Arndt, Friedrich - Das Leben Jesu - Sechste Predigt. Der Königische zu Kapernaum.

Arndt, Friedrich - Das Leben Jesu - Sechste Predigt. Der Königische zu Kapernaum.

Joh. IV., V. 46-54.
Und Jesus kam abermal gen Cana in Galiläa, da er das Wasser hatte zu Wein gemacht. Und es war ein Königischer, deß Sohn lag krank zu Kapernaum. Dieser hörete, daß Jesus kam aus Judäa in Galiläa, und ging hin zu ihm, und bat ihn, daß er hinab käme und hülfe seinem Sohne; denn er war todtkrank. Und Jesus sprach zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht. Der Königische sprach zu ihm: Herr, komm hinab, ehe denn mein Kind stirbt. Jesus spricht zu ihm: Gehe hin, dein Sohn lebet. Der Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte, und ging hin. Und indem er hinab ging, begegneten ihm seine Knechte, verkündigten ihm, und sprachen: Dein Kind lebet. Da forschete er von ihnen die Stunde, in welcher es besser mit ihm geworden war. Und sie sprachen zu ihm: Gestern um die siebente Stunde verließ ihn das Fieber. Da merkte der Vater, daß es um die Stunde wäre, in welcher Jesus zu ihm gesagt hatte: Dein Sohn lebet. Und er glaubte mit seinem ganzen Hause. Das ist nun das andere Zeichen, das Jesus that, da er aus Judäa in Galiläa kam.

Nazareth also hatte den Herrn verstoßen, Er mußte von dannen gehen. Er zog nun nördlicher hinauf nach Obergaliläa, und überall ging es Ihm besser, als an dem Orte, wo Er Seine Kindheit und Jugend zugebracht hatte. Die Galiläer, sagt Johannes (4,45), nahmen Ihn auf, da sie gesehen hatten Alles, was Er zu Jerusalem auf dem Feste gethan hatte. Namentlich fand Jesus eine gute Aufnahme in Cana, wo man noch in frischer Erinnerung an die Verwandlung des Wassers in Wein lebte, welche Er auf der Hochzeit etwa drei Viertel Jahr vorher vorgenommen hatte. Hier hielt sich denn Jesus auch einige Zeit lang auf, und hier verrichtete Er auch Sein zweites Wunder in Galiläa. Dies zweite Wunder zu Cana soll uns denn heute erbauen. Wir erwägen: l) an wem es Jesus verrichtet, 2) wie Er es verrichtet, und 3) mit welchem Erfolge es gekrönt wird.

I.

In Kapernaum, jener Stadt am lieblichen See Genezareth, fünf Meilen von Cana, jenseits der Berge gelegen, wohnte ein Königischer, d. h. ein königlicher Beamter im Dienste des Königs Herodes Antipas, ein Mann, der einen hohen Ehrenposten am Hofe bekleidete und in Achtung, Glück und Wohlstand seine Tage zubrachte. Indeß sein glänzender Titel und sein hohes Amt schützte den Mann nicht vor dem, was das allgemein Menschliche ist, vor Leiden und Trübsal. Wie Gott der Herr einerseits den Unterschied der Stände und des Besitzes nach Seiner Weisheit unter den Menschen eingeführt hat und keine Macht und Klugheit der Welt im Stande ist, diesen Unterschied, der, so lange die Welt steht, überall stattgefunden hat, jemals aufzuheben: so hat Er andererseits selbst diesen Unterschied wieder ausgeglichen und versöhnet durch die Gleichheit Aller vor dem göttlichen Gesetz und Gericht, durch die Gleichheit Aller vor dem Leiden und dem Tode. Der Tod fragt nicht danach, ob groß oder klein, ob reich oder arm, ob vornehm oder gering, ob fröhlich oder traurig; er holt sie Alle. So fragt auch das Leiden nicht danach; es bricht ebensosehr in die Paläste, wie in die Hütten ein, und besucht die Königischen nicht minder, wie die Tagelöhner und Bettler. Auch bei unserem Königischen war jetzt die Trübsal eingekehrt; sein Sohn - vielleicht das einzige Kind, das er hatte - lag gefährlich krank, hatte das Fieber in hohem Grade, und man erwartete schon sein Ende. Der arme Vater! Was hilft ihm all' sein Ansehen vor der Welt, seine Stellung am Hofe, sein Reichthum, sein Wohlstand, da er sich bedroht sieht mit dem Verluste seines theuren Kindes? Wenn er dies Kind verlöre, - o ihr Eltern, die ihr jemals am Krankenlager oder Sterbebette eines lieben, hoffnungsvollen Kindes gestanden habt, ihr könnt es ihm nachfühlen, welche Folter der Angst und Unruhe er muß ausgestanden haben, - das Leben hätte seinen Werth für ihn verloren. Lieber möchte er Alles, was er besitzt an Gütern der Erde, dahingehen, um nur dies theure Leben zu retten, an dem sein ganzes Herz mit inniger Vaterliebe hängt. Es sind entsetzliche Stunden, die er schon zugebracht hat; alle Mittel, welche Kunst und Wissenschaft darboten, sind von ihm ohne Erfolg angewandt worden, und mit zerrissenem Herzen und mit thränenden Augen denkt er an die drohende dunkle Zukunft. Da hört er, daß Jesus von Jerusalem zurückkehre, daß Er schon Cana erreicht habe. Der Ort ist nur eine Tagereise entfernt. „Vielleicht wird der, welcher in Cana ein so großes Wunder vollbracht, welcher in Jerusalem so große Thaten gethan, auch meinem Kinde noch helfen können!“ denkt er, und schnell ist sein Entschluß gefaßt, er macht sich auf den Weg, und wie er Jesum gefunden, bittet er Ihn dringend, doch gleich mit ihm zu kommen und seinem todtkranken Kinde zu helfen. Die Noth hatte seine hoffnungsvollen Blicke auf Jesum hingerichtet. Wäre die Krankheit nicht so tödtlich in seinem Hause ausgebrochen, schwerlich würde er sich diese Mühe gegeben und den weiten Weg über's Gebirge zu Jesu hin gemacht haben.

O es ist doch etwas Köstliches um die Noth im menschlichen Leben! Sie führt zum Herrn hin, wie sie von Ihm herkommt. Wenn Trübsal da ist, so sucht man Dich, und wenn Du sie züchtigst, rufen sie ängstiglich. (Jes. 26,16.) Wenn das Wasser dem Menschen bis an die Seele geht, wenn des Todes Bande ihn umfangen, wenn Belials Bache ihn schrecken, wenn ihm eine Stütze nach der andern weggebrochen wird, wenn er, von allen Seiten bedrängt und beengt, bedrückt und betrübt, sich hier nicht zu helfen weiß und da wieder nicht, wenn er wie auf Dornen gebettet liegt und das Leben sich gestaltet zu einer Kelter, Thränen zu erpressen: dann beugt sich auch wohl ein starrer Nacken, dann wird auch wohl ein hartes Herz weich, und die Augen füllen sich mit Thränen, die sonst nur lachen konnten, die Lippen füllen sich mit Seufzern und Gebeten, die sonst nur fluchten und spotteten; Leiden und Trübsale sind wie ein Sturmwind im Rücken, sie treiben mit unwiderstehlicher Gewalt nach Cana hin, zu Dem hin, der allein unsere Trübsalswasser in Freudenwein verwandeln kann, zu dem allmächtigen Arzt, der alle unsere Schwachheit heilt. Und ob Cana auch fünf Meilen abliegt von Kapernaum, die Noth gibt der Seele Flügel; Hindernisse und Berge, die jahrelanges Glück nicht hatte überwinden können, überfliegt die Anfechtungszeit in einer Woche. Die Nacht der Leiden pflegt erst Heilige zu gebären, und in dem von äußerlichem Unheil Umfangenen erwacht am allerersten und leichtesten das Verlangen nach innerlichem Heil.

Aber freilich, es war nur die Noth, nicht die Liebe, die den Königischen zu Christo trieb. Und schon in menschlichen Verhältnissen ist das kein Beweis wahrer Freundschaft, wenn bloß die Noth uns zu einem Freunde hintreibt, und nicht das Bedürfniß, ihn zu sehen und zu hören, und uns an seiner Gegenwart und seinen Gesprächen zu erfreuen: wie viel weniger ist es ein rechtes Herzensverhältniß zum Herrn, wenn wir Ihn bloß suchen um Seiner Gaben, nicht um Sein Selbst willen, und wenn Er uns nur so viel werth ist, als wir von Ihm empfangen, und wir unsern Glauben an Ihn gleichsam nur abhängig machen von Seiner Hülfe, und wenn die ausbleibt, Ihm auch das Vertrauen aufkündigen. An solcher Gesinnung kann unmöglich der Herr schon Wohlgefallen haben. - Kommt nun gar noch hinzu, daß wir Ihm vorschreiben wollen die Art und Weise, wie, und die Zeit und Stunde, wann Er uns helfen solle, so verrathen wir dadurch nur noch mehr unsere ferne Herzensstellung gegen Ihn. So machte es aber der Königische im Texte; er verlangte, Jesus solle gleich mit ihm hinabkommen und Er solle an Ort und Stelle, im Krankenzimmer zu Kapernaum, die Fiebergluth des leidenden Kindleins bannen. Wie? Wird ein erfahrener Werkmeister in irgend einer Kunst oder Thätigkeit es gut aufnehmen, wenn ein Neuling ihn belehren will? Wird ein geschickter Arzt vom Kranken sich das Recept geben lassen? Und der allwissende und allweise Gott sollte sich durch Sein Geschöpf etwas vorschreiben lassen? Daß der Herr uns Seine Gnade und Hülfe geben wolle, ist eine wohlanständige Bitte; aber zu sagen: „Gib sie mir auch so, wie ich sie mir wünsche!“ ist eine Stellung, die uns nimmermehr zukommt. Giert Gott nicht einmal in geistlichen Gütern und Beziehungen, wie wir's wollen, so wird Er's noch viel weniger in leiblichen. Er, der da thut, was Er will, muß auch thun können, wie Er will. Bettler können keine Wächter sein; uns steht an, zu empfangen, aber niemals an, anzuordnen, was und wie und wann und wo wir empfangen wollen. Genug, ihr sehet, der Seelenzustand des Königischen ist noch kein vorzüglicher und erfreulicher; er glaubt, und er glaubt auch nicht; er bittet, und in der Bitte will er zugleich befehlen. Doch war es gut, daß er zu Jesu kam und Ihn bat! Lieber schlecht beten, als gar nicht beten; lieber einen schwachen Glauben besitzen, als ganz ungläubig sein; denn auch der schwache Glaube ist schon Glaube, und auch die unvollkommene Bitte ist schon Bitte; und sind wir nur erst in irgend eine Berührung mit dem Herrn gekommen, Er sorgt schon dafür, daß unser Gebet gereinigt wird und unser Glaube wächst und die Seele von Stufe zu Stufe im innern Leben weiter emporsteigt.

II.

Dies lehrt uns das Beispiel des königlichen Hofbeamten und die Art, wie der Herr ihn behandelt. Eben' war Jesus aus dem Lande der Samariter gekommen und hatte durch Seine bloßen Worte einen so herrlichen Erfolg in Sichar hervorgebracht; nun kommt Er nach Galiläa, wo der Volkssinn sonst ein gesunder und natürlicher war, und gleich Sein erster Empfang in Nazareth ist, daß sie Ihn in den Abgrund stürzen und morden wollen, gleich Sein zweiter Empfang in Cana ist, daß ein hochstehender Mann, der bessere Einsicht in geistlichen Dingen hätte mitbringen sollen, ein Wunder verlangt, von diesem Wunder seinen Glauben abhängig macht, zu diesem Wunder die Bedingungen vorschreibt, und dies Alles auf eine sehr aufgeregte, stürmische und zudringliche Art Ihm zumuthet. Dieser Aufgeregtheit setzt Jesus zunächst die größte Ruhe und Gelassenheit entgegen, den starken Gottesfrieden, der da weiß, daß, wie Gott nicht in Aufgeregtheit und Unklarheit waltet über den Schicksalen der Menschen, auch der Mensch unter den schreckhaftesten Führungen Gottes und bei den stärksten Gemüthsbewegungen die Klarheit und Ruhe und Würde des Geistes bewahren soll, an deren Felsen die Wogen aller menschlichen Angst sich brechen müssen. Der Rede des Vaters aber setzt Er entgegen das allerdings strafende und demüthigende, aber zugleich berichtigende und beruhigende Gotteswort: „Wenn ihr, ihr Juden, ihr Galiläer, im Gegensatz gegen das Benehmen der Samariter, nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht.“ Jesus schlug ihm damit die Bitte nicht ab, aber Er will sein Herz zuerst reinigen von den verkehrten Vorstellungen und Gesinnungen, die in demselben noch vorherrschten. Er will erst die Seele des Vaters heilen, um dann den Körper des Leidenden auch wieder herstellen zu können.

Freilich es war eine nicht geringe Anfechtung, die für den Königischen in den Worten lag: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht.“ Er war es sich bewußt, daß er glaubte, der Glaube hatte ihn auf die Füße gebracht, der Glaube hatte ihm die Bitte um Hülfe auf die Lippe gelegt; und nun bekommt er die Gegenrede: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht;“ und doch enthielt diese Gegenrede volle Wahrheit, sie traf den Nagel auf den Kopf, sie schilderte die große Unvollkommenheit und Mangelhaftigkeit seines Glaubens, er konnte ihr nicht widersprechen und fühlte sich in der innersten Seele getroffen. Kein Glaube, Geliebte, bleibt ohne Anfechtung. Sinnes nicht Zweifel von innen, die ihn bestürmen und üben wollen, so sind es Widerwärtigkeiten von außen, die ihn auf die Probe setzen. Geht es ganz ruhig und gemächlich mit dem Glauben fort, so können wir sicher sein, daß, was wir für Glauben halten, noch kein rechter Glaube ist. Der rechte Glaube muß in's Feuer hinein, daß das Gold von den Schlacken gereinigt werde; der rechte Glaube muß bald mit dem Herrn, bald mit dem Teufel, bald mit dem Worte Gottes, bald mit den eigenen widrigen Gefühlen, bald mit der Welt, bald mit der Vernunft, bald mit Kreuz und Elend, bald mit Tod und Hölle sich herumschlagen, damit er durch das Alles zu der Ueberzeugung gelange: „Es ist wahr, es steht mit mir grundschlecht, ich bin so ein Mensch, wie ihn der Herr in Seinem Worte mir geschildert, es ist nichts Gutes an mir, mein Glaube ist mehr ein Unglaube, als ein Glaube, der Herr hat ganz Recht; dennoch kann ich Ihn nicht lassen, und lasse Ihn auch nicht, bis Er mich segnet; ich will nicht aufhören zu bitten, bis ich mir ein Loch durch den eisernen Himmel hindurchgebetet habe. Herr, hilf mir, Du treuer Helfer in aller Noth, hilf mir hindurch und hinaus aus diesem Kampfe, erbarme Dich meiner.“ Heil dem Menschen, bei welchem der Glaube diese Sprache führt und diesen Demüthigungs- und Bittweg geht!

Der Königische betrat ihn zu seinem zeitlichen und ewigen Heile. Weit entfernt, sich zurückschrecken zu lassen oder sich verletzt zu fühlen, betet er fort, immer fort, und wiederholt sein Flehen: Herr, komm hinab, ehe denn mein Kind stirbt! Er nimmt die harte Rede nicht übel, ist nicht empfindlich, denkt nicht gleich, wie so Viele unter uns denken, wenn ihnen der Herr auf die erste Bitte nicht sofort hilft– „Ich dachte es wohl, daß es mir nichts helfen würde; wie konnte ich nur so thöricht und abergläubig sein, vom Gebet Hülfe zu erwarten? Es ist nichts mit dem, was die Frommen sagen, daß es einen lebendigen Gott im Himmel gibt, der Gebete erhöre und sich der Noth Seiner Menschenkinder annehme.“ Er denkt auch nicht: „Begegnet man so einem königlichen Diener? Soll es für nichts sein, daß ich den weiten Weg gemacht habe? Ist Jesus ein so finsterer, unduldsamer Mann, daß Er auf höfliche Bitten nur mit Vorwürfen antwortet?“ Er wendet sich nur um desto eindringlicher an die Allmacht und Gnade des Herrn.

Freilich bleibt er noch- bei seinem Irrthum, daß Jesus nothwendig mit ihm kommen müsse: „Herr, komm hinab!“ aber doch ist sein Glaube unerschüttert, seine Bitte nur um so zuversichtlicher geworden. Und diesen fortbittenden Glauben sieht der Herr an. Er berichtigt seinen Irrthum, und verspricht ihm nicht nur, seine Bitte zu erfüllen, sondern sagt ihm, daß Er sie schon erfüllt habe. „Gehe hin, es ist nicht nöthig, daß ich noch mit dir gehe; diese deine Zumuthung ist überflüssig; ich kann abwesend ebensogut helfen, als anwesend; ja, ich habe es schon gethan, dein Sohn ist gerettet und wiederhergestellt.“ Offenbar war dieses Wort ganz auf den Glauben gerichtet, und war Prüfung und Stärkung zugleich. Der Unglaube hätte gedacht: „Wie ist das möglich? Wenn Er mich noch begleitet, den Kranken gesehen, irgend ein Mittel angewendet, die Hände ihm aufgelegt, über ihn gebetet hätte, so wäre doch wenigstens noch eine Möglichkeit der Hülfe denkbar; aber nichts von dem Allen ist geschehen; und ich soll glauben, daß mein Kind hergestellt sei? Wahrhaftig, das ist doch etwas zu viel verlangt.“ Der Königische aber wuchs sichtbar im Glauben, und zweifelte nicht; er glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte, und ging hin. Er glaubte, noch ehe er die Zeichen gesehen, die er früher gefordert; das Wort des Herrn genügt ihm und klingt ihm wie eine Stimme vom Himmel; er vertraut der Wahrheit und Erfüllung desselben ohne Zaudern und Bedenken. Freilich, wenn es sich erfüllte, so mußte Jesus, obgleich Er nur als ein Mensch vor ihm stand, allmächtig und allwissend sein; allmächtig, um abwesend und in der Ferne das Kind auf einmal heilen zu können, und allwissend, um in Cana zu wissen, was sich fünf Meilen davon, in Kapernaum, begeben; - aber bei Gott ist kein Ding unmöglich; hatte Er sich in Christo dem Wesen nach geoffenbart, so mußte Er sich in Ihm auch nach Seinen Eigenschaften offenbaren. So sind aber alle Worte und Verheißungen des Herrn; sie sind ebensosehr Versuchungen des Unglaubens, als Stärkungen des Glaubens; ebensosehr Worte des Todes zum Tode, als Worte des Lebens zum Leben. Bei den Reinen sind sie rein, und bei den Verkehrten sind sie verkehrt. (Ps. 18,27). Jener saugt aus ihnen Honig, dieser Gift. Es kommt Alles auf das Ohr und Herz an, das sie hört. Hören wir sie mit zweifelndem Herzen, als bloße Menschenworte, an denen wir kritteln und makeln können, so findet sich tausenderlei an ihnen auszusetzen, und die Vernunft hat an ihnen nichts als Steine im Wege; ergreifen wir sie aber als Worte des Herrn, des Allwissenden, des Wahrhaftigen, des Allmächtigen, als untrügliche, ewig gültige Wahrheiten und Verheißungen: dann enthalten sie für die gläubige Seele nichts als Stärkungen und Erquickungen.

III.

Der Lohn des Glaubens bleibt niemals aus. Denselben Tag konnte der Königische Kapernaum nicht wieder erreichen, der Weg war zu weit und, über's Gebirge, zu beschwerlich. Er mußte die Nacht also unterweges liegen bleiben. Eine neue Probe für seine Geduld und Hoffnung! Aber auch diese Probe besteht er, nicht einen Augenblick weicht die Freudigkeit seiner Seele und die Gewißheit der Erhörung. Am andern Tage, noch ehe er die Stadt erreichte, begegnen ihm schon freudestrahlenden Blickes seine Knechte und verkündigen ihm: Dein Kind lebet, es ist völlig gesund. Welch ein seliger Augenblick für das Herz des um die Rettung seines Kindes so bekümmert gewesenen Vaters! Natürlich muß er sich näher erkundigen, weniger nach den Umständen und der Art und Weise, wie sein Kind gerettet worden, als nach der Zeit, wann es geschehen, um gewiß zu wissen, daß er diese Heilung Jesu zu danken habe. Und wunderbare Bestätigung! Gerade dieselbe Stunde, wo der Herr ihm die Versicherung gegeben, sein Sohn lebe, war auch die Stunde, wo der glückliche Wendepunkt seiner Krankheit eingetreten war. Nun war ihm der Glaube vollends in die Hand gegeben, daß Jesus der Sohn Gottes, der allmächtige Helfer sei in Noch und Tod. Nun war der ganze Rückweg ein fortwährendes Lob des Herrn, ein beständiges Durchsprechen der wunderbaren Thatsache. Hatte er gestern Christo auf's bloße Wort hin geglaubt, jetzt glaubte er Ihm auch aus eigener Erfahrung. Hatte er in Cana geglaubt, er glaubte nun auch in Kapernaum. Hatte er anfänglich nur leibliche Hülfe bei Jesu gesucht, er hatte nun auch geistliche Hülfe gefunden; die leibliche Rettung des Sohnes war zugleich die Wiedergeburt des Vaters geworden, und diese Wiedergeburt war die größte und herrlichste Hülfe, die ihm widerfahren konnte, und ohne welche die leibliche Hülfe eher schädlich als nützlich war. Hatte er allein geglaubt, er glaubte nun mit seinem ganzen Hause, und war nicht nur ein dankbarer, sondern auch ein frommer Hausvater, der die Seinen ebenfalls zu Christo hinführte und sein Haus in eine Kirche Gottes umwandelte. Früher war wohl manchmal auch in der Unterhaltung dieses Hauses von Christo gesprochen worden, der zu Cana. und Jerusalem so große Dinge gethan habe; aber mit der Innigkeit, Dankbarkeit, Hingebung, Begeisterung, wie jetzt, hatte man nie von Ihm gesprochen; es war ein ganz neues, inniges Herzensverhältniß zum Herrn entstanden. Mit 'Begierde wurde jeder neue Zug von Ihm entgegen genommen, und als Jesus bald darauf vollends nach Kapernaum zog und Seine Wohnung daselbst aufschlug, hat Er gewiß oft dieses Haus mit Seiner Gegenwart beglückt und ist von sämmtlichen Mitgliedern desselben mit offenen Armen aufgenommen worden. Und es waren selige Stunden, wenn man an die Thatsache unseres Textes zurückdachte. Das anfänglich scheinbare Unglück war zuletzt das größte Glück des Hauses geworden, der drohende Verlust war zum reichsten Gewinn umgeschlagen, die leibliche Krankheit des einen Gliedes hatte eine allgemeine Seelengesundheit herbeigeführt, der einbrechende Tod war dem Leben gewichen. Wie ganz anders sah diese Führung vom Anfang, wie ganz anders vom Ende aus!

Möchte auch uns dies Doppelglück des Königischen beschert sein, daß wir einmal durch immer genaueres Achten auf die Spuren der göttlichen Regierung immer mehr Nahrung und Stärkung für unfern Glauben gewinnen, daß wir dann aber auch an den Herrn glauben können mit unserem ganzen Hause! Es geht ja nicht eine Stunde vorbei, wo Gott uns nicht eine Wohlthat erzeigt, und wir nicht Wunder der Treue und Barmherzigkeit von Ihm erfahren. Aber die meisten und größten Werke Gottes bleiben uns verborgen, theils weil wir sie nicht unserer näheren Betrachtung und Erforschung würdigen, theils weil wir überklugen Leute Alles, nur nicht Gott den Herrn, hinter den Begebenheiten des Tages suchen und sehen wollen. Darum nimmt der Glaube so sehr ab, der Unglaube zu. Weder etwas Teuflisches, noch etwas Göttliches wollen die Menschen mehr haben, sie wollen allein in dieser Welt Meister sein, allein die Götter, die Raum und Zeit beherrschen, und arten darum zuletzt in lauter Teufel aus und machen sich durch alle ihre Künste immer nur unglücklicher und elender. Aber groß sind die Werke des Herrn; wer ihrer achtet, hat eitel Lust daran. Und nichts Seligeres gibt es, als diese Lust, nichts Stärkenderes, als die Bewunderung der göttlichen Wege und Führungen. Wo sie Raum gewinnt, da verstummen die Klagen, da wohnt Zufriedenheit im Herzen, Liebe im Hause, Glück im Leben, Trost im Leiden, Freudigkeit im Tode; da singt man einmal über das andere: „So führst Du doch recht selig, Herr, die Deinen, ja selig und doch meistens wunderlich! Wie könntest Du es böse mit uns meinen, da Deine Treu nicht kann verläugnen sich? Die Wege sind oft krumm, und doch gerad', darauf Du läß'st die Kinder zu Dir gehn; da pflegt es wunderseltsam auszusehn; doch triumphiert zuletzt Dein hoher Rath,“ und je öfter man so singt, desto mehr hat man den Himmel aus Erden. - Möchte es uns dann aber auch bescheert werden, daß es von uns heißt: Er glaubte an Ihn mit seinem ganzen Hause! Nicht gar oft kommt dies Zeugniß in der Schrift vor. Nicht oft begegnet uns diese Erfahrung im Leben. Oefter vielmehr geschieht es, daß, wenn der Herr in ein Haus eintritt, ein Glied der Familie Ihn aufnimmt, das andere Ihn verwirft, daß der Vater wider den Sohn und der Sohn wider den Vater ist. Kann Er aber Besitz nehmen von einem ganzen Hause, dann macht Er das Haus zu einem Lusthause Gottes, wo Er selbst als Hausvater und Hausherr das Regiment führt und Alles leitet und ordnet. Was Er spricht, das geschieht. Wie Er es einrichtet, so gilt es als Regel und Richtschnur und süße Gewohnheit. Wohin Er führt, dahin gehen Alle mit. Wort, Arbeit, Erholung, Gebet, Wandel, Alles ist gesegnet. Die Gatten lieben einander in dem Herrn und beten für- und miteinander um Seinen Segen. Die Eltern erziehen ihre Kinder nicht für die Welt und die Eitelkeit, sondern zu Gottesfurcht und Menschenliebe und sehen in ihnen, wie in einem Spiegel, ihr Ebenbild wieder. Die Herrschaften lassen dem Gesinde Zeit und Muße, den Gottesdienst abzuwarten, und geben ihnen Anleitung, nicht nur zum Arbeiten, sondern auch zum Beten. Die Lebenslosung des Hausvaters und aller Familienglieder ist die des Josua: „Ich und mein Haus wir wollen dem Herrn dienen!“ und wenn er auf dem Sterbebette liegt, kann er sagen: „Herr, hier bin ich und hier sind die, die Du mir gegeben hast.“

Wohl einem Haus, da Jesus Christ
Allein das All' in Allem ist!
Ja, wenn Er nicht darinnen wir',
Wie elend wär's, wie arm und leer!

Wohl, wenn sich Mann und Weib und Kind
In Einem Glaubenssinn verbind't,
Zu dienen ihrem Herrn und Gott
Nach Seinem Willen und Gebot!

Wohl solchem Haus', denn es gedeiht;
Die Eltern werden hoch erfreut,
Und ihren Kindern sieht's man an,
Wie Gott die Seinen segnen kann.

So machet denn zu dieser Stund
Mit euerm Hause diesen Bund:
Wenn alles Volk vom Herrn abwich',
Doch dienen wir Ihm ewiglich.

Amen.

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