Arndt, Johann Friedrich Wilhelm - 22. Predigt.

Arndt, Johann Friedrich Wilhelm - 22. Predigt.

Text: Matth. VI., V. 16-18.

Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer sehen, wie die Heuchler; denn sie verstellen ihre Angesichter, auf daß sie vor den Leuten scheinen mit ihrem Fasten. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn dahin. Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt, und wasche dein Angesicht, auf daß du nicht scheinest vor den Leiten mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, welcher verborgen ist; und dein Vater, der in das Verborgene siehet, wird dir’s vergelten öffentlich.

Das sind Worte, Geliebte, welche einen Gegenstand berühren, über den selten in der evangelischen Kirche gepredigt wird, über den die meisten unter uns wahrscheinlich nie in ihrem Leben einen öffentlichen Vortrag gehört haben, und nach welchem noch weniger gehandelt und gelebt wird in der Christenheit. Und doch spricht diese Worte der Herr aus; derselbe Herr, welcher kurz vorher auf ganz gleiche Weise vom Almosen und vom Gebet gesprochen, und durch die Art, wie Er davon spricht, es in ganz gleiche Stellung zu den beiden genannten gottesdienstlichen Uebungen setzt. Es ist also keine Frage: diese Worte, weil sie Seine Worte sind, haben für uns und müssen für uns haben eine ebenso große Wichtigkeit, wie Seine Vorschriften über Almosen und Gebet. Dreierlei aber lehrt Er über das Fasten: 1) es ist an sich etwas Gutes; 2) es wird nur schlecht durch die Behandlungsart der Menschen; 3) es soll daher diese verkehrte Art des Fastens geheiligt werden im Christenthum.

I.

Jesus beginnt Seine Auseinandersetzung mit dem Vordersatze: Wenn du fastest, gerade auf dieselbe Weise, wie Er kurz zuvor Seine Vorschriften über Almosen und Gebet begonnen hatte mit den Worten: Wenn du Almosen giebst, wenn du betest. Er setzt das Fasten also als etwas nicht minder Gutes, wie Gebet und Almosen, voraus, will es nicht abgestellt, sondern nur veredelt und geheiligt wissen.

In allen alten und neuen Religionen nahm das Fasten eine höchst bedeutende Stelle ein, und es wäre gewiß nie aufgekommen, wenn es keinen Werth gehabt hätte zur Erhöhung und Befestigung des geistlichen Lebens. Auch Israel fastete, regelmäßig wenigstens an einem Tage des Jahres, am großen Versöhnungstage, und enthielt sich an demselben alles Genusses von Speisen und Getränken bis an den Abend, um desto ausschließlicher und ungestörter sein Seelenheil zu bedenken vor dem Herrn; denn Gott hatte ausdrücklich geboten: „An diesem Tage sollt ihr euren Leib casteien und fasten.“ (3. Mose 23,27.) Dieses Fasten sollte ein äußeres Zeichen ihrer innern Herzensbuße, ihres Schmerzes und ihrer Traurigkeit über ihren Abfall von Gott, eine Verstärkung ihrer Demüthigung, und ein Mittel sein, ernstlicher an ihrer Erneuerung und Besserung zu arbeiten. Der Prophet Joel ermahnte Israel ausdrücklich: „So spricht der Herr. Bekehret euch zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, mit Weinen und Klagen!“ (2,12.) und von David (2. Sam. 1,12. 12,16-23. Ps. 35,13.), von Daniel (9,3), von Esra (8,23.), von Nehemia (1,4. 9,1.) wissen wir es bestimmt, daß sie zu gewissen Zeiten ihres Lebens das Fasten geübt haben. – Auch Jesus Christus, unser Herr, fastete. Als Er nach der Taufe vor dem Beginn Seines prophetischen Amtes sich in die Wüste Quarantania zurückzog, fastete Er vierzig Tage und vierzig Nächte. Als die Jünger Johannis sich bei Ihm beschwerten, daß Seine Jünger nicht fasteten, antwortete Er ihnen: „Wie können die Hochzeitleute Leide tragen, so lange der Bräutigam bei ihnen ist? Es wird aber die Zeit kommen, daß der Bräutigam von ihnen genommen wird; alsdann werden sie fasten.“ (Matth. 9,15.) Als Seine Jünger Ihm einen Mondsüchtigen zuführten, dem sie nicht hatten helfen können, sprach Er zu ihnen: „Diese Art fährt nicht aus, denn durch Beten und Fasten.“ (17., 20.21.) – Wie Er, so fasteten auch Seine Apostel. Als Paulus in Damascus Buße that darüber, daß er den Herrn verfolgt hatte, aß er nichts und trank er nichts drei Tage hintereinander. (Ag. Gesch. 9,9.) Als er in Antiochien mit Barnabas ausgesondert wurde, unter die Heiden zu gehen mit der Botschaft des Evangeliums, fasteten sie und beteten. (13,23.) Als sie in den neu gestifteten Gemeinden hin und her Aelteste ordneten, hieß es: „sie beteten, und fasteten, und befahlen sie dem Herrn, an den sie gläubig worden waren.“ (14,23.) An die Korinther endlich schrieb Paulus sowohl in besonderer Beziehung auf den Ehestand: „Entziehe sich nicht Eines dem Andern, es sei denn aus Beider Bewilligung eine Zeitlang, daß ihr zum Fasten und Beten Muße habt;“ (1. Kor. 7,5.) als auch im Allgemeinen für alle Gläubigen: „In allen Dingen lasset uns beweisen als die Diener Gottes in Wachen und in Fasten (Auch Muhamed entband bei der neuen Religion, die er stiftete, seine Glaubensgenossen keineswegs von dieser Pflicht; er schreibt vielmehr wörtlich denselben in seinem Religionsbuche, dem Koran, vor: „Beten führt auf halbem Wege zu Gott, Fasten bringt an den Eingang des Himmels, und Almosen öffnen die Thür.“).“ (2. Kor. 6,4.5.) – Die Reformatoren unserer Kirche haben überdies dem Fasten an sich nie den Krieg erklärt; Luther nennt das Fasten und leiblich sich Bereiten eine feine, äußerliche Zucht, und in der Augsburgischen Confession, jener erhabenen Bekenntnißschrift der evangelischen Kirche, bekannten die evangelischen Fürsten Deutschlands: Es wird nicht das Fasten verworfen, sondern daß man einen nöthigen Dienst auf bestimmte Tage und Speisen zu Verwirrung der Gewissen gebracht hat.

Was bedürfen wir mehr Zeugniß, um einzusehen, daß die Enthaltung von Speise und Trank für gewisse Zeiten nicht nur untadelhaft, sondern sogar höchst nützlich und Gott wohlgefällig sein könne? Es giebt ja Zeiten und Umstände im Leben, wo es unnatürlich wäre, nicht zu fasten. Oder wie? hast du noch nie über den Drang deiner Berufsgeschäfte Essen und Trinken vergessen? Hast du noch nie, wenn es galt, deinen Geist frei und munter zu erhalten, um ihn besonnen, fröhlich und kräftig irgend einem Geisteswerke zu widmen, deinem Körper absichtlich Manches entzogen? Und wenn eine schwere Bekümmerniß auf deinem Herzen lag, wenn Sorge, Zweifel, Reue, Verlust oder Gram an dir zehrten, war es dir da möglich, nach wie vor deines Leibes zu warten? Verloren da nicht alle Genüsse der Erde, selbst deine Lieblingsgenüsse, für dich ihren Reiz? Warest du da nicht durch innern Drang gezwungen, dir Entbehrungen aufzulegen? – Aber auch davon abgesehen, ist es gut, zur aufgelegteren Uebung in göttlichen Dingen und zur Beherrschung der Sinnlichkeit das Fleisch nicht nur geistlich, sondern auch mitunter leiblich durch Fasten zu kreuzigen sammt den Lüsten und Begierden. Denn das kann Niemand in Abrede stellen: eine Menge Versuchungen, und gerade die lockendsten und gefährlichsten, haben ihren letzten Grund in unserem Fleische und in unserer Sinnlichkeit. Das Fleisch macht den Geist träge und unlustig zum Guten und hängt sich an seine Flügel wie Blei, daß kein hoher Gedanke hinein kann. Das Fleisch beschwert das Herz und raubt ihm die Frische, die Nüchternheit und Klarheit, die Begeisterung und den Heldenmuth für göttliche Dinge. Das Fleisch stört die Seele in ihren Andachtsübungen, namentlich im Gebete, und ruft eine Menge zerstreuender und tödtender Gedanken hervor. Das Fleisch lähmt die Kraft und hemmt den Kampf gegen uns selbst, gegen unseren Stolz, unsere Ungeduld, Heftigkeit und Habsucht, daß wir nicht weiter kommen und die Stricke nimmer zerreißen können, die uns fest an die Sünde und ihre böse Lust bannen. O fraget nur, höret nur die Frommen und Gläubigen aller Jahrhunderte: welche Klagen haben sie geführt über die Macht ihres Fleisches und die Gewalt der aus demselben entspringenden Anfechtungen! Beobachtet euch selbst nur und eure oft genug auftretende Bequemlichkeit und Trägheit zum Guten: worin lag meistens der Grund? In der Herrschaft, die ihr freiwillig eurem Fleische über euch eingeräumt habt. Oder warum seid ihr am frühen Morgen viel geweckter zur Arbeit, als nach Tische? Weil ihr noch nüchtern seid. Warum ist unter dem gegenwärtigen Geschlechte die Erschlaffung und Abspannung so allgemein und ein Heer von Krankheiten verbreitet, von welchen unsere einfacheren Vorfahren gar nichts wußten? Weil die feineren Genüsse überhand genommen haben und man von dem schlichten leben der Natürlichkeit gänzlich abgegangen ist. Wahrlich, nicht das zuweilige Fasten und die Mäßigkeit der Lebensweise schadet der Gesundheit; jene drei Jünglinge zu Babylon hatten es vielmehr gerade ihrer harten Lebensart und ihrer Enthaltsamkeit von verbotenen Speisen zu danken, daß sie so stark und kräftig waren. (Dan. 1,11-15.) Nein, nur die Ueppigkeit und das Wohlleben schadet an Leib und Seele; nur das viele Essen und Trinken, das Schwelgen bis in die Nächte hinein, das alle Tage herrlich und in Freuden Leben ist es, was die Menschheit entnervt, niederdrückt, geistig und sittlich tödtet, und der Sünde allmälig eine furchtbare, unüberwindliche Macht einräumt. Das Fasten also zu gewissen Zeiten und die Mäßigkeit und Enthaltsamkeit überhaupt ist gut und heilbringend, und durchaus nicht zu verwerfen. Wollte Gott, es würde heut zu Tage nur mehr geübt, als es geschieht: die Früchte würden auch sichtbarer sein.

II.

Auch Jesus verwarf das Fasten nicht. Aber wohl verwarf Er die heuchlerische Art zu fasten bei den Pharisäern: Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer sehen wie die Heuchler, denn sie verstellen ihr Angesicht, auf daß sie vor den Leuten scheinen mit ihrem Fasten. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn dahin. Wie sie mit ihrem Almosen und Gebet nur zu prunken und ihre Eitelkeit und Selbstsucht zu befriedigen suchten: so mißbrauchten sie auch das Fasten nur, um in den Schein größerer Frömmigkeit und Heiligkeit sich zu hüllen. Darum begnügten sie sich nicht mit dem jährlichen Fasten am Versöhnungsfeste: sie fasteten wöchentlich und jede Woche zwei Mal, am Donnerstag und Sonnabend. Darum fasteten sie nicht, um besser zu werden und an innerer Vervollkommnung zu wachsen; sondern bloß um Aufsehen zu erregen und die Aufmerksamkeit der Menge zu spannen. Das Fasten war ihnen kein Mittel für höhere Zwecke, sondern Zweck selbst, mit dem sie meinten, Gott einen Dienst zu thun. Darum legten sie auf diese Entziehung der nöthigen Nahrung ein solches Gewicht, daß jener Pharisäer im Tempel, heuchlerisch und prahlerisch seine Verdienste aufzählend und sich selbst rühmend, betete: „Ich danke Dir, daß ich nicht bin, wie andere Leute; ich faste zwei Mal in der Woche und gebe den Zehnten von Allem, was ich habe.“ (Luc. 18,9.10.) Und doch hatten sie eigentlich nur den Namen und den Schein des Fastens: die Sache selbst machten sie sich so leicht wie möglich, und trieben mit derselben eine höchst verächtliche Spielerei. Weil nämlich nach morgenländischer Sitte Abends die Hauptmahlzeit gehalten wurde, so aßen sie Tages vorher für den Fasttag mit, und konnten nun um so eher, zumal im warmen Morgenlande, bis zum folgenden Abende ohne Speise aushalten; oder sie beschränkten das Fasten nur auf den Tag, und sättigten sich dafür desto mehr in den vorhergehenden und nachfolgenden nächtlichen Stunden. Ein armseliger Gottesdienst in selbsterwählter Heiligkeit und Frömmelei! Damit endlich aber ihre Selbsttäuschung und Betrügerei Anderer den höchsten Grad erreichte, trieben sie das nicht etwa still und verborgen, sondern öffentlich; mit traurigen Mienen, mit niedergeschlagenen Augen, wie Jesus im Texte sagt, sauersehend gingen sie über die Straßen, eine Traurigkeit erheuchelnd, die gar nicht in ihren Herzen wohnte; ja, sie verstellten ihre Angesichter, enthielten sich von dem zur Reinlichkeit nothwendigen Wasser und Salböl, streueten Asche auf ihr Haupt, färbten dadurch ihr Antlitz grau und schwarz, als ob es durch das Fasten so geworden wäre; und diese Verstellung ihres ganzen Wesens betrachteten sie als ein außerordentlich verdienstliches Werk, das Gott auch außerordentlich belohnen müßte. Diesen Fastenzwang, diese unnatürliche Kopfhängerei verwarf nun der Herr auf’s Allerbestimmteste. Wenn du aber fastest, sagt Er, so salbe die Haupt und wasche dein Angesicht; dein Anzug, dein Benehmen sei wie sonst, damit Keiner etwas Auffallendes an dir wahrnehme; auf daß du nicht scheinest vor den Leuten mit deinem Fasten, nicht durch äußere angenommene Strenge etwas Anderen zuvorthuest und in den Augen der Welt als besonders fromm gelten wollest.

Jesus verbietet also Erstens das Fasten, das nur eine äußere Form ist und nicht aus innerem Herzensdrange hervorgeht. Ach, die äußere Form thut es nicht! Das Reich Gottes kommt nicht zu uns mit äußeren Geberden, sondern es ist inwendig in uns. Man kann streng sein in äußerer Enthaltsamkeit, und ist nur zu nachgiebig in dem inneren Frohndienste der Sünde; und wiederum, man kann äußerlich nicht fasten, und ist innerlich rein und nüchtern vor dem Herrn. Von solchem äußeren Scheinfasten, wobei das Herz bleibt wie es ist, und nicht die mindeste Reue und Aenderung in demselben vorgeht, sagte Gott schon im Alten Bunde durch den Propheten Jesaias: (58,5.) „Sollte das ein Fasten sein, das ich erwählen soll, daß ein Mensch seinem Leibe des Tages übel thue oder seinen Kopf hänge wie ein Schilf, oder auf einem Sack und in der Asche liege? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, dem Herrn angenehm? Das ist aber ein Fasten, das ich erwähle: Laß los, welche du mit Unrecht verbunden hast; laß ledig, welche du beschwerest; gieb frei, welche du drängest; gieb weg allerlei Last. Brich dem Hungrigen dein Brodt und die, so im Elende sind, führe in dein Haus. So du einen nackend siehest, so kleide ihn und entziehe dich nicht von deinem Fleisch. Alsdann wird dein Licht hervorbrechen, wie die Morgenröthe, und deine Besserung wird schnell wachsen“; und im Neuen Bunde sagt der Herr: „Sie ehren mich vergeblich mit Menschengeboten.“ Faste daher Jeder, wenn es ihm inneres Bedürfniß wird; faste aber Niemand um des äußern Fastens willen.

Jesus verbietet sodann das Fasten, welches als ein Zwang zu gewissen Zeiten den Gläubigen von der Kirche vorgeschrieben wird, wie es leider in der katholischen Kirche geschieht, die durch Menschensatzung es nicht nur am Freitage, als am Todestage des Herrn, sondern auch an vielen andern Tagen ihren Glaubensgenossen auferlegt; ja sogar in der Beichte als eine Strafe und Büßung bestimmt den reuigen Sündern. In der Gemeinde des Herrn soll kein äußerer Zwang stattfinden, sondern das Gesetz der Freiheit herrschen; soll der Gläubige nicht fasten, weil er muß, sondern weil und wann er will. „Bestehet in der Freiheit, damit euch Christus befreiet hat, und laßt euch nicht wieder in das knechtische Joch fangen!“ sagt der Apostel (Gal. 5,1.) „denn zur Freiheit seid ihr berufen.“ Jedes erzwungene Fasten führt zur Heuchelei; verleitet den Menschen, mehr zu scheinen, als er ist; bereitet ihm Gefahren, die seiner Seele höchst nachtheilig werden können, und artet zuletzt immer aus in ein Formelwesen, wobei viel weniger gedacht, gebetet und wider die Sünde gewacht wird, als wenn man gar nicht gefastet hätte. Solche aufgedrungene und aufgezwungene Fastengebote nennt Paulus (1. Tim. 4,3.) geradezu Teufelslehren und ermahnt die Colosser: (2,16.) „Lasset Niemand euch Gewissen machen über Speise, oder über Trank, oder über bestimmte Feiertage.“ Faste jeder Einzelne zu der Zeit, wann er das Bedürfniß dazu fühlt; aber nie sei, nie werde es ein Gebot und äußerliche Satzung für bestimmte Tage und Zeiten.

Jesus verwirft Drittens das Fasten, mit welchem man ein Verdienst begründen will vor dem großen Gott im Himmel. Elender Wahn! Was kann der Mensch je verdienen bei Gott? Strafe wohl durch seine Sünden, Belohnung nie durch seine guten Werke. Durch die Gnade unseres Herrn Jesu Christi werden wir allein selig, und nimmer durch unsere mangelhaften, durchlöcherten und unreinen Werke. Das Reich Gottes kommt nicht durch Essen und Trinken, oder durch Fasten und Kasteien; es ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist. Wo Vergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit; aber Vergebung der Sünden wird nicht errungen und verdient durch eigenwillige oder vorgeschriebene Enthaltsamkeit von den von Gott gegebenen Nahrungsmitteln. Faste daher Jeder, der das Bedürfniß fühlt, um seinem Fleische keine Ursach zum Sündigen zu geben; faste aber Niemand in dem Wahne, damit Gnade zu erlangen vor dem Herrn.

Endlich verbietet Jesus das Fasten, welches bloß Sache des Prunks und der Eitelkeit ist, leere, schändliche Heuchelei, um vor den Augen der Menschen als fromm zu glänzen und als ein Heiliger ohne Gleichen bewundert zu werden. Wenn du fastest, sagt Jesus, so salbe dein Haupt und wasche dein Angesicht, auf daß du nicht scheinest vor den Leuten mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, welcher verborgen ist. Kein Mensch merke, was in und an dir vorgeht; deine freiwillige Entsagung bleibe ein Geheimniß zwischen dir und Gott allein, dein Aeußeres unterscheide sich nicht von dem Aeußern anderer Menschen durch irgend etwas Abweichendes; sei so heiter, so freundlich, so dienstfertig, so liebreich und anziehend wie sonst; - nur in der stillen Kammer des Gebets, vor Dem, der in das Verborgene sieht, da kämpfe, da entbehre, da klage und traure über dich; da demüthige dich vor deinem Herrn und thue Buße. Solch’ Fasten wird Gott wohlgefällig sein, und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten öffentlich; Er wird es dir gereichen lassen zu einer starken Waffe gegen die Sünde, zu einer unüberwindlichen Mauer gegen deine Feinde, zu einem Mittel der Selbstverläugnung und Heiligung, wie unter gewissen Umständen vielleicht kein anderes ihm an die Seite gestellt werden kann.

Den Mißbrauch des Fastens also, der aus demselben nur eine äußere Form, ein Menschengebot, ein verdienstlich Werk, ein heuchlerisch Treiben machen will, verwirft der Herr; aber den rechten, heilsamen Gebrauch hat Er nimmermehr untersagt und aufgehoben. Als Johannis Jünger Ihn fragten: Warum fasten wir und die Pharisäer so viel, und Deine Jünger fasten nicht? antwortete Er: Wie können die Hochzeitleute Leide tragen, so lange der Bräutigam bei ihnen ist? Es wird aber die Zeit kommen, daß der Bräutigam von ihnen genommen wird; alsdann werden sie fasten. Diese Worte wurden erfüllt, als Jesus am Kreuze starb und die kleine Heerde nun ohne Hirten dastand. Da waren ihre Herzen voll Traurigkeit, und gewiß nicht geneigt, Speise und Freude anzurühren. Er kam dann wieder und verwandelte Traurigkeit in Freude, aber Er verschwand auch wieder und fuhr gen Himmel. Wohl waren sie nunmehr getröstet über Seinen glorreichen Ausgang; wohl kehrten sie nun wieder um gen Jerusalem mit großer Freude, und waren allewege im Tempel, preiseten und lobten Gott; wohl gingen sie nun aus in alle Welt als Zeugen einer frohen Botschaft, selig zu machen alle Creatur; - aber Stunden, Tage, längere Zeiten kamen doch wieder für ihr inneres Leben, wo der Bräutigam von ihnen genommen war, Stunden der Oede und Leere: da fasteten sie. Ja, Jahrhunderte kamen für die Kirche, wo der Geist von ihr gewichen schien, wo die reine Lehre verkümmert ward und unterging, wo der Sohn Gottes verdrängt wurde durch Menschensatzung und Menschenvergötterung: da fastete die Kirche. Mit der Reformation kehrte der Herr und mit Ihm Licht und Leben zurück; die Gemeinde sah ihren himmlischen Bräutigam wieder und freute sich Seines Lebens und Seines Lichtes. Aber auch heute noch giebt es Zeiten, wo der himmlische Bräutigam dir ferne steht; du hattest Ihn früher näher, jetzt ist Er dir abhanden gekommen; Zeiten, wo du es fühlst, lebhafter als sonst, daß du hier im Lande des Glaubens bist und nicht des Schauens, in der streitenden und nicht in der triumphirenden Kirche; Zeiten, wo du abfällst von deinem Herrn, zurück in das alte Leben der Nichtigkeit und Eitelkeit; wo du den Jammer der Kirche siehst und ihre Wunden, wo das Gesetz in deinen Gliedern das Gesetz in deinem Gemüthe gefangen nimmt: wie? wolltest du da nicht trauern? wolltest du nicht kreuzigen dein Fleisch sammt den Lüsten und Begierden? wolltest du nicht deine Weltliebe dämpfen, wachen und beten und auch zuweilen, wenn es Noth thut, deinen Leib zähmen und betäuben? So oft die Sinnlichkeit sich in uns regt, so oft die Weltlust uns zu schaffen macht, so oft wir an uns schwer zu tragen haben, so oft wir den Pfahl im Fleische mit dem Apostel fühlen, des Satans Engel, der uns mit Fäusten schlägt: so oft gilt es, den Kampf der Mäßigkeit und Enthaltsamkeit kämpfen; denn diese Art fährt nicht anders aus, als durch Fasten und Beten. Wir haben es wohl Alles Macht, können Alles genießen; denn alle Creatur Gottes ist gut, und nichts verwerflich, das mit Danksagung empfangen wird, (1. Tim. 4,4.) und was zum Munde eingeht, verunreinigt den Menschen nicht, (Matt. 15,11.) – aber es frommt nicht Alles. (1. Kor. 6,12.) Jeder muß sich kennen und seine schwache Seite; Jeder muß wissen, was ihm schadet, und im Stande sein, Opfer zu bringen, wenn Gewissen und Glaube, wenn Seelenheil und Seelenbewahrung sie verlangt.

III.

Doch höher noch als dies freiwillige Fasten zu gewissen Zeiten steht ein anderes, das kein freiwilliges, sondern ein vorgeschriebenes ist, und nicht nur zu gewissen Zeiten, sondern immer geübt werden soll; und zwar ein doppeltes Fasten, ein Fasten des Leibes, und ein Fasten der Seele.. Denn wenn das Fasten vom Herrn dem Almosen und Gebet gleichgestellt wird, so muß es auch ebenso oft von uns geübt werden, wie jenes Beides, d.h. immer, ohne Unterlaß.

Und dies immerwährende, gottgefällige Fasten des Leibes besteht eben in der immerwährenden Mäßigkeit und Enthaltsamkeit beim Genuß der sinnlichen Speisen und Getränke, in der Herrschaft über unsere Begierden, in der Unabhängigkeit von unseren sinnlichen Trieben, in der Versagung selbst erlaubter Vergnügungen, wenn es die Pflicht fordert, in der Erhaltung der Nüchternheit und Besonnenheit jeden Augenblick unseres Lebens. Der Apostel ruft uns zu: „Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist; denn wer die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters. Wartet des Leibes, doch also, daß er nicht geil werde. Die da Weiber haben, seien, als hätten sie keine; die sich freuen, als freueten sie sich nicht; die da weinen, als weinten sie nicht; die dieser Welt brauchen, daß sie derselbigen nicht mißbrauchen.“ Ach, wenn wir alle Tage herrlich und in Freuden leben, wenn wir jede Erlustigung mitmachen, die sich uns darbeut, wenn wir des Leibes pflegen durch viele Speise und Trank, Schlaf und müßige Tage, wenn wir kein Fest des Lebens, keine Taufe, keine Confirmation, kein Andenken an große Männer und Zeiten, keine Leichenbestattung sogar anders zu feiern verstehen, als durch Saus und Schmaus, so geben wir unserem Feinde die Waffen in die Hand, daß er uns mit ihnen schade, und machen durch Augen- und Ohrenweide ihn stark zu unserem Verderben. Unsere Lüste und Begierden sind eine Art böse Geister, vor denen wir nicht genug auf der Hut sein können. Wohlan, so fastet immerdar! Das beste Fasten ist die stete Nüchternheit. Taumelt nicht durch’s Leben, sondern bleibet hell und klar. Mißbraucht nicht die evangelische Freiheit zum Deckel der Bosheit, sondern gebrauchet sie zur Herrschaft über die Lust eures Herzens.

Vor Allem aber fastet der Seele nach, indem ihr nicht nur eures Herzens Thore der Sinnlichkeit und fleischlichen Begier verschließt, sondern indem ihr jede Sünde, namentlich eure Lieblingssünde, heldenmüthig bekämpfet, streng seid gegen euch selbst, jede Neigung zu Stolz, Eitelkeit, Lieblosigkeit, Undankbarkeit in euch unterdrücket, und das Uebergewicht euch sichert gegen die Versuchung. Ohne Kampf mit sich selbst, ohne Selbstverläugnung und Selbstüberwindung, ohne fortgesetzte Uebung, seiner Empfindung und Lust, ja seiner Leidenschaft entgegen zu handeln, ohne ein tägliches Absterben der Sünde und alles ungöttlichen Wesens kommen wir nicht vorwärts auf dem Wege unserer Heiligung. Je mehr wir uns sterben, desto mehr kann Christus in uns leben. Je bitterer uns die Welt wird, desto süßer erscheint uns der Himmel. Das allerbeste, gesegnetste Fasten ist das Seelenfasten, das Ablassen vom Bösen und das Freierhalten der Seele von jeder Liebe zur Creatur (Wollt ihr, sagt der heilige Bernhard (Sermon 3.), daß euer Fasten dem Herrn angenehm sei, so muß es allgemein sein; d.h. es muß sich sowohl über die Seele, als über den Leib, über alle Leidenschaften, über alle Sinne und Begierden erstrecken. Ihr lasset euren Mund und Magen fasten: lasset auch zugleich eure Augen fasten, daß sie keinen gefährlichen Gegenstand erblicken; lasset eure Zungen fasten, daß sie keine Verläumdungen, keine schändlichen Reden aussprechen; lasset eure Hände fasten, daß sie nicht nach dem Gute der Nebenmenschen greifen. Denn wenn ihr fastet, und dennoch zu sündigen fortfahret, so fastet ihr wie der Teufel, der nichts ißt und dennoch ein Teufel bleibet.). Werden wir ungebundener im Gebrauche unserer Leibes- und Seelenkräfte, so werden wir damit auch tüchtiger, jedes Ungemach zu tragen und zu nutzen, und geschickter, in jeder Lage unseren Obliegenheiten zu genügen und unserer Bestimmung nachzukommen, welche keine andere als die Vorbereitung für den Himmel ist, und die apostolische Ermahnung kann an uns That werden: Ihr esset und trinket, oder ihr fastet und entbehret, ihr wartet eures Leibes, oder ihr kreuziget ihn, oder was ihr thut, thut es Alles zu Gottes Ehre. (1. Kor. 10,31.)

Alles zu Gottes Ehre! zum Wachsthum in Seiner Liebe und zur Vermehrung Seines Ruhmes unter den Menschenkindern! Das ist die Hauptsache und das letzte Ziel von Allem. Was uns dahin führt, sei uns willkommen; was uns daran hindert, sei verworfen. Dieses immerwährende, allgemeine Fasten schließt das besondere, zu gewissen Zeiten, nicht aus; so wenig, wie das Beten ohne Unterlaß das tägliche Morgen- und Abendgebet ausschließt. Aber dabei bleibt es: Alles zu Gottes Ehre! Unsere Seele ist Sein; denn Er hat sie erkauft. Unser Leib ist Sein; denn Er hat ihn erschaffen. Unser Leben ist Sein; denn Keiner lebt ihm selber und Keiner stirbt ihm selber. Wohlan: leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn; darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Amen.

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