Arnold, Gottfried - Geistliche Erfahrungs-Lehre - Das 5. Capitel.

Arnold, Gottfried - Geistliche Erfahrungs-Lehre - Das 5. Capitel.

Von der Erlösung durch Jesum Christum.

Nehmet wahr des Hohenpriesters Jesu. Ebr. 3,1.

1. Der unbewegliche Grund unserer Herwiederbringung bestehet auf dem Hohenpriesteramt des Sohnes Gottes. Denn daß daran alles gelegen sey, ist sogar aus dem theuren Eidschwur des ewigen Gottes klar, da der Geist spricht: Der Herr hat geschworen, und es wird ihn nicht gereuen; du bist ein Priester ewiglich nach der Ordnung Melchisedech. Ps. 110, 4. Weil nun das Wort des Eides diesen höchsten Priester festgesetzt hat, wie es der Geist abermal anmerket. Ebr. 7, 28. So ist es freilich der allerwichtigste Punkt unsers Heils, darauf es beruhet, und ohne welchen uns sonst nichts helfen würde.

2. Es ist aber dieses Hohepriesteramt Christi diejenige unschätzbare Gnade, dadurch er im Thun und Leiden sich selbst dem ewigen Vater geopfert, und für uns zur Versöhnung dargestellt hat, uns also von Sünden, Zorn, Fluch und Tod zu erlösen, auch durch seine Fürbitte alles Heil wieder zu erlangen und zu schenken. Wie er denn deßwegen insonderheit der große Hohepriester heißet und ein Hoherpriester der zukünftigen Güter, Ebr. 4, 14. 15. in Vergleichung der Hohenpriester A. T., welche nur Vorbilder und Schatten dieses himmlischen Wesens waren, als die Epistel an die Ebr. Cap. 7. weitläufig ausführet.

3. Es ist auch dieses Amt Jesu Christi desto wichtiger, weil er darinne nicht etwa Thiere oder dergleichen irdische Dinge, sondern seine eigene allerhöchste Person dem Vater aufgeopfert hat: Als denn ausdrücklich versichert wird Eph. 5, 2. Er habe sich selbst dargegeben zur Gabe und Opfer, Gott zu einem süßen Geruch. Und Ebr. 9, 14. Er habe sich selbst Gott durch den ewigen Geist geopfert. Daher denn seine hohe Gültigkeit kommt, daß dieß Opfer ewiglich gilt. Cap. 10, 12.

4. Und dieses ist eben das vornehmste Werk in diesem Amte Jesu, um welches willen er ein Hoherpriester in Ewigkeit gepriesen wird. Ebr. 6, 20. Daher wir auch uns billig solcher hohen Gnade desto demüthiger und gehorsamer gebrauchen sollen, weil er dieselbe nicht durch Ungehorsam will geschändet und gestört wissen. Und es auch unverantwortlicher Frevel ist, wenn Jemand dieß vollkommene Opfer, so dem Herrn der Herrlichkeit unaussprechliche Schmerzen gekostet, auf Muthwillen ziehen, (als leider, von den Meisten geschieht) und desto sicherer sündigen wollte. Dessen Verdammniß wäre freilich ganz recht.

5. Vielmehr soll eben dieß vollkommene Opfer des Sohnes Gottes nach seiner heilsamen Absicht in jedem Menschen wirken, daß sie sich in desselben Kraft mit innigster Zerknirschung und Zuversicht dem himmlischen Vater zum wohlgefälligen Opfer darstellen, ja er selbst der Hohepriester will sich gerne in uns immerdar dem Vater geistlich aufopfern zur ewigen Erlösung, wenn er uns zu geistlichen Priestern -und Gliedern seines heiligen Leibes in der neuen Geburt gemacht hat.

6. Nun sind zwar noch mehrere heil. Verrichtungen, welche zu diesem hohenpriesterlichen Amt Christi gehören. Denn zu gleicher Weise, wie im Alten Bunde Aaron und seine Nachkommen nebst dem gewöhnlichen Opfern auch die heil. Fürbitte für die ganze Gemeine auf sich hatten, um auch hierdurch das Volk zu versöhnen, und dem Herrn darzubringen. Zu geschweigen, was Gott verordnet hatte wegen des Segens, den sie über die Gemeine in Geistes Kraft aussprechen mußten, durch den allerheiligsten Namen des Herrn Herrn. 2 B. Mose 30, 7. f. 4 B. 6, 23. Ebr. 8, 3.

7. So hat nicht weniger der ewige Hohepriester eben solche Verrichtungen vollkommen und in allerhöchster Masse auf sich genommen, indem er immerdar lebet und für uns bittet, auch zugleich alle Reichthümer des himmlischen Segens zu unserm Heil, denen, die ihm folgen, zu Nutzen macht, und wie er sie erworben hat, wirklich mittheilet. Ap. Gesch. 3, 26. Eph. 1, 3.

8. Von diesen letztgedachten Wohlthaten aber des Priesterthums Jesu wird hernach besonders zu handeln seyn. Dießmal nehmen wir nur das Wunder und Geheimniß seiner völligen Versöhnung und Erlösung für uns. Wir wollen aber aufs Deutlichste davon erlernen: 1) Den Hohenpriester selbst; 2) Seine Versöhnte und Erlöste; 3) Die Versöhnung; und 4) Den Nutzen derselben.

9. Von dem Hohenpriester Jesu Christo, als Gott und Menschen, leget uns der Geist der Wahrheit so gleich solche Namen und Beschreibungen vor, die uns das ganze Geheimniß der Wiederbringung kurz und gut eindrücken mögen, wenn er anders ihn in uns zu verklären und zu offenbaren Raum findet, und seine Erlösung in uns ausbreiten kann.

10. Denn da heißt eben dieser Hoherpriester deßwegen nicht nur ein Heilmacher oder Heilbringer Jes. 43, 1. sondern auch das Heil selbst wesentliche. 49, 6. 1 B. Mose 49, 18. als die uns gemachte Erlösung. 1 Cor. 1, 30. Also daß er nichts anders für uns und uns zu gut seyn wolle und könne, als lauter Heilmachung, so wir es nur brauchen wollen. Insonderheit heißt und ist er in der That die Versöhnung für unsere Sünde. 1 Joh. 2, 2. 4, 10. Das Lösegeld für Alle, 1 Tim. 2, 6. der Gnadenstuhl, den Gott fürgestellt hat. Röm. 3, 25. u. s. w.

11. Und das alles, welches große Tiefen ausdrückt, ist der ganze Christus, Gott und Mensch. Sintemal ein bloßer Mensch diese allerwichtigste Errettung nicht ausführen konnte. Denn ein Bruder kann Niemand erlösen, noch Gott Jemand versöhnen. Ps. 49, 8. Daher mußte der Erlöser Gottes Sohn seyn, theils die menschliche Natur dabei unter dem unendlichen Leiden zu unterstützen und zu stärken, theils die Gültigkeit und Kraft solcher Aussöhnung zu geb.-n, damit es bei dem blutigen Todesopfer Christi eben so viel wäre, als waren sie alle gestorben, wie sie ihm auch wirklich im Absterben der Sünde nachfolgen müssen.

12. Absonderlich aber nennt der Geist den Herrn Jesum deßwegen unsern Goel oder verwandten Erlöser, weil er nach seiner Menschheit der genaueste Blutsfreund und Bruder worden, dergleichen Leute im Alten Testament das Recht hatten ihre Verwandte zu rächen, zu retten und zu lösen, wie aus Ruth 4, 6. 9. f. 3 B. Mose 25, 25. 4 B. Mose 35, 12. 25, 27. zu sehen. Dahin denn insgemein Hiobs Worte Cap. 19, 25. gedeutet werden: Ich weiß, daß mein Erlöser lebt.

13. Und nach diesem Werk ist die Person Christi abgebildet worden in dein Alten Bunde durch das Osterlamm, dessen Blut an dem Pfosten von dem Würgengel erlöste, und durch den Versühn-Bock 3 B. Mose 16, 8. dem die Sünden des Volks aufgelegt wurden: ingleichen durch das Opfer des Hohenpriesters, so an dem Versühnfest für alles Volk gebracht ward, welchem er des Volks Sünde in gewisser Masse auflegte. Welches alles zwar nur Schatten und Bilder waren, doch aber die Alten und uns mit ihnen auf manche tiefe Vorstellungen dieser geheimnißvollen Person führen könnte.

14. Wir müssen aber hier um der Kürze willen 2) die Erlöste kennen lernen, und zuvörderst (mit Vorbeigehung anderer uns nicht so nahe angehenden Fragen) uns bekümmern, ob denn dieser vollkommene Hohepriester alle Menschen ohne Ausnahme eines einigen erlöst und erkauft habe? Da denn schon aus der Krage selbst klar ist, daß er nicht vollkommen seyn könnte, wo er nicht für der ganzen Welt Sünde die Erlösung wäre. Nun ist aber dies die unläugbare Versicherung des Geistes Gottes, daß er es nicht allein für unsere (der Gläubigen) Sünden sey, sondern daß er sich selbst für Alle zum Lösegeld gegeben habe, welches auch also ein Zeugniß zu seinen Zeiten seyn und gepredigt werden solle. 1 Joh. 2, 2. 1 Tim. 2, 6.

15. Daher ist der Schluß unstreitig, den der heil. Geist davon macht 2 Cor. 5, 15. So Einer für Alle gestorben ist, so sind sie Alle gestorben, ja er ist für Alle gestorben. Welche Alle nicht etwa nur die Auserwählten heißen, sondern eben Diejenigen, die nach dem 10. v. vor den Richterstuhl Christi dargestellt werden sollen, welches freilich nicht nur Fromme, sondern vornehmlich auch Böse sind.

16. Ja wer wollte noch an der Allgemeinheit dieser geschehenen Erlösung zweifeln, da so gar mit klaren Worten versichert wird: Christus sey auch für die gestorben, die doch verderben. Röm. 14,15. 1 Cor. 8, 11. Er habe die erkauft, welche ihn doch verläugnen, und wirklich die Verdammniß über sich führen. 2 Petri 2, 1. Also daß sich das Geheimniß der Herwiederbringung des Verlornen eben so weit erstrecket und ausbreitet, als das Geheimniß der Bosheit und des Abfalls.

17. Daher Paulus ausdrücklich diese Vergleichung zwischen beiden anstellt. Röm. 5, 18, f. Wie durch Eines Sünde die Verdammniß über alle Menschen kommen ist: also ist auch durch Eines Gerechtigkeit die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen kommen. Denn wie durch Eines Menschen Ungehorsam, die Viele sind, als Sünder dargestellt worden. Also werden auch durch Eines Gehorsam die Viele, als Gerechte dargestellt. Sind sie nun Alle gefallen, wie Niemand läugnen mag, so sind sie auch Alle erlöst zur Wiederaufrichtung.

18. Und wie nun Jesus sich für alle Menschen und Personen dem Vater geopfert hat, also nicht weniger für alle und jede ihre Sünden, so groß und viel auch dieselben sind. Denn der Geist der Weissagung preisete schon vorher von ihm: Der Herr habe unser aller Sünden auf ihn geworfen. Jes. 53,4. Und damit solches von Sichern nicht mißbraucht würde, so wird desto ernstlicher erinnert, daß Christus sich dazu selbst für uns gegeben, auf daß er uns erlösete von aller Ungerechtigkeit, und ihm selbst ein Volk reinigte zum Eigenthum, das in keiner Sünde muthwillig stehen bliebe. Tit 2, 14.

19. Daraus ist ferner zu unser aller Demüthigung offenbar, daß Christus gestorben ist nicht für Gerechte, dergleichen keiner unter den Menschen war, oder von Natur ist, sondern für Gottlose und Sünder. Röm. 5, 8. 1 Petri 3, 18. Also daß Niemand sich in Eigenliebe und Stolz einbilden darf, als bedürfe er dieser Aussöhnung nicht, sondern möge damit spotten, in der Vernunft dawider fechten, oder im Frevel dawider sündigen, wie er beliebe.

20. O nein, es werden alle Menschen gar greulich von Gott beschrieben, daß sie Gottes Feinde von Natur seyn Röm. 5, 10. und Knechte der Sünden, Cao. 6, 20. Ja ein Jeder muß sich als einen verlornen und verdammten Menschen in geängstetem Geist erkennen, wo er will die Erlösung, Erwerbung und Gewinnung Christi genießen. Und insonderheit werden die Menschen abgemalt als Gefangene in des Teufels Stricken, 2 Tim. 2, 26. als in abscheulicher Finsternis) und Todesschatten sitzende, unter der Hand ihrer Feinde liegende, denen ein Retter zur Hülfe erscheinen müsse. Luc. 1, 71. 74. Dessen sich nur ein Jeder demüthig erinnern mag und bekennen: Dem Teufel ich gefangen lag, im Tod war ich verloren.

21. Dieß ist zur rechten Einsicht in das Lösegeld wohl zu beherzigen, daß wir uns nicht nur als bloße Schuldner ansehen, sondern auch gar als nach der Natur Gefangene und Leibeigene des Satans, wie die Schrift zeuget Röm. 6, 16-20. 2 Pet. 2, 19. Tit. 3, 3. Ebr. 2, 15. Denn solches wird uns die gnädige Erlösung desto theurer machen, wenn die Gefangenschaft, darin alle Menschen vor Gott, als einem Richter liegen, recht eingesehen wird, als der Erlöser selbst davon sagt, daß man ohne Bezahlung des letzten Hellers nicht heraus kommen könne. Matth. 5, 25. f. Luc. 12, 58.

22. Und demnach bleibt es unstreitig, daß aller Menschen Mund in diesem Zustand verstopfet wird, und alle Welt dem Gerichte Gottes schuldig und unterworfen ist, und daß aus des Gesetzes Werken kein Fleisch gerecht werden wird. Röm. 3, 19. Dieses Urtheil und Gerichte aber (so über alle Menschen ergangen ist) ist gekommen aus Einer Sünde zur Verdammniß, und also sind sie Alle vor Gott in gleicher Verdammniß, daher bedürfen sie auch Alle eines Erlösers.

23. Das jammerte nun Gott in Ewigkeit, und dachte an seine ewige Erbarmung und wesentliche Liebe, in welcher er dann seinen eingebornen Sohn gab und sendete, der sein Leben zur Erlösung oder Lösegeld für die Viele gäbe. Joh. 3, 16. Matth. 20, 28. Hierbei erging nun in dem göttlichen Gerichte das Gericht über die Welt, und der Fürst dieser Welt ward ausgestoßen, als der die Menschen gefangen hielt und verklagte, aber selbst dabei gerichtet ward. Joh. 12. 31.

24. Da stellte sich nun der Sohn der Liebe an aller Menschen Stelle, und nahm dasjenige alles über sich, was sie hätten ausstehen sollen. Denn weil der göttlichen Gerechtigkeit nothwendig ein Genügen geschehen mußte, indem die höchste Majestät durch den Abfall beleidigt war: so mußten entweder die Verbrecher selbst ewig gestraft werden, oder aber eine gültige Person anstatt ihrer büßen. Jenes wollte die Liebe nicht zulassen, so erwählte sie dann dieses, und ward also alle das inn- und äußerliche Leiden des Sohnes Gottes festgesetzt als ein Wunder der unergründlichen Treue Gottes gegen uns.

25. Zu dem Ende wurden als Vorbilder alle die Opfer im alten Bunde angestellt, da gewisse Thiere anstatt der Menschen ihr Blut und Leben lassen mußten: Zum Zeugniß, daß die allerhöchste Person selbst sich an der Menschen Stelle geben sollte. Daher kommt es, daß so gar häufig bezeugt wird, wie der Heiland für uns und Alle sich gegeben. Matth. 20, 28. 1 Tim. 2, 6. Joh. 10, 11. Wie er unsere Krankheiten und Sünde getragen. Jes. 53, 4. Joh. 1, 24. 1 Petri 2, 24. Ja, für uns zur Sünde gemacht, 2 Cor. 5, 21. und ein Fluch für uns geworden. Gal. 3, 13. Die Versöhnung für unsere Sünde sey u. s. w. Wider welche sonnenklare und häufige Zeugnisse die elende Vernunft in der That nichts Gründliches vorbringen mag.

26. Und welche auch diese himmlischen Wahrheiten in Zweifel ziehen oder bestreiten, die verrathen sich eben dadurch, daß sie noch nie wahre Buße gethan, und weder den Stand der Sünden noch der Gnade und Versöhnung an sich erkannt und erfahren haben. Denn wer darinnen geübt ist, dem wird solches alles für seine Seele theuer und werth seyn: Wer aber solches nicht hat, der kann sich solche hohe Gnade nicht einbilden, noch sie für nöthig erkennen, so lange er nicht aufs Tiefste gebeugt und zerknirscht ist.

27. Was aber aus guter Meinung dawider eingestreuet wird, sonderlich wegen des Mißbrauche, das wird unten vorkommen. Hier besehen wir nun hauptsächlich 3) die Erlösung selbst nach verschiedenen Punkten, darunter der erste ist die Nothwendigkeit derselben.

28. Dieselbe erhellt zwar schon aus jetzt beschriebenem Zustand aller gefallenen Menschen, sofern sie im Blute ihrer Verdammniß liegen, und also unstreitig einer Rettung bedürfen. Sintemal Gott sein einmal gegebenes Gesetz nicht aufheben oder schwächen konnte, und also auch die darauf gesetzte Strafe des ewigen Todes vielweniger zurück nehmen, alldieweil er in seinem Wesen gerecht und heilig ist, und also unveränderlich auch nach demselben bleibet, und in der höchsten Liebe zu sich selbst seine Gerechtigkeit und sich selbst nicht läugnen kann. Mal. 3, 6. 2 Tim. 2, 13.

29. Und ob er wohl freilich in seiner Barmherzigkeit Buße annimmt für die Sünde, so ist doch dieses nur seine gefällige Ordnung, nicht aber ein Verdienst, wodurch die Sünder der Strafe quitt würden. Denn zu diesem gehört (kraft der besagten Gerechtigkeit) eine gleichgültige und also unendliche Genugthuung und Aussöhnung, welche einem bloßen Menschen ja unmöglich ist. Daher wir die göttliche Gerechtigkeit von dieser Versöhnung so gar nicht ausschließen dürfen, daß sie vielmehr eben hierinnen am meisten mit gepriesen wird. Wie Paulus davon sagt Röm. 3, 25. Gott habe Jesum vorgestellt zu einem Gnadenstuhl, zu einer Darbietung seiner Gerechtigkeit.

30. Aus diesem Grunde können wir auch weiter verstehen, daß die göttliche Barmherzigkeit allhier die Nothwendigkeit der Versöhnung deßwegen nicht aufhebe, weil nämlich Gott dennoch gerecht bleibt. Wie er denn auch sogar seines Reichs Amtleuten oder den Obrigkeiten die Gerechtigkeit und Strafe neben der Barmherzigkeit anbefiehlt, damit diese mit jener weislich vermischt werde. Bei Privatleuten aber ist es anders, die ihre eigene Beleidigung verzeihen müssen. Vielmehr muß und will er in seinem eigenen Gericht also liebreich und gerecht sich erzeigen, wie er beiderlei von sich in der Schrift preiset.

31. Daher wenn es heißt: Wir seyn aus Gnaden selig worden. Eph. 1, 7. So ist solches ewig wahr, weil wir es ja nie verdienen. Es hebt aber solches die Versöhnung Christi nicht auf, der sie uns theuer, aber aus Liebe erworben. Ja was noch mehr ist: Eben daran preiset Gott seine Liebe gegen uns, daß Christus unter der schärfsten Gerechtigkeit Gottes für uns gestorben ist. Röm. 5, 8. So gar hebet die Gnade nicht auf die Liebe, noch diese jene, sondern sie stehen in der tiefsten Harmonie gegen einander, obschon der Unglaube es nicht stehet. Ja eben in dieser größesten Liebesgerechtigkeit und gerechten Liebe hat Gott seines eigenen Sohnes nicht verschont, sondern ihn für uns alle dahin gegeben. Röm. 8, 32.

32. Aus diesem allem ist sowohl die Nothwendigkeit solcher Versöhnung klar, als auch deren Beschaffenheit, die wir nun kürzlich sehen wollen. In der Schrift wird uns solche ausgedrückt als eine Lösung und Lösegeld, als eine Aussöhnung, Erkaufung oder Auslösung, ein Opfer, Sündopfer u. s. w. Das Wort Genugthuung und Verdienst, ist zwar in solchem Sinn nicht eben nach dem Buchstaben in der Schrift zu lesen, wie unsere Theologen bekennen. Und von dem großen Mißbrauch dieser Wörter zur Sicherheit weiß die Schrift gar nichts. Aber die Sache selbst und das Geheimniß unserer Versöhnung ist desto mehr und klarer ausgedrückt, wie dieser ganze Vortrag auch zeuget.

33. Insonderheit aber wird dieses beides immer in der Schrift bestätigt: Erstlich, daß Christus sein Leben zu einem Lösegeld gegeben habe, und fürs Andere, daß es nicht für sich, sondern für uns geschehen sey. Matth. 20, 28. 1 Tim. 2, 5. Ein Lösegeld aber heißt in der Welt insgemein ein solcher Preis, der den Richtern zur Erkaufung des Lebens gezahlt wird, welches ein Uebelthäter sonst verwirkt hatte, oder auch für andere Gefangene, wie aus den weltlichen Rechten bekannt ist.

34. Bei dieser Erlösung nun kommt für allen Dingen vor die Aussöhnung der Sünden, sowohl erblicher als wirklicher. Indem der Sohn Gottes durch sein Leiden und Sterben der göttlichen Gerechtigkeit dermaßen völlig ein Genügen gethan hat, daß diese nicht beleidigt oder aufgehoben wird, und dennoch die Sünden verziehen werden. Denn dazu ist er um unsrer Sünden willen dahin gegeben. Röm. 4, 25. Ja zur Sünde gemacht. 2 Cor. 5, 21. Damit wir in ihm haben die Erlösung durch sein Blut, nämlich Vergebung der Sünden. Coloss. 1, 14. Weil er nämlich als das Lamm Gottes der Welt Sünde trägt und wegnimmt. Joh. 1, 29. Wovon bereits oben mehr ist gemeldet worden, und unten weiter wird zu sehen seyn, wie ferne dieses ohne Mißbrauch zum Muthwillen zu verstehen.

35. Allein dieses würde nicht genug seyn, wo nicht auch die Erlösung von den Strafen der Sünden zugleich geschähe. Daher ausdrücklich bezeugt wird, daß die Strafe auf ihm (dem Messia) liege, auf daß wir Friede hätten. Jes. 53, 6. Oder wie es schön heißt: Die Züchtigung unsers Friedens ist auf ihm. Angleichen daß er bezahlet, was er nicht geraubet. Ps. 69, 5. Welches dann im neuen Bund deutlich dahin gedeutet wird, daß Christus sein Leben gegeben für Viele, Matth. 20, 28. sein Leben lasse für die Schafe, Joh. 10, 11. durch sein Blut in's Heilige eingegangen sey, und eine ewige Erlösung erfunden. Ebr. 9, 12. u. s. w.

36. Und freilich hat der theuerste Menschenfreund dazu sein rosinfarbenes Blut auf Erden vergossen, damit er die Sünde samt der Glut des göttlichen Zorns ersäufe, und also alle, die es nur in rechter Ordnung brauchen wollen, von der Pein, die sie um des Falls willen hätten leiden sollen, los werden könnten. Vor diesem Zorn sollen wir erhalten werden, nachdem wir durch sein Blut gerecht find, so viel unser glauben. Röm. 5, 9. Denn er hat uns von dem zukünftigen Zorn erlöst.

37. Weil aber aus Gottes Zorn eben der Fluch über alle Sünder herkommt, so hat er uns eben auch von dem Fluch des Gesetzes erlöst, da er ward ein Fluch für uns. Gal. 3, 13. Denn außer dem drückte das Gewissen stets der schreckliche Ausspruch des Richters: Verflucht sey Jedermann, der nicht bleibet in allem Dem, das im Gesetzbuch geschrieben stehet, daß er es thue. v. 10. 5 B. Mose 27, 26. Welche Erlösung aber diejenigen allein recht zu schätzen wissen, die solchen Fluch im Gewissen gefühlt haben.

38. Gleichwie auch solche Seelen, die vor der Hölle erschrecken, erkennen mögen die Gnade unsers Herrn Jesu Christi, daß er die erlöst hat, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte seyn müssen. Ebr. 2, 14. Diese lernen forschen, bitten und glauben, daß Jesus sie erlöse aus der Hölle, und vom Tode errette. Hos. 13, 14. Und nach gehörigem Kampf danken sie auch Gott, der ihnen den Sieg über die Hölle gegeben hat durch unsern Herrn Jesum Christum. 1 Cor. 15, 54.

39. Siehe eben hiezu hat sich der Heiland in unsere Natur eingegeben und leiden wollen, damit er den Zorn in seinem Tode möchte überwinden, und im Sieg verschlingen, und also ein neues Leben wieder an das Licht bringen zu lauter Liebe und Freude. Wer dieses noch nicht an seiner Seele gewußt, der hat hohe Zeit sich noch wohl zur Buße zu bequemen, damit er durch Glauben aus dem Zorn in die Liebe versetzt und also der Erlösung theilhaftig werde, auch durch den Erlöser über alle seine Feinde triumphieren könne.

40. Hieran aber hat die unendliche Treue des Erlösers noch nicht genug, daß er uns alle vom Bösen erlöste; sondern er hat uns auch wollen noch überdieß alles Gute erwerben und erhalten. Er ist nicht allein für uns zur Sünde gemacht, und hat diese also abgethan, sondern er hat auch dadurch erworben, daß wir in ihm die Gerechtigkeit Gottes würden, 2 Cor. 5, 21. oder seine eigene Gerechtigkeit zu eigen hätten. Er hat dazu die Sünde getragen, damit er durch seine Erkenntniß Viele gerecht machte. Jes. 53, 12.

41. Dieß ist die eine und erste Frucht seines Verdienstes, nämlich die göttliche Gerechtigkeit, die Allen bereitet ist, so darnach hungern und dürsten. Dabei bleibt es nicht, sondern es kommt auch daraus das erworbene Leben und Heil. Er hat dem Tod die Macht genommen, und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht. 2 Tim. 1,10. Denn es folgt richtig aus einander: So wir versöhnet sind durch den Tod seines Sohnes, da wir noch Feinde waren, vielmehr werden wir selig werden durch sein Leben, so wir nun versöhnet sind. Röm. 5, 10. Welches denn billig eine Rechtfertigung des Lebens heißt, weil lauter geistlich und ewig Leben für Bekehrte daraus erfolgt, das uns Christus erworben hat v. 18. und die Bahn gebrochen.

42. Alles dieses fasset sich nun zusammen in diejenige vollkommene Aussöhnung, welche der Heiland gestiftet hat. davon es klar heißet: Gott hat uns mit ihm selbst versöhnt durch Jesum Christum, und auch das Amt der Versöhnung gegeben (denen dazu gesalbten Werkzeugen). Ja, Gott war in Christo, und versöhnte die Welt mit ihm selbst, und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu. 2 Cor. 5, 18. 19. O eine süße Verkündigung für alle gnadenhungrige Seelen, die so gerne einen ausgesöhnten Gott wieder haben wollten: Davon Heuchler in ihrer eigenen Gerechtigkeit und Gottlose in ihrer Ungerechtigkeit nichts halten noch erfahren, so lange sie nicht arm am Geiste werden.

43. Hiezu wohnet eben alle Fülle in Christo, damit durch ihn alle Dinge zu ihm selbst versöhnet würden, indem er Friede machte durch das Blut seines Kreuzes. Coloss. 1, 20. Nun war Gottes Beleidigung durch die Sünde unläugbar, als der allen Uebelthätern feind ist. Ps. 5, 6. Röm. 1, 18. I Thess. 2,16. So ist auch der Mittler zwischen dem erzürnten Gott und dem beleidigten Menschen gewiß genug erschienen, nämlich Christus Jesus. 1 Tim. 2, 6. Darum hat auch die wahrhaftige Aussöhnung nicht können ausbleiben, sondern die Gnade ist wirklich wiederum zu Wege gebracht, wenn sie nur gesucht wird.

44. Diese weiß Niemand recht zu schätzen und zu brauchen, als wer die Noth der Sünden fühlt, wie eine Liebe das sey, daß uns Gott geliebet hat, und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. I Joh. 4, 10. Daher diese eben der güldene Grund alles Friedens mit Gott und aller wahren Gewissensruhe ist und bleibet, ohne und außer welcher sonst alle Menschen in einer stetigen Hölle der Verdammung und Qual leben und sich nagen müssen, wie alle Unversöhnte in ihrer Unbußfertigkeit wohl erfahren.

45. Hieraus folget, daß nunmehr, nachdem diese allgemeine Versöhnung erworben ist, nichts Nöthigeres für alle Menschen sey, als daß sie sich auch wirklich solche lassen zu Nutzen machen, damit sie Jedem insonderheit helfe. Denn was hülfe sonst alle diese Erwerbung? Wenn Paulus diese preiset, daß Gott die Welt in Christo mit ihm selbst versöhnt hat: so treibet er unmittelbar auf die besondere Kraft und Annehmung derselben: Darum bitten wir an Christi statt, (oder vor Christo,) lasset euch versöhnen mit Gott. 2 Cor. 5, 20. Welche? er nicht würde gethan haben, wo er gewußt hätte, daß die allgemeine Versöhnung ohne deren Zuneigung genug wäre.

46. Dieß zeiget auch der Erlöser selbst an, wenn er an dem Exempel des Zöllners weiset, wie ein Jeder für sich solche Aussöhnung in Buße mit großer Arbeit suchen müsse, da er sprach: Gott werde doch mit mir Sünder versöhnet! Luc. 18, 13. In dieser Ordnung und auf keine andere Weise mögen wir Christi Erlösung genießen. Denn er laßt ordentlich predigen 1) Buße und 2) Vergebung der Sünden. Luc. 24, 46. Ja er gibt sie selbst also in dieser Ordnung, nämlich 1) Buße oder Herzensänderung und 2) Vergebung. Ap. Gesch. 5, 31.

47. Und Lieber, warum wird von dem Messia versichert, daß er dem Uebertreten wehren, die Sünde zusiegeln, die Missethat versöhnen, und die ewige Gerechtigkeit bringen werde? Dan. 9, 24. Ist's nicht dazu, damit die Sünde in der That bei Jedem abgethan werde? Ist sie von Christo zugesiegelt, wer darf sie ohne Verdammung wieder hervor bringen? Ist Christus nicht darum zur Sünde gemacht, daß wir in ihm selbst Gottes Gerechtigkeit würden? Sollte man denn noch ungerecht bleiben oder wiederum werden, da man einmal meint versöhnt zu seyn?

48. Denn wie sollte ein einziger nach Christi Absicht in der Sünde beharren dürfen, da seine Erlösung dadurch nicht mächtiger, sondern vielmehr ganz unkräftig geweicht würde? Das sey ferne, sagen wir billig auch von dieser Gnade aus. Röm. 6, I. 2. Ist doch hinfüro kein Opfer mehr für die Sünde denen, die muthwillig sündigen, nachdem sie die Erkenntnis! auch dieser Wahrheit empfangen haben. Vielmehr ist für solche Frevler nichts übrig, als schrecklich Warten des Gerichts und des Feuereifers, weil sie nämlich auf eine entsetzliche Weise das Blut Christi mit Füßen treten. Ebr. 26.27.29. .

49. Gleichwohl gibt es leider fast Unzählige, die also die Gnade und Versöhnung auf Muthwillen ziehen, und Christi Verdienst zum Schanddeckel aller ihrer Bosheit machen. Die Klagen Luthers und aller Zeugen der Wahrheit sind hievon bekannt genug, davon nur etliche zu wiederholen sind.
Diese liebliche süße Predigt wird dir nicht helfen, daß du sagest, Christus ist für die Sünder gestorben, darum hoffe ich auch für mich. Ja recht, aber so du immer willst in der alten Haut bleiben, und diese Predigt nur zum Deckel brauchen, so stehet hier geschrieben: Nimm dich nur dieses Trostes nicht an, denn ob er wohl für Alle ist gestorben und auferstanden, so ist er doch dir noch nicht auferstanden. - Denn sein Sterben ist darum geschehen, daß du auch endlich mit ihm der Welt absterbest. Der Satan diktiert Vielen ein, es sei nicht nöthig, Guthes zu thun, weil Christus das Gesetz unsertwegen erfüllt, und unser Sühnopfer geworden, so sey die Buße nicht nöthig, man könne unverschämt in Sünden fortfahren.
Leider, diese Betrachtung der Erlösung ist seltsam geworden, wir haben das Wesen in Schein verwandelt, und daß es Gott erbarm! mißbrauchen des süßen Trostes. Weil wir erlöste Christen heißen, meinen wir, wir dürfen frei sündigen, und wollen nicht wissen, daß Jesus durch muthwillige Sünden aufs Neue gekreuziget, sein heiliges Opfer geschändet, und sein Blut zertreten werde. O des heutigen Christen-Greuels! Gott sey es geklagt, daß sich der größte Haufe fein kitzelt und tröstet des Verdienstes Christi, und dasselbe seinen herrschenden Sünden überschmiert.
In den alten Gemeinen ist unter andern auf dem Concilio Milevitano dieser nachdenkische Schluß gemacht worden: Die Gnade, so durch Christum gegeben wird, schenkt nicht nur Vergebung der Sünden, sondern sie schaffet auch, daß das Gesetz erfüllet wird, damit die Natur befreiet werde, und die Sünde nicht herrsche. - Will heißen: Wer da saget, daß die Gnade, darin wir durch unsern Herrn Jesum Christum gerecht werden, nur zur Vergebung der schon begangenen Sünden allein gelte, nicht aber auch hernach nothwendig sey zur Hülfe, damit sie nicht mehr begangen werden, der sey verbannet.

50. Nun ist nicht zu läugnen, sondern schmerzlich zu beklagen, daß solcher abscheuliche Mißbrauch freilich von manchen unweisen Lehrern selbst mit veranlaßt wird, indem diese (sonst den Geist-Armen und bußfertigen Sondern hochnöthige) Lehre nicht mit gebührendem Unterschied und rechter Weisheit vorgetragen, sondern ohne nöthige Bedingung der Bekehrung allen rohen sichern Sündern vorgeschüttet wird. Wodurch dann der Erlösung Christi unbeschreibliche Schmach, und unzählichen Seelen der allergrößte Schaden widerfährt, als welche sodann, wenn sie einmal sich in solchem falschen Wahnglauben festgesetzt, und die göttliche Ordnung, worin er sie seiner Erlösung will theilhaftig machen, gebrochen haben, ohne wirkliche Erlösung in der That bleiben.

51. Indessen ist doch weder in dieser noch in andern evangelischen Grundwahrheiten der rechte Gebrauch solcher Lehre wegen des Mißbrauchs oder mit samt diesem aufzuheben, wie etwa diejenigen fordern, welche Christi göttliche Herrlichkeit, und mit dieser die Kraft und Gültigkeit seiner vollkommenen Erlösung bloß aus solchen und andern vernünftlichen Schein-Ursachen bestreiten und läugnen. Ingleichen der Menschen Unglaube in diesem Punkt so wenig als in andern Gottes Glauben aufhebet, sondern es vielmehr dabei bleibet, daß Gott in seinem Sohne wahrhaftig alle Menschen aber auch sowohl im Mißbrauch als in Verwerfung dieses ewigen Grundes falsch sind.

52. Denn wofern die Erlösung Jesu Christi, in welcher er der Gerechtigkeit Genüge gethan, des Mißbrauchs wegen verworfen würde, so müßte eben sowohl auch Gottes Barmherzigkeit verworfen werden, auf welche sich die Vernunft und der Unglaube eben so stark wider göttliche Ordnung steuert und beruft. Ja, welche göttliche Wohlthat bliebe wohl unverworfen, wenn der Mißbrauch stracks den rechten Gebrauch aufheben dürfte? Bußfertigen und recht gedemüthigten Sündern, welche die scharfe Anforderung der göttlichen Gerechtigkeit erfahren, ist dieß Kleinod viel zu theuer, als daß sie solches entweder den Säuen und Hunden ohne Unterschied vorwerfen, oder auch, wo solche sich es anmaßen, deßhalb das Geheimniß selbst in Zweifel ziehen oder nur schwächen sollten.

53. Schon zu der Apostel Zeiten wurde die Lehre von der Gnade in Christo so schändlich mißbraucht, aber deßhalb ließen sie die Apostel nicht fahren, sondern sie bezeugten dagegen weislich: Wie nun? Sollen wir sündigen, dieweil wir nicht unter dem Gesetz sind, sondern unter der Gnade? das sey ferne. Röm. 6, 14, f. Und solches bekräftigen sie desto eifriger, Andern zur Nachfolge, damit sie auch, wenn sie evangelische Lehrer seyn wollen, solchen theuren Schatz weislich und ernstlich handeln mögen, wo sie nicht hernach von solchen Säuen, denen die Perlen ohne Unterschied und gebührende Bedingung vorgeworfen wären, zerrissen werden möchten.

54. Denn hierin gehet uns die Schrift deutlich vor, und zeiget uns, daß eben diese Wahrheit hauptsächlich zur Heiligung führe, ja nirgends anders hin auf Seiten Gottes ziele, als zu lauter Besserung. Und wer dieselbe auf Muthwillen ziehet, oder nur Anlaß dazu durch unweisen Vortrag gibt, der vergreift sich an Gottes Heiligkeit und Liebe selbst, und wird sein Urtheil tragen.

55. Was könnte deutlicher seyn, als wenn nicht nur insgemein bezeuget wird, daß Gottes Güte uns zur Buße leite, Röm. 2, 4. sondern auch insonderheit von dem Tode Christi für Alle, daß er dazu geschehen sey, auf daß, die da leben, hinfort nicht ihnen selbst leben, sondern dem, der für sie auferstanden ist. 2 Cor. 5, 15. Weiter, daß Christus der Sünde gestorben sey, und daß wir dafür halten sollen, wie wir auch daher der Sünde abgestorben seyn sollen, und Gott leben in Christo Jesu. Röm. 6, 10 f.

56. Und Lieber, wozu hat sich der Herr denn selbst gegeben für uns? Gewißlich dazu, daß er uns erlösete von aller Ungerechtigkeit, und reinigte ihm selbst ein Volk zum Eigenthum, das fleißig (oder eifrig) wäre zu guten Werken. Tit. 2, 14. Da also zwei Hauptnutzen der Erlösung gemeldet werden, die Abschaffung des Bösen und Aufrichtung des Guten. Ja eben dazu ist solches alles (daß er Sünde vergibt, und reiniget uns von aller Untugend) geschrieben, daß wir nicht sündigen. 1 Joh. 2, 1. Wer wollte denn diesen Zweck verkehren, und sich selbst also verdammen?

57. Vielmehr soll nun dieses aus dem ganzen Werke der Erlösung in uns die Frucht seyn, daß wir zuförderst eine völlige Zuversicht zu dem allergetreuesten Heiland in uns wirken lassen durch den heiligen Geist, und uns ihm nunmehr aus ganzer Macht anvertrauen, nachdem er sein Leben so williglich für uns gelassen hat.

58. Hiezu gehöret nun insonderheit, daß wir uns durch redlichen Glauben mit ihm verbinden, als unserm vollkommensten Erlöser, weil er das Band der Einigkeit zwischen Gott und Menschen, als der Mittler, wiederum ergänzet, das durch den Fall zerrissen war. Denn wir müssen mit ihm wiederum durch den Glauben Ein Geist werden durch Anhangen, nach 1 Cor. 6, 17. und also in ihm nur vor den Vater kommen, wo wir seiner Erlösung und Versöhnung genießen wollen.

59. Soll aber dieses seyn, so müssen wir vor allen Dingen auf ewig dem entsagen, was uns von ihm trennen kann, nämlich der Sünde. Denn wollen wir von der Obrigkeit der Finsterniß errettet seyn, so müssen wir nicht mehr in der That darin bleiben, sondern uns in ein anderes Reich und Regiment versetzen lassen. Denn er hat dazu unsere Sünde selbst geopfert an seinem Leibe auf dem Holze, auf daß wir der Sünde abgestorben der Gerechtigkeit leben. 1 Pet. 2, 24. Wovon Luther merklich redet:
Die Papisten haben gar nichts gelehrt von der Sünde, wie dieselbe an uns müsse geläutert und ausgefegt werden. - Darum lehren wir dieß fleißig, wie der alte Sauerteig der Sünden an uns müsse ausgefegt werden durch unser ganzes Leben; lehren aber nichts von der Würdigkeit unserer eigenen Kräfte und Genugthuung.- Denn wir sind aus Gnaden angenommen durch den Glauben, nicht allein zur Vergebung der Sünden, sondern daß auch dieselben an uns noch immer sollen ausgefegt werden. Die Vergebung kommt aus lauter Gnade. Nach dieser Vergebung folgt Strafe. Angst, Verfolgung, Tödtung, welche alle dahin gehören, daß die Sünde abgeschafft werde, also daß sie nicht allein vergeben und verziehen sey durch Gottes Gnade und Barmherzigkeit, sondern daß sie noch immer durch die Gabe des heiligen Geiste ausgefegt werde.

60. Betrügen sich also alle die aufs Grausamste, die zwar Christum für sich wollen haben, aber nicht in sich; die Christi Verdienst als einen Purpurmantel von Außen über ihren Schaden decken und sich zurechnen wollen, aber denselben nicht von Grund aus wollen heilen lassen. Da doch Christus nicht dazu gelitten hat, daß wir so verderbt sollten oder dürften bleiben, sondern daß wir ganz andere Menschen sollten werden. Und die Vereinigung mit ihm und seinem Geist und Sinn ist eine unausbleibliche Absicht und Frucht seiner Erlösung, so gar, daß sonst keiner sein und also sein Erlöster ist. Röm. 8, 9. f. Eph. 4, 17. Joh. 17, 23.

61. In diesem Grunde liegen dann alle andere Früchte der Erlösung, nämlich daß wir nicht allein die Schuldigkeit erkennen müssen, sondern auch die Kraft zur wahren Heiligung. Denn so faßt es Zacharias kurz zusammen Luc. 1, 74. Der heilige Bund sey dieser: daß wir 1) erlöset aus der Hand unserer Feinde, 2) ihm dieneten ohne Furcht unser Lebenlang in Heiligkeit und Gerechtigkeit, die ihm gefällig ist. Dieses ist die Summa und die rechte Probe, wohin alles, zielet. Wer sich dazu weder verbunden noch geneigt und willig findet, der hat sich keiner wirklichen Erlösung bei solchem Zustand zu getrösten.

62. Und dieses hat eine jede Seele ja genau zu Herzen zu nehmen und zu prüfen, ob sie wohl dazu Christi Verdienst wolle brauchen, daß sie der Sclaverei der Sünden und des Satans wirklich möge los kommen. Denn wie kann man sich sonst für erlöst halten oder ausgeben, wenn solche Frucht zum wenigsten nicht nach dem Anfang an uns offenbar wird? Kann auch der Heiland solche für seine Erlöste erkennen, die noch nie in der That los sind von Sünden?

63. Ja wenn man nur das Einige bedenkt, daß gleichwohl Christus uns ihm zu eigen erkauft und erworben hat, so muß man sich seiner Gnade gefangen geben, daß man nicht mehr dem Teufel oder Welt dienen darf. Denn es ist doch eben in dieser Genugthuung Christi gegründet, daß besagter maßen wir als Erlöste ihm dieneten. Ja er ist wahrlich dazu gestorben und auferstanden, daß er über Todte und Lebendige ein Herr sey. Röm. 19, 4. Soll er nun unser Herr seyn, so müssen wir seine eigene Knechte seyn, und ihm also, nicht aber seinen Feinden oder unserer Selbstliebe, anhangen. Sollen wir von der Obrigkeit der Finsterniß errettet seyn, und in sein Reich versetzet, so muß jene uns nicht mehr gefangen halten, sondern dieses uns besitzen und regieren. Coloss. 1, 13. Kurz: Wir müssen als sein Eigenthum in seinem Reich unter ihm leben, und ihm dienen in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit.
Es ist bereits nach dem Recht der Natur unter den alten Heiden ausgemacht gewesen, daß derjenige Knecht, welcher von den Feinden erkauft worden, alsobald dessen eigen seyn müsse, der ihn erkauft hat, wie auch in dem Römischen Recht zu lesen.

64. Wenn wir alle diese Absichten und Nutzen der Erlösung sein zusammen nehmen, wie es der Vater haben will, so können wir auch ihrer wirklich recht theilhaftig werden. Alsdann, so wir sie in der That zu genießen anfangen, werden alle Zweifel hinweg fallen, damit sonst die Vernunft und das eigene Wirken der Natur sich und Andere quält und irre macht. Sintemal man aus allen Zweifeln nicht eher heraus kommt, man erkenne sich denn auch bei dem besten Schein dennoch von Natur verdammt und gefangen, halte um seine Erlösung an, und lasse sich also den Sohn recht frei machen.

65. Und hierin liegt alsdann der rechte göttliche Trost wider alle Anläufe des Feindes. Denn wenn einem bekehrten Christen die Besserung schwer will werden, und er noch immer Anklagen über seine ausbrechende Verderbniß fühlen muß: so soll ihn dieses in die Erlösung Christi treiben, worin ihm die Erlassung seiner Sünden erworben ist, und zugleich die Kraft wider das Böse beigelegt. Aus dieser Fülle kann und muß er nehmen Gnade um Gnade. Ist er in Christo, so muß endlich keine Verdammung mehr in ihm Raum finden.

66. Und wenn wir in solcher Kraft der wirklichen Erlösung Christi fortgehen, so führt sie uns endlich zur vollkommenen Rettung und Befreiung von allem Uebel, sowohl der Sünde als ihren Früchten. Nach dieser kann ein Gläubiger nicht begierig genug seyn, und mit der ganzen Creatur sich sehnen, der Heiland ist noch viel begieriger sie zu schenken. Und wohl dem, der mit allem Ernst unermüdet darnach schreiet und ringet, er wird wohl erfahren, was Christus ihm hierin erworben hat, davon der Unglaube nichts genießt.
So du wünschest von Sünden erlöst zu seyn, so wünsche dir das je mehr und mehr, und wollte Gott, du könntest es wünschen, bis du darüber Thränen vergößest, und in dem Verlangen dich ängstetest bis in den Tod. Denn es ist Niemand besser bereit auf den jüngsten Tag, denn der ein Verlangen hat von Sünden frei zu seyn, sagt Luther. - Die vollkommene Erlösung oder Vollendung der erworbenen Erlösung Christi von allem Uebel wird im 81sten Capitel abgehandelt.

67. Endlich muß es doch nothwendig zu einer Herwiederbringung des Verlornen kommen, als welches der Hauptzweck des ganzen Werks ist, so der Sohn Gottes unsertwegen gethan und gelitten. Sintemal der Schöpfer kurzum seine erkaufte Creatur wiederum haben will, wie er sie zuerst gemacht hatte. Und je näher wir solchem seinem heiligen Absehen treten, und darin gehorsam werden: je angenehmer ist es ihm, und reizet ihn, uns in allem durch zu helfen. Darum soll dieser Zweck der Wiedererstattung des Verlornen stets unser Ziel seyn. Diesen Ausdruck brauchen auch die Theologen im Teutschen, als wenn Gryerius oft den neuen und wiedergebrachten Menschen nennet und beschreibet, als einen Herrlichen und vortrefflichen Menschen, und sagt: Der ganze Mensch sey durch Christum wiedergebracht. Auch setzt er hinzu: Christus sey geboren zur Besserung und Erstattung des Falls, welchen er auch gebessert und erstattet habe, daß der gefallene Mensch wiederum zurecht komme, und ein neuer Mensch werde.
Luther selbst sagt: Bekehrte und wiedergebrachte Schafe folgen ihrem Heiland.

68. Es hanget auch unsere Seligkeit hieran, daß wir nämlich als Erlöste des Herrn gen Zion kommen, oder in die Herrlichkeit eingehen können. Denn der Heiland ist eben darin, da er ist vollendet worden, eine Ursache worden der ewigen Seligkeit allen, die ihm gehorsam werden. Ebr. 5, 9. Also hanget die Erlösung mit der Herrlichkeit genau zusammen, und wer sich nicht völlig erlösen und frei machen läßt vom Bösen, der kann Gottes Reich nicht schauen.

69. Wer aber dieses hohe Werk der Erlösung läßt an sich kräftig werden, der ist seiner Seligkeit gewiß. Und wer in solcher Ordnung Gottes stehet, darin ihn der Heiland will als seinen Erkauften darstellen, der gehet ein in seine ihm bestimmte vollkommene Freiheit, und wird das Lamm, das ihn erkauft hat mit seinem Blut, vor dessen Thron ewig anbeten und preisen mit allen, die demselben nachfolgen.

Gebet.

O allertheuerster Erlöser und Retter deiner verlornen Seelen, dir gebühret Preis, Ruhm und Lob, daß du uns aus den grausamsten Ketten der Finsterniß und Verdammniß erkauft und so mächtig erobert hast, und zwar mit deinem allerkostbarsten Leben und Blut, dadurch du erwiesen hast, wie theuer wir auch noch nach dem Fall in deinen Augen wären. Ach wie abscheulich wäre der Undank, wenn mir solche unermeßliche Gnade wollten entweder in Zweifel oder auf Muthwillen ziehen! Darum thue noch diese Barmherzigkeit hinzu, und mache uns doch deine vollkommene Erlösung so lebendig, so kostbar, so ehrwürdig und unentbehrlich, daß wir sie nimmermehr vergessen, derselben allezeit gemäß und würdig leben, uns täglich dadurch vom übrigen Verderben befreien lassen, und also nach der vollkommenen Erlösung Tag und Nacht mit der Creatur schreien. Absonderlich wirke in Kraft derselben bei allen Menschen wahre Herzensbuße, und bewahre sie, daß Niemand dabei in Sünden beharre, und also deine unschätzbare Gnade von sich stoße. Dagegen laß doch die Kraft deiner Leiden alle Seelen vor dir beugen, unter den Gehorsam des Glaubens gefangen nehmen, und also in deine Ordnung bringen, worin du so gerne allen geholfen willst wissen. Denen aber, die solche Gnade erkennen, thue immer mehr Barmherzigkeit zur Rettung aus allen übrigen Banden, mache ihr Herz und Mund voll deines Lobes, daß wir dir dienen ohne Furcht, und dir zu Liebe und Ehren leben in kindlichem Gehorsam, um aller deiner an uns gewandten Arbeit und Leiden willen. Amen.

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