Arnold, Gottfried - Erste Betrachtung von der verborgenen Kraft der Leiden JESU.

Arnold, Gottfried - Erste Betrachtung von der verborgenen Kraft der Leiden JESU.

Im Namen JESU, des Gecreutzigten, amen!

Phil. 3,10.
Zu erkennen Ihn und die Gemeinschaft seiner Leiden.

1. Wer da Christum recht lebendig erkennen will, der muß mit Paulo alles andere so weit vergessen und hintan setzen, oder gegen diesen Schatz gering achten. Wer diß thut, der erkennet ihn nicht nur, sondern gewinnet ihn auch wirklich, oder hat Ihn in sich, und wird in Ihm erfunden, wer das erlangt, der bekommt auch wahre Gemeinschaft mit Ihm.

2. Also folget auf die wahre verleugnung unserer selbst erst wahre Erkenntniß Christi, auf seine Erkenntniß die wahre Vereinigung, auf die Vereinigung wahrhaftige Gemeinschaft. Gemeinschaft aber machet uns die Gnade Christi gemein, und hingegen wird unser elend sein eigen. Was kan seligers sein?

3. Wie nun also einem Gläubigen alles in Christus aufgeschlossen und mitgetheilet wird, also insonderheit sein Leiden. Diese kan niemand gründlich einsehen oder geniessen, ohne die wirkliche Gemeinschaft mit Ihm. Darum verlangte und runge Paulus darnach: Zu erkennen Ihn und die Gemeinschaft seiner Leiden.

4. Diese Gemeinschaft aber mit Christi Leiden ist zweierlei. Einmal muß ein sünder, der an seinem zustand und leben verzagt, in wahrer hezensbusse ringen nach der Gemeinschaft mit Christi Tod und Blut, zu seiner Aussöhnung und Erlösung. Da muß durch den Glauben, den Gott wirkt, alle Sünde auf Christum geworfen und in sein Leiden versenkt, hingegen alle Gerechtigkeit und Versöhnung aus ihm genommen, oder vielmehr durch den Geist des Glaubens erobert, erkämpft und ihm eigen werden.

5. Ob diß recht nach Christi Sinn und Ordnung zugehe, kan man daraus erkennen: wenn ein solcher mensch auch mit Christo wahre Gemeinschaft suche und habe zu der Heiligung und wirklichen Besserung. Ist dieses nicht da, so ist auch die Rechtfertigung falsch und ohne frucht. Lassen wir aber Christi Leiden in uns auch die sünde in der that tödten und Gerechtigkeit wirken, so haben wir Gemeinschaft mit Ihm, und sein Blut reiniget uns von allen sünden.

6. Diß ist kein gedichte, sondern Pauli eigener ausdruck, da er die Gemeinschaft der Leiden Jesu darin setzet, daß er seinem Tode ähnlich werde, das ist, daß er der sünde absterbe, mit Christo der welt gecreutziget werde und also (als Christus am creutz) schwach, leiden, noht und angst in seiner masse getrost durchgehe, bis der leib der sünden völlig aufhöre, und so täglich sterbe in allem bösen, daß er endlich ganz gerechtfertiget sei von der sünde.

7. Hierin bestehet die wahre Gemeinschaft mit Christi Leiden, daß durch die Kraft derselben wir an kein heilig creutz gezwogen, uns selbst entsagen und allem eigenem leben. Gleichwie er sein Leben nicht liebte oder hegte bis in den tog; so sollen wir auch ein solch verworfen Bild zu tragen und zu praesentiren uns nicht entziehen, als er in der argen welt getragen hat um unsert willen.

8. Siehe! so beginnet man allmählig in die geheime Kraft der Leiden Christi zu treten, wenn man ernstlich in tiefer zerknirschung seine Versöhnung allein in seinen Wunden sucht, hernach auch in seine fußstapfen trit, sein Creutz täglich auf sich nimt, und Ihm also treulich durch schmach und noht nachgehet bis in die Herrlichkeit.
’’(Lutherus sagt hiervon To. II. Jen. lat. f. 241 a.b In dieser gestalt werden wir Christo auch im fleisch ähnlich, das ist, wir leiden von aussen ein gleiches, und das ist eine heilsame ähnlichkeit, davon Paulus sagt: Wir haben des Leidens Christi viel. Sie wird auch nur im geist erkant, das ist, mit Liebe in uns gebildet. Denn niemand leidet gleiches mit Christo, er werde denn vom Geist unterrichtet; da man sonst ohne den Geist viel von Ihm reden, wirken und leiden kan, aber das Christo nicht ähnlich ist. Welches so wohl Lehrer als Zuhörer zu merken haben.)’’

9. Wer nun eins von beiden nicht beliebt, sondern für unnöthig achtet, der gewinnet beide nicht. Will jemand Christi Verdienstes theilhaftig werden, und brauchts nicht zur Heiligung und Besserung, sondern zum deckel seiner sünden, dem wird Christus nichts nütze. Meinte jemand nur durch Ihn fromm zu werden, nicht aber erst ausgesöhnt und gerecht, so risse er den grund um; was könte Christi Leiden an ihm ausrichten?

10. So gar muß die Kraft der Leiden Christi unzertrennt beisammen sein zu unserer völligen Herwiederbringung. Denn dazu hat der ganze Christus gelitten, damit wir ihn ganz geniessen sollen und können, wie er uns von Gott gemacht ist, nicht nur zur Gerechtigkeit, sondern auch zur Heiligung, zur Erleuchtung und Erlösung, 1. Cor. 1,30.

11. Diese Kraft aber der Leiden Christi ist sehr tief verborgen, und nur denen offenbar und nahe, die sie beständig suchen, und nach solchem höchsten Schatz tief graben. Denn wir dörfen nicht an der schlae der äussern historie allein kleben bleiben, und meinen, das sei genug zur Paßion, wenn wir ein paar sitten-lehren heraus ziehen, wie aus einer andern geschichte der menschen. Damit erreicht man noch lange nicht das, was darunter verborgen liegt.

12. Sondern wir müssen nicht ruhen, bis uns das rechte Geheimniß und der tiefe Sinn Gottes, den er unter allen äusserlichen gehabt, aufgeschlossen werde, so fern und so viel uns zur seligkeit noht ist. Denn es wird doch wohl noch unzehliches verborgen bleiben von den tiefen und abgründen der Göttlichen Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe, die in Christi Leiden vergraben liegen, als ein verborgener köstlicher Schatz in einem so unansehnlichen Acker.

13. Es sind aber zwo Haupt-handlungen sonderlich in der Paßion vorgegangen, nemlich Christi Bereitung zum Tode, und denn der Tod selber. Denn ob schon kein schritt noch tritt in dem ganzen Leiden JESU ohne Geheimniß gewesen, ja nichts dabei gethan, geredt oder gedacht worden ist, das nicht seine tiefen der Göttlichen Weisheit hinder sich habe; so wollen wir doch jetzt nur diese 2 Hauptpuncte betrachten.

14. Unter Christi Gefangen-nehmung, überlieferung und verdammung ist verborgen unsere Losmachung, als ein Geheimniß unserer Herwiederbringung. Die äussere Geschichte davon kan man bei Taulero in der herrlichen Betrachtung der Paßion und andern sehr theuer erläutert finden. Wir wissen, daß der theuerste Emmanuel von seinen feinden umgeben, gefangen, gebunden, in die stadt bei nacht geschleppt, vortgestossen und hingerissen, auch dem ärgsten feind Hannas, danach Caiphä, der der urheber dieser sache war, Joh. 11,53, weiter Pilato und Herodi, als der ärgste bösewicht vorgestellet, und also endlich zum tod verurtheilet und bereitet worden.

15. Wozu anders ist alles dieses geschehen, lieber mench! als zu unserer Losmachung? Diese ist als eine verborgene Kraft unter Christi überlieferung verborgen. Lasset uns sie nur recht göttlich verstehen, damit niemand sie zu seiner fleischlichen sicherheit und verdammniß etwa mißbrauche oder unrecht deute.

16. Es ist ewig wahr, daß Christus dazu ist gefangen und übergeben worden, damit er alle menschen möchte wieder los machen. Aber es ist nicht weniger wahr und leider! allzugemein, daß in der that nicht alle los werden, oder sich los machen lassen. Darum müssen wir solche Erlösung ja wohl einsehen und anwenden.

17. Christus ward von so grausamen schaaren der feinde umringet und hingeführet, uns von den höllischen schaaren der feinde zu befreien. Wer sind diese? Gewißlich, werden einem sünder in der busse die augen geöffnet; so erblicket er ganze schaaren der geistlichen feinde um und in sich, die ihn umringen und gefangen halten. Das sind die feinde und hasser, davon wir los werden müssen, oder wir können nicht zu Got kommen. Luc. 1,71

18. Das gefährlichste hiebei ist, daß sie so unmittelbar in und bei gefallenen menschen sind und wirken, nachdem der feind einmal die ganze vestung, das herz, durch den fall eingenommen, und besessen hat. Diese locken, ziehen, binden, fesseln, bestricken und verführen durch ihre falsche Kräfte leib und gemüht nach ihrem höllischen willen zum verderben zu.

19. Da ist der grund und haupt-feind das angeborne arge, so sich in alles mit einmischen will durch die angeborne eigen-liebe, eigen-ehre, eigen-gesuch, eigen-wollen und dergleichen: welches als das gift der alten schlange auch das beste zu verderben suchet. Denn die erbsünde stehet gleichsam um den menschen herum, und will ihn träge machen, als eine armee, die eine vestung belagert und einschließt. Ebr. 12,1

20. Nun wer will doch uns elende menschen erlösen von dem leibe dieses sünden-todes? Wer ist so stark, daß er von selbsten könte des argen los werden ohne einen allmächtigen Erlöser? Da kommt nun Gottes Sohn selbst, tritt ins mittel, läßt sich freiwillig binden, und als ein schaf zur schlachtbank führen, damit wir frei werden möchten von solchem grausamen fänger, der sünde.

21. Er opfert und tilget unsere sünde selbst an seinem Leibe auf dem holz, nicht dazu, daß wir sclaven der sünden bleiben sollen, so9ndern auf daß wir 1) der sünde abgestorben, 2) der Gerechtigkeit leben, weil wir durch seine Wunden (als bekehrte) nun heil worden sind. 1. Petr. 2,24

22. Diß ist die Kraft, so unter Christi Gefängniß verborgen gelegen, nemlich, daß uns der Sohn recht frei machte von sünden. Joh. 8,36. Will jemand noch in der sünde beharren, der trit in der that Christum mit füssen, achtet sein Blut unrein, und schmähet den Geist der Gnaden, der da zeuget, daß wir von sünden los sein sollen. Sollte das uns denn nicht höchst angenehm sein?

23. Ach! aber niemand kan diese allertheuerste Gnade der Erlösung recht schätzen, als wem erstlich die sünder zu einem unerträglichen kerker worden ist, daß er nach einer befreiung seufzet. Der weiß, was für Kraft darzu gehöre, eine einige sünde los zu werden. Und diese steckt in Christi Leiden. Nim sie da heraus, und brauche sie zu deiner ewigen Freiheit, als ein erkaufter von der sünde.

24. Aus der sünde kommen die grausamen bande, ketten und fessel der innern verdammungen und anklagen nach der kraft des Gesetzes, unter dessen fluch und steten drohungen ein unbekehrter sclave der sünden steht, und sie doch nicht eher recht fühlet und bejammert, bis er aus seiner trunkenheit aufwacht.

25. Wer will diese gefangenschaft aufheben? Es gehört gewiß eine unendliche Kraft dazu, die hölle zu zerstören, den zorn Gottes zu brechen, und Gnade, Gewissens-Ruhe, Trost und Seligkeit zu schenken. Niemand kan solche grosse Veränderung ihm selbst machen. Darum hat es Christus auf sich genommen und alles gelitten; ob wir uns durch seine bande und stricke wollen gutwillig frei machen lassen von der kraft des anklagenden und verdammenden Gesetzes. Denn er ward ein fluch für uns, auf daß er uns erlösete von dem fluch des Gesetzes. Gal. 3,13

26. Was das für eine Kraft und Gnade des Leidens Jesu sei, wird niemand leichtlich glauben oder schätze, als wer die kraft eines bösen nagenden gewissens erfahren hat, oder auch wer die macht der forderungen des Göttlichen Gesetzes im gemühte merket, welch eine noht das sei, die strenge und den ernst des Gesetzes in sich zu merken, und ihm doch aus eigenen kräften bei allem guten vorsatz nicht genug thun können.

27. Mit diesem feind vereinigt sich der zorn samt allen gedroheten strafen und rachen der Göttlichen Gerechtigkeit, der eine arme gefangene seele schrecket und naget, und doch weder kraft noch lust gibt, oder erzwingen mag, der sünde und ihrer bittern früchte los zu werden.

28. Wnn dann der mensch unter solchen feindlichen kräften, wie unter schwehren lasten, gepresset liegt, und doch weder genug thun, noch auch die strafen und urtheile aushalten kan, also, daß man darunter verzagen und verderben müßte; da wird Christi Leiden erst süsse und aufgeschlossen, daß man erfährt, was man an Christo für einen Erlöser hat. 1. Theß. 1,10.

29. Ob nun wohl eine erkaufte seele so denn in ihrer Bekehrung einen weiten raum in Göttlicher Gnade und Errettung durch Christi Tod vor sich findet; so ist sie doch noch lange nicht von allen ihren feinden los, sondern da setzen ihr erst die argen geister der bosheit, davon die luft voll ist, recht gewaltig zu, und wollen ihr den Weg zum Leben verlegen und verwehren.

30. Ach! wer könte diesen starken binden und zwingen, wo nicht ein Stärkerer über ihn käme, und ihn überwunden hätte durch sein eigen Blut? Christus allein hat dem die macht genommen, der des todes gewalt hatte, das ist, dem teufel. Ebr. 2,14. Wodurch anders, als durch die Kraft seiner Leiden, dadurch er uns erlösete, die wir sonst aus furcht des todes im ganzen leben knechte sein mußten. V. 15.

31. O der vergorgenen Kraft seines Leidens, da er seine gewalt so heimlich führete, und in armer gestalt den teufel fienge! Wie er denn auch noch immer nicht anders in den Seinigen überwindet, als durch leiden, meiden, enthalten, sterben und verleugnung unserer selbst.

32. Aber da findet sich noch eine schaar der feinde um uns, nemlich die welt mit ihrer list und macht, welche uns mit lust oder furcht gefangen zu halten trachtet. Dawieder hat uns der Herr nicht nur Kraft erworben zum Sieg, indem er da öffentlich von aller welt abgesondert am Creutze hieng, und allen dingen erstarb; sondern auch indem er ein vollkommen exempel gab, wie wir im Glauben die welt überwinden sollen. Also hat er uns auch errettet von dieser gegenwärtigen argen Welt. Gal., 1,4

33. Nun sehet alle diese grausame machten und feindseligkeiten leget unser leidender Heiland durch eine verborgene Kraft darnieder. Unter seiner äussersten Schwachheit ist lauter unendliche Kraft, unter des Creutzes Thorheit alle himmlische Weisheit verborgen, zu unserer vollkommenen ewigen Erlösung, wenn wirs nur gläuben wollen.

34. Insonderheit aber ist unter dem Sterben Jesu eitel Leben für Gläubige aufgehoben. Sein Tod schiene der vernunft und den sinnen der allerschmählichste und elendeste. Er starb als der elendeste knecht, ja als der äärgste sünder äusserlich, und innerlich schiene er dabei von Gott verlassen. Aber unter dieser Todes-gestalt wurde denen, die es suchen, lauter ewiges Leben zubereitet.

35. Denn erstlich ist unter Christi Tod verborgen das Leben und die Gabe der wahren Gerechtigkeit, daß die in sünden todte menschen wahrhaftig wiederum zu einem neuen Leben können erwecket werden, wo sie es nicht selbst versäumen. Denn er hat dem tod der innern verdammung die macht genommen, daß der andere tod keine macht über solche haben solle, die an der ersten Auferstehung theil haben. 2. Tim. 1,10. Offenb. 20,6

36. So denn hat er an statt des geistlichen todes das verlorne Leben Gottes unsern seelen wieder erworben. Denn wie der geistliche tod in der scheidung und verstossung von Gott und seiner Gnade bestehet: Also bestehet das Leben der seelen in der Vereinigung mit Gott. Einer armen seele ist auch sonst nirgends wohl, als wenn sie mit Gott wieder Eins und verbunden sein kann.

37. Nun wird ausdrücklich bezeuget: daß Christus gestorben sei für das volk! und zwar dazu, daß er die zerstreueten Kinder Gottes zusammen brächte. Joh. 11,52. Die zerstreuung ist die frucht des abfalls, nemlich die trennung von Gott und allen seinen Freunden, da lauter wiedrigkeit, neid und zwank, grimm, lästerung, bosheit und list durch den feind in und unter den menschen entstanden ist.

38. Dieses elend kan nicht gehoben werden, als durch Christi Leiden und seine verborgene Kraft. Wer sich darein giebet, der kommt in Busse und Glauben aus solcher zerrüttung nach und nach heraus, und lernet durch den Geist Christi sich in das Einige Nohtwendige sammlen u. wenden. Luc. 10,42.

39. Dieses ist nichts anders, als die Einigkeit und Harmonie mit Gott in Christo, als das beste Theil, das von Maria und jeder aufrichtigen seele nicht soll genommen werden. Darein müssen wir uns durch Christi Leiden so kräftig ziehen lassen, daß wir aller unnöhtigen zerstreuungen uns enthalten, in Göttliche Ordnung treten, und also uns in das Eine, nemlich Gottes Liebe, versenken, da unsere arme seele wieder Ruhe findet.

40. Also ziehet uns die Kraft der Leiden Jesu erstlich in die Gemeinschaft und Einigkeit mit dem ewigen einigen Gut, Gott selbst, hernach auch in Christliche Liebe, Treue, Aufrichtigkeit und Wahrheit gegen alle wahre Glieder Christi. Denn wie es des satans kraft ist, zerstreuen, zerrütten und zertheilen durch zorn, zank und bosheit, argwohn, mißtrauen und dergleichen: Also ist es Christi eigene Kraft und eine Frucht seiner Leiden, uns mit Gott, Engeln und Gläubigen wieder in Eins zu bringen, daß wir ewig mit und in Ihm leben sollen.

41. Hierinnen stehet das wahr Leben auserwehlter und von der erden erkaufter Seelen, und wer das nicht im vorschmack oder nach dem grunde in sich hat, der ist lebendig todt. Denn ausser Gott und seinen Heiligen ist kein wahres Leben, sondern eitel pein und tod, wo es auch am scheinbarsten glänzete.

42. So darf uns denn nicht wunder nehmen, daß von dieser hohen Kraft der Leiden Christi so grosse Dinge gepriesen werden: wie er nicht nur mit Gott Frieden gemacht, sondern auch unter den menschen die schiedewand aufgehoben, und alles unter einander versöhnet im himmel und auf erden. Wie könnte die Kraft des Leidens Christi herrlicher sich ausbreiten und darthun?

43. Denn also stehet ausführlich Eph, 2,13 u.f. wenn Paulus an bekehrte Christen schreibet: Nun seid ihr in Christo Jesu, die ihr weiland ferne waret, nahe worden durch das Blut Christi. Denn er ist unser Friede, der aus beiden Eins hat gemacht, und die schiedewand des zauns zerbrochen, nemlich die feindschaft in seinem fleisch, indem er das Gesetz, so in geboten gestellet war, abgethan, auf daß er die zwei in ihm selbst zu einem einigen neuen Menschen schaffete, und Frieden machte, und beide versöhnete in einem Leibe mit Gott durch das Creutz, indem er die feindschaft ertödtet hat in sich selbst, und ist kommen, und hat verkündiget im Evangelio den Frieden euch, die ihr ferne waret, und denen, die nahe waren.

44. Nun also ist es ja gewiß genug, daß Christus sein Leiden in allen stücken, die zu unserer Herwiederbringung noht waren, aufs herrlichste beweise. Und wer daran zweifelt, der erkenne doch, daß ers noch nie zu erfahren gesuchet, noch darnach gerungen hat.

45. Denn daran liegts, wenn so viele dieser Kraft gar nicht gewahr noch froh werden, weil sie nemlich sich und ihren willen derselben entziehen, durchaus in ihrer unordnung bleiben wollen, und der höchsten Seligkeit ein wenig lust oder vortheil vorziehen. Daher kommts, daß es hernach betrüblich genug heissen muß: Gott in Christo sei zwar ein Heiland aller menschen, sonderlich aber der Gläubigen. 1. Tim. 4,10.

46. Nemlich wie ein herr, der alle gefangene los gekauft hat, nichts dafür kan, daß einige gern in ketten und gefängniß sitzen bleiben; daher in der that nur die los kommen, die da in der ordnung folgen: also äussert sich die Kraft des Leidens Jesu nur wirklich an und in den gehorsam-gläubigen seelen, ob sie schon allen bereitet war.

47. Denn Er ist dazu für alle gestorben, daß, die da leben, hinvort nicht ihnen selbst lebeten, sondern Ihm, der für sie gestorben ist, 2. Cor. 5,15. Also muß der Christus, der für uns gestorben ist, auch in uns die Kraft seines Sterbens erweisen und zu gute machen.

48. Und diß soll unser Eins und Alles sein, daß Christi Leiden immerdar alle unser bewegen durchdringe, und das alte sündliche und unordentliche falsche ertödte, verdamme, vernichte, und also diese Kraft uns stets einnehme, taufe, stärke, erhalte, und ins Einige Nohtwendige hinein ziehe.

49. So wird uns an reicher Gnade und Besiegung alles argen, und zum Wachsthum an Ihm, dem leidenden Haupt, nicht mangeln. Denn auch im größten leiden wird seine Gemeinschaft uns verborgentlich unterhalten und ausrüsten, daß wir Kraft seines Todes in sein Leben immer eindringen können.

50. Allein beständig und unverdrossen will diß Kleinod der Leidens-Kraft Christi gesuchet sein. Die noht solte uns zwar ohne dem dazu treiben, daß wir uns bei so tausendfachen feindseligkeiten aller wiedrigen kräfte und creaturen ohne unterlaß in die Wunden unsers Heilandes übergeben möchten. Weil aber das natürliche herz so träge oder auch sicher zu sein pfleget, so müssen wir uns 1)seinen Geist alle tage recht mächtig dazu aufwecken lassen.

51. Geben wir fleißig auf diese verklärende Kraft Jesu achtung in unsern herzen, so wird er sein Leiden immer uns anpreisen und zu verklären suchen. Er wird uns mit grosser treue in die eröffnete Seite suchen zu ziehen, und unserm Geist den ganzen leidenden Jesum lebendig vorstellen, mit aller seiner Erlösung und Heiligung.

52. Da wird dir, o seele! sein vergossenes Blut erst recht kostbar und hoch werden, daß du seiner zum Heil geniessen kanst. Es werden die reichen Ströme seiner ausgegossenen Liebe in dieser Rubin-Fluht sich deinem durstigen herzen eröffnen, so oft und wie dich verlanget.

53. Seine geöffnete Seite wird deinem Glauben Wasser des Lebens umsonst einschenken, dich zu erquicken, zu durchsüssen, erweichen, sänftigen, stillen, erneuren und heiligen. Und sein Fleisch, das er dahin gegeben für die sünde der welt, am Creutz in heisser Liebe gebraten, soll alle die, so darnach hungern, wachsend machen am innern Menschen, auch unter allen mangel und prüfungen erhalten, und in Christi sinn bewahren.

54. Summa: Keine noht wird so groß sein, es ist raht dawieder in Christi Leiden. Sein Creutz ist allein die Sieges-fahne, die wir über alle feinde schwingen und also kämpfend siegen können; so wir nur wollen mit Ihm leiden, und so wohl tod als leben, so wohl dulden als herrschen mit Ihm gemein haben.

55. Nur gehöret dazu, daß wir uns unverrückt daran halten, und wenn wir im geringsten davon abkommen, alsbald uns von neuen darein senken, uns selber mit allem irdischen und sinnlichen hassen und verlassen, und mit allem willen am creutz hangen bleiben, dem Vater also ein ewig Opfer werden, und so im sterben mit Jesu unser rechtes Leben inwendig erobern und behalten.

Gebet

Allergetreuester Immanuel, du holdseligstes Gottes-Lamm, unser einiger Mittler und Fürsprecher! bitte doch deinen himmlischen Vater für uns um ein recht zerknirscht herz und bußfertig Leben. Denn unsere natur ist ganz hart und unempfindlich, deines Leidens Kraft und Saft in sich zu nehmen. Du aber muß uns dasselbe empfindlich und kräftig machen, wo es an uns frucht bringen soll. Drum so schleuß auf, was durch den fall in uns verschlossen ist. Zerbrich den harten nacken des eigenen willens, schlage nieder die höhen der vernunft und ihrer tücken, die sie wieder deine niedrigkeit ausübet. Zertrit der schlangen den kopf auch in einem jeden unter uns, und durchdringe die arme seele aufs kräftigste mit deinem heiligen Leiden, daß wir da hinein gezogen werden, uns selbst absterben, und nunmehr aus deinen Wunden alle Kraft zum neuen Wesen des Geistes nehmen. Siehe doch, liebster Schatz! Wir sind ja ganz todt, erstarret und untüchtig, etwas davon in wahrem ernst zu begehren, geschweige zu geniessen, wo du nicht uns deinen Tod von neuen in jedes herzen und sinn lebendig machest und eindruckest. Wir vergessen alles augenblicklich wieder über äusserlichen dingen, und gehen dahin, als wäre kein Sohn Gottes so schmerzlich für uns gestorben. Das ist ja jammer und herzeleides genug! Ach! rette uns doch aus dieser hölle, und zerstöre sie durch deine höllen-angst und marter. Greiff uns recht an, wo du uns fassen kanst, und zeuch uns in dein sterben, halte uns auch so vest an und in dir, daß wir nicht können noch wollen wieder hinaus gehen, sondern in die Kraft deiner Schmerzen so eingetaucht und davon durch und durch eingenommen werden, damit kein wohllust, noch ehre, noch eigen-nutz uns mehr gefalle, sondern alles eckel und koht werde gegen dich und deine Liebe. Ach! so erwecke deine süsse Liebe im herzens-grund, und durchsüsse uns damit des Creutzes bitterkeit. Halte das fleisch unverrückt unter deinem joch. Laß diesen mörder nicht wieder los, bis er alle sein leben aufgegeben habe. Denn wir wollen uns nach nichts mehr in der welt sehnen noch umsehen, als nur nach deinen Wunden, Nägel-maalen und offener Seite, die du aus Liebe empfangen hast. Diese Pfänder deiner Treue mache uns augenblicklich neu, und beschäme uns damit, wenn wir wolten untreu werden. So bleibe uns nun stets vor Augen gemahlet, ja ins herze eingedruckt und eingeboren mit deinem Creutz, und laß uns damit ins Vaterland ziehen, daß seine Kraft auch in der höchsten noht uns alles werde, Amen!


Quelle: Arnold, Gottfried - Zwo Lehr- und Trost-reiche Passionsbetrachtungen

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