Anselm von Canterbury - Siebzehnte Betrachtung. Oder der fünfzehnten Betrachtung dritter Teil. Über die zukünftigen Wohltaten Gottes.

Anselm von Canterbury - Siebzehnte Betrachtung. Oder der fünfzehnten Betrachtung dritter Teil. Über die zukünftigen Wohltaten Gottes.

Wer aber bietet den Seinigen so Großes in der Gegenwart, als er für sie in der Zukunft aufbewahrt? Der Anfang der Zukunft und das Ende der Gegenwart ist der Tod. Wessen Natur schaudert nicht davor zurück? Denn die wilden Tiere suchen durch Flucht, Schlupfwinkel und auf tausend andere Arten dem Tod zu entgehen, und das Leben zu schützen. Nun merke sorgfältig darauf, was dir dein Gewissen für eine Antwort gibt, worauf sich dein Glaube verlässt, was deine Hoffnung dir verheißt, was deine Liebe erwartet. Wenn dir dein Leben zur Last ist, wenn die Welt zum Fleisch zum Schmerze ist, so ist dir der Tod wahrhaft erwünscht, mit dem du das Joch dieser Last vertreibst, den leiblichen Schmerz ablegst, den Ekel. Von diesem Einzigen sage ich, es gehe über alle Vergnügungen dieser Welt, Ehren und Reichtümer, wenn du wegen der Heiterkeit des Gewissens, der Festigkeit des Glaubens, der Gewissheit der Hoffnung, den Tod nicht zu fürchten hast. Und diese Erfahrung wird der hauptsächlich machen können, der einige Zeit unter dieser Knechtschaft seufzend in die Lüfte freieren Gewissens entronnen ist. Das sind die heilsamen Erstlinge deiner künftigen Beseligung, dass beim Nahen des Todes der Glaube den natürlichen Abscheu überwindet, die Hoffnung mäßigt, das reine Gewissen vertreibt und daher ist der Tod gewissermaßen der Anfang der Ruhe, das Ziel der Mühen, die Vernichtung der Laster. Denn so steht geschrieben: Selig die Toten, die im Herrn sterben (Offenb. 14,13). Daher sagt der Prophet, wenn er den Unterschied des Todes der Verworfenen von dem der Auserwählten bezeichnet: Alle Könige schlummern in Ehre, jeder in seinem Hause; du aber bist von deinem Grabe weggeworfen, wie ein unnützer, verunreinigter und verhüllter Strunk (Jes. 14,18.19). Die schlummern nämlich in Ehren, deren Tod ein gutes Gewissen empfiehlt, weil in Gottes Augen der Tod seiner Heiligen kostbar ist (Ps. 115,15). Wahrlich in Ehren schlummern die, bei deren Schlummer Engel stehen, Heilige entgegenkommen, die ihrem Mitbürger Hilfe gewähren, und Trost spenden; sie stellen sich den Feinden in den Weg, schlagen ihren Widerstand ab, widerlegen die Ankläger, und begleiten so die heilige Seele bis in den Schoß Abrahams und bringen sie in den Ort des Friedens und der Ruhe. Nicht so die Gottlosen, nicht so die, welche die schlimmsten Geister aus dem Körper, wie aus einem stinkenden Grabe mit höllischen Werkzeugen herausreißen, von Lust befleckt, in Begierde eingehüllt ins Feuer zum Verbrennen werfen, den Vögeln zum Zerreißen, dem ewigen Gestanke zum Ersticken überweisen. Wahrlich der Gerechten Erwartung ist. Freude; die Hoffnung der Gottlosen aber wird zu Grunde gehen (Spr. 10, 28). In der Tat, worin jene Ruhe bestehe, was jener Friede, was die Annehmlichkeit in Abrahams Schoß sei, die jenen in ihrer Ruhe verheißen ist, und mit Freude erwartet wird, wird kein Griffel ausdrücken können, weil man keine Erfahrung zur Belehrung darüber hat. Die Glücklichen warten, bis die Zahl ihrer Brüder voll ist, um am Tage der Auferstehung in den Genuss eines doppelten Kleides, nämlich der beständigen Glückseligkeit des Leibes und der Seele zu gelangen.

Betrachte nun den Schrecken jenes Tages, wenn der Himmel Kräfte erschüttert werden, die Elemente in der Hitze des Feuers sich lösen, die Hölle offen stehen, alles Verborgene bloß daliegen wird: von Oben wird der Richter in seinem Grimme kommen, brennend vor Wut, und sein Wagen wie der Sturm (Jer. 4,13), um Rache zu üben im Zorne und Verheerung mit Feuerflammen. Selig ist, wer sich bereitet hat, ihm zu begegnen. Wie wird es dann mit den unglücklichen Seelen stehen? Wie unglücklich werden dann die sein, die jetzt Üppigkeit schändet, Geiz zerstört, Hochmut aufbläht. Ausgehen werden die Engel, und die Bösen aus der Mitte der Gerechten ausscheiden. (Mat. 13,49), indem sie die einen zur Rechten, die andern zur Linken stellen. Denke nun, du stehst vor dem Richterstuhle Christi unter diesen beiden Gesellschaften, die noch nicht von einander getrennt sind. Wende nun die Augen zur Linken des Richters, und betrachte jene unglückliche Menge. Dort welch ein Abscheu, welche Scham, welcher Gestank, welche Furcht, welcher Schmerz! Da stehen die Elenden und Unglücklichen, knirschend mit den Zähnen, zitternd in ihrer Blöße, abscheulich von Anblick, hässlich von Gesicht, niedergeschlagen vor Scham, bestürzt vor der Hässlichkeit und Blöße ihres Leibes. Sie möchten sich verbergen, und es wird nicht gestattet; sie suchen zu fliehen und es wird ihnen nicht erlaubt. Heben sie die Augen in die Höhe, droht die Wut des Richters; schlagen sie sie nieder, trifft sie das Entsetzen der Höllengrube. Da gibt es keine Entschuldigung der Verbrechen, noch wird irgend eine Beschuldigung mit einem ungerechten Urteile Gott gegenüber stattfinden können, da jeder Beschluss, wie ihrem Gewissen selbst nicht entgehen wird, gerecht ist. Siehe nun, wie der geliebt zu werden verdient, der dich durch Vorherbestimmung von dieser Gesellschaft der Verdammten ausgeschieden, durch seine Berufung getrennt, durch seine Rechtfertigung gereinigt hat.

Schau nun zur Rechten, und bemerke, unter wen er dich zur Verherrlichung mischen wird. Dort welche Schönheit, welche Ehre und welche Glückseligkeit, und welche Sicherheit? Einige hoch auf dem Richterstuhle, Andere im Glanze der Märtyrerkrone, Andere weiß in der Blume der Jungfräulichkeit, Andere im Überflusse durch reichliches Almosengeben, Andere im Vorzuge der Gelehrsamkeit und Kenntnisse, geeinigt zu einem Liebesbunde. Jesu Antlitz leuchtet ihnen, nicht schrecklich, sondern liebenswürdig; nicht bitter, sondern süß; nicht schreckend, sondern schmeichelnd.

Stelle dich nun gleichsam in die Mitte, ohne noch zu wissen, welchen dich des Richters Spruch zuscheiden wird. O harte Erwartung! Furcht und Zittern kommen über mich und Finsternis verhüllt mich (Ps. 54,6). Gesellt er mich zu denen zur Linken, so kann ich ihn nicht der Ungerechtigkeit beschuldigen; teilt er mich denen zur Rechten bei, so ist das seiner Gnade, nicht meinen Verdiensten zuzuschreiben. Wahrhaftig, Herr, Leben steht in deinem Willen. Du siehst also, wie weit deine Seele in der Liebe zu ihm werden muss, der es vorzog, zu deinem Heile dich den Gerechten zuzugesellen, während er mit den Ungerechten dich verdammen könnte. Nun sei der Meinung, du hörst in Verbindung mit jener heiligen Genossenschaft den Beschluss seines Wortes: kommt, Gesegnete meines Vaters, nehmt in Besitz das Reich, das euch bereitet ist vom Ursprunge der Welt an (Matth. 25,34). Während sodann die Unglücklichen das Wort des Herrn voll Grimm und Wut vernehmen: Hinweg von mir, Verdammte, ins ewige Feuer (Ebds. 41). Alsdann werden diese, heißt es, in die ewige Strafe gehen; die Gerechten aber ins ewige Leben (Ebnds. 46). O harte Trennung! o erbarmenswürdige Lage! Denn nach Entfernung der Gottlosen, dass sie Gottes Herrlichkeit nicht sehen, wird von den Gerechten, nachdem jeder Einzelne nach seiner Stufe und nach Verdienst den himmlischen Reihen einverleibt worden, jener herrliche Umzug gehalten werden, wobei Christus unser Haupt vorangeht, und alle seine Glieder ihm folgen, und das Reich Gott dem Vater übergeben werden wird, dass er selbst in ihnen herrsche und sie in ihm, indem sie jenes Reich in Empfang nehmen, das ihnen bereitet ist vom Ursprunge der Welt an, ein Reich, dessen Zustand von uns nicht einmal gedacht, viel weniger ausgesprochen oder beschrieben werden kann. Nur so viel weiß ich, dass es durchaus an gar nichts fehlen wird, was du dir dabei wünschen magst.

Dort gibt es also keine Wehklage, kein Weinen, keinen Schmerz, keine Furcht. Keine Traurigkeit, keine Zwietracht, keinen Neid, keine Bedrängnis, keine Versuchung, keinen Wechsel oder Verderbnis der Lust, keinen Verdacht, keinen Ehrgeiz, keine Schmeichelei, keine Verkleinerung, keine Krankheit, kein Alter, keinen Tod, keine Armut, keine Nacht, keine Finsternis, entfernt kein Bedürfnis zu essen oder zu trinken oder zu schlafen, keine Ermüdung. Was gibt es nun Gutes dort? Wo es weder Wehklage gibt, noch Weinen, noch Schmerz, noch Traurigkeit, was kann es dort anderes geben als vollkommene Fröhlichkeit? Wo es keine Versuchung gibt oder Bedrängnis, keinen Wechsel der Zeiten, oder Verderbnis der Lust, keine zu heftige Hitze, noch einen zu strengen Winter, was anderes kann es geben, als eine Art höchst gemäßigte Beschaffenheit der Dinge und wahre und höchste Ruhe des Geistes und des Fleisches? Wo es nichts zu fürchten gibt, was kann es anderes geben, als die höchste Sicherheit? Wo es keine Zwietracht gibt, keinen Neid, was kann es anderes geben als höchste und wahre Liebe? Wo es keine Hässlichkeit gibt, was kann es anderes geben als höchste und wahre Schönheit? Wo es keine Armut gibt, was kann es anderes geben, als jegliche Fülle? Wo es keine Mühe und keine Abnahme gibt, was wird es anderes geben, als höchste Ruhe und Stärke? Wo es keine Beschwernis und keine Last gibt, was wird es anderes geben, als höchste Glückseligkeit? Wo man weder das Alter zu erwarten, noch eine Krankheit zu fürchten hat, was kann es anderes geben, als wahre Gesundheit? Wo es weder Nacht, noch Finsternis gibt, was gibt es anderes als vollkommenes Licht? Wo jeder Tod samt Sterblichkeit dahin ist, was gibt es anderes als ewiges Leben?

Nach was wollen wir noch weiter forschen? Wenigstens nach dem, was das Vorzüglichste von diesem Allem ist, nämlich die Anschauung, Erkenntnis und Liebe des Schöpfers. Man wird ihn sehen in sich, man wird ihn sehen in allen seinen Geschöpfen, wie er Alles ohne Bekümmernis regiert, Alles ohne Mühe erhält, sich gewissermaßen dem Einzelnen mitteilt nach seiner Fassungskraft, ohne Verminderung und Teilung. Man wird jenes liebenswürdige und wünschenswerte Angesicht sehen, in das zu blicken die Engel sich sehnen: wer ist im Stande, von seiner Fülle, seinem Lichte, seiner Lieblichkeit zu sprechen? Man wird den Vater im Sohn, und den Sohn im Vater, den heiligen Geist in beiden sehen. Denn man wird ihn sehen, wie er ist, da seine Verheißung erfüllt ist, vermöge der er sagt: Wer mich liebt, wird von meinem Vater geliebt, und ich werde ihn lieben, und mich ihm offenbaren (Joh. 14, 21). Aus dieser Anschauung geht jene Erkenntnis hervor, von der er selbst sagt: Das ist das ewige Leben, dass sie dich als den allein wahren Gott erkennen (Joh. 17, 3). Hieraus wird eine so große Zärtlichkeit erwachsen, ein so großes Feuer frommer Liebe, so große Liebessüßigkeit, so großer Überfluss im Genusse, so große Heftigkeit der Sehnsucht, dass weder Sättigung der Sehnsucht, noch Sehnsucht nach Sättigung im Wege steht. Was ist das? Gewiss das, was kein Auge sah, noch ein Ohr hörte, noch in eines Menschen Herz kam, das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben (1 Kor. 2,9).

Hiermit, Schwester, habe ich mich bemüht, für dich über das Andenken an Christi Wohltaten in der Vergangenheit, über die Erfahrung derselben in der Gegenwart, über ihre Erwartung in der Zukunft, eine Art Samen geistiger Betrachtungen vorzusäen, damit aus ihnen eine reichlichere Frucht göttlicher Liebe entstehen und wachsen möchte: dass Betrachtung Liebe erwecke, Liebe Sehnsucht gebäre, Sehnsucht Tränen auspresse: damit Tränen dein Brot Tag und Nacht sein möchten (Ps. 41,4), bis du vor seinem Angesichte erscheinst und in seine Arme genommen wirst, und du das sagst, was im hohen Liede geschrieben steht: Mein Geliebter gehört mir und ich ihm; zwischen meinen Brüsten wird er weilen (Hoh. 1, 12). Das möge dir in Gnaden verleihen, der als Gott lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit.

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