Dir, auf dass er sich Deiner erfreuen möge. Daher kommt es aber, o HErr, dass ich Dich nicht so sehr liebe, wie ich doch sollte, weil ich Dich nicht vollkommen erkenne; weil ich aber so wenig erkenne, liebe ich auch wenig; und weil ich so wenig liebe, so erfreue ich mich so wenig in Dir. Ja, indem ich von Dir, der wahren innerlichen Freude durch äußerliche Dinge weiche und also Deiner Einzigkeit ermangele, so suche ich nichts als falsche ehebrecherische Freundschaft in diesen äußerlichen Dingen. Ach, so hab' ich Elender mein Herz den eitlen Dingen ergeben, das ich doch Dir allein mit völliger Liebe und ganzer innerer Begier sollte zuwenden, und darum bin ich eitel und zunichte geworden, weil ich eitle nichtige Dinge geliebt habe. Daher kommt denn auch, o Herr, dass ich mich in Dir nicht freue und Dir nicht anhange; denn ich hänge in äußerlichen, Du in innerlichen; ich in weltlichen, Du in geistlichen Dingen; ich verwirre mein Herz und zerteile es im vergänglichen Weltwesen, schweife mit meinen Gedanken hin und her, verfange mich mit Worten, und Du, HErr, wohnest in der Ewigkeit und bist die Ewigkeit: Du im Himmel, ich auf Erden: Du liebst hohe Dinge, ich die allerniedrigsten: Du himmlische, ich irdische; ach, sage an, wann werden sich solch widersprechende Dinge reimen?

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umfangen, umarmen
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