Arndt, Friedrich - Das christliche Leben - Dreizehnte Predigt

Arndt, Friedrich - Das christliche Leben - Dreizehnte Predigt

Der Tod.

Text: Ap. Gesch. VII, V. 55-59. VIII, 2.

Als Stephanus aber voll heiligen Geistes war, sahe er auf gen Himmel, und sahe die Herrlichkeit Gottes, und Jesum stehen zur Rechten Gottes, und sprach: Siehe, ich sehe den Himmel offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen. Sie schrieen aber laut und hielten ihre Ohren zu und stürmten einmüthiglich zu ihm ein, stießen ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Und die Zeugen legten ab ihre Kleider zu den Füßen eines Jünglings, der hieß Saulus; und steinigten Stephanum, der anrief und sprach: Herr Jesu, nimm meinen Geist auf! Er knieete aber nieder und schrie laut: Herr, behalte ihnen diese Sünde nicht. Und als er das gesaget, entschlief er. Es beschickten aber Stephanum gottesfürchtige Männer, und hielten eine große Klage über ihn.

So ständen wir denn am Ende unserer Trinitatisbetrachtungen, Geliebte! Nachdem wir des Christen Geburt, Taufe, Erziehung und Confirmation, dann die Gnadenstunden im Leben, die Tage der ersten Liebe, die Durchgangspunkte und Hauptoffenbarungsweisen des Glaubens, darauf das häusliche, bürgerliche und kirchliche Leben, und endlich die Schicksale desselben und das Alter betrachtet, bleibt nur noch der Tod ins Auge zu fassen übrig. Es ist überdies heute das Todtenfest, das Fest zum Gedächtniß unserer Verstorbenen, was uns an diese heilige Stätte gerufen hat. Wohin wir also schauen, überall werden unsere andächtigen Blicke auf den Lebensausgang und Lebensschluß hingerichtet. - Vergleichen wir nun das Ende mit dem Anfang, den Tod mit der Geburt, so ergiebt sich die allgemeine Erfahrung, daß bei der Geburt das neugeborne Kind weint und die Umstehenden sich freuen, beim Tode hingegen der Sterbende jauchzt und die Hinterbliebenen klagen. Auch die verlesenen Textesworte bestätigen diese Erfahrung. Stephanus sahe sterbend den Himmel offen und Jesum zur Rechten Gottes stehen, die ihn aber nach seinem Tode beschickten, hielten eine große Klage über ihn. So laßt uns denn von dieser Seite den Tod zum Gegenstande unseres Nachdenkens machen, daß wir uns vorhalten, wie er betrachtet wird, 1) von dem Sterbenden, und 2) von den Lebenden.

I.

Das ist klar, theure Gemeinde, wenn irgend ein Lebensereigniß zunächst und dem natürlichen Menschen ausschließlich in seiner Schatten- und Nachtseite sich darstellt: so ist es der Tod: die Schrift nennt ihn die Strafe und den Sold der Sünde, und stellt ihn in einen so engen Zusammenhang mit derselben, wie nur Wirkung und Ursach, Grund und Folge gestellt werden kann. Sie erzählt uns vom Garten Eden, wie neben dem Baume des Lebens der Baum der Erkenntniß Gutes und Böses gestanden, wie Gott der Herr den ersten Menschen von allen Bäumen zu essen erlaubt, vom Baume des Erkenntnisses aber sehr bestimmt geboten hatte: du sollst nicht davon essen, denn welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben,„ (1 Mose 2, 17.) und wie, als dennoch Adam und Eva nach der verbotenen Frucht die Hände ausgestreckt, Gott den Fluch über sie ausgesprochen: „Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brod essen, bis daß du wieder zur Erden werdest, davon du genommen bist, denn du bist Erde und sollst zur Erde werden.“ (1 Mose 3, 19.) Dann fährt sie fort: „Durch Einen Menschen ist die Sünde kommen in die Welt und der Tod durch die Sünde, und ist also der Tod zu Allen durchgedrungen, dieweil sie Alle gesündigt haben.“ (Röm. 5, 12.) Der Stachel des Todes ist die Sünde. (1 Cor. 15, 56.) Wie unsere Kinder Fleisch und Blut haben, ist Er's gleichermaßen theilhaftig worden, auf daß er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der unseres Todes Gewalt hatte, das ist, dem Teufel, und erlösete die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mußten.“ (Hebr. 2, 14. 15.) Wäre keine Sünde in der Welt, es gäbe auch keinen Tod! Darum ist das Erste, was jede Natur ergreift beim Gedanken an den Tod, Schrecken und Angst; er ist der König des Schreckens; er ist der letzte Feind, der aufgehoben werden muß; er ist der unerbittliche Tyrann, der alles Lebens, aller Gesundheit aller Herrlichkeit, aller- Freude und Kraft spottet, und der mit seinem düstern Gefolge, mit seinen schwarzen Farben, mit den Verwüstungen, die er anrichtet, den Verlusten, die er verursacht, den Wunden, die er schlägt, den Thränen und Seufzern, die er auspreßt, den Verwirrungen und Nöthen, die er zurückläßt, allgemein ein Gegenstand des Grauens und der Furcht geworden ist. Angeboren ist jedem Wesen, selbst dem Wurme im Staube, die Lust zum Leben: er macht dieser Lust ein Ende, und alles Sträuben, alles Bitten, alle Gewalt und List hilft nichts; wem er winkt, der muß ihm folgen, ohnmächtig weicht jede andere Kraft und Gewalt vor der seinigen zurück. Die mächtigsten Beherrscher der Erde stößt er vom Thron und reißt ihnen den Scepter aus der Hand; die mit den kühnsten Plänen und Entwürfen, mit Luftschlössern und Traumgebilden sich trugen und unerschöpflich waren in der Verfolgung ihrer selbstsüchtigen Absichten: Ein Hauch des Todesfürsten, und sie liegen Staub bei Staube, und die sonst zu ihren Füßen saßen, zertreten jetzt ihre Gräber und ihre Gebeine. Wie still ist's doch um eine Leiche, Geliebte, und wer kann's lange aushalten da, wo das Leben geflohen ist und kalt und empfindungslos, starr und stumm ein Gestorbener daliegt! Wer fühlt da nicht mit innerm Graus die Alles bezwingende, Allem Hohn bietende, Alles zermalmende Macht dessen, der stärker ist als die Starken und bei dessen Anblick alle Lebenden erblassen! Und wer kann sie zählen, die Schmerzen und Beängstigungen alle, die Wochen, Monate, mitunter Jahre langen Krankheitszeiten, die furchtbaren Kämpfe und Krämpfe, die kalten Schweiße, welche meistentheils dem Tode vorangehen und sein Erscheinen vorbereiten! Ist es doch, als klammerte sich unmittelbar zuvor noch jede Kraft des irdischen Leibes an die fliehende Seele an, gleichsam um sie festzuhalten. Und wer kann sie beschreiben, die entsetzliche Zerstörung, welche auf den Tod folgt: ein Paar Tage, oft nur ein Paar Stunden, und die geliebte Leiche ist nicht mehr zu erkennen, ihre Züge sind gräßlich entstellt, man flieht ihre Nähe, und indeß die Menschen sich zurückziehen, wird sie eine Speise der Würmer und eine Beute der Verwesung. Schauervoll ragen unter unsern fruchtbarsten Gefilden die Felder des Todes und der Verwesung heraus. - Damit aber des Grauens und Bangens kein Ende sei, hat der Herr des Lebens und des Todes die letzte Stunde in ein Dunkel der Ungewißheit gehüllt, daß kaum begreiflich ist, wie so Viele leben können, als glaubten sie, daß sie nie sterben würden, oder als ob das Leben auch nur für eine Minute Sicherheit darböte, während doch jenes schwarze Thor, hinter welchem von Jahren und Zeit überhaupt keine Rede mehr ist, uns Allen jeden Augenblick offen sieht. Gesetzt aber auch, das Alles griffe nicht erschütternd in die tiefsten Seiten und Nerven unseres Gemüths ein: muß es nicht der Gedanke an das Schicksal, was nach dem Tode uns bevorsteht? Der Tod ist der Weg aus der Welt, ein Weg, der hinauf in den Himmel führt oder hinunter in die Hölle. Wohin wird er dich führen? Du meinst, in den Himmel; aber weißt du's gewiß? ganz gewiß? Wenn jetzt diese Mauern über dich zusammenstürzten, wenn die Deinigen kämen, dich zu suchen, und du wärest nicht mehr da, wenn plötzlich unter uns der Todesengel erschiene und dir die Bothschaft brächte: noch drei Minuten, und du mußt folgen: wüßtest du's gewiß, daß du selig würdest, und es nur an Einen Ort mit dir ginge, an den Ort der Verklärten? Gestehe, auch der Ruhigste und Tapferste kann bei der Frage eines geheimen, angstvollen und verlegenen Bebens sich nicht erwehren. Es ist möglich, daß der Leichtsinn eine Zeitlang uns abhält, uns mit dem Todesgedanken zu beschäftigen und vertraut zu machen: der Leichtsinn ist nur ein flüchtiger Rausch, der bald schwindet, zuletzt kehrt die bange Furcht wieder ein. Es ist möglich, daß in der Noth des Lebens, wenn die Wasser uns bis an die Seele gehen, wenn Welle auf Welle sich thürmt und des Lebens Last uns gar zu schwer drückt, der Wunsch uns ergreift: „käme er doch bald, mich heimzuholen, der Todesengel,“ und du in ihm den Erlöser von aller Qual erwartest: kommt er nur selbst in deine Nähe, seine kalte Hand ausstreckend nach irgend Einem unter denen, mit welchen dich die Bande des Bluts und der Freundschaft verbinden, wie wünschest du dann den geträumten Erretter wieder fern, wie drückst du mit tieferem Gefühl alle Lieben an dein Herz, wie dankst du Gott für ihre Erhaltung, wie bangt dir vor der Stunde, wo du von ihnen scheiden sollst. Es ist möglich, daß in Tagen der Begeisterung und des Kampfes für eine gerechte Sache dich ein hoher Muth durchglüht, in den Tod zu eilen und die Gefahr zu verachten: naht sich derselbe langsam, schleicht sich der siechende Schmerz durch die Glieder, dringt das verzehrende Wehe an das Herz, wie schwindet da jener Muth und wie furchtbar erscheinen, des Todes Schrecken! Kurz, es bleibt dabei, für jeden natürlichen Menschen ist der Gedanke an die Todesstunde nicht nur ein ernster, sondern auch ein entsetzlicher Gedanke; denn er ist mit Allem, was ihm vorangeht und folgt, eine Strafe für unsere Sünde.

Für den Christen aber, der da weiß: meine Sünde ist mir vergeben, ich bin gerecht geworden durch den Glauben an Jesum Christum und habe nun Friede mit Gott und Zugang zu seiner Gnade durch ihn, und es ist hinfort nichts Verdammliches mehr an denen, die in Christo Jesu sind, (Rom. 5, 1. 2. 8, 1.) hat auch der Tod, wie die Sünde, seine Schrecken verloren; er ist ihm keine Strafe mehr, sondern hat sich in eine Wohlthat verwandelt. Die Bibel sagt: „Christus hat dem Tode die Macht genommen und Leben und unvergängliches Wesen an das Licht gebracht. (2 Tim. 1,10.) Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn. (Phil, 1, 21.) Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unsern Herrn Jesum Christum.“ 1 Cor. 15, 58.) Simeon betet: „Herr, nun lassest Du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“ (Luc. 2, 29.) und im Texte sieht Stephanus auf gen Himmel und sieht die Herrlichkeit Gottes und Jesum stehen zur Rechten Gottes. Herrliche Verwandlung! Aufgehoben und vernichtet ist durch Christum der Tod allerdings nicht, auch die Christen müssen sterben, denn es ist einmal dem Menschen gesetzt zu sterben und danach das Gericht: sehet, auch ein Stephanus stirbt; - aber seinen düstern, schreckenvollen Anblick hat der Tod verloren, er ist ein Bote des Friedens, ein sanfter Schlaf, ein leiser Uebergang in eine bessere Welt geworden: Stephanus betet sehnsuchtsvoll verlangend: „Herr Jesu, nimm meinen Geist auf.“ Die Kämpfe und Schmerzen, welche der letzten Stunde im Laufe der Natur vorangehen, so wie die Verwesungen und Verwüstungen, welche ihr folgen, sind geblieben: sehet, Stephanus stirbt sogar den Märtyrertod und es heißt von seinen Feinden: „Sie schrieen aber laut und hielten ihre Ohren zu und stürmten einmüthiglich zu ihm ein, stießen ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn;“ - aber der Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet, Liebe ist stärker als der Tod, und der Geist siegt über das Fleisch: Stephanus betet voll Liebe und Mitleid: „Herr, behalte ihnen diese Sünde nicht.“ Die Ungewißheit, welche die treue Begleiterin des Lebensendes ist, Christus hat sie stehen gelassen: sehet, Stephanus ahnte wohl nicht, daß ihm das Ende so nahe wäre, als er zur Vertheidigung und Rechtfertigung vor dem hohen Rache stand; - aber neben der Ungewißheit der Todesstunde geht die Gewißheit der ewigen Seligkeit, zu welcher der Tod führt, Hand in Hand, Stephanus spricht: „siehe, ich sehe den Himmel offen, und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen.“ O welche selige Zukunft öffnet da der sonst so allgemein gefürchtete und geflohene Engel des Todes! Wo er erscheint, es sei in welcher Gestellt und Umgebung, an welchem Orte und zu welcher Zeit es wolle, wo er erscheint dem Christenherzen, da wird's allemal besser! Die Thränen werden abgewischt von den Augen, die Sorgen, Anfechtungen, Beschwerden, Kränkungen, Leiden der Erde erreichen ihr Ziel, die Plagen und Beängstigungen aller Art, welche hienieden das arme Herz folterten, schweigen still, und es ist kein Schmerz mehr, noch leid, noch Geschrei, das Alte ist vergangen, siehe, es ist Alles neu geworden. Auf die Nacht folgt ein endloser Tag, auf die Enge eine Weite ohne Schranken, auf den Zustand der Knechtschaft die herrliche Freiheit der Kinder Gottes, und aus der kalten Fremde geht die Seele in die Heimath ein. Mit der Noth hört zugleich die Sünde auf und wird ausgerottet mit Stamm und Zweigen und Wurzeln: selbst die Möglichkeit zu sündigen fällt weg, und wie der Leib frei ist von Krankheiten und Schwachheiten, himmlisch, unsterblich, unvergänglich: so ist auch die Seele vollkommen an Erkenntniß und Licht, im Vollgenuß alles dessen, wonach sie hier durstete und seufzete. Die Bücher der Natur, der Weltregierung, der erbarmenden Liebe find ihr geöffnet; die Thore zum himmlischen Jerusalem mit den Mauern von Edelstein und dm Gassen von Gold sind aus einander geschlagen; die Seele sieht vor dem Angesichte des Herrn im Genuß seines Friedens und seiner beseligenden Nähe, und stimmt ein in das Halleluja der Engel und Erzengel vor Gottes Thron und aller Millionen und ungezählten Schaaren der durch das Blut des Sohnes Gottes und durch den Geist entsündigten, geheiligten und beseligten Gerechten. Wahrlich, das Loos ist dem Christen gefallen aufs lieblichste, und ihm ist ein schön Erbtheil worden! Sein Leben war herrlich, sein Tod ist noch herrlicher. Von Hoffnung zu Hoffnung, von Gnade zu Gnade steigt er empor, und immer wachsenderen Freuden und Seligkeiten geht er entgegen. Der Tod nimmt ihm nichts und kann ihm nichts nehmen, weil er Alles bereits seinem Herrn geopfert hat und sein Herz an nichts Geschaffnem mehr hängt: er kann ihm nur geben, und was er ihm giebt, ist überschwänglich. Damm darf er sich freuen auf seinen Tod, wie auf den größten Wohlthäter und den engsten Busenfreund, und sich darnach sehnen, als widerführe ihm die lieblichste aller Erfahrungen. Der Tod ist ihm kein Verlust mehr, sondern ein Gewinn; das Grab keine Stätte der Verwesung, sondern ein Vorhof des ewigen Lebens; der Leichenstein kein Wimpel versunkener Schiffe, sondern eine aufgepflanzte Siegesfahne, und wer ihn sterben sieht, kann sich ordentlich von der Lust angewandelt fühlen, mit ihm zu sterben und Himmelfahrt zu halten. Sehet, Geliebte, da liegt der Jünger des Herrn in seinem Allerletzten; was die Seinen mit bangen Besorgnissen erfüllt, was die Ungläubigen in Verzweiflung stürzt, die Zeichen der herannahenden Auflösung, der Kampf der letzten Kraft, das Stocken des Bluts, das Unterbrechen des Athems, das Absterben der äußersten Theile, das durchdringt ihn mit frohen, himmlischen Hoffnungen. Ich weiß, daß mein Erlöser lebt! jauchzt er. Vielleicht stirbt er einsam, denn die Seinen sind ihm längst vorangegangen oder weit von ihm getrennt, kein Sohn weint an seiner erkaltenden Hand, keine Tochter begehrt seinen Segen, kein Geistlicher spricht ihm Worte des Trostes ein; einsam stirbt er den schrecklichen Tod. Euch rührt es, Geliebte? Ach, er fühlt nicht„ daß er einsam ist, denn mit den brechenden Augen sieht er den Himmel offen, und den Herrn Jesum zur Rechten des Vaters, und Engel Gottes um sein Bette stehen. Er erkennt und unterscheidet nichts Irdisches mehr, die Sinne entschwinden ihm; aber, die Gedanken auf das Kreuz seines Versöhners gerichtet, spricht er: „das ist je gewißlich wahr: sterben wir mit, so werden wir mit leben.“ (2 Tim. 2, 11.) Der sterbende Leib arbeitet in den Krämpfen des Todes,- es bricht das Auge, es sieht der Athem still, es zuckt und zieht sich beim Todesstöße das Gebein, da liegt die blasse, kalte Leiche; aber auf den Zügen des Heimgegangenen ruht der Friede himmlischer Vollendung, und seine Seele steht vor Gott und trägt den Lohn ihres Glaubens davon, der Seelen Seligkeit.

Seliges, beneidenswerthes Ende des Gerechten! Könnte unser Geburtstag wohl noch ein Geburtsfesttag sein und das Leben überhaupt noch Reiz und Werth haben, wenn nicht ein Todestag wäre? Möge unsere Seele einst sterben solch eines Todes und unser Ausgang aus dieser Welt uns der Eingang sein in die Freuden des Paradieses!

Wenn ich einmal soll scheiden,
So scheide nicht von mir;
Wenn ich den Tod soll leiden,
So tritt Du dann herfür;
Wenn mir am allerbangsten
Wird um das Herze sein.
So reiß mich aus den Aengsten
Kraft deiner Angst und Pein.

Erscheine mir zum Schilde,
Zum Trost in meinem Tod;
Und laß mich seh n Dein Bilde
In Deiner Kreuzesnoth;
Da will ich nach Dir blicken.
Da will ich glaubensvoll
Dich an mein Herz fest drücken.
Wer so stirbt, der stirbt wohl!

II.

Doch es ist Zeit, daß wir auch die andere Seite ins Auge fassen. Für den Christen ist der Tod allezeit ein willkommnes Ereigniß, für seine Umgebung aber ein Gegenstand der Trauer und der Klage; er freut sich, sie aber weinen; er gewinnt, sie aber verlieren; er begeht den seligsten Tausch, sie empfinden nichts als Leere und Oede. Als Stephanus gestorben war, heißt es: „Es beschickten (beerdigten) aber Stephanum gottesfürchtige Männer und hielten eine große Klage über ihn. Zwar hatten sie Grund genug, sich zu trösten: sie hatten ihn ja lange genug bei sich gehabt und seines glaubenstärkenden Umgangs genießen können, und die Erinnerung an jene selige Vergangenheit mußte erhebend und beruhigend wirken auf. alle folgenden Jahre der Kirche, denn das Andenken der Gerechten bleibt im Segen; sie waren Zeugen gewesen seines schönen Todes, seiner Ergebung, seines Glaubensmuthes, seiner fürbittenden Liebe, seiner herzbewegenden Aeußerungen; sie wußten, wo sie fortan ihn zu suchen und zu finden hatten, und daß er selig gestorben und beim Herrn war allezeit, und durften nicht trauern wie die, so keine Hoffnung haben; ihre Gemeinschaft mit ihm war durch den Tod keinesweges zerrissen, sie war für die Ewigkeit geschlossen, und mußte ja wohl die armen Schranken der Zeit überdauern; auch war ja immer der Herr ihnen noch geblieben, der beste und treuste Freund, der nimmer stirbt und der durch Stephanus Austritt nichts anders bezweckte, als sie nur noch enger an sich zu fesseln und von allem Irdischen los mit dem Himmel allein in Verbindung zu setzen; ja, sie sollten in kurzem erfahren, daß kein Mensch, auch der begabteste und kräftigste nicht, unentbehrlich sei, denn bei Stephanus Steinigung legten die Zeugen ihre Kleider nieder zu den Füßen eines Jünglings, der hieß Saulus (V. 57.); noch hatte er Wohlgefallen an des Blutzeugen Tode, aber vom Herrn war er bereits auserkoren zum Rüstzeuge, seinen Namen zu tragen vor die Heiden und vor die Könige und vor die Kinder von Israel (9, 17.), und bald bekannte er viel feuriger und siegreicher noch als Stephanus Christum, daß derselbige Gottes Sohn sei: - also um Trost durfte ihnen nicht bange sein, sie hatten dessen genug; aber dennoch that es ihrem Herzen wehe, eines solchen Zeugen der Wahrheit beraubt zu sein, und sie fühlten es in tiefer Bewegung: Nicht alle Tage wird uns ein Stephanus geboren. Darum hielten sie, als sie ihn beschickten, eine große Klage über ihn.

Gingen doch auch Jesu die Augen über, als er an Lazarus Grabe stand: wie sollten wir nicht trauern beim Heimgange unserer Lieben und den Verlust fühlen, den wir durch ihren Tod erlitten haben? Mancherlei fordert auf zur Trauer: zunächst schon das Bewußtsein und die Gewißheit: wir haben sie verloren, sie waren einst unser, jetzt sind sie es nicht mehr, und die seligen Stunden der Gemeinschaft mit ihnen kommen uns für diese Welt nimmer wieder. Dieses Gefühl der Trauer ist ein allgemeines Gefühl, und selbst diejenigen, die unmittelbar nach dem Tode Ruhe und Kaltblütigkeit beweisen, wartet nur einige Wochen, und der Schmerz macht sich auch bei ihnen geltend, und sie müssen's oft nachher um so empfindlicher erfahren, daß kein Mensch sich dem Eindruck des Schmerzes gänzlich entziehen kann. Und habt ihr nicht Alle dasselbe erfahren, die ihr im Laufe dieses an Todesfällen so reichen Jahres theure Angehörige ins Grab gesenkt habt, und statt der lebensfrohen und lieben Gestalt eine kalte, stumme Leiche vor euch sähet und nun den Ort öde und leer fandet, wo sie geweilt, und einsam und verlassen umherwanken mußtet, während sonst ihre Liebe euch erquickte und wohlthat. Ach, mit ihrem Tode war euch ja die Hälfte eures Lebens genommen, und wenn euch sonst auch Alles blieb, alle eure Freuden und Schätze und die Genüsse der Natur und der Freundschaft nach wie vor, sie fehlten doch überall, und vergällt waren fortan für euch alle Herrlichkeiten und Genüsse der Erde, es gab für euch eigentlich keinen Genuß und keine Freude mehr. Mit dem Tode derer, welche sonst mit euch immer Freude und Schmerz theilten, und in deren Umgang jede Freude doppelte Freude, jeder Schmerz nur halber Schmerz wurde, hat die ganze Welt für euch ihre Reize verloren. Seitdem ist euer Sehnen mehr hinaufgerichtet gen Himmel, der durch den Besitz der Eurigen euch nun viel lieber und heimathlicher geworden ist. Dort suchet ihr sie, wenn sie euch fehlen; dort pflanzet ihr die Gemeinschaft mit ihnen fort und fühlet euch wohl, so oft ihre Entbehrung hienieden euch schwer fällt; dort, wißt ihr, kommen sie euch frohlockend entgegen, wenn auch eure Zeit auf Erden wird erfüllt und die Stunde der Erlösung herbeigekommen sein. Aber wie lange kann's noch währen, bis diese Stunde kommt! Wie viel Berge werden da vielleicht noch zu überschreiten, wie viel Stürme zu bestehen, wie viel Kämpfe auszuhalten, wie viel Nächte zu durchwachen, wie viel Seufzer loszuseufzen sein, bis es heißen wird: „Es ist genug! Siehe, ich komme, und gebe dir wieder, was du verloren hast; sei getrost, die Stunde deines Abschiedes ist vorhanden.“ Zwischen jenen Erinnerungen an das, was ihr ehemals hattet, und diesen Hoffnungen auf das, was euch einst bevorstehn wird, liegt vielleicht eine lange, düstere Gegenwart in der Mitte, und es ist wohl mehr als natürlich, daß ihr da oft in Wehmuths- und Sehnsuchtsgefühlen die lange Zeit ausfüllet; es wäre unnatürlich, ja unmenschlich, wenn ihr gleichgültig, trocken, kalt, empfindungslos bleiben könntet. Trauerten schon die Aeltesten von Ephesus zu Milet viel, als Paulus von ihnen Abschied nahm, und ihnen sagte, sie würden sein Angesicht nicht mehr sehen (Ap. Gesch. 20,36-38): wie viel mehr ist die Trauer verzeihlich, wenn die wirkliche Trennung durch den Tod erfolgt und die Herzen mit Gewalt aus einander gerissen werden! Das Christenthum unterdrückt nicht den Schmerz; aber es lindert, heiligt, verklärt, heilt ihn. Weinet denn immerhin über eure Vollendeten und schämet euch eurer Thränen nicht; aber weinet nicht wie die, die keine Hoffnung haben; weinet, als weintet ihr nicht: dann wird der Gott des Trostes und des Friedens mit euch sein.

Geliebte! Wir sind nun zu Ende mit unsern Betrachtungen über das christliche Leben; es wird eine Stunde kommen, wo wir zu Ende sein werden mit dem Leben selbst. Gebe Gott, daß wir dann einen guten Schluß machen; denn Ende gut, Alles gut! Damit dies aber der Fall sei, laßt uns mit dem Apostel täglich sterben; wer da stirbt, ehe er stirbt, der stirbt nicht, wenn er stirbt; laßt uns allezeit bedenken, daß wir hier unten nur Fremdlinge und Gäste sind, die keine bleibende Stätte haben, sondern die zukünftige suchen; damit wir das Herz nimmer hängen an die Schattenbilder und Tändeleien der Welt, sondern es machen, wie jener andächtige Pilgrimm, der nach Jerusalem pilgerte und bei Allem, was er unterweges sah und bewunderte, immer das Gefühl hatte: „das ist nicht Jerusalem! das ist nicht Jerusalem!“ Hier unten ist nicht Jerusalem, und wir dürfen nicht sprechen: Herr, hier ist gut sein, hier wollen wir Hütten bauen; droben erst ist die wahre Gottesstadt, die freie, und die ist unser Aller Mutter. Hier unten ist Alles, was wir sehen und erfahren, Schatten und Traum, auch die Trübsale des Lebens, auch die Schmerzensstunden, sind nur Schattenbilder; droben erst ist das Wesen und die Wirklichkeit. Hier schiffen wir nur immer fort durch Stürme und Wellen, und über Klippen, Sandbänke und Untiefen ohne Zahl; droben erst landen wir im Hafen der ewigen Ruhe. Heil uns! Es ist noch eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes“ ein Leben ohne Störung, ohne Kampf, ohne Ende: nach diesem Leben zu trachten und seiner gewiß zu werden, sei unser Streben und Leben hienieden, dann wird es einst unser Besitzthum und Genuß jenseits sein.

Herr, hilf uns leben, als sollten wir täglich sterben, dann werden wir einst sterben, als ginge es zum ewigen Leben. Und es geht zum ewigen Leben! Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/a/arndt_f/das_christliche_leben/arndt-dcl-dreizehnte_predigt.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain