Arndt, Friedrich - Der Sündenfall - Fünfte Predigt. Die böse Lust und Tat.

Arndt, Friedrich - Der Sündenfall - Fünfte Predigt. Die böse Lust und Tat.

Herr, öffne mir die Tiefe meiner Sünden,
Lass mich auch seh'n die Tiefe Deiner Gnad,
Und lass mich keine Ruhe suchen oder finden,
Als nur bei Dir, der solche für mich hat,
Der Du gerufen: Ich will euch erquicken,
Wenn euch die Sünd und ihre Lasten drücken.

Amen.

Text: 1 Mose III., V. 6.
Und das Weib schaute an, dass von dem Baum gut zu essen wäre, und lieblich anzusehen, dass es ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte; und nahm von der Frucht und aß, und gab ihrem Mann auch davon, und er aß.

Wenn Jakobus schreibt: „Ein Jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird; danach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert sie den Tod“, so haben wir in der Geschichte des Sündenfalls, insbesondere in unseren heutigen Textesworten, dazu die erste praktische Auslegung. Der Abfall Evas von Gott war bereits innerlich geschehen, als die Schlange ihr versprochen hatte: „Ihr werdet mitnichten des Todes sterben, sondern Gott weiß, dass, welches Tages ihr davon esst, so werden eure Augen aufgetan, ihr werdet sein wie Gott und wissen was gut und böse ist“. Da war in ihrem Herzen der Unglaube an Gottes Wort und der Hochmut erwacht. Aber der äußere, tatsächliche Abfall und offenbare Ungehorsam kam erst zu Stande, nachdem die böse Lust, von den verbotenen Früchten des Baumes der Erkenntnis zu essen, in ihr Macht bekommen hatte. Diese böse Lust war für sie der Übergang von innen nach außen, der eigentliche Satansweg für ihr gefallenes Herz zum satanischen Ziel. Wie damals bei der ersten Sünde, so gehts noch immer zu bei jeder neuen Sünde: „Wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde“. Unsere heutige Andacht hat es demnach mit der bösen Lust in unserem Herzen zu tun, und zwar

  1. mit ihrer Entstehung,
  2. mit ihrer Wirkung.

I. Die Entstehung der Lust

Sobald in uns eine brennende Begierde nach etwas Verbotenem erwacht, so ist jedesmal schon Unglaube und Stolz vorhergegangen, Gottes Gebot und Gottes Bewusstsein sind für uns in den Hintergrund getreten, und es hat das Vertrauen auf eigene Klugheit und Kraft, sowie das Verlangen nach Selbstständigkeit, Freiheit, Gottgleichheit und eigener Willensbestimmung bei uns überhand genommen. Nicht durch die Gegenstände an sich, auf welche sich die Begierde richtet, wird die Lust geweckt und geboren; nicht durch das bloße Geld wird der Mensch geizig, noch durch den Beifall der Menge stolz, noch durch die Schönheit eitel, oder durch das Vergnügen genusssüchtig; wäre das, so müssten alle Menschen geizig, stolz, eitel, genusssüchtig sein; alle jene Dinge sind an sich gleichgültig und werden erst gefährlich und versuchungsvoll durch die Art und Weise, wie wir uns zu ihnen stellen. Auch der bloße Wille, etwas Verbotenes zu tun, erzeugt nicht die Lust nach demselben; im Gegenteil wirkt die Lust auf den Willen und bestimmt ihn, ihren Wünschen und Entschlüssen gemäß zu handeln; hat der Mensch aber seinen Willen in die Dienstbarkeit der Lust gestellt und die nachteiligen Folgen dieser Abhängigkeit erfahren, so endet er zuletzt mit dem Geständnis: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht, aber das Böse, das ich nicht will, das tue ich; so ich aber tue, das ich nicht will, so tue ich dasselbige nicht, sondern die Sünde, die in mir wohnt“. Dass die Lust nach dem Verbotenen in uns erwacht, ist wieder das dunkle, geheimnisvolle Werk Satans, wie es sein Werk war, dass der Zweifel, der Unglaube und Hochmut entstand in der menschlichen Brust.

Das Mittel, dessen er sich dabei bediente, und wodurch er sie weckte, war das Auge: „Und das Weib schaute an“; ihre Augen waren die Fenster, durch welche die Sünde in ihr Herz hineinstieg, waren die Lockvögel und Heerführer ihrer Übertretungen. In der Regel bemitleiden wir die Blinden; und in der Tat, ist unser Auge erloschen, so sind auch die Werke des Herrn für uns erloschen und wir sehen sie nicht mehr, weder die Sonne, noch das strahlende Heer des Himmels, noch der Erdengüter Fülle, glänzende Blüten und goldene Frucht; sehen und lesen auch nicht mehr die Wunder an seinem Gesetz in der heiligen Schrift, welche des ewigen Lebens voll ist; unzählige Quellen des Glaubenslichte sind für uns versiegt, und die Gefahr liegt nahe, dass auch unser Herz und Gemüt mit dem leiblichen Auge erblinde und sich verdunkle. Ein blinder Mann, ein armer Mann. Aber andererseits sehen wir auch die Versuchungen zur Sünde nicht, die schleichenden Schlangen und die verbotenen Bäume, welche die Sehenden überall umringen, und bleiben vor tausend Sünden bewahrt; blinde Menschen sind daher meist heiter, kindlich, unbefangen, und voll Vertrauen zu anderen Menschen. Wodurch werden denn die unmündigen Kinder so oft zur Naschhaftigkeit und Lügenhaftigkeit verführt, wodurch gehen Jünglinge und Jungfrauen so oft in den Armen der Unzucht und Unreinigkeit unter, und kommen Männer und Frauen zu Betrügereien und Diebstählen? Lediglich durch ihre Augen! Wäre Simson blind gewesen, er wäre nicht von Delila getäuscht und den Philistern überantwortet worden; wäre David des Augenlichts beraubt gewesen, er hätte weder Ehebruch noch Mord begangen; hätte Ahab Naboths Weinberg nicht gesehen, er hätte die Blutschuld der Steinigung nicht auf sein Gewissen geladen und ein anderes Ende genommen, als das schauderhafte, das ihm nun als Strafe verkündigt wurde. Mit Recht warnt daher die Schrift vor Augenlust, Fleischeslust und hoffärtigem Wesen, und ermahnt uns der Herr: „Das Auge ist des Leibes Licht; wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein; wenn aber dein Auge ein Schalk ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. So dich dein Auge ärgert, so reiß es aus, und wirf es von dir; es ist dir besser, dass du einäugig zum Leben eingehst, als dass du zwei Augen hast, und werdest in das höllische Feuer geworfen“. Mit Recht sagt Salomo: „Lass deine Augen grade vor sich sehen und deine Augenlieder richtig vor dir hinsehen“, und fordert Hiob uns auf, einen Bund zu machen mit unseren Augen und nicht Alles wissen und sehen zu wollen (Sprüche 4,26. Hiob 31,1.). Ach, wir tragen in unseren Augen die Mörder, die Diebe, die Ehebrecher, und unsere ärgsten Feinde, die oft Seele und Leib ins Verderben stürzen. Ein Auge ist mehr wert als ein Königreich; aber es kann unter Umständen durch seinen Missbrauch auch um Königreiche, ja um das himmlische Königreich für immer bringen. Jesus nennt uns den rechten Gegenstand, auf den wir vorzugsweise unsere Blicke hinzurichten haben, weil dieser auf uns nie gefährlich, sondern allezeit segensreich wirkt. Er spricht: „Selig sind die Augen, die da sehen, was ihr seht, denn ich sage euch: Könige und Propheten wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen“. Wie waren sie doch zu beneiden, die Jünger, dass sie den Herrn sahen mit ihren leiblichen und geistigen Augen, dass sie Den, der der Schönste war unter den Menschenkindern, sahen in der Kraft seiner Wunder, in Seiner Herrlichkeit auf Thabor, in dem Verklärungsglanz Seiner Auferstehung und Himmelfahrt: vor Freuden wünschte der alte Simeon zu sterben, nachdem seine Augen den Christ des Herrn gesehen. Geht uns nun allerdings der leibliche Anblick des Herrn ab und gilt für uns die Regel: „Selig sind, die nicht sehen, und doch glauben“, so haben wir doch nicht minder Anrecht an das: „Selig sind, die da sehen, das ihr seht“, weil wir mit den geöffneten Augen unseres Geistes allezeit das Lamm Gottes sehen können, das der Welt Sünde trägt, und in Seinem Blut unsere Reinigung, in Seinen Wunden unser Heil, und bei Ihm allezeit suchen und finden, was wir brauchen, die Gerechtigkeit wider die Sünde, den Segen wider den Fluch, das Leben und die Seligkeit wider den Tod und die Verdammnis. Je mehr wir Beides: unsere Sünde und des Herrn Gnade, erfahren, desto mehr müssen wir beten: Ihr, meine Augen, seht die Früchte verbotener Bäume nimmer an, indem das Gift aus dem Gesicht leicht zu dem Herzen steigen kann; doch wenn ihr was zu sehn verlangt, das euch kann Glück und Segen geben, so schaut, wie dort mein Heil und Leben am Kreuz für meine Sünde hängt.

Eva schaute an, dass von dem Baum gut zu essen wäre; vielleicht nagte sogar die Schlange an der Frucht, und bewies Eva durch ihr Beispiel, dass die Frucht unschädlich sei, der angedrohte Tod sie nicht im mindesten treffe, im Gegenteil, die schöne, große, reife Frucht gar angenehm schmecke und ihr ganz gut bekomme; sie beseitigte dadurch jede Schüchternheit und Besorgnis in Eva's Seele, und machte ihr Mut, nicht nur den Baum von ferne anzuschauen, sondern mit ihm auch in nähere Berührung zu treten. Eva naht sich also dem gefürchteten Baum und schaut weiter, dass er lieblich anzusehen war, nach Gestalt und Größe, Blüte und Frucht; sie versenkt sich immer mehr in den durch seine geheimnisvolle Ausstattung fesselnden Gegenstand, beschäftigt sich mit ihm ausschließlich wie mit einem süßen Traum, steht wie bezaubert vor ihm da, und kann sich nicht satt daran sehen. Durch seinen magischen Hintergrund übt der Baum auf sie eine unwiderstehliche Kraft aus; er gestaltet sich immer reizender, immer lieblicher, immer lockender und anziehender, je länger sie ihn ansieht; bald erscheint ihr im ganzen Paradies kein Baum so schön und lieblich wie der verbotene. Ja, was ihr an dem einzigen und unvergleichlichen Baum besonders herrlich ist, ist, dass es ein lustiger, begehrungswürdiger Baum ist, eine wahre Lust der Augen, weil er klug macht und die geistigen Kräfte erhöht, Gott selbst ihn den Baum der Erkenntnis genannt hat, und sie durch ihn nach der Schlange Verheißung mehr kennen lernen kann, als sie schon weiß, und Gott gleich werden kann. Genug, Gründe über Gründe sprechen dafür, den Versuch zu wagen und von der Frucht abzupflücken und zu essen; und je länger sie sich die Sache überlegt, desto mächtiger entbrennt in ihr die Lust und Begierde danach. Hätte Eva den Baum mit Augen des Glaubens an Gott und des Gehorsams angeschaut, wäre sie fest geblieben in Gottes Gemeinschaft und hätte gesprochen: „Herr, wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde“, so wäre ihr der Baum ganz anders vorgekommen, nicht gut, sondern böse von ihm zu essen, nicht lieblich, sondern garstig anzusehen, nicht lustig, weil er klug machte, sondern verabscheuungswürdig, weil er täuschte und irre führte. Als der Versucher Jesu alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zeigte, und dadurch die Augenlust und Habsucht in Ihm erregen wollte, sprach Jesus sofort zu ihm: „Hebe dich weg von mir, Satan; denn es stehet geschrieben“, und es erwachte in Seiner reinen göttlichen Seele auch nicht die mindeste Lust nach dem Vorgespiegelten. So lange der Mensch an Gott und Seinem Wort hält und seine höchste Seligkeit im Herrn findet, so lange hat die sichtbare Welt mit ihren Gütern und Genüssen, Liebkosungen und Verheißungen, keinen Reiz für und keine Macht über ihn; es ist, als schösse ein Feind seine Pfeile gegen granitene Mauern ab, oder als sänge eine Buhlerin einem Tauben ihre Lieder vor oder winkte einem Blinden mit ihrer Hand. Mag Potiphars Weib alle ihre Schönheit und Überredungskunst über Joseph verschwenden, fest wie eine Säule erklärt er: „Wie sollte ich ein solch großes Übel tun und wider Gott sündigen!“, und ergreift die Flucht. Mag der hohe Rat einen noch so großen Preis auf Jesu Haupt legen, kein Jünger nimmt Kenntnis davon, als allein das verlorene Kind. Wer aber erst aus Gottes Nähe weicht, Gottes Verheißungen für Lüge und des Teufels Worte für Wahrheit hält, ist vor keiner Sünde mehr sicher, und es genügt dann eine einzigen Blattes vom verbotenen Baum, und der innere Verräter, die böse Lust, ist da, und damit die Übergabe des Herzens an den äußeren Feind angebahnt.

Da wir nun Alle schon in Sünden empfangen und geboren sind und den Keim der Sündhaftigkeit mit auf die Welt bringen, so ist unsere Lage viel gefährlicher, als die Adams und Evas; es liegen in uns von Natur schon allerlei Triebe und Neigungen, die leicht übermäßig stark werden, in sündliche Begierden ausarten und ihre Befriedigung im leidenschaftlichen Genuss der irdischen Dinge suchen ohne Gott.

Eigentlich sind wir jetzt niemals ohne böses Begehren. Und wenn wir uns auch noch so still und zurückgezogen verhalten und unseren Begierden jede äußere Nahrung abschneiden, unwillkürlich stehen sie plötzlich vor uns, belästigen und necken uns unaufhörlich wie die Fliegen und Mücken in der Luft, tauchen wie aus einem unheimlichen Abgrund empor, verfolgen uns auf Schritt und Tritt bis in die Stunden der Andacht und des Gebets, ja, bis ins Heiligtum und an den Altar des Herrn, und können uns fast wahnsinnig und unser Leben zur Hölle machen, dass wir schier verzagen und verzweifeln. Sie sind der Seele das, was dem Leib der Krebs ist, sie sind des Teufels Quartiermacher und Vorläufer, welche ihm die Herberge im Herzen bestellen. Luther sagt gar treffend: „Wenn die weltlichen Begierden wären an des Hauses Wand gemalt, so möchtest du daraus laufen, oder wären in den roten Rock gestrickt, so möchtest du ihn austun, und einen grauen antun, oder wüchsen dir in den Haaren, so möchtest du dich lassen bescheren und eine Platte machen, oder wären ins Brot gebacken, so möchtest du Wurzeln dafür essen. Nun sie aber in deinem Herzen stecken und dich durch und durch besitzen, wo willst du hinlaufen, dahin du dich nicht mitnähmst? Was willst du antun, da du nicht unter bleibst? Was willst du essen und trinken, da du nicht bei seist? lieber Mensch, die große Reizung ist in dir, und musst du am ersten vor dir selbst laufen und fliehen“. Jeder Mensch hat jetzt im Stande des Falle sogar seine eigene Lust, von der er gereizt wird, der Geizige wie der Verschwender, der Heftige wie der Träge, der Lügner wie der Unverschämte, der hochmütige wie der sinnliche Mensch; und der Teufel kennt jedes Menschen schwache Seite und weiß, wo er ihm am besten beikommen kann; er ist nächst dem Herrn, unserem Gott, der beste Psychologe oder Seelenkenner in der Welt. Ja, wie wir für die verschiedenen Fische und Vögel verschiedene Köder an die Angel und Sprenkel anhängen, so ködert und lockt er auch die verschiedenen Seelen mit verschiedenen Mitteln und Künsten. Zwar sind diese Bilder und Gedanken an sich noch keine Versuchung und Gefahr und ist kein Mensch gezwungen, ihnen nachzuhängen und zu folgen; des Menschen Lust ist nicht wie der Instinkt der Tiere. Es wird auch Niemand um dieser aufsteigenden Bilder und Gedanken willen von Gott verdammt und verworfen werden, sobald er nur nicht versäumt, ihnen Widerstand zu leisten. Erst wenn das Herz an ihnen Lust und Wohlgefallen findet, wenn die Lust nichts Fremdes mehr bleibt, sondern durchs Herzensfenster in alle Schlupfwinkel des inneren Menschen hineinsteigt, beginnt die Gefahr und Versuchung und ist dann nur ein Schritt übrig von der Belustigung zur Einwilligung und von der Einwilligung zur Ausführung.

O, dass wir es doch nie leicht nähmen mit den ersten leisen Anfängen unserer Lüste und Begierden! Dass wir insbesondere uns davor hüteten, und gehen zu lassen; denn es gilt das Heil unserer unsterblichen Seele, und wir haben nur eine Seele zu verlieren! Dass wir allezeit einen geheimen Schauder fühlten, so oft die Frage in uns erwacht: „Sollte Gott gesagt haben?“, oder die lügenhafte Zurede: „Ihr werdet sein wie Gott“, oder die verbotene Frucht immer lieblicher und reizender sich vor unseren Sinnen ausbreitet und sie umnebelt! Dass wir uns warnen ließen durch die Beispiele der Bösen, welche fielen und verloren gingen, durch die Tränen und Seufzer der Frommen, welche uns beschwören, inne zu halten, durch die tausendfachen Erfahrungen der Geschichte, welche eine Bußpredigt nach der andern erheben, durch, die Anstalten und Warnungstafeln der Kirche auf allen Wegen und Stegen, welche die Inschrift haben: „Lass dich nicht gelüsten!“ Dass wir aufhörten, im verblendeten Leichtsinn zu buhlen mit der Sünde und zu scherzen mit der Versuchung! Dass wir namentlich alle Beschönigungen und Entschuldigungen flöhen: „Was kann ich dafür? Ich bin einmal so! Warum hat mich Gott so gemacht und mir dieses Temperament, diese Neigung, diesen Charakter, diese Lust ins Herz gegeben?“ Dass wir mit allen Gelegenheiten brächen, die uns zur Sünde reizen, und wachten und beteten, und unsere Seele in Händen trügen Tag und Nacht, damit wir nicht in Versuchung fallen! Wenn sich in einem Kind eine heiße Begierde nach irgend einem Gegenstand regt, den wir ihnen um ihrer selbst willen nicht geben können, so geben wir ihnen ein anderes Gut, das einen starken Reiz auf sie ausübt, oder flößen ihnen eine mächtige Furcht vor Schaden und Strafe, eine siegende Liebe zu Vater und Mutter gegen sein Gelüsten ein, und wir wissen, es wird nicht nur ruhig, es überwindet sich auch. So gibt es auch für uns Erwachsene stärkere Triebe und Reizmittel, durch welche wir auch das mächtigste böse Begehren schwächen und niederdrücken können, wenn wir nur ernstlich wollen, als da sind: der Gedanke an den heiligen Gott, der auf den Grund der Herzen schaut, das Lesen in der Bibel, das Gebet zum Herrn, die Erinnerung an Tod und Gericht, Himmel und Hölle, die Beherzigung der Folgen und Strafen der Sünde, die Frage: „Was würde Jesus an meiner Stelle tun?“, vor Allem der Blick auf den Gekreuzigten und die Betrachtung Seines Todes und Verdienstes; und es kommt nur darauf an, dass wir diese Reizmittel gewissenhaft und anhaltend anwenden bis zum Sieg. Von einem armen Bettelknaben wird erzählt, dass er mitten in der Nacht seine Herberge verließ, weil das Ticken einer Uhr in ihm das Begehren danach erweckte, und der Gedanke ihn nicht losließ, durch diesen kaum zu entdeckenden Diebstahl könne er für immer vor Hunger, Frost und Blöße sich sichern, und dass er atemlos durch Wald und Feld floh, bis die versuchlichen Gedanken ihre Kraft in ihm verloren, wehe uns, wenn wir uns von ihm beschämen ließen!

II. Die Wirkung der Lust.

Die Lust, vom verbotenen Baume zu essen, ist in Eva erwacht. Nun geht es schnell bergab, von der bösen Lust zur bösen Tat. Je weiter sie sich vom Fall entfernt dünkte, desto jäher war ihr Sturz. Auf die Sünde der Augen folgt die Sünde der Hände. Sie wartet nicht, bis etwa eine Frucht vom Baum herabfällt, die sie aufnehmen, näher betrachten und kosten kann, noch, bis die Schlange, der Teufel, eine Frucht abbricht und ihr darreicht; nein, sie nahm selbst von der Frucht und aß, gewiss nicht ohne Herzklopfen und Bangigkeit, - wir können es uns denken, wie ihr das Blut dabei ins Gesicht steigt und wie scheu ihre Blicke umherschweifen, ob es auch kein Engel, ob es auch Gott nicht sieht; aber dennoch - da stehts geschrieben, und wir lesen es mit Beben und Zittern, es wird uns angst und bange dabei, es stockt uns der Atem, es ist uns, als machten wir es mit ihr durch und läsen nicht bloß ihre, sondern unsere, unsere eigene Geschichte, ja die Geschichte der Menschheit, wie sie sich seitdem. unzählige Mal wiederholt hat und in jeder Sünde von Neuem wiederholt: „Sie nahm von der Frucht und aß“. - Ist erst eine unserer Glieder der Sünde verfallen, so folgen die andern ihm bald nach; brauchen wir sie nicht mehr, wozu wir sollen, zum Dienst und zur Verherrlichung Gottes, so brauchen wir sie, wozu wir nicht sollen, zur Gotteslästerung und zum Dienste des Teufels. „Aber hält denn Niemand Eva davon ab, die Hand nach dem Baum auszustrecken?“ Niemand; Adam nicht, denn er ist nicht in der Nähe, an Eva allein hat ja die Schlange ihre Fragen gerichtet und ihre Zumutungen gestellt; die Engel scheinen auch fern zu sein, wenigstens dürfen sie nicht die Freiheit des Menschen hindern und hemmen; Gott siehts wohl, aber Er lässt sie tun nach ihres Herzens Gelüsten, weil ihm kein erzwungener, sklavischer Gehorsam Freude macht, sondern allein der freie Gehorsam der Liebe; Eva hat ja auch Licht und Kraft genug, das göttliche Gebot zu erkennen und zu halten. Hätte aber auch Gott, als Eva die Hand ausstreckte, mit einem Donner diese Hand hinweggeschlagen, - so hatte sie dennoch die Übertretung vollbracht, so gut wie im Gegenteil Abraham seinen Sohn geopfert hatte, als er seine Hand ausreckte und fasste das Messer, dass er ihn schlachtete. So brauchte sie denn die ihr verliehene köstliche Willensfreiheit, und ihr erster Gebrauch war zugleich ihr erster Missbrauch, sie nahm von der Frucht und aß, und die Engel im Paradies weinten über die fluchwürdige Tat, die Hölle aber feierte ihren ersten, glänzenden Triumph.

Die Tat war geschehen, der Abfall war vollbracht, das erste Abendmahl des Satans vom Menschen gehalten auf Erden, die erste Abgötterei und Zauberei (nach 1 Sam. 15,23.). Wird es bei diesem einen Fall sein Bewenden behalten? Dann müsste die Sünde so geartet sein, dass sie es allein aushalten könnte und keine Genossen bedürfte. Aber so ist sie nicht geartet; der Sünder sucht und bedarf Mitgenossen zu seiner Beschwichtigung, die Sünde übt eine ansteckende Kraft und es ist bis auf diese Stunde der Fluch des Bösen, dass es Böses zeugt. Eva gab daher ihrem Mann auch davon, die Verführte ward nun zur Verführerin, die Gehilfin des Mannes zu seiner Mörderin, die Nehmende eine Gebende, sie tat es in bester Meinung und glaubte Adam dadurch etwas Gutes zu erweisen. Wie oft sind’s gerade die Nächsten und Liebsten, unsere besten Freunde und Hausgenossen, die uns zur Sünde zureden, aufhetzen, bestimmen, verführen, und handeln in bester Meinung für uns wie unsere ärgsten Feinde! Und Adam ließ sich zureden und gab nach, - wer kennt nicht die große Gewalt, welche eines Weibes Wort und Überredung auf den Mann ausübt? Nie hatte Adam seiner Eva etwas abgeschlagen, ihr Wunsch war jederzeit sein Wunsch, ihre Freude seine Freude gewesen, - was hätte er ihr nicht Alles zu Liebe getan?! Jetzt aber wird diese seine Liebe zu ihr von der Sünde vergiftet; Adam ward schwach; der über Eva herrschen sollte im Guten, diente ihr im Bösen und gab seine Würde als Mann und als Haupt auf. Evas Fall zog den seinigen nach sich; sie gab ihrem Mann von der Frucht, und er aß, aß davon um so unbedenklicher, als die angedrohte Folge der Sünde nicht urplötzlich beim Weibe eingetreten war und sie sein Zweifeln und Zögern mit der Zurechtweisung beseitigen konnte: „Sieh mich doch an! hat denn die verbotene Frucht mir im mindesten geschadet? hat die Schlange nicht Recht gehabt, als sie sprach: „Ihr werdet mitnichten des Todes sterben“? und dürfen wir nun nicht auch hoffen, dass ihre andere Verheißung sich erfüllen wird, dass wir werden wie Gott, und wissen, was gut und böse ist?“ So war Adam denn gefallen durch gleiche Übertretung wie Eva, die Schuld eine gemeinsame, bei dem Einen so schwer wie bei dem Andern, und nicht allein Adam und Eva, sondern in ihnen und durch sie die ganze Menschheit in allen ihren Nachkommen ins Elend gebracht, dem Fluch Gottes verfallen, des Paradieses verlustig gegangen und die Strafen des Sündenfalls über die Erde und alle ihre Geschlechter und Jahrhunderte verhängt. Seitdem hat sich die Sünde fortgepflanzt von Geschlecht zu Geschlecht, von Jahrhundert zu Jahrhundert, und alle Alter, Klassen, Stände der Menschen vergiftet, die kleinsten Kinder von ihrer Geburt an fühlen ihre Herrschaft, und auf dem Sterbebett sind oft die letzten Seufzer noch Seufzer der Sünde, der Gottentfremdung und Gottlosigkeit, und alle dagegen in Bewegung gesetzten menschlichen Mittel zu ihrer Beschränkung und Ausrottung sind fruchtlos geblieben. Durch Adams Fall ist ganz verderbt der Menschen Art und Wesen; das Gift ist auf uns fortgeerbt; wir konnten nicht genesen ohn' Gottes Kraft, die Hilfe schafft für unseren großen Schaden, drein Satans Macht uns einst gebracht, Gottes Zorn auf uns zu laden. Gottlob, dass es nicht bloß heißt (Römer 5,12.): „Derhalben wie durch einen Menschen die Sünde ist gekommen in die Welt, und der Tod durch die Sünde, und ist also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben“, sondern auch Vers 18.19.: „Wie nun durch Eine Sünde die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist, also ist durch Eines Gerechtigkeit die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen gekommen. Denn gleichwie durch eines Menschen Ungehorsam Viele Sünder geworden sind, also auch durch Eines Gehorsam werden Viele Gerechte“, und dass es noch einen zweiten Adam gibt, der durch Sein Leiden und Sterben die Folgen des Sündenfalls wieder aufgehoben hat für Zeit und Ewigkeit, einen neuen Stammvater und Stellvertreter der Menschen, von dem die Kirche singt: „Heut schließt Er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis, der Cherub steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob, Ehr und Preis“, und der durch Sein Leiden und Sterben, durch Sein Wort und Seinen Geist uns von der Schuld, Herrschaft und Strafe der Sünde erlöst hat. O dass wir denn allezeit Beides erkennten und immer tiefer erfassten, einerseits unsere Sünde, die angeborene, wie die selbstverschuldete, mit all ihrem Elend und Verderben, andererseits die Fülle der göttlichen Gnade, die alle unsere Sünden tilgt und mächtiger ist in ihren gesegneten Wirkungen, als jene in ihren vernichtenden! Sünde und Gnade sind und bleiben einmal die Angeln des Christentums und alles Christenlebens, und jedes Morgen- und Abendgebet der erlösten Christenheit kann bis zum letzten Atemzuge keinen anderen Inhalt haben, als den einen:

Herr, öffne mir die Tiefe meiner Sünden,
lass mich auch seh'n die Tiefe Deiner Gnad',
Und lass mich keine Ruhe suchen oder finden,
Als nur bei Dir, der solche für mich hat;
Der Du gerufen: Ich will euch erquicken,
Wenn euch die Sünd' und ihre Lasten drücken.

Amen.

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