Arndt, Johann - Erbauliche Psalter-Erklärung - Vorrede.

Arndt, Johann - Erbauliche Psalter-Erklärung - Vorrede.

Indem ich dem Wunsche des lieben Herrn Verfassers entsprechend ein Vorwort zu seiner Bearbeitung der Arndschen Psalmen-Erklärung schreibe, bin ich in der seltsamen Lage, dass ich statt empfehlend für Andere wirken zu können, mich selbst um solchen Tuns willen entschuldigen muss. Denn während mein lieber Amtsbruder schon wiederholt in die Öffentlichkeit getreten ist, bin ich ein Unbekannter, von dem sich höchstens eine wohlwollende Seele erinnert, da und dort einmal eine Predigt gelesen zu haben. Aber „warum beginnst du dann, was dir nicht ziemt?“ höre ich mit Recht fragen. Nicht darum tat ich's, weil ich dem Büchlein zur Empfehlung dienen könnte, nicht darum, weil mich's lüstete, unter Anderer Fittig ein wenig hervorzuschauen, sondern darum, weil ich ein Zeugnis geben wollte, dass jegliche Arbeit für das Reich Gottes, die innerhalb meiner Diözese geschieht, mit lebendigster Teilnahme von mir begleitet wird, weil, was so ganz zum Dienst der Gemeinden bestimmt ist, am Ende auch vom schlichten Mann, der in diesem Dienst alt ward, bevorwortet werden kann, und weil der heischenden Liebe, die auf den Gewinn, einen vielgenannten Vorredner zu haben, verzichtete um der Freude willen, einen älteren Freund an der Seite zu sehen, - die willige Liebe einfach zu entsprechen hatte.

Je weniger ich nun selbst dem Büchlein helfen kann, um so mehr muss es sich selbst helfen, und ich denke, dass es dazu geschickt ist sowohl wegen des Mannes, den es uns in's Gedächtnis ruft, als wegen des Werkes, das es behandelt, als wegen der Grundsätze, die es bei dieser Behandlung erkennen lässt. Möge es dem Vorredner gestattet werden, auf diese drei Punkte nur ein wenig einzugehen.

Für ein Büchlein, das der Gemeinde dienen, ihr lieb und wert werden möchte, ist es von großer Bedeutung, dass es den Namen Arnd an seiner Stirne trägt; denn dieser teure Gottesmann ist durch sein „wahres Christentum“ so eingebürgert, dass man auch einem andern Erzeugnis seines Geistes ein williges Herz entgegenbringt.

Es kann nicht meine Aufgabe sein, Arnd's edlen und ernsten Lebensgang zu schildern; aber seine Bedeutung für seine, wie für unsre Zeit darf wohl auch hier mit ein paar Worten berührt werden.

Der heilige Geist hat je und je zur Erleuchtung der Kirche Geister erweckt, die einzelne Lehren klar und licht zu predigen verstanden. Wie es Gärtner gibt, die in der Erzielung und Darstellung Einer Blumenart ihre Meisterschaft erweisen, so erschienen im Reiche Gottes immer zur rechten Zeit solche vom HErrn begnadigte, geistliche Gärtner, die je Eine Lehre, je Eine Seite des Heils tief und treffend entfalteten. Wer gedenkt da nicht eines Atanasius, Augustinus, Luther, und wen stört's, wenn wir auch den lieben Arnd in dieser Reihe ein Plätzlein zuteilen? Denn während Jene von Gottes Dreieinigkeit, von Sünde und Gnade, Rechtfertigung und Schrift rein gelehrt und köstlichen Grund gelegt haben, hat Arnd den Artikel von der Heiligung fein getrieben und großen Segen gestiftet. Solch ein Mann wäre immer ein lieblicher Stern am Kirchenhimmel, in seiner vielfach dunkeln Zeit kam er zu doppeltem Glanze.

Es bedarf nicht der Verunglimpfung der ernsten Vertreter der reinen Lehre, es bedarf keines banalen Geschrei's gegen „starre“ Orthodoxie, auch keine pietistische Gefühligkeit, die bei jedem Dringen auf Lehreinheit das Haupt wie eine vom Frost getroffene Blume senkt, es bedarf des allen nicht, um den edlen Arnd zu heben. Wahrlich, wäre er reiner Lehre irgend zu nahe getreten, er hätte seines Wirkens Unterbau und Segen selbst am meisten geschädigt. Aber das muss gesagt werden, dass sich unter dem Aushängeschild der Orthodoxie eine wie Chyträus wohl mit Recht sagt „schulfüchsige Theologie gebildet hat, in der nichts von der wahren Gottseligkeit zu sehen war, sondern sich die Theologici unter einander mit spitzfindigen Worten und Vernunftschlüssen zerstachen und verirrten.“ Das arme Volk fand in den Gotteshäusern wenig Erquickung; der Kopf wurde heiß, aber das Herz nicht warm, und die tiefe gemütvolle Art eines Luther, der, wie keiner, seines deutschen Volkes Herzschlag kannte, war völlig abhanden gekommen. Was Wunder, dass dann die hungernden Seelen vielfach theosophisch ungesunder Lehre zugeführt wurden, was Wunder, dass, wo die Leuchte des göttlichen Wortes nicht scheinend und wärmend geboten ward, man dem „innern“ Lichte eine unberechtigte Bedeutung gab.

In eine solche Zeit hinein leuchtete Arnd mit mildem Glanze. Konnte er einerseits seine lutherische Bekenntnistreue trotz alles Unglimpfs trefflich erweisen, so standen anderseits jenen suchenden Gemütern durch seine Ausdrucksweise, durch sein Eingehen auf das Schriftgemäße auch im System des Irrenden, durch sein Aufsuchen der Perlen mitten im Schutt seltsamer Menschengedanken nahe, und so reichte er, möchte ich sagen, seine Friedenshand nach rechts und links, um beiden ein Führer auf der Bahn der heiligen Schrift zu werden, die kein wahres Leben kennt ohne reine Lehre, aber auch reiner Lehre nur bei gottseligem Leben die Palme reicht. Hören wir unsern Arnd selbst! Bei der Reinigkeit der Lehre, sagt er, muss zugleich Wiedergeburt getrieben werden, ohne welche alles theologische Wissen unfruchtbar ist. Der Bau der Seele und die Verbesserung der alten eingewurzelten Bosheit fordert eine große Übung in der Gottseligkeit, ein Exempel und geistliche Klugheit. Daher setzt der Apostel 2 Tim. 3,16 Lehre und Besserung zusammen, ohne welche beiden Stücke die wahre Kirche keineswegs kann erbauet werden.

In diesem Dringen auf einen Glauben, der durch die Liebe tätig ist, in diesem Hervorheben der erneuernden Kraft Gottes, die den ganzen Menschen fassen und bewegen muss, in diesem Durchspähen der tiefsten Herzensfalten, um allen Dinkel und alle Verzagtheit daraus zu vertreiben, in dieser Innigkeit und Tiefe der Schrift- und Naturbetrachtung, in dieser ethischen Energie liegt Arnd's Bedeutung auch für unsre Tage. Wahrhaftig unser Geschlecht bedarf eines Mannes, der gegen laodicäisches Wesen und schlaffe Behaglichkeit mit mächtigem Worte ankämpft.

Es werden hie und da unter gläubigen Pfarrern Stimmen laut, als dringe man zu wenig auf Werke, als würden durch die Glaubenspredigt, weil sie nicht recht aufgefasst werde, den Leuten „Kissen unter die Arme und Pfühle unter den Häuptern“ zugerichtet. Muss man auch im Blick auf unser Volk, in dem gerade die Werkgerechtigkeit noch gründlich wuchert, anstehen, solchen Stimmen sofort zuzufallen, so viel ist immerhin wahr, dass die Predigtweise eines Arnd von großem Segen ist, weil dabei die eigene Gerechtigkeit ebenso vernichtet, als die Erweisung der Glaubensgerechtigkeit gefördert wird.

Ist nun schon der Mann gar fein, den uns dieses Büchlein in's Gedächtnis bringt, vollends köstlich ist das Werk, das uns nahe gebracht wird, nämlich eine erbauliche Erklärung der Psalmen.

Die Psalmen bleiben der Kirche Kleinod bis an's Ende der Tage. „Ich halte dafür“, sagt Luther, „dass kein feiner Exempelbuch oder Legende der Heiligen auf Erden kommen sei oder kommen möge, denn der Psalter, den man wohl möchte eine kleine Bibel heißen.“ Und an einer andern Stelle heißt es: Ein menschlich Herz ist wie ein Schiff auf einem wilden Meere … hier stößt her Furcht und Sorge vor zukünftigem Unfall, dort fährt Grämen her und Traurigkeit von gegenwärtigem Übel, hier wehet Hoffnung und Vermessenheit von zukünftigem Glück, dort bläst her Sicherheit und Freude in gegenwärtigen Gütern. Solche Sturmwinde aber lehren mit Ernst reden, das Herz öffnen und den Grund herausschütten … Was ist aber das Meiste im Psalter anders, denn solch ernstlich Reden in allerlei solchen Sturmwinden? Wo findet man feinere Worte von Freuden, denn die Lob- und Dankpsalmen haben? Da siehst du allen Heiligen in's Herz, wie in schöne lustige Gärten, ja wie in den Himmel . . . . und wiederum, wo findest du tiefere, kläglichere Worte von Traurigkeit, denn die Klagpsalmen haben? Da siehst du abermals allen Heiligen in's Herz, wie in den Tod, ja wie in die Hölle!“

Dass dieses von unsrem Luther so hoch gehaltene Buch der Schrift in unsren Gemeinden genugsam gekannt und geliebt sei, wird Niemand behaupten wollen. Einzelne Psalmen sind wohl in Vieler Mund; aber die Tiefe und der Lehrreichtum auch dieser wenigen ist unsrem Volke verschlossen. Es ist daher gewiss eine dankenswerte Arbeit, wenn die Psalmen-Erklärung eines so trefflichen und erprobten Mannes wieder an's Licht gestellt und unsren Gemeinden in brauchbarer Gestalt geboten wird.

Wenn die Angabe in einer seiner Lebensskizzen richtig ist, so hat Arnd die Psalmen gerade zur Pestzeit in Quedlinburg erklärt, indem er vom Trinitatisfest bis Michaelis alle Tage predigte. Ist ein Mann wie Arnd überhaupt schon befähigt, sich in die Psalmen zu versenken, wie wird vollends der Ernst jener Tage sein Geistesauge geschärft haben! Und all dieser Gewinn, den Arnd später in seiner von ihm herausgegebenen Psalmen-Erklärung niederlegte, soll nun auch uns zu Teil werden.

Dass wir aber mit dem Lobe dieses Arnd'schen Werkes nicht zu hoch greifen, dafür berufen wir uns auf die Worte eines Johann Gerhard. In der trefflichen Vorrede zu den Arndschen Psalmen sagt er: „Was für herrlichen, ewigen Ruhmes und Dankes würdigen Fleiß er an solche Arbeit gewendet, wie manche heilige Betrachtung darinnen zu befinden, wie genau und fleißig er den Adern des köstlichen Goldes göttlicher Weisheit nachgesucht, so in diesen Fundgruben verborgen, wie emsig er die mit den Händen der Andacht zudrücket, dass sie einen lieblicheren und stärkeren Geruch geben möchten, dasselbige wird ein Jeder befinden, welcher diese Erklärung zur Hand nehmen und mit gebührender Andacht lesen wird.“ Aus solchen Worten wird genügend erhellen, welch edle reife Frucht hier dargereicht wird.

Da nun aber diese Psalmen nicht in derselben Form und Länge, wie sie Arnd gibt, für den beabsichtigten Zweck belassen werden konnten, so ist zum Dritten eine Besprechung der Grundsätze, nach denen verfahren wurde, notwendig.

Arnd's Psalmen wollten der Verfasser und seine Freunde herausgeben und zwar für Betstunden. Damit waren bestimmte Grenzen gezogen. Fern liegendes musste beseitigt, zu Ausführliches verkürzt, manche Zitate unberücksichtigt gelassen werden; die Hauptgedanken dagegen, die Anlage im Ganzen, die Ausdrucksweise im Einzelnen mussten bewahrt bleiben; denn die Bezeichnung „für Betstunden bearbeitet“ gab wohl ein Recht zu formeller, aber nicht zu materieller Umgestaltung. Dass Arnd die Psalmen nicht zunächst zeitgeschichtlich auffasst, sondern sofort mitten hinein in seine Zeit tritt, dass ihm die sogenannten messianischen Psalmen einzig die Lichtgestalt des erschienenen Menschensohns und zwar ganz und voll abspiegeln, das liegt einerseits in dem erbaulichen Charakter der Erklärung, anderseits in der exegetischen Betrachtungsweise seiner Zeit. In gleichem Falle ist der schlichte Leser oder Hörer der Psalmen; alles gewinnt sofort Beziehung auf seine Verhältnisse, seine Freude oder seine Trübsal, und wo ihm ein neutestamentliches Wort die Beziehung auf Christum nahe bringt, da füllt er den Psalm mit der Person seines Erlösers vollständig aus. Dass also der Arndschen Psalmen-Erklärung nach diesen Seiten hin keine Gewalt angetan würde, lag ebenso sehr in der Gebundenheit an das Zugesagte und in der Pietät gegen Arnd, als in der Überzeugung, der Gemeinde so am besten zu dienen.

Der jüngere Mann, der eben aus seinen Kollegien kommt, mag sich vielleicht zu strenger Kritik einer solchen „Erklärung“ geneigt fühlen; später wird er wohl anderen Sinnes und gedenkt des Wortes eines hochgefeierten Theologen: „Zurück zu den Alten!“, eine Mahnung, die, nebenbei bemerkt, auch den Verfasser dieses Büchleins veranlasste, an die vorliegende Arbeit zu gehen.

Eigentümlich mag's uns ja wohl erscheinen, wenn - um nur Ein Beispiel anzuführen - der 8. Psalm ohne Vermittlung Zug für Zug auf Christum gedeutet wird; aber Arnd ist eben, durch die neutestamentlichen Zitate geleitet, gleich an dem Punkt angelangt, von dem Delitzsch sagt: „Hält man die Aussage des Psalms mit der Schattenseite der Wirklichkeit zusammen, nach welcher sie der Bestimmung des Menschen inkongruent ist, so wird das von dem Menschen der Gegenwart handelnde Lied zu einer Weissagung auf den Menschen der Zukunft.“

Ob nun aber das bisher Angedeutete in den folgenden Blättern geleistet ist, ob alle Hauptgedanken gewahrt sind, das durch Weglassungen Getrennte glücklich verbunden ist, darüber muss sich der liebe Leser selbst sein Urteil bilden. Vorredner, der einen Teil dieser Psalmen genauer ansah - für alle mangelte ihm die Zeit - glaubt, dass es kein ungünstiges sein werde. Gerne aber werden Winke einsichtsvollerer Männer von dem Herausgeber beachtet werden, sofern sie seine Grundanschauung nicht alterieren.

Fünf und zwanzig Psalmen sollen einstweilen ausgehen, finden sie Anklang, sollen weitere folgen; so sendet der vorsichtige Lenz erst etliche Blümlein voraus, die lauschen sollen, ob die Lüfte von der Art sind, dass sich die später kommenden Schwestern halten können.

Dass ich so lange vorgeredet, entspricht nicht meiner Weise, sondern dem Wunsche des lieben Herrn Verfassers. Möge der HErr, dessen Ehre allein er dienen will, Seinen Segen auf diese Arbeit legen und manch Herz damit wecken und trösten.

Mkt. Einersheim, am Sonntag Lätare 1871.

Seybold, Dekan.

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